Werner Krämer

Casestudy/Narrativ/Themen/Practice

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"Longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla" (lateinische Lebensweisheit frei in Deutsch: Ein Gramm gutes Beispiel ist besser als ein Zentner gute Worte, L. A. Seneca, 4 v. Chr. - 65 n. Chr.). "Das  große Ziel der Bildung ist nicht Wissen, sondern Handeln", Herbert Spencer, englischer Philosoph. 

Untergliederung: VWL - Lehrbuch, 2.Teil, (3.Teil), (4. Teil), (5. Teil) (1.Teil)

VolkswirtschaftslehreFallstudien, Literaturtipps dazu, Lernsoftware, Funktionsweise einer Volkswirtschaft (Grundlagen der VWL), Ideologien (Ideen) & Wirtschaft, Wirtschaftspolitische Grundkonzeptionen (Denkschulen), Geschichte des Geldes und Kapitals, Marktbetrachtung (Grundlagen), Finanzmärkte, Umweltsektor, Arbeitsmarkt), Weltwirtschaftskrisen, Ursachen, Folgen und Folgerungen von Finanzkrisen, (+ Bankenbeben 23), Aufstieg der Schwellenländer, Neue Ökonomie der Nachhaltigkeit (Green and Climate Economy), Analyse von Wirtschaftsordnungen (Markt- und Staatskapitalismus), Exportorientierung und Wettbewerb (Deutschland in der Kritik), Bevölkerungsentwicklung und Folgen, Abwertungswettlauf von Währungen (Währungskrieg in der Welt), Soziale Gerechtigkeit und Arbeit, Krise der Europäischen Union (Euro), "Wenn der Drache lahmt": Die Bedeutung Chinas für Deutschland und die Weltwirtschaft und der Wert des Staatskapitalismus,  Analyse der Migration (Globale Flüchtlingskrisen), Digitale Revolution und Transformation ("The Second Machine Age"), Die politische und ökonomische Wende in den USA und ihre mögliche Auswirkungen auf die Globalisierung ("Trumpismus", am Anfang einer neuen Weltordnung; globaler Stellenwert der USA, Neustart unter Biden), Karl Marx - Jahr 2018: 200. Geburtstag und 150 Jahre "Das Kapital" (oder: "Von der industriellen zur digitalen Revolution", auch Bedeutung in China, mit Friedrich Engels), Die Genossenschaftsidee von F. W. Raiffeisen - Die ideale Organisationsform in einer digitalen und nachhaltigen Welt? (200 Jahre Raiffeisen-Jubiläum; mit Fokus auf "Japan"), "Vom Land der aufgehenden zum Land der untergehenden Sonne?": Der langsame Abstieg Japans in einer lang andauernden ökonomischen Krise. Was können die EU und Deutschland daraus lernen? Erfolgsmodell Mittelstand! Die mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft als Grundlage des ökonomischen Erfolges Deutschlands. Negative Folgen der Globalisierung:  Ökonomische Effekte weltweiter Epidemien (Pandemie, Corona-Schock). Die Rückkehr der Inflation in der Welt und wirtschaftspolitische Reaktionen darauf. Die Weltenergiekrise einschließlich Rohstoffkrise und die Epoche der Hochpreisenergie. Putins Krieg und die Weltwirtschaft, Was wird aus dem deutschen Wirtschaftsmodell in Zeiten der Deglobalisierung? (De- Globalisierung im 21. Jahrhundert, Transformation). Wein in der WeltSpieltheorie & Modell, Theoreme, Daten, Portrait, Blogonomics (diese Artikel passen immer zu bestimmten Lehrveranstaltungen).

Ostasien; Betriebswirtschaft; Wert der Fallmethode  & Quellen  dazu; Fallbearbeitung als Methode; Mitarbeiterinterview in der Personal-ökonomik; Fallstudie im Studium; Stellenwert des Internet.                 

   

Sowohl im Bachelor- als auch im Master-Studienabschnitt wird es ohne Fallstudien nicht mehr gehen. Diese Seite wird weiter ausgebaut, auch zu E - Learning hin. Teile sind  wie ein Blog gestaltet. Dabei handelt es sich um aktuelle wissenschaftliche Artikel zu volkswirtschaftlichen bzw. ökonomischen Problemen, die Schwerpunktthemen einzelner Lehrveranstaltungen sind oder waren. Zu vielen dieser Themen habe ich Vorträge gehalten (in der Regel mit PPP). Teilweise ist die Zuordnung von Artikeln auf diese Seite oder auf die Seite "Methode" schwierig zu begründen (bei "Methoden" eher empirisch, statistische Themen). Verhandlungen über eine Kooperation mit E - Learning Firmen in den USA in diesem Bereich konnten noch nicht erfolgreich beendet werden.

Man kann diese Themen als ein Netz interpretieren, in dem sich die Ökonomie der Welt bewegt. Alle Bereiche der Ökonomie werden von diesem Netz als Rand- und Rahmenbedingung beeinflusst. Man braucht das Wissen über aktuelle Entwicklungen, um an strategischen Entscheidungsprozessen (meist in Unternehmen) mitwirken zu können. Ich habe die Analysen bewusst möglichst objektiv und neutral gehalten. Aufgrund der Fakten und Beschreibungen soll sich jeder Nutzer und Leser seine eigene Meinung und Schlussfolgerung bilden können.

Im Vordergrund steht also die Sachdimension, die zwischen Themen, Gegenständen unterscheidet. Sie fragt also nach dem "Was". Die Sozialdimension steht im Hintergrund. Sie unterscheidet zwischen "alter" und" ego", fragt also nach dem "Wer". Die gleiche Stellung hat die Zeitdimension, Sie unterscheidet Vergangenheit und Zukunft bzw. früher und später. Vgl. Nassehi, Armin: Theorie der überforderten Gesellschaft, München 2021, S. 27.

Seit 100 Jahren gilt das Lernen mit Fallstudien als Goldstandard der Managementausbildung. Doch inzwischen regt sich immer mehr Kritik an dem Konzept aus Harvard. Das Erfolgsmodell scheint ein Update zu brauchen. Klar ist, dass Fallstudien allein keine guten Manager machen. Vgl. HB Nr. 223, 17./18./19.11.2023, S. 30f.

 

 

 

Volkswirtschaftslehre   "Lasst 100 Blumen blühen...",  Titel einer Kampagne von Mao Zedong 1956.

"Please find me a one-armed economist so we will not always hear ´On the other hand`...", Herbert Hoover, ehemaliger US-Präsident.

Fallstudien:

Ständig experimentiere  ich mit  einem Planspiel, aus dem ein   Buch  der Mittelstandsökonomik hervorgegangen ist. Dieses ist im Jahre 2003   erschienen (Werner Krämer: Mittelstandsökonomik, München). Auf dieser Basis will ich die Rolle der KMU in der Globalisierung weiter vertiefen (neues makroökonomisches Modell). Das Planspiel ist eine Weiterentwicklung der Fallmethode. Es eignet sich hervorragend um ganzheitlich und dynamisch ein Problem in den Mittelpunkt zu stellen, wenn Unterrichtszeit fehlt. Gegenwärtig geht es um die Auswirkungen der Globalisierung auf kleine und mittlere Unternehmen. Der Ansatz ist interdisziplinär und zeigt den Nutzen der VWL in der betrieblichen Praxis. Dieses Planspiel setze ich zur Zeit bei Marketing/Bachelor im 4. Semester ein. Ablauf und Lernerfolg sind o. k.; die Veranstaltung wird ständig verbessert.

"Unter den heutigen Bedingungen sind Spitzenmanager gezwungen, sich mehr mit dem Geld- und Devisenmarkt auseinander zu setzen als mit dem langfristigen Gedeihen ihres Unternehmens", Akio Morita (japanischer Unternehmer, 1921-1999, Sony).

Oil Price Shock (hoher Erdölpreis als Ausgangspunkt). Mit dieser Fallstudie arbeite ich im ersten Studienabschnitt. Sie soll theoretische Elemente praktisch veranschaulichen. Bei der Preiserklärung werden mikroökonomische Marktmodelle verdeutlicht; bei den Folgen wird mit makroökonomischen Hypothesen gearbeitet. Zunehmend werden umwelt- und internationale Aspekte berücksichtigt. So ist z. b. sehr interessant und lehrreich, den Einfluss der Ölpreiserhöhung auf die Wechselkurse zu untersuchen. Kleinere Fallstudien setze ich auch im 1. Studienabschnitt in der Klausur ein.

"Es gibt drei Dinge, die einen Menschen zum Wahnsinn treiben; der Ehrgeiz, die Liebe und die Beschäftigung mit Währungsproblemen", N. N., zitiert nach: Sperber, Wirtschaft verstehen, a. a. O., S. 274.

Globalisierung und Zukunft der Arbeit. Diese Fallstudie habe ich für IPO im Master -  Studienabschnitt entwickelt. Die Auswirkungen der Globalisierung, des technischen Fortschritts und der Bevölkerungsentwicklung auf die Arbeit können analysiert werden. Die Globalisierung hat zu einer Umkehrung der Knappheitsrelationen bei Arbeit und Umwelt geführt. Es gibt auch weltweite Interdependenzen beim Lohn. Die Ungleichheit in den Industrie- und Schwellenländern nimmt zu. Dies wird mit empirischen Forschungsmethoden verbunden.

"Die Aufgabe der Ökonomie ist es, die Welt zu verbessern", Olivier Blanchard, Chefvolkswirt des IWF.

Fallstudie "Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009" anhand des Buches "Die Neue Weltwirtschaftskrise", Frankfurt/ New York 2009 (Autor. Paul Krugman, Wirtschaftnobelpreisträger 2008). Dies ist der Mittelpunkt der Veranstaltung "Internationale Ökonomie" im SS 2009 bei IM und WS 2009/2010 bei IBMEA. Die Lernmodule der Veranstaltung begleiten das Buch und die Themen der Hausarbeiten.

MoPoS: Es handelt sich um ein Geldpolitik - Simulationsspiel, das man bei der Schweizer Nationalbank herunterladen kann. Adresse: www.snb.ch, MoPoS als Suchwort eingeben.

Second Life  (SL) als virtuelle Volkswirtschaft (Linden Lab, San Francisco) soll eventuell systematisch einbezogen werden (das Institut als Akteur oder Erfahrungsberichte und Experimente der Studenten). Eine explorative Studie in Form einer Hausarbeit läuft zur Zeit. Die zentrale Frage ist, was Volkswirte in diesen virtuellen Welten lernen können. Es gibt einige interessante Aspekte: Der Linden-Dollar ist die Währung, die über die interne Währungsbörse LindEx in US-Dollar umgetauscht werden kann und umgekehrt. "Avatar" ist die Spielfigur, das virtuelle Alter-Ego. "Covenant" ist die Nutzungsvereinbarung zwischen einem Landbesitzer und seinen Mietern oder Käufer. "Tier" ist die Grundsteuer, die für ein bestimmtes Stück Land zu entrichten ist. Alles was innerhalb von SL läuft ist "inworld" im Gegensatz zu RL ("real life"). Mittlerweile gibt es weltweit 15 Mio. Nutzer, aber die meisten Firmen haben sich Ende 2008 schon zurückgezogen. Das Projekt droht zu scheitern. Vgl. auch: "Virtual Worlds, Virtual Institutions", David Bray und Benn Konsynski, Working Paper, Mai 2007 und Stöcker, Ch.: Second Life, München 2007. Die University of Utah baut ihren kompletten Campus in Second Life nach. Den Aspekt des Rollenspiels kann man mittlerweile auch in anderen Programmen finden, z. B. bei World of Warcraft.

Eve-Online: Weltrollenspiel mit Chef-Ökonom J. Gudmundsson (Akureyi, Island) als Analyst der virtuellen Welt. Es scheint allmählich ein neues Feld der Ökonomie zu entstehen. Gerade Konflikte zwischen Gemeinschaft und Individuum können gut simuliert werden.

Howrse: Wirtschaftssimulation. Pferdezucht. Es geht um die Betreibung eines Reitzentrums. Dieses Spiel wurde als beste Wirtschaftssimulation 2008 ausgezeichnet.

Global Economics Game: Volkswirtschaftliches Planspiel. Gut und recht kostengünstig.

Classroom Expernomics: Volkswirtschaftliche Prinzipien können spielerisch gelernt werden.

OLAT: Mittlerweile werden alle  Veranstaltungen der VWL über das E-Learning-System OLAT verwaltet, zumindest die Lern-Ressourcen. Hier sind weitere Fallstudien enthalten.

Flipped Classrooms (Mooc): Anstatt Frontalvorlesungen filmt der Dozent seine Vorlesung ab. Dann stellt es sie für seine Studenten und andere kostenlos ins Netz, die sie zuhause ansehen.  Die Zeit an der Hochschule kann für Übungen und Fragen genutzt werden.

Computerspiele: Turniere von Computerspielen sind mittlerweile so populär wie Sportwettkämpfe und große Konzerte. 10 Mio. $ betrug das höchste Preisgeld für ein Computerturnier. 32 Mio. Zuschauer verfolgten das LoL-Turnier. Für die Spiele - Plattform "Twitch" werden schon 1 Mrd. $ geboren. 400 Mausklicks pro Minute schaffen Profispieler. Sehr interessant ist das Spiel "Civilization". Es wird 2016 schon 25 Jahre alt. Man spielt die Geschichte der Menschheit nach.

Metaverse: Die Grundidee von Second Life wird wieder aufgelegt. Es werden Parallelwelten konstruiert. Menschen agieren über Avartare. So kann man Volkswirtschaften simulieren.

Online Community zur Lösung globaler Probleme am MIT auf einer Plattform: http://solvecolab.mit.edu/web/guest/about

 

Literatur-Tipps zu Fallstudien in der VWL:  

15 Fallstudien zur VWL (angewandte Mikro- und Makroökonomie) enthält folgendes Buch: Börsch-Supan, A./ Schnabel, R.: Volkswirtschaft in fünfzehn Fällen, Wiesbaden 2006. Zu jeder Fallstudie gehören eine Kurzfassung und eine Theorie-Box.

Wirtschaftspolitische Fallstudien mit Lösungstechniken sind in folgendem Lehrbuch: Möller, H. W.: Angewandte Volkswirtschaftslehre, Wiesbaden, 1997.

Neu ist folgendes volkswirtschaftliche Buch mit vielen Fallstudien: Sperber, Herbert: Wirtschaft verstehen. 100 Lernmodule für Schule, Studium und Beruf, Stuttgart 2007.

"Wer umsichtig agieren will, sollte - bildlich gesprochen - mit Lesebrille und Fernrohr gleichzeitig arbeiten", Axel Weber, Bundesbankpräsident.

 

Lernsoftware:

LiveEcon: Es handelt sich um eine interaktive ökonomische Lernsoftware von der schottischen Firma Interactyx, die seit 2006 auf dem Markt ist. Es ist eines der ersten elektronischen mikro- und makroökonomischen Lehrbücher Ökonomische Modelle können Schritt für Schritt verändert werden (dynamische Darstellung mit Modellierungsmöglichkeiten). Mehr als 60 Unis in den USA und GB setzen diese Software bereits ein. Der Nachteil ist noch, dass Daten relativ stupide eingegeben werden können und Sachverhalte nicht kritisch hinterfragt werden müssen.

MyEconLab: Online Lernportal von dem  britischen Verlag Pearson Education (seit 2002). Es gibt auch Internetseiten zu den herausgegebenen Lehrbüchern. 2010 gab es eine neue deutsche Version des Programms.

Mittlerweile kann man auch Vorlesungen von Professoren auf DVD käuflich erwerben. Es gibt auch Einführungsveranstaltungen der VWL.

"Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von anderen. So wird dir viel Ärger erspart bleiben", Konfuzius.

 

Webseiten & Blogs:

New Economics Foundation. www.neweconomics.org . Fundierte Quellen zu alternativen Ansätzen der Ökonomie mit Analysen und innovativen Vorschlägen zu aktuellen Debatten.

Post-Autistic Economics Network. www.paecon.net . Datenbank mit kostenlosem Zugang zu hunderten Texten.

Marginal Revolution. www.marginalrevolution.com . Die beiden Wirtschaftsprofessoren Tyler Cowen und Alex Tababarrok diskutieren Nachrichten aus der ganzen Welt.

EconLog. econlog.econlib.org . Täglicher Blog aus der Library of Economics and Liberty. Drei Blogger bloggen zu aktuellen Wirtschaftsthemen.

Nachdenkliches zu Wirtschaft, Finanzen und Leben von Donald Marron:  https://dmarron.com

 

Funktionsweise einer Volkswirtschaft (Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, Overview, Einführung, Grundlagen der Ökonomie):

Jede Volkswirtschaft der Welt funktioniert nach einem Mechanismus, der sich in Grundregeln zeigt. Dies ist das Alphabet der Volkswirtschaftslehre. Alle Bürger leben in Volkswirtschaften, in denen sich das Wirtschaftsgeschehen abspielt. Die Wissenschaft sieht die Wirtschaftsakteure in ihren Rollen (Haushalte, Unternehmen, Staat u. a.) sowohl mikroökonomisch (individualistische Idealtypen, die Einzelteile) als auch makroökonomisch (aggregierte Sektoren, das große Ganze). Im Zentrum stehen Produktion und Absatz. Man versucht zu verstehen, wie Waren und Dienstleistungen produziert werden und wer sie konsumiert. In der Geschichte der Menschheit haben uns zwei große Sprünge nach Vorne gebracht: Die Sprache (mit der Schrift), technologische Revolutionen und Überschüsse. Die schriftliche Verbuchung der Erntemengen steht am Beginn der Erschaffung von Schulden und Geld. Besitzrechte an Getreidevorräten wurden auf Muscheln oder ersten Metallmünzen notiert. Entscheidend war der Glaube an den Tauschwert dieser Einheiten (Glauben = Credere). Eine kollektive Institution (Staat) wachte darüber. So entstand Ökonomie dort, wo Menschen zum ersten Mal sesshaft wurden und Agrarwirtschaft betrieben, in Mesopotamien. Vgl. Yanis Varoufakis: Time For Change, Köln 2016, S. 18ff. (in der großen Wirtschaftskrise Griechenlands und der Diskussion um Grexit war er Finanzminister Griechenlands).

- Knappheit ist das grundlegende Phänomen und Problem der Wirtschaft (knapp sind Zeit, Ressourcen, Informationen, konsumierbare Güter, Frieden). Jede Wirtschaft braucht Ressourcen (alles, was genutzt werden kann, um etwas anderes zu produzieren). Dazu gehören die Produktionsfaktoren "Arbeit, Boden, Kapital" (danach ist die Seite "Economics/ Spezial" gegliedert). Immer wichtiger und teurer werden die zum Boden rechnenden Ressourcen "Energie" und "Rohstoffe", aber auch die durch ihn produzierten Güter "Lebensmittel". Die Produktionsfaktoren müssen so auf die Produktion von Gütern verteilt werden, dass möglichst viele Bedürfnisse erfüllt werden können (Allokation). Abstrakt stellt die Produktionsmöglichkeitskurve alternative Kombinationen von Gütermengen dar, die sich bei einer gegebenen Ausstattung mit Produktionsfaktoren herstellen lassen. Weniger Einsatz von Produktionsfaktoren für mehr Waren wird durch die Produktivität gemessen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft kennzeichnet. Die realen Kosten eines Gutes bestehen in seinen Opportunitätskosten (dem, worauf man verzichten muss, um das Gut zu bekommen). Viele definieren die Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft über den Umgang mit Knappheiten (natürliche Ressourcen, technisches Wissen, Zeit), die Allokation von knappen Ressourcen (was jedoch zu eng ist, aber es ist das Kardinalproblem). Auf den Punkt gebracht hat diese Definition Lionel Robbins (1896-1984) in seinem "Essay on the Nature and Significance of Economic Science". Am besten kann Knappheit durch Arbeitsteilung (siehe unten) und Tausch beseitigt werden.

- Die wichtigste Ressource ist die Arbeit, genauer die Motivation und Fähigkeiten der Menschen. Wegen abnehmender Knappheit in der Globalisierung gerät die Bewertung der Arbeit (Lohn) immer mehr unter Druck. Insofern könnte die relative Mehrwerttheorie von Karl Marx aus einem anderen Grund wieder aktuell werden. Immer mehr  Arbeiter sind auch schlecht beschäftigt (atypische Beschäftigung: Leasing, Zeitverträge, geringfügige Beschäftigung  u. a.) und stellen in rezessiven Zeiten einen Puffer dar (zeigt sich klar in der Corona-Krise). Insofern sind viele Länder auf dem Weg in die Dualisierung des Arbeitsmarktes (Kern- und Randbelegschaft). Das gilt sogar für das Land, in dem die Arbeit den höchsten Stellenwert im Leben hat, für Japan. Zur Arbeit muss das Humankapital hinzugerechnet werden (wurde erst relativ spät entdeckt, Leontieff-Paradoxon, Samuelson). In der digitalen Revolution steigt die Bedeutung hoch qualifizierter Arbeit (Informatiker, Naturwissenschaftler), was große Auswirkungen auf die Verteilung in der Gesellschaft hat. Die Gestaltung der Arbeitswelt ist für die Qualität der Arbeit von entscheidender Bedeutung.

- Private Haushalte stellen ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Für das dadurch erzielte Entgelt können sie konsumieren oder sparen. Menschen verhalten sich aber nicht immer rational (Verhaltensökonomik). Eigentumsrechte können für sie der Schlüssel zum Kapitalismus sein. Aber das Leben ist nicht immer fair zu ihnen, so dass es Ungleichheit gibt. Dei Struktur der Haushalte hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt: Es gibt nicht mehr nur einen Haushaltsvorstand (Alleinverdiener) und die Haushalte können divers aufgestellt sein.

- Spezialisierung (Arbeitsteilung) sorgt für eine kompetente und Wettbewerb für eine effiziente Verwendung der Ressourcen. In Deutschland wird der Wettbewerb durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geschützt. Es verbietet Kartelle und soll Unternehmenskonzentration verhindern. Der Wettbewerb wirkt auch als Anreiz für die Menschen, die zwischen Alternativen möglichst rational entscheiden müssen. Die Kosten eines Produktes bestehen aus dem, was dafür beim Erwerb ausgegeben werden muss. Tauschhandlungen erhöhen die Wohlfahrt der beteiligten Tauschpartner. Es scheint einer Gesellschaft besser zu gehen (Wohlfahrt), wenn die Menschen ihre eigenen Interessen verfolgen und individuell handeln (der Staat reguliert nur).

- Der Markt als Lenkungsmechanismus steht im Mittelpunkt jeder Volkswirtschaft (siehe Bild oben mit Erläuterung). Er ist normalerweise gut für die Organisation des Wirtschaftslebens. Bei Marktversagen muss der Staat eingreifen. Vgl. hierzu meine aktuelle Markt - Betrachtung. Der Markt ist ein Ort, ein Mechanismus und eine Begegnung vieler Menschen (O. von Nell-Breuning, 1890-1991). Der Begriff reicht also vom kreativen Selbstentwurf von Menschen über Kommunikationsprozesse (Interaktion ist kulturell bedingt) bis zu Sachzwängen. Theorien über den Markt (ob sozial, kulturell, ökonomisch oder moralisch) beeinflussen wiederum den Markt selbst (ein gutes Beispiel ist die US-Rechtfertigung der freien Marktwirtschaft, obwohl die Praxis oft krass abweicht). Der Markt hat in einer idealen Welt die besten Lösungen. In einer Realität mit Verzerrungen (Qualität der Institutionen, historisches Erbe, Spekulationen)  muss es Modifikationen  geben. Einen freien Markt kann es in der Realität nicht geben, weil immer ein gutes Rechtssystem, Bilanzregeln u. a. da sein müssen und weil er den Umweltschutz nicht gewährleistet. Freie Märkte sind auch instabil und bedürfen deshalb der Regulierung. Besonders hervorzuheben ist ein brauchbares System von Eigentumsrechten. Besondere Probleme bestehen bei Märkten, die in starkem Wandel sind (Energie, Medien, Gesundheit).  "Die Märkte können länger irrational bleiben als man selber liquide", John M. Keynes. "Die Hypothese effizienter Märkte sollte man über Bord werfen", Klaus Adam, Mannheim (Wirtschaftswoche, Nr. 18, S.40).

- Der Staat schafft die institutionellen Rahmenbedingungen,  strebt die Erreichung anderer wirtschaftspolitischer Ziele an, sorgt für die Berücksichtigung der Umwelt (Internalisierung externer Effekte, starke Eigentumsrechte) sowie die soziale Abfederung (gerechtere Verteilung des Wohlstands). Insofern können Regierungen die Marktergebnisse verbessern, Wahlzyklen schwächen und stärken aber den Staat gleichermaßen. Dass der Staat aber nur auf Stimmenmaximierung aus ist, scheint zu einseitig. Der Staat kann systemrelevante Banken nicht in die Insolvenz gehen lassen. Um seine Aufgaben zu erfüllen, muss der Staat Steuern, Abgaben und Schulden nehmen, um Investitionen,  Ausgaben, Subventionen und Sozialleistungen geben zu können. Staaten können nicht Pleite gehen, aber Ausgabenreduzierung infolge hohen Schuldendienstes und Steuerrückgängen wird zu Konflikten führen. Die Kultur und die Geschichte einer Volkswirtschaft, die auch wichtige Einflussfaktoren darstellen, führen ein schwer einzuschätzendes Eigenleben. Zusammen mit der Psychologie der Wirtschaftsakteure ist die Kultur zu lange in der Volkswirtschaftslehre ausgeklammert worden (vgl. meinen Beitrag über Japan).  Die Digitalisierung durch das Internet führt erst virtuell zur Auflösung von Staatsgrenzen, später werden sie  wahrscheinlich auch real durchlässiger.

- Investitionen und Innovationen sorgen für Dynamik und erhöhen den Erfolg, der mit Ressourcen zu erzielen ist. Dieser wird in Gewinn gemessen und kontrolliert. Hauptträger von Investitionen und Innovationen sind die kleinen und mittleren Unternehmen (in öffentlichen Haushalten die kleinsten Einheiten, die Kommunen, die Hauptträger öffentlicher Investitionen sind). Das Innovationsmanagement wird zu einem immer wichtiger werdenden Standortfaktor und Indikator der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Mit Innovationen müssen die führenden Industrieländer ihren technologischen Vorsprung und ihren Wohlstand sichern (in neuerer Zeit KI und Chips). Der Schutz geistigen Eigentums fördert Innovationen. Bildung ist nicht nur für Innovationen notwendig, sondern steigert auch den Lebensstandard. Investitionen bestimmen den Wechsel zwischen Gipfel und Talsohle, was als Konjunktur angesehen wird. Viele Innovationen waren in den letzten 250 Jahren nur auf der Grundlage der fossilen Energieträger (Kohle, Öl, Gas) möglich. Die entscheidende Frage ist, was passiert, wenn diese Energieträger zur Neige gehen? Die Digitalisierung macht das Internet zum wichtigsten Produktionsfaktor heute. Das Internet beeinflusst entscheidend die Entwicklung der übrigen Produktionsfaktoren (z. B. Produktion 4.0).

- Unternehmen sorgen auch für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen und hängen von der Zufriedenheit ihrer Kunden ab. Dies wird manchmal auch verkürzt als Definition der VWL genommen: "Economics is the study of the production and distribution of goods and services". Dienstleistungen, die die Wirtschaftsstruktur moderner Länder prägen (Dienstleistungssektor vor Industrie und Landwirtschaft), haben eigene Gesetzmäßigkeiten im Preis- und Qualitätsmanagement. Von der Fähigkeit, Waren und Dienstleistungen zu produzieren, hängt der Lebensstandard eines Landes weitgehend ab. Die Trennung von Arbeit und Kapital (Unternehmen) wird oft als gegeben vorausgesetzt, obwohl sie Gegenstand der Analyse sein muss (z. B. ein wichtiger Punkt bei Karl Marx im Kapital). Gleichartige Unternehmen von der Produktion her werden zu Branchen zusammengefasst. Immer wichtiger werden heute Unternehmen, die Informationen und Wissen produzieren oder Dienstleistungen dafür bereitstellen (Google, Apple, Meta, Amazon; chinesische Gegenunternehmen Tencent, Huawei, Baidu, Alibaba). In der digitalen Welt droht eine Dichotomisierung (USA, China).

- Die Banken, insbesondere die Notenbank, sind für wertstabiles Geld verantwortlich (vgl. auch den Abschnitt über die Geschichte des Geldes). In kapitalistischen Volkswirtschaften (der Produktionsfaktor "Kapital" dominiert) hat der Finanzsektor eine Schlüsselfunktion. Die internationalen Finanzmärkte sind am weitesten globalisiert und der große Einfluss der Spekulation prägt den Marktmechanismus ("Mad Money"?). In der ökonomischen Theorie wird der Finanzsektor vernachlässigt (dies hat sich in der Finanzkrise 2008 gerächt, Finanzmärkte müssen auch weitgehend reguliert werden). GB und die USA forcieren den Protektionismus zugunsten ihrer Finanzzentren New York und London. Zu den bekanntesten Wirtschaftsdaten gehört die Inflationsrate, die als Kaufkraftverlust des Geldes beschrieben werden kann (Sinken des Preisniveaus nennt man Deflation). Kurzfristig kann es für eine Gesellschaft möglich sein, zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit zu wählen (Phillips-Kurve). Die Finanzaufsicht sollte mit der Internationalisierung der Finanzmärkte Schritt halten. Die Rolle und Bedeutung der Banken wird die aktuelle Zinspolitik und durch neue digitale Formen immer mehr zurückgedrängt (Schwarmfinanzierung, virtuelles Geld, Blockchain). Die Notenbanken der Länder und Integrationen (EZB) scheinen Geld in beliebiger Menge bereitstellen zu können (Modern Monetary Theory/ MMT? Erfinder war ein Deutscher: Knapp). Die Finanzwelt umfasst aber mehr als nur die Banken. Hinzu kommen Kaufrechte sichern (Derivate), Kapitalbeschaffung, Börsengang, Financial Engineering und vieles andere.   Die Privatbank Metzler in Frankfurt/M. ist die letzte unabhängige, große Privatbank in Deutschland. Sie wurde 1674 als Tuchhandelsfirma gegründet. Schrittweise wurde der Warenhandel mit dem Geldgeschäft gekoppelt. "Ein Banker leiht dir einen Regenschirm, wenn die Sonne scheint, will ihn aber sofort wiederhaben, wenn es anfängt zu regnen", Mark Twain.

- In der Globalisierung sind die Volkswirtschaften der Weltwirtschaft zunehmend miteinander verflochten und gegenseitig abhängig. Die Globalisierung hat den Grad der gegenseitigen Abhängigkeit der monetären und realen Welt drastisch erhöht und wesentlich mehr Unsicherheit mit sich gebracht. Koordinierungsversagen wirtschaftlicher Akteure hat immer schlimmere Folgen (weltweite Finanzkrise 2008/2009). Es wird immer schwieriger, Lieferketten stabil zu halten. Zu den wichtigsten Elementen gehören der internationale Handel und Wettbewerb, die internationalen Finanzmärkte und die Veränderungen der Umwelt. Durch internationalen Handel kann es jedem besser gehen (Adam Smith), viele werden auch ausgebeutet. Multinationale Unternehmen, die unabhängig von Nationen agieren,  haben an Bedeutung gewonnen. Das Thema "Global Government" wird immer wichtiger, um Marktdefizite auszugleichen (siehe oben, vor allem Bereich "Umwelt"). Die Schwellenländer tragen einen großen Teil der Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft; viel hängt davon ab, wann sie das technologische Niveau der führenden Industrieländer (IL) erreichen. Dies ist eine Schicksalsfrage für das Wohlstandsniveau der IL. Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft wird sich zunehmend nach Asien (China, Indien; im Jahre 1850 schon mal 50% der Weltwirtschaft) verlagern. Die aufstrebende, kaufkräftige Mittelschicht der Schwellenländer wird zunehmend zur Zielgruppe von Unternehmen der IL. Verteilungsprobleme nehmen überall auf der Welt zu (Arbeit gibt es reichlich in der Welt, Ressourcen werden immer knapper). In der Politik und Wahlen geht es immer mehr darum, wie die Verteilungsgerechtigkeit in den Gesellschaften erhöht werden kann (auch zwischen junger und älterer Generation). Die Verlierer der Globalisierung können in Wahlen dafür sorgen, dass Protektionismus wieder mehr Raum bekommt (Beispiel Wahlsieg von Trump in den USA; Brexit in GB).

Die Corona-Krise 2020 verstärkt eine globale Entwicklung, die man Decoupling (auch Deglobalisierung) nennt: Die Nationen verstärken ihre eignen Kräfte und ziehen sich auf kleinere Regionen zurück (Wandel der Lieferketten). Die Rückkehr des "kalten Krieges" durch den Ukraine-Krieg 2022 verstärkt die Blockbildung in der Welt wieder. China und die USA stolpern von einer Krise in die nächste und buhlen um die anderen Staaten in der Welt. Die meisten Länder sind noch an den USA orientiert. Der größte Teil der Menschheit hat allerdings eine eher neutrale Haltung (z. B. Indien, Pakistan, Brasilien, Süd-Afrika u. a.). China hat einige Staaten klar auf seiner Seite (Russland, Iran, Nordkorea, Vietnam, Mali, Nicaragua, Äthiopien, Syrien). Die Front zwischen China und den USA verläuft militärisch, ökonomisch und technologisch (Chips, KI). China wird auf der Weltbühne immer starker und sieht sich als Sprecher des "globalen Südens". Es versucht, seine Machtposition mit der "Neuen Seidenstraße" auszubauen und will 2049 (100 Jahre Volksrepublik) die Führungsposition in der Welt innehaben und mit Taiwan vereint sein.  Deutschland, Europa und die EU müssen ihre Rolle zwischen den Blöcken finden. Es wird immer deutlicher, wie wichtig die EU für unseren Wohlstand ist. Der Ostrand (Osteuropa) wird aber in den nächsten Jahren instabil sein, weil Russland immer wieder destabilisieren wird. Es muss auch erst seine neue Rolle zwischen EU und China finden. Die Kriegswirtschaft funktioniert halbwegs, aber was kommt danach, wenn das fossile Zeitalter dem Ende entgegengeht.

"Die ganze Börse hängt davon ab, ob es mehr Aktien gibt als Idioten und mehr Idioten als Aktien", Andre Kostolany.

 

 

  Ho Chi Minh-Mausoleum in Hanoi/ Vietnam 2019. Ho Chi Minh hat als Führer Vietnam in zwei Kriegen gegen Frankreich und die USA die Vereinigung und Unabhängigkeit gebracht. Der Marxismus-Kommunismus wurde nur als Ideologie aufgestülpt. "Onkel Ho" wurde auf einer französischen Schule ausgebildet und lebte eine zeitlang in Frankreich (wo er den Marxismus studierte), der UdSSR und  anderen Ländern. Er nahm diese Ideologie, weil er die Erfolge in Russland und China gesehen hatte. In Wirklichkeit ist das Land äußerst pragmatisch  in Wirtschaftsfragen (offiziell: Sozialistische Marktwirtschaft seit 1987), ähnlich wie China. Die Ideologie dient mehr der Rechtfertigung der Kommunistischen Partei und des Herrschaftssystems. Sozialistische Marktwirtschaften scheinen in vielen Aspekten kapitalistischer zu sein als der der Kapitalismus selbst. Ursprung ist eine gewisse Basarökonomie, die in der Kultur und Tradition der Länder verwurzelt ist. Pragmatismus hat auch schon immer die US-Wirtschaft ausgezeichnet. Auch hier werden Wertesysteme oft nur aufgestülpt und die ökonomische Praxis ist eine andere.

Ideologien (Ideensysteme) und Wirtschaft (Realität):

"Die Ökonomen machen es sich zu leicht, wenn sie uns in stürmischen Zeiten nur sagen können, dass, nachdem der Sturm lang vorüber ist, der Ozean wieder ruhig ist", J. M. Keynes, in: Tract on Monetary Reform, 1923.

"Ideologie ist Ordnung auf Kosten des Weiterdenkens", Friedrich Dürrenmatt, Schweizer Schriftsteller, 1921 - 1990.

Kapitalismus: Liberale Wirtschaftsgesinnung mit Anerkennung des Privateigentums mit dem Ziel, den Gewinn zu maximieren. Historisch beschreibt Kapitalismus die Entwicklung der Wirtschaft im 19 Jahrhundert. Heute ist umstritten, ob der Marktzwang notwendigerweise dazugehört. Weitere Fragen sind die nach der Ungleichheit, der Instabilität, der Demokratie, der Moral und dem Menschenbild. Vgl. Sieben Fragen an den Kapitalismus, in: Die Zeit, 35/2009, S. 17ff. Für negative Entwicklungen im Kapitalismus wird häufig der Begriff "Kasino-Kapitalismus" gebraucht. Vor allem die Spaltung der Gesellschaft, die an Dynamik zunimmt,  wird darauf zurückgeführt bzw. damit charakterisiert.. "Gegen die Illusionen der Ideologie gibt es zwei Heilmittel: die Erfahrung und die Notwendigkeit", Friedrich List, 1789-1846 (in Schwellenländern einer der berühmtesten deutschen Ökonomen). Vgl. zur Kritik und Halbwahrheiten: 23 Dinge, die man über den Kapitalismus nicht erzählt, München (FBV) 2024.

Kommunismus: Vorstellung von einer zukünftigen Gesellschaft, in der das Privateigentum abgeschafft, die Produktionsmittel in Volkseigentum sind und die materiellen und kulturellen Bedürfnisse aller Menschen gleich befriedigt werden (ursprünglich aus dem Lateinischen: der Gemeinschaft gehörend). Karl Marx (1818-1883, deutscher Philosoph und Nationalökonom) hat die Konsequenzen des Kapitalismus präzise beschrieben und auf immanente Fehler hingewiesen. Die Menschen können sich befreien und zu sich selber kommen, wenn die Funktionsweise des Systems (Gesetze der Akkumulation) geändert wird. Die konkreten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen, die sich auf den Kommunismus beriefen (UdSSR, DDR), hatten aber ebenso grundlegende Fehler. In Deutschland ist der Begriff sehr stark mit den negativen Assoziationen dieser realen Regime verbunden. Es sollte aber immer zwischen der Utopie von Marx/Engels und den historischen bzw. realen (Nordkorea, Cuba) kommunistischen Systemen unterschieden werden.  "Die moderne Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor", Karl Marx/ Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Paris 1848.

"Verzeihung, ich bin nach wie vor dialektischer Materialist", Fidel Castro, kubanischer Revolutionsführer, auf die Frage, ob ihn seine Krankheit Gott näher bringe. "Der Kommunismus ist eine großartige Theorie. Das Unglück besteht darin, dass er sich in die Praxis umsetzen lässt", Ephraim Kishon.

In den polaren Denkkategorien von Kommunismus und Kapitalismus sind wirksame Lösungen für ein neues Funktionieren einer optimalen Form zu finden. Zu starke Bindung an diese Extreme kann zu Krisen führen. Moral und Werte müssen in die Organisation der Wirtschaft einfließen. Insofern muss es konkrete staats- und rechtspolitische Konzepte geben. So hat Deutschland eine Soziale Marktwirtschaft (der Begriff soll auf Müller-Armack zurückgehen, die Idee auf Ludwig Erhard). Dieses wirtschaftspolitische Leitbild ist aus dem Neoliberalismus hervorgegangen und verbindet seit 1948 eine Wettbewerbswirtschaft (mit GWB, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) mit der Idee der sozialen Gerechtigkeit. Dabei ist besonders wichtig, dass eine liberale Wirtschaftsordnung nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung bedeutet (Haftung der Akteure für ihr unternehmerisches Handeln). Insofern sollten auch die Verursacher der Finanzkrise 2008/2009 an der Abfederung ihrer sozialen Folgen beteiligt werden. "Ich fand die Gedanken der Ordoliberalen spannend, weil sie ein Kernproblem unserer Zeit beschreiben: die privatwirtschaftliche Machtkonzentration", Sahra Wagenknecht, Linken-Vize-Chefin (Vgl. Handelsblatt, Nr. 32, Februar 2014, S. 56).

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern"; "Alles muss angezweifelt werden", Karl Marx. Er wollte vor allem das erklären, was die Ökonomen seiner Zeit als Gesetz einfach voraussetzten: Trennung von Arbeit und Kapital, das Privateigentum und den Wettbewerb. Vgl. auch Karl Marx. Der Prophet der Krisen, Zeit Geschichte, Hamburg 2009.

 

Wirtschaftspolitische Grundkonzeptionen (Denkschulen, auch Wirtschaftstheorien):

"Mens agitat molem" (Der Geist bewegt die Materie)

"Die Ideen von Ökonomen und politischen Philosophen, seien sie richtig oder falsch, sind mächtiger als üblicherweise angenommen. Tatsächlich wird die Welt von kaum etwas anderem regiert. Praktiker, die von sich glauben, sie unterlägen keinerlei intellektuellen Einflüssen, sind gewöhnlich die Sklaven eines längst verstorbenen Ökonomen." John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, 1936.

Merkantilismus: Ab Ende des 16. Jahrhunderts (teilweise bis 18. Jh., vor allem in Frankreich (Colbert). Er wollte die Staatseinnahmen steigern und den Einfluss des Staates vergrößern (in Deutschland/ Preußen Kameralismus). Der Staat sollte auch Einnahmen aus Staatsbetrieben haben. Wichtig war die Finanzierung der Berufsarmee. Wichtig war dei Kontrolle des Außenhandels durch die Regierung, um für eine positive Handelsbilanz und ausreichende Geldmenge zu sorgen. Heute wird der VR China manchmal Merkantilismus vorgeworfen. Hierzu muss aber der Protektionismus und die staatliche Strategie Chinas sehr differenziert analysiert werden. In neuester Zeit folgt die Handelspolitik von Trump scheinbar auch der Idee des Merkantilismus. Auch bei der Außenwirtschaftspolitik von Südkorea sprechen viele Ökonomen von Neomerkantilismus.

Klassik (Smith, Ricardo, Say, Marshall, Thünen, Pigou): natürlicher Preis als Entgelt für Produktionsfaktoren; Angebot schafft Nachfrage; Geld ist neutral und damit Geldpolitik wirkungslos. Bei flexiblen Preisen und Löhnen findet die Marktwirtschaft ein stabiles Gleichgewicht. Der Markt hat die Fähigkeit, mit wirtschaftliche Erschütterungen fertig zu werden. Es kann keine dauerhafte, unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben. Staat kann keine positive Rolle in der Wirtschaft spielen ("Nachtwächter"). Es gilt das Saysche Theorem, dass jedes Angebot seine eigene Nachfrage schafft. Weiterhin orientiert am Wachstum von Nationen und freien Märkten. Die Verfolgung des Eigeninteresses führt zu wirtschaftlichen Vorteilen für alle. Diese Theorierichtung gerät in der großen Weltwirtschaftskrise 1929 - 1932 in die Kritik ("In the lon run we are all dead, Keynes). "Mitten unter den unaufhörlich wachsenden Geldforderungen der Regierung hat doch dieses Kapital, bloß durch die Sparsamkeit und den klug angewandten Fleiß der Privatleute (...)ihren Zustand zu verbessern, langsam und im Stillen zugenommen", Adam Smith.

Marxismus: Benannt nach Karl Marx (1818 - 1883), obwohl er sich selbst zeitlebens wehrte. Weitere berühmte Vertreter waren Friedrich Engels (1820 - 1895), Ernest Mandel (1923 - 1995) und Antonio Gramsci (1891 - 1937). Nach der Überzeugung des Marxismus führen die Ungleichheiten des Kapitalismus dazu, dass die Arbeiter die Kontrolle übernehmen und eine sozialistische Wirtschaft etablieren. Jede Ware hat einen Gebrauchswert und einen Tauschwert. Der Arbeiter erhält für seinen Gebrauchswert, die Möglichkeit Waren zu produzieren, einen fairen Gegenwert oder Lohn, der seine Lebenshaltungskosten deckt. Wird der Gebrauchswert des Arbeiters mit den Maschinen des Arbeitgebers kombiniert, ist der Wert der produzierten Waren größer als der Tauschwert des Arbeiters. Den dabei erzielten Überschuss, den der Arbeitgeber als Gewinn erhält, bezeichnete Marx als Ausbeutung.  Dieser Gewinn ist einerseits die Grundlage für Wachstum und Expansion des Kapitalismus, während der kontinuierliche Ausbau der Ausbeutung als Motor dient. Vgl. Marron, Donald: Wirtschaft in 30 Sekunden, Kerkdriel 2018, S. 14. Irrtümlichweise wird Marxismus oft mit Kommunismus gleichgesetzt.  "Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt", Karl Marx.

Neoklassik (Gossen, Walras, Pareto, Jevons): Nutzen wird unter gegebenen Nebenbedingungen maximiert; vollkommen flexible Preise und Löhne; Staat hat Nachtwächterfunktion. Die Neuklassik (Barro, Lucas) führt die Theorie rationaler Erwartungen ein. Häufig werden beide zum Neoliberalismus zusammengefasst, dessen Kern im Ideal des eigeninteressierten, möglichst deregulierten Wirtschaftsakteurs besteht. Man setzt sich für Freihandel und stärkere Privatisierung ein. Der Begriff geht auf den deutschen Ökonomen Alexander Rüstow (1885-1963) zurück, der zuletzt in Heidelberg wirkte. Man könnte auch Eucken zu dieser Gruppe rechnen. In eine neue, liberale Wirtschaftstheorie müssten allerdings nach den Erkenntnissen der modernen Verhaltensökonomik auch Gerechtigkeitsfragen integriert werden (Fairness). Auch die Vertragstheorie zeigt die Verhaltenformen, die vom "homo oeconomicus" abweichen( moral hazard, asymmetrische Information).   Es gibt die Klassifizierung in Salzwasserökonomen (Keynesianer: MIT, Harvard, Stanford; Süßwasserökonomen: Neoklassiker und Chicago-Boys vom Lake Michigan; die Brackwasserökonomen, die beides für möglich halten, an beiden Theorien ist was dran).

Österreichische Schule: Vertreter sind Carl Menger (1840 - 1921, Begründer), Eugen Böhm-Bawerk (1851 - 1914), Ludwig von Mises (1881 - 1973) und Friedrich von Hayek (1899 - 1992). Menger und Böhm - Bawerk lehrten an der Uni Wien. Nur ein freier Markt ist in der Lage, die Informationen und Einstellungen jedes Einzelnen in Bezug auf den Wert effizient zu koordinieren - auf diese Weise werden  die Marktpreise gestaltet. Sie wandten sich gegen den Sozialismus. Alle ökonomische Aktivität wird den Entscheidungen des Einzelnen zugeschrieben. Man war gegen Eingriffe von Regierungsseite. "Das wirtschaftliche Problem der Gesellschaft...ist kurz gesagt das Problem der Nutzung des Wissens, das niemand in seiner Ganzheit erhalten hat", Friedrich von Hayek.

Keynesianismus (Keynes, Hicks, Samuelson, Tobin, Robinson): relativ starre Preise und Löhne kurzfristig; Staat muss durch Geld- und Finanzpolitik eingreifen, um über Nachfrageanstieg Rezession zu bekämpfen: Arbeitslosigkeit entsteht nicht nur, wenn Löhne und Preise zu hoch sind. Auch mangelnde Nachfrage kann zur Arbeitslosigkeit und damit zur Rezession führen, aus der die Wirtschaft allein nicht herausfindet. Vorübergehende Staatsschulden müssen in Kauf genommen werden. Keynes spricht von Deficit Spending (Ausweitung der Staatsausgaben durch Kreditaufnahme). Insgesamt soll der Staat vor den Risiken des Kapitalismus schützen. Als heute noch Richtung weisend gilt die neoklassische Synthese von Samuelson: Wenn die Wirtschaft wieder mit vollem Potential arbeitet, besteht die angemessene Rolle des Staates darin, öffentliche Güter bereitzustellen und sich um externe Faktoren zu kümmern. In den 90er Jahren in Japan und 2008 in den USA erlebt der Keynesianismus eine Wiedergeburt. In den  USA soll vor allem mit Steuergeschenken und Steuersenkungen die Nachfrage angeregt werden. In der Weltwirtschaftskrise 2009 verhindert die keynesianische Politik überall in der Welt einen Absturz (die entscheidende Frage ist, ob auf Dauer). Aber schon wieder 2020 in der Corona-Krise müssen die Rezepte von Keynes die Wirtschaft vieler Staaten retten.

Neokeynesianer (Malinvaud, Grossman) und Neukeynesianer (Shapiro, Stiglitz, Blanchard, Jordi Gali´, Mark Gertler) variieren den Ansatz. Vollständig flexible Preise sind ihnen ein Dorn im Auge.  Preise reagieren zeitverzögert auf Veränderungen von Angebot und Nachfrage ("sticky prices", klebrige Preise). Sie nehmen aber die mikrofundierten Modelle (mit rationalen Erwartungen) der alten Keyneskritiker und bauen dort Rigiditäten ein. Schritt für Schritt wird jetzt untersucht, was diese für Arbeitslosigkeit und Inflation bedeuten. Dabei spielt auch die Zentralbank eine wichtige Rolle für die Stabilisierung der Realwirtschaft. Mankiw stellt Informations-Rigiditäten in den Mittelpunkt und bezieht auch ein, wie Unternehmen Preise setzen. Marktwirtschaft tendiert nicht zwangsläufig zu stabilem Gleichgewicht, sondern mehrere Gleichgewichte sind möglich.

Monetarismus (Brunner, Meltzer, Friedman): Aktive staatliche Politik ist überflüssig; Geld ist wichtigster Faktor, auf dessen stetige, gleichmäßige Entwicklung geachtet werden muss. Geldpolitik sollte hauptsächlich Inflation und Inflationserwartungen stabilisieren. Die Supply-Side-Ökonomen (Laffer, Roberts) radikalisieren diesen Ansatz noch (Schmähbegriff: Voodoo Economy). Die Politik des billigen Geldes vor und in der Krise, ausgelöst durch die Zentralbanken, mit ihren Folgen hohe Staatsverschuldung und neue Finanzblasen könnte mittelfristig wieder zu einer Renaissance dieses Ansatzes führen. Gewarnt wird vor allem vor Crowding-Out-Effekten=Verdrängung privater durch staatliche Ausgaben. Mit der massiven Ausweitung der Geldmenge in Japan, in den USA und in der EU nach den großen Wirtschaftskrisen (war gleichzeitig eine der Ursachen der Krisen) sind die Mittel der Geldpolitik ausgereizt. Der Monetarismus hat kaum noch Einfluss.

"Der Wunsch nach Nahrung wird bei jedem Menschen durch die Kapazität des Magens begrenzt, während sein Verlangen nach Annehmlichkeit und Verschönerung von Gebäuden, Kleidung und Hausrat nahezu grenzenlos erscheint", Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, München 2001, S. 143.

 

Geschichte des Geldes und des Kapitals:

"Die Instabilität gehört zum Finanzsystem, seit die alten Mesopotamier den Preis für Getreide danach kalkuliert haben, wie wohl die nächste Ernte ausfallen würde," Niall Ferguson, Historiker, in: Geld! Geschichte, Der Spiegel, Sonderheft, Nr. 4/ 2009, S. 12.

Geld ist untrennbar mit der Entwicklung der Zivilisation verbunden. Geld überwindet Distanzen. Geld hat Europa den Aufbruch in die Neuzeit ermöglicht. Die industrielle Revolution ist ohne eine Revolution des Geldwesens nicht denkbar. Ein Zurück zur Realwirtschaft wird es nicht geben. Vgl. Lotter, Wolf: Was zählt, in: brand eins 06/18, S. 42ff. Auch in früheren Zeiten hat es schon Möglichkeiten gegeben, Geld zu überweisen. die Methoden hatten arabische Händler entwickelt. Sie kamen auch in den Kreuzzügen zum Tragen (vgl. neue Doktorarbeit von zu Guttenberg 2020; siehe unten). Ringe, Spangenbarren und Beilklingen dienten in der Bronzezeit als eine Art Ersatzwährung. Sie wurden im Handel über große Distanzen eingesetzt. Sie auffallend einheitlich gefertigt. Auch Muscheln, Salz und Textilien waren frühe Tauschmittel.

Geld ist die größte Antriebskraft und eine wichtige Quelle allen Fortschritts in der Wirtschaft. Der direkte Handel (Barter Trade) war zu ineffizient, Münzen und Tontafeln (vor 4000 Jahren Babylon) waren zu unbequem. Also entstanden Banknoten (in China, von Quittungen hergeleitet) und der Zahlungsverkehr in den Banken. Geldsysteme entstanden mit der Finanzierung von Kriegszügen, z. B. bei den Römern oder im Mittelalter für die christlichen Kreuzzüge. In Oberitalien entstanden im 12. Jahrhundert die ersten Seehandelskredite, die indisch-arabische Zählweise wurde übernommen und es wurden in Florenz die ersten modernen Banken gegründet. Im 15. Jahrhundert wird dort die doppelte Buchführung eingeführt.  Mit der Entdeckung Amerikas und dem Seeweg nach Indien beginnt ein Aufschwung des Fernhandels und der Kapitalgesellschaften. Edelmetalle, an die das Geld lange Zeit gebunden ist, gelangen in großen Mengen nach Europa. 1531 wird in Antwerpen im heutigen Belgien der erste öffentliche Finanzplatz der Welt eröffnet (Van der Beurze). Im 18. Jahrhundert lösen Aktien von John Law die erste Spekulationsblase aus (Law verkaufte Aktien für die Mississippi Compagnie, aber es gab kein Gold in Louisiana; manche gehen auch vom holländischen Tulpenwahn 1637 aus). Damit gilt John Law als "Erfinder" des modernen Kapitalismus. 1716 erhält er per königlichem Dekret die Erlaubnis, in Paris die Banque Generale zu gründen. Um sich Gold zu beschaffen, beteiligt Law das Volk (er verkauft Aktien). Die erste große Gelddynastie waren die Medici in Florenz. Es folgten die Fugger in Deutschland und die Rothschilds in Frankfurt, Paris, London und New York. Vgl. Sonderheft Nr. 4 des Spiegel: Geld, 2009. Die erste große Krise der Weltwirtschaft in der Neuzeit war 1857. Sie wurde von der Ohio Life Insurance Company ausgelöst. Sie hatte zu viel Geld in spekulative Anleihen für Eisenbahngesellschaften investiert. Diese Krise war allerdings rasch überwunden.

Geld beruht auf zwei universellen Prinzipien: Es ist universell tauschbar. Mit Geld lässt sich fast alles umwandeln bzw. kaufen (Loyalität, Gesundheit, Wissen, Gerechtigkeit). Geld schafft Vertrauen. Geld kann Menschen immer dazu bringen, zusammen zu arbeiten. "Money don´t get everything it´s true/ What it don´t get I can´t use", Berry Gordy/ Janie Bradford: Money (That´s What I Want).

Der Internationale Währungsfonds (IMF) weist zwischen 1970 und 2007  326 Währungskrisen, 124 Bankenkrisen und 64 Staatsschuldenkrisen nach. Es würde sich also lohnen, Innovationen in diesem Bereich durchzuführen. Dazu gehören neue Geldentwürfe (Bildungswährungen, Gesundheitswährungen, globale Referenzwährung und CO2-Währung). Auch über Zinsalternativen (zinsfreie Kredite, Standgebühr) und kleinere Organisationseinheiten (Genossenschaften) sollte nachgedacht werden. Vgl. Margit Kennedy: Occupy Money, Bielefeld 2011. "Unter den unzähligen Übeln, welche den Zerfall ganzer Staaten herbeiführen, sind vier als die vornehmlichsten anzusehen: innere Zwietracht, große Sterblichkeit, Unfruchtbarkeit des Bodens und die Verschlechterung der Münze. Die ersten drei liegen so klar zutage, dass sie schwerlich jemand in Abrede stellen wird. Das vierte Übel jedoch, welches von der Münze ausgeht, wird nur von wenigen beachtet, und nur von solchen, welche ernster nachdenken, weil die Staaten allerdings nicht gleich beim ersten Anlauf, sondern ganz allmählich und gleichsam auf unsichtbare Art und Weise dem Untergang anheim fallen", Nikolaus Kopernikus, 1473-1543, Denkschrift zum Münzwesen, 1526 (er wirkte an der Universität Krakau; ein Besuch dort lohnt sich).

Erst in der Neuzeit hat sich Geld von der materiellen Basis gelöst. Es fing an mit der Aufgabe des Goldstandards und dem Abschied von Bretton Woods (Gold immer noch wichtig, Dollar als Leitwährung mit festen Kursen). Das Geld ist nur noch durch einen Bruchteil von Realwirtschaft abgedeckt. Dies hat den Aufstieg des Finanzkapitalismus erheblich beschleunigt. Direkt mit der Bedeutung des Geldes ist die Gier danach verbunden, aber auch die Angst kein Geld zu haben. Das Vertrauen in die Institutionen, die über das Geld wachen, geht allmählich verloren. Diese psychologischen Komponenten des Geldes sind hervorragend in dem Buch von Günter Schmölders (Psychologie des Geldes) beschrieben. Ursprünglich war auch die Vorstellung, Geld zu verleihen und dafür Zinsen zu nehmen, verpönt. Die großen monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) untersagten es, Zinsen von Glaubensbrüdern zu nehmen. Immer war eine Krise des Geldes mit großen Krisen in anderen Bereichen verbunden (Inflation, Arbeitslosigkeit, extreme Verteilungsungerechtigkeit). Dies macht die Geldkrise so gefährlich für die politischen Regime. In der Frankfurter Judengasse gründete Mayer Amsschel Rothschild im 18. Jahrhundert eine der bedeutendsten und einflussreichsten Bankendynastien der Welt. Als er 1812 starb hatten seine Söhne Niederlassungen in allen wichtigen Finanzzentren gegründet. Deutschlands älteste Börse ist in Hamburg. Heute ist Franfurt der wichtigste Börsenplatz. Aber nur noch 8 Prozent des Börsenhandels werden 2013 klassisch im Saal abgewickelt.

Vielleicht werden in den kommenden Jahren die Karten beim Geld neu gemischt. In fast allen Banken suchen Expertenteams nach neuen Geschäftsmodellen. Sie beschäftigen sich mit Blockchain und wollen Plattform werden, bevor Amazon und Google auch noch die Geldgeschäfte übernehmen. Facebook kommt 2020 mit der digitalen Währung Libra. Sogar die Deutsche Bank sieht in einem digitalen Plattformmodell die Zukunft der Geldinstitute. Automaten ersetzen die Mitarbeiter. Chatbots die Kollegen im Call - Center. Robo-Advisers die Geldanlageberatung. Geld ist immer noch Treibstoff der Wirtschaft, aber die Wirtschaft ändert sich immer schneller. Daten sind das neue Gold, Bitcoin als Krypto - Währung ist eine neue Währung. China bestimmt immer mehr die Regeln, weil es die Führung in der digitalen Welt übernehmen will, die heute noch die USA hat. Vor diesem Hintergrund ist auch der Handelskrieg ab 2018 mit Zöllen und anderen protektionistischen Maßnahmen zu sehen.

Für Karl Marx, der sich in seinem Hauptwerk "Das Kapital" intensiv mit Geld auseinandersetzt, ist es "wahres Gemeinwesen", "Gott der Waren". Er wollte die "Genesis der Geldform", die "Warenzirkulation", das "Geldrätsel" und den "Fetischcharakter" entschlüsseln. Vgl. auch: Mark Schieritz, Mark: Geld her! in: Die Zeit, Nr. 2, 3.1.2020, s. 13ff.

 

Marktbetrachtung (theoretisch hat die Spieltheorie wichtige Beiträge geleistet, z.B. zum Oligopol, auch der Nobelpreis 2007 würdigt dies wieder; der Artikel entstand im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2007/ 2008):

Der Markt besitzt kein Gehirn und kein Herz", Paul Samuelson (er plädiert für den mittleren Weg und für eine Drosselung der Globalisierung; er gilt als Begründer der modernen "Lehrbuchökonomie" mit dem erfolgreichsten Lehrbuch aller Zeiten (über 4 Mio. verkaufte Exemplare, heute von Mankiw abgelöst); von ihm stammt auch der berühmte Spruch:" Gott gab dem Ökonomen zwei Augen, eines für die Angebots- und eines für die Nachfrageseite", Samuelson, starb 2009). Die folgenden Ausführung sind stark durch die aktuellen damaligen Entwicklungen geprägt. Sie wurden nicht mehr überarbeitet, um den tagesaktuellen Eindruck zu belassen (Chronik der Ereignisse).

Der Markt als Lenkungsmechanismus ist das Kernkonzept der Volkswirtschaftslehre. Denn nach dem Zusammenbruch fast aller Planwirtschaften Ende der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gilt die Koordination durch den Markt als der beste Lenkungsmechanismus der Wirtschaft. Die Globalisierung hat jedoch gezeigt, das in zwei zentralen Bereichen der Markt  nicht optimal funktioniert: auf dem Finanzmarkt und in der Umwelt. Insofern ist das Pendel zu stark in Richtung unregulierte Märkte ausgeschlagen (Gesetzgebung in den USA). Auf einem dritten Markt, dem Arbeitsmarkt, wird in allen Ländern im Eigeninteresse stark reguliert, um die größten Nachteile der Globalisierung abzufedern und der Zufall spielt eine große Rolle. Auch in Bezug auf Entwicklungsländer gibt es Verzerrungen und deshalb muss es Modifikationen beim Marktmechanismus geben. Insofern ist der optimistische Glaube, dass Märkte, wenn man sie alleine lässt, alle Probleme lösen werden ("markträumendes Gleichgewicht"), in arge Zweifel geraten. Besonders die Märkte, die in starkem Wandel sind, müssen in ihren Rahmenbedingungen genau analysiert werden. Dazu gehören der Energiemarkt (Verzerrung durch Förderung, internationale Interessen und Komplexität der Ziele), der Medienmarkt (besonderer Einfluss des technischen Fortschritts und der staatlichen Regulierung) und der Gesundheitsmarkt (starker Einfluss der demographischen Entwicklung). Hier kommt man mit starren Prinzipien nicht weiter. Besonderen Regeln folgt der Kunstmarkt seit alters her. Als einer der ersten großen Kritiker des Marktes gilt Martin Luther. Er weist darauf hin, dass der Markt eigenen Gesetzen folgt, bis der Mensch selbst zur Ware wird. Er kritisierte besonders das Kreditwesen. 300 Jahre später kommt die fundamentale Kritik von Karl Marx. Er setzt gezielt an den Schwächen in den Konzeptionen von Adam Smith und David Ricardo an.   "Ich glaube nicht allein an die Selbstheilungskräfte der Märkte", Josef Ackermann, Ex-Deutsche Bank-Chef im März 2008.

Der weltweite Finanzmarkt  (vgl. auch meine Veranstaltung "Finanzierung") ist durch den hohen Anteil von Spekulationen  unberechenbar geworden und die Risiken werden unterschätzt: Hedge-Fonds, Private Equity Companies, Financial Derivatives und Real Estate Investment Trusts (Reits) entziehen sich mit ihren Motiven und Methoden den staatlichen Kontrollgremien und ökonomischen Theorien. Hedge-Fonds sind Investmentgesellschaften, die meist von London oder New York aus operieren,  mit einem enormen Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital, die ihren hohen Gewinn durch risikoreiche Anlagegeschäfte verdienen (2007 ca. 1,6 Bio. $ in 9400 Hedge-Fonds). Sie sind oft in Steueroasen registriert und können durch ihre dominante Stellung, wenn  sie zusammenbrechen, andere Marktteilnehmer in einer Kettenreaktion mit reißen.  Private-Equity-Firmen beteiligen sich am Eigenkapital von Unternehmen oder übernehmen diese ganz, um die Anteile später mit Gewinn zu veräußern. Die Asienkrise hat die ungeheure Relevanz des ersten globalisierten Marktes (auch der Aktien- und Devisenmarkt gehören dazu)  dargelegt. Der Aktienmarkt im Reich der Mitte ist zwar noch verschwindend klein, aber Gerüchte rund um die chinesische Wirtschaft beeinflussen mittlerweile die Welt - Finanzmärkte. Die G 8  wollen Regeln für Hedge-Fonds entwickeln, die Transparenz, Liquidität und Stabilität sichern. Transparenz ist für Investoren, Banken und Aufsichtsbehörden wichtig (z. B. mit Kreditregister). Allerdings wird um den (freiwilligen) Verhaltenskodex gestritten, der eine Selbstregulierung mit sich brächte. Die Bundesregierung erwägt Schutzregeln für Konzerne vor einer Übernahme durch kapitalkräftige staatliche Fonds aus Russland, China und dem Nahen Osten.  Große Angst in  Europa herrscht vor Chinas staatlichen Investmentfonds. Vgl. Marquardt/ Hefeker/ Schnabl/ Hoffmann, Hedge-Fonds: Risiken für die internationalen Finanzmärkte?, in: Wirtschaftsdienst 2007/ 4, S. 211-224.Als das Emirat Dubai Ende November 2009 in Geldnot gerät, zittern wieder die Weltbörsen. In Dubai sind der Staatsfonds Dubai World und dessen Immobilientochter betroffen (seit Beginn der Krise sind die Immobilienpreise um 50% gefallen). Die Schulden betragen 80 Mrd. $. Dubai World ist u. a. an der Deutschen Bank und EADS beteiligt. Auch Kuwait wird durch seine Schulden mitgerissen. Es zeigt sich, wie anfällig die globalen Finanzmärkte sind. Einige Länder planen Ende 2009 eine Sondersteuer auf Boni von Bankmanagern (Frankreich, USA, GB, Deutschland). Die BayernLB muss Ende 2009 die Hypo Group Alpe Adria mit 4 Mrd. € retten. Amerikanische Banken verhindern Ende 2009 eine strenge Kontrolle der Derivate. 1,5 Billionen € haben die die Zentralbanken der Welt seit der Finanzkrise erschaffen. Für 2012 wird auf den US-Finanzmärkten ein neues Beben erwartet (700 Mrd. $ Schrottanleihen, die mit Gewerbeimmobilien besichert sind). Im April 2010 gerät Goldman Sachs unter Betrugsverdacht. Die Griechenland-Krise und die Spekulation gegen den Euro 2010 machen eine Regulierung der internationalen Finanzmärkte dringend notwendig. Der Zusammenbruch einer Sparkasse in Spanien, die schlechten Wirtschaftsdaten in Spanien und der Korea-Konflikt lassen Ende Mai 2010 die Kurse wieder einbrechen. 2010 steigt der Zwang zur Fusion von Landesbanken. WestLB mit BayernLB ist eine Option, eine andere WestLB mit Helaba. Am Ende könnte eine StaatsLB stehen. Die erste große weltweite Finanzkrise war 1857, ausgelöst durch eine Bankenpleite in den USA. Die letzte große war 1987 (Schwarzer Montag, den 19. 10.). Dazwischen war ein großer Einbruch 1929 (Schwarzer Freitag und Beginn der Weltwirtschaftskrise).

Im Sommer 2007 zeigt die Krise auf dem US - amerikanischen Hypothekenkreditmarkt die Relevanz des Themas. Wegen gestiegener Zinsen können viele US-amerikanische Bürger ihre Häuser nicht mehr abbezahlen. In den amerikanischen Hypothekenmarkt haben aber viele internationale Investoren ihr Geld gesteckt. Deshalb wirkt sich die Krise auch auf die Börsen in Frankfurt und Tokio aus. Der Hypothekenmarkt für Risiko-Immobilien nennt sich Subprime-Markt. Mitte der 1990er Jahre entfielen auf ihn 2% aller Hypothekenkredite, heute sind es rund 25%, bei einem Gesamtvolumen von 680 Mrd. $. Subprime-Kredite sind über Umwege auch in anderen Anlageformen enthalten (Anleihen, Hedge-Fonds). Die Finanzinstitute reichen ihre Risiken oft mittels moderner Finanzprodukte an den Kapitalmarkt weiter. Dadurch sind z. B. die französische Großbank BNP Paribas, die englische Hypothekenbank Northern Rock oder die deutschen Banken IKB-Bank, WestLB, SachsenLB und Deutsche Bank  betroffen. Weitere Risiken stecken in den zahlreichen durch Schulden finanzierten Firmenübernahmen (Leveraged Buy - Outs) und in dem Trend, Kreditrisiken an Hedge Fonds weiterzureichen ("Kreditkarusell"). Die amerikanische Notenbank schätzt die Verluste von US-Finanzinstitutionen auf hunderte Milliarden Dollar. In der Folge zeigen sich die Interdependenzen in weltweiten Kurseinbrüchen der Aktien. Hier zeigt sich, wie wichtig Transparenz und eine Kontrolle der amerikanischen Rating - Agenturen wäre. Die Risikoeinschätzung hat sich völlig verändert. Die Bundesregierung will die Finanzaufsicht verbessern. Aber es bedürfte wohl eher einer globalen Aufsicht. Die Staatsfonds aus Arabien und China pumpen mittlerweile viele Milliarden als Beteiligung  in die amerikanischen Großbanken. Trotzdem brechen weltweit am 21. 01. 2008 die Aktienkurse ein (stärkster Rutsch seit 11.09.2001, DAX -7%). Trotz der Leitzinssenkung durch die Fed kurz danach kommt es weltweit zu Turbulenzen an den Aktienmärkten, was die große Unsicherheit zeigt. Erst allmählich beruhigt sich der Markt, hat hat immer mal Ausschläge nach unten (z. B. nach dem Fastzusammenbruch von Bear Stearns oder die Pleite der Hypothekenbank "Indymac"; auch Freddie Mac und Fannie Mae kriseln; sie werden im September 08 unter staatliche Obhut gestellt). Die Notenbank vergibt weiterhin Kredite zu günstigen Konditionen. Die Abschreibungen der Banken werden weltweit auf insgesamt 1,8 Bill. $ geschätzt. Der amerikanische Notenbankchef rechnet infolge dessen noch mit der Pleite einiger Banken. Die Bewertung der internationalen Großbanken an den Börsen sinkt auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren. Bankenexperten rechnen mit einem Andauern der Krise bis 2010. In den USA wackeln immer mehr Finanz - Dienstleister (z. B. AIG, Washington Mutual). Nachdem Fannie und Freddy in den USA unter staatliche Kontrolle gestellt werden, reagieren die Börsen in aller Welt zuerst positiv. Es kommt es zu einer Konsolidierung und damit zu Zusammenschlüssen: Commerzbank mit Dredner, Deutsche Bank mit Postbank; die Bank of America übernimmt Merrill Lynch; Citigroup übernimmt Wachovia. Goldman Sachs und Morgan Stanley werden reguläre Banken. Washington Mutual wird aufgelöst und kommt zu JP Morgan Chase. In Deutschland wird die Real Hypo Estate von einer Bürgschaft von den Banken und dem Bund gestützt. Mit einem Enteignungsgesetz soll 2009 die Kontrolle ganz übernommen werden, was nicht nötig ist, da der Bund die Aktienmehrheit kaufen kann.  Dies scheint notwendig, damit vom Bund nur der Marktpreis an Flowers gezahlt werden muss. Nach der Pleite der Lehman Brothers fallen die Kurse wieder und die größten Geschäftsbanken der Welt bilden einen internationalen Notfonds. Der Zusammenbruch von Lehman wirkt wie ein Dominostein und war wahrscheinlich ein Jahrhundertfehler. Inzwischen werden auch Banken in Russland (russische Finanzministerium gibt 16 Mrd. € an 28 Banken), Belgien/ Holland/Luxemburg (Fortis, Dexia), Schweiz (UBS), Schweden (Roskilde), Island (Glitnir) und Großbritannien (HBOS, B&B) erschüttert und meist durch Verstaatlichung gerettet. Die Börsen der Welt sind auf einer Berg- und Talfahrt. Die amerikanische Notenbank stützt AIG mit 85 Mrd. $ und übernimmt 80%. Außerdem will sie einen Fonds gründen, der die Risiken der Finanzinstitutionen sozialisiert und damit absichert (Einlagensicherung mit 50 Mrd. $ für Geldmarktfonds, insgesamt ca. 700 Mrd. $ für wertlose Hypothekenpapiere durch einen Rettungsfonds, Verbot von ungedeckten Leerverkäufen; Staat ist auch an Gewinnen beteiligt und erstes Zugriffsrecht; mittlerweile durch den Kongress). Die amerikanische Bundespolizei FBI ermittelt in 26 Fällen. Auch 2009 fahren die Banken noch Riesenverluste ein (Bank of America, Citigroup). Zehn der 19 größten US-Banken brauchen 2009 knapp 75 Mrd. $ Zusatzkapital. Ein Stress-Test der Banken zeigt die Lage etwas entspannt (die Zahlen sollen gefälscht sein!). Der US-Staat stützt die Autobank GMAC 2009 mit 7,5 Mrd. $. Sogar 2011 gehen noch zwei Regionalbanken pleite (Legacy, First Commercial). Die BaFin verbietet auch Leerverkäufe (Wetten auf fallende Kurse, auch die Managerhaftung soll modifiziert werden). Führende Köpfe der Kreditwirtschaft drängen auf eine "Bad Bank" für Risikopapiere über 800 Mrd. €. Der Staat übernimmt die Mehrheit an der Commerzbank, im letzten Quartal 2008 macht die Deutsche Bank einen Verlust von fast 5 Mrd. €. Die EU plant auch Reformmaßnahmen (mehr Eigenkapital: 1/4 der Kreditsumme, europäische Aufsichtsbehörde für Extra-EU-Aktivitäten, aber keinen Rettungsfonds). Im November erreicht die Krise weltweit den realen Bereich (USA, Japan, EU, China). Konjunkturprogramme sollen entgegen wirken. Ende 2008 haben ca. ein Drittel der deutschen Industrieunternehmen Probleme, Kredite zu bekommen. Auch die Auftragseingänge brechen ein, auch 2009. 2009 übernimmt der Bund 25% der Commerzbank. 2010 will dies Bank wieder in private Hände zurückgehen durch eine Kapitalerhöhung. Nach Berechnungen des IWF 2009 wird die Bankenrettung Deutschland 77 Mrd. € kosten. Immer mehr geraten auch die Sparkassen in den Strudel der Krise, weil sie die Landesbanken stützen müssen. 2009 will der Bund faule Wertpapiere absichern, indem er dezentrale "Bad Banks" vorsieht (entscheidend: welchen Wert setzt man für die Problempapiere an, die Aktionäre sollen mit ihren Dividenden einstehen). Bad Banks werden bei der WestLB, der NordLB und der HRE eingerichtet. 2009 ist ein Gesetz im Wirtschaftsministerium in Arbeit, das dem Staat Eingriffe in Banken erlauben soll, die von Insolvenz bedroht sind. Die erste Phase der Finanzkrise scheint Mitte 2009 zu Ende zu sein, aber Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten und Kreditausfälle können die Banken noch weiter belasten. Offen ist noch, inwieweit die Kapitalmärkte eine Umlage für die staatlichen Hilfen leisten müssen. Die Bundesregierung führt 2010 eine Bankenabgabe ein, ebenso wird die Bankenaufsicht (Regulierung) reformiert. Im Herbst 2011 steht die Welt vor einer ähnlichen Situation wie 2008. Eigentlich ist die Lage sogar bedrohlicher, weil eine Staatsschuldenkrise dazukommt. Es gibt starke Kurseinbrüche an den Börsen und das Misstrauen zwischen den Banken ist groß. 2011 und 2012 wird in den USA genauer untersucht, wer an den CDOs (Wertpapierverbriefungen, Bündelung vieler Einzelverträge zu CDOs) verloren und verdient hat. Profiteure waren ausgewählte Hedgefonds, die gegen die CDOs gewettet hatten, indem sie Ausfallversicherungen für besonders riskante Tranchen kauften.  "Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer nackt schwimmt", Warren Buffet, reichster Mann der Welt, über die Milliardenverluste mehrerer Großbanken in der internationalen Finanzkrise.

Es zeigt sich, dass Finanzkrisen einem Muster folgen: exzessive Kreditvergabe, Fehlbewertung von Risiken, Verschuldung, unvertretbare Vermögenssteigerungen, Steigerung des Konsums. Dazu kommen jeweils Eigenheiten. So W. White, Chefvolkswirt der BIZ, im Handelsblatt vom 18.02. 08, S. 4. Vgl. auch: C. Reinhart/ K. Rogoff: Is the 2007 U. S. Sub-Prime Financial Crisis So Different? An International Historical Comparison, Paper NBER, January 2008. "Wir brauchen eine konzertierte Aktion von Notenbanken, Anlegern und Regierungen, um  dieses Zusammenschmelzen von Werten endlich zu beenden", Josef Ackermann, Ex-Deutsche Bank - Chef. Der schwache Dollar wird die amerikanischen Exporte stärken. Die USA werden immer weniger konsumieren. Das hat Konsequenzen für die EU und China. Die Weltwirtschaft muss eine neue Balance finden. Märkte mit unvollständiger Information und Asymmetrien brauchen wohl sorgfältige Regulierung, damit sie effizient und stabil sind. "Diese Krise ist anders - ein  Ereignis wie es einmal oder zweimal pro Jahrhundert vorkommt, tief verwurzelt in den Ängsten vor der Insolvenz großer Finanzinstitutionen", Alan Greenspan, ehemaliger US-Notenbankchef.

"Falsche Wirtschaftspolitik und ungenügende Überwachung des Kapitalmarkts in den USA sind die eigentlichen Ursachen der Finanzkrise", Zhang Jianhua, Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der chinesischen Notenbank.

Im Umweltbereich mit den Problemen "Artenschwund, Waldsterben, Überfischung, Sterben der Meereskorallen, Gletscherschmelze, Wasserverknappung, Ressourcenmangel, umweltbedingte Migration, Naturkatastrophen (schwere Stürme, Erdbeben, Überschwemmungen), Ausbreitung der Wüsten und Klimawandel" macht sich besonders negativ bemerkbar, das der Markt global, aber das Umweltrecht weitgehend national ist. Außerdem belohnt der Markt die Geschwindigkeit und die Bedenkenlosigkeit und fördert externe Effekte. Auch die Wohlstands-Disparitäten in der Welt zwischen Industrieländern, Schwellenländern und Entwicklungsländern verhindern globale Lösungen (Energieeffizienz, d. h. Primärenergieverbrauch je 1 Mrd. $ BIP: China 0,83; Russland 1,09; Indien 0,86). Die größten Klimaverschmutzer USA, China, Indien und Australien können sich zu keiner effektiven Reduktion entscheiden. Die Umweltökonomik ist sicher der wichtigste Teil der Volkswirtschaftslehre, da von ihrer Problemlösungskompetenz die Zukunft der Menschheit und das Überleben der Erde abhängt. Die Entwicklung der Zertifikate und ihre weltweite umweltpolitische Umsetzung spricht einerseits für diese Problemlösungskompetenz, andererseits können damit alleine nicht alle Umweltprobleme gelöst werden. Zertifikate (Erlaubnisscheine) sind eine marktwirtschaftliche Vorgehensweise, die aber mit erheblichen institutionellen Problemen verbunden sind.

Moralisch (in der Umweltpolitik ist Moral purer Realismus) und rational sind in beiden Bereichen globale Institutionen notwendig. Vielleicht kann man die Weltbank als multilaterales Kreditinstitut für Entwicklungsländer zurückfahren und ihr mehr Aufgaben in der Umweltpolitik und im Finanzcontrolling geben. Die Wirtschaftswissenschaften und ihre Theorien widmen diesen für die Menschheit zentralen Phänomen viel zu wenig Aufmerksamkeit, weil sie einmal in der Regel fernab der normalen Lehrbuchweisheiten liegen und andererseits ein interdisziplinäres, ethisches Denken erfordern. Die StudentInnen werde ich bei diesen Themen für Abschlussarbeiten, aber auch bei speziellen Wünschen nach Sonderveranstaltungen, nach meinen Kräften unterstützen. "Unser Marktradikalismus war ein unverschämter Ego-Trip", Erhard Eppler.

Anleger können über Aktien, Fonds und Zertifikate für das eigene Vermögen beide Bereiche verbinden: Bioenergie aus nachwachsenden Rohstoffen ist das Potential der Zukunft. In den vergangenen drei Jahren erzielte der Dow Jones Sustainable Total Return Index, der die Entwicklung nachhaltiger Aktien abbildet, eine bessere Wertentwicklung als das Börsenbarometer für internationale Aktien "MSCI". "Bis 2030 sind wir der größte Treibstofflieferant der Welt", L. I. Lula da Silva, brasilianischer Staatspräsident über Ethanol aus Zuckerrohr. Ebenso Chancen bieten Unternehmen, die sich mit Energieeffizienz beschäftigen. 46 Staaten wollen 2007 eine starke UN-Umweltbehörde schaffen (allerdings sind die größten Verschmutzer "USA, Russland, China und Indien" nicht dabei). Über die Finanzmärkte können Bürger vielleicht den größten Einfluss ausüben. Die Aktionäre sollten niedrigere Vorstandsgehälter, weniger Atomstrom und mehr Moral durchsetzen. 2011 betrug das Volumen nachhaltiger Geldanlagen weltweit 11,0 Billionen $ (2006 3,6 Bio.). Die Umweltbranche boomt seit langem in Deutschland und hat sehr viele Arbeitsplätze geschaffen. Ebenso dürfte die Energiewende eine große Chance darstellen (First-mover- advantage). Das Angebot an Nachhaltigkeitsfonds wächst auch 2015. Dabei setzen ihre Manager auf unterschiedliche Konzepte.  "Nachhaltigkeit liegt im Auge des Betrachters, jede Fondsgesellschaft legt dieses Ziel anders aus", Detlev Glow, Lipper, 2015.  

Der Arbeitsmarkt, wird bezogen auf die Karriere genauso wie von Angebot und Nachfrage von Glück und  Pech beeinflusst. Gerade bei Hochschulabsolventen ist die Konjunkturlage bei Start von außerordentlicher Bedeutung. Dies habe ich schon vor  25 Jahren in einer empirischen Untersuchung festgestellt (neuere Untersuchungen liegen von Paul Oyer, Marianne Bertrand, Till von Wachter vor). Man kann auch einen grundlegenden Wandel des weltweiten Arbeitsmarktes durch die Globalisierung beobachten. Die Normalarbeitsverhältnisse gehen zurück, dafür steigen die atypischen Beschäftigungsverhältnisse sehr stark an (geringfügige Beschäftigung, Zeitarbeit, befristete Verträge, Teilzeitarbeit, Solo-Selbständigkeit). Die Kernbelegschaften sinken, die Randbelegschaften nehmen zu. Hierzu habe ich eine Veranstaltung mitgeplant und einen Einführungsvortrag gehalten. Andererseits scheint 2010 ein Kipp-Effekt auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen, d. h. die Lage wird für das Arbeitsangebot, vor allem in bestimmten Segmenten, aufgrund der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung sehr viel besser.

"Sofern wir in die Natur eingreifen, haben wir strengstens auf die Wiederherstellung ihres Gleichgewichts zu achten", Heraklit, griechischer Philosoph, ca. 550-480 v. Chr.

 

Weltwirtschaftskrisen und die Lehren daraus:

Dieser Stein stellte im Römischen Weltreich einst den Mittelpunkt der damaligen Welt dar. Von hier aus waren die Entfernungen zu den Grenzen etwa gleich groß. Er steht im heutigen Istanbul (einst Konstantinopel, Byzanz). Er zeigt, wie relativ Globalisierung und auch Weltwirtschaftskrisen sein können. Zu Zeiten des Römischen Weltreichs waren Amerika und Australien als Erdteile noch nicht entdeckt.

Die im letzten Jahrhundert begann mit dem Absturz der Börse in New York, wo die Kurse am 23.10.1929 um 13% einbrachen; bis zum 29.10.29 waren die Kurse dann insgesamt um 30% gefallen. Dem Einbruch der Börse war aber eine globale Verschlechterung vorausgegangen. Danach brach die Industrieproduktion weltweit ein. In der Folge gaben die Reallöhne erheblich nach, trotzdem stieg die Arbeitslosigkeit stark an. Diese Erfahrungen führten bei Keynes zu seinen Überlegungen in der "Allgemeinen Theorie..." ("In the long run we are all dead"). Anna Schwartz (eine der wenigen, lebenden Ökonomen, die die Krise noch selbst erlebt haben) und Milton Friedman haben haben die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise darauf zurückgeführt, dass die Notenbanken den Geschäftsbanken nicht genug Liquidität zur Verfügung gestellt hatten (Schwartz/ Friedman: A Monetary History of the United States, 1867-1960). Schwartz weist heute auch immer wieder darauf hin, dass die laxe Geldpolitik von A. Greenspan die heutige Weltwirtschaftskrise (2008, 2009, 2010) mit verursacht hat. Hauptursache war eine Immobilienblase in den USA. Billiges Geld führte zu großzügiger Vergabe von Hypothekenkrediten auch an Schuldner mit geringer Bonität. Als die Immobilienpreise fielen, konnten viele Schuldner ihre Kredite nicht mehr bedienen. Eine generelle Ursache war die Deregulierung der US-Finanzmärkte unter Reagan und Clinton (Sparkassen mehr Freiheiten, Darlehen mit variablen Zinsen, Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken aufgehoben). Die heutige Finanz- und Geldpolitik hat die Konzepte von Keynes umgesetzt und damit aus der Krise gelernt: Die Geldpolitik ist expansiv. Die Finanzpolitik brachte sofort Konjunkturpakete.  Zahlungsbilanzdefizite können aufgrund des flexiblen Wechselkurssystems zu Wechselkursanpassungen statt zu Deflation führen. Allerdings sollte auch eine Rückführung der massiven Liquiditätsexpansion durch die Zentralbanken sichergestellt werden. Ebenso müssen die explodierenden Defizite der öffentlichen Haushalte zurückgeführt werden. Der amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke hatte die Weltwirtschaftskrise 1930 intensiv studiert und entsprechende Lehren daraus 2009 angewandt. Die meisten Amerikaner verstehen aber nicht, warum der Staat den Privatbanken so viel Geld zur Verfügung gestellt hat. Vgl. auch: Rogoff, K./Reinhart, C.: Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen, München 2010. Sie zeigen, dass Banken- und Staatsbankrotte immer wieder geschehen - und die Menschen haben nichts daraus gelernt. Die Griechenland-Krise und der Angriff der Spekulanten auf den Euro zeigen, dass es dringend notwendig ist, die Spekulation zu bekämpfen (Verbot bestimmter Finanzprodukte, Finanztransaktionsteuer, bessere Kontrolle der Finanz- und Schuldenpolitik). Die Schulden-Disparitäten in der EU und erste Ansätze zu einer Transferunion könnten die EU in ihrer Existenz gefährden.

2016 besteht die Angst vor der nächsten Krise. Das britische Pfund stürzt ab (nach dem Brexit), die Finanzbranche, allen voran die Deutsche Bank, findet keine Ruhe, Griechenland kriselt weiter. Südeuropa kommt nicht aus der Rezession, die EU streitet sich immer mehr (Flüchtlinge, Schulden, Klimapolitik). Bis 2019 ist die große Krise aber nicht eingetreten. 2020 droht eine weltweite Wirtschaftskrise durch das Corona-Virus. Die ganze Welt hat damit zu kämpfen. Die Pandemie bricht in China (Wuhan/ Hubei) aus und verbreitet sich rasend schnell. Sie legt zunächst Lieferketten lahm, später ganze Branchen und Länder. Durch die Lockdowns brechen Angebot und Nachfrage gleichzeitig ein. Die ökonomischen Ausmaße der Krise dürften die schlimmsten seit dem 2.Weltkrieg sein.

"What can you flood, saturate, peg and open? The market".

 

Ursachen, Folgen und Folgerungen von Finanzkrisen (insbesondere der großen Krise der Weltwirtschaft 2008/2009/2010 und Wahrscheinlichkeit einer neuen Finanzkrise ab 2018 und verstärkt 2023, Crashmodus?):

"Wir müssen die Theorie, dass die Finanzmärkte effizient funktionieren, aufgeben", George Soros 2010.

Die wahrscheinlichste Folge der Finanz- und Weltwirtschaftskrise ist eine Geldwertkrise. Die wichtigsten Staaten dieser Welt sind total überschuldet. Die Staaten verlieren an Vertrauen; die internen Verteilungskonflikte werden zunehmen (in Deutschland z. B. die Finanzprobleme der Kommunen). Die Notenbanken der Welt haben für eine Geldschwemme gesorgt, die die Zinsen noch niedrig hält, um die Rezession zu bekämpfen. Die US-Regierung stemmt sich noch 2010 mit Hilfe einer expansiven Geldpolitik gegen die Krise. Sie hat bereits 1,75 Billionen Dollar in die Wirtschaft gepumpt. Der Inflationsschub wird zu einer Zinserhöhung führen, die auch die Verschuldung verteuert. Die Preise werden auch durch die stark steigenden Ölpreise (Nachfrage in China, Krise in Nordafrika) in die Höhe gehen. Das Internationale Währungssystem wird die Inflation über die Welt verteilen. Hinzu kommt, dass eine Konjunkturerholung die knappen Ressourcen wie Energie und Rohstoffe verteuert, was in Form einer Kosteninflation verstärkend wirkt. Dies kann sich durch eine Euro-Abwertung beschleunigen, weil die Öl- und Rohstoffimporte in Dollar abgerechnet werden. Die Rohstoffpreise steigen Ende 2010 und Anfang 2011 schon stark an, zur Jahreswende lag die Inflationsrate in der EU schon bei 2,4%. Die Europäische Union gerät in eine große Belastungsprobe, weil einige Peripherieländer (z. B. Griechenland, Irland, Portugal) ihre Überschuldung nicht mehr selbst lösen können. Es droht ein "bail- out". Brechen jetzt etwa Konstruktionsmängel der EU auf, brauchen wir vielleicht einen Europäischen Währungsfonds?  Vgl. auch meinen Artikel "Inflation" auf der Seite "Glossar/ Theory". Ein relativ leicht zu lesendes Buch dazu ist: Müller, Hendrik, Sprengsatz Inflation, Frankfurt/ New York 2010 (Campus). 2010 pumpen die USA riesige Geldmengen in die Wirtschaft, um sie anzukurbeln. Das  führt in anderen Ländern zu Kapitalimporten, die zur Aufwertung der Währungen führt (z. B. in der EU). Die Erdbeben- und Tsunamikatastrophe in Japan, die Krisen in Nahost und die weiteren Geldschwemmen durch die großen Notenbanken (allen voran die USA und Japan) treiben die Inflationsraten nach oben. Inflation droht besonders in Asien und Lateinamerika. Etwa Irland ist ganz schlimm betroffen. Die Wirtschaftsleistung ist 2008 und 2009 um 16 Prozent geschrumpft. Das Haushaltsdefizit stieg 2010 auf 32%. Die Gesamtverschuldung stieg von 25 auf 75% (auch durch die staatliche Rettung der Banken). Ägypten, das in den Sog von Unruhen 2011 nach der Algerienkrise gerät, rechnet nicht mehr direkt zu den Schwellenländern wie früher. Das BIP betrug 2009 "nur" 188 Mrd. $. Einigen Ländern droht auch eine Deflation, also eine fatale Abwärtsspirale der Preise, zum Beispiel Japan. Auch 2012 hat die hohe Liquidität noch nicht zur Inflation geführt, weil die Konjunktur noch nicht angezogen ist und die Banken das billige Geld zur Deckung ihrer Unterkapitalisierung verwenden. In vielen Ländern setzt der Inflationsprozess schleichend mit Verzögerung ein. So ist es auch in der EU und Deutschland. Die alternativen Preise wie Immobilien, Gold und Kunst sind schon kräftig gestiegen. Die Überschwemmung der Industriestaaten mit dem Geld der Notenbanken wird unweigerlich zur Inflation und einer Verstärkung der Umverteilung ("Kalte Enteignung") führen. Einschränkend muss man aber dazu sagen, dass man bei Inflation streng analytisch trennen muss zwischen steigenden Güterpreisen und spekulativen Übertreibungen an den Finanzmärkten. Das letztere muss man in den Griff bekommen, so dass auch die folgenden Maßnahmen immer wichtiger werden (Vgl. Mark Schlieritz: Die Inflationslüge, München 2013).  Goldman Sachs half den Griechen, mit raffinierten Währungsgeschäften die Schulden zu verstecken. Sie sind nun wieder engagiert, um aus einer Pleite des Landes Gewinn zu schlagen. Die nebulöse und dubiose Spekulation scheint also weiterzugehen.

Besonders wichtig ist daher eine weltweite Reform der Bankenlandschaft. Durch zuviel Geld können wieder neue Finanzblasen entstehen. Banken müssen ihre Kernaufgaben erfüllen (z. B. Kredite geben). Sie müssen Geld in die richtige Richtung lenken und damit auch Menschen. Die Allgemeinheit darf zukünftig nicht mehr für die Schäden zahlen. Regulierung ist machbar, wenn die Lobby-Macht der Banken gebrochen wird. In jedem Falle muss die Bankenaufsicht wirkungsvoller gestaltet werden (in der EU kommt eine EU-Bankenaufsicht bei der EZB). Die Staaten müssen aktiver werden. Die Notenbanken stellen mit ihrer gefährlichen Liquiditätsschwemme auch eine Gefahr dar. Aber auch viele große Banken sind weiterhin angeschlagen. Trotzdem müsste die Gläubigerhaftung verstärkt werden. 2011 bricht der Bankenindex (DJ-Stoxx-600-Banken) ein. Voran ging der Aktiencrash insgesamt. Bankenpleiten drohen auch weiterhin. Die entscheidende Frage dürfte dann sein. ist dies immer systemrelevant? 2012 geben die Banken die hohe Liquidität nicht immer in Form von Krediten an die Realwirtschaft weiter, weil sie selber unterkapitalisiert sind. Auch dies verhindert vorläufig eine Inflation. Eine Expertenkommission der EU schlägt im Herbst 2012 eine Trennung in den traditionellen Bereich der Banken (Kredite, Sparen) und Investment/ Spekulation vor.  Leider hatte die Bankenwelt aus dem Fall der Barings Bank, der ältesten Investmentbank GB, nicht gelernt. Am 26. Februar 1995 ging die Bank nach 233 Jahren Geschäft in Konkurs. Der Wertpapierhändler Nick Leeson hatte durch Spekulationen an der Internationalen Währungsbörse Singapur 1,4 Mrd. $ verloren. Die Interne Revision und des Risikomanagement der Bank hatten versagt.

Spekulation muss wirkungsvoll bekämpft werden. Eine Finanztransaktionsteuer muss ernsthaft in Betracht gezogen werden, weil sie eine positive Lenkungswirkung haben dürfte. Einige Finanzprodukte - wie die Leerverkäufe - sollten verboten werden. Die Verschuldungsprobleme einiger EU-Länder - wie Griechenland und Portugal - müssen Anlass zu Reformen und Stabilisierungsmechanismen in der EU sein. Die USA blasen mit der Federal Reserve Bank riesige Geldmengen in die Wirtschaft, die neue Blasen der Spekulation und den Währungskrieg anheizen. Der Ökonomie insgesamt fehlt ein neues Weltbild, in das Spekulationen integriert sind. Vgl. N. Roubini/ S. Mihm: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft, Frankfurt 2010. Der spekulative Finanzkapitalismus erhöht drastisch die Volatilität der Finanzmärkte und macht sie noch unberechenbarer.

Immer mehr Fachleute und Menschen zweifeln auch am Wirtschaftswachstum als Wohlstandsformel der Zukunft. Nicht erneuerbare Ressourcen, die Effizienz der Industrieproduktion, Nahrungsmittel und Umweltbelastung sind begrenzt, es wächst nur exponentiell die Weltbevölkerung (Im Jahre 2030 etwa Maximalwert). Wir müssen uns auf eine Welt mit weniger materiellem Luxus einstellen. Diese Tendenzen müssen auch in einer Veränderung der Messindikatoren des BIP zum Ausdruck kommen (so Stiglitz, Sen, SRW in Deutschland und Frankreich, Bundestags-Kommission).  Die zunehmende Energieknappheit könnte dazu führen, dass die Welt wieder kleiner wird, die Uhr der Globalisierung also zurückgedreht wird (steigende Transportkosten könnten die weltweiten Logistik-Netze wieder ändern, aber auch die stark steigenden Produktionskosten). Vgl. Jeff Rubin: Warum die Welt immer kleiner wird, München 2010 (Hanser). Ebenso: Meinhard Miegel, Exit. Wohlstand ohne Wachstum, Berlin/ Propyläen 2010 (Zentrale Thesen: Für die alten Industrieländer geht die Epoche raschen Wachstums zu Ende. Was noch an Wachstum anfällt, wird die Lebensqualität nicht erhöhen). Schon jetzt machen Preissprünge und Engpässe bei der Versorgung mit Rohstoffen der Wirtschaft immer mehr zu schaffen. Da die Lebensweise in den Schwellenländern sich mit steigendem Einkommen stark ändert, hat dies schädlichen Einfluss auf den Klimawandel . Besonders negativ wirkt sich der steigende Fleischkonsum aus (Futtermittel, Treibhausgasausstoß). Sicher müsste eine neue globale Wirtschafts- und Finanzpolitik geschaffen werden (so: J. Stiglitz, Im freien Fall, München 2010). Die Krise - insbesondere die nachfolgende Euro-Krise - schlägt auch auf das Konsumklima und den privaten Konsum durch. Die drohende Rezession in den USA könnte ein  Warnzeichen sein. Zumal die führenden Staaten gegen die Grundlagen der Makroökonomie handeln: bei hoher Arbeitslosigkeit, langsamem Wachstum und Liquiditätsfalle die Staatsausgaben kürzen. Die USA dagegen halten an ihrer Nullzinspolitik und neuen Konjunkturprogrammen fest. Wachstum geht vor Konsolidierung.

Auf betrieblicher Ebene zeigen sich die Folgen insbesondere durch Nachfrageeinbrüche und Finanzierungsprobleme. Dies ist besonders kritisch für mittelständische Unternehmen die permanent Finanzprobleme haben. Hier sollte der Staat für gerechte Rahmenbedingungen sorgen. Hierzu habe ich schon eine Reihe von Spezialveranstaltungen gemacht. Die multinationalen Unternehmen (Multis) sind auf die Expansion in den Schwellenländern vorbereitet. Sie haben ihre Ausgangsbasen, von denen sie die Kontinente beliefern können. Zum Beispiel wartet VW in China, Süd-Afrika und Brasilien/ Mexiko auf das "Erwachen der schlafenden Kontinente". KMU tun sich wesentlich schwerer mit ihren Strategien im Hinblick auf die Schwellenländer.

Auch die Kultur muss überdacht werden: Was angeboten wird, sind nicht die Ideale der Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie, sondern der Wall Street. Die Gesellschaften sind ökonomisiert worden, die Bildung wurde in den Dienst der Wirtschaft gestellt. Alles wird in ökonomischen Erfolgsmaßstäben gesehen. Wünschenswert wäre in der Tat eine "empathische Zivilisation" und ein globales Bewusstsein, wie es Jeremy Rifkin beschreibt (Frankfurt/ New York, Campus, 2010). Andererseits bringt eine Werteorientierung der Unternehmen (CSR) auch ökonomischen Erfolg. Rodrik spricht von einem Trilemma der Weltwirtschaft: Hyperglobalisierung, Nationalstaat ("Goldene Zwangsjacke") und Politische Demokratie (Globalregierung) seien unvereinbar (Rodrik, D. Das Globalisierungsparadox, München (Beck) 2011, S. 261.

Die Gefahr einer neuen Finanzkrise ist höher als normal. Die Staaten der Welt sind relativ hoch verschuldet. Die Geldpolitik schafft zu viel Liquidität. Die Banken sind noch zu schwach kapitalisiert. In den USA droht eine neue Rezession (Arbeitsmarkt kriselt, Stagflation?, Häuserpreise fallen wieder). Der Aktiencrash im August 2011 ist ein Indikator, ein Währungskrieg könnte folgen. So könnte die Schuldenkrise irgendwann wieder außer Kontrolle geraten.  Die Geldmarktfonds sind gegenüber Runs nach wie vor anfällig. Die europäischen Banken hängen für die Finanzierung ihrer US-Dollar-Aktivitäten nach wie vor von den US-Geldmärkten ab. Die Möglichkeit eines Zusammenspiels von Wertpapierkäufen, Kursverlusten und Überschuldungsvermutungen besteht unverändert. Die Verlustbeteiligung der Gläubiger ist immer noch sehr umstritten. Vgl. Martin Hellwig: Was wäre, wenn der Lehmann-Konkurs heute stattfände? in: Wirtschaftsdienst 2018/8, S. 539ff. Auffällig ist im Jahre 2018, dass viele Unternehmen hoch verschuldet sind. Ihre Finanzierungskosten steigen. Aber auch Fusionen werden durch die billigen Kredite angetrieben. Noch steigen die Unternehmensgewinne. Doch was ist, wenn die Zinsen in den USA und in der EU wieder nach oben gehen.

Die Krise ist insgesamt als große ökonomische Fallstudie geeignet: Am Anfang steht eine Immobilienkrise (ab 2007). Dann wird daraus eine Bankenkrise (Höhepunkt Herbst 2008 mit Lehman). Daraus entwickelt sich eine Weltwirtschaftskrise (2009), die die gesamte globale Wirtschaft erreicht. Dann kommen die Staaten mit ihren Staatsschulden in Bedrängnis (2010). Daraus erwächst wieder eine neue Bankenkrise (2011).

Sehr beunruhigend ist die Rolle rückwärts in den USA nach dem Regierungsantritt von Trump. Sein Finanzminister Mnuchin, der von Goldman Sachs kommt, verkündet, man werde Teile der viel zu komplizierten Bankenregulierung wieder rückgängig machen. Das habe oberste Priorität. Das läuft auf eine Sabotage des Dodd-Franc-Act hinaus.

Hinzu kommt noch, dass die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen 2018 sehr ungünstig sind: Handelskrieg von Trump, Italienkrise, Brexit, Argentiniens Dollar-Abhängigkeit, Währungsturbulenzen in der Türkei, Schuldenberg in China. Das Globale Schuldenwachstum seit der Finanzkrise 2008 bis 2018 beträgt +60%. Ende September 2019 zeigen sich auf den US-Geldmärkten wieder Anzeichen, die man von der letzten Krise her kannte: Der Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, schoss plötzlich auf 10%. Ein von der Notenbank kontrollierter kurzfristiger Zins schoss über das von der Fed beabsichtigte Ziel. Die Fed musste über 200 Mrd. $ ins Bankensystem geben und schiebt bis Mitte Oktober noch mal 75 Mrd. täglich nach (so war auch die Situation vor der Lehmann-Pleite). Zu viele Investoren übernehmen zu aggressiv Risiken. Banken lockern ihre Kreditbedingungen wieder. Außerdem gibt es an der Wallstreet mittlerweile eine Reihe von Schattenbanken. Sie werden jetzt gefährlich. Die Krise kommt dann tatsächlich, hat ihren Ursprung aber in der Realwirtschaft. Der Shutdown in fast allen Ländern der Welt löst einen Doppelschock aus: Angebot und Nachfrage brechen gleichzeitig ein. Dies ist den führenden Volkswirtschaften der Welt wie China und USA, aber auch in Japan und der EU. Die Finanzmärkte sind diesmal eher indirekt beteiligt: Die Staaten müssen ihre Finanzpolitik gegen die Corona-Krise einsetzen, weil die Geldpolitik ihre Instrumente weitgehend ausgereizt hat. Die Staaten sind aber jetzt schon hoch verschuldet bzw. überschuldet.

Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung der Finanzkrise 2008 ab 2018 und verstärkt 2023: Die Kollateralschäden der letzten Finanzkrise sind zehn Jahre nach der Krise 2018 immer noch nicht behoben (hohe Staatsverschuldungen, Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa, fragile Banken, Misstrauen gegen und in den Eliten von Wirtschaft und Politik, Misstrauen gegen die Mechanismen der Banken und Märkte). Die Geldmarktfonds sind gegenüber Runs nach wie vor anfällig. Die europäischen Banken hängen für die Finanzierung ihrer US-Dollar-Aktivitäten nach wie vor von den US-Geldmärkten ab. Die Möglichkeit eines Zusammenspiels von Wertpapierkäufen, Kursverlusten und Überschuldungsvermutungen besteht unverändert. Die Verlustbeteiligung der Gläubiger ist immer noch sehr umstritten. Vgl. Martin Hellwig: Was wäre, wenn der Lehmann-Konkurs heute stattfände? in: Wirtschaftsdienst 2018/8, S. 539ff. Auffällig ist im Jahre 2018, dass viele Unternehmen hoch verschuldet sind. Ihre Finanzierungskosten steigen. Aber auch Fusionen werden durch die billigen Kredite angetrieben. Noch steigen die Unternehmensgewinne. Doch was ist, wenn die Zinsen in den USA und in der EU wieder nach oben gehen? "Stupid German money" (Kauf von CDO, CLO, RMBS) ist wie ein Bumerang nach Deutschland zurückgekommen und hat das traditionelle System der Landesbanken und aller Banken schwer erschüttert. Die Deutsche Bank hat sich 2018 noch immer nicht von den Wetten in den USA erholt (Derivategeschäfte). Es hat sich herausgestellt, dass ihre Verantwortung in der Finanzkrise größer war als ursprünglich angenommen. Sie hat die Krise nach Kanada getragen und ihre Verantwortung in Deutschland auf den Staat abgeschoben (IKB-Pleite). Es scheint, dass die Strategie der US-Regierung zur Rettung der Banken besser gewesen ist. Das Handelsblatt nennt im September sieben Gefahrenherde: 1. Ansteckungsgefahr ist noch da. 2. Schattenbanken: Gleiche Risiken, nur am anderen Ort. 3. Lasche Schuldendisziplin bei Staaten und Unternehmen. 4. Passives investieren verstärkt Kursbewegungen. 5. Verwundbare Infrastruktur. 6. Politische Risiken. 7. Verzerrungen an den Märkten durch die Geldpolitik (Quelle: Handelsblatt Nr. 178, 14.09.2018, S. 46ff.). Zusammenfassend könnte man sagen, dass die Ursachen der letzten Finanzkrisen alle geblieben sind. Zu niedrige Zinsen, politisch motivierte staatliche Eingriffe und extreme Schuldenmacherei bei allen Wirtschaftssubjekten haben die Probleme in die Zukunft verschoben. Hinzu kommen Fonds, Versicherungen und Pensionskassen, die immer mehr Anlagen kaufen, die schwer handelbar sind (nicht transparent und nicht liquide). Hinzu kommt noch, dass die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen 2018 sehr ungünstig sind: Handelskrieg von Trump, Italienkrise, Brexit, Argentiniens Dollar-Abhängigkeit, Währungsturbulenzen in der Türkei, Schuldenberg in China. Das Globale Schuldenwachstum seit der Finanzkrise 2008 bis 2018 beträgt +60%. Ende September 2019 zeigen sich auf den US-Geldmärkten wieder Anzeichen, die man von der letzten Krise her kannte: Der Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, schoss plötzlich auf 10%. Ein von der Notenbank kontrollierter kurzfristiger Zins schoss über das von der Fed beabsichtigte Ziel. Die Fed musste über 200 Mrd. $ ins Bankensystem geben und schiebt bis Mitte Oktober noch mal 75 Mrd. täglich nach (so war auch die Situation vor der Lehmann-Pleite). Zu viele Investoren übernehmen zu aggressiv Risiken. Banken lockern ihre Kreditbedingungen wieder. Außerdem gibt es an der Wallstreet mittlerweile eine Reihe von Schattenbanken. Sie werden jetzt gefährlich. Die Schattenwelt ist unberechenbar (Geldmarktinvestoren wie Hedgefonds, Vermögensverwalter, Wertpapierverleiher; Kreditnehmer). Das Grundproblem hat sich seit 2008 nicht verändert: Aus Ramsch wird Qualität gemacht. Pensionskassen und Versicherer haben massiv Kredite hoch verschuldeter Unternehmen aufgekauft. Finanzinvestoren und Banken versprachen höchste Sicherheit. Die Risken wurden raffiniert versteckt. In der Corona-Krise könnte die Täuschung auffliegen. Die Banken der sehr stark betroffenen Länder (Spanien, Italien, Frankreich) haben auch zu viele Staatsanleihen ihrer Heimatländer. In der Pandemie boomen die Finanzmärkte. Ist das eine Blase? Man erwartet danach Wachstum. Solange das nicht zu Inflation und dann steigenden Zinsen führt, ist das nichts schlechtes.  Im Laufe des Jahres 2021 gefährden die globale Ausweitung der Deltavariante des Corona-Virus und die anhaltenden Lieferengpässe (insbesondere Halbleiter, Chips) die Erholung der Konjunktur. Damit sinken die Aussichten für höhere Leitzinsen und die Chancen schwinden, eine neue Finanzkrise zu vermeiden. Vgl. Fischer, Malte: Der infizierte Aufschwung, in: WiWo 32/ 6.8.2021, S. 36f.  Der Ukraine-Krieg schwächt 2022 das Finanzsystem weiter. Die Sorge um die deutschen Banken ist zurück. Weltweit rutschen Volkswirtschaften in die Rezession. Durch steigende Preise und Zinsen geraten die Anleihemärkte ins Trudeln. Die Nervosität an den Börsen wächst, kommt ein neuer Bankencrash. Vgl. Bartz, Tim: Ein Funke genügt, in: Der Spiegel Nr. 42/ 16.10.22, s. 66f. Die Kurse spielen verrückt. Entscheidend dürfte weiterhin der Markt in den USA sein. Wenn der wankt, wankt die ganze Welt. Die Zinsen steigen weiterhin - und damit das Risiko. Vgl. Die Zeit Nr. 44/ 27.10.22, S. 25. 2023 scheinen die Immobilienmärkte als Reaktion auf höhere Leitzinsen erneut in die Knie zu gehen. Steht die Weltwirtschaft vor einer neuen Megakrise. Der US-Start-up-Finanzierer Silicon Valley Bank aus Menlo Park steht vor dem Aus. Er benötigt frisches Kapital. Droht in den USA eine neue Bankenkrise?  Hauptgrund für die Probleme ist die Hauptanlage in US-Staatspapiere. Diese verlieren durch die Zinserhöhungen der Fed an Wert, so dass es beim Verkauf zu Riesenverlusten kommt. Die Bank geht Pleite. Es folgt die Signature Bank in New York (zu viel Geschäfte mit Kryptowährungen) . Die Fed will die Einlagen sichern. Die US-Regierung übernimmt auch kleinere Regionalbanken, will es aber nicht Rettung nennen. Andere Banken von von Großbanken (Konsortium) gerettet. Die Bafin sieht keine Gefahr für deutsche Banken. Trotzdem gehen die Aktien der deutschen Banken im März in den Keller, weil die Schweizer Bank Credit Suisse schwächelt (eine Übernahme durch die UBS ist im Gespräch). Der UK-Pension Fund wackelt auch noch (schon länger, Steuersenkungspläne lässt Staatsanleihen abstürzen, Notenbank revidiert Geldpolitik). Die steigenden Zinsen bringen nicht nur in den USA die Banken in Not. Auch deutsche Institute leiden unter der Zinswende.  2018 gründet sich in Deutschland eine Bürgerbewegung "Finanzwende" (NGO).  Sie will unter anderem: eine Schuldenbremse für Banken, eine unabhängige Finanzberatung, die Offenlegung von Gesetzen, die direkt auf die Finanzlobby zurückgehen. Verschiedene Stiftungen geben eine Anschubfinanzierung. Vgl. auch: Adam Tooze: Chrashed: Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben, 2018 (Siedler). Vgl. auch: Rainer Zitelmann: Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung.

Bankenbeben 2023: Das Ende der Credit Suisse im März 2023 lässt Europas Banken zittern. Ein klassischer Bank Run bringt sie zu Fall (111 Mrd. CHF Kundengeld flossen im letzten Quartal 2022 allein ab). Im März 2023 ging es dann richtig los. Dubiose Investoren, Oligarchen und unfähige Chefs halfen die 167 Jahre alte Bank zugrunde zu richten. Den Ausschlag gab dann die Äußerung des Großaktionärs Saudi National Bank (9,9%), die Bank nicht retten zu wollen. Auf Druck der Politik und der Notenbank erfolgt die schnelle Rettung und Übernahme durch die UBS. Sie legt 3 Mrd. Franken in eigenen Aktien hin. Die Bilanzsumme der Credit Suisse ist doppelt so hoch wie die Wirtschaftsleistung des Landes. Die nächste Krise ist aber nur eine Frage der Zeit - vor allem der gestiegenen Zinsen wegen. Die Banken müssen dringend für mehr Eigenkapital sorgen. Ursprünglich geplante Reformen müssen wieder angegangen werden. Megainstitute dürften immer ein Risiko bleiben ("too big to fail" bzw. eher "too big to save"). Es gibt einen fundamentalen Unterschied zu 2008. Damals ging es um wertlose Finanzprodukte. Sicher erschwert die Bankenkrise die Bekämpfung der Inflation. Die Geldpolitik bzw. Zinspolitik muss moderater werden.   "Wir erkennen gerade wieder, wie fragil unser Finanzsystem is - dass wir immer noch in einem Kartenhaus sitzen", Moritz Schularick, Uni Bonn. Vgl. Coffart, Daniel u. a.: Too big to fail - die neue Staffel, in: WiWo 13/ 24.3.23, S. 14ff. "Das Bankenbeben wird realwirtschaftliche Folgen haben", Clemens Fuest 2023, Vgl. Bartz, Tim u. a.: Raus aus der Krise, rein in die Krise, in: Der Spiegel 13/ 25.3.23, S. 64ff.

 

Ã?hnliches Foto Moskauer Kreml. Gebäudekomplex mit orthodoxen Kirchen und Palästen. Auch Museen für Kunst und russische Staatsgebäude. Russland ist gleichzeitig Transformationsland und Schwellenland. Es ist immer noch das größte Land der Erde vor Kanada und China. Russland ist eines der rohstoffreichsten Länder der Erde und hat in Sibirien die größte Waldfläche der Welt. Durch das Auftauen des Permafrostes werden die Rohstoffen besser zugänglich. 1981 habe ich Moskau noch als Hauptstadt der Sowjetunion (UdSSR) besucht. Von da aus bin in andere Teile des Landes gereist, unter anderem auch nach Sibirien (Tour mit Langlauf-Skiern durch Sibirien). Kulturell ist Russland stark nach Europa ausgerichtet. Es gehört zwei Erdteilen an: Europa und Asien (Eurasien). Die Idee, Eurasien  mehr auszubauen, gewinnt durch die BRI - Konzeption der Chinesen mehr an Gewicht. Russland ist an einem guten Verhältnis zu Europa interessiert, um nicht zu stark von China abhängig zu werden. Im Verhältnis zu Russland sind die Interessen der EU und der USA unterschiedlich. Man sollte die Russische Föderation nicht in die Hände Chinas treiben. Hoffentlich macht die neue Außenministerin Baerbock nicht die Politik, die sie vorher angekündigt hat. Moskau ist argwöhnisch. Der Ukraine-Krieg bringt dann die EU und Russland auseinander. Russland nähert sich China an, die EU wieder mehr der USA (von denen sie sicherheitspolitisch abhängig ist).

Aufstieg der Schwellenländer und ihre Probleme (Änderung der Machtverteilung in der Welt; teilweise auch Abstieg):

Die Schwellenländer sind nicht exakt definiert. Auf jeden Fall dazu gehören die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China. Mit Süd-Afrika spricht man von BRICS. Dann kommen Argentinien, Australien, Indonesien, Süd-Korea (Industrieland, aber nicht G7), Mexiko, Saudi-Arabien und die Türkei. Im Kreise der Next-11 sind besonders wichtig: Chile, Ekuador, Ägypten, Israel, Vietnam, Philippinen, Malaysia, Pakistan. Im Kommen sind auch die "Frontier Markets" (Bangladesch, Sri Lanka, Kuwait, Emirate, Ghana, Kenia, Sambia, Kolumbien, Peru). Hier einige Wachstumsraten der Schwellenländer 2011 in Prozent: Brasilien 3,8; Russland 4,3; Indien 7,8; China 9,5; Südafrika 3,4; Mexiko 3,8; Indonesien 6,4; Australien 1,8; Süd-Korea 4,4 (2012); Türkei 2,2 (2012).  Die wichtigsten Industrieländer wachsen langsamer. So wird in den USA nur mit 1,5% und in Japan mit -0,5% für 2011 gerechnet, in der EU mit -0,4%. Wahrscheinlich wird sich das weltweite Wachstum 2012 auf 3,2% verlangsamen. Mitte 2012 schwächeln auch die größten Schwellenländer (China, Indien). 60% der weltweiten Einkommenszuwächse werden aber mittlerweile von Schwellenländern generiert (interessant sind die Wachstumsraten 2007-2011: Deutschland 7%, China 109%, Brasilien 81%, Indien 49%, Russland 43%; Quelle: Die Zeit 41/2012, S. 34) . 2050 werden China und Indien wahrscheinlich das höchste BIP haben. Brasilien, Mexiko und Indonesien werden Deutschland weiterhin überholt haben. 2022 diskutieren die BRICS - Staaten virtuell über Erweiterung und neue Projekte. Die Präsens Russlands in den BRICS-Ländern nimmt zu. Russland und China wollen ein Gegengewicht zu den westlichen Demokratien aufbauen. Doch Indien trägt den Kurs nicht mit. Vgl. Heide, D.: BRICS, in: HB Nr. 120/ 24.-26. 6. 22, s. 15.

Am schnellsten aus der Krise kommt China, das einen neuen Wachstumsschub erlebt (spätestens 2050 ist China die größte Volkswirtschaft der Welt). Mittlerweile entwickelt sich das Land immer mehr zum Anker der Weltwirtschaft, das langfristig die USA als Leitwirtschaft ablösen kann. China passt nicht in die üblichen Kategorien von Entwicklungs- Schwellen- und Industrieländern. Es hat sich in Krisenzeiten weder an der Banken-, Staatsschulden- und Wachstumskrise der Industrieländer  angesteckt noch ist es vom Kapitalabfluss und der Wachstumsschwäche der Schwellenländer betroffen. Das Land selbst ordnet sich gerne als Entwicklungsland ein, um weiter Unterstützungen zu bekommen. China ist aber stärker als die Schwellenländer (2016 dürfte das BIP der EU überholt werden; 2017 das BIP der USA). Einige Ökonomen bezeichnen das Land als "hybride Leitwirtschaft". Die Schwerpunktverlagerung der Weltwirtschaft nach Ostasien beschleunigt sich durch die Krise (vgl. Globalisierung auf der Ostasienseite). Auch andere Schwellenländer wie Brasilien, Indien und Russland werden an Gewicht zunehmen (alle vier zusammen werden als BRIC bezeichnet, mit Südafrika spricht man von BRICS). Im März 2013 findet erstmals ein Treffen der Schwellenländer in Südafrika (Durban) statt. Die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts wird vom Aufstieg einer konsumhungrigen Mittelschicht in den Schwellenländern geprägt. Mittlerweile haben in China 500 Mio. den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft (kleiner Wohlstand). In den BRICS-Staaten werden in Zukunft z. B. die meisten Autos verkauft werden (ähnlich ist es bei Handys und Sportartikeln). 27 % der weltweiten Produktion wird 2020 in den BRIC - Ländern stattfinden, mehr als in den USA und Japan zusammen. Die wachsenden Kundenzahlen rufen in diesen Ländern aber auch zunehmende Konkurrenz hervor: SAIC, BAIC, Chery und Geely aus China, Tata aus Indien und Hyundai-Kia aus Südkorea. Mittlerweile kommen 120 Multinationale Unternehmen aus Schwellenländern (ca. 400 aus Industrieländern).  Wegen der positiven Wirtschaftsentwicklung 2010 haben sich in vielen Schwellenländern die Defizite verringert (die Schwellenländer wachsen bis 2014 um 4,7%, die IL um 2,4%, Weltbank). Für die deutschen Exporteure setzen sich die "goldenen Jahre" fort. Die Schwellenländer steigern weiter ihre Infrastrukturinvestitionen. Allein China plant für die nächsten fünf Jahre seine Importe zu verdoppeln (Nationaler Volkskongress). 2016 dürfte das Land die USA überholen. Zu China habe ich einen Vortrag gehalten. Doch in China droht ein überhitzter Immobiliensektor zusammenzubrechen (spätestens 2012?, trägt 20% zum BIP bei); auch die stark steigenden Nahrungsmittelpreise sind bedrohlich (Jasmin-Revolution?). Brasilien und Deutschland ergänzen sich ideal: Brasilien hat sehr viele Rohstoffe, Deutschland kann Know-how liefern. Teilweise exportieren die Schwellenländer ihre Inflation auch in die Industrieländer. Der stärkere Verfall des Dollar gegenüber vielen Währungen bedeutet, dass auch der Rembimbi gefallen ist. Der handelsgewichtete Gesamtwert des Remimbi hat erheblich abgenommen, vor allem im Verhältnis zu den Währungen der Schwellenländer, mit denen China konkurriert. Durch die anhaltende Niedrigzinspolitik in den Industrieländern entsteht ein Kapitalfluss in die aufstrebenden Schwellenländer, was zu Vermögensblasen dort führen kann (IIF). Zweimal schon hat Brasilien die Steuern auf Auslandskapital erhöht. Brasilien setzt außerdem zunehmend wieder hohe Zölle ein (z. B. hohe Zölle auf Importautos um sich gegen die Folgen des hohen Realkurses zu schützen). Auch Südkorea erhebt eine Steuer auf Kapitalzuflüsse.  Andere Staaten in  Südostasien wehren sich mit einer Quellensteuer. Indien führt noch keine Kapitalverkehrskontrollen durch. Chile interveniert am Devisenmarkt, um eine Aufwertung der eigenen Währung zu verhindern. Argentinien kann eine zu starke Aufwertung des Peso mit einer geschickten Geldpolitik vermeiden (wichtig für Exportboom, vor allem bei Weizen und Soja). Venezuela hat die zweithöchste Inflationsrate der Welt (2011 27,6%, importierte Inflation, Kapitalimporte, zweithöchsten Erdölvorkommen). Natürlich leiden auch die Währungen vieler Industrieländer wie Japan und die Schweiz (Franken ist Fluchtwährung). Aber die expansive Geldpolitik in den USA, Japan und der EU provoziert Gegenreaktionen der Schwellenländer. Der Wechselkurs wird politisiert. Wenn diese Blasen platzen, könnte eine Kettenreaktion ausgelöst werden (der Finanzsektor ist weiterhin sehr instabil).  Viele andere Staaten stehen vor ungelösten Problemen, was ihre Schulden angeht. So stehen Staatspleiten weiterhin im Raum.

Vieles in den Schwellenländern hängt von der Wirtschaft in den USA ab. Wie wird sich die lahme Wirtschaft entwickeln und wie kann der riesige Schuldenberg abgetragen werden? Aufgrund der Schuldenkrise in Europa hat eine Flucht der Investoren in die Schwellenländer eingesetzt. In China und anderen asiatischen Boomstaaten boomen Immobilienpreise, Aktienkurse und Wohlstandsversprechen. Welche Auswirkungen haben diese Blasen? Wie wird sich der Rohstoffboom in den Schwellenländern entwickeln? Dies sind viele offene Fragen.

Der rasche Aufstieg der Schwellenländer wird auch durch die Staats-Schuldenkrise der Industrieländer und die Euro-Krise begünstigt. Beinahe jedes westliche Industrieland muss um sein Rating fürchten, während die Schwellenländer ihre Kreditwürdigkeit weiter verbessern. Es wird zu gravierenden Machtverschiebungen in der Welt kommen, wobei Asien die Führung übernehmen wird (insbesondere China, Indien). Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten beiden Länder schon 50 Prozent des Welt - BIP. China will seine Währung freigeben. Der Renminbi, die chinesische Währung, ist auf dem Weg zur Weltleitwährung (10 Jahre?). Die Schwellenländer sind immer wieder im Mittelpunkt von Veranstaltungen (WS 11/12 in IBM(EA) (Internationale Finanzmärkte) und IHRM (Arbeitsmarkt, Personalwirtschaft). Die Schwellenländer werden immer mehr zur Lösung gravierender globaler Probleme eingesetzt. Ein wichtiges Forum sind hier die G20. China, Indien, Brasilien, Russland und Süd-Afrika kaufen (bzw. beabsichtigen dies) europäische Staatsanleihen, um den Euro zu stützen. Die Zentralbanken der Schwellenländer kaufen auch immer mehr Gold. Die Weltwirtschaft dürfte 2012 an Fahrt verlieren, so dass die Bedeutung der Schwellenländer weiter relativ zunehmen dürfte, da ihr Wachstum immer noch größer ist (vgl. ersten Absatz dieses Artikels). Wenn die Schwellenländer immer wettbewerbsfähiger werden, verlagern Unternehmen (auch aus Deutschland) immer mehr Produktion, Verwaltung und Forschung in diese Länder. Nach einer Studie des DIHK fördert die Produktion in anderen Ländern die Einstellung von Personal am Standort "Deutschland". Darauf hatte der SRW schon vorher hingewiesen (Exportfunktion!). 2013 machen die Exporte in Schwellenländer aus Deutschland heraus 16% aus. 2012 und 2013 sind die Geschäftsaussichten in den BRIC - Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) besonders gut. Der russische Gesamtexportwert betrug 2011 522 Mrd. $. Davon sind 70% Öl, Gas und Kohle. Der Anteil der Maschinen und Ausrüstungen liegt bei nur 5%.

Die Schwellenländer haben in der Regel gemeinsame Stärken und Schwächen. Zu den Stärken gehören der Rohstoffreichtum. Als Beispiel sei hier Indonesien genannt, das weltweit führender Produzent von Palmöl ist. Zudem werden dort Kohle, Kupfer, Erdgas und Eisenerz gefördert und exportiert. Als zweites Beispiel soll Mexiko genannt werden, das Öl, Gold und Silber exportieren kann. Eine andere Stärke ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit ein Handelsbilanzüberschuss. Dies trifft auf Südkorea zu: das Land ist der größte Hersteller von Frachtschiffen, Speicherchips und Flüssigkristallbildschirmen. Es gibt aber auch Länder, die große Schwächen in der Produktivität der Industrie haben, wie etwa Brasilien. Zu den weiteren Schwächen gehört meist die Infrastruktur. Doch hier wird stark aufgeholt. Als Beispiel seien Indien und die Türkei genannt. Bedrohlich ist, dass mit dem Wachstum auch die Ungleichheit in den Schwellenländern zunimmt. Die wachsende Mittelschicht fordert ihr Mitspracherecht ein (Dauerunruhen in Brasilien und Türkei).

Auf ihrem vierten Treffen 2012 im indischen New Delhi beschließen die BRIC-Staaten eine eigene Entwicklungsbank und internationale Börsenlistings und das Handelsvolumen in drei Jahren zu verdoppeln. Die deutschen Exporte in die BRIC-Staaten sind mittlerweile höher als in die USA. Aber Mitte 2012 scheint sich das Turbo-Wachstum der vier Schwellenländer zu verlangsamen, so dass sich auch deutsche Exporteure darauf einstellen müssen (die meisten Exporte gehen nach China vor Russland; Brasilien und Indien liegen weit dahinter). Gemessen an den Spitzenwerten des Wachstums wird es sich 2013 halbieren (China, von 14,2% auf 7,8%; Indien von 11,2 auf 5,6%), in Brasilien auf ein Fünftel (2,5%), in Russland auf ein Siebentel zurückfallen. Der lahmende Welthandel liefert nicht mehr genug Nachfrage für die Exporte. Die Schwellenländer stoßen mit ihren Wachstumsmodell des Basis-Effektes an ihre Grenzen (Unterkonsum, Überinvestition, Unterbewertung der Währung, hoher Exportanteil). Sogar die Währungen brechen 2013 ein. 2013 hat der brasilianische Real im Verhältnis zum Dollar um gut 20% abgewertet. Die näher rückende Verringerung der Geldmenge in den USA durch die Fed wirft ihre Schatten voraus. Hinzu kommt eine ausgeprägte Wachstumsschwäche, die auch China (7,5%) und Indien 2013 erfasst hat . Der chinesische Staatskapitalismus könnt trotzdem vielen Schellenländern oder angehenden Schwellenländern wie Peru, Vietnam oder Sambia als Modell dienen. Generell gilt für die Schwellenländer die Faustregel 6% Wachstum, um die Armut weiter zu reduzieren.

Der IMF senkt im Herbst 2013 zum sechsten Mal in Folge die Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft aufgrund der schlechteren Entwicklung in den Schwellenländern. 2014 wird deutlich, dass die Notenbanken, insbesondere die Fed, eine gewaltige Kreditblase in den Emerging Markets befeuert haben. Der Boom geht dem Ende entgegen, die Blase könnte platzen. Die Schwellenländer, die die Weltwirtschaft fünf Jahre gezogen haben, wanken. Solange nur die Türkei, Brasilien und Indien am stärksten betroffen sind, ist das Risiko für die Weltwirtschaft zu Beginn 2014 noch begrenzt. Diese Länder leiden darunter, dass die Aussicht auf höhere Zinsen in den USA die Investoren ihr Geld dort anlegen lässt. Kapitalverkehrskontrollen werden immer mehr in Betracht gezogen. Sogar die Währungen im Osten geraten 2014 mit in den Strudel. Vor allem der Rubel und der kasachische Tenge sind betroffen. Von einem weiteren Abstieg der Schwellenländer wäre auch Deutschland betroffen. Die deutschen Exporte in diese Länder machen 11,1% vom BIP 2013 aus (IWF). Vgl. auch meinen Artikel zum Abwertungswettlauf der Währungen, der genauere Daten über die Schwellenländer enthält.

Zu Beginn 2015 zeichnet sich eine globale Spaltung bei den Schwellenländern ab. Die großen Verlierer sind Russland und Brasilien. Russland wird von den Rating-Agenturen auf Ramschstatus heruntergestuft; der Rubel ist im freien Fall. Weil der Anteil der Rohstoffe an den Gesamtexporten 77% beträgt, leidet das Land besonders durch den Verfall des Erdöl- und Erdgaspreises. Davon ist auch Brasilien betroffen, bei dem 62% der Exporte Rohstoffe sind (die Automobilindustrie in Brasilien bricht auch ein). Spitzenreiter der Schwellenländer sind China, Indonesien, Nigeria, Indien. Mit Abstand folgen Mexiko und die Türkei. China entwickelt systematisch Parallelstrukturen gegenüber den globalen Einrichtungen (z. B. mit der NDB gegenüber der Weltbank). Das macht aber auch die Schwellenländer misstrauisch. Im August 2015 brechen die Frühindikatoren in China ein (z. B. Aktienkurs in Shanghai). Auch die Frühindikatoren der anderen führenden Wirtschaftsmächte brechen ein (USA, Deutschland, Japan). Die Währung in China wird drei Tage hintereinander abgewertet, um die Exportchancen zu verbessern. Am 25.08.15 senkt die Notenbank den Leitzins auf 4,6%. Daraufhin steigen die Aktienkurse wieder, Für Deutschland werden die Schwellenländer immer wichtiger. 40% der deutschen Exporte gehen in die Schwellenländer. 12 Jahre nach dem berühmten Report von Goldman Sachs mit dem Titel "Dreaming with BRICS" 2013 sieht die Zukunft der Schwellenländer wieder düsterer aus. Das wird aber auch irgendwann die Industrieländer treffen: 65% des Weltwirtschaftswachstums gehen auf die Schwellenländer zurück.

Die Automatisierung stellt die Schwellenländer vor enorme Herausforderungen. Es könnte zu einer Migrationswelle aus den Ländern heraus kommen (2016 Warnung des leitenden Weltbank-Ökonomin Inhira Santos). Im Mai 2016 gibt Foxconn in China bekannt, dass in nächster Zeit 60.000 Arbeitsplätze wegfallen. Die Löhne sind schnell angestiegen (Aufbau eines Sozialversicherungssystems). Gleichzeitig sind in den Schwellenländern die Staatskassen leer, sogar die Betroffenen nicht auf staatliche Unterstützung hoffen können. Der Staat müsste sich in den Schwellenländern auch mehr auf die Nicht-Industriebereiche konzentrieren. Die Landwirtschaft bietet große Potentiale durch Bewässerungssysteme und hochwertige Pflanzen. Die Menschen müssen besser für Jobs ausgebildet werden, die nicht durch Technologie ersetzbar sind.

Geschäftsmodell der Schwellenländer am Ende: Das Geschäftsmodell der Schwellenländer und ihr Erfolg beruhte vor allem auf niedrigen Löhnen. Dadurch kamen Direktinvestitionen in diese Länder, vor allem im arbeitsintensiveren Bereich. Viele Produktionsprozesse werden durch die Digitalisierung aber weniger arbeitsintensiv. Dadurch fällt der Standortfaktor Arbeitskosten bei ausländischen Direktinvestitionen nicht mehr so stark ins Gewicht. Der rapide technologische Wandel verändert Produkt- und Innovationszyklen rasant. Betriebe können ihre Produktion zurückholen. Bildung gewinnt wieder immer mehr an Bedeutung. Die ist aber in der Regel im Heimatland der Unternehmen besser. Im produzierenden Gewerbe kann Arbeit auch am leichtesten substituiert werden durch Roboter, Drucker und KI. Im Dienstleistungsgewerbe geht dies weniger schnell. Die Handelspolitik von Trump ab 2018 lässt auch die Direktinvestitionen in den USA ansteigen, so dass sie nicht in Schwellenländern getätigt werden können.

Aktuell 2016 ist die Lage der Schwellenländer sehr unterschiedlich. Politikverlierer wie die Türkei, Brasilien und Russland darben. Andere wie Indonesien, Philippinen, Indien und Mexiko boomen.  2015/2016 kommt es zu einer "Massenmigration" der Pensionskassen und Staatsfonds aus den Nullzinsnationen in die Emerging Markets. Staatsanleihen in lokaler Währung versprechen dort rund 6 Prozent Rendite pro Jahr. Attraktiv sind Mexiko (abzuwarten ist hier, wie sich der Wahlsieg von Trump auswirkt), Indonesien, Philippinen und Indien. 73% des Gesamtwachstums der BRICS-Gruppe dürften immer noch auf China entfallen, das das mit Abstand wichtigste Schwellenland bleibt. Insofern braucht die Welt auch ein starkes China. Der Zollstreit mit den USA, der mittlerweile zu einem Wirtschaftskrieg gekommen ist, dürfte China vorläufig etwas bremsen. Im Jahre 2017 droht einigen Schwellenländern eine Schuldenkrise. Der starke Dollar erhöht automatisch die Auslandsschulden (bei Mexiko kommen noch andere Gründe dazu). 2018 entwickeln sich die Schwellenländer mit Rückenwind: ein schwacher US-Dollar, starke Konjunkturdaten und gute Gewinnerwartungen stützen insgesamt die positiven Aussichten. Die Türkeikrise verunsichert dann aber Wirtschaft und Finanzmärkte. Die Probleme vieler anderer Schwellenländer verstärken sich: Russland wird abhängiger von Rohstoffen, China verliert durch den Handelskrieg mit den USA an Schwung, Indien leidet unter dem steigenden Ölpreis und der maroden Infrastruktur, Südafrika leidet unter Korruption, Argentinien hat eine hohe Inflation (auch Arbeitslosigkeit und Armut; Probleme der KMU; 300 Mrd. € Staatsverschuldung; Verfall des Peso), Brasilien leidet unter der hohen Staatsverschuldung und einer Staatskrise. Das Kapital fängt an, die Schwellenländer zu verlassen (nach der Finanzkrise war es gekommen, um den Zinssenkungen in den USA und der EU zu entfliehen). Ein Höhenflug des Dollars und Kursverfall der eigenen Währung verschärft die Verschuldungsproblematik der Schwellenländer. Auf dem Gipfel in Brasilia im November 2019 raufen sich die BRICS - Länder wieder zusammen. Brasilien und Indien wollen  höchstwahrscheinlich Huawei für ihre neuen G5-Netze einsetzen. Dafür verspricht China weitere Finanzhilfen. Brasilien leidet 2020 besonders unter dem schwachen Wechselkurs gegenüber dem Dollar (80,2 Real gegenüber 113,1 am 1. Februar 2019). Ebenso leidet die Türkei an einem Verfall ihres Wechselkurses gegenüber dem Dollar (87,7 Lira Mai 2020 gegenüber 110,8 Lira 2019). Ein Grund des Währungsverfalls ist, dass Investoren ihr Geld abziehen (100 Mrd. Dollar wurden 2020 abgezogen). Dann kommt es wieder mal zum Fluch der Dollar-Schulden. Darunter leiden auch andere Schwellenländer wie Südafrika, Mexiko und Argentinien. Aktuell betragen 2020 die Schulden der Schwellenländer 220 Prozent ihres BIP. Es droht ein Teufelskreis aus Abwertung, Kreditausfällen und Kapitalflucht. Die Zentralbanken in den Schwellenländern versuchen, den Wertverfall ihrer Währungen durch Interventionen am Devisenmarkt zu stoppen. Diese Situation verschärft sich 2022. Stark betroffen sind Brasilien, die Türkei und Nigeria. Die betroffenen Länder haben zwei gemeinsame Merkmale: hohe Bevölkerungszahl, geringes verfügbares Kapital für Investitionen. Hinzu kommen hoher Schuldenstand des Staates und der privaten Haushalte. Die Wirtschaft lief in Zeiten niedriger globaler Zinsen und stabiler Wechselkurse (Eldorado-Situation"). Das ändert sich durch Corona, den Ukraine-Krieg und die steigenden Leitzinsen. Die Zentralbanken versuchen weiterhin, den Devisenkurs gegen den steigenden US-$ zu halten. Vgl. Yalcin, Erdal: Schwellen- und Entwicklungsländer: Steigende Leitzinsen als Gefahr, in: Wirtschaftsdienst, h. 9/ 2022, S. 663.

Neue Märkte schaffen (in unterentwickelten Volkswirtschaften von Schwellenländern): Einige Länder sind derart unterentwickelt, dass dort keine verbraucherorientierten Unternehmen erfolgreich sein können. Gründer, die auf diesen Märkten Erfolg haben, konzentrieren sich auf marktbildende Innovationen. Sie erkennen Probleme, für die es bislang keine Produkte und Dienstleistungen gibt, schaffen regionale Arbeitsplätze und expandieren rasch. Dann gibt es auch einen sozialen Gewinn: Grenzmärkte leiden oft unter Korruption, schlechten Straßen, mangelnder Stromversorgung et cetera. Die wichtigsten Entwicklungsschritte lassen sich jedoch von marktbildenden Innovationen in Gang setzen - und mit der Zeit ziehen Regierungen und Finanzinstitute nach und bieten ihre Unterstützung an. Quelle: Christensen, C. M./ O Jomo, E./ Dillon, K.: Neue Märkte schaffen, in: HBM Juli 2019, S. 54ff. 2020 legt das ZEW in Mannheim eine Studie über die Attraktivität von Schwellenländern für Familienunternehmen vor: Am attraktivsten sind Russland, die Türkei und China (in dieser Reihenfolge). Schlusslicht ist Brasilien.

Abstieg der Schwellenländer ab 2020?: Die Corona-Krise bringt fast alle Schwellenländer in Schwierigkeiten. Die Niedrigzinsen haben auch dazu geführt, dass die Industriestaaten in Schwellenländer investiert haben. In Anbetracht der Probleme fließen Finanzen zurück. Von den BRICS - Staaten bleibt nur noch China übrig. Die Türkei und Süd-Afrika kränkeln. Indien hat kaum noch finanziellen Spielraum und wird zum Problemfall. Brasilien ist von der Pandemie überfordert. Wenn sich Schwellenländer Geld borgen, ist das sehr teuer. Die Lockdowns dünnen die Staatseinnahmen aus. Die Armut breitet sich weiter aus. Wann werden sich die Schwellenländer von diesem Einbruch erholen? Der starke Dollar und der Anstieg der Anleiherenditen setzt Länder wie Brasilien, der Türkei und Südafrika weiter zu. Es droht 2021 ein abrupter Abzug von Kapital. Die Währungen werden unter Druck geraten. hinzu kommt, dass sich die globale Arbeitsteilung wandelt: Die Erfahrung von Versorgungsengpässen in der Corona-Pandemie und sinkende Kapitalkosten verändern die globale Arbeitsteilung. Automatisierung und 3-D-Druck könnten nach Corona verstärkt an die Stelle unsicherer Lieferketten treten. Das wiederum könnte zum Problem der Entwicklungsländer und Schwellenländer werden. Sie brauchten ein neues Geschäftsmodell. Vgl. Losse, Bert: Roboter bekommen kein Corona, in: WiWo 23/ 4.6.21, S. 36f.

Zwischen Vision und Hybris (die Zukunft): Vor 20 Jahren 2001 prognostizierte der britische Ökonom Jim O `Neill (damals Chefvolkswirt von Goldman Sachs, er erfand der Begriff "BRIC") , dass Brasilien, Russland , Indien und China zügig zu den Industrieländern (G7) aufschließen würden. "Zügig" ist bis 2021 (nach 20 Jahren) nicht eingetroffen. China hat alle Erwartungen übererfüllt ("eigene Liga"). Indien könnte immer noch bis 2050 die Nummer 3 in der Welt werden. Brasilien hat ein verlorenes Jahrzehnt hinter sich. Die "Farm der Welt" ist zu abhängig von Agrarprodukten (Soja, Rindfleisch, Zucker, Kaffee, über 70% des Exportes) und schwierig einzuschätzen. Russland kommt trotz Rohstoffreichtums so recht nicht in Fahrt. Die Abhängigkeit von den Rohstoffen scheint sogar ein Fluch zu sein ("Holländische Krankheit"). Vgl. HB 30.11.21, S. 14ff.

Global Gateway der EU (gegen den Expansionskurs Chinas/ Seidenstraße): Im November 2021 entwickelt die EU einen 300-Milliarden-Plan (Global Gateway). Sie will das Geld investieren, um Infrastrukturprojekte weltweit 8in Entwicklungs- und Schwellenländern) zu fördern. Es ist Europas Antwort auf Chinas Seidenstraßeninitiative. Die EU will zu einem geopolitischen Akteur werden. 147 Mrd. € sollen von Europäischen Entwicklungsorganisationen wie der KfW kommen. Europa ärgert es besonders, dass bei den Ausschreibungen der "Belt and Road" - Initiative der Chinesen europäische Unternehmen so gut wie keine Chancen haben. Die USA sind mit ihrer Gegen-Strategie allerdings voraus ("Leuchtturmprojekte" beginnen schon Januar 22; "Build back better World"). Auch Japan will agieren. Im Rahmen der G7 sollen die Projekte verzahnt werden.  Vgl. HB 30.11.21, S. 1. Der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine könnte die Neue Seidenstraße massiv behindern. Diese Strategie setzt auf eine Konzeption von Eurasien. Wenn Russland isoliert ist und Länder in Osteuropa und Südeuropa von der EU nicht mehr abzuspalten sind (der Krieg eint die EU) wackelt die Konzeption. Vgl. Klein, Martin: Krieg in der Ukraine, in: Wirtschaftsdienst H. 3/ 2022, S. 157. Im April 2022 wird das Global Gateway-Projekt wieder belebt. Mit ihm will die EU ihren Einfluss in der Welt ausbauen (Entwicklungspolitik). Die stärkere internationale Vernetzung soll die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken. Es sollen auch demokratische Werte und Standards gefördert werden. Europa will China also Konkurrenz machen. Das ist eine Neuausrichtung der europäischen Entwicklungspolitik. Entwicklungshilfe soll mit politischem Nutzen verbunden werden.

Wo geht der Weg hin? Die BRICS - Länder waren mal die Hoffnung der Weltwirtschaft. 2023 ist eine genaue Entwicklung noch nicht absehbar. Russland führt Krieg in der Ukraine. China hält an der strategischen Allianz der Freundschaft mit Russland fest, möchte aber den technologischen Anschluss nicht verpassen und sich deshalb es sich nicht ganz mit dem Westen verderben. Man braucht den Westen für steigenden Wohlstand, ein Versprechen der KPCh. Brasilien und Indien taxieren selbstbewusst ihre Vorteile in einer neuen Weltordnung. Besonders Indien ist begehrter Handelspartner, um das Risiko in China (Angriff auf Taiwan) zu minimieren. Süd-Afrika macht gemeinsame Manöver mit China und Russland im indischen Ozean und lässt sich damit nicht mehr so einfach dem Westen zuordnen. Vgl. Haerder, Max u. a.: Vier zerrinnt, in: WiWo 9/ 24.2.23, S. 26ff. BRICS Plus heißt die Gruppe neu, die sich ab 2024 bildet (+ Iran, Saudi-Arabien, VAE, Ägypten, Argentinien, Äthiopien). Argentinien lässt selbst seine Mitgliedschaft erst mal ruhen.

 

Neue Ökonomie der Nachhaltigkeit ("Green Economy", Wachstum 2.0; vgl. auch economics/ special/ Umweltökonomik): In neuerer Zeit bevorzugt man den Begriff "Climate Economics" (so das Leitthema auf der VfS-Jahrestagung 2021).

Landwirtschaft am Li-Fluss im Süden Chinas bei Yangsuo (eine der schönsten und berühmtesten Landschaften Chinas; wird oft mit der Schweiz verglichen; Guilin mit dem Elefantenrüsselberg als Wahrzeichen ist  nächste Großstadt, subtropische Klimaverhältnisse). China ist auch heute noch in erster Linie Agrarland (am Li-Fluss wird Reis, Baumwolle, Tee, Obst und Gemüse angebaut; die Felder werden meist noch mit Wasserbüffeln bearbeitet). Aber die Agrarfläche geht in China  laufend durch das Vordringen der Wüste Gobi, durch Industrieflächen und Naturkatastrophen zurück. Schon kauft China Agrarflächen im Ausland, vor allem in Afrika und Südamerika. Die Kehrseite ist noch bedrohlicher: Wie soll die Erde eine KFZ - Dichte in China vergleichbar der Europas oder der USA bei heutiger Technologie aushalten? Die E-Autos mit weniger CO2-Ausstoß sind Notwendigkeit. Die Verschwendung von Natur durch die Industrie ist bedrohlich, wobei noch nicht die Umweltverschmutzung durch die Industrialisierung betrachtet wird. In den Großstädten geht mittlerweile die Angst um. Im November, Dezember und Januar nimmt die Luftverschmutzung dramatische Ausmaße an. In Peking z. B. liegen die Werte manchmal 40 Mal über dem Normalwert, so dass der dichte Smog die Gesundheit bedroht (Anstieg von Lungenkrankheiten und Allergien). Die Geldschwemme hat viele Landbewohner auch zum Bauen angeregt; viele scheitern, was der hohe Leerstand zeigt (verschandelt die Landschaft). In Guilin und in der Umgebung leben auch eine Reihe Minderheitenvölker, wie die Yao, die Miao und die Dong. Das ist ein Vorzeigeprojekt der Regierung für den Umgang mit Minderheiten (wird gerne Touristen vorgeführt, Probleme in anderen Minderheiten-Regionen werden verschwiegen).

"Wer Bäume setzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen", Rabindranath Tagore.

Nach 2010 treten immer massiver Anzeichen für den von Menschen verursachten Klimawandel auf. Die Menschen merken persönlich die Erderwärmung, sie erleben die zunehmenden Naturkatastrophen. Mit dem Pariser Klimaabkommen 2015 versucht die Welt dagegenzuhalten. Trotzdem gibt es noch Politiker und Länder, die den Klimawandel bestreiten (Trump, USA). Seit mehr als 35 Jahren trägt der Weltklimarat (IPCC) den Stand der Forschung zum Klimawandel zusammen (er hat Schwächen, neigt zum Aktivismus).

Kern des Klimawandels ist die CO2-Bilanz, Unsere Luft besteht aus Stickstoff, Sauerstoff und CO2. Normalerweise sollte der Anteil von CO2 (Treibhausgas) bei 0,04% liegen. Es wird also eine bestimmte Menge an Treibhausgasen benötigt. Allerdings steigt der Anteil beständig an und kumuliert sich. Dieser Anstieg beträgt etwa 37 Gt CO2/ pro Jahr weltweit. Der Mensch ist Hauptverursacher. Die Erde verkraftet aber nur einen bestimmten Anstieg (2 W/qm), um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad C zu begrenzen. Dieses Ziel ist im Pariser Klimaabkommen festgelegt. Wenn man nicht jetzt gegensteuert, werden die Kosten später sehr viel höher sein. Wenn die Erde sich stärker erwärmt, schauleön sich die extremwerte der planetaren Wellen auf (meandrieren). Die Omega-Wetterlagen häufen sich (Hochs und Tiefs bleiben länger an einer Stelle). Die Folge sind Naturkatastrophen in Form von Dürre, Starkregen und Orkanen.

2017 sah der deutsche Energiebedarf wie folgt aus: Mineralöl 34,1%, Erdgas 23,5%, Steinkohle 10,8%, Braunkohle 10,9%, Kernenergie 6,8%, erneuerbare Energien 12%. Der Energiefluss besteht aus vier Sektoren: Industrie, Verkehr, Haushalte und Handel/ Dienstleistungen. Der größte Hebel besteht bei der Wärme in diesen Sektoren. Deutschland will seinen Energiebedarf stärker auf Erneuerbare Energien umstellen. Quellen sind vor allem Wind und Sonne. Windräder kann es offshore und onshore gaben. Probleme bereiten Naturschutz, alternative Nutzung (Agrarflächen) und Lärmbelästigung. Sonne (Photo-Voltaik, PV) kann auf Dächern oder in Freiflächen wirken (Solaranlagen). Das größte Problem besteht aber in der Speicherung. Während früher die Kurzzeitänderungen im Mittelpunkt standen, geht es heute um einen längerfristigen zeitlichen und räumlichen Ausgleich (z. B. Elektrolyseure). Dazu müssen die Investitionen stark erhöht werden. 

Woher soll das Geld bzw. die Finanzierung dafür kommen? Einmal müssen die vier großen Oligopolisten EnBw, Eon, RWE und Vattenfall mitmachen, die auch über die Netze verfügen. Es müssen aber auch neue Akteure auftreten (Genossenschaften). Die Bundesregierung will auch Öko-Anleihen auflegen. Entscheidende Anteile an der Finanzierung dürften aber auch eine CO2-Steuer oder Zertifikate haben. Die Steuer wirkt nur national und Wettbewerbsverzerrungen müssten durch Klimazölle ausgeglichen werden. außerdem müsste es einen sozialen Ausgleich geben. Zertifikate wirken brauchen oft zu lange, um ihre Wirkung zu entfalten. Außerdem sind sie schwieriger zu kontrollieren.

Wichtig ist immer eine globale Ausdehnung der Instrumente. Beim Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 führen die USA. Deutschland liegt auf Platz 6; hat aber insgesamt weltweit einen Anteil von 2%. Beim Gesamtausstoß führen die USA, China und Indien. Also funktioniert die Rettung der Welt nur über diese Staaten.

Nachhaltigkeit (Sustainability): im Kern die schonende Nutzung der Produkte eines regenerierbaren natürlichen Systems in einer Weise, dass dieses im Wesentlichen erhalten bleibt und sein Bestand nachwachsen kann. Die Idee ist ca. 300 Jahre alt und wurde erstmals von Carl von Carlowitz (1645-1714) in seinem Werk "Sylvicultura oeconomica" (1713) formuliert. Er ist der Vater der Forstwirtschaftslehre und lebte in Freiberg, Sachsen. Danach wird ein Wald nachhaltig genutzt, wenn nur so viel Holz eingeschlagen wird, wie nachwächst. Bereits im 15. Jahrhundert findet sich der Begriff in Forstordnungen (Speyer 1442). Heute ist der Begriff ein Modewort, der auf viele Bereiche angewandt wird.

Mittlerweile hat die Konzeption der Nachhaltigkeit auch Einzug gefunden in viele Spezialgebiete der Ökonomie: In der Volkswirtschaftslehre geht es einmal um die Modifikation der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Das Bruttonationaleinkommen eignet sich nur bedingt als Indikator für Wohlstand. Die Haushaltsproduktion, ökologische und soziale Aspekte, Ehrenamt, Arbeit für die Familie und Schwarzarbeit finden keine Berücksichtigung. Die Siglitz - Kommission (mit Sen) hat 2009 Empfehlungen gemacht, wie Wohlstand und Lebensqualität besser zu ermitteln sind. Diese Vorschläge greifen Ende 2010 die Wirtschaftsweisen in Deutschland und Frankreich auf. Sie schlagen keine weichen Faktoren wie "Happiness", aber die Aufnahme von "Lebensqualität" und "Nachhaltigkeit" vor. Im Januar 2011 nimmt eine Bundestagskommission zur Wohlstandsmessung ihre Arbeit auf. Sie ist mit 17 Abgeordneten und 17 Wissenschaftlern besetzt. Zum anderen ist Nachhaltigkeit der Kernbegriff der Umweltökonomik. Im Zusammenhang mit knappen Ressourcen, insbesondere Energie, lenkt der Begriff hin auf eine Diskussion über neue Wirtschaftsformen. Nicht erneuerbare Ressourcen, die Effizienz der Industrieproduktion, Nahrungsmittel und Umweltbelastung sind begrenzt, es wächst nur exponentiell die Weltbevölkerung (Im Jahre 2030 etwa Maximalwert). Also geht es um ein "Wachsen ohne Wachstum" (vgl. gleichnamiges Buch von Willi Fuchs, München 2011). Über Innovationsdruck und Markteinführungshilfen sollten weiterhin die "grünen" Produktionsbereiche ausgebaut werden. Die kapitalistische Wirtschaft soll zu einer nachhaltigen Wirtschaft transformiert werden (ökologische Grenzen aufzeigen, wachstumstreibende Institutionen umbauen, Politik anpassen). Die wirtschaftliche Dynamik soll soziale und ökologische Gerechtigkeit zusammenführen. Zum Dritten steht Nachhaltigkeit  in diesem Sinne für Zielharmonie. Z.B. wird häufig die gleichberechtigte Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Belange als "nachhaltig" bezeichnet (im engeren Sinne "Green Economy").

In der Betriebswirtschaftslehre wird auf die langfristige Orientierung ökonomischer Entscheidungen (Langzeitökonomie) hingewiesen im Unterschied zu der Quartalsorientierung vieler Unternehmen ("shareholder value"). Zurzeit kommt der Druck auch von den Kapitalgebern auf die Unternehmen, Nachhaltigkeit als Maßstab (natürlich auch ökologisch) zu setzen. So wird es als Wert und als Maßstab für Erfolg etabliert. Weiterhin zwingt die Ressourcenknappheit (s. o.) dazu, die Lebensdauer von Gütern zu verlängern bzw. zu verdoppeln. Also sind Produktion und Marketing zu einer Umkehr gezwungen. Weltunternehmen wie Panasonic in Japan und Bosch in Deutschland generieren mittlerweile schon 40 Prozent ihres Umsatzes mit "grünen" Produkten (Energieeffizienz, erneuerbare Energie, Green- and Cleantech). Aber auch erfolgreiche mittelständische Unternehmen wie Stiebel-Eltron oder Vaillant profitieren erheblich. "Es gibt keine bewerte Skala zur Messung des sozialen Bewusstseins von Konsumenten", Ingo Balderjahn, Uni Potsdam.

Eine besondere Rolle spielt der Begriff "Nachhaltigkeit" in mittelständischen Unternehmen. Hier wird er oft im Zusammenhang mit Familienunternehmen gebraucht. Im engeren Sinne wird der Begriff häufig auf die Nachfolge zugespitzt. Er kann aber auch umfassender im Mittelstand strategisch und ökologisch verwendet werden oder die gleichzeitige Berücksichtigung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten meinen. So wird nach der Finanz- und Weltwirtschaftskrise darauf verwiesen, dass der Mittelstand mit seiner Nachhaltigkeit für den schnellen Wiederaufstieg Deutschlands entscheidend verantwortlich sei. Nachhaltigkeit kann speziell sozial sein (social compliance - Erhalt langfristiger Beziehungen) oder auch finanziell (Erhöhung des Eigenkapitals, um die Abhängigkeit von Krediten zu verringern, Lösen von den Banken) sowie technologisch (optimale Anpassung an die Digitalisierung).

Die  Naturkatastrophe in Japan 2011 mit Erdbeben, Tsunami und Explosion von Atomkraftwerken hat die Diskussion über Nachhaltigkeit weltweit verstärkt (160.000 Menschen wurden evakuiert; der Ort bleibt hoch verstrahlt). Viele technische Risiken sind doch nicht beherrschbar. Die Atomkraft scheint gescheitert zu sein ("Brückentechnologie" wie lange?). Die Endlagerung des Atommülls erfolgt auch auf Kosten nachfolgender Generationen und nimmt ihnen Lebenschancen. Für die Nachhaltigkeit der Atomkraftwerke sprechen ökonomische Kriterien (hängt aber von den Bewertungskriterien ab: Bewertung der Risiken! Versicherungen finden sich nicht) und Klimagründe. Mittlerweile (ab 2018) bietet der Betreiber in Japan (Tepco) eine virtuelle Tour durch die Atomkatastrophe an. Es ist eine Mischung zwischen Eigenwerbung, Information und Voyeurismus.

Die damalige Ausgangsposition: Die Katastrophe wird sich auf die Weltwirtschaft auswirken: Entscheidend ist der weitere Verlauf, d.h. ob die Wolke nach Tokio zieht (dann würde die Wirtschaft lange stillstehen). Japan könnte aus USA-Staatsanleihen rausgehen ( in der EU auch 800 Mrd. $) und das Geld im Land verwenden. Die Notenbank soll bereits 200 Mrd. € in die Märkte gepumpt haben (insgesamt sollen die Kosten bei 400 Mrd. Euro liegen). Dies würde zu einer Aufwertung des Yen führen und die USA wären betroffen. Die Aufwertung des Yen wird durch Spekulationen verstärkt. Die führenden Notenbanken (G7) wollen auf eine Abwertung des Yen hinwirken, damit japanische Exporte erleichtert werden. Die Konjunktur in China könnte stark in Mitleidenschaft gezogen werden, weil viele Zulieferteile aus Japan kommen (Chips, Silizium, Displays, Autolacke). Insgesamt dürften weltweite Wertschöpfungsketten Lücken bekommen. Japan wird einen Rückgang des BIP erleben (1. Quartal 2011 -0,9%). Die Stromausfälle und Lieferunterbrechungen führen zu einer Rezession.  Im Sommer 2011 könnten sich die Stromengpässe verstärken (Klimaanlagen, Einspargesetz). Insbesondere die Automobilindustrie ist betroffen. Toyota wird 2011 seine Weltmarktführerschaft verlieren (Produktion in Japan -60%). Es wird eine Verschärfung an den Rohstoff- und Energiemärkten eintreten. Natürlich gehen zuerst die Aktien- und Rohstoffkurse in aller Welt nach unten und zeigen Konjunkturängste (an den zehn größten Börsen sofort -440 Mrd. € Kapital). Wahrscheinlich wird es weltwirtschaftlich eine leichte Wachstumsverlangsamung geben (0,8%?). An allen deutschen Exporten hat Japan einen Anteil von 1,4% (deutsche Importe aus Japan 2,8%). Nur 0,1% aller Nahrungsmittel in Deutschland sind Importe aus Japan. Je länger die Produktion in der Region Fukushima stockt, desto mehr wird sich auch die Wettbewerbsposition der Unternehmen dort verschlechtern (neue Sublieferanten). Japans Fischer, Bauern und Hersteller von Lebensmitteln bangen um ihre Existenz. Auch der Reiseverkehr nach Japan bricht dramatisch ein. Der damalige Premierminister aus Japan, der über die Katastrophe später ein Buch geschrieben hat, führt darin eindrucksvoll aus, wie nah Japan damals am Rande einer Katastrophe war. Er schilderte das auch bei einem Besuch im Ostasieninstitut der Hochschule Ludwigshafen. Acht Jahre nach der Katastrophe 2019 machen sich die Menschen Sorgen, welches Gemüse essbar ist. Wie hoch sind die Krebsrisiken? Menschen haben ein eigenes Testlabor eingerichtet. Denn der Regierung glauben sie nicht (Pilze sind aus jeder Küche verbannt, Kaori). Vor allem Schwangere haben Angst.  "In Japan gibt es eine Art Konsens, dass wir unsere Abhängigkeit von Nuklearenergie verringern wollen", Goshi Hosono, Energieminister Japans 2011.

Insgesamt sollten auch in der ökonomischen Theorie Nachhaltigkeitskonzepte eine größere Rolle spielen. Immer mehr Ökonomen wollen von Biologen lernen, wie komplexe Netzwerke in der Natur, so genannte Ökosysteme (Bienenstöcke, Ameisenhaufen),  funktionieren. Die meisten bestehenden Theorien sind zu sehr auf Optimierung ausgerichtet (z. B. Spieltheorie). Die Harmonie zwischen Ökonomie und Ökologie wird neuerdings wieder in Frage gestellt. Viele sehen die Gefahr, dass diese Formel gebraucht wird, um die Dauerpriorisierung der Wachstumsziele zu zementieren (vgl. Schluss mit der Harmonie, in: Die Zeit, Nr.5, 26.01.2012, S. 27). 

Eine neue, ökologische Ökonomie müsste folgende Kriterien erfüllen: 1. Die ökonomischen Ziele als solches müssen in Frage gestellt werden (insbesondere Wachstum). 2. Die Messkonzepte müssen verändert werden (bis heute misst die Weltbank Naturkapital nicht in Hektar, Biodiversität, Sauberkeit, sondern in Form von Einnahmen aus ihrer Nutzung). 3. Ein konsequentes Bezahlen für Umweltverbrauch muss gewährleistet sein. 4. Die Integrationsformel für Umwelt und seine Fassung im Drei-Säulen-Modell haben die Kernprobleme verschleiert. 5. Lebensqualität muss stärker einfließen. 6. Die Grenzen sind erreicht, so dass einen neue Utopie der Ökonomie gebraucht wird. Vgl. Maja Göpel: Das Ende des Homo oeconomicus, in: Futur zwei, Nr. 5/ 2018, S. 14ff. Frau Göpel ist Mitglied des Club of Rome (vgl. auch: Dies.: The Great Mindshift, 2016/Springer). Es muss auch konsequent definiert werden, welche Natur geschützt werden soll. Es muss ein ökologisch definierter Rahmen des volkswirtschaftlichen Strukturwandels geschaffen werden. Degrowth und freiheitliches Wirtschaften gehen nicht zusammen. Vgl. Michael Hüther: Marktwirtschaft + Öko, in: Futur zwei, 5/ 2018, S. 30f.

In der Politik in Deutschland gibt es in den letzten Jahren einen Trend zu den Grünen hin. Bei der Europawahl 2019 erzielen die Grünen ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl und sie werden zweitstärkste Kraft in Deutschland (20,7%) vor der SPD und nach der CDU/CSU.  Im Europaparlament büßen Konservative und Sozialdemokraten ihre Mehrheit ein. Auch bei den Kommunalwahlen in einigen Bundesländern (unter anderem RLP und B. - W.) erobern die Grünen viele Großstädte und Kommunalparlamente. Der Klimawandel ist zu einem dominierenden gesellschaftlichen Thema geworden, auch durch die heißen Sommer und die Jugendproteste ("Friday for Future"). Bei der jungen Generation (Generation Z) steht in vielen Ländern der Klimawandel im Mittelpunkt. Die Bundesregierung schnürt im Oktober 2019 ihr Klimapaket, um die Ziele des Pariser Klimabkommens von 2015 bis 2030 zu erfüllen. Experten kritisieren den angesetzten CO2-Preis für die Zertifikate als viel zu niedrig ein.

Der Klimawandel kann nur durch internationale Kooperation gestoppt werden. Insofern kommt dem Pariser Abkommen entscheidende Bedeutung zu. Implikationen von Paris für die Klimapolitik: Auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 wurde beschlossen, in der zweiten Hälfte des 21. J. das Stadium der Klimaneutralität zu erreichen. Das schafft man aber nur, wenn die Maßnahmen des Klimaschutz nicht auf einzelne Länder konzentriert bleibt,. Als ein solch globales Element bietet sich der Emissionshandel an als effizientes Instrument. Dazu müsste der CO2-Preis global vereinheitlicht werden, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen und Verlagerungen von CO2-emissionen (Carbon Leakage) kommt. In diesem Zusammenhang wird auch die Einführung einer CO2 - Steuer gefordert. China ratifiziert das Abkommen im September 2016 (20% aller Umweltverschmutzung). Ebenso die USA (17,9%). Damit steigt im September 2016 die Zahl der beigetretenen Länder auf 26. Mindestens 55 Länder müssen zum Inkrafttreten dabei sein. Sie müssen zusammen mindestens 55 Prozent der weltweiten Treibhausgase produzieren. Die EU wird gemeinsam ratifizieren. Das kann dauern. Man muss sich noch über die Verteilung einigen. Die EU-Umweltminister einigen sich aber am 30.09.16 über einen Weg. Daraufhin stimmt das EU-Parlament für die Ratifizierung. 7 Länder folgen China und den USA. Auf der UN-Vollversammlung am 21.09.16 folgen weitere 31 Länder. Der Bundestag ratifiziert am 22.09.16. Die bis September 2016 beigetretenen Länder decken 48% der weltweiten Emissionen ab. Am 25.09.16 gibt Indien (drittgrößter CO2-Emittent) bekannt, das Abkommen zu unterzeichnen. Damit könnte der Klimavertrag relativ früh in Kraft treten. Unter Trump treten die USA wieder aus.  Biden tritt nach Amtsantritt sofort wieder ein.

Die logische Struktur einer erfolgreichen Klimapolitik zur Rettung der Erde lässt sich aufzeichnen. Vgl. zu Beispiel die gute Darstellung in folgendem Buch: Bill Gates: Wie wir die Klimakatastrophe verhindern. Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind, München (Piper) 2021. Um die globale Erwärmung zu stoppen und den Klimawandel zu verhindern, müssen die Menschen aufhören, der Atmosphäre Treibhausgase zuzuführen. Gates beschreibt konkret die Werkzeuge, die wir heute dazu nutzen können: Stromerzeugung, Industrieproduktion, Landwirtschaft, Transport und Verkehr, Kühlen und Heizen. Er hat auch einen Plan zur Dekarbonisierung. Er geht auch auf fünf konkrete Fragen ein: 1. Um welchen Anteil dieser 51 Mrd. Tonnen geht es? 2. Welchen Plan haben wir für Zement? 3. Von wie viel Leistung reden wir? 4. Wie viel Platz braucht das? 5. Wie viel wird das kosten? Doch auch hier bleibt die Lücke einer internationalen Umsetzung und Kontrolle.

Die Corona-Krise 2020/ 2021 und der Ukraine-Krieg mit seinem Wandel der Energiepolitik, aber auch die steigenden Naturkatastrophen und Hitze- bzw. Dürreperioden, verstärken 2022 das Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Europa ist auf dem Weg in die Klimaneutralität bis 2050 (USA auch, China 2060). Die Klimapolitik der Gemeinden ist im Brennglas (Ausgleichszahlungen für Flugreisen, Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden,  Umstellung der Fahrzeugflotte auf  Elektrofahrzeuge, Radschellwege). Bund und EU wollen schneller Solar- und Windenergie ausbauen. Der Kohleausstieg soll 2030 kommen (wegen der Energiekrise verschoben). Deutschland ist auf dem Wege in die sozial-ökologische Marktwirtschaft. Vgl. Wambach, Achim: Klima muss sich lohnen, Freiburg/ Basel/ Wien 2022

Grundstruktur des Klimaproblems: Klimawandel zeigt sich in Kipppunkten, Rückkopplungen und der Erderwärmung. Hauptursache ist Kohlenstoff (CO2). Daneben spielt auch die Bevölkerungsentwicklung eine Rolle. Nahrung und Rohstoffe werden knapp. Der zunehmende Konsum gefährdet zusätzlich. Folgen zeigen sich in der Atmosphäre (Stürme, Ozonloch), an Land (Artensterben, Feuergefahr), in Ozeanen (versinkende Inseln, bedrohte Riffe, Überfischung). Umweltverschmutzung hat seinen Preis. Es gibt umfangreiche Lösungen, die oft zu wenig ergriffen werden (saubere Technologien, alternative Energien). Ohne Änderung des individuellen Verhaltens  geht nichts (global denken, lokal handeln; grün essen, Verkehrswende). Vgl. Gifford, C./ Hooke, D./ Levy, A./ Berhout, F.: Simply Klimawandel, München 2023.

 "Das Bedürfnis nach einer neuen Form ökonomischen Denkens ist drängender denn je", Joseph Stiglitz 2011 (zitiert nach Handelsblatt vom 22.0811, S. 20).

 

Analyse von Wirtschaftsordnungen (Modelle und Realität heute: Markt- und/oder Staatskapitalismus; Nordamerika/ Europa vs. China):

Chinesisches Haus (Teehaus) im Schlosspark Oranienbaum bei Dessau/ Wörlitz (vielleicht das erste derartige Haus im deutschsprachigen Raum; im Schloss Wörlitz gibt es auch ein chinesisches Zimmer). Der Englisch-Chinesische Garten in dieser Geschlossenheit ist nur selten in Mitteleuropa anzutreffen. Im anliegenden Schloss  lebte eine Oranier-Prinzessin, die Ende des 17. Jh. in die Fürstenfamilie Anhalt - Dessau einheiratete. In den darauf folgenden zwei Jahrhunderten hatte China in der Realität den Anschluss an die Weltwirtschaft verpasst und wurde von Europa dominiert (teilweise Kolonien). So wurden in dieser Zeit auch ökonomische Ordnungs- und Lenkungselemente aus Europa übernommen. Erst mit Mao änderte sich die Ausrichtung der Wirtschaftsordnung zur zentralen Planwirtschaft mit dem Ziel Autarkie (Marxismus in der Praxis wurde von Russland übernommen; ursprünglich wegen der Agrarausrichtung Chinas für nicht relevant gehalten).

"Solange du dem anderen sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist du weitab vom Weg der Weisheit", aus China.

Für die ökonomische Betrachtung von Ländern wie China und Japan ist der Umgang mit Wirtschaftsordnungen fundamental. "Die Wirtschaftsordnung stellt das längerfristig stabile Rahmenwerk dar, innerhalb dessen private Haushalte und Unternehmen ebenso wie staatliche Stellen wirtschaftliche und die Wirtschaft steuernde Entscheidungen treffen" (Dr. R. Osterkamp, Ifo-Institut, München).  Merkmale sind Normen, gesetzliche Tradition, Unternehmensumfeld, Produktmarktregulierung, Soziale Sicherung, Arbeitsmarkt, Öffentlicher Sektor. Problematisch ist die Beurteilung des Erfolgs. Die Operationalisierung von Erfolg und Erfolgsdeterminanten  hängt stark mit den Ergebnissen zusammen und ist auch von Maßstäben abhängig (Lebensstandard, Glücksforschung). Damit sind Systemmodelle und Systemvergleiche immer problematisch. Beispiele: Bildung ist sehr wichtig, kann aber auch privat finanziert werden. Wirtschaftswachstum, z. B. in China, hat starke Basiseffekte. Ungleichheit ist extrem schwer zu messen. Ungeklärt ist auch, ob typische Probleme immer notwendigerweise mit einem System verbunden sind. Ein gutes Beispiel ist die Planwirtschaft mit ihren Engpässen. Lässt sich das immanente Problem, dass Unternehmen das Gesetz brechen können, dass die Einnahmen die Kosten nicht decken müssen (weil der Staat schützt), lösen? Die Kosten müssen also nicht an Output und Nachfrage angepasst werden.

 Als Vergleichsmaßstab ("Benchmark") werden oft die eigene Volkswirtschaft als Modell oder Pauschalmodelle wie das "angelsächsische" (geringe Staatsquote, geringe Steuerbelastung) oder "skandinavische" (hohe Staatsquote, hohe Steuerlast) genommen. Eine Langzeitstudie zeigt 2010, dass stattliche Eingriffe in Wirtschaft und Arbeitsmarkt (Sozialstaat) mehr bringt als bislang gedacht (Survey of Health, Ageing and Retirement, Share; seit 2004 in 13 europäischen Ländern). Hinzunehmen könnte man noch die theokratisch dominierten Volkswirtschaften (z. B. islamische Länder).

Als Beurteilungsraster für Wirtschaftsordnungen dient in der Regel folgende Aufteilung: Lenkungssystem (dezentral, zentral), Eigentumsordnung (Volkseigentum, Privateigentum, Genossenschaftseigentum), betriebliche Ergebnisrechnung (Gewinn, Planerfüllung), Preisbildung (Markt, staatliche Preisfestsetzung bzw. Preispolitik).

Die Wirtschaftsordnungen von China und Japan sind kurz auf der Ostasienseite dargestellt (Links: Wirtschaftsordnung China, Japan). Eine der letzten Planwirtschaften, Cuba (auch noch Nord-Korea), stellt sein System durch Reformen um: es soll eine gemischte Ökonomie mit mehr Privatinitiative entstehen. Alle vorhandenen Wirtschaftsordnungen sind aber Mischsysteme, die dynamisch sind. Der Systemwettbewerb geht weiter. Die finanzkapitalistische Marktwirtschaft angelsächsischer Prägung konkurriert mit den sozialen Marktwirtschaften in Europa und Japan. Alle müssen das Erfolgsmodell VR China im Auge behalten, wo ökonomisch erfolgreich ein kapitalistisches Wirtschaftssystem mit einer kommunistischen Diktatur kombiniert wird (könnte 2012 die USA im BIP nach Kaufkraftparität überholen, ist auch international immer expansiver, z. B. in Südamerika und Afrika). Vieles ist an China auch untypisch: laut IWF liegen die Staatsausgaben bei rund 23% des BIP (Platz 147 von 183 Ländern, Deutschland 48%). Manchmal wird in der Fachliteratur auch allgemein vom asiatischen Modell gesprochen. Da oft auch die Wirtschaftskraft eines Landes, also das Bruttoinlandsprodukt, als Erfolgsindikator des Systems gesehen wird. macht sich die Eindimensionalität dieses Indikators besonders bemerkbar. Insofern müsste man Menschenrechte, Glück, Lebensqualität u. a. aufnehmen, wie es eine UN-Kommission (Sen, Stiglitz) auch vorgeschlagen hat. Entscheidend für die Beurteilung der Wirtschaftsordnung dürfte aber die gerechte Verteilung des geschaffenen Wohlstands sein (hier scheint der Staatskapitalismus immer mehr aufzuholen). Zunehmend werden auch Faktoren wie "Rohstoffe", "Menge an qualifizierter Arbeit" und "Infrastruktur" in die Betrachtung einbezogen. Ein Klassiker auf dem Gebiet der Wirtschaftsordnung ist das Buch "Ludwig von Mises, Die Gemeinwirtschaft: Untersuchungen über den Sozialismus, 1922". In diesem Buch rechnet von Mises mit der Planwirtschaft ab. Der Sozialismus müsse scheitern, weil die Preise von staatlichen Instanzen gesetzt werden und nicht die tatsächlichen Knappheiten widerspiegeln.

Aktuell wird die Diskussion um Wirtschaftsordnungen durch die Frage nach den Rahmenbedingungen für die Wirtschaft eines Landes verdrängt. 2011 geht es beim Munich Economic Summit um dieses Thema. Während die USA wieder mehr Aufgaben auf den Staat verlagern wollen, fordern Länder in Europa den schlanken Staat. In die Diskussion mischt sich auch die "Occupy Wall Street" - Bewegung ein. Graeber, einer der führenden Köpfe, spricht von Kamikaze-Kapitalismus und versucht das Bild einer anderen menschlichen Gemeinschaft zu entwerfen (Mischung von Kommunismus und Marktwirtschaft; Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus, München 2012). Die Fraser Institute messen die wirtschaftliche Freiheit in der Wirtschaftsordnung empirisch. 2013 liegt Hongkong an der Spitze vor Singapur und Neuseeland.  Deutschland liegt auf Platz 19. Der Grad der ökonomischen Freiheit wird vor allem in folgenden Kategorien gemessen (10 Punkte= höchste Freiheitsstufe): Umfang der Staatstätigkeit, Arbeitsmarktregulierung, Unternehmensregulierung. "Wie wollen eine qualitative Veränderung der Wirtschaftsordnung erzeugen", Giorgos Kallis, Autonome Uni Barcelona.

Als Schöpfer der Wirtschaftsordnung in Deutschland gilt Ludwig Erhard (1897-1977). Erdacht hat er das Konzept nicht, aber er setzte es um. Der Staat muss dafür sorgen, dass Monopolisten den Wettbewerb nicht kaputt machen und Jeder in der Lage ist, seinen eigenen Wohlstand zu erwirtschaften. Ohne den ordnenden Staat funktioniert eine Wirtschaftsordnung nicht. "Demokratie und Freie Marktwirtschaft gehören ebenso zusammen wie Diktatur und Staatswirtschaft", Ludwig Erhard. Schon als Wirtschaftsverwalter der westlichen Besatzungszonen 1948 ließ er im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Währung fast alle Preisvorschriften streichen. Als erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik wachte er über das Wirtschaftswunder.

Als genialer mathematischer Nachweis, dass die Überlegungen von Adam Smith über die unsichtbare Hand tatsächlich korrekt waren, gelten die Arbeiten von Kenneth Arrow und Gerard Debreu. Seit dieser Beweis in den 1950er Jahren veröffentlicht wurde, diente er dazu, die Behauptungen totalitärer Regimes zu widerlegen, dass Zentralverwaltungswirtschaften produktiver und effizienter als Marktwirtschaften arbeiten würden. Es gibt aber auch andere grundlegende Arbeiten zur sozialistischen Wirtschaft. Kritisch und andere eher wohlwollend. Vgl. Kornai, Janos: Economics of Shortage, 2 Bd. , Amsterdam 1980. Mises, Ludwig von: Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Genf 1940.

Das China-Modell als Beweis für die Überlegenheit das Staatskapitalismus?  China besitzt ein Mischsystem der Wirtschaftsordnung; ein Teil ist privat- bzw. marktwirtschaftlich organisiert, ein Teil besteht aus Staatsunternehmen, die von der KPC gelenkt werden. Insgesamt gibt es ein Zusammenspiel von starker Zentralregierung, mächtigen Staatsunternehmen und weitsichtiger Industriepolitik. Viele machen dieses Modell für das rasante Wachstum in den letzten 40 Jahren verantwortlich. Es gibt auch auch Kritiker dieser Analyse. Der renommierte Ökonom Zhang Weiying (Ökonom des Jahres 2002, Peking Uni) kommt zu dem Schluss, dass ,wo der Staat sich zurückzieht und Privatunternehmen vorangehen, die Wirtschaft schneller wächst (vgl. Zhang Weiying: Die Mär vom China-Modell, in: Die Zeit 15. November 2018, S. 26; der Originalartikel auf der Homepage der Uni wurde gelöscht). Heute ist im Systemwettbewerb die Angst vor China normal. Die Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland und Europa als Variante existierte, gilt nicht mehr als unschlagbar. Vor allem die großen Internetgiganten aus China dängen sich immer mehr in den Vordergrund (Alibaba, Tencent, Baidu). Digitale Güter können, einmal produziert, in unendlicher Zahl und weltweit an alle Menschen verkauft werden (Plattformkapitalismus). Ungeheuer hohe Summen an Wagniskapital werden in China und den USA (130 Mrd. Dollar 2018 in den USA)  eingesetzt, in Deutschland waren es nur fünf Mrd. Ein neutraler Rechtsstaat als Hüter der Marktwirtschaft gilt nicht mehr unbedingt als die beste Lösung. Industriepolitische Strategien gewinnen die Oberhand. So stellt sich immer mehr die Frage, ob Marktwirtschaft und Demokratie im Systemwettbewerb mit der staatlich gelenkten Kontrollwirtschaft mithalten können. Viele sprechen sogar von einer Art "Sputnik-Schock" und nennen ihn "Xi-Jinping-Schock". Als immer anfälliger erweist sich in den Demokratien der Wahlzyklus, weil er auch noch leicht zu manipulieren ist (Beispiel Brexit). Der Staatskapitalismus hat drei wichtige Vorteile: Er ist strategischer (nach innen mit "Social Scoring", nach außen mit dem Seidenstraßenprojekt). Er verbindet und löst alle Gegensätze zwischen Wirtschaft, Staat und Politik mit der KPC als "Krake" auf. Er sorgt für ein in sich geschlossenes Werte und Ideensystem aus einer Verbindung von Konfuzianismus und Marxismus. "Planung und Marktkräfte sind nicht der wesentliche Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Planwirtschaft ist nicht die Definition von Sozialismus, da es Planungen auch im Kapitalismus gibt. Marktwirtschaft findet auch im Sozialismus statt. Planung und Marktkräfte sind Wege zur Kontrolle der Wirtschaftstätigkeit", Deng Xiaoping. Die Idee war nicht neu: Theoretische Vorläufer waren Enrico Barone (1859 - 1924) und Oskar R. Lange (1904 - 1965).

Was ist Staat und was ist Kapitalismus? "Kampf zweier Linien", Mao Tse-tung. Ein Arbeitspapier des World Economic Forum 2019 prüft die Rolle des Privaten Sektors beim Aufstieg des Landes "China":  Der private Sektor trägt 60% zum chinesischen BIP bei, 70% zu den Innovationen, 80% zur Beschäftigung in den Städten und 90% für neue Jobs. Es bleibt offen, welche Methode hinter dieser Analyse steckt bei der Intransparenz der chinesischen Statistik. Daraus wird dann die These abgeleitet, dass der Kapitalismus dominierend sei. Er habe den größten Anteil an der erfolgreichen Armutsbekämpfung und der vorbildlichen Infrastruktur. Bei einem Mischsystem dürfte immer offen bleiben, welcher Teil welchen Anteil hat. Eine genaue Zuordnung ist aber nicht möglich. Die Diskussion wird aber immer mal wieder aufkommen. Es gibt auch Wissenschaftler, die der Ansicht sind, dass sich der Wettbewerb der politischen und wirtschaftlichen Systeme (Demokratie versus Autokratie, Planwirtschaft versus Marktwirtschaft) dereinst in den Daten auflöst. Regieren also bald die Zahlen (Kommandowirtschaft 2.0). Vgl. Adrian Lobe: Speichern und Strafen. Die Gesellschaft im Datengefängnis, München (Beck) 2019. Sicher ist, dass der  Glaubenssatz von einem unauflösbaren Zusammenhang von Kapitalismus und Freiheit sich als Irrtum erwiesen hat. Damit hat der Westen immer noch zu kämpfen. Noch 1989 hatte Francis Fukuyama das "Ende der Geschichte" versprochen und einen Siegeszug der liberalen Demokratie und der Marktwirtschaft angekündigt. Er hat seinen Irrtum eingestanden und sagt: "Der Westen muss eine Antwort auf China finden". Vgl. WiWo 53, 20.12.2019, S. 37.

Technokratie und Pragmatismus: Die große Gefahr besteht darin, dass westliche Länder einen Kampf der Werte oder Wertesysteme sehen, Länder in Asien, allen voran China, aber im Grunde genommen Technokratien darstellen (Vorbild Singapur), die extrem pragmatisch vorgehen. Sie praktizieren eine Art neo-merkantilistische Industriepolitik. In Asien gibt es ein Grundvertrauen in die Exekutive (pragmatische Regierungen). Entscheidend sind die Ergebnisse. Deshalb könnte Asien in Zukunft den Westen prägen, zumal die großen westlichen  Demokratien in einer Krise stecken (USA, Indien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland). Vgl. Paraq Khanna, In Asien zählen Ergebnisse, in: WiWo 3, 10.1.2020, S. 36ff. Auch sein Buch "The future is Asian, 2020. Zwei wissenschaftliche Thesen zum Verhältnis der Wirtschaftsformen kann man zu den Akten legen: Die Konvergenz-These, dass China sich an den Westen angleicht. Ebenso wie die Komplementaritäts -These, dass China und Deutschland nicht in direkter Konkurrenz zueinander stehen und sich mit ihren jeweiligen Stärken nur ergänzen. Daraus muss die EU Konsequenzen ziehen und einen eigenen Weg gehen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht im wirtschaftlichen Aufstieg Chinas eine Herausforderung für die freiheitlichen Demokratien in der Welt. Den Beweis für seine Überlegenheit habe das freiheitliche System bisher nicht erbringen können, sagte Merkel in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (Wochenendausgabe, 27./28.06.20) und weiteren europäischen Medien. Die Kanzlerin pochte auch auf die Einhaltung demokratischer Prinzipien und von Rechtsstaatlichkeit in der EU. "Wenn Europa gehört werden will, muss es ein gutes Beispiel abgeben", betonte Merkel mit Blick auf die Rechtsstaatsdebatte in der EU.

Exkurs: Johan Nylander: The Epic Split (September 2020). Nylander ist schwedischer Journalist in Hongkong. Er entwickelt in seinem Buch die These, das eine Koexistenz zwischen Liberalismus und Autoritarismus nicht endlos möglich ist. Irgendwann muss es zu einem Crash kommen. Vor einem besonderen Balanceakt stehen Staaten, die demokratisch und liberal sind, aber wirtschaftlich auch von China abhängig sind: Südkorea, Japan und Deutschland. Untertitel des Reports: "Made in China" is going out of style.

Corona-Krise und Effizienz: 2020 erfasst die Corona-Pandemie die ganze Welt. Sie nährt auch eine neue Systemdebatte. Hat der Kapitalismus ausgedient? Der Staat muss in allen Ländern Unternehmen retten und dafür sorgen, dass ein Lockdown nicht zum Untergang der Wirtschaft führt. Doch der Markt hat ja gar nicht versagt, ist hier also nicht das Problem. Und der Staat ist an sich nicht die Lösung. Einige sprechen von einem Kredit basierten Geldsozialismus, der die Wirtschaftsordnung verändert. Vgl. Fischer, M. u. a.: Marx hilft? Hilfe! in: WiWo 16, 09.04.2020, S. 14ff. Doch zur Anhebung der Staatsquote in einer solchen Krise gibt es keine Alternative. Ein gutes Beispiel ist in Deutschland die Lufthansa: Ohne Staatshilfe wäre eine Pleite unabwendbar, weil Fliegen nicht geht (die Staatsunterstützung für die Fluggesellschaften ist in Frankreich und Italien absolut und relativ noch wesentlich höher).

Die Rolle des Staates wird nach der Krise eine andere sein. Er rückt in den Mittelpunkt und übernimmt gegenüber dem Markt/ Privat wesentlich mehr Verantwortung. Man wird mehr Vergleiche zwischen den Staaten anstellen: Warum hat Deutschland eine so geringe Sterberate? Warum ist der Arbeitsmarkt hier so flexibel? Warum kann Deutschland so schnell so viel Finanzmittel bewegen? Man redet von Slack (Reserven). Das sind in diesem Falle finanzielle Reserven (geringe Staatsverschuldung). Als Gegenmodell zu Deutschland kann die USA gelten. Das kommerzialisierte Gesundheitswesen, der rigide Arbeitsmarkt (hire and fire) und die hohe Staatsverschuldung zeigen dem System die Grenzen auf. Auch die Diskussion um einen schlanken Staat wird sich mehr Richtung Gemeinwohl bewegen. Der Wahlkampf in der Präsidentenwahl der USA, das antiquierte Wahlsystem, aber auch das undemokratische Verhalten von Trump führen zu einer Demokratiediskussion.

Die Corona-Krise sollte aber dazu führen, grundsätzlich über die Funktionsweise des Kapitalismus nachzudenken. Große Krisen und Kriege haben bisher immer zu grundlegenden Reformen geführt. Das Unternehmensfinanzsystem sollte überarbeitet werden.  Kapitalgesellschaften sollten vom "shareholder value" zum "stakeholder value" gehen müssen. Das langfristige Wachstum und Überleben der Firmen muss wieder im Mittelpunkt stehen, nicht ihr kurzfristiger finanzieller Erfolg. Drei große Krisen bedrohen das kapitalistische System: Gesundheit, Stabilität von Wirtschaft/Finanzen, Klima. Der Staat ist bei keiner der Krisen der Sündenbock. Er hilft mit Riesen-Konjunkturpaketen und Beteiligungen den Unternehmen aus der Patsche. Dafür muss er auch die Richtung vorgeben können: mehr Innovationen, mehr erneuerbare Energie, öffentliche Investitionen machen und im Wert herausstellen. Wir brauchen eine Debatte über einen "neuen Kapitalismus". So auch: Mazzucato, Marianna: Wie kommt der Nutzen in die Welt? Von Schöpfern und Abschöpfern, Frankfurt/ Campus Verlag, 2019. Das Mischsystem in China scheint relative Vorteile gegenüber der eher freien Marktwirtschaft in den USA zu haben (schneller, strategischer, sozialer, nachhaltiger). Vgl. auch: Reierman, Christian: Nicht kaputt zu kriegen, in: Der Spiegel Nr. 24/ 6.6.20, S., 78f. Auch die sozialen Marktwirtschaften in der EU werden wesentlich besser mit den sozialen und ökonomischen Folgen der Krise fertig als die freien, angelsächsischen Wirtschaftssysteme in den USA und GB. Vgl. auch: Celine, Li: Der Triumph des Staatskapitalismus? in: WiWo 41/ 2.10.2020, S. 40f. Die Systemkonkurrenz zwischen "liberalem Kapitalismus" (USA, EU) und "politischem Kapitalismus" (China, Vietnam, Malaysia, Singapur, Indien) wird in eine nächste Phase eintreten. Der Erfolgsdruck ist im "politischen Kapitalismus" höher, weil die Legitimation vom Erfolg abhängt und nicht so von der politischen Freiheit.

Am Ende der Krise 2021 zeigt sich, dass das System der USA (vor allem seit dem Amtsantritt von Biden) bei Innovationen Europa voraus ist. Dafür funktionieren in der EU die Sozial- und Gesundheitssysteme besser. Der chinesische Staatskapitalismus, der Zensur praktiziert und Selbstzensur fördert,  stößt an die Grenzen. Wäre das nicht so, hätte man die Pandemie bei größerer Transparenz Ende 2019 verhindern können. Vgl. Aghion, Philippe: Neue schöpferische Zerstörung, in: WiWo 16, Heft 4/ 16.4.21, S. 36f.

2020 erscheint ein Buch von Branko Milanovic (Ausbildung in Belgrad/ Serbien, heute als US-Staatsbürger an der City Uni in N. Y., auch Weltbank). Der Titel de Buches lautet: Kapitalismus global, Berlin  (Suhrkamp, Originaltitel "Capitalism Alone"). Seine Grundthese ist: Die westlichen Mittelschichten stehen gleich von zwei Seiten unter Druck. Von der durch die Globalisierung geschürten Konkurrenz in Asien und von den Reichen im eigenen Land. Die Pandemie 2020 hat diese Trends verschärft. Die Mittelschicht der reicheren Länder hat den Kürzeren gezogen. Die Enttäuschung darüber habe zum Aufstieg "populistischer" Parteien und Führer im Westen geführt. Die "Gelbwesten in Frankreich und die Trump - Wähler in den USA hätten den gleichen Ursprung. Die sinkende soziale Mobilität zwischen den Generationen und die zunehmende soziale Polarisierung komme hinzu. Die Einkommenszuwächse verschieben sich vom Einkommen des Faktors Arbeit zu den Kapitalbesitzern. Milanovic sieht große Schwächen im liberalen Kapitalismus der USA und im politischen Kapitalismus Chinas. Seine zentrale Frage ist, ob der Kapitalismus trotz der sozialen Zerreißprobe überleben kann. Er macht auch konkrete Vorschläge, um den Kapitalismus zu retten: Erneuerung des kapitalistischen Bewusstseins, höhere Steuern auf Vermögen und Erbschaften, mehr öffentliche Investitionen, Verbot privater Wahlkampffinanzierung, Verhinderung wirtschaftlicher Konzentration, Wiederbelebung des moralischen Imperativs des "Ehrbaren Kaufmanns".

Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaften: Viele Experten sehen die Diskussion mittlerweile in diese pragmatische Richtung. Indikatoren: 1. Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (hier führen die USA). 2. Einkommensverteilung (Gini, geringster Wert wichtig, Schweden vorne). 3. Arbeitsproduktivität (BIP je Beschäftigten in Dollar, es führt Schweden). 4. Erfindergeist (Internationale Patentanmeldungen, China vorne). 5. Wettbewerbsfähigkeit (WEF, es führen die USA vor Japan). Hochschulabschluss (es führt Großbritannien). Vgl. Pennekamp, J.: Soziale Marktwirtschaft in der Zange, in: FAZ Nr. 92, 21. April 2021, S. 19.

"Sobald der Wagen sich dem Berg nähert, wird sich ein Weg auftun", chinesisches Sprichwort.

 

Exportorientierung und internationale Wettbewerbskraft (Deutschland in der weltweiten Kritik, insbesondere von Frankreich und den USA, wegen des Handelsbilanzüberschusses):

"Auf Reisen in fremde Länder lernt man nicht das Land kennen, sondern sich selbst", aus Tibet. Auf dem Foto ist der berühmte Geiranger - Fjord in Norwegen  abgebildet. Norwegen ist nach dem Pro-Kopf-Einkommen eines der reichsten Länder der Erde (Platz 2 hinter Luxemburg, nach Kaufkraftparität Rang 1, Rang 1 beim Human Development Index). Der Reichtum kam mit den Öl- und Gasfunden im Meer seit 1966. Stavanger ist die reichste Stadt Europas. Schon zur Zeit der Hanse waren die Städte sehr reich und wichtig, wie etwa Bergen (die Seefahrer - Tradition geht auf die Wikinger zurück, die zuerst nach Amerika segelten). Norwegen hat auch eine der höchsten Frauenerwerbsquoten der Welt und die höchsten Sozialausgaben pro Kopf in Europa. Das Renteneintrittsalter liegt mit 67 Jahren relativ hoch. Das Land ist Mitglied der EFTA, aber nicht der EU. Währung ist die Norwegische Krone (NOK, etwa 8 Kronen = 1€). Im weltweiten Ranking der UN ist Norwegen das Land mit dem höchsten Wohlstandsniveau in Europa. 2017 wird zum ersten Mal seit 1985 eine Rechtsregierung wieder gewählt (die "Eiserne Erna" Solberg). Im Brexit strebt die Regierung in GB in etwa einen Status wie Norwegen im Außenhandel an. Deshalb wird auch mehr über die Rolle Norwegens im Verhältnis zur EU diskutiert. Bisher war das Verhältnis immer relativ problemlos. Norwegen ist Vorreiter in Sachen Elektromobilität: Mehr als dei Hälfte der neue angemeldeten Autos fahren mit Strom (2020). Bei den E-Lade-Stationen liegt das Land auf Platz zwei hinter den Niederlanden.

Jahrelang war Deutschland Exportweltmeister (höchster Exportwert in der Welt). 2009 ging der Titel an China verloren, die deutschen Exporte brachen um fast 20% ein (man muss natürlich die Relationen bei der Bevölkerung sehen: D 80 Mio., China 1,4 Mrd.). 2010 überholen auch die USA Deutschland (Exporte: China 1578 Mrd. US-$; USA 1278 $,; Deutschland 1269 Mrd. $, Japan 770 Mrd. $). 2011 könnte der Export Deutschlands erstmals eine Billion Euro erreichen und damit höher als 2008 sein (Prognose für Handelsbilanzüberschuss 143 Mrd. €.). Damit baut Deutschland seinen Weltmarktanteil auf 9,5% aus. Die Exportquote Deutschlands lag 2012 bei 41,5% (Exportwerte durch BIP mal 100). Wichtig ist, dass Deutschland seine internationale Wettbewerbsfähigkeit behält. Diese beruht auf technologischem Vorsprung, einer effizienten Ausstattung und einem effizienten Einsatz der Produktionsfaktoren, einem ausreichenden Markt, Attraktivität für Direktinvestitionen und einer optimalen Infrastruktur (Standortfaktoren, Kultur). Immer wichtiger wird eine effiziente Industriepolitik, die in der EU abgestimmt werden muss. Die Entwicklung der Terms of Trade gibt wichtige Anhaltspunkte. Indices von BERI oder IMD sind nicht valide und zuverlässig. Insbesondere Frankreichs ehemalige Finanzministerin Lagarde (jetzt Chefin des IWF) hat folgende Fragen aufgeworfen: Schadet unser Export anderen Ländern? Verschaffen wir uns mit Billiglöhnen Vorteile? Würden höhere Löhne die Binnenwirtschaft stärken? Was steckt hinter der deutschen Exportstärke? Die Internationale Arbeitsagentur haut 2012 in die gleiche Kerbe. Doch die hiesige Exportkraft beruht gar nicht auf niedrigen Löhnen. Einige Experten vertreten die Ansicht, dass die Nachfrage nach deutschen Gütern im Ausland bald wieder das alte Niveau erreicht. Andere meinen, andere Länder wie die USA, Großbritannien und Spanien seien gezwungen, ihre Leistungsbilanzdefizite - also Importüberschüsse - abzubauen. Wichtiger als den Export zu stützen, sei es, in Zukunft den deutschen Binnenmarkt zu stärken. Es geht auch um den Stellenwert der Einkommensungleichheit in den einzelnen Ländern. Unbestritten ist, dass eine Exportorientierung der beste Garant für Innovation ist. Andererseits haben die Exportüberschüsse Deutschlands ihren Ursprung auch in zu geringen Investitionen. Immer wichtiger wird die richtige und zukunftsweisende Ausrichtung der außenwirtschaftlichen Aktivitäten. Große Unternehmen, die nur in Europa und Amerika engagiert sind erleiden Verluste. Wer sich in Asien engagiert, meldet Supergewinne (Handelsblatt, 07.05.2010, S. 1). Im November 2013 kritisiert das US-Finanzministerium die deutschen Handelsbilanzüberschüsse. Sie würden die Stabilisierung sowohl in Europa als auch der Weltwirtschaft behindern. Kritik kam vorher schon vom IWF. Auch die EU (Olli Rehn im Herbstgutachten) kritisiert, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss seit 2007 über dem Referenzwert liegt. Die EU-Kommission leitet eine Prüfung ein. Die  Argumentation der Kritiker ist angreifbar: Der Anteil der Vorleistungen an den deutschen Exporten ist zwischen 1995 und 2008 von 13,5% auf 20% gestiegen. Dies ist überproportional, wovon ausländische Wettbewerber erheblich profitieren, vor allen Länder aus Mittel- und Osteuropa (Quelle: Ifo-Institut, München). Außerdem ist der deutsche Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den Partnerländern der Euro-Zone von 2007 bis 2012 halbiert worden (von 4,4% auf 2,2%, Quelle: BMF, Berlin). Natürlich entscheiden Unternehmen selbst über ihre Exporte. Ebenso ist die Struktur der Wirtschaft zu beachten. Im Moment sind deutsche Investitionsgüter in den Schwellenländern sehr gefragt. Das Hauptproblem für die Krisenländer der EU bei den Leistungsbilanzungleichgewichten ist auch China.

Exkurs: Geschichte der Exportorientierung Deutschlands: Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Weichen gestellt. Eine Schicksalsstunde der deutschen Handelspolitik war Gustav Stresemann mit der "kleinen Zollnovelle". Der Neomerkantilismus des Kaiserreichs wurde zur nationalsozialistischen Autarkiepolitik überführt. Nach dem Krieg kam die Rückkehr zum Weltmarkt mit starker Exportförderung. Die Währungskrise führt dann zu einer Umorientierung zu Direktinvestitionen im Ausland. Vgl. Hesse, Jan-Otmar: Exportweltmeister. Geschichte einer deutschen Obsession, Berlin (Suhrkamp) 2023,

Die Länder mit der stärksten weltwirtschaftlichen Verflechtung (Außenhandel, ausländische Direktinvestitionen u. a.) sind die Niederlande, Singapur, Irland und die Schweiz (DHL Global Connectedness Index 2011). 20 Prozent der weltweiten Produktion geht in den Export (überwiegend in Nachbarländer). Daneben gibt es eine ganze Reihe von Indikatoren zur Messung der Wettbewerbsfähigkeit von Staaten. Vgl. dazu Messung der Wettbewerbsfähigkeit auf der Methodenseite. Die größte Volkswirtschaft der Welt, die USA, ist eher eine Binnenwirtschaft. Weniger als 10 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung geht in den Export.

Eine Studie des Weltwirtschaftsforums 2010 sieht bei Deutschland in der Wettbewerbsfähigkeit einen Aufstieg von sieben auf Platz fünf. Infrastruktur, Innovationsstärke und Geschäftskultur werden als herausragend gesehen. Hintere Plätze belegt Deutschland bei der Effizienz des Arbeitsmarktes und den staatlichen Bürokratielasten.  Auch Paul Krugman kritisiert im Herbst 2010 in der New York Times Deutschland, weil es zu egoistisch sei wie China. Der Sparkurs sei eine Belastung für die Weltwirtschaft. Die Konsumentennachfrage im Inland werde vernachlässigt. Krugman scheint völlig zu übersehen, dass die lockere Geldpolitik in den USA den Dollar in den Keller treibt. Dadurch werden die Konkurrenzwährungen (Euro, Yen, Yuan) aufgewertet und die Exporte dieser Länder verteuern sich. Die Weltwirtschaft 2010 und 2011 befindet sich in einer Art Währungskrieg. Dieser könnte in einer Inflation münden. Wenn die US-Wirtschaft zu stark lahmt, könnte es infolge globaler Abhängigkeiten auch zu einem Einbruch in Deutschland kommen: Die USA fragen weniger Konsumgüter aus China nach. China bremst seine Nachfrage nach deutschen Investitionsgütern daraufhin. Der deutsche Exportboom lässt nach und damit auch das BIP. "Unserer Wettbewerbsvorteil ist nicht in Stein gemeißelt. Wir müssen aufpassen, dass wir das Rennen nicht verlieren", Ulrich Grillo, Präsident des BDI.

Die Technologieunternehmen der Schwellenländer werden allerdings auch immer mehr zu ernstzunehmenden Konkurrenten entsprechender Unternehmen in Industrieländern. Den Märkten in Asien hatten die führenden deutschen Technologieunternehmen (Siemens, Bosch) es zu verdanken, dass sie die Finanzkrise so gut überstanden. Doch Unternehmen aus China (Huawei, ZTE, Shanghai Electric) und Indien (Tata) holen in den oberen Kundensegmenten auf. Mittlerweile bieten auch sie komplexe Dienstleistungen an, deren wichtigstes Merkmal die Einheit von Produktion und Vertrieb ist. Die führenden Unternehmen aus den Industrieländern haben Mühe, ihre Positionen zu verteidigen (ZTE lag 2010 mit 1863 Patentanmeldungen vor den deutschen Spitzenreitern). Noch können allerdings die deutschen Vorzeigebranchen Elektroindustrie, Maschinenbau und Automobilbranche der Krise auch dank einer stark mittelständischen Struktur und hohen Wettbewerbsfähigkeit trotzen.

Gegen die hohe Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wird immer wieder die deutsche Investitionsschwäche angeführt. Sie wird auf schwache Profitabilität von Unternehmensinvestitionen zurückgeführt. Allerdings könnte sich empirisch dahinter auch ein Bias verbergen, der durch schwache Investitionstätigkeit der öffentlichen Haushalte und beim Wohnungsbau begründbar wäre. Die Länder der EU fordern, dass Deutschlands weniger spart und mehr investiert. Mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit konkurrieren auch die Länder der EU. Die Peripherieländer (Griechenland, Italien, Spanien, Portugal) fallen weiter zurück. Zum Beispiel haben in den letzten drei Jahren 1800 griechische Unternehmen ihre Heimat verlassen nach Zypern, in die Türkei und Bulgarien (vor allem wegen der geringeren Ertragssteuern, 10% statt 20%). Zu einem immer wichtigern Faktor werden die Strom- und Energiepreise. Während in den USA aufgrund von Fracking die Energiepreise einen Preissturz erleben, steigen sie in Deutschland stark, auch aufgrund des EEG. So könnte es zu Produktionsverlagerungen in die USA im energieintensiven Bereich kommen (BASF - Chef Bock warnt im Herbst 2013).

Insgesamt schwindet aber der Einfluss der USA. Nur noch 6,7% der deutschen Exporte gingen 2009 in die USA (2016 ist China wichtigster Handelspartner, s. u.). Die Tendenz ist sinkend. Deutschland ist in der neuen globalen Welt (Beginn etwa 1990 mit dem Zusammenbruch des "Eisernen Vorhangs" und dem Aufstieg Chinas) eine Art "Free-Rider" (Trittbrettfahrer): wir verkaufen den Schwellenländern auf der einen Seite die Maschinen zur Produktion und auf der anderen Seite die Luxusgüter für die Neureichen. Prognosen für 2015 besagen, dass China dann einen Anteil von 12,8% am Weltexport hält, die USA 9%, Deutschland 7,5% (Schätzung EIU). Nach und nach dürfte auch der Yuan (Währung heißt Renminbi, Yuan ist Einheit) freigegeben werden (spätestens in 5 Jahren, Zeitplan ist noch unklar). China will sein Wachstumsmodell (basiert wie bei uns stark auf Außenhandel) nach und nach ändern: Der Binnenmarkt soll an Bedeutung gewinnen, die Industrien sollen höherwertiger werden, der Kapitalmarkt weiter geöffnet werden, die Korruption soll bekämpft werden.  Durch die dramatische Staatsschuldensituation und die Abstufung in der Kreditwürdigkeit durch S&P in den USA kommt die Weltleitwährung Dollar immer mehr unter Druck (Inflation steigt im Herbst 2011 auf 3,8%). In 10 Jahren dürfte der Renminbi Weltleitwährung sein. Wirtschaftliche Dominanz ergibt sich durch die Größe der Wirtschaft, die Finanzmacht und das Handelsgewicht. Die protektionistischen Konzepte des US-Präsidenten Trump entflammen die Diskussion neu 2017. Deutschland wird Ausbeutung vorgeworfen (von USA und Polen). Anlass sind die neuen Rekorde in der Außenwirtschaft (Außenhandelsüberschuss 2016 252,9 Mrd. €, fast 9% des BIP). Doch kurzfristig hat eine Regierung so gut wie keine Mittel (zu Steuersenkungen siehe unten). Außenhandel findet zwischen Unternehmen statt. Vor der Austausch von Vorleistungen im Rahmen neuer Wertschöpfungsprozesse (supply-chains) dürfte kaum umzukehren sein. 2017 ermahnt auch die EU-Kommission wieder Deutschland wegen der hohen Exportüberschüsse. EU-Kommissar Pierre Moscovici fordert mehr öffentliche Investitionen in Deutschland ,um die Binnenkonjunktur zu stärken. Der Handelskrieg mit der USA und zwischen der USA und China könnte automatisch zu einem Rückgang der deutschen Exporte führen. "Foreign trade takes place between firms, not between countries", Kindleberger, schwedischer Ökonom.

Globale Ungleichgewichte zwischen Volkswirtschaften sind von der Theorie her nützlich. Es bringt Profit für die Überschuss- und die Defizitländer der Leistungsbilanz. Die internationale Arbeitsteilung ist als Tauschwirtschaft angelegt. So kann der Ausgleich auch intertemporal erfolgen. Entscheidend ist, dass das Kapital "in die richtige Richtung" fließt.  Im Moment wird der Aufschwung der Schwellenländer finanziert, der uns vielleicht in Zukunft vor den Risiken einer alternden Bevölkerung schützt (vgl. Renate Ohr: Globales Wechselspiel, in: Wirtschaftswoche, Nr. 48, 29.11.10, S. 44). In diesem Zusammenhang ist das Faktorpreisausgleichstheorem von Bedeutung. Es stammt von A. P. Lerner und P. A. Samuelson und besagt, dass der internationale Warenaustausch nicht nur zu einer Angleichung der Preise für handelbare Güter, sondern auch zu einer Annäherung der Preise für die Faktoren führt (insbesondere für die Löhne). So könnten auch Löhne auf national geschützten Arbeitsmärkten durch den Handel mit Niedriglohnländern (z. B. China) unter Druck gesetzt werden. Marcel Fratzscher, Chef des DIW in Berlin, weist Anfang 2017 darauf hin, dass von dem deutschen Exportmodell nur ein Teil der Wirtschaft profitiert. Für die Volkswirtschaft als Ganzes seien die Überschüsse schädlich. Das Problem seien die zu geringen Importe, weil die Investitionen zu gering seien. Im Dienstleistungsbereich, der stark reguliert sei, hätten ausländische Unternehmen nur eine geringe Chance. In der Steuerpolitik hätten KMU das Nachsehen. Er empfiehlt, stärkere öffentliche Investitionen durchzuführen (vgl. Handelsblatt Nr. 31, 13. Februar 2017, S. 48). Eine Gegenthese lässt sich aus dem Wachstumsmodell von R. F. Harrod ableiten (das bespreche ich auch in meinen Veranstaltungen). Es geht um Exportüberschuss und Wachstum: Das Wachstumsmodell von R. F. Harrod zeigt, dass ein Exportüberschuss Produktivitätskapazitäten beansprucht, die für wachstumsrelevante Investitionen nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit zunehmender Kapazitätsauslastung könnte der Exportboom dämpfende Wirkungen auf das Inlandsprodukt haben. Sollte man mit einer Ausdehnung der öffentlichen und privaten Binnennachfrage gegensteuern? Man könnte auch die mit dem Exportüberschuss verbundenen Kapitalabflüsse umlenken und durch günstige Standortbedingen im Inland mindern. Vgl. Konrad, Anton: Exportüberschuss und Wachstum, in: Wirtschaftsdienst 2018/12, S. 900ff.

Die Exporte in der Welt werden allerdings immer mehr durch protektionistische Maßnahmen behindert. Vor allem die Schwellenländer behindern den Welthandel durch Schutzzölle, Exportquoten, Lizenzauflagen und weitere nichttarifäre Handelshemmnisse. Besonders hervor tun sich hierbei Brasilien (Zölle), China (Exportzölle, öffentliche Aufträge an Inlandsunternehmen), Indien (keine Lizenzen für Ausländer im Einzelhandel, Zölle) und Russland (Importzölle). Die EU arbeitet stark mit Subventionen, die USA bevorzugen Staatsaufträge. Abzuwarten bleibt, wie stark Trump seine protektionistischen Pläne in die Tat umsetzt (Schutzzölle, Kündigen von Wirtschaftsintegrationen, Setzen auf bilaterale Vereinbarungen). Schon 2016 ist China wieder der größte Handelspartner Deutschlands (Wert der Importe mit 93,8 Mrd. € deutlich höher als Exporte mit 76,1 Mrd. €).

Interessant ist eine Prognose der Exportüberschüsse. Die demographische Entwicklung könnte die Leistungsbilanzüberschüsse schrumpfen lassen. Experten rechnen mit einem Rückgang auf 7% des BIP im Jahre 2020 (von 9% als Rekordwert). Weitere Faktoren, die die Absenkung beeinflussen sind: der Immobilienboom und die Rekordzuwanderung. Eine Möglichkeit der Bundesregierung, den internationalen Forderungen nach einem Senken des Exportüberschusses entgegenzukommen, wäre, Steuersenkungen zu machen. Das würde die Inlandsnachfrage weiter ankurbeln. Auch die Importe würden zulegen. Dem sind aber durch die Schuldenbremse in Deutschland Grenzen gesetzt. Eine zweite Möglichkeit wären Lohnerhöhungen in Deutschland. Sie würden den Export deutscher Firmen verteuern und die Inlandsnachfrage ankurbeln. Doch wegen der Tarifautonomie hat die Regierung kaum einen Einfluss auf die Löhne. Externe Einflüsse haben einen zunehmenden Einfluss auf die deutsche Handelsbilanz (niedrige Preise bei Rohstoffen, die wir importieren, niedrige Zinsen stimulieren die Industrie, günstiger Wechselkurs bei starkem Dollar, Erholung der Schwellenländer). 2018 könnte trotzdem das fünfte Rekordjahr in Folge werden. Handelskonflikte und der Brexit geben trotzdem Anlass zur Sorge. 2018 stiegen die Ausfuhren das fünfte Jahr in Folge auf einen Rekordwert (1317,9 Mrd. Euro), das Wachstumstempo verlangsamte sich aber deutlich (3% 2018, 6,2% 2017). Die Importe steigen 2018 auf 1090 Mrd. Euro (+5,7%). Der Handelsbilanzüberschuss betrug 2018 227,8 Mrd. €. Wichtigster Einzelmarkt war die USA. 2019 gibt es wieder einen Rekordüberschuss.

Der zu starke Globalisierungsschub von 1990 bis 2008  und der politische Populismus mit Bevorzugung des Heimatmarktes führen zu einer Globalisierungspause. Außerdem beginnt ab 2018 eine Phase der Desintegration des globalen Handels:  Die Welt zerfällt zusehends in die regionalen Blöcke Nordamerika, Asien und Europa. Die Lohnunterschiede zwischen Industrie- und Schwellenländern treiben die Globalisierung nicht mehr an. Neue Technologien ermöglichen den Industrieländern , die Produktion zu Hause zu machen. Weitere Treiber sind der Protektionismus der USA unter Trump und die Klimabewegung bzw. der Druck des Klimawandels. Dadurch könnte aber das globale System instabiler werden, weil die gegenseitige Abhängigkeit sinkt. Dadurch ist das deutsche Exportmodell direkt betroffen. Der Export könnte in den nächsten Jahren massiv zurückgehen, so dass sich die Diskussion erledigt. Dagegen spricht ein globaler Umbruch bei den Direktinvestitionen : Sie brachen 2018 um 27 Prozent ein. Das hat verschiedene Gründe: 1. Die Handelspolitik von Donald Trump in den USA. Das "tariff jumping " führte teilweise aber auch zu mehr Direktinvestitionen in den USA bzw. zum Ausbau. 2. Einmaleffekt der Unternehmenssteuerreform in den USA (US-Körperschaftssteuer von 35 auf 21%). Unternehmen repatriierten, etwa durch den Verkauf von Beteiligungen im Ausland. 3. Zyklisch: Unternehmen, die im Aufschwung Teile der Wertschöpfung in andere Weltregionen verlagern, holen diese in der "Normalphase" zurück bzw. lösen DI auf. 4. Politischer Faktor: Geopolitische Spannungen führen zu Verunsicherungen. Der Brexit führt in GB zum Rückzug. 5. Strukturelle Faktor: Technischer Fortschritt (Digitalisierung, 3-D-Drucker, Roboter) relativieren den Kostenvorteil von Niedriglohnländern. 6. Sicherheit. Im Heimaltland ist Know-how am sichersten. Dieser letzte Faktor wiederum könnte die Exporte stabilisieren.

Neuere Analysen: Eine neuere Studie empfiehlt eine Trendumkehr durch folgende Maßnahmen zu erreichen. Umkehrung folgender Prozesse:  des Entstaatlichungsprozesses, des Einbruchs der Löhne und des Anstiegs der Ungleichheit. Vgl. Behringer, Jan/ Truger, Achim/ van Treek, Till: Das deutsche Modell: Wie kann der Leistungsbilanzüberschuss abgesenkt werden, in: Wirtschaftsdienst 10/2020, S. 753-757.

Nölke, Andres: Exportismus. Die Deutsche Droge. Eine Entzugsstrategie für gesundes Wachstum, Frankfurt/ Westend Verlag 2021. Der Autor analysiert die Ursachen und Folgen der deutschen Exportabhängigkeit. Er liefert gleichzeitig ein Plädoyer für ein neues Wirtschaftsmodell, das nachhaltiger, stabiler und im globalen Kontext balanciert ist. Er hält ein radikales Umdenken für notwendig: Löhne rauf, Exporte runter. In der Corona-Krise sieht er eine Chance für die Neuorganisation der deutschen Wirtschaft. Die Exportabhängigkeit Deutschland sieht der Autor als ineffizient an: Er bemängelt die magere Lohentwicklung, die Spaltung de Arbeitsmarktes in Insider und Outsider, die Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme, den Zwangsverzicht vieler Haushalte  auf eine eigen Immobilie, schlechte staatliche Dienstleistungen und verfall der Infrastruktur, eine Investitions- und Innovationsbremse im Privatsektor. zunehmende Konkurrenz durch Dumping, stark zunehmende Vermögensungleichheit, steigende Ungleichheit als Wachstumsbremse, Verschenkte Überschüsse, Vergebliches Ansparen für schlechte Zeiten, Deformierung des deutschen Finanzsektors, Niedrigzinsen durch Vermögensüberhang (Vgl. S. 63ff.). Diese Analyse ist im Großen und Ganzen richtig. Nur wird nicht schlüssig, wie eine Ausbalancierung in der Praxis umgesetzt werden kann (vgl. S. 100ff.). die behandelten Punkte scheinen mir bei weitem nicht ausreichend.

Zukunft des Export orientierten deutschen Geschäftsmodells nach den geopolitischen Konflikten: Der Einmarsch Russlands in der Ukraine verändert die heile deutsche Welt. Das deutsche Geschäftsmodell steht auf dem Spiel. Die Vorstände der großen deutschen Unternehmen müssen auch umdenken. Die großen Player Russland und China stellen den Freihandel grundsätzlich in Frage. Sie sind aber gleichzeitig große Rohstoffförderer und Rohstoffveredler. Vgl. Book, Simon u. a.: Wirtschaft als Waffe, in: Der Spiegel Nr. 9/ 26.2.2022, S. 80ff. Dazu habe ich einen eigenen Artikel verfasst: deutsches Wirtschaftsmodell. Der Gaza-Krieg 2023 verstärkt die Teilung der Welt in einen neuen Kalten Krieg. Es tauchen auch Bücher auf, die auf eine Versessenheit hinweisen, die Land und Leute ärmer macht. Vgl. Hesse, Jan-Otmar: "Exportweltmeister - Geschichte einer deutschen Obsession", Berlin (Suhrkamp) 2024. Er beantwortet folgende Fragen: Wie ist der Aufstieg Deutschlands zur Exportnation zur erklären? Wann entstand die Hinwendung zu den globalen Märkten als wirtschaftspolitische Strategie? Vgl. zum Buch auch Anfang dieses Artikels.

"Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird", Christian Morgenstern.

 

Bevölkerungsentwicklung und Folgen (Krise der demographischen Entwicklung; zur globalen Bevölkerungsentwicklung vgl. Economics/special, Arbeitsökonomik, Demographie):

  Kitzbüheler Horn, Kitzbühel/ Österreich. Hier ist eines der Paradiese für reiche Ältere. Verteilungskonflikte zwischen reichen Älteren und Jüngeren ohne Perspektive werden zunehmen (in vielen Ländern Europas und auch in Asien). Die weltweite Bevölkerungsentwicklung verläuft sehr unterschiedlich: In Afrika und Asien gibt es starke Zuwächse (Ausnahmen: Japan, Südkorea), in Europa Rückgänge, aber viel Wohlstand.. Das beeinflusst auch Migrationsströme. Ab 2020 entsteht nahe Kitzbühel ein Öko-Luxusressort. Einen E - Porsche gibt es für Chaletkäufer gratis dazu. Doch so umweltfreundlich ist das Projekt nicht. Im Bundesland Tirol bricht 2020 Covid-19 aus. Ischgl wird zur Virenschleuder für ganz Europa. Auf das Land Tirol kommen Schadensersatzklagen zu.

Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftswachstum über die Altersgruppen, die am Arbeitsprozess beteiligt sind. Außerdem ist die Frage wichtig, wie bildungsbereit die Jungen und wie weiterbildungsbereit die Alten sind. Weil die europäischen Gesellschaften in allen 25 Mitgliedsstaaten der EU strukturell immer älter werden, müssen wir uns auf ein Sinken des Wirtschaftswachstums einstellen (soziale und wirtschaftliche Probleme). Die sozialen Gegensätze werden sich zuspitzen. Die arbeitende Bevölkerung in Deutschland wird ohne Zuwanderung bis 2020 um 7% zurückgehen. Im Jahre 2010 ist schon jeder fünfte Deutsche im Rentenalter. Im Jahre 2060 wird es fast ein Fünftel weniger Deutsche geben. 14% werden dann über 80 Jahre sein. Bis 2030 schrumpft die deutsche Bevölkerung um drei Millionen, die Weltbevölkerung soll um 40% steigen. Die Schülerzahl wird dramatisch sinken: bis 2025 um 18,9%. Umso wichtiger werden in Zukunft Lebenslanges Lernen und die Steigerung der Arbeitsproduktivität sein. Die Zuwanderung ist schwierig einzuschätzen: weltweit gibt es 200 Mio. Migranten. Ab 2015 schrumpft die Bevölkerung in der EU insgesamt. Bis 2060 soll die Erwerbstätigenzahl um 19 Millionen sinken (2015: 43 Mio., 2020: 41, 2025: 38). Weltweit sinkt die Fertilität in den Industrieländern, in denen heute bereits 22% der Menschen älter als 60 Jahre sind. Der Alterungseffekt ist mit zeitlicher Verzögerung auch in den Entwicklungsländern zu beobachten.  

Infolge der Bevölkerungsentwicklung fehlen in vielen westlichen Industriestaaten in den nächsten Jahren Fachkräfte. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) prognostiziert für 2020 in Deutschland eine Lücke von bis zu 425.000 Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Bis 2014 sollen schon 220.000 fehlen. 2010 sollen schon bis zu 400.000 Fachkräfte einschließlich Facharbeiter fehlen. Damit ist es 2010 erstmals zu einem Kipp-Effekt gekommen: die demographische Entwicklung überlagert die konjunkturelle. In den USA ergibt sich die Lücke durch eine Änderung im Studienverhalten: immer mehr Ausländer und immer weniger Amerikaner studieren technische Fächer. Eine vorausschauende Personalpolitik wäre also sehr sinnvoll. Schon 2009 konnten in Deutschland nicht mehr alle Lehrstellen besetzt werden (100.000 weniger Bewerber als 2008, es fehlt den Bewerbern auch an Wissen und Interesse). 61.000 Stellen in naturwissenschaftlichen Bereichen konnten 2009 nicht besetzt werden. Über 100.000 offene Stellen gab es in der Zeitarbeit. Mittlerweile werden auf zahlreichen Internet-Plattformen ausländische Facharbeiter umworben. Die Arbeitsministerien wollen eher mit regionalen Lösungen arbeiten. 2011 macht die Wirtschaft Druck bei der Zuwanderung und fordert eine am Bedarf orientierte Zuwanderung. Logisch gesehen müsste die Fachkräftelücke von Frauen (höhere Erwerbsquote), von Älteren (längere Lebensarbeitszeit) und Zuwanderern (Hochqualifizierte) gedeckt werden. 2011 ist der Ingenieurmangel auf einem Zehn-Jahres-Hoch (es fehlen allein 31.000 Maschinenbauingenieure). Jeder Vierte bricht das Studium ab. Man sollte darüber nachdenken, Absolventen deutscher Hochschulen automatisch ein Bleiberecht zu geben. 2011 werden die arbeitsrechtlichen Hürden für bestimmte Gruppen von Arbeitskräften gelockert (Ingenieure, Ärzte). Außerdem wird die Einkommensgrenze für die Aufenthaltserlaubnis gesenkt (und in den ersten drei Jahren nicht Hartz IV). Es wird auch die Einführung einer "Blue-Card" beschlossen (Einreise von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern, Hochschulabschluss, 44.000 € Jahresgehalt). Immer mehr Unternehmen setzen auch auf flexiblere Arbeitszeiten mit Arbeitszeitkonten. Fachkräfte haben eine große Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, das Potential sollte nachhaltig entwickelt werden. Dies gilt besonders für Ingenieure. Nach einer Prognose des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) gibt es 2013 zu viele Akademiker in Deutschland und zu wenige Facharbeiter. Im Juni 2012 macht die Bundesregierung einen Fachkräftegipfel. Bei einer deutsch-spanischen Ausbildungskonferenz wird eine Zusammenarbeit vereinbart: spanische Jugendliche werden in deutschen Unternehmen in Spanien oder in Deutschland ausgebildet.

Das Arbeitskräftepotential wird bis 2025 um 6,5 Mio. auf ca. 38 Mio. Beschäftigte absinken. 2030 soll es eine Lücke von über 5 Mio. Fachkräften geben. Gleichzeitig steigen die Krankheitszahlen an (Burn Out!).

Die Gesellschaft in Deutschland und den anderen Industrieländern, aber auch in vielen Schwellenländern, wird immer älter. Die Beschäftigungsquote bei den 60- bis 64-jährigen ist aber auf 23,4% im Jahre 2009 in Deutschland gestiegen. Die Beschäftigungsquote der über 55-jährigen beträgt 56%. In der gleichen Zeit sind aber 145.00 ältere Menschen arbeitslos gemeldet. Die älteren Menschen - auch "Silver Hairs" genannt - spielen als Kunden eine immer größere Rolle. Allerdings herrscht ein Statistik-Wirrwarr: Die Zahlen von Statistischem Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit, Eurostat der EU und Familienministerium stimmen nicht überein. Andererseits ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen 2010 in Deutschland mit 16,5% am niedrigsten in Europa. Seit 2000 ist die Zahl der Kinder um 2,1 Mio. gesunken. Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (gehört zum StBA) 2012 zeigt, dass das Kinderkriegen in Deutschland immer unattraktiver wird. Hauptursache dafür ist die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf (auch subjektive Fragen). Vor allem höher qualifizierte Frauen sind betroffen. Nach dem IAB hat sich die Erwerbsquote der von 60- bis 64-jährigen seit 1991 bis 2011 verdoppelt. Deutschland hat nach Japan 2010 die älteste Bevölkerung der Welt: Jeder fünfte Deutsche ist über 65 Jahre alt (StBA). Am 25.04.2012 legte die Bundesregierung eine Demographiestrategie vor ("Jedes Alter zählt"). Themenschwerpunkte sind die Familie als Gemeinschaft, Gesundheit, Selbstbestimmtes Leben im Altert, Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik, Nachhaltiges Wachstum, Handlungsfähigkeit des Staates erhalten.

Ältere Menschen auf der Erde: Das Durchschnittsalter der Weltbevölkerung liegt 2011 bei 28 Jahren. Im Jahr 2050 wird es vermutlich bei 38 Jahren liegen. Japan und Deutschland besitzen die älteste Bevölkerung mit durchschnittlich 44 Jahren. Uganda und Niger haben die jüngste Bevölkerung mit 15 Jahren.  Das Rentenproblem ist nicht das einzige. Bleiben wir auch länger gesund, so dass die Menschen länger arbeiten können? Die sozialen Probleme werden zunehmen. Insbesondere drohen Verteilungskämpfe in den wohlhabenden Ländern (siehe oben Kitzbühel). In der EU hat mittlerweile (2014, Office for National Statistics) Großbritannien die zweithöchste Bevölkerungszahl mit 64,1 Mio. nach Deutschland und vor Frankreich 63,6 Mio.  Hält der Trend an, hat das Vereinigte Königreich 2050 die Spitze in der EU. Die Geburtenrate liegt bei 1,98 und die Zuwanderung ist hoch. Parallel zur Bevölkerungsentwicklung nimmt auch die Ungleichheit in der Welt zu. Immer weniger Menschen haben einen immer größeren Reichtum. Die Zahl der Armen wächst und die Mittelschicht wird weniger. Dahinter stecken Fehlentwicklungen der Marktwirtschaft, Fehler der Politik und die Globalisierung. Die Verbindung zwischen weltweiter Bevölkerungsentwicklung und zunehmender Ungleichheit muss im Auge behalten werden. Vgl. auch Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht, München 2012 (Siedler). 2013 leben laut der UN 7,16 Mrd. Menschen auf der Erde (44% unter 25 Jahren, 1,4 Mrd. hungern). mittlerweile gibt es auch eine Stiftung Weltbevölkerung in Hannover. Viel hängt in der Prognose der Bevölkerung von den Ländern Afrikas südlich der Sahara ab. Mit 4,7 Kindern bringen Frauen dort doppelt so viel Nachwuchs zur Welt wie in anderen Regionen (am geringsten ist die Geburtenrate 2019 in Südkorea mit unter 1). Investitionen in Bildung könnten dort das Bevölkerungswachstum verlangsamen. Im November 2019 findet eine Bevölkerungskonferenz der UN in Nairobi/ Kenia statt. Vorgeschlagene Maßnahmen zum Eindämmen des Bevölkerungswachstums stoßen auf Widerstand (USA, Weißrussland, afrikanische Länder). Besonders umstritten sind Verhütungsmaßnahmen, Abtreibungen und Homosexualität.

Hinzu kommt der Trend zur Urbanisierung der Weltbevölkerung. Seit dem Jahr 2008 leben erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Für die deutsche Industrie sind die Mega-Städte allerdings eine große Chance. Deutsche Unternehmen können Techniken gegen Verkehrschaos, U-Bahnen u. a. zur Verfügung stellen. Insgesamt leben im Jahre 2011  6.973.762.000 Menschen auf der Erde. Die Weltbevölkerung wächst jährlich um die deutsche Größe (80 Mio.). In den kommenden 40 Jahren wächst sie wahrscheinlich auf 8 Mrd. an, wobei das Wachstum fast ausschließlich in den Entwicklungsländern ist. Bezieht man sich auf Erdteile, wächst die Bevölkerung in Afrika, Asien und Nordamerika. Nur in Europa geht sie zurück. In Deutschland zeigt der Prognos - Zukunftsatlas, dass  in der Mehrzahl der Städte und Kreise die Einwohnerzahl schrumpft.

Konzentriert man das Thema insgesamt auf Deutschland, ist bei der Ungleichheit zu bedenken, dass Armut und Reichtum sehr relative Größen in Wohlstandsgesellschaften sind (Schwierigkeiten der Definition). Außerdem sind große sozialstrukturelle Veränderungen zu berücksichtigen, die auch Einfluss auf die Bevölkerungsstruktur haben: Zwischen 1990 und 2011 ist die Anzahl von Einpersonenhaushalten von 35 auf über 40% gestiegen. Die Alleinerziehenden sind von 14 auf 20% gewachsen, die Älteren von 21 auf 27%. Hinzu kommt, dass die ehemaligen DDR-Bürger (16 Mio.) und neu aus dem Ausland Hinzugezogene (ungefähr 20 Mio.) - materiell - integriert werden mussten. Die Letzteren kamen aus Ländern, in denen überwiegend bittere Armut herrscht. Eine detaillierte Analyse der Bevölkerungssituation in Deutschland liefert auch der Familienreport des Bundesfamilienministeriums.  Im Bericht 2013 wird eine Trendwende bei der Geburtenrate gesehen. Bei Akademikerinnen sei der jahrelange Anstieg der Kinderlosigkeit gestoppt. Drei Viertel der Kinder wachsen bei Eltern mit Trauschein auf. Die Zahl der Scheidungen sei seit 15 Jahren konstant.

Die Lasten der alternden Gesellschaft in Deutschland lassen sich mit Zahlen belegen: 25.000 € pro Kopf betragen die Staatsschulden im Herbst 2012; es werden immer mehr für die folgenden Generationen.  Drei Erwerbstätige kommen heute auf einen Rentner, 2060 stehen zwei Rentner gegenüber. Heute beträgt die Lebenserwartung eines Mädchens 83 Jahre, 2060 rund 90 Jahre. Von der Bevölkerungsentwicklung werden die Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland sehr unterschiedlich getroffen. Bis 2025 werden die Regionen Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern mehr als 10 Prozent schrumpfen. Stark wachsen wird die Bevölkerung nahe München, in Hamburg und Berlin (mehr als +10%). s. FAZ, Montag 05.11.12, S. 5.

Exkurs: Überalterung in China und die Folgen: Der demographische Wandel macht den Wirtschaftsplanern große Sorgen. Besonders besorgniserregend ist die geringe Geburtenrate: 2020 12 Mio. Kinder, 18% weniger als 2019 (nur 1961 weniger; 4. Jahr in Folge Rückgang; Geburtenrate 1,3).  Daran hat auch die Lockerung der Ein-Kind-Regel nichts geändert. Die zunehmend urbane Bevölkerung kann sich aufgrund der Immobilien- und Bildungskosten nicht mehr als ein Kind - wenn überhaupt - leisten (es soll bald Fördergelder für Kinder geben). Bald könnten in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde auch einmal Arbeitskräfte fehlen, weil die Zahl der Erwerbspersonen sinkt (. So setzt man Hoffnungen auf die Automatisierung und KI. Die demographische Zeitbombe könnte den Aufstieg des Landes behindern. Die Daten der jüngsten Volkszählung von 2020 werden zunächst geheim gehalten, dann im Mai 21 veröffentlicht. Aber ab 2023 (Höhepunkt der Bevölkerung 2022) dürfte die Einwohnerzahl schrumpfen. In den letzten 10 Jahren von 2010 bis 2020 ist die Bevölkerung nur um +5,4% gewachsen (auf 1,412 Mrd.). Jeder fünfte Einwohner (18%) soll über 60 Jahre sein (wahrscheinlich ist die Zahl noch höher, sagen Experten). 2030 soll ihr Anteil auf 30% steigen. Die traditionellen Medien propagieren zunehmend konfuzianische Familienwerte und preisen die Mutterrolle der Frauen. Die Zahl der erlaubten Kinder von 2 soll erhöht werden.  Das Rentenalter (Männer 60.Frauen 55) soll angehoben werden. Eventuell sollen auch die Hürden für Einwanderung gesenkt werden (Ausländeranteil 0,06%). Am 24.05.21 beschloss das Politbüro eine "Optimierung der Geburtenpolitik". Diese solle helfen, die Bevölkerungsstruktur zu verbessern. Die Zwei-Kind-Politik (seit 2015) wird durch eine Drei-Kind-Politik ersetzt. Neben der Beschränkung der Kinderzahl gibt es weitere Gründe für das Schrumpfen der Bevölkerung: hohe Kosten für Wohnen, Ausbildung und Gesundheit. Auch hier müsste man ansetzen. Quelle: Nachrichtenagentur Xinhua. Der staatliche Zensurapparat verhin dert eine Diskussion über die moralische Schuld der Ein-Kind-Politik (1980). Nach einer Umfrage können sich 90% keine drei Kinder vorstellen (Ergebnis wurde später gelöscht).

Das größte Folgeproblem in Deutschland ist die Altersarmut. Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsformen, aber auch die Umstellung der Rentenformel, werden zu Versorgungsproblemen im Alter führen. 51% beträgt das Rentenniveau heute, 2030 sinkt es auf 43%. Heute gelten 14% der Senioren als armutsgefährdet. Bei Alleinerziehenden sind es 37%. Die Bundesregierung will mit einer Zuschussrente den langjährig Versicherten mit Niedrigeinkommen eine Rente von 850 € garantieren. Wer bei der Rente mit 67 früher aussteigt, muss Abschläge bis zu 18 Prozent in Kauf nehmen. Dies kann zu einer spürbaren Rentenkürzung führen. Es soll ein Konzept zur Bekämpfung der Altersarmut entwickelt werden (Gesetz). Darin enthalten ist eine Zuschussrente für Geringverdiener und höhere Zusatzverdienste für Frührentner. Die Bundesregierung beschließt im November 2012 eine Lösung (Lebensleistungsrente; Finanzierung aus Steuermitteln, nur ca. 2% werden Anspruch haben).  Schon 2012 wird deutlich, dass ca. 400.000 Senioren sich kein Altenheim mehr in Deutschland leisten können. Das durchschnittliche Arbeitsleben in der EU dauert 35 Jahre. Am längsten sind die Schweden in Arbeit mit 40 Jahren. In Deutschland sind die Erwerbstätigen 37 Jahre aktiv.  2030 wird der Höhepunkt des Bevölkerungsproblems in Deutschland erreicht: Dann wird der Jahrgang, der sich aus der Arbeit verabschiedet doppelt so groß sein wie jener, der von unten ins Erwerbsleben hineinwächst. In Bezug auf Afrika gibt es auch einen großen Irrtum: Heute sind die Menschen oft so arm, dass sie sich Flucht nicht leisten können. Bekommen die Menschen mehr Bildung, steigt die Abwanderungsbereitschaft. Also wird sich das Migrationsproblem verstärken. Wachsender Wohlstand, bessere Lebensperspektiven  und mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen führen zu sinkenden Kinderzahlen, was die Lösung sein muss. Am 18. Oktober 2012 fand im Pfalzbau Ludwigshafen ein Demographie-Kongress statt (Regionalstrategie Demographischer Wandel).

Alterung und Arbeitsmarkt: Die alternde Gesellschaft wird den Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren prägen. Der Gesundheits- und Sozialbereich wird vom Jahr 2040 an der größte Wirtschaftsbereich in Deutschland sein. Dann werden 7 Mio. Menschen in diesem Sektor arbeiten. In den nächsten 20 Jahren (ab 2020) erhöht sich die Anzahl der Beschäftigten in diesem Bereich um 660.000. im Verarbeitenden Gewerbe wird die Anzahl der Erwerbstätigen abnehmen (auf 6,4 Mio.). Die Zahl der Erwerbstätigen wird insgesamt zurückgehen, vor allem in Ostdeutschland. Quelle: Prognose des IAB, Nürnberg 2021.

2022 zeichnet sich klar eine Trendwende in der Bevölkerungsentwicklung ab. Die Bevölkerung wird schrumpfen. In Deutschland, in Europa und bald auf der ganzen Welt. Sinkt mit ihr auch der Wohlstand? Droht eine jahrzehntelange Rezession, gar ein Jahrhundert des Rückschritts. Deutschland braucht qualifizierte Einwanderer, Investition in Innovation, Bildung (gleiche Chancen für alle Kinder), mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und sollte unproduktive Arbeit den Robotern überlassen. Wir wissen aber nicht, wie sich wichtige Einflussfaktoren entwickeln (American Dream, China weiter auf der Überholspur?, Einheit Europas, Armutsfalle in Afrika und Südamerika). Vgl. Dettmers, Sebastian: Die große Arbeiterlosigkeit, München (FBV) 2022. "Wir alle kennen Arbeitslosigkeit - die neue Herausforderung ist die Arbeiterlosigkeit", siehe ebenda, Umschlagtext Rückseite.

Altersdiskriminierung (Ageism, modische englische Fachbegriff): Die Generation der über 60-jährigen hat auf der einen Seite eine enorme wirtschaftliche, politische und demografische Macht in Deutschland. Auf der anderen Seite wird sie diskriminiert - mal subtil, mal brutal. Viele ältere Menschen fühlen sich aussortiert, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Das ist auch erforscht. Ältere Kolleginnen und Kollegen werden nicht mehr für Fortbildungen eingeteilt, sie bekommen kompliziertere Aufgaben nicht mehr, Verträge werden nicht verlängert. "Age doesn´t define you", WHO 2021. Vgl. Becker, Tobias u. a.: "Zwischen Revolte und Resignation", in: Der Spiegel 13/ 25.3.23, S. 8ff.

"Über Vergangenes mache dir keine Gedanken, dem Kommenden wende dich zu", Tseng Kuang.

 

Symbol des Euro, der Währung der EU (in Euroland). Crux der EU ist, das eine gemeinsame Währung möglich ist, aber Finanzpolitik, Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik u. a. national sind. Dieses Grundproblem zerreißt immer wieder die EU. Die schwächeren  Südländer - wie z. B. Italien - leiden darunter, dass sie nicht mehr abwerten können. Corona-Bonds werden durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.05.20 erschwert. Trotzdem weitet auch die EZB die Geldmenge aus und macht mehr Anleihekäufe.

Abwertungswettlauf von Währungen ("Währungskrieg" in der Welt, Rolle der Währung und Abwertung in der Außenwirtschaftspolitik, digitale Währungen):

"Der moderne Mensch hat nur ein neues LASTER erfunden: die Schnelligkeit", Aldous Huxley.

Währungen (Geld bezogen auf Geld in einem anderen Land) beeinflussen Kaufkraft und Preise. Sie spielen eine große Rolle im Kampf um eine bessere Wettbewerbsfähigkeit zwischen Ländern. Die Beziehung zwischen zwei Währungen nennt man Wechselkurs (bzw. Devisenkurs).

Schwachwährungsländer können ihre Probleme in der Regel durch Abwertung lösen. Dadurch werden die eigenen Waren, die man exportieren will, billiger. In der EU wurde durch den Euro dieses Währungsventil geschlossen. Damit hängen die Probleme der Peripherieländer der EU (Griechenland, Italien, Spanien, Portugal) zusammen. Die eigene Wettbewerbskraft kann jetzt nicht mehr künstlich auf Kosten der Nachbarländer gestärkt werden. Der Vertrag von Maastricht verbietet ein Helfen bei Haushaltsproblemen (bail-out). Deshalb wird die Einführung eines Europäischen Währungsfonds erwogen. Die Abwertung kann wegen der Unabhängigkeit der Notenbank in vielen Ländern nicht direkt vorgenommen werden. So erfolgt sie indirekt: Wenn z. B. die Notenbanken in den USA und in Großbritannien in großem Ausmaß Staatsanleihen kaufen, um das Schuldenmachen der Regierung zu erleichtern, schwemmt dies Geld in den Markt. In der Folge sinkt dadurch der Wert von Dollar und Pfund (Weichwährungen, "billiges Geld für niedrige Wechselkurse und schnelleres Wachstum"). Bei einem G20-Treffen im Februar 2013 einigt man sich darauf, wenigstens Wechselkurse nicht direkt an Wettbewerbsgesichtspunkten auszurichten. Gewisse Zielwerte können dagegen verfolgt werden. In einen Abwertungswettlauf ("Währungskrieg") will man nicht eintreten.

Eine Ab- oder Aufwertung ist auch häufig Gegenstand von Spekulationen. Historisch am meisten wurde mit dem britischen Pfund verdient (Soros). Aber auch Peso, Rubel, Yen, Euro und Dollar waren schon das Ziel. Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Wechselkurs und Wahlen (z. B. Wahl in Italien). Die Abwertung des Euro 2010 hat die konjunkturelle Entwicklung in Europa gestärkt (Schätzung für Deutschland 2010 5 Mrd. €, 80.000 Arbeitsplätze). Daran waren vor allem die Produkte Autos, Elektrotechnik und chemische Erzeugnisse beteiligt. Dafür wurden Öl und Rohstoffe teurer. Die Abwertung des Euro allein 2010 ist z. B. verbunden mit einer Aufwertung des Yuan um 6% (feste Bindung an den Dollar). Im Juni 2010 wird der Yuan wieder durch eine Bindung an einen Währungskorb flexibilisiert (wie von 2005 - 2008), was nicht notwendigerweise zu einer Aufwertung des Yuan führen muss. Vielleicht wird die Währung in einigen Jahren (2014 oder 2015?) freigegeben. 2013 vollzieht die chinesische Zentralbank einen Kurswechsel. Das Geld wird drastisch verknappt, um die Spekulationsblasen zu bekämpfen (Zinsen im Interbankenmarkt vorübergehend bei 14%, Leitzins schon lange bei 6%). Im Herbst 2013 wird ein Experiment in Shanghai gestartet, wo ein freier Wechselkurs regional ausprobiert wird. Während Japan den Yen so stark abwertet (in den letzten Monaten um 30% gegenüber dem Dollar) hat China leicht um 2% aufgewertet (die Stückkosten sind massiv gestiegen). 2011 befindet sich der Euro gegenüber dem Dollar wieder in einem Aufwertungsprozess, 2013 in einer Abwertungsphase. Dies setzt sich mit der Senkung des Leitzinses auf 0,25% fort (siehe unten). Abwertungsprozesse haben großen Einfluss auf den Wert der Staatsanleihen. Würde z. B. der Dollar um 20% abgewertet, verlöre die chinesische Zentralbank ca. 400 Mrd. Dollar. "Gönne dir einen Augenblick der Ruhe und du begreifst, wie närrisch du herumgehastet bist", Laotse.

Nach der Abwertung des Yen durch die Geldschwemme 2013 in Japan (Hedgefonds machen Milliardengewinne mit ihrer Wette auf die Abwertung; Japan spricht von Selbstverteidigung gegen die amerikanische Geldpolitik; auch Abenomics genannt; genauer: Baustein 1 radikale Geldpolitik, um künstlich Inflation und Abwertung herbeizuführen; Baustein 2 schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme; Baustein 3 strukturelle Reformprogramme zur Erhöhung der Steuereinnahmen und Deregulierung des Arbeitsmarktes) befürchten Experten einen Abwertungswettlauf. Der Leitzins liegt fast bei Null und kann nicht weiter gesenkt werden. Deshalb kauft die Notenbank Staatsanleihen und andere Wertpapiere (die Gesamtverschuldung liegt im Mai 2013 bei 237%!). Die Geschäftsbanken horten eher das Geld und es kommt nicht in die Wirtschaft (deshalb keine Inflation). Andererseits sind Japans Banken die größten Kreditgeber im Ausland. Die japanische Wirtschaft leidet an einem Nachfragemangel und Strukturproblemen. Der Nikkei-Index steigt (seit Jahresbeginn 2013 bis Anfang Mai um 25%). Im ersten Quartal 2013 kletterte das BIP um 3,5% (die Stagnation scheint überwunden). Schwachstelle bleiben die Investitionen. Bisher investiert hauptsächlich der Staat. Importe wie Öl und Gas werden aber erheblich teurer. Japanische Anleger könnten ihr Geld ins Ausland verlagern. Insgesamt muss sich Abenomics nicht nur in der Geldpolitik, sondern auch in der Finanz- und Strukturpolitik bewähren (Sanierung des Staatshaushalts, Vertrauen ausländischer Investoren, Naivität der Sparer). Eine zu starke Abwertung birgt hohe Risiken. Es könnte ein "Sell Japan"-Effekt (gleichzeitiger Verkauf von Yen, Aktien und Anleihen) ausgelöst werden. Als kritische Grenze gilt 107 Yen.  Betroffen von den Folgen einer Yen-Abwertung sind vor allem die Schwellenländer. Extrem volatil sind der Südkoreanische Won, der Brasilianische Real, der Südafrikanische Rand und der Australische Dollar. Teilweise sind in diesen Ländern die Zinsen noch akzeptabel, wodurch Anleger angelockt werden. Die Länder werden zu Gegenmaßnahmen gezwungen (Kapitalverkehrskontrollen, Zollerhöhungen, Importverbote, vgl. auch Außenwirtschaft/Monetäre Außenwirtschaftstheorie über den Link "Monetäre Außenwirtschaftstheorie"). 2014 stürzt Argentiniens Währung Peso so stark ab wie seit zehn Jahren nicht mehr. Investoren befürchten eine Finanz- und Wirtschaftskrise. In Europa  müssen einige Länder dem Pfund folgen und auch abwerten (Dänemark, Norwegen). Ein wirksame Waffe in "Währungskriegen" ist eine expansive Geldpolitik. Das ist auch ein Grund für die weltweite Geldschwemme. Die angekündigte Verringerung der Geldmenge in den USA durch die Fed lässt 2013 die Währungen der Schwellenländer wieder schwächer werden. Der brasilianische Real verliert im ersten Halbjahr 2013 20% gegenüber dem Dollar. Jetzt legt Brasilien ein Interventionsprogramm auf (45 Mio. €, Tauschgeschäfte in $/ Swaps und Fremdwährungsgeschäfte). Aber auch 2014 verliert der Real weiter an Wert. Die indische Rupie hat noch stärker verloren (innerhalb von zwei Jahren mehr als 40%).  Verloren hat 2013 auch die indonesische Rupiah. Schwächer wurde auch 2013 die Währung der Türkei (2014 setzt sich die rasante Talfahrt fort, Leitzinserhöhung?). Der Leitzins wird Ende Januar 2014 auf 12% erhöht (von 7,75%).  Relativ stark bleibt 2013 der mexikanische Peso (der Leitzins konnte  auf 3,75% gesenkt werden). Südafrika erhöht den Leitzins Ende Januar 2014 auf 5,5%. Aber der Kapitalabfluss wird nicht aufgehalten. 2014 sind auch die Währungen im Osten, vor allem der Rubel, im freien Fall. Aber auch der kasachische Tenge ist betrofffen. Die Aussicht auf eine Zinserhöhung in den USA beeinflusst Investoren ihr Kapital abzuziehen und in die USA zu bringen. Immer mehr Länder erwägen, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. Die Beibehaltung der lockeren Geldpolitik der Fed im Herbst 2013 verschafft den Schwellenländern zunächst Zeit (Währungen werten wieder auf). Im Januar drosselt die Fed ihre lockere Geldpolitik. Die EU verfehlt ihr Inflationsziel von 2% 2013. Aktuell ist die Inflationsrate bei 1,2% (in der Eurozone bei 0,7%, Oktober 13). Die Furcht vor Deflation geht um. Fallende Preise führen zu steigendem realen Wert der Schulden. Das kann insbesondere den kriselnden Staaten des Südens schaden. So könnte es sein, dass die EZB die Zinsen weiter senkt; auch um den Euro abzuwerten. Davon profitierten vor allem die Exporteure in Europas Süden. Dies geschieht dann auch am 07.11.13 von 0,5% auf 0,25%. Sofort verliert der Euro an Wert und der Aktienkurs legt zu. Die Frage ist, ob der Konsum angeregt wird (Binnenkonsum). Es könnte auch Inflationsgefahr drohen. Die Frage ist auch, ob die Banken das Geld weitergeben oder horten. "Es gibt eine Zeit zum Fisch und eine Zeit zum Netzetrocknen", aus Neuseeland.

Die weltweite Liquiditätsschwemme lässt das Vertrauen in Papiergeld schwinden. Alternative Werte wie Gold (Preis bricht zwischenzeitlich ein) und Immobilien werden wichtiger. Im Mai 2013 senkt die EZB den Leitzins für den Euroraum um 25 Basispunkte auf das historisch niedrige Niveau von 0,50%. Dies geschieht in der Hoffnung, dass die Banken niedrige Kreditzinsen an die Wirtschaft weitergeben, um die Konjunktur anzuregen (allerdings fraglich bei der schlechten Lage der Banken in den Krisenländern). In Griechenland, wo der Markt für Mittelstandskredite 2013 fast zusammengebrochen ist, soll die Europäische Investitionsbank helfen. Prognosen - auch die der EU-Kommission - sehen eine negative Entwicklung des BIP in Europa (2013 -0,4%). Auch Deutschland wird in den Sog nach unten mitgezogen (viele große Unternehmen aus dem DAX bauen Stellen ab). Die Liquidität wächst natürlich weiter (Euro könnte in der Folge abgewertet werden, was zunächst auch passiert). Es könnten auch falsche Signale verstärkt werden. Dies könnte dazu führen, dass die Akteure wieder höhere Risiken eingehen (dann Blasenbildung, vor allem auf dem Immobilienmarkt, der sowieso der Fluchtmarkt ist). Diese Entwicklung zeigt sich schon in den USA. Die expansive Geldpolitik der US-Notenbank lässt die Preise am Immobilienmarkt 2013 kräftig anziehen. Die großen staatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac unterstützen dies. Hier könnte sich die nächste Blase aufbauen. Für die Sparer ist diese Entwicklung eine Katastrophe. Die versprochenen Renditen für die private Altersvorsorge lösen sich in Luft auf. Würde die Krise aber weiter eskalieren, müssten die Sparer noch mehr um ihr Geld bangen. Im Grunde befinden sich die drei großen Wirtschaftsräume USA, EU und Japan in einer geldpolitischen Experimentierphase. Sie haben vor allem versäumt, ihren Bankensektor zu bereinigen. So werden zu unrecht weiter Krisenbanken unterstützt (weil sie schwer identifizierbar sind). Störungen bei der Giralgeld - Schöpfung der Banken konnten neutralisiert werden, aber das Verhalten von privaten Haushalten und Unternehmen wurde verunsichert (obwohl hier eigentlich die Geldmenge nicht außergewöhnlich aufgebläht wurde). Die Börsen honorieren die Geldpolitik zunächst. Die Frage ist, ob und wann die Realwirtschaft wieder florieren wird. Die großen Unternehmen profitieren. Im Jahre 2012 haben sie durch Anleihen, die niedriger verzinst sind als im Krisenjahr 2007, 580 Mio. € an Zinszahlungen eingespart (Quelle: CBP, Uni Saarbrücken). Die Nachfrage aus den Schwellenländern sinkt (hängen stark an der Geldpolitik der Fed), wovon auch Deutschland betroffen ist (Exporte in diese Länder machen 11,1% des BIP aus, IWF). Nur China erscheint als Hort der Stabilität. Weder bricht die Währung ein, noch fliehen Investoren (Finanzsektor von den großen Staatsbanken geprägt).

Insgesamt hat die Notenbankpolitik in den USA und der Abwertungswettlauf der Währungen zu einem Sinkflug der Schwellenländer geführt. 2014 ist das Wachstum wichtiger Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien, Türkei, Russland und Indien eingebrochen. Der Verlust der jeweiligen Landeswährung zum Dollar ist immens (Anfang 2011 bis Anfang 2014):  Argentinien -49,4%; Brasilien -30,3; Türkei -30,5; Russland -12,1; Indien -28,2. Auch die Aktienmärkte brechen ein, außer in Argentinien. Am 22.01.15 gibt die EZB den Kauf von Staatsanleihen von Banken im großen Rahmen bekannt. Dadurch soll Geld in neue Anlagen fließen, vor allem in den südlichen Krisenländern (monetäres Konjunkturprogramm). Die Wirtschaft soll schneller wachsen. Die Steuerzahler stehen dafür im Risiko (zusätzlich bekommen sie fürs Sparen dauerhaft keinen Zins mehr und können für das Alter nicht mehr vorsorgen). Am 22.0102015 gibt die EZB den Kauf von Staatsanleihen in großem Umfang bekannt. Monatlich werden für 60 Mrd. Euro Staatsanleihen von Banken aufgekauft (von März 2015 bis September 2016. Die Summe beträgt insgesamt 1140 Mrd. €). Die Staatsanleihen werden nach dem Anteil der Mitgliedsländer an der Notenbank gekauft, also am meisten Papiere von den Deutschen (trotzdem ist es eine Art Vergemeinschaftung der Haftung für Staatsschulden). Es gibt keine Eingrenzung bei den Laufzeiten. Die Frage ist, ob die Krisenländer jetzt trotzdem weiter Reformen durchführen und ihre Haushalte konsolidieren. Offen bleibt auch, ob die Preissteigerung tatsächlich angehoben werden kann. Ein schwächerer Euro ist sicher auch für die Exportwirtschaft erwünscht, insofern ist dies ein Element im Währungskrieg  

Aktuell: Die EZB (oder vorher die Fed) "produziert" neues Geld, indem sie Staatsanleihen auf dem Markt von den Banken kauft. Das Geld soll über die Banken in den realen Markt einsickern. Das Ziel ist, die Konjunktur anzukurbeln und die Inflation zu erhöhen (im Januar 2015 erstmals Preisrückgang). Der Euro-Kurs wird nebenbei gegenüber Dollar und Yen gedrückt, was die Exportchancen verbessert. Die Staaten können sich billiger verschulden (was sie hoffentlich nicht von Strukturreformen abhält; erst einmal hat man Zeit gewonnen). Die Steuerzahler zahlen die Zeche (als Sparer und Rentner). Die Vermögenswerte steigen (Aktien, Häuser). Insgesamt gesehen wirken die Anleihekäufe also über drei Kanäle: Kredite, Vermögen und Wechselkurs. Man kann die Wirkung aber nicht gleichsetzen in den großen Industrieländern (in Großbritannien und USA positiv, in Japan negativ). So funktionieren die Kapitalmärkte in den USA anders (mehr auch auf Immobilien und Unternehmensanleihen bezogen). Die Geldflut könnte das reale Bild über die ökonomischen Fähigkeiten verzerren. Am 14.12.16 erhöht die Fed den Leitzins in den USA leicht auf 0,5 bis 0,75%. Dadurch steigen in der Regel die Schulden der Schwellenländer, die überwiegend in Dollar bestehen. Am 15.03.17 erfolgt eine weitere Leitzinserhöhung auf die Spanne von 0,75 bis 1,0 %. 2020 kommen Leitzinserhöhungen in den USA in der Corona-Krise.   "Ich verstehe nicht, warum Länder ihre Währung abwerten, um den Export zu fördern, und dann andere Länder zwingen wollen, ihre Währung aufzuwerten", Wen Jiabao, ehemaliger Ministerpräsident Chinas vor dem Nationalen Volkskongress im März 2010.

Die Diskussion über Abwertungen und eine "angemessene" Bewertung von Währungen wird nie enden. Erstens ist die Wirtschaftsdynamik und die Krisenanfälligkeit in der Welt so hoch, dass Erwartungssprünge immer für Unsicherheiten und Volatilitäten sorgen werden. Zweitens gibt keine Einigkeit über das "richtige" Wechselkursniveau. Allein der Hauptindikator "Big Mac-Index" für die Beurteilung von Über- oder Unterbewertungen zeugt davon, wie wenig Möglichkeiten die Wissenschaft mit ihren Modellen hat. Drittens wird durch den Mechanismus, dass die Abwertung des einen Landes automatisch zur Aufwertung in einem anderen Land führt eine Art "Perpetuum Mobile" in Gang gesetzt.  Insofern steht der nächste Abwertungswettlauf immer bevor. Letzter Auslöser war ein Abwertungsprozess im August 2015 in der VR China drei Tage hintereinander. 2016 stürzt das britische Pfund ab nach der Brexit -Entscheidung. 2017 erstarkt der Dollar nach der politischen Wende in den USA. 2018 schmiert die türkische Lira ab (verliert 2018 die Hälfte ihres Wertes) wegen der Wirtschaftskrise (Arbeitslosigkeit, Inflation, Verschuldung) und den 50%-Strafzöllen der USA auf Stahl (Nichtfreilassung eines US-Pastors). Neben der Abwertung rückt mit dem Ausbreiten eines Handelskrieges auch immer mehr die globale Rolle der Währung in den Mittelpunkt. Stärkung der Rolle des Euro in der Welt: Mehr Verwendung des Euro im internationalen Handel. Vor allem der Energiesektor (Energieimporte) wird zu stark in Dollar gehandelt (Öl, Gas). Die internationalen Kontakte nach Südamerika, Afrika und Asien sollten stärker für den Euro genutzt werden. Finanzinfrastrukturen sind in einem starken Wandel. Zahlungen werden auf immer neuen Wegen abgewickelt. Der Euro sollte das als Chance nutzen. Eine Kapitalmarktunion mit stärker integrierten Märkten könnte weiter helfen. Ein Sieg der neuen digitalen Währung "Libra" könnte die Gesamtsituation verändern, weil sie sich auf ein eignes Bewertungsmodell gründet. Auch china versucht, über den Aufbau eines digitalen Renminbi die Weltleitwährung "Dollar" angreifen zu können. 2020 deutet die starke Abwertung des US-Dollars in der Corona-Krise auf den Start einer nächsten Etappe des Abwertungswettlaufs hin.

 

Soziale Gerechtigkeit und Arbeit (Begriff und Problem, philosophische Grundlagen, Messung, Ungleichheit in der Welt, Ursachen, Eigentumsordnung, Folgen, Armut, Politischer Grundwert, Prognose, Abstieg der Mittelschicht; Themen; vgl. auch die  Seiten "Economics/ special"/ Arbeitsökonomik, "Methode/Econometrics" und "Ostasien/global")

Die Wieskirche in Oberbayern bei Steingaden. Sie gilt als Bayerns schönster Rokoko-Bau und ist seit 1983 Weltkulturerbe. Die katholische Kirche und  die evangelische Kirche sehen soziale Gerechtigkeit als einen ihrer wichtigsten Werte an (verbunden mit Barmherzigkeit). Gerechtigkeit ist der Kern religiöser Existenz.  Schon der Prophet Amos in der Bibel sieht durch wirtschaftliche Blüte die Gefahr wachsender Ungleichheit und fordert Gerechtigkeit ein (Recht wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein Bach). Ebenso stellen alle politischen Parteien die soziale Gerechtigkeit als ein Ziel heraus. So anerkannt Gerechtigkeit als Wertvorstellung ist, so umstritten ist die konkrete Definition und die praktische Umsetzung in der ökonomischen Realität. Durch das Vordringen von Marktgesellschaft und Marktgläubigkeit ist die Soziale Gerechtigkeit in den Hintergrund getreten. In China dürfte sich die Existenz der KPCh und damit des Systems  an der Gerechtigkeitsfrage entscheiden. Es gibt eine Reihe von Vorzeigeprojekte, die die Armut bekämpfen.

"Ich für meinen Teil glaube, dass es eine soziale und psychologische Rechtfertigung für eine signifikante Ungleichverteilung von Einkommen und Wohlstand gibt - allerdings nicht für derart große Missverhältnisse, wie sie heute existieren", John Maynard Keynes.

Begriff und Problem: Ursprünglich bedeutete Gerechtigkeit nur die Durchsetzung geltenden Rechts und die Rechtsgleichheit aller vor dem Gesetz. Man unterscheidet heute bei der Gerechtigkeit Leistungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit (im Rahmen eines Gesellschaftsvertrags eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens) und Ergebnisgerechtigkeit (im Sinne von soziale Gleichheit). Daneben werden oft noch Familiengerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit genannt. Es ist ein Dauerthema der politischen Diskussion (vgl. unten), wenn effiziente Marktergebnisse als ungerecht empfunden werden. Nach Umfragen ist die gefühlte Ungerechtigkeit seit den 80er Jahren stetig gewachsen, seit 2008 sprunghaft. Viele glauben, dass Leistung nicht mehr gerecht gemessen wird. Auch Bildung kann Aufstieg nicht mehr garantieren. Es gibt nicht mehr genug Arbeit für alle, die arbeiten wollen. Viele Menschen kommen aus der prekären Beschäftigung nicht mehr heraus (vgl. M. Breitscheidel: Arm durch Arbeit, Berlin 2010). Das ist besonders kritisch in modernen Gesellschaften, in denen sich normalerweise der Mensch über die Arbeit definiert. Damit hängt auch das Glück von der Arbeit ab (vgl. Arbeit. Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht, Bauer, Joachim, München (Blessing) 2013. An die Arbeit gebunden sind auch Gesundheit und Rente. Fast ein Fünftel aller Jugendlichen findet keine richtige Arbeit (20% der Fünfzehnjährigen können nur auf Grundschulniveau rechnen, lesen und schreiben, Vgl. Die Zeit Nr.40, 26. Sep. 2013, S. 25f.). Die Generationengerechtigkeit ist in Deutschland und vielen anderen Ländern darüber hinaus durch die dramatische demographische Entwicklung gefährdet. Die Menschen leben sehr lange, es gibt zu wenige Kinder, die die vielen Älteren finanzieren können (Sozialversicherung). In der Demokratie und Marktwirtschaft sehen viele Experten den Kern in der Chancengerechtigkeit. Diese kann durch wachsende Ungleichheit, die durch die Wirtschaftskrisen beschleunigt wurde, stark gefährdet sein. Die Verhaltensökonomie liefert ständig neue Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass den Menschen Gerechtigkeitsfragen mindestens genauso wichtig sind wie ihr eigener Vorteil. Meiner Meinung nach können wichtige und grundlegende ökonomische Fragen nicht ohne Rekurs auf Fragen der Gerechtigkeit entschieden werden. Reine und unkritische Marktgläubigkeit in der Ökonomie führen auch zu Politikverdrossenheit, Desinteresse, Egoismus und Frustration. "Je mehr einer für andere tut, desto mehr besitzt er. Je mehr er anderen gibt, desto mehr hat er", Laotse.

Philosophische Grundlagen: John Rawls (Theory of Justice, 1921 bis 2002): Nicht alle sind gleich, also sollen auch nicht alle gleich behandelt werden. Im Zweifel sollen die Schwächsten bevorzugt werden. "Jeder Mensch besitzt eine aus der Gerechtigkeit entspringende Unverletzlichkeit, die aus dem Namen des Wohls der ganzen Gesellschaft nicht aufgehoben werden kann. Daher lässt es die Gerechtigkeit nicht zu, dass der Verlust der Freiheit bei einigen durch ein größeres Wohl für andere wettgemacht wird", John Rawls. Alle großen Ökonomen haben sich mit der Frage der ökonomischen Gerechtigkeit beschäftigt. Schon der Begründer der Ökonomie Adam Smith ging darauf ein. Er definierte eine Art Minimum - Gerechtigkeit (vom Ertrag der Arbeit leben können, Fairness). Gustav von Schmoller (1838-1917) wies auf das selbständige Denken und Handeln der Menschen ("Selbsthilfe") hin. Ludwig Ehrhard, der Begründer der Sozialen Marktwirtschaft (1897-1977), wollte den Kampf um Distribution vermeiden (also Umverteilung), damit das Wachstum des BIP im Mittelpunkt steht. Friedrich August von Hayek will keine Verteilungsgerechtigkeit, sondern Regelgerechtigkeit (Ders., Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, 1976). Milton Friedman propagierte "The business of business is business" (die Wirtschaft soll nicht über gerecht oder ungerecht diskutieren). Als einer der ersten großen Denker machte Aristoteles (384-322 v. Chr.) die Gerechtigkeit zum Thema. Er glaubt nicht, dass Gerechtigkeit neutral sein kann. Sie ist einmal teleologisch (man muss Zweck und Ziel der Natur kennen) und hat zum anderen mit Ehre zu tun. Die Menschen sollen das bekommen, was sie verdienen. Charakterbildung ist aber nur im Austausch von Argumenten möglich. Die Soziale Gerechtigkeit steht im Zentrum des Marxismus (Karl Marx, 1818-1883; Hauptwerk "Das Kapital", 1867-1894, 3 Bände): Die Produktionsmittel sind im Eigentum einer Minderheit. Diese beutet die Arbeit der Mehrheit aus. Die Arbeiter werden gebildeter  und schütteln die Unterdrückung ab (kommunistische Revolution). Auch viele Schriftsteller und Dichter haben sich des Themas angenommen (z. B. Georg Büchner, Berthold Brecht). "Lieber die Hütte, wo man fröhlich ist, als der Palast, wo man weint", aus China. "Unsere Wohlstandskultur vermindert offenbar unser Gespür für unsere gegenseitige Verantwortlichkeit", Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln. Drum machte er lieber Investments als den Bedürftigen zu helfen. Vgl. Die Zeit, Nr. 8, 13. Februar 2014, S.17ff.

Vergleiche zum Thema Philosophie der Gerechtigkeit aktuell die Analyse von Michael J. Sandel: Gerechtigkeit. Wie wir das Richtige tun, Berlin 2013 (Originalausgabe mit dem Titel "Justice", New York 2009). Er beschreibt auch die vier grundlegenden Theorien der Verteilungsgerechtigkeit: 1. Feudal- und Kastensystem. 2. Libertarianisch: freier Markt mit formaler Chancengleichheit. 3. Meritokratie: freier Markt mit fairer Chancengleichheit. 4. Egalitär: Rawls´Unterschiedsprinzip. Sandel prägt mit seinem Harvard-Kurs-Hit "Gerechtigkeit" auch die Moralvorstellungen der ökonomischen Elite von morgen. Weil die Nachfrage so gewaltig war, wurde die Vorlesung ins Internet gestellt ( www.justiceharvard.org ). Er sieht insgesamt drei philosophische Traditionen bei dem Gerechtigkeitskonzept: Utilitarismus (J. S. Mill; Maximierung von Glück und Wohlstand), Immanuel Kant (Gerechtigkeit als Respekt vor individueller Freiheit und persönlicher Würde), Aristoteles (Gerechtigkeit als Ziel eines gelingenden Lebens und Zusammenlebens, Kultivierung der Tugenden). Aus seiner Sicht spricht viele für den Gerechtigkeitsbegriff von Aristoteles. Vgl. Das Marktdenken hat uns im Griff, Interview mit Michael Sandel in der Wirtschaftswoche, Nr. 45, 4.11.2013, S. 26f. "Nichts verhindert den rechten Genuss so wie der Überfluss", Michael de Montaigne.

Messung und Ergebnisse (Transparenz): International vergleicht man empirisch (Statistik) normalerweise beim Einkommen den Gini-Koeffizienten (Vgl. auch Methoden, Alternativen: Herfindahl, relative und absolute Konzentration, Anteile am Medianeinkommen, Mittelwerte, Lorenzkurve, Pro-Kopf-Einkommen u. a.). Der Wert eins bei Gini definiert totale Ungleichheit (einer hat alles und alle anderen nichts). Bei null besteht völlige Gleichheit. Graphisch kann dies an der Lorenz-Kurve dargestellt werden. Der Gini-Koeffizient ist nach einem italienischen Statistiker benannt und berechnet mathematisch die Fläche zwischen Diagonale und den Seiten in einem Rechteck. Über die mathematischen Methoden und deren Vor- und Nachteile herrscht Klarheit. Das Problem sind die zugrunde liegenden amtlichen Statistiken. Sie sind verzerrt, mit Lücken behaftet und veraltet. Auch die Zuordnung statistischer Daten zu der Formel ist umstritten. Die statistische Grundlage der sozialen Gerechtigkeit ist also sehr unbefriedigend. Deutschland liegt beim Einkommen bei 0,3 (gleicher als USA, Japan, China, Großbritannien). Die USA liegen bei 0,38, Japan bei 0,33. Dänemark hat einen Wert von 0,25 (OECD). Man kann den Gini-Koeffzienten vor und nach der staatlichen Umverteilung berechnen (vgl. zu mehr das Gebiet "Arbeitsökonomik"). Betrachtet man Verteilungsmaße im zeitlichen Ablauf sollten immer auch sozialstrukturelle Veränderungen berücksichtigt werden. Für die Bekämpfung relativer Ungerechtigkeit (bei Löhnen) sind in den europäischen Staaten eigentlich die Gewerkschaften zuständig. National werden Einkommens- und Vermögensverteilung betrachtet.  "Wer sich darauf versteht, das Leben zu genießen, muss keine Reichtümer anhäufen", aus China.

Historische Entwicklung: Diese wird sehr plastisch und umfassend in dem Werk von Oded Galor "The Journey of Humanity. Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende. Über die Entstehung von Wohlstand und Ungleichheit" dargelegt. Die Masse der Menschheit lebte bis Ende des 18 Jahrhunderts in Armut. Weil alle arm waren, war auch das Pro-Kopf-Einkommen in den verschiedenen Weltregionen relativ gleich.

Beim Vermögen 2008 hatte in Deutschland das reichste Zehntel der Bevölkerung 52,9% des Nettovermögens. 1,2% des Vermögens sind im Besitz der ärmeren Hälfte der Haushalte (Quelle: EVS 2008; 4. Armuts- und Reichtumsbericht; Der Spiegel 7/2013, S. 40). 2010 gegenüber 2000 hatte das unterste Zehntel  der Haushalte bezogen auf das verfügbare Einkommen einen Rückgang von -10,3% zu verzeichnen. Das oberste Zehntel einen Zuwachs im gleichen Zeitraum von 15,5% (Quelle: SOEP, DIW Berlin). Es gibt große statistische Defizite. Das Statistische Bundesamt kann über Vermögen über 2 Millionen Euro kaum Angaben machen. Völlig unzureichend sind die Informationen über die Verteilung des Produktivvermögens. Immer wieder umstritten ist auch die Armutsgrenze (klar ist, dass sie relativ ist). Hier sind die Statistiken bei Auswertung immer schon einige Jahre alt (5 Jahre). Der Gini-Koeffizient wird auch in Deutschland beim Netto-Vermögen errechnet. 2008 war der Wert 0,75. Das reine Geldvermögen ist 2012 in Deutschland so hoch wie nie zuvor. Es liegt auf der Rekordhöhe von 4939 Mrd. Euro.  Allerdings liegt auch die Verschuldung der privaten Haushalte relativ hoch (1566 Mrd. €). Das Nettovermögen pro Haushalt ist in Deutschland im europäischen Vergleich eher niedrig (51.400€, Angaben der EZB). In Frankreich, Italien und Spanien ist es viel höher. Es ist ein interessantes Phänomen, dass die deutsche Volkswirtschaft insgesamt sehr viel mehr produziert als sie verbraucht (Exportüberschuss!), davon aber im Vergleich wenig beim Bürger zur Vermögensbildung bleibt. Das liegt daran, dass die gesamtwirtschaftliche Ersparnis schlecht angelegt wird und dass die Sparleistung (Vermögensbildung) sehr ungleich verteilt ist (vgl. Gros, D./ Mayer, T.: Ein Vermögensbildungsfonds für Deutschland, in: FAZ, Nr. 22, 22.11.13, S. 12). Auch die Wohnungseigentümerquote ist in Deutschland lediglich bei 45,7%. Der europäische Schnitt liegt bei 70 Prozent.  "Genug zu haben ist Glück, mehr als genug zu haben ist unheilvoll. Das gilt vor allen Dingen, aber besonders vom Geld", Laotse. Der reichste Deutsche war Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht, der 2014 starb (März 2014 Vermögen auf 18 Mrd. Euro geschätzt).

Global (transnational): Ungerechte Arbeitsbedingungen im Ausland werden auch oft angeprangert (Lohnsklaverei, Interdependenzen zu uns! Konsumethik). Die Ungleichheit in den meisten Ländern der Welt nimmt zu. Immer weniger Menschen haben immer mehr Reichtum (Luxus). Die Mittelschicht wird ausgedünnt und die Zahl der Armen nimmt drastisch zu. Ursachen (vgl. auch weiter unten genauer) sind Konstruktionsfehler der Marktwirtschaft, falsche Politik, technischer Fortschritt (stärkere Lohnunterschiede) sowie die Globalisierung. Insbesondere die Fortschritte in der Informationstechnologie führen zu immer größeren Ungleichheiten in den Industriegesellschaften (sie ersetzen das Gehirn und machen die Arbeit von vielen Menschen überflüssig). Produktivitätsgewinne verteilen sich immer mehr zu Gunsten der oberen Klassen (in US-Unternehmen ist dieser Effekt am stärksten, weil sie mehr aus der IT-Technologie herausholen). Vgl. Robert Shiller, Irrational Exuberance, Princeton 2000 (Nobelpreisträger 2013). In der Entwicklung der Ungleichheit liegen große Risiken. Vgl. Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht, München 2012. "Im Jahr 2007, dem Jahr vor der Krise, verfügten die obersten 0,1 Prozent der amerikanischen Haushalte über ein 220 Mal höheres Einkommen als der Durchschnitt der unteren 90 Prozent", Ebenda S. 30. In den USA formiert sich 2014 eine neue Bürger-Bewegung, die gegen die soziale Spaltung und für einen Mindestlohn von 15 Dollar kämpft.  Stiglitz erläutert eindringlich die Funktionsweise von "Rent-Seeking". Er führt weiterhin aus, wie Ungleichheit die Chancengerechtigkeit einschränkt und Politik und Justiz korrumpiert. Mehr Ungleichheit ist ein langfristiger globaler Trend, unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Systemen bzw. Konjunkturzyklen. Dadurch könnte das Wachstum und die soziale Stabilität bedroht sein. In keiner großen Volkswirtschaft ist der Unterschied zwischen Arm und Reich  so groß wie im kommunistischen China. Es gibt dort 315 Milliardäre und 2,8 Mio. Millionäre (das Vermögen der fünf Reichsten hat sich innerhalb eines Jahres um 80% vermehrt). Die Verbindungen zwischen den Superreichen und der Politik ist sehr eng (Quelle: Hurun-Report 2013). Obwohl China sich als sozialistische Marktwirtschaft definiert, ist es extrem elitär und ungleich in den Lebenschancen (Gini 2012= 0,42). Große Ungleichheit tritt in allen Schwellenländern zutage. In den USA als führendem Industrieland erzielen 10% der Menschen 2007 49,7% des Gesamteinkommens (2012 bezogen die obersten 10 Prozent sogar 50,4% aller Einkommen), also nahezu die Hälfte (ebenso geringe soziale Mobilität, teure Ausbildungssystem als Ursache?). Die Wirtschaftskrise von 2009 bis 2012 hat bei den Spitzenverdienern keine Negativfolgen hinterlassen (Emmanuel Saez, Uni Berkeley). In Japan wird die soziale Differenzierung von der materiellen Situation dominiert (Gisela Trommsdorf, Soziale Ungleichheit in Japan..., in: KZfSS 39/1987, S, 496-515).  39% des weltweiten Vermögens soll sich in den Händen von lediglich 0,9% der Weltbevölkerung befinden (Quelle: Boston Consulting Group: Shaping a New Tomorrow, How to Capitalize on the Momentum of Change, Global Wealth Report 2011, S. 7). Mittlerweile gehört nach Ansicht des Weltwirtschaftsforums (WEF) die Kluft zwischen Arm und Reich zu den größten Risiken der Weltwirtschaft (neben Ungleichgewichten in den Staatshaushalten). Es folgen der Ausfall des internationalen Finanzsystems und die Trinkwasserknappheit. Vergleiche auch A. V. Banerjee/ E. Duflo: Poor Economics, Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut, München 2012. Sie zeigen auf, warum die Armen so anders leben und wirtschaften. Sie eröffnen eine eigne Perspektive für wirtschaftliches Denken (Homepage: http://pooreconomics.com ). Die Zahl der bekannten und unbekannten Milliardäre ist in der Welt drastisch angestiegen. Es ist eine neue globale Klasse mit gigantischem Vermögen entstanden (vor allem in Schwellenländern wie China, Indien u. a.). Die globalen Eliten entziehen sich der Kontrolle einzelner Staaten und bedrohen als Plutokratie viele Demokratien (z. B. in Griechenland). Vgl. Chrystia Freeland: Die Superreichen. Aufstieg und Fall einer neuen globalen Geldelite, Frankfurt/Main (Westend) 2013. Der Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen (aus Indien stammend, lehrt in den USA) zeigt Wege auf, wie soziale Gerechtigkeit international hergestellt werden kann (Ders., Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, München 1999). Man könnte von einem Befähigungsansatz sprechen. Die Freiheit des einzelnen soll soziale Verpflichtung für soziale Gerechtigkeit sein. Natürlich kann man die Diskussion um globale soziale Ungerechtigkeit auch umfassender anlegen (25% der Erdbevölkerung lebt in Industrieländern, die über 50% des Wohlstands und über 75% des Welthandels verfügen; Terms of Trade als Nullsummenspiel!; Ausbeutung der globalen Ressourcen durch die Industrieländer).  Der erste Milliardär war John D. Rockefeller (1916-1937). Als er starb, betrug sein Vermögen 1,4 Mrd. US-Dollar. Dies entsprach 1,53% des BIP der USA. Wahrscheinlich war er damals der reichste Mann der USA und der Welt. Heute ist der Mexikaner Carlos Slim (laut Forbes) der reichste Mann der Welt. Sein Anteil am mexikanischen BIP dürfte ähnlich hoch sein (genauso ungewöhnlich ist es, dass Mexiko-Stadt einen Anteil von ca. 50% hat am mexikanischen BIP).

Ursachen (vgl. auch in Global): Wodurch entsteht nun die große Ungleichheit in der heutigen Welt? Warum sind einige Länder arm und andere reich? Wie soll man Ungleichheit entgegentreten? Institutionen haben eine große Bedeutung, die im Sinne der Bürger funktionieren. Sie sorgen dafür, dass sich Nationen  mit gleichen Voraussetzungen wirtschaftlich und politisch unterschiedlich entwickeln. Eliten können mittels repressiver Institutionen die Regeln zu ihren Gunsten manipulieren. "Extraktive Institutionen kommen in der Geschichte so häufig vor, weil ihnen eine machtvolle Logik innewohnt: Sie können einen begrenzten Wohlstand hervorbringen und ihn einer kleinen Elite zuführen", Acemoglu/ Robinson, S. 193.  Vgl. Daron Acemoglu/ James A. Robinson: Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut, Frankfurt a. M. (S. Fischer; amerikanische Originalausgabe mit folgendem Titel: Why Nations Fail. The Origins of Power, Prosperity, and Poverty, (Crown) New York 2012). "Das vorliegende Buch erläutert, wie inklusive und extraktive Institutionen funktionieren, welche Auswirkungen sie auf die wirtschaftlichen Ergebnisse haben und wie sie sich im Lauf der Zeit entwickeln, in ihrem Zustand verharren oder sich ändern", Acemoglu/ Robinson, ebenda, S. 15f. In einer Marktwirtschaft - wie in Deutschland - werden Einkommen und Erträge aus der Arbeit und dem Handel nur nach Leistung verteilt. Wer viel arbeitet und im Besitz eines knappen Gutes ist und das anbietet, was viele wollen, bekommt viel. Wer nichts anzubieten hat, bekommt auch nichts. Dies ist die Logik des Wettbewerbs. Nur wer aufgrund eines Handicaps am Markt nicht bestehen kann, bekommt Transferzahlungen (Umverteilung in der Sozialen Marktwirtschaft). Den größten Einfluss auf die Ungleichverteilung hat die Institution "Eigentumsordnung". Man unterscheidet drei Vermögensarten: Grund und Boden, mit den dazugehörigen Immobilien; Produktivvermögen (Eigentum an Unternehmen mit Aktien) und Geldvermögen. Die Ungleichverteilung dieser Vermögensarten, die legal ist, hat in jeder Gesellschaft die immanente Tendenz zu immer stärkerer Ungleichverteilung.  Dies kann bis zu exponentiellen Entwicklungen gehen, wobei die illegalen Trends des Steuerbetrugs und der Steueroasen noch nicht mitgerechnet sind. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die auch die Eigentumsordnung prägen, haben durch Senkung der Transferzahlungen, Privatisierung und Deregulierung die Ungleichheit verstärkt. Eine wichtige Determinante der Ungleichheit ist die Kultur und ihre historische Entwicklung. Der Konfuzianismus (wird auch heute noch in China und Japan als Rechtfertigung für Ungleichheit instrumentalisiert)  und Hinduismus in Asien, der Katholizismus in Europa haben Ungleichheiten gefördert und legitimiert. Einen großen Einfluss auf die Ungleichheit hat auch das kulturelle Element "geändertes Heiratsverhalten" von Akademikern: Diese heiraten immer später und auch Akademiker.  Diese Entwicklung hat einen Nebeneffekt für die Gesellschaft: Der soziale Aufstieg durch Heirat wird immer schwieriger - und das verringert die Aufstiegschancen generell. Sogar die steigende Einkommensungleichheit in westlichen Gesellschaften lässt sich zum Teil mit den veränderten Heiratsverhalten erklären. "The more you get, the more you want", Proverb, über 650 Jahre alt. Ebenso: "Much would have more"; Wer viel hat, will noch mehr.

Folgen:  Für Wachstum: Alle Gesellschaften sind ungleich verteilt. Wer kein akkumuliertes Kapital besitzt, ist unzufrieden. Es entsteht Druck auf die Politik, eine Umverteilung einzuleiten. Die Umverteilung wird durch höhere Steuern auf akkumuliertes Kapital finanziert. Höhere Steuern können das Wirtschaftswachstum verlangsamen (Quelle: Alberto Alesina, Dani Rodrik, Distributive Politics and Economic Growth, 1994; vgl. Das Wirtschaftsbuch, München 2013, S. 326, 327). "Je ungleicher der Wohlstand verteilt ist, desto höher sind die Steuern und desto niedriger ist das Wachstum", Alesina/ Rodrik, ebenda. Die Ungleichheit nimmt in Zeiten der Finanzkrise und des Abwertungswettlauf von Währungen zu (Entwicklung). Die Ärmeren sparen überwiegend in Geldvermögen (niedrig verzinsliche Bankeinlagen), das besonders durch Entwertung und Inflation geschädigt wird (Berechnungen der Allianz 2013: 5,8 Mrd. € Verlust durch Niedrigzinspolitik). Reichere profitieren mit ihren Kapital- und Immobilienvermögen. Der britische Sozialforscher Roger Wilkinson behauptet: Je ungleicher eine Gesellschaft, desto größer ihre sozialen Probleme. Insofern ist der wachsende Abstand zwischen Arm und Reich schlecht für alle (Derselbe zusammen mit Kate Picket: Gleichheit ist Glück, 2010). Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Selbstüberschätzung: Diese Korrelation scheint stark kulturabhängig zu sein. In Ländern mit einer hohen Neigung zur Selbstüberschätzung ist auch die Einkommensungerechtigkeit in der Bevölkerung sehr stark ausgeprägt. Deutschland hat im internationalen Vergleich bei beiden geringere Werte (anders als in Südafrika, Peru oder Venezuela). Vgl. Robert Trivers: Betrug und Selbstbetrug, Berlin 2013. "What you see is what you get" für Deutschland, Trivers (Der Spiegel, 22/ 2013, S. 139).

Entscheidend bei der Analyse der Armut ist die Definition und Operationalisierung, die für Deutschland und international erheblich abweichen dürfte. In Deutschland sind zwei Gruppen besonders betroffen: ältere Menschen (Altersarmut, vor allem Frauen) und Kinder. Wegen der starken Zunahme der geringfügigen Beschäftigung wird auch die Altersarmut zunehmen. Für die Bekämpfung echter Armut ist der Staat zuständig (geltende Gesetze durchsetzen, neue Gesetze machen). In diesem Zusammenhang wird über eine Sockelrente (Mindestrente) bzw. eine Rente nach dem Grundeinkommen diskutiert. Es stellt sich die Frage, ob unser Sozialstaat noch effektiv die Armut verringern kann. Sehr kompliziert sind die Statistiken über Armut. Es muss unterschieden werden zwischen Armut und Ungleichheit (in ärmeren Ländern ist die Armutsgrenze kleiner als in reichen). Die Frage ist auch, wo die "Armutsgefährdeten" einzuordnen sind (weniger als einen bestimmten Prozentsatz zum mittleren Einkommen). Zu eindimensional ist auch die Fixierung der Armut am Einkommen und die Vernachlässigung des Vermögens. Die meisten Armutsanalysen lassen das individuelle Vermögen außen vor (dadurch wird das Problem überzeichnet). Zum Vermögen  gehört ebenso das Humankapital. Die Berechnung des Einkommens ist teilweise sehr umstritten (mit Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung?, Einkommen aus Schattenwirtschaft und Haushaltsproduktion?, Bedarf eines Single-Haushalts). Über das Leben armer Menschen ist relativ wenig bekannt. Es gibt wenig Sozialreportagen in der Presse und den Medien. Eine rühmliche Ausnahme stellt folgendes Buch dar: Stefan Selke, Schamland. Die Armut mitten unter uns, Berlin (Econ) 2013. Im Jahre 2013 werden in Deutschland ca. 1,5 Mio. Menschen durch 917 Tafeln unterstützt (1993 eine Mio. Menschen). Viele Anbieter müssen sich von ihrer Gratisstrategie verabschieden. 2010 war das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung. Der Rot-Kreuz-Bericht (IFRC) 2013 zeigt auf, dass 43 Mio. Europäer (in 22 Staaten einschließlich Türkei) ihr Essen nicht bezahlen können. 120 Mio. Europäer sind armutsgefährdet. Besonders in Italien hat sich die Lage in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Auch Frankreich hat viele Probleme. Symptomatisch ist die Situation in Europas Kulturhauptstadt 2013 Marseille. 40 Prozent Arbeitslose und viele Drogenabhängige in den armen Stadtteilen im Norden. Hinzu kommt, dass rund 880.000 Menschen in der EU als Sklavenarbeiter (einschließlich Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung) gelten (Quelle: CRIM - Komitee des Europäischen Parlaments 2013). Folglich dreht sich die Diskussion um soziale Gerechtigkeit in Deutschland und Europa immer mehr um die "Ränder" der Gesellschaft. Dabei handelt es sich insbesondere um die Problemgruppen ältere Menschen (vor allem Frauen), Kinder, Jugendliche, prekär Beschäftigte, Asylbewerber und illegal Eingewanderte. "Denke nicht so oft an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast", Marc Aurel (römischer Kaiser und Feldherr, auch Philosoph).

Der Ruf nach "Sozialer Gerechtigkeit" bestimmte den Wahlkampf 2013 in Deutschland wie viele andere Wahlkämpfe auch (Grundwert der Politik und von Parteien). Es geht um die Armut der Unterschicht, den Luxus der Reichen und um die umworbene Mittelschicht, die aber eigentlich ziemlich ignoriert wird. Konkret zeigt sich die Verteilungspolitik in der Einkommenssteuer (auch Ehegatten-Splitting, "kalte Progression", Spitzensteuersatz, Reichensteuer?), der Familienpolitik, der Unternehmensbesteuerung, der Besteuerung von Vermögen, Geringverdienern und Erben. Ein Großteil der Nichtwähler dürften mittlerweile die Menschen ausmachen, die durch Arbeit keine Chance mehr in der Gesellschaft sehen. Der 20. Februar ist der Tag der Sozialen Gerechtigkeit (seit 2009). "Hypererfolgreiches Re-Branding. Da der Neid seit jeher eine biblische Todsünde war und also mindestens als anrüchig galt, nannte man das Habenwollen ohne Leistenmüssen irgendwann soziale Gerechtigkeit. Durch den direkten Bezug des neuen Begriffs auf die anerkannte Tugend der Gerechtigkeit gilt seither praktisch jede gesetzgeberisch gedeckte Form der wirtschaftspolitischen Hehlerei im Namen der finanziellen Redistribution als moralisch wertvoll", Carlos A. Gebauer in Wirtschaftswoche Nr. 41/2013, S. 12. Gutes Beispiel, wenn man Zynismus erklären will!

Eine Prognose der Ungleichheit ist äußerst schwierig. Die Eurokrise ist aber längst nicht vorbei und wird weitere Einschnitte bringen. Die finanzielle Repression (niedriger Leitzins) dient ja als Instrument zur Bewältigung der Krisenfolgen. Da die Neuordnung der Finanzmärkte nicht spürbar vorankommt, ist die nächste Weltfinanzkrise und Weltwirtschaftskrise wahrscheinlich. Diese sind immer mit Spekulationsblasen verbunden, die im Zuge von Akkumulationsprozessen die Ungleichverteilung und ökonomische Machtkonzentration erhöhen. Opfer dieser Krisen sind aber immer die Ärmeren einer Gesellschaft (siehe oben). Dies zeigt sich auch deutlich in den Südländern der Europäischen Union (die Reichen bringen ihr Vermögen ins Ausland, die Armen zahlen die Zeche). Die Grundaxiome der Mainstream-Ökonomie dürften auf absehbare Zeit erhalten bleiben (wichtig für bedingte Prognose) : Unbegrenztes Vermögen ist gut und richtig. Zinseszins ist sinnvoll und nützlich. Wachstum (und die zugrunde liegenden Motive wie z. B. Gier) ist notwendig. Vergleiche Christian Kreiß, Profitwahn. Warum sich eine menschengerechte Wirtschaft lohnt, Marburg/Tectum 2013, S. 191ff. und S. 112. Die atypischen Beschäftigungsformen dürften sich weltweit weiter ausbreiten (in Deutschland sinkt sie allerdings, StBA). So wird es immer mehr Menschen geben, die von ihrer Arbeit nicht leben können und auch mit ihrer Rente nicht versorgt sind. Unklar ist auch, inwieweit die Staaten die finanzielle Repression verstärken werden. Hier sind noch viele Instrumente im Köcher: Negativzins, Vermögensabgabe, Zwangsanleihe, neue Steuern (z. B. Transaktionssteuer auf Aktien), Steuererhöhung (z. B. Grund- und Grunderwerbsteuer), Verbote (Goldbesitz nur bis zu einer Höchstgrenze). Die Digitalisierung scheint die soziale Ungleichheit zu verschärfen. Einfachere Arbeiten werden ganz durch Roboter abgelöst (das könnte dramatische Auswirkungen in Schwellenländern haben). Die Anforderungen an digitale Qualifikationen steigen. Für den Zusammenhang zwischen Nettoeinkommen und Vermögen gibt es immer stärkere Belege. Es gilt die Hypothese:  Je höher das Einkommen, desto höher das Vermögen. Vgl. Grabko, M./ Halbmeier: Datenreport 2021, Kapitel 6.4.   "Gott schließt nie eine Tür, ohne eine andere zu öffnen", aus Irland.

Aus dem Themenbereich "soziale Gerechtigkeit" können Themen für Seminararbeiten  übernommen werden: Zum Beispiel globale Geldelite/ Plutokratie, Poor Economics, globale Lohnsklaverei, Zwangs- und Kinderarbeit, Compliance, atypische Beschäftigung, Jugendarbeitslosigkeit, Steuern (Einkommensteuer, Reichensteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer), Familienpolitik, Chancengerechtigkeit (Bildung, Arbeiterkinder), gerechte Löhne (Mindestlohn, Grundeinkommen, Managergehälter, Rente, Gesundheit), Einkommens- und Vermögensverteilung (einschließlich Messung; zeitliche Entwicklung; international), Erklärung der Ungleichheit (Politik, Globalisierung, Informationstechnologie, technischer Fortschritt), Bedeutung der Ungleichheit (Instabilität der Gesellschaft, Disparitäten), sozialökonomische Erkenntnisse zur Bedeutung der Gerechtigkeit für Menschen, Wohlstandsgefälle (Armut) und Migration (Afrika, Lampedusa, EU)  usw.  Eigene Themenformulierung bzw. Konkretisierung ist nach Absprache und Abstimmung möglich. Hierbei kann der Bezug zum jeweiligen Studiengangschwerpunkt vertieft werden (Personalmanagement, Marketing, China/ Japan/ Asien, Europäische Union/ Euro). "Wenn du erkennst, dass es dir an nichts fehlt, gehört dir die ganze Welt", Laotse.

2014 erscheint ein Buch des französischen Ökonomen Thomas Piketty über die Ungleichheit im Kapitalismus (Capital in the Twenty-First Century, Harvard University Press, Englisch; 2014 auch in Deutsch, 2013 in Französisch: Le capital au XXI siecle, Paris). Seine Grundthese lautet: Der Kapitalismus schädigt die Demokratie. Leistung lohnt sich doch nicht. Es gibt eine wachsende Konzentration des Vermögens auf der Welt. Kapitalistische Systeme neigen zu wachsender Ungleichheit und zur Bereicherung Weniger. Das Buch erzielt in den USA große Aufmerksamkeit, viel mehr als in Frankreich. Kapitalrendite ist größer als das Wachstum (r > g): Das ist die mathematische Zusammenfassung des Buches von Thomas Piketty (Das Kapital des 21. Jahrhunderts, 2013). Als Slogan: Wer erbt, verdient mehr, als derjenige, der arbeitet. Das bezeichnet Piketty als den "zentralen Widerspruch des Kapitalismus". Die Ungleichheit wächst im Kapitalismus ständig an. Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich immer weiter öffnen. Piketty beweist diese These mit großen Datenmengen im Computer. Ebenfalls neu ist von Walter Scheidel (Stanfort University): Nach dem Krieg sind alle gleich. Eine Geschichte der Ungleichheit, 2018 (Theis). Seine Grundthese ist, dass Kriege nivellieren. Die Frage sei: wie gelingt friedliche Gleichmacherei? Die These von Piketty wird immer wieder angegriffen und kritisiert. So will eine IWF-studie beweisen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Ungleichheit einerseits und der Differenz zwischen Kapitalrendite (r) und Wachstumsrate (g) andererseits gibt. Es handelt sich um eine statistische regression zwischen der Kennzahl für Ungleichheit und einer für r-g. Dafür scheinen aber nicht adäquate Daten benutzt worden zu sein. Vgl. Thomas Piketty: Der Sozialismus der Zukunft, München 2021, S. 36. 2022 kommt von Piketty mit einem Gesamtwerk über Gleichheit und Ungleichheit heraus. Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit, München (C. H. Beck) 2022. Er möchte eine neue Wirtschafts- und Sozialgeschichte aufstellen. Er beginnt mit der Dekonzentration von Macht und Eigentum seit dem 18. Jahrhundert. Nach Sklaverei und Kolonialismus behandelt er die große Umverteilung 1914 bis 1980. Er zeigt Auswege aus dem Neokolonialismus auf. Im letzten Kapitel setzt er sich für einen demokratischen, ökologischen sowie ethnisch und kulturell diversen Sozialismus ein. Die FAZ spricht sogar überschwänglich von Karl Marx des 21. Jahrhunderts, das Handelsblatt von Provokation für die ordnungspolitische Debatte. Das scheint mir beides doch zu hoch gegriffen: Das Neue hält sich sehr in Grenzen; es ist Piketty für Anfänger mit dem ganzen Sammelsurium seiner Thesen.

2019 formiert sich weltweit eine Bewegung, die die Macht des Kapitals begrenzen will. Sie streben an, die Ungleichheit in der Welt zu verringern. Diese treten auch sehr massiv beim World Economic Forum in Davos auf. Dazu gehören Guy Standing von der University of London, Rutger Bregman aus den Niederlanden (Historiker). Aber auch Marianna Mazzucato aus Italien (lehrt in London). In den USA fordert man einen "fair share". In GB will Labour-Chef Jeremy Corbyn Eisenbahn, Post und Trinkwasserversorgung verstaatlichen. Viele linke Politiker fordern, die Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende zu erhöhen. (in den USA haben 1 Prozent der reichsten Haushalte 38,6% des Vermögens). Eine Berliner Initiative will Wohnungen großer Konzerne "vergemeinschaften". Sogar in den USA werden die massiven Aktienrückkäufe der Konzerne kritisiert (1,1 Billionen 2018). Vgl. auch: Heuser, J.: Auf der Kippe, in: Die Zeit, Nr. 10, 28.02.2019, S. 19ff. Bei der Diskussion um Vermögensungerechtigkeiten wird häufig übersehen, dass die lange Niedrigzinsphase (mit Negativzinsen) eine Umverteilung zugunsten der Reichen eingeleitet hat. Reiche legen ihr Geld in Immobilien, Gold und Aktien an und sind so weniger betroffen. Vgl. als guten aktuellen Gesamtüberblick Rudzio, Kolja: Verschärft sich die Ungleichheit? in: Die Zeit, Nr. 43, 17.10.19, S. 24f.

2020 erscheint ein Buch von Branko Milanovic (Ausbildung in Belgrad/ Serbien, heute als US-Staatsbürger an der City Uni in N. Y., auch Weltbank, frühe rChefökonom). Der Titel de Buches lautet: Kapitalismus global, Berlin  (Suhrkamp, Originaltitel "Capitalism Alone"). Seine Grundthese ist: Die westlichen Mittelschichten stehen gleich von zwei Seiten unter Druck. Von der durch die Globalisierung geschürten Konkurrenz in Asien und von den Reichen im eigenen Land. Die Pandemie 2020 hat diese Trends verschärft. Die Mittelschicht der reicheren Länder hat den Kürzeren gezogen. Die Enttäuschung darüber habe zum Aufstieg "populistischer" Parteien und Führer im Westen geführt. Die "Gelbwesten in Frankreich und die Trump - Wähler in den USA hätten den gleichen Ursprung. Die sinkende soziale Mobilität zwischen den Generationen und die zunehmende soziale Polarisierung komme hinzu. Die Einkommenszuwächse verschieben sich vom Einkommen des Faktors Arbeit zu den Kapitalbesitzern. Milanovic sieht große Schwächen im liberalen Kapitalismus der USA und im politischen Kapitalismus Chinas. Seine zentrale Frage ist, ob der Kapitalismus trotz der sozialen Zerreißprobe überleben kann. Er macht auch konkrete Vorschläge, um den Kapitalismus zu retten: Erneuerung des kapitalistischen Bewusstseins, höhere Steuern auf Vermögen und Erbschaften, mehr öffentliche Investitionen, Verbot privater Wahlkampffinanzierung, Verhinderung wirtschaftlicher Konzentration, Wiederbelebung des moralischen Imperativs des "Ehrbaren Kaufmanns". 2023 erscheint das Buch "Visions of Ineqality: From the French Revolution to the End of the Cold War", Harvard University Press. Er geht vom vorläufigen Ende seiner Elefantenkurve aus. "die Einkommen der Armen sind 2008 bis 2028 prozentual stärker gestiegen als die aller anderen", siehe Ders.: Ungleichheit muss kein Problem sein, in: WiWo 44/ S. 38ff. (Der Volkswirt).

"Die Armen fühlen, dass die Wohltätigkeit eine lächerlich ungenügende Art der Rückerstattung ist oder eine gefühlvolle Spende, die gewöhnlich von einem unverschämten Versuch des Gefühlvollen begleitet ist, in ihr Privatleben einzugreifen. Warum sollten sie für die Brosamen dankbar sein, die vom Tische des reichen Mannes fallen? Sie sollten mit an der Tafel sitzen und fangen an, es zu wissen", Oscar Wilde.

"Ein Mann ist reich im Verhältnis zur Zahl der Dinge, auf die er verzichten kann", Henry David Thoreau.

 

Krise der Europäischen Union (EU) und die Zukunft der EU (Eurokrise, Flüchtlinge, Austritt/ Brexit, Schuldenkrise in Italien, Wirtschaftskrise Frankreich; Annäherung an Russland? Neuer kalter Krieg in Europa mit dem Ukraine-Krieg  Vgl. auch EU bei Außenwirtschaft):

Der Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main (von der Eisenbahnbrücke aus gesehen; provisorisch war die EZB einige Jahre in der Kaiserstraße untergebracht). Bei der Entscheidung der EU für die Zentralbank in Frankfurt hat sicher eine große Rolle gespielt, dass Großbritannien mit London an der Landeswährung "Pfund" festhielt. London ist der umsatzstärkste Devisenmarkt der Welt vor New York und Frankfurt. Ein Brexit könnte die Position von Frankfurt als Bankenstandort in der EU erheblich stärken. Die Baulandpreise in Frankfurt und Umgebung ziehen deutlich an. Die EZB - wie alle Notenbanken der Welt - beeinflusst stark mit ihrer Geldpolitik (Niedrigzinspolitik seit vielen Jahren) die Entwicklung in der EU und in einzelnen Ländern. Mit der Form der "kalten Enteignung" greift sie sogar in die Sozialpolitik ein.

Banken gehen nach wie vor Risiken ein, und wenn es schief geht, reichen sie die an den Staat weiter. Die einzige Art, damit umzugehen, ist, den Bankern zu sagen: Nein, Jungs, ihr seid die Risiken eingegangen, dann kümmert euch drum!", Jeroen Dijsselbloem, ehemaliger Vorsitzender der Euro-Gruppe in der EU 2013.

"Deutschland wird es nur gut gehen, wenn es auch den anderen Staaten in Europa gut geht", Wolfgang Schäuble (Quelle: bdvb aktuell 154, Oktober 2021, S. 11)

Aktuell: 2013 und Anfang 2014 steckt Europa fest. Das Thema wurde aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten. Die EU-Kommission wehrt sich gegen Machtverlust (der IWF hat z. B. beim Rettungsfonds mit das Kommando). Die Mitgliedsstaaten wollen den Nationalstaat wieder mehr herausstellen; der Rat der Staats- und Regierungschefs soll entscheiden. Gleichzeitig stört viele Mitgliedsländer die deutsche Dominanz (George Soros sieht uns als Hegemon; Marshall-Plan für Südeuropa). Dies drückt sich auch in der Kritik an den deutschen Außenhandelsüberschüssen aus. Die Euro- und Europaskeptiker scheinen stärker geworden zu sein. Auch beim Beitritt des 18. Mitglieds zur Währungsunion Lettland 2014 ist die Mehrheit der Bürger in diesem Land dagegen (die Hauptstadt Riga ist europäische Kulturhauptstadt 2014). 2014 beginnen die Beitrittsgespräche Serbiens mit der EU. Vor 2020 dürfte ein Beitritt nicht realistisch sein. Reichere Staaten befürchten ab 2014, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Rumänen und Bulgaren gilt, eine Armutszuwanderung ("Sozialtourismus"). Im Mai 2014 fand die Europawahl statt (100 Jahre nach dem Beginn des ersten Weltkrieges, 75 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg). Juncker wird EU-Kommissionspräsident (vom Parlament durchgesetzt gegen britischen Widerstand). Griechenland übernimmt ab 2014 den Vorsitz im Rat (die aktuellen Daten 2013 sind durchwachsen: Haushaltsdefizit 2,0%; Arbeitslosenquote im November 13 bei 28%/ Jugend 61,4%; Geburtenrate geht zurück; Auswanderung steigt stark an; immer wieder Diskussion um Schuldenschnitt; erstmals seit 1948 im Jahre 2013 Überschuss in der Leistungsbilanz). Die Griechen verhandeln 2014 auch wieder mit der Türkei, um eine Vereinigung von Zypern zu erreichen. Die Folgen der Schuldenkrise für die Bürger und das schwindende Vertrauen in die EU könnten rechten, populistischen Parteien Zulauf bescheren. 2014 wird nach Angaben der EU-Kommission Wachstum in folgenden Ländern erwartet: Deutschland (1,7%), Irland (1,7), Frankreich (0,9), Portugal (0,8), Italien (0,7), Griechenland (0,6), Spanien (0,5). 2014 wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm ( Karlsruher Richter sagen im März 14 ja) und den Ankäufen von Staatsanleihen durch die EZB erwartet (verspätet im Frühjahr oder Sommer). Fällt das Urteil negativ aus, könnten die Finanzmärkte in Aufregung versetzt werden. Bei den Anleihekäufen gibt das Verfassungsgericht erstmals die Entscheidung an den EuGH ab (angekündigter uneingeschränkter Kauf von Anleihen durch die EZB Eingriff in die Finanzautonomie der Länder vereinbar mit EU-Recht? entweder EuGH stoppt EZB oder Verfassungsgericht selbst). Von besonderer Bedeutung sind die Beschlüsse zum OMT-Programm (Outright-Monetary-Transactions-Programm, Bereitschaft der EZB zum unbegrenzten Ankauf von Staatsschulden). Auch eine Entscheidung zu Hartz-IV für EU-Ausländer liegt beim EuGH; mit einem Urteil wird 2015 gerechnet. Aktuell besonders wichtig für die Zukunft des Euro und der EU dürfte die weitere Entwicklung in Frankreich sein (zu hohe Arbeitskosten, zu hohe Staatsquote; Arbeitslosigkeit im Januar 2014 auf neuem Höchststand mit 3,31 Mio.; starke Zunahme der rechten Front National in den Kommunalwahlen Ende März 2014). Frankreich kommt auch 2014 wirtschaftlich nicht auf die Beine.  Die Proteste im Land mehren sich. Es könnte eine neue Finanzkrise drohen. Frankreich und Deutschland planen im Oktober 2014 Projekte für mehr öffentliche und private Investitionen, um das Wachstum anzukurbeln. Die EU-Kommission verzichtet auf ein sofortiges Veto gegen defizitären Haushaltsentwurf. Frankreich wird immer wieder in Konflikte in Afrika verwickelt. Anfang 2014 schickt die EU Soldaten nach Zentralafrika (Racheakte zwischen Christen und Muslimen). In Griechenland gibt es am 25. Januar 2015 Parlamentswahlen. Die oppositionelle Syriza-Partei holt einen Sieg bei der vorgezogenen Wahl: 35,4%, zwei Sitze zur absoluten Mehrheit fehlten. Sie denkt über ein Ende stattlicher Zinszahlungen an Gläubiger nach. Wenn die EU auf Vertragstreue pocht und die EZB keine Euros mehr liefert, könnte dies zu einem Austritt Griechenlands aus dem Euro führen. Die Bundesregierung hält das Ausscheiden verschuldeter Länder inzwischen für verkraftbar. Griechische Sparer plündern schon ihre Konten. Die Finanzmärkte in Griechenland brechen ein. Die neue Griechische Regierung verweigert die Umsetzung der Reformen und Sparmaßnahmen und kündigt die Zusammenarbeit mit der Troika auf. Auf der anderen Seite könnte ein Verbleiben mit Schuldenerlass zu einem Modell für andere "schwächelnde" Länder werden (Spanien, Italien Frankreich). Der Euro wäre dann eine Überlebensgarantie auf Kosten der Kreditgeber. Die Volksabstimmung in Großbritannien für den Brexit schafft eine neue Situation für die EU (vgl. Brexit auf der Seite "special"). Schottland will in der EU bleiben und bereitet wieder ein Referendum vor. Das Referendum in Italien für eine Verfassungsreform scheitert im Dezember 2016: Renzi tritt zurück. In Österreich gewinnt der Grüne Van der Bellen endgültig die Präsidentschaftswahlen. Die englische Premierministerin May hat mit Zustimmung des Parlaments eine neue Wahl für Juni 2017 angesetzt. Dann dürfte es noch mal zu einer Entscheidung über den Brexit kommen. Bei der Wahl verlieren die Konservativen die absolute Mehrheit. Vielleicht kommt es dadurch zu einem Exit vom Brexit. Der mögliche Wahlsieg der rechtsextremen Front National in Frankreich beunruhigt Europas Politiker. Erleichterung tritt ein, als Ende April Emmanuel Macron (europafreundlich, 39 Jahre, ohne Partei; Ex-Wirtschaftsminister; Philosoph, Ena) die erste Runde der Präsidentschaftswahl vor Le Pen gewinnt (24% zu 21,3%). Zwischen den beiden Kandidaten findet eine Stichwahl statt. Favorit ist Macron (Prognose: über 60%). Er erreicht dann am 07.05.17 66,1% der Wahlstimmen. Bei den Parlamentswahlen am 11.06.17 erreicht er für seine Bewegung eine große Mehrheit (Macron kann die Nationalversammlung dominieren). Im zweiten Wahldurchgang erreicht seine Bewegung eine absolute Mehrheit (bei Rekord-Negativwahlbeteiligung). Macron will zuerst Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht reformieren. Italien wird ab 2018 seit dem Wahlsieg der Bewegung Fünf Sterne und der Lega von einer Koalition der Populisten regiert. In Schweden legen die Rechtspopulisten im September 2018 zu. Die Sozialdemokraten bleiben aber stärkste Kraft. Rot-Grün ist knapp der stärkste Block. Ein europaweiter Trend setzt sich fort: Die großen Volksparteien finden beim Wähler immer weniger Gehör. Dem Trend folgt nicht Spanien. hier bleiben die Sozialisten bei der Wahl im April 2019 stärkste Fraktion. Bei der Europawahl im Mai 2019 gibt es in Deutschland schwere Verluste für Union und SPD. Die Grünen überholen die SPD (sie haben die Mehrheiten in vielen Metropolen und bei den unter 25 jährigen Wählern). Die hohe Wahlbeteiligung verhindert, dass die rechten Parteien zu stark werden (sie gewinnen aber in Frankreich, Italien, Polen, Ungarn und Großbritannien). Konservative und Sozialdemokraten büßen ihre Mehrheit im Europaparlament ein. Es wird schwierig für Koalitionen und den neuen Kommissionspräsidenten. Macron ist zusammen mit anderen Staatschefs dagegen, einen Spitzenkandidaten der Europawahl zum Präsidenten zu machen (weil die EU-Wahl national ist). In Dänemark gewinnen bei den Wahlen die Sozialdemokraten (linke Sozialpolitik, restriktive Migrationspolitik). Auf dem G20-Gipfel einigen sich die anwesenden Regierungschefs der EU darauf, dass Weber aus dem Rennen ist. Er soll Präsident des Europa-Parlaments werden nach zwei Jahren. Zuerst soll ein Sozialdemokrat gewählt werden. EU-Kommissionspräsidentin wird Ursula von der Leyen, noch Bundesverteidigungsministerin. Sie muss allerdings vom EU-Parlament gewählt werden (die Wahl ist am 16.07.19; sie wird knapp mit 9 Stimmen über der Grenze gewählt). EZB-Präsidentin wird IWF-Chefin Christine Lagarde. EU-Außenbeauftragter wird der spanische Außenminister Josep Borrell. EU - Ratspräsident wird der Belgier Charles Michel. Boris Johnson wird britischer Premierminister. Er will auf jeden Fall die "Backstop-Lösung" kippen oder einen harten Brexit durchführen. Mehrmals bekommt er im Kabinett keine Mehrheit. Das oberste Gericht kippt die Zwangspause des Parlaments. Am 10.09.19 stellt von der Leyen ihre EU-Kommission vor. Schwerpunkt sollen inhaltlich Klimapolitik (Frans Timmermans, Vizepräsident) und Digitalisierung (Margarethe Vestager, auch Wettbewerb, Vizepräsidentin) sein. Die Französin Sylvie Goulard wird Binnenmarkt-Kommissarin. Das EU-Parlament lässt einige Kandidaten durchfallen, dazu gehört auch Goulard. Neuer Binnenmarkt-Kommissar wird Thierry Breton. Er hat eine Managerkarriere hinter sich und hat mit dem Verkauf von Aktien über 40 Mio. € verdient. Die Konservativen gewinnen die Wahlen mit absoluter Mehrheit. Damit kommt der Brexit zum 31.01.20. Mit einem Gesetz will Johnson auch verhindern, dass über einen Handelsvertrag länger als bis Ende 2020 verhandelt wird (damit ist ein harter Brexit nicht vom Tisch). Kurz vor Ablauf der Frist schließt man doch ein Abkommen. Allerdings bleiben viele Punkte offen (Dienstleistungen). GB verlässt zum 01.01.2021 die EU. Im Januar kommt es zu einem diplomatischen Affront gegen die EU: Die EU-Delegation wird im Status herabgestuft. Die EU fürchtet, dass der Londoner Schritt Schule machen könnte.  2023 steckt die EU in einem Dilemma: Sie muss neue Mitglieder aufnehmen - und riskiert daran zu zerbrechen. Folgende Länder wollen in die EU:  Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Albanien, Ukraine, Moldau, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Kosovo, Türkei.   Karl der Große schuf das erste vereinte Europa. Er begann mit der Kultur. Er hatte auch eine gemeinsame Währung für die Wirtschaft. Die Verwaltung war hoch effizient (ca. 100 Pfalzen; Pfalzgrafen waren zugleich Gerichtsherren; es gab schon eine Art Change-Management). Gegner wie die Sachsen wurden aber grausam unterdrückt.

Grundzüge: Die EU hat 28 Mitgliedsstaaten (mit GB), über 500 Mio. Einwohner, 1952 Gründung, seit 1993 EU (der Brexit würde die EU auf 27 verkleinern). Der größte Nachteil der EU ist die Währungsunion ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik (eher disparate Politik: z. B. ungleiches Renteneintrittsalter, Mindestlöhne, billige Immobilienkredite) und ohne wirkliche Konvergenz. So ist auch die eigentliche Ursache der Krise 2011 (Schulden usw.) der große Unterschied zwischen den Euro-Ländern. Dies war bei Aufnahme dieser Länder bekannt (aber die Finanzkrisen waren nicht vorhersehbar). Besonders kritische Differenzen gibt es bei der Staatsverschuldung (siehe unten), beim Wirtschaftswachstum (ganz hinten Portugal, Griechenland, Italien, Irland) und in der Industrieproduktion (hohe Rückgänge in Luxemburg, Italien, Griechenland und Spanien). Die Nordländer Luxemburg, Niederlande, Österreich, Finnland und Deutschland stehen in der Regel am besten da (BIP je Einwohner, Jahresnettoeinkommen je Haushalt, Schulden je Einwohner). Der große Vorteil für Deutschland liegt in der Vergrößerung des deutschen Binnenmarktes. Der Euro könnte an den Widersprüchen zerbrechen: 2010 liegen alle Euro-Länder beim Haushaltsdefizit über 3,0% (am stärksten drüber Irland, Griechenland, Spanien, Portugal und die Slowakei). Mittlerweile wird die Haushaltsdisziplin besser überwacht. Das wichtigste Argument für die Einführung des Euro war die Senkung der Transaktionskosten, insbesondere für mittelständische Unternehmen (Umtauschkosten fallen weg, Preistransparenz steigt). Sicher hat der Euro in den letzten zehn Jahren die deutsche Exportwirtschaft insgesamt beflügelt (Schutz vor Wechselkursschwankungen). Die Probleme 2010 nach der Finanzkrise sind ursprünglich von Ökonomen vorhergesehen worden. Vier Maßnahmen können zur Rettung des Euro beitragen: Eurobonds, Umschuldung, Anleihekäufe und eine Vergrößerung des Rettungsschirms. Vgl. allgemein zur Eurokrise: Schuppan, Norbert, Die Euro-Krise, München 2014. "Von dem, was wir nicht wirklich brauchen, können wir nie genug bekommen", U2, Stuck in a Moment.

Vier Euro-Länder sind unter den Rettungsschirm (ESM) geschlüpft. Gegen Reformauflagen bekommen die Länder günstigere Kredite. Irland und Spanien wollen sich ab 2013 wieder selbst finanzieren. Griechenland und Portugal (will sich im Sommer 2014 wieder den Finanzmärkten stellen) bleiben Problemfälle. Mit dem Beitritt zum Euro (auch schon Jahre vorher als der Beitritt klar war) konnten sich die Länder zu günstigen Zinsen auf den globalen Kapitalmärkten finanzieren. Nach Einschätzung der EU-Kommission hat dies in den Folgejahren zu der Illusion geführt, relativen Wohlstand erreichen zu können, ohne die Rahmenbedingungen anzupassen. Traditionelle Industriezweige verloren an Wettbewerbsfähigkeit oder konnten mit wettbewerbsfähigeren Ländern nicht mehr mithalten. Um den Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten, wurde der Dienstleistungssektor einschließlich öffentlicher Dienst aufgebläht. Nach der Finanzkrise 2008 waren die bereits angeschlagenen Länder auf den Finanzmärkten nicht mehr kreditwürdig. Staat und Banken bekamen nur noch gegen hohe Risikoaufschläge frisches Geld. 2010 und 2011 beantragten die Länder Hilfen, Sie bekamen sie von der EU, den Euroländern und dem Internationalen Währungsfonds. Die Hilfspakete wurden gegen Reformauflagen für eine bestimmte Dauer zur Verfügung gestellt (vgl. Economics/ special, Außenwirtschaft, Europäische Union). Zunehmend Probleme mit einer abnehmenden Kreditwürdigkeit haben auch Finnland und Belgien. Aus dem Schneider sind ebenfalls nicht Italien und Frankreich. 2018 wird er ESM in Teilen reformiert.  "Fuck the EU", Victoria Nuland, wichtigste Europaberaterin von US-Präsident Barack Obama, 2014 in einem Telefongespräch.

Südeuropa in der Rezession: Griechenland, Italien, Spanien und Portugal sind 2012 in der Rezession. Dies zeigt sich am Schrumpfen der BIP 2012 (Prognosen: Griechenland -4,3, Italien -1,3, Spanien -1,0, Portugal -3,3). Dies ist vor allem eine Folge ihrer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. Mittlerweile gibt es Auswirkungen auf die Nordländer, vor allem deren Unternehmen. Die Märkte für Kleinwagen verschlechtern sich. Die Versicherer haben kräftige Abschreibungen. Die Banken leiden unter den schlechteren Bonitätsnoten und Abschreibungen. Der Rüstungsindustrie brechen gute Kunden weg. Der Maschinenbau verliert wichtige Märkte. Außerdem verfügt Deutschland über hohe Direktinvestitionen in den südeuropäischen Ländern (Bestand 2012). Am höchsten sind sie in Italien mit 36,8 Mrd. €. Dann folgen Spanien (27 Mrd. €), Portugal (5 Mrd. €) und Griechenland (3,5 Mrd. €). Die Südländer müssten durch Preis- und Lohnsenkungen wettbewerbsfähiger werden. Am einfachsten ginge dies durch einen Ausstieg aus dem Euro. Dieser könnte bei Griechenland vielleicht noch kommen. Das erste Rettungspaket der Euro-Zone und des IWF für Griechenland umfasste 73 Mrd. €. Das zweite Paket betrug 163,7 Mrd. €. ausgezahlt wurden bis Februar 2014 142,0 Mrd. €. Mitte 2015 droht der Staatsbankrott in Griechenland, weil es nicht mehr seine Schulden zurückzahlen will oder kann. Der plötzliche und unausweichliche Austritt aus dem Euro wird "Grexit" genannt. Die linke Regierung lässt ein Referendum über den Verbleib im Euro durchführen. Es geht gegen die Reform- und Sparpolitik aus und damit gegen die Konditionalität (Geld nur gegen Reformen). Die Griechenlandkrise wird in den USA, China, Indien und der ganzen Welt aufmerksam verfolgt und mit dem Schicksal Europas verknüpft. Die Südländer fordern immer wieder, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln (EU-Gipfel Mitte März 2013). Einen Wachstumspakt mit 120 Mrd. € gibt es bereits. Uneins ist man über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Sparkurs soll durchgehalten werden, eventuell kommt dabei etwas mehr Flexibilität. Die Anpassungsprozesse in den Krisenländern treiben die Arbeitslosigkeit aber weiter in die Höhe. Allein Wettbewerbsfähigkeit dürfte der ökonomische Schlüssel zum Erfolg sein. Dazu brauchen diese Länder ein Geschäftsmodell bzw. eine Idee. In der EU beträgt der Anteil des Produzierenden Gewerbes an der Gesamtwertschöpfung 2012 nur noch 15,2% (gegenüber 2000 -3,3%; IW). Somit hängt die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der EU auch mit der De- Industrialisierung in vielen Ländern zusammen. Die soziale Gerechtigkeit in den Ländern selbst müsste verbessert werden. 2014 befürwortet der ehemalige IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff eine nationale Reichensteuer in den Krisenländern der EU. Ähnlich fordert die Bundesbank eine einmalige Vermögensabgabe. Das Risiko für Unruhen ist durch die hohe Arbeitslosigkeit gestiegen (26 Mio. 2013 in der EU, insbesondere Folge der Sparpolitik). Am höchsten ist die Arbeitslosigkeit in Griechenland mit einer Quote von 22,5%. Besonders bedrohlich ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit (in Griechenland und Spanien über 50%). Das Duale System Deutschlands sollte vielleicht auf die EU ausgedehnt werden. Jungen Arbeitslosen will die Bundesregierung auch mit bilateralen Programmen helfen. Letztlich können Unternehmen nicht gezwungen werden, mehr in den Südländern zu investieren. Zu hohe Lohnkosten und zu niedrige Produktivität laden im Süden aber nicht dazu ein. In den letzten Jahren sind die Lohnstückkosten in den Südländern allerdings gesunken (seit Beginn der Krise 2009 um 8,5%). Letztlich wird der Lebensstandard sinken müssen (keine rein ökonomische Frage). Auch die Leitzinssenkung der EZB im Mai 2013 soll Südeuropa zugute kommen. Es ist allerdings fraglich, dass die erhofften Impulse dort ankommen. Gerade die Banken in Spanien und Italien haben große Probleme mit der Bewältigung ihrer Krise und nehmen höhere Kreditzinsen. Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen in den Krisenländern haben Schwierigkeiten, an günstige Kredite zu kommen. Die Prognose der EU-Kommission für 2014 beim Wachstum des BIP sieht Estland und Malta an der Spitze; ganz hinten liegen Griechenland und Zypern. Immer mehr Menschen und Parteien in den Südländern fordern ein Ende des Sparkurses, für den sie zum großen Teil die deutsche Bundesregierung verantwortlich machen. Griechenland fällt auch durch Steuersenkungen und Rentenerhöhungen wieder weiter zurück. Man sollte auch bedenken, dass einige Staaten noch stärker als die Südländer der EU von der Eurokrise betroffen sind. Dazu gehören Albanien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien/ Herzegowina. Gegen die Ukraine will die EU Finanzsanktionen für die Elite verhängen. Die neue Regierung und die Einheit sollen unterstützt werden (es fehlen mindestens 25 Mrd. € um den Staatsbankrott abzuwenden). Das Land tritt in einen Krieg mit den Separatisten (von Russland unterstützt) in der Ostukraine. Im September 2014 schließt die EU ein Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine ab. Der Start der Freihandelszone wird jedoch auf Ende 2015 verschoben. Die Instabilität der Regierungsbildung und die Überschuldung Italiens treibt 2018 die Indikatoren der Finanzmärkte der EU in den Keller. Macron, der französische Staatspräsident, versucht mit seinen  Reformvorschlägen, die Schulden Südeuropas zu "Vergemeinschaften". Durch die Demos der "Gelbwesten Ende 2018 steht er aber im eigenen Land erheblich unter Druck. Der Brand im nationalen Symbol Notre-Dame in Paris führt vorübergehend zu einer Welle der Einigkeit (Milliardäre bringen die Kosten der Restauration auf). Im Juni 2019 schlägt die EU-Kommission ein Defizit-Verfahren für Italien vor. Die Regierung verstößt bewusst gegen alle Kriterien (Gesamtverschuldung über 132%).   "Die gesunkenen Risikoprämien für Staatsanleihen sind durch die Wirklichkeit der Krisenländer nicht gedeckt", Barry Eichengreen, US-Ökonom, 2014. Nach der Finanzkrise droht der EU eine soziale Spaltung: Die Bertelsmann-Stiftung hat einen EU-Gerechtigkeitsindex konstruiert: Danach hat sich das Gefälle zwischen den Staaten Nordeuropas und Südeuropas vergrößert. Deutschland liegt auf Platz sieben. Dänemark und die Niederlande an der Spitze. Auf dem letzten Platz liegt Griechenland.

Die Krise ist auch eine Bankenkrise. Im Oktober 2011 legt die EU-Kommission einen  Bankenrettungsplan vor: vorübergehend höhere Kapitalquote. Die großen Banken müssen ihr Eigenkapital erhöhen (bis Juni 2012 auf 9%). Die gesamte Rekapitalisierungsquote liegt bei 106 Mrd. €.  Im Notfall soll der Euro-Rettungsschirm einspringen.  Der EU-Gipfel Mitte 2012 beschließt die Bankenkapitalisierung. Eine Expertengruppe um den Finnen Liikanen entwirft einen Bankenplan. Danach sollen bei großen Banken in der EU die beiden Bereiche "Traditionell (Privatkunden)" (Sparen, Kredite) und "Spekulation" (Investment, Hedge-Fonds) organisatorisch getrennt werden. Die Krise der Banken dürfte noch auf Jahre anhalten: bei niedrigen Zinsen nahe Null ist es schwierig Gewinne zu erzielen. Zudem halten sich Kunden mit der Geldanlage zurück. Es gibt auch strukturelle Probleme (starker Wettbewerb, erschwerter Aufbau von Eigenkapital). Wenn den Banken von der EU geholfen wird, fehlt das Geld für die hilfsbedürftigen Staaten (der Risikoverbund zwischen Banken und Staaten ist grundsätzlich nicht optimal). 2013 einigt man sich in der EU darauf, dass Banken direkt Mittel aus dem ESM erhalten können (nicht mehr über Staaten). Die Eigentümer der Banken (Aktionäre, Großanleger, Kunden über 100.000€ Konto u. a.) sollen zukünftig (ab 2015, ab 2018 volle Wirkung) als erste für die Risiken gerade stehen ("Teufelskreis zwischen Banken und Staaten" wird durchbrochen; weitere Verluste werden auf die Finanzbranche umgelegt). In einer Studie 2014 warnt allerdings das Institut der Wirtschaft vor weiterer Haftung der Steuerzahler, weil es noch Problemkredite in Höhe von 900 Mrd. € in den Bankenbilanzen gibt. Die Fragmentierung im europäischen Finanzsystem ist noch zu stark. 2014 stehen erstmals EU-weite Banken-Stresstests an (etwa 130 Banken; bei der Deutschen Bank Sonderprüfung des Devisenhandels; zuerst Bestandsaufnahme bis Juni 14, dann Durchführung bis Oktober 14, November 14 Ergebnisse). Diese könnte neue Löcher in den Kapitaldecken sichtbar machen (faule Kredite). 24 Banken fallen beim Stresstest durch (zu wenig Eigenkapital, schlechte Bilanz). Darunter ist mit der Münchener Hypothekenbank eine deutsche; 4 italienische Banken sind betroffen. Das Reformpaket "Basel III" tritt 2014 ebenfalls in Kraft. 2014 wird auch das Gesetzespaket "Mifid" vom europäischen Parlament beschlossen (gegen Finanz-Zockerei). Es tritt ab 2017 in Kraft. Kernstück ist die Schaffung einer neuen Marktform an den Finanzmärkten. Die krasse Trennung zwischen Börsengeschäften (Aktien, Wertpapiere) und Trading floors (Termingeschäfte, Handel zwischen Finanzhäusern) soll aufgehoben werden. Es soll normale Informations- und Transparenzpflicht gelten. Über Risiko und Kundeneignung muss genau informiert werden. Vgl. das Sonderheft 2014 "Europa: Eindämmung der Krise, und dann?", Wirtschaftsdienst. Die Eckpunkte für eine europäische Bankenunion wurden Ende 2013 festgelegt: Finanzmarktaufsicht bei der EZB; Sanierung und Abwicklung von Banken im Krisenfall nach einheitlichem Abwicklungsmechanismus. Der Abwicklungsfonds muss von den Kreditinstituten binnen acht Jahren gefüllt werden (steht ab 2016 bereit). Ein Stresstest der griechischen Banken von Blackrock Ende 2013 lässt nichts Gutes erwarten. Die Notenbank hat die Kapitallücke bewusst niedrig angesetzt, damit die Regierung den Rest des Bankenfonds einsetzt. Südeuropäische Banken haben auch die Geldspritze durch die EZB vor Jahren zum Kauf heimischer Staatsanleihen genutzt und nicht die Realwirtschaft angeregt mit günstigeren Krediten. Das Risiko muss nun die Bankenunion tragen. Die Rettung von Banken, ohne das das die ärmere Bevölkerung eine Verbesserung ihres Lebensstandards erfährt, löst viel Kritik aus. Mitte 2014 wanken Privatbanken in Bulgarien. Die Zentralbank soll helfen. Die EU gibt einen Notkredit. Im Juli 2014 gibt es Turbolenzen im portugiesischen Bankensektor (Spekulationen um Zahlungsprobleme der Familie Santo). Griechenland kommt auch nicht zur Ruhe: Im Sommer 2017 sind Kredite in Höhe von 7 Mrd. € fällig. Die Euroländer und der IWF streiten über die Lasten. Die Gelder in Höhe von 8,5 Mrd. € werden ausgezahlt (IWF nur noch symbolisch, nicht mehr mit Geld dabei). Die Europäischen Banken und Notenbanken warnen vor einer Deregulierung von Finanzinstituten in den USA durch Trump. Eine andere Entwicklung aus den USA macht aber den Banken genauso zu schaffen: Sie haben zunehmend mit der Konkurrenz von Plattformen und Netzwerken (Blockchain) zu kämpfen. Die Krise der Türkei 2018 (Arbeitslosigkeit, Inflation, Verschuldung, Strafzölle der USA) macht den EU-Banken stark zu schaffen, am meisten den spanischen Banken. "Rühre an das Leere in deinem Leben und dort werden Blumen blühen", Zen-Weisheit. "Ich wäre nicht überrascht, wenn der Start der einheitlichen Bankenaufsicht in Europa der Anfang einer Periode der Restrukturierung wäre", Vito Constancio, EZB-Vize. Die ersten Banken in Europa entstanden weit vor Christi Geburt im alten Griechenland (ca. 600 v. Chr.) in Delphi. Wenn das Orakel befragt wurde, musste es vorher durch Geschenke und Gaben wohlgesinnt gestimmt werden. Die Priester legten das in Geld an und gründeten Banken, die auch Geld an Geschäftsleute und die Stadtstaaten verliehen.

Die privaten Haushalte in der EU sind wegen ihrer Schulden besorgt und sind mit Konsum vorsichtig. Sparen ist weiterhin notwendig, um die Risiken im Alter abzudecken. Die besonders großzügigen Rentensysteme, wie z. B. das in Frankreich oder Griechenland, werden nicht zu halten sein. Auch die meisten Regierungen sparen und investieren zu wenig. Die finanziell gebeutelten EU-Mitglieder sind sogar so erfinderisch, dass sie Staatsbürgerschaften verkaufen (Pass ab 50.000 €). Das Wachstum in der EU wird eher bescheiden bleiben. Auswege wären höhere Löhne und noch höhere Schulden. Aber die Erhöhung der Verschuldung in Deutschland würde den Krisenländern nicht helfen. Eine 100 Prozent-Rückzahlung der Schulden wird es nicht geben. Dazu ist die Schuldenlast in den Peripherieländern zu hoch. Im Moment wird noch indirekt agiert über Verlängerung von Fristen und die Herabsetzung von Zinssätzen. Vielleicht kommt irgendwann der Schuldenschnitt für Griechenland (Gesamtverschuldung 2014 176% des BIP), Portugal, Spanien und vielleicht für Irland und Italien. Vgl. Kenneth Rogoff, Die Notenbanken sind überfordert, in: Handelsblatt Nr. 232, Mo. 02.12.2013, S. 30. Im Jahr 2013 betrug die Neuverschuldung aller 18 Eurostaaten zusammen exakt drei Prozent der Wirtschaftsleistung (Maximalwert; im Krisenjahr 2010 6,2%). Zehn Staaten liegen höher als 3,0%: Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Kroatien, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien, Zypern. Es herrscht höchste Alarmstufe in der EZB , weil ein weiterer Preisverfall (Deflation) eine Gefahr für die hoch verschuldeten Krisenstaaten in der EU darstellt. Die abwertenden Schwellenländer verbilligen ihre Exporte nach Europa. Das drückt die Inflationsraten weiter nach unten. Zu Teil rührt die geringe Preissteigerungsrate auch von Preisanpassungen in den südlichen Krisenländern. Im März 2014 sinkt die Inflationsrate sogar auf 0,5% (tiefster Stand seit vier Jahren). Ein konjunktureller Rückschlag würde die Deflation vielleicht herbeiführen. Viele Experten raten, dafür zu sorgen, dass die Inflationsraten steigen (Geld drucken). Die Leitzinsen könnten weiter gegen Null gehen, aber das Ende 0 ist abzusehen. Tatsächlich senkt die EZB den Leitzins im September 2014 fast auf Null (0,05%). Jetzt bleibt nur der Ankauf deutscher Staatsanleihen und der Aufkauf von Bankkrediten, um die Banken für weitere Kredite zu entlasten. So werden Vorbereitungen getroffen, dass die EZB ABS ankaufen kann (Kreditverbriefungen, um die Bilanzen der Banken zu entlasten). Für 2014 erwartet die EZB eine Preissteigerung von 1,1%. Die europäischen Staaten sind kaum bereit nationale Souveränität in der Finanzpolitik aufzugeben, so dass die fiskalpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten und ihrer privaten Gläubiger weiter gestärkt werden sollte.  "Das wird es nicht noch einmal geben", Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über den Schuldenschnitt für Griechenland; im Februar 2014 bei G. Jauch.

Die Notenbanken in aller Welt pumpen Milliarden in die Wirtschaft (Niedrigzinspolitik, Wertpapierkäufe). Das Wachstum soll angekurbelt werden, auch um die Verteilungsprobleme zu übertünchen. So senkt die Europäische Zentralbank im Herbst 2013 den Leitzins wie in den USA und Japan auf 0,25% (der Bundesbankpräsident Weidmann ist eher isoliert). Im Juni 2014 senkt die EZB den Leitzins sogar auf 0,15% (negativer Einlagen-Zins). Im September 2014 folgt eine Senkung auf 0,05%. Dadurch werden aber vor allem die Preise an Immobilien- und Aktienmärkten angekurbelt. Vor allem in Ländern wie Großbritannien und Deutschland setzen Anleger auf Immobilien in den Ballungszentren (weltweit laufen die Immobilienpreise heiß, vor allem in Brasilien, Russland, Indien und China). Besonders die Aktien mittelgroßer Unternehmen schnellen nach oben. Der Boom am US-Aktienmarkt ist besorgniserregend. Je mehr Geld in den Kreislauf fließt, desto besser können sich Spekulationsblasen ausbreiten. Die Frage ist, wenn der Einbruch kommt und die Blase platzt. Vgl. Wetten auf den Crash, in: Der Spiegel, 49/2013, S. 64-72. Dringend notwendig wären Strukturreformen. Diese müssten Pläne zum Sparen bei den Regierungen, Senkung von Steuersätzen und ein gerechteres Steuersystem enthalten. Gerade die Harmonisierung der Steuersysteme und die gegenseitige Transparenz bei der Steuererhebung wären eigentlich in einer EWWU selbstverständlich. Steuerhinterziehungsmöglichkeiten innerhalb der EU oder mit ihr kooperierender Länder (z. B. Schweiz) gehen gar nicht. Verbesserungen könnte ein Beschluss der OECD-Länder 2014 bringen. Staatsanleihen sollten nicht weiter von der Notenbank gekauft werden, um die Konjunktur anzukurbeln. Es könnten dadurch eher außenwirtschaftliche Ungleichgewichte in der Euro-Zone verstärkt werden. Vgl. Belke/ Gros: Kontraproduktive Geldpolitik, in: Wirtschaftswoche, Nr. 15, 07-04.14, S. 42.  Am 04.09.14 senkt der Gouverneursrat der EZB den Leitzins im Euroraum um 0,1 Prozentpunkte auf 0,05%, einhistorisches Tief. Der Euro geht auf Talfahrt (Goldman Sachs erwartet die Parität zum Dollar bis Ende 2017). Die Konjunktur soll gestützt (mehr Investitionen, höhere Exporte) und die Inflation angekurbelt werden (Verteuerung der Importe). Die Ersparnisse der Bürger werden weiter entwertet und der Reformdruck auf die Regierungen sinkt. Die Banken selbst wollen das Billiggeld gar nicht.  Noch im Oktober 2014 will die EZB weitere Risiko-Anleihen (Pfandbriefe, ABS-Papiere) aufkaufen, um neues Geld in den europäischen Finanzmarkt zu spülen und die Konjunktur zu beleben. Der Europäische Gerichtshof verhandelt im Herbst 2014 über die Ankündigung der EZB, unbegrenzt Anleihen zu kaufen.  Eine gewisse Renationalisierung der Risiken wird empfohlen. Am 22.01.2015 gibt die EZB den Kauf von Staatsanleihen in großem Umfang bekannt. Monatlich werden für 60 Mrd. Euro Staatsanleihen von Banken aufgekauft (von März 2015 bis September 2016. Die Summe beträgt insgesamt 1140 Mrd. €; dann folgt eine Verlängerung um ein Jahr). Die Staatsanleihen werden nach dem Anteil der Mitgliedsländer an der Notenbank gekauft, also am meisten die Deutschen. Es gibt keine Eingrenzung bei den Laufzeiten. Die Leitzinsen bleiben unverändert (sehr wahrscheinlich bis Mitte 2017 und länger). Die Notenbanken verlieren aber auch zunehmend die Kontrolle über das Geld (Krypto - Währungen, E-Payment). Das Bundesverfassungsgericht erklärt am 05.05.20 die Staatsanleihenkäufe der EZB in Teilen für verfassungswidrig.    "Die Europäische Zentralbank hat noch immer die große Bazooka und jede Menge Munition", Olli Rehn, EU-Wirtschaftskommissar, zum Kampf gegen die Schuldenkrise.  

Die Krise in der EU und um den Euro führt mittlerweile dazu, dass in einigen Mitgliedsstaaten die Demokratie in Gefahr ist. Einmal geht eine Gefahr von den postsozialistischen Staaten aus. Die politischen Institutionen haben nicht mit dem Aufbau des Binnenmarktes dort Schritt gehalten. In erster Linie sind hier Rumänien, Bulgarien und Ungarn betroffen. Das Democracy Barometer (DB, Wissenschaftszentrum Berlin) zeigt Defizite auf dem Sektor "Medien- und Informationsfreiheit" auch in Österreich, Frankreich, Griechenland und Italien. In Italien und Griechenland sind Justiz und Verwaltung stark politisiert. Sogar in Dänemark, Schweden und Finnland haben "Rechtspopulisten" deutlichen Zulauf. Demokratiedefizite müssten stärker sanktioniert werden (vgl. Timm Beichelt: Von Steinen und Glashäusern, in: FAZ, Nr. 302, Mo. 30.12.13, S. 7). Insgesamt scheint der eher technokratische Weg der EU (Macht der EU-Bürokratie) an sein Ende gelangt zu sein. Dringend notwendig wären Elemente einer Bürgerbeteiligung.  Die schwerwiegenden ökonomischen Probleme in den Süd- und Ostländern (vor allem Jugendarbeitslosigkeit) dürften die demokratische Unterstützung nicht wachsen lassen. Es gibt sogar Ökonomen, die empfehlen, Europa wieder in möglichst viele Kleinstaaten zu zerlegen, um die Freiheit zu maximieren (vgl. Hans-Hermann Hoppe, in: Wirtschaftswoche Nr. 1/2, 6.1.2014, S. 36ff.). So gesehen wird die Nation als Garant für Demokratie gesehen. Die politischen Systeme in den einzelnen Ländern richten sich aber immer mehr an den Interessen der Reichen aus. Denn diese finanzieren die Wahlkämpfe und die Parteien. Damit wird aber die soziale Ungleichheit in den einzelnen Ländern weiter verschärft (vgl. Der Spiegel, 5/ 2014, Jeffrey Sachs, S. 67). Sicher ist auch die Frage zu stellen, was die EU zusammenhält. Reichen Interessen aus? Oder ist mehr die Kultur/ Religion/ Werte bzw. das Ethos zu berücksichtigen? Weiterhin muss transparent debattiert und  entschieden werden, was die EU regeln soll und was nicht. Gerade das Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz 2014 (Kontingente für Einwanderer, Vorrang für Schweizer auf dem Arbeitsmarkt) zeigt, dass Angstmache ein wichtiger Faktor in der europäischen Politik geworden ist (so wollen auch Briten, Franzosen und Italiener die Zuwanderung begrenzen). Dabei kann man nachweisen, dass Freizügigkeit immer den Wohlstand in einem Gebiet steigert (Menschen wandern dorthin, wo Arbeitskräfte fehlen und sie höhere Löhne bekommen). Allerdings gibt es immer Grenzen für Zuwanderung. Experten empfehlen ein Punktesystem. Man findet in der EU auch 2015 keine faire Lösung für die Verteilung der Flüchtlinge (Quotenlösung). Die Hauptlast tragen aufgrund ihrer Lage nach wie vor Italien und Griechenland. In den anderen Ländern nehmen auch immer mehr gemäßigte Parteien Anleihen am rechten Rand. So bei Dänemarks Sozialdemokraten 2019. Die Demokratie muss auch die digitale Revolution in den Griff bekommen. Es muss ein offener, vernetzter Kontinent geschaffen werden (digitale Infrastruktur und ausreichender Schutz). Die Europäer haben viel Gutes an der Europäischen Union: dauerhafter Frieden, Erleichterungen für die Bürger, mehr Gewicht in der Welt. Das wird ökonomisch viel zu gering gerechnet.    "Man sollte keine Illusionen haben: Wie werden nicht über das Prinzip der Freizügigkeit verhandeln. Darüber kann man nicht verhandeln", Jose Manuel Barroso, EU-Kommissionspräsident 2014. Die Demokratie entstand im alten Griechenland im Stadtstaat Athen ca. 600 v. Chr., weil man die gesamte Bevölkerung einbeziehen musste, um Kriege gegen äußere Bedrohungen (Persien, Ägypten) gewinnen zu können.

Langfristig dürfte die EU nur als Politische Union (Euro-Politikunion) erfolgreich sein. Nur sie kann zuverlässig die Stabilität und Vorteile des Euro absichern. Kein Land allein, auch Deutschland nicht, kann in der Globalisierung und beim herausragenden Aufstieg Chinas zur führenden Wirtschafts- und Weltmacht seine Ziele durchsetzen. Die Vereinigten Staaten von Europa würden nicht so leicht abgehängt und könnten vielleicht ein eigenes Wettbewerbsmodell aufbauen. Darin dürften die Sozialpolitik und die Gründungsförderung Säulen sein. Allerdings wird dies nicht klappen, wenn immer mehr Europa mit immer weniger Rückhalt der Europäer verbunden ist. Leider genießt die EU in den USA oder China mehr Aufmerksamkeit als in der EU selbst. Bei der Europa-Wahl am 25.05.2014 haben die Europa-Gegner in Großbritannien (UKIP), Dänemark (Dänische Volkspartei) und Frankreich (Front National/Le Pen gewinnt sogar die Wahl) sehr starke Zuwächse (stark werden auch die Gegner in Irland, Italien, Griechenland, Ungarn und Österreich). In Schottland wird am 18. September 2014 über die Unabhängigkeit von Großbritannien abgestimmt. Ein positives Votum für die Unabhängigkeit könnte auch andere Regionen in Europa ermuntern (Katalonien, Baskenland, Korsika, Padanien, Flandern). Drei Fragen ergeben sich: Welche Währung?; Verbleib in der EU?; was passiert mit den Schulden? Die Schotten stimmen gegen die Unabhängigkeit.  In Deutschland kommt die AfD auf fast 7%. Insgesamt sind die Europa-Gegner auf dem Vormarsch. Für den Kommissionschef haben weder die Konservativen noch die Sozialdemokraten die Mehrheit. Merkel votiert für Juncker, den einige Staats- und Regierungschefs ablehnen. Juncker wird im Juli als Kommissionspräsident vom Parlament gewählt und damit durchgesetzt. Er will ein Wachstumspaket in Höhe von 300 Mrd. € auflegen (Investitionen). EU-Schlüsselressorts fallen Großbritannien (Regulierung der Finanzmärkte) und Frankreich (Währungskommissar) zu. Im Oktober 2014 will die EU 2,1 Mrd. € von Großbritannien. Die Forderung leitet sich aus der Wirtschaftsleistung Großbritanniens ab. Eine Umfrage des Instituts "Opinion Way" für die französische Zeitung "Le Figaro" bringt folgende Ergebnisse Ende 2014: Die Briten sind mehrheitlich klar für den Austritt aus der EU. Eine knappe Mehrheit für den Austritt gibt es auch in den Niederlanden. Den möglichen Austritt Großbritanniens bezeichnet man als Brexit. die Verhandlungen darüber beginnen im März 2017 und können 2 Jahre dauern. Am 31. März 2019 endet die Mitgliedschaft GB. Man findet keine Lösung für den Austritt; der mit der EU ausgehandelte Brexit-Vertrag findet keine Mehrheit im Parlament. Es droht ein so genannter  "harter Brexit". Nach langem hin und her wird die Frist für den Brexit von der EU auf den 31.10.2019 verlängert. In den Niederlanden, die im großen Wahljahr 2017 als erste wählen,  gewinnen zum Glück eher die gemäßigten Parteien.

Die EU müsste dringend reformiert werden. Die Euro-Krise, die Flüchtlingswellen, der Brexit, die wirtschaftliche Lage Süd-Europas, das Referendum in Italien, die Wahlen in Deutschland und Frankreich 2017, die mögliche Änderung der Position der USA durch den Wahlsieg Trumps bauen ordentlich Druck auf. In seinem neuen Buch entwirft Hans-Werner Sinn fünfzehn Reformvorschläge (Der Schwarze Juni, Freiburg 2016): Diese Vorschläge sind in drei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe betrifft den Euro (Konkursordnung für Staaten, Tilgung der Target - Verbindlichkeiten, EZB-Stimmrechte nach Größe). Dann geht es um die Steuerung der Migration (Heimatlandprinzip, Grenzsicherung, Punktesystem). Schließlich kommen noch einige hinzu (europäischer Subsidiaritätsgerichtshof, gemeinsame Armee). Vgl. die Seiten 281ff. Die Wirtschafts-Politik von Trump in den USA ab 2017 wird von vielen Experten inzwischen eher positiv für die EU gesehen (ZEW/ Mannheim-Umfrage 2017). Auch ein Brexit könnte die übrigen Länder näher zusammenbringen. Einige Experten raten Osteuropa, dem Brexit zu folgen. Bei Amtsantritt macht der französische Präsident Macron Reformvorschläge. Wegen der schleppenden Regierungsbildung in Deutschland können die lange nicht beantwortet werden. Deutschland und Frankreich schließen am 22.01.2019 einen neuen Freundschaftsvertrag in Aachen (Kooperation auf vielen Gebieten). Das britische Parlament lehnt im Januar 2019 den Austrittsvertrag ab. Plan B sieht Nachverhandlungen vor, insbesondere zu der Grenze nach Nord-Irland. Im Februar 2019 schließen GB und die Schweiz einen Handelsvertrag für die Zeit nach dem Brexit ab. Er könnte als Blaupause dienen.

Systemwettbewerb der EU mit den USA und China bzw. Russland: Die EU muss künftig als Weltmacht auftreten, wenn sie ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen will. Das größte Problem sind 2019 die Populisten, die in die Entscheidungsprozesse eingreifen wollen. Sie werden direkt von Russland gefördert und indirekt auch von den USA und China. Die Großmächte versuchen alles, um die EU zu spalten und damit in ihrer Position zu schwächen (in Osteuropa, in Südeuropa). Die EU muss ihren unumkehrbaren Niedergang verhindern. Sie muss erfolgreiche Strategien dafür entwickeln: 1. Starke Währung. 2. Konsistente EU-Außenpolitik. 3. China-Strategie. 4. Energiewende. 5. Binnenmarkt. Vgl. Wettach, Silke: Der verhinderte Riese, in: WiWo 22, 24.5.19, S. 14ff. Sie muss vor allem eine effektive Kommission und Rat bekommen. Das Postengeschacher nach der Europawahl zerschlägt viel Porzellan. Das Flüchtlingsproblem bleibt ungelöst. Erdogan versucht, die EU zu erpressen, indem er die Grenze zur Türkei für Flüchtlinge öffnet. Er will mehr Geld. Die EU kann sich aber nach wie vor nicht über die Aufnahme von Flüchtlingen (Verteilungsschlüssel) einigen. Griechenland und Ungarn setzen das Asylrecht aus. 2020 kommt eine neue Herausforderung für den Euro. Die Corona-Krise trifft schwächere Länder in der EU besonders heftig (Italien, Spanien). Die Banken dieser Länder müssen die Krisenbranchen und die ganze Wirtschaft am Laufen halten. Das geht nur mit Solidarität aus Brüssel (ESM). Sonst könnte am Ende der Euro gefährdet sein. Man setzt den ESM als Rettungsschirm ein wie in der Finanzkrise 2008/ 2009. Die EZB erhöht ihre Anleihekäufe. Die EU setzt Hilfsprogramme für Unternehmen ein. Nach der großen  Finanzkrise 2009 wurde das "Europäische Semester" 2010 eingeführt: Bevor die nationalen Parlamente die Etats beschließen, werden sie von der EU-Kommission überprüft. Sie spricht dann Empfehlungen aus. Dabei hat die Kommission mehrere Ziele. Die Volkswirtschaften sollen sich annähern, die Haushalte solide finanziert, das Wirtschaftswachstum angekurbelt, die ökonomischen Ungleichgewichte abgebaut und Reformen angepackt werden. Im Idealfall richten die nationalen Gesetzgeber dann ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik an diesen Empfehlungen aus. Die deutsche Haushalts- und Finanzpolitik bekommt 2019 schlechte Noten. Dei Bundesregierung erwirtschafte zwar Überschüsse, Aber die Zukunftsvorsorge sei zu schwach.

Exkurs: Rahim Taghizadegan, Europa auf der Intensivstation. Heilung oder wirtschaftlicher Niedergang, Leykam Verlag 2020. Er kommt zu dem Schluss, dass die EU den Anschluss im Systemwettbewerb verliert. Der Kontinent "Europa" verspiele sein Kapital. Eliten könnten noch vom Vertrauen der Bevölkerung zehren. Aber sie bauten kein neues Kapital auf. Europa könne nicht mehr Schritt halten mit der Welt.

Neue Eurokrise durch die Corona-Krise? Die Gefahr einer neuen Eurokrise wächst im Jahre 2020. Schwache Mitgliedsländer, die stark von Corona betroffen sind, brauchen dringend Hilfe. Sie befinden sich im Lockdown. Sie bangen, wie sie finanziell überleben sollen. Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland und Portugal haben schon 2019 eine hohe Staatsverschuldung in Prozent des BIP (Italien 186, Frankreich 99, Spanien 97, Griechenland 175, Portugal 120). Vor der EZB-Ankündigung des Notkaufprogramms für Anleihen waren die Risikoausschläge für zehnjährige Staatsanleihen immens gegenüber den deutschen Bundesanleihen (Italien 1,59; Spanien 0,93; Frankreich 0,45).

Da die Geldpolitik in der EU und vielen anderen Ländern so gut wie keinen Spielraum mehr hat, muss die Finanzpolitik mit Konjunkturprogrammen kommen. Die EU macht ein Notfallprogramm in Höhe von 700 Mio. €. Entscheidend ist aber die Zeit, die hier extrem schwierig einzuschätzen ist. Der ESM, der für die Finanzkrise entwickelt wurde, soll in der EU einspringen. Der ESM verfügt über 410 Mrd. €. Einzelne EU-Staaten können bis zu 2% ihrer Wirtschaftsleistung aus dem ESM bekommen. Die Länder können ihre Hilfspakete komplett über den ESM finanzieren. Der ESM ist für Staaten. 200 Mrd. € sollen eingesetzt werden. Die Staats- und Regierungschefs müssen dem noch zustimmen, was geschieht. Gegen Eurobonds (Coronabonds) sprechen sich einige Länder aus (auch Deutschland, Finnland, Niederlande). Über weitere Hilfen für weniger finanzkräftige Länder soll noch beraten werden. Die Kommissionspräsidentin von der Leyen spricht von einem speziellen Corona-Haushalt. Einige bedürftige Länder schätzen am ESM nicht, dass er an Bedingungen geknüpft ist.

Die Europäische Investitionsbank könnte Liquiditätshilfen nationaler Banken durch Garantien absichern. Das wird auch eingerichtet. Über die EIB werden Unternehmen gefördert. Trotzdem kann es dabei nicht bleiben. Die Krise wirkt wie ein großer Krieg, wie der 2. Weltkrieg. Also wird man auch ähnliche Folgemaßnahmen angehen müssen in der EU: Lastenausgleich, ERP-Programme ("Marshallhilfe") und ähnliches. Das soll später hinzu gefügt werden. Es soll ein EU-Kurzarbeitergeld geben, das kommen wird. Es wird dann noch eine Rückversicherung für die Arbeitslosenversicherungen eingerichtet. Die Solidarität wächst. Corona-Bonds wären europäische Staatsanleihen, die zeitlich begrenzt und am einen bestimmten Zweck gebunden sind. Sie wären ein Signal (an die Menschen und an die Finanzmärkte) und wahrscheinlich auch eine gute Geldanlage. 13 Länder sind dafür, 5 dagegen. Man wird um eine solche Institution nicht herum kommen, wenn man die EU retten will. Der Hauptunterschied zwischen der ESM- und der Bonds - Lösung liegt in der Haftung und den Bedingungen. Die EU-Außenminister können sich am 07.04.20 nicht auf eine Lösung einigen, aber zumindest auf den Begriff "Finanzinstrument" Es geht um die kurzfristigen Hilfen. Vor Ostern muss man unbedingt zu einer Einigung kommen (Euro-Gruppen-Chef Centeno sucht danach).  Diese Einigung kommt auch am 10.04. zustande und entspricht der obigen Konzeption. Die Bonds - Lösung wird erstmal vertagt.

Die Verteilung der EU-Gelder wird von der Komitologie geregelt. Es handelt sich um ein Geflecht aus Verwaltungs- und Expertenausschüssen. Es ist Europas mächtigste Blackbox, wo kaum noch einer durchblickt. Eine alternative steht 2020 noch nicht bereit.

Die Südländer der EU werden 2020 stärker von der Corona-Krise getroffen. Das gilt besonders für Italien (Oberitalien), Spanien und Frankreich. Die Gesundheitssysteme der Länder waren aufgrund von Sparmaßnahmen auch nicht die stärksten. Deshalb zählt man hohe Todesraten. Umstritten sind EU-Hilfen kurzfristiger Art. Die Länder sind schon hoch verschuldet. Man diskutiert Euro- (Corona-) Bonds und eine ESM - Lösung. Letztere lässt die Haftung bei den Ländern und ist an Bedingungen gebunden. Die Verteilung wäre: ESM 200 Mrd. €, EIB 200 Mrd. €, EU-Kommission 100 Mrd. €. Die Staats- und Regierungschefs einigen sich am 23.04.20 auf das Paket. Ein Wiederaufbau-Programm soll zusätzlich kommen. Die EU-Kommission erhält einen Arbeitsauftrag dafür. Deutschland und Frankreich vereinbaren am 18.05.20 einen Wiederaufbaufonds (Recovery, Europa-Fonds). Er soll einen Umfang von 500 Mrd. € haben. Er soll als Zuwendung kommen, nicht als Kredit. Die EU soll sich verschulden können, zurückgezahlt werden die Gelder von allen EU-Mitgliedern nach einem Schlüssel. Alle EU-Länder müssen zustimmen. Die Frage ist, ob sich die "nördlichen Geizkragen" und die "südlichen Geldausgeber" einig werden.  Vier nördliche Sparländer (Österreich, Schweden, Dänemark, Niederlande) machen einen Gegenentwurf (Sparsame Vier): Wiederaufbaufonds ja, Schuldenerlaubnis für EU ja. Aber mehr Kredite und kürzere Laufzeiten. Die entscheidende Frage dürfte demnach das Verhältnis von Krediten und Zuwendungen sein. Die EU-Kommission stockt das Programm dann noch auf auf 750 Mrd. €. Das ist deutlich mehr Geld. Italien (173 Mrd. €) und Spanien (140 Mrd. €) sollen den Großteil der Hilfen bekommen. 500 nicht rückzahlbare Zuwendungen, 250 Kredite. Das Programm soll von 2021 bis 2027 laufen. Für Deutschland sind 29 Milliarden reserviert. Die Schulden würden dann zwischen 2028 und 2058 über den EU-Haushalt getilgt. Das Geld soll in Investitionen für die Zukunft fließen. Hoffentlich entwickelt man auch eine Strategie: Zum Beispiel sollte man die 5-G-Technik von Nokia und Erikson kaufen, um eine Abhängigkeit von China und den USA zu vermeiden. Macron und Merkel einigen sich bei einem Treffen auf Schloss Meseburg, dass der EU-Wiederaufbau bis Juli 2020 geregelt wird. In Frankreich tritt die Regierung zurück. Jean Castex wird neuer Premierminister. Für den Wiederaufbaufonds können zur Finanzierung Schulden aufgenommen werden. Da ist ein Tabubruch und ein Schritt Richtung politische Union. Eigentlich müssten dann auch mehr Kompetenzen auf dei europäische Ebene übertragen werden. Vgl. Das ist ein Tabubruch, Interview mit Otmar Issing, Die Zeit 30, 16.7.20, S. 21. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten treffen sich am 17.7.20 in Brüssel. Es geht um den Wiederaufbau nach Corona. Der Gipfel könnte bis Sonntag dauern. Man will auch die EU-Staatsanwaltschaft ausbauen, um missbrauch zu bekämpfen. Mitnahmeeffekte im Haushalt werden aber kaum zu verhindern sein. Ratspräsident Michel legt auf der Sitzung einen Kompromiss-Vorschlag vor: 300 Mrd. € Kredite, 450 Mrd. € Zuschüsse. Sparländer bekommen Rabatte. Länder bekommen mehr Zoll-Anteile. Blockaden möglich. Man spricht von Super-Notbremse, einem neuen Mechanismus zur Kontrolle der Auszahlung. Die Mittel für Ost-Europa sollen gekürzt werden (Veto Ungarn? auch bei fehlender Rechtsstaatlichkeit). Es wird auch der EU-Finanzrahmen für 2021 bis 2027 verhandelt. Erst am Montag zeichnet sich ein Rahmen ab: 360 Mrd. € Kredite, 390 Mrd. € Zuschüsse. Die Sparländer (Österreich, Dänemark, Schweden, Niederlande, Finnland) sollen bei den Beitragszahlungen Rabatte bekommen. Die Hilfsfonds sollen an Bedingungen gekoppelt werden. Rechtsstaatlichkeit soll Voraussetzung für Zahlungsempfang sein. Es ist der längste Gipfel der EU-Geschichte. Am 21.7.20 einigt man sich. Der EU-Haushalt soll gekürzt werden (Gesundheit, Migration, Forschung, Klima). Deutschland muss jährlich 10 Mrd. € mehr in den EU Haushalt einzahlen: künftig sind es 40 Mrd. €. Nicht dabei eingerechnet ist das Geld, das an Deutschland zurückfließt. Das EU-Parlament droht damit, den Haushaltskürzungen nicht zuzustimmen. Es dürfte Nachverhandlungen geben. Dabei geht es insbesondere um Klima und Digitalisierung. Den stärksten Konjunktureinbruch in Europa meldet Spanien: im 2. Quartal -18,5%. Frankreich -13,8%. Italien -12,4%. 

Die Ratspräsidentschaft Deutschlands endet im Dezember 2020 mit der Lösung wichtiger Fragen: Klimaschutz (Verschärfung des Ziels für 2030), EU-Haushalt, Rechtsstaatlichkeit, Corona-Hilfen, keine harten Sanktionen gegen die Türkei. Noch offen bleibt der Brexit. Ende 2020 kommt ein Brexit-Pakt zustande. Die 27 EU-Staaten und GB stimmen zu. Wichtige Fragen (Dienstleistungen) werden in die Zukunft verschoben.

Zukunft der EU: Nach dem Amtsantritt von Biden in den USA mit einem Neustart und der glänzenden Position von China nach der Corona-Krise, aber auch nach dem Brexit, stellt sich die Frage, wohin geht die EU? Allen Krisen zum Trotz hat die EU immer eine Lösung gefunden. Kann man sie vielleicht sogar als Modell betrachten für andere Regionen in der Welt? 2019 hatte die EU noch einen Anteil am Welthandel von 16% (ohne Intra-Handel, mit GB) vor den USA mit 11%. Nur China war mit 18% leicht stärker. Die EU ist der größte Handelspartner Afrikas, nicht China. Die Marktmacht Europas kommt nicht nur von der Zahl der Kunden, sondern auch durch die Kaufkraft. Der Spiegel spricht von einer "sanften Macht". Vgl. Fichner, Ullrich: Die Sanfte Macht, in: Der Spiegel Nr. 4, 23.1.21, S. 17ff. Die großen Konkurrenten versuchen immer wieder, die EU zu spalten. Die USA ziehen bei Nord Stream einige Länder auf ihre Seite. Die russische Föderation lockt mit Anreizen und Impfstoff. China spricht einige Länder besonders an (Neue Seidenstraße, Impfstoffe). Der ungarische Regierungschef lässt mit dem chinesischen Impfstoff von Sinopharm behandeln. Viele Experten sehen in der Zukunft eine tripolare Welt, in der Europa und Deutschland zwischen die Fronten der Supermächte geraten können. Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich haben eine überragende Bedeutung für die EU: Gewinnt LePen in Frankreich, dürfte es wieder reine Wirtschaftsgemeinschaft gehen. Zum Glück für die EU gewinnt Macron die Wahl. Der Ukraine-Krieg eint die EU vorübergehend. Die Baltischen Staaten und die osteuropäischen Staaten haben Angst vor einem Einmarsch Russlands. Finnland und Schweden wollen auch in die Nato und treten auch bei. Doch einige osteuropäische Staaten (Serbien, Ungarn) pendeln weiter zwischen den Fronten. Der Wahlsieg der Rechtsradikalen in Italien löst einen Schock aus (Euro fällt auf Rekordtief). Wahlsiegerin mit über 40% ist Frau Meloni mit den Brüdern Italiens. Sie wird Italiens erste Ministerpräsidentin.  Das dürfte der EU noch große Probleme bereiten. Sie ist aber (bzw. muss) überraschend kooperativ. Der Ukraine-Krieg, der 2022 ausbricht, führt zu steigender Instabilität an der Ostgrenze der EU (Beitrittsgesuche von Moldawien und Georgien, die auch Russland beansprucht). Das wird auf Jahre ein Unruheherd bleiben. Der Finanzbedarf der Ukraine für den Krieg und für den Wiederaufbau ist riesig. eine Aufnahme in die EU würde den Binnenmarkt durcheinander wirbeln (vor allem den Agrarmarkt). Wichtige Industriezonen gehen wahrscheinlich an Russland.

Marginalisierung der EU (Abstieg auf Raten): Politisch und ökonomisch verliert die EU relativ immer mehr an Gewicht. Sie wirkt zunehmend überfordert und abgehängt.

Politisch hat sie an Gewicht verloren: Der erste schwere Schlag war der Austritt GB aus der EU (Brexit), der auch von den USA mit betrieben wurde. Der zweite Rückschlag war der Ukrainekrieg, der von Russland, das sich in die Ecke gedrängt fühlte, angefangen wurde. Der dritte Schlag ist die Instabilität in Osteuropa, die systematisch von China ausgenutzt wird. Ungarn ist zum Einfallstor Chinas in die  EU geworden. Die Länder Südamerikas und Afrikas, aber auch Asiens, suchen zunehmend ihre Vorteile dadurch, dass sie die großen Blöcke gegeneinander ausspielen, was zum Abstieg der EU mit beiträgt. Gerade zu ihren ehemaligen Kolonien hat die EU noch keine befriedigende Beziehung gefunden.

Ökonomisch lässt sich die negative Entwicklung der EU konkret belegen: 1. Die EU hat eine ausgeprägte Wachstumsschwäche: BIP 2024 real in Veränderung zum Vorjahr 2023 (IWF Prognose): China +4,6%; USA +2,7%; EU-27 +1,1%. 2. Mangelnde Produktivität. Die Arbeitsproduktivität hat sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr wie folgt verändert: China +5,5%; USA +0,7%; EU-27 -0,6% (ILO, IWF, Eurostat). 3. Die Handelsmacht schrumpft. Exporte: China 3.380 Mrd. US-$; EU-27 2.764; USA 2.020. Anteil der Exporte am BIP: Deutschland 37,9%; EU 19,1%; China 15,1%; USA 7,4% (UNCTAD, IWF). 4. Vernachlässigter Kapitalmarkt. Die wertvollsten Technologiekonzerne sind in den USA und China. Summe der fünf stärksten: USA 12.781 Mrd. US-$ (Microsoft, Apple, Nvidia, Alphabet, Amazon); China 1.029 (Tencent, PDD, Alibaba, Meituan, Foxconn); EU-27 994 (ASML, SAP, Siemens, Schneider Electr., NXP Semiconduc.). Quelle: IDM. 5. Überfordertes Militär. 6. Zu viel Old Ecomomy. Venture-Capital-Investitionen in KI: USA 29 Mrd. US-$; EU 1,6; China 0,6. Venture-Capital-Investitionen insgesamt USA 149, EU 59, China 48. 7. Zu teure Energie. Industriestrompreise EU 261,8 US-$ je Megawattsunde; China 89,0; USA 81,9.  Quelle: Eurostat, EIA, HB.

Es gibt in der EU Korrekturpläne. Einer stammt von Mario Draghi. Er will einen gemeinsamen Schuldenfonds aufbauen. Darüber freuen sich nur die Südeuropäer. Die größte Schwäche Europas ist die mangelnde Einigkeit.   Vgl. Koch, Moritz u. a.: China, USA und die 27 Zwerge, in: HB 31.5. 1./2. Juni 2024, S. 44ff.

Nationalismus in der EU: In Italien sind Nationalisten mit Giorgia Meloni schon an der Macht. In Frankreich stehen sie 2024 nach der Parlamentswahl mit Marine LePen vor den Toren der Macht. Auch im Europa - Parlament sind die Nationalisten stärker geworden (EVP 188, Rechtskonservative 83, Rechtsextreme 58). In Deutschland wird die AfD im Bund, in den ländern und Kommunen immer stärker. Die Osteuropäischen Länder sind sowieso eher durch Nationalismus geprägt. Das könnte zu mehr Egoismus statt Integration, zu mehr nationaler Kraftmeierei statt Konsenssuche führen. Vgl. Finkenzeller, Karin u. a.: Aufstieg und Knall der Nationen, in: WiWo 28/ 5.7.24, S. 16ff.

"Jeder, der glaubt, dass er mit einer fortgesetzten Periode des billigen Geldes Probleme löst, dem ist nicht zu helfen", Jürgen Fitschen, einer der beiden ehemaligen Vorstandschefs der Deutschen Bank 2013 zur Niedrigzinspolitik der EZB (heute ist die Zusammensetzung des Vorstands eine andere).

 

 

  Drachendarstellung als Brunnen in Hoi An/ Vietnam (Weltkulturerbe der UNESCO seit 1999). Diese Stadt war eine der wichtigsten Stationen der maritimen Seidenstraße, die von China zu seiner Blütezeit betrieben wurde (hieß damals noch Hai Pho: Stadt am Meer). Es gab eigene chinesische Pagoden und Stadtteile in Hoi An (Bild aus der Pagode von Funan; die zweite ganz wichtige war die von Kanton). Der Drachen gilt in allen daoistisch geprägten Ländern Asiens als Symbol der Macht und des Kaisers bzw. des Herrschaftssystems. Er hat eine große mythologische Bedeutung (wie auch in anderen Kulturen, etwa Nibelungenlied in Deutschland oder Wappentier der Waliser).

"Wenn der Drache lahmt": Die Bedeutung Chinas für die deutsche Wirtschaft, die EU und die Weltwirtschaft und der Wert des Staatskapitalismus (Aufstieg Chinas, Konflikt mit USA). Das Thema wird immer mal wieder relevant in der ein oder anderen Form (vgl. z. B. meinen Vortrag von 2010 beim Landesinstitut für politische Bildung  B. - W.  in Freiburg, gefördert von der Ludwig-Ehrhard-Stiftung, Bonn "China -  Anker der Weltwirtschaft?"). Auch das Jahr 2019 mit einer möglichen Rezession macht das Thema wieder aktuell: Vgl. Das China-Dilemma. Wie die Volksrepublik zur Falle für deutsche Konzerne wird, in: Handelsblatt Nr. 13, 2019 (18.19.20. Januar), S. 42ff. China selbst hat 2018 zu einer neuen Bescheidenheit zurückgefunden  (Armut, Arbeitslosigkeit, Immobilienblase, Schulden, Handelsstreit mit den USA, schwächelnde Konjunktur). Das Wirtschaftswachstum ist mit 6,4% bzw. 6,6% das geringste seit 1949; die Geburtenrate ist trotz Wechsel in der Bevölkerungspolitik (2 Kinder) gesunken. Als Folgen müssen die deutschen Auto- und Maschinenbauer Absatzrückgänge wegstecken. 2020 kommt das Corona-Virus aus China (Wuhan). Wieder stellt sich die Frage erneut. China überwindet dann die Corona-Krise besser als viele andere Länder und könnte zum Antreiber werden. Tatsächlich ziehen die Exporte, auch in Deutschland, an und leiten eine Phase der Erholung ein. Der Spiegel spricht in seiner Ausgabe vom 23.1.21 schon vom "Siegeszug des Drachen". Der Focus hat 2021 einen Artikel über das Chinesische Jahrhundert. 27/2021, S. 36ff.  Vielleicht kommt noch der Aufstieg anderer Länder dazu (Indien, Indonesien). "China wird in den nächsten Jahren alleine so viel zum weltweiten Wachstum beitragen, wie alle OECD-Länder zusammen. Wir können unseren Aktionären nicht erklären, dass wir absichtlich nicht in so einem starken Markt vertreten sind, der boomt. Die Abhängigkeit von China wird weiter steigen", Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer (ich konnte ihn zweimal in Peking sprechen, tritt 2024 ab Quelle hier: Interview, WiWo 18/ 30.4.21, S. 30).

"China ist ein schlafender Drache, lasst ihn schlafen, denn wenn er sich erhebt, erzittert die Welt", Napoleon Bonaparte. (auf Sankt Helena, Aufzeichnungen des Leibarztes; was von ihm bis heute geblieben ist, ist der Code Napoleon: noch heute zwei Drittel des französischen Rechts). Das Tier ist ein schlangenartiges Mischwesen der Mythologie. Der Drache symbolisiert die Macht, den göttlichen Beistand und den Reichtum Chinas (er spielt überall auf der Welt in Sagen eine Rolle, so auch in Wales und Deutschland). Der gelbe Drache stand ursprünglich für die Macht der chinesischen Kaiser. Das letzte Jahr des Drachen in China war 2012. In einem solchen Jahr werden traditionell mehr Kinder geboren als üblich. Der neu gestaltete Flughafen in Peking zu den Olympischen Spielen 2008 hat die Form eines Drachens. Er ist noch der modernste der Welt (der größte ist Atlanta/ USA), bis 2018 im Süden Pekings ein neuer Flughafen entsteht.

"China kann nicht 30 Jahre ohne Rückschlag wachsen", Kenneth Rogoff, Uni Harvard; ehemaliger IWF-Chefökonom (zitiert nach Wirtschaftswoche, 37, 4.9.15, S. 27. Dagegen Chinas Parteichef und Präsident Xi Jinping auf dem Volkskongress 2017: "Unsere chinesische Zivilisation erstrahlt in dauerhafter Pracht und Herrlichkeit" (zitiert nach Der Spiegel 46/2017, S. 15).

0. Chinas traditionell dominiernde wirtschaftsgeschichtliche Rolle in der Welt. Das einheitliche, kaiserliche China wurde im Jahr 221 v. Chr. vom ersten Kaiser Qin Shi Huangdi gegründet (nach der Zeit der "Streitenden Reiche"; von Qin kommt der Name China in Deutschland, "Tchin" ausgesprochen; heute sind die sieben ständigen Mitglieder des Politbüros der KPCh die neue Dynastie). Über große Teile seiner zweitausend Jahre war das Land immer das bevölkerungsreichste Land und die größte Volkswirtschaft der Erde (1820 noch 33% Anteil an der Weltwirtschaft) und auch die fortschrittlichste Zivilisation (höchster technischer Fortschritt, vor allem um 800 n. Chr. bis 1000 n. Chr.), Drehscheibe des Handels in Asien (im späten Mittelalter hatte China die größte Flotte der Welt und hätte Eroberungen machen können). In der ganzen Zeit hatten China und Indien 50% der Weltwirtschaft inne (zu Zeiten von Christi Geburt vielleicht sogar 70%; aber Messungen gab es noch nicht). Noch im 17. Jahrhundert kamen bis zu 40% der weltweit produzierten Güter aus China. Dieses Selbstverständnis drückt sich in der Bezeichnung "Zhonguo" aus, was bedeutet "Reich der Mitte", also Land im Zentrum der Welt und Kultur. Das China-Bild in Europa und das Bild Europas in China wurde maßgeblich von Jesuiten geprägt ebenso wie der wissenschaftliche Austausch (das Bild wird durch große Philosophen wie z. B. Kant und Leibnitz multipliziert). Inwieweit Marco Polo dabei eine Rolle gespielt hat, ist bis heute umstritten. Vor der industriellen Revolution wurde dem sino-zentrischen Weltbild jäh ein Ende gesetzt. Mitte des 19. Jahrhunderts zwangen erst die Briten in zwei Opium-Kriegen China, sich dem Handel zu öffnen (Deutschland war zum Glück für das heutige Verhältnis zu China nur am Rande beteiligt mit zwei kleinen Kolonien: "Germans to the Front"). Später wurde das Land 1937 und 1945 von japanischen Angriffen in die Knie gezwungen. China war ein Spielball der Mächte und spielte weltpolitisch keine Rolle mehr. Diese Demütigungen  haben ein Trauma ausgelöst und erklären viele heutige politische Positionen des Landes. Mittlerweile ist die VR China wieder die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde (natürlich nicht pro Kopf; wichtig ist auch die Bewertungseinheit "PPP"), was das Ausgangsthema legitim macht. Grundsätzlich ist "luan" die Grundangst der Chinesen. "Luan" bedeutet Chaos. Man will alles tun, damit das Land politisch und wirtschaftlich stabil bleibt (damit nützt die wirtschaftliche Stabilität des Landes heute auch der ganzen Welt). Eine wichtige Rolle spielen dabei Riten (Li). Sie sind wichtiger als Gesetze (anderes Rechtsverständnis, was zu vielen Missverständnissen führt). Am ehesten kann man wirtschaftliche Stabilität heute erreichen, indem man die großen sozialen Unterschiede im Land bekämpft (der Lebensstandard hat sich aber insgesamt erhöht) und sich nicht zu Export abhängig vom Ausland macht (das ist die ökonomische Grund-Position der KPCh). Es ist aber ein statistisches Faktum, dass China heute für die Welt immer wichtiger wird: 2008 in der großen Finanzkrise betrug der Anteil Chinas am globalen Bruttoinlandsprodukt etwa 13%. Im Jahre 2019 liegt dieser Anteil bei ungefähr 18%. 2021 soll der Anteil auf 21,5% steigen (Prognose; USA: 29,6; EU 17,9 ohne GB). Noch höher ist der Anteil des Landes an der globalen Produktion (etwa 29%, "Werkbank der Welt"). Neuere Prognosen gehen davon aus, dass China schon 2024 bzw. 2025 die USA als größte Volkswirtschaft der Welt ablösen wird (Quelle: Worldbank, IWF; Auslaufen des "Masterplans China 2025"). Die Rangordnung ändert sich auf jeden Fall. Ende 2020 wird die Prognose für die Spitzenstellung Chinas beim BIP auf 2028 revidiert. Technologieentzug wird den Aufstieg Chinas sicher nicht wesentlich bremsen. Um das Überholen durch China zu verhindern oder hinauszuzögern müssten die USA und Europa das Humankapital ihrer Volkswirtschaften erheblich erhöhen. Die USA wollen nicht mehr Hüter der Weltordnung sein. China hat eher regionale Interessen. 2024 werden aber die Prognosen wieder pessimistischer (Führung vielleicht doch erst 2049, 100 Jahre VR, Vgl. Petring, J.: Der Zweikampf, in: WiWo 1/2 2024, 5.1.24, S. 40f.)  2019 gab es noch folgende Rangfolge beim BIP: USA 21,5 Billionen US-$; EU 15,6; China 14,3. 2030 wird mit folgender Rangfolge gerechnet: China 33,7; USA 30,5; EU 21,5. Quelle: Weltbank, CEBR. Im Jahre 1980, als die ökonomische Öffnung des Landes quasi begann, hatte China ein BIP von 0,2 Billionen US-$ (EU 3,3; USA 2,9).  Vgl. Daron Acemoglu/ James A. Robinson: Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut, Frankfurt 2021 (7. Auflage, erschienen in Deutsch 2014, Original in englisch 2012: Why Nations fail), S. 515ff.

Exkurs: Querdenker der Geschichtsschreibung in China:  Die Geschichtsschreibung ist in China Staatsmonopol. Deshalb ist Misstrauen immer geboten. Vgl. zu mehr Inhalt: Geschichte Chinas. Auch in China gibt es Querdenker, die gegen den Mainstream anrennen. Man könnte sie Revisionisten der Weltgeschichte nennen. Unklar ist, inwieweit sie im impliziten Auftrag der kommunistischen Führung handeln. Ihre Grundthese ist, dass der ganze Westen eine  missratene Kopie Chinas sei. Herausragende Vertreter sind Dong Bingsheng mit seinen Büchern "Fiktive antike griechische Geschichte" (2015) und "Fiktive Geschichte der westlichen Zivilisation"  (2017). Das alte Rom seien nur Geschichten. Noch weiter geht Xuanshi in seinem Buch "Die fiktive Geschichte der westlichen Kultur" (2017). Die modernen  und postmoderne Wissenschaft habe ihren Ursprung nicht in Europa, sondern in China (Menzius, 372 - 289 v. Chr.). Diese These baut Du Gangjian in seinem Buch "Der Ursprung der Zivilisation und die Welt der großen Harmonie" noch aus (2018). Man vermutet, dass sich der historische Verdacht gegen die These richtet, China habe nur vom Westen gelernt und erfolgreich kopiert. Auf der anderen Seite gab es auch Vertreter in China, die die 5000 jährige Geschichte anzweifelten und auf  2000 Jahre reduzierten (Gushi bian 1926). Die neue sonderbare Art der Geschichtsschreibung passt zum Symptom des erstarkten Selbstbewusstseins Chinas. Vgl. Siemons, Mark: Das historische Komplott, in:  FAZ Nr. 54, 5.3.2021, S. 9. China muss aber seine Geschichtsschreibung erneuern: Die maoistische Erzählung vom Kampf der Bauern und die Umzingelung der Reichen durch die Armen zieht nicht mehr. Weil die wohlhabende Mittelschicht (ca. 300 Mio., Städter) der Träger der ökonomischen Entwicklung, ist auch die Grundidee des Kommunismus löchrig geworden.

1. China als größter Markt der Welt für die wirtschaftliche Nachfrage (Importe aus dem Ausland): Die chinesische Schwäche belastet Deutschland. Für Deutschland steht China 2014 für die Exporte auf Rang vier gleichauf mit den Niederlanden, hinter Frankreich, den USA (im ersten Halbjahr 2015 Spitzenreiter) und Großbritannien. 2016 steigt China zum wichtigsten Handelspartner für Deutschland auf. Am wichtigsten ist China für die deutsche Automobilbranche (für 2015 wird die Absatzprognose zurückgeschraubt; zum Jahreswechsel 2016 bricht vor allem Porsche ein), dann folgen als Branchen Chemie (die BASF senkt im Oktober 2015 ihre Ziele und drosselt die Produktion) und Maschinenbau. Die 30 DAX-Unternehmen machen 2018 15% ihres Umsatzes in China, hauptsächlich mit rund 700 Tochtergesellschaften.  5.200 deutsche Unternehmen sind in China aktiv und haben 1,1 Mio. Arbeitsplätze geschaffen. In den letzten 20 Jahren (1998 - 2018) stiegen die deutschen Exporte nach China um 1500%. Im Jahr 2018 handelten Deutschland und China Waren im Wert von fast 200 Mrd. € (Quelle: Deutsche Handelskammer). Der Gesundheitssektor in China dürfte für die Zukunft eine große Chance sein (bei Fresenius schon 3% Umsatzanteil). Dabei ist auch zu bedenken, dass ausländische Firmen bei Schlüsselindustrien in China ausgeschlossen sind (Telekommunikation, Luftfahrt, Energie). Die deutsche Industrie spürt aber im Juli und August 2015 die nachlassende Nachfrage aus China, die sich insgesamt in einem Rückgang der Aufträge niederschlägt (die höchsten Umsatzanteile im Ausland haben Linde, Heidelberg Cement, Bayer und Adidas). Besser läuft das Geschäft für die deutsche Konsumgüterwirtschaft. Die Kauffreude haben die Chinesen nicht verloren. Davon profitiert z. B. Adidas (China mit 15% Umsatzanteil). Wichtiger noch ist die Nachfrage aus China für die USA, das gleichzeitig auch das größte Importland der Welt ist. Die aufstrebende Mittelschicht kauft zunehmend amerikanische Konsumgüter (Apple, Google).  Apple merkt 2015 und 2016 deutlich die abgekühlte Konjunktur in China (erstmals seit 13 Jahren Umsatzrückgang). Die Nachfrage der Mittelschicht muss weiter wachsen, damit die Exportabhängigkeit des Landes nachlässt. Besonders wichtig ist die Nachfrage aus China auch für einige asiatische "Tigerländer": Singapur (15,4% Anteil der Exporte nach China am BIP), Südkorea (9,7% Anteil der Chinaexporte am BIP), Malaysia (7,3%), Australien (4,8%). Selbst Japan hat einen Anteil der Chinaexporte am BIP von 2,5% (im Vergleich dazu Deutschland 2,0%). Nicht so wichtig ist der Handel mit China für Indien. Deshalb könnte Indien 2015 sogar ein Wachstum von 7,5% erzielen (Prognose IWF). Im September 2015 brechen die chinesischen Importe insgesamt um 20% ein. Die Schwellenländer sonst  schwächeln insgesamt (Brasilien, Russland, Mexiko, Indonesien, Türkei, Süd-Afrika; vgl. Schütte, C. u. a.: Die Neue Weltordnung, in: Capital 10/2015, S. 28ff.). Zum Glück exportiert die deutsche Wirtschaft nur rund 25% in die wichtigsten Schwellenländer (Abgrenzung und damit Messung schwierig). "17,3 Prozent des weltweiten BIPs entfallen auf die chinesische Volkswirtschaft", Stephen Roach, Wirtschaftsprofessor in Yale (2016 im Handelsblatt, 31.10.16, S. 56).

Für einzelne deutsche Firmen hat China allerdings eine sehr große Bedeutung: Bei VW hat China einen Umsatzanteil von 39,9% (2018; 2019 schon 42%). Bei Infineon sind es 34,2%. Es folgen Daimler (26,4%; 2019 über 30%), BMW (24,1%; 2019 gegen 30%), Covestro (21,7%), Adidas (17,9%), Continental (13,0%), BASF (11,3%), Merck (10,3%) und Siemens (9,8%). Alle Zahlen sind für 2018. Quelle: Handelsblatt Nr.13, 18./19./20. Januar 2019, S. 46. Heute schon hat China einen Anteil von 40% des Weltchemiemarktes. 2030 wachst der Anteil auf 50%, also soviel wie der Rest der Welt. Das sagt einiges über die Bedeutung des Landes für die großen deutschen Chemieunternehmen (BASF). Die Abhängigkeit bestimmter Branchen von China wächst. Das kann ein Problem werden, wenn man sich im Handelskrieg zwischen China und den USA für eine Seite entscheiden muss. Letztendlich bleibt dann nur eine Unternehmensteilung. Die Welt entwickelt sich 2022 Richtung Systemkonflikt (Russland und China auf einer Seite; der Westen mit der Führungsmacht USA auf der anderen Seite). Deutschland darf nicht zwischen die Fronten von Ost und West geraten.  2018 hatte ein Marketing-Mitarbeiter von Daimler auf Instagram eine Werbung von Daimler mit einem Dalai-Lama-Zitat geschmückt: "Betrachte die Situation von allen Seiten, und du wirst offener". Binnen Stunden tobte ein Shitstorm und die Volkszeitung erklärte Daimler zum Volksfeind. Dieter Zetsche musste sich entschuldigen.

Im September 2019 lagen die Importe Chinas 8% unter dem Vorjahresniveau. Die Importe Chinas aus dem Ausland hängen stark von  drei Faktoren ab, die relativ schlecht berechenbar sind: 1. Die Führung Chinas tut alles - auch unter Einsatz protektionistischer Methoden -, um Produktionsstätten (Direktinvestitionen) ins eigene Land zu bekommen (dadurch kann der Binnenkonsum und die Beschäftigung angehoben werden; der Binnenkonsum kann aber noch nicht die Rückgänge beim Export auffangen). 2. Abwertungen der eigenen Währung senken die Kaufkraft der Bevölkerung für importierte Güter.  3. Aufgrund großer Disparitäten zwischen Provinzen und großer sozialer Unterschiede in der Bevölkerung sind Prognosen zur Kaufkraft in China fast unmöglich (wir haben das mal in einem Projekt versucht). 2019 geht der Konsum in China etwas zurück, was auch nicht ohne Auswirkungen auf die Importe bleibt.  "Ich glaube, wir sollten ganz besonnen die Wellenbewegungen in China abwarten", Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender von Audi im September 2015. 

Exkurs 1: Die drei größten Handelsriesen der Welt im Vergleich: Die Anteile am globalen Bruttoinlandsprodukt 2018 in 1000 Mrd. Euro: USA 17, EU 15, China 10, Japan 4, Rest der Welt 24. China exportiert in die EU Waren im Werte von 394,6 Mrd. Dollar (2018). Von der EU importierte China Waren im Werte von 209,8 Mrd. Dollar (2018). Die USA importierten von der EU Waren für 407 Mrd. Dollar. Sie exportierten in die EU Waren für 268,1 Mrd. Dollar. China exportierte in die USA Waren für 539,7 Mrd. Dollar. China importierte für 120,1 Mrd. Dollar aus den USA. Quelle: U.S. Census, Eurostat.

Exkurs 2: Der chinesische Schweinemarkt als Beispiel (Indikator für globale Märkte). In China bricht ab 2018 die Afrikanische Schweinegrippe aus. Eine Ursache ist mangelndes Hygienewissen. Sie treibt viele chinesische Kleinbauern in den Ruin. Weltweit steigt der Schweinepreis (2020 über 2 € pro Kilo). Zu den großen Profiteuren gehören die deutschen Groß-Schlachter (z. B. Tönnies). Sie exportieren 2019 50% mehr Schweinefleisch nach China (387.000 Tonnen). Gleichzeitig investieren sie in China. China taut auch Fleischreserven auf. In China werden die Schweine oft in eigenen Hochhäusern gehalten. Im September 2020 erlässt China ein Importverbot für deutsche Schweine. Grund ist die Entdeckung der Schweinepest bei einem Wildschwein in Brandenburg. Der Schweinepreis in Deutschland fällt daraufhin drastisch. Auch die Schließung vieler Schlachthöfe wegen Corona drückt den Schweinepreis weiter. Die Schweinezüchter können ihre Produktionskosten bei Weitem nicht mehr decken. Am Stichtag 3. November 2021 liegt der Schweinebestand in Deutschland bei 23,6 Mio. Das ist das niedrigste Niveau seit dem Jahr 1996. Grund sind die zurückgehende Nachfrage (Konsum - Änderung) und der Schweinefleischpreis. Weltweit geht der Konsum an Schweinefleisch aber nach oben. Das liegt daran dass die Mittelschichten, denen es besser geht, endlich mehr Fleisch essen wollen. Das ist in China meistens ebenso wie in Südafrika zum Beispiel. In China vermehren sich die Schweine nicht schnell genug. Deshalb werden sie nun von KI-Robotern geklont. 2024 erwägt China einen Retorsionszoll auf Schweinefleisch aus der EU (die EU will Zölle auf E-Autos aus China erheben, gestaffelt nach Subventionen). Besonders davon betroffen wären Spanien und Deutschland.

Exkurs 3: Bedeutung Chinas für den deutschen Außenhandel und die deutsche Wirtschaft: Im Jahre 2019 hatte China bei den deutschen Exporten einen Anteil von 7,23 %. Bei den Importen nach Deutschland betrug der Anteil aus China 9,95 %. Der chinesische Anteil an der gesamtwirtschaftlichen deutschen Wertschöpfung liegt bei 2,8% 2015 (EU 2,0; USA 1,2). An der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung Chinas hat Deutschland 2015 einen Anteil von 0,6% (USA 4,2%). Die Abhängigkeit Deutschlands von China ist also stärker als umgekehrt. China ist Deutschlands Geschäftspartner Nummer eins. Trotzdem braucht China auch Deutschland und die EU. Es braucht Zugang zu Technologie und Innovationen, es muss seine Produktivität verbessern. China selbst geht von "tianxia" aus, eine Art Angebot für einen weltpolitischen Masterplan. Ein "konfuzianisches Optimum" (Win-win für Handel, Frieden und Klima, Schicksalsgemeinschaft der Menschheit). Vgl. Becker, B. u. a.: Business as unusual, in: WiWo 32/ 31.7.2020, S. 15ff. Die Abhängigkeit der DAX-Konzerne von China ist groß. Die größten Umsatzanteile hat der chinesische Markt für: Infineon 62,6%; Merck 34,6%; Daimler 25,7%; BASF 25,4%; Continental 24,2%; Siemens 23,2%; Bayer 21,3%; Linde 20,4%; Adidas 19,8%; Volkswagen 19,3%.  China zwingt 2021 immer mehr Wertschöpfung ins Land. Der Fokus liegt nun auf Autarkie und nationaler Sicherheit. In jüngster Zeit nimmt die Bedeutung Chinas ab. Die Exporte aus Deutschland von 2018 bis 2022 sanken preisbereinigt um -7,5%. Im ersten Halbjahr 2023 betrug der Anteil Chinas nur noch 6,2% an den deutschen Exporten (2020 7,9%). Dafür gab es zwei Gründe: 1. Zunahme der Produktion deutscher Unternehmen in China. 2. Generelle Abnahme der chinesischen Importe. Quelle: IfW/ Kiel 2023.  "Es gibt besorgniserregende Anzeichen dafür, dass China sich zunehmend nach innen wendet", Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer 2021, Quelle: Pettring, Jörg u. a.: In der Falle, in:  WiWo 42, 15.10.21, S.14ff.

Exkurs. Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW, Alexander Sandkamp), Kiel, 2023: Vereinzelt bestehe eine große Abhängigkeit von China. Das gilt nur für einzelne Produkte (Rohstoffe, Elektronik, Laptops). Das könnte aber kurzfristig von den Importen her ersetzt werden. Bei den Vorleistungen sei die Abhängigkeit erfreulich gering (nur 0,6% der direkten Vorleistungen kommen aus China).

Exkurs. Studie von Bertelsmann Stiftung, IW, Merics und BDI 2023: Der chinesische Markt hat in den kommenden Jahren eine sinkende Bedeutung für deutsche Exporte. Zunehmend könnte die Produktion vor Ort ersetzen. Die zunehmende Systemrivalität erfordert eine neue China-Strategie. China sei 2022 als Investitions- und Produktionsstandort für deutsche Firmen zwar wichtiger geworden, es gebe aber keine volkswirtschaftliche Abhängigkeit von Direktinvestitionen (DI) in China (ca. 7% aller deutschen DI im Ausland). Es flossen jährlich Gewinne aus DI in China nach Deutschland in Höhe von 7 bis 11 Mrd. €.

Exkurs. Studie des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Wien (Wifo) 2023: Eine wirtschaftliche Entkopplung von China (Decoupling) würde Deutschland etwa 2% des Wachstums kosten (etwa -60 Mrd. €). Besonders groß wären die Einbußen in Norddeutschland und in den Großstädten. .

2020 ist China stolz die USA als Handelsnation überholt zu haben: 128 von 190 Ländern der Welt treiben mehr Handel mit China als mit der USA. Quelle: WTO. Auch als Zielland für ausländische Direktinvestitionen führt 2020 China: 212 Mrd. US-$, USA 177 Mrd. US-$. Die nächsten zehn Jahre (von 2021 an) wird China der am schnellsten wachsende Markt der Welt sein. Vgl. "Wir sind in der Klemme", Interview mit Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, in: Die Zeit Nr. 52, 16.12.21, S. 29. Für Deutschland liegt China bei den Importen an erster Stelle (Importe nach Deutschland, 142 Mrd. Euro 2021), bei den deutschen Exporte an zweiter Stelle hinter den USA (104 Mrd. € nach China).

Exkurs: 20 Jahre WTO-Beitritt 2021. Wandel durch Handel? 2020 hat China mit seinen Exporten einen Anteil von 3,5% am weltweiten Bruttoinlandsprodukt. Bei den Importen sind es 1,8%. China ist in dieser Zeit vom Hoffnungsträger (Wandel durch Handel) eher zum bösen Buben geworden. Der Unmut kommt vor allem aus den USA. Der US-Ökonom David Autor vom MIT spricht von einem "China-Schock". Die USA haben vor allem in den traditionellen Industriebranchen nach dem Beitritt Chinas 2,5 Mio. Jobs verloren. Auch die EU ist enttäuscht: Nach der Finanzkrise 2008 ließ der Reformeifer in China nach. Man erwartet auch keine große Öffnung für die Zukunft. Beklagt werden Subventionen chinesischer Unternehmen und Wettbewerbsverzerrungen. Zu den größten Problemen zähle der erzwungene Technologietransfer. Chinas Wirtschaft hat sich seit 2001 verzehnfacht und ist zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. 2028 könnte China die USA überholen. Das Beispiel Litauen, gegen das China einen Handelsboykott erließ wegen Taiwan, könnte auch andere EU-Staaten ereilen. Vgl. Heide, Dana/ Riecke, T.: Lauter enttäuschte Erwartungen, in: HB Nr. 240; 10./ 11./ 12. 12. 21, S. 15. Im August 2024 verklagt China die EU wegen der E-Auto-Zölle.

Exkurs: Handelsoffenheit. Der Zenit wird in China 2006 erreicht. Zu dem Zeitpunkt war China offener als die USA und fast so offen wie Deutschland. Danach hat sich das Land immer mehr abgeschottet. Die Frage ist, wie weit die Binnenmarktstrategie noch geht. Vgl. Our World in Data, Weltbank, OECD, BEA.

Exkurs. Wendepunkt: 1990 bricht der Warschauer Pakt zusammen und die Deutsche Einheit kommt. Die Globalisierung der Neuzeit explodiert noch mal. Das Pro-Kopf-BIP ist seit dem um das 30-Fache in China gestiegen. Es gab die letzten 40 Jahre Rekordwachstum. 2022 ist die Volksrepublik am Wendepunkt. Der Traum vom Aufstieg zur führenden ökonomischen Macht könnte platzen. Bricht das System zusammen, wenn es nicht mehr wächst? Darauf muss auch Deutschland reagieren. Vgl. Mühling, Jens/ Ziesemer, B.: Chinas neue Grenzen, in: Stern 2.2.23, S. 22ff.

Exkurs. Handelsmacht China: China hat sich bis 2022 als die Handelsmacht der Welt etabliert. Ohne China geht nichts mehr. Die folgenden Daten geben das Handelsvolumen Chinas mit Staaten in der Welt wieder nach der Rangfolge (in Mrd. US-$): EU 847; USA 760; Südkorea 362; Japan 357; Taiwan 320;  Hongkong 305; Vietnam 235; Malaysia 203; Australien 221; Russland 190; Brasilien 172; Indonesien 149; Indien 136; Thailand 135;  Singapur 115; GB 103; Kanada 96; Philippinen 88; Mexiko 61. Siehe Die Zeit 14/ 303.23, S. 26.

2. China als Konkurrent auf der Angebotsseite (Abwertung des Renminbi und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Exporte): Nach einer Prognose des Ifo-Instituts in München im September 2015 wird der Leistungsbilanzüberschuss 2015 in China bei einer Rekordhöhe liegen und erstmals  höher sein als in Deutschland mit 250 Mrd. Euro (aber im September 2015 sinken die Exporte um 3,7%). Im Januar 2016 brechen die Exporte im Vergleich zum Vorjahresmonat um 11,2% ein. Durch die dreimalige Abwertung des Yuan  im August 2015 sollten eigentlich die Exportchancen erhöht werden. Die Abwertung hängt auch mit einer Veränderung des Wechselkursregimes zusammen: Das tägliche Fixing orientiert sich stärker am Schlusskurs des Marktes vom Vortag (neue Bezugswerte). So wird die Dollarbindung immer mehr durch einen Währungskorb ersetzt (China Foreign Exchange Trade System). Außerdem verkauft die Zentralbank Dollar und Euro (Anleihen-Verkauf). Kurzfristig verbessern Abwertungen Wachstum und Beschäftigung, langfristig müssen "Leistungen" billiger getauscht werden (Wer verzichtet gern auf höhere Löhne?). Nach den Aktienstürzen ab 04.01.16 wird die Währung acht Tage hintereinander abgewertet (auf zuletzt 6,5032 Yuan zu einem Dollar). Am 08.01.16 erfolgt dann wieder eine Aufwertung. Die Regierung will den Kurs stabil halten. Im Februar 2016 macht die Notenbank Stützungskäufe mit dem Ziel, eine deutliche Abwertung des Yuan zu verhindern (Währungsreserven sinken um 99,5 Mrd. Dollar auf 3230 Milliarden Dollar). Der wichtigste Grund für die Abwertungstendenz sind Kapitalexporte chinesischer Unternehmen und Privatpersonen, die eine Abwertung ihrer Heimatwährung fürchten. Vielleicht kommen bald schärfere Kapitalverkehrskontrollen. Die Währung Chinas heißt eigentlich Renminbi, Yuan ist nur eine Zahlungseinheit und heißt "das Runde".  Durch die Abwertung sind die direkten Konkurrenten unter den Schwellenländern besonders betroffen: Indien, Brasilien und Russland. Chinesische Importe werden billiger, auch in den USA (die Export-Güter Chinas sind stark preiselastisch). Es könnte ein Abwertungswettlauf zumindest mit den südostasiatischen Nachbarländern drohen. Die chinesische Lohnexplosion (schneller als Produktivität; auch verursacht durch den Aufbau eines Sozialversicherungssystems) lässt die Preise aber nur bedingt sinken (Kostenvorteil liegt 2015 im Durchschnitt noch bei etwa 15%). Viele Staatsfirmen erreichen nur noch gute  Bilanzen durch versteckte Subventionen und  günstige Kredite von Staatsbanken. Das Verhältnis von Staat zu Markt muss generell neu geordnet werden. Die drei aktuellen, ökonomischen Hauptprobleme Chinas Überalterung (die 1-Kind-Politik der vergangenen Jahre belastet den Arbeitsmarkt, 2050 steigt der Anteil der über 60-jährigen an der Gesamtbevölkerung auf 34,5%), ungleiche Verteilung und steigende Lohnkosten (Produktionsstandort verteuert sich) können durch die Währungspolitik nicht gelöst werden. Gerade die Staatskonzerne kämpfen mit erheblichen Überkapazitäten.

Laut Beitrittsprotokoll zur WTO wird China normalerweise nach 15 Jahren zur Marktwirtschaft erklärt. Das wäre also 2016. Die USA und Kanada sträuben sich. Die EU prüft noch. Vom Status der Marktwirtschaft international hängt sehr stark die Exportkraft Chinas ab. Die Handelspartner weisen auf den sehr starken staatlichen Einfluss auf die Unternehmen hin. Sie bemängeln zügellose und intransparente Subventionspolitik. 2016 übernimmt China die G20-Präsidentschaft. Vielleicht kommt es dann zu einer Kehrtwende und einer handelspolitischen Liberalisierung. China versucht auch, handelspolitische Alternativen in Form von Wirtschaftsintegrationen aufzubauen (APEC, FTAAP). Die Dominanz des Landes in der weltweiten Produktion (Experten schätzen, dass 2019 ein Drittel der Industrieproduktion in China liegt, die Zahl ist umstritten) ist aber ein entscheidender Vorteil.

Massiv bemüht sich das Land auch um die Öffnung seines Devisenmarktes: Mit 39 Staaten in der Welt hat die Volksrepublik so genannte Swap-Abkommen.  Einmal gibt es seit einpaar Jahren Renminbi-Handelszentren (das europäische ist in Frankfurt; Clearingbanken). Zweitens gibt es seit dem 08.10.15 das internationale Zahlungsverkehrssystem "Cips". Das inländische Zahlungssystem "Cnaps" unterstützt nur chinesische Schriftzeichen und akzeptiert keine internationalen Überweisungen. Es ist auch nicht mit dem internationalen System "Swift" vereinbar. Cips soll Swift und Cnaps verbinden. Ab Dezember 2015 erklärt der IWF den Renminbi zur Welt-Reservewährung.

Bitcoin - Schürfer und China: Große Server, die man für Bitcoin benötigt,  werden dort aufgestellt, wo die Strompreise günstig und die Behördenkontrollen lax sind. Das war bisher am Fuße des Himalayas der Fall (Provinzen Guizhou, Innere Mongolei, Xinjiang, Sichuan/ 10%). Man spricht von Bitcoin - Farmen.  Sie waren der Regierung in China immer ein Dorn im Auge: Sie stören die staatliche Finanzordnung und die staatliche Digitalwährung. Die Regierung gibt im Sommer 2021 ein zeitliches Ablaufdatum. Das treibt den Kurs des Bitcoin kurzfristig in den Keller, langfristig könnte es aber stabilisierend sein. Sie ist aber vorsichtig, weil sie die Wut der eigenen Bürger befürchtet, die mit Bitcoin Geld verdienen. Das Bitcoiun -Netzwerk wird zu 65% von chinesischen Surfern betrieben. Vgl. auch: Xifan Yang: Die Angst der Schürfer, in: Die Zeit Nr. 26, 24. juni 2021, S. 24.

2024 exportiert China seine Krise. Konsum und Baubranche fallen in China als Wachstumstreiber aus. Jetzt bringt der Export hoch subventionierter Zukunftsprodukte die Weltmärkte in Bedrängnis. Der Preisdruck nimmt dramatisch zu. Subventionen führen zu geringeren Preisen. Der Exportdruck kann die Wirtschaftsbeziehungen belasten. Die Gewinne chinesischer Unternehmen sinken. 2023 wuchs das BIP nur um +5,2%, wobei die Messung noch angezweifelt wird. Die Handelsbilanz lag bei 823 Mrd. US-$. Der Exportpreisindex sank auf 91,6Punkte. Hang Seng und CSI haben sich bis Mitte März 2024 im Vergleich zu Anfang 2021 stark nach unten entwickelt. (HS -39,1%; CSI -31,6%)  Vgl. Benninghoff, Martin u. a.: China exportiert seine Krise, in: HB 19.3.24, S. 1, 4, 5.

Exkurs. Ausnutzen von Zollfreiheit: Zollfreiheit unter einer Wertgrenze. Produkte mit einem Wert unter 150 € sind in der EU frei von Importzöllen. Chinesische Handelsplattformen (Shein, Temo u. a.) nutzen das systematisch aus. Sie überschwemmen Europa mit Portosendungen. Dabei haben sie hier auch noch Vorteile, weil China als Entwicklungsland gilt. Auf diese Unternehmen hat man bei uns keinen Zugriff und keine Kontrollmöglichkeit der Wertschöpfungsketten. Es wäre dringend erforderlich, dass diese Unternehmen Niederlassungen in der EU einrichten müssen. Es ist schlecht, wenn Konsumenten Importeure sind. Doch die EU zögert alle Maßnahmen hinaus.

3. China als Nachfrager und Anbieter auf den Rohstoffmärkten und Investor (mit Direktinvestitionen der Unternehmen): Bei lahmender Konjunktur braucht China weniger Rohstoffe. Davon sind stark Nigeria (Öl) und Südafrika in Afrika (Eisenerz), Venezuela, Chile (Kupfer), Peru (Silber) und Brasilien in Südamerika betroffen. Die abnehmende Nachfrage nach Rohöl dürfte zusammen mit dem hohen Angebot aus Saudi-Arabien und dem Iran den Ölpreis länger stabil halten bzw. zum Fallen bringen. 2016 könnte es wieder erste Anstiege des Ölpreises geben, weil die US-Ölindustrie schwächelt. Die Stahl-Konzerne aus dem Reich der Mitte drücken ihre gewaltigen Überkapazitäten auf den Weltmarkt (keine Produktionsvorteile, einige Länder erwägen Anti-Dumping-Strafzölle). Die Preise einiger Sorten geraten unter Druck. Überkapazitäten gibt es auch bei Zement und anderen Grundstoffen (teilweise hängen die Überkapazitäten auch mit staatlichen Konjunkturprogrammen nach der großen Krise 2009 zusammen). Landwirtschaftliche Importe stammen in immer höherem Maße aus eigenen Agrarinvestitionen im Ausland ("Strategic Cropping Land": Z. B. in Äthiopien, Brasilien, Indonesien). Dort werden mittlerweile die früheren Eigentümer diskriminiert und ausgebeutet. China lässt insgesamt die Preise auf den Weltmärkten verrückt spielen: Das gilt einmal für den Ölpreis (das Land ist der weltgrößte Importeur). Das gilt auch für den Kohlepreis (2008 bis 2013 Verdreifachung der Importe). Auch der Zementpreis wird stark von China beeinflusst (in drei Jahren mehr Zement verbraucht als die USA im 20. Jahrhundert). Die Baubranche ist 2014 für fast ein Drittel des BIP verantwortlich. Der Eisenerzpreis befindet sich in einem Siebenjahrestief.

China ist bei Seltenen Erden der wichtigste Anbieter. 2019 setzt China Seltene Erden im Handelsstreit mit den USA ein: Etwa 70% der Seltenen Erden, die 2019 in der Produktion eingesetzt werden, kommen aus China. Das Land erwägt einen Exportstopp bzw. eine Reduktion. 80% der exportierten Mengen gehen in die USA. Außerdem beherrschen mittlerweile chinesische Firmen den Abbau im Kongo (Kobalt). Der Kongo verfügt über die höchsten Reserven (60%; dreimal mehr als Australien, das weltweit an zweiter Stelle liegt). Sie sind auch am Abbau in Australien beteiligt. Yttrium, Dysprosium, Terbium: Besonders wichtige seltene Erden. Sie spielen im gesamten Bereich der Magnet- und Batterieherstellung bis zu den Laptops eine wichtige Rolle. 80% der weltweiten Förderung lag 2016 in China.  In den Salzseen Boliviens lagern riesige Mengen. Lithium: Es gibt auch hohe Vorkommen in Chile und Argentinien. Weitere Minen gibt es in Australien. Chinesische Batterie- und Autohersteller sichern sich langfristige Lieferverträge und Joint Ventures mit den Minen. China beherrscht mittlerweile so auch den Lithium-Markt (China kontrolliert 60%; Förderung von 95.000 2018). China hat sich zu einer Supermacht der Rohstoffe entwickelt, was die digitale Wirtschaft der Zukunft angeht. 2020 steigt der Marktanteil bei Seltenen Erden sogar noch auf 89%. Besonders hoch sind die Anteile  auch bei Gallium (82%, braucht man für Dünnschicht - Voltaik) und bei Germanium (72%, Glasfaserkabel, Optik). Bei wolram hat China einen Anteil von 81%, bei Grafit 70%. Quelle: Deutsche Rohstoffagentur. Das könnte das Wachstumspotential der Welt und auch den "Green Deal" der EU gefährden. Im Juni 2024 ordnet die Regierung den gesamten Bereich der Seltenen Erden dem Staat zu (Förderung, Weiterverarbeitung, Verteilung (Export).. 

2021 nach der Corona-Krise zeigt sich, welch große Bedeutung China mittlerweile für die Rohstoffversorgung der Welt hat. Es herrscht zum einen Magnesiummangel. China muss seine Produktion runter fahren, weil die Energieversorgung der Bevölkerung vorgeht. Kohlekraftwerke haben Probleme, weil der Kohlepreis staatlich festgelegt ist. Also muss Strom abgeschaltet werden. 87% des Rohstoffes kommen 2021 aus China. Das kann auch die deutsche Industrie behindern. Magnesium braucht man zum anderen auch für die Herstellung von Aluminium. Auch hier ist China 2021 der Hauptlieferant. Bis Oktober 2021 ist der Preis schon um 60% gestiegen. Es gibt erhebliche Produktionsausfälle in aller Welt (Autos, Fahrräder u. a.). Die hohen Rohstoffpreise 2021 machen aber auch der eigenen Volkswirtschaft zu schaffen. Chinas Wachstumsmotor stottert deshalb. Vom zweiten auf das dritte Quartal wuchs die Wirtschaft in China mit einem Plus von 0,2% kaum.

Die Rohstoffmärkte waren in den vergangenen zwei Jahren durch Produktionsausfälle, unterbrochene Lieferketten, hohe Frachtraten und drastisch gestiegene Rohstoffpreise gekennzeichnet. Bei der Analyse der Preistreiber fällt auf, dass bestimmte Akteure eine besondere Rolle bei der Entwicklung der Rohstoffpreise spielten. Die dominierende Rolle fällt dabei China zu. So wurden die internationalen Lieferketten insbesondere durch Lockdown-Maßnahmen und Hafenschließungen in China nachhaltig gestört, was zu anhaltenden Versorgungsengpässen auf den Märkten für Industriemetalle führte. Die Industriemetallnachfrage wurde durch die rasante Erholung der chinesischen Wirtschaft schon frühzeitig gesteigert. So stiegen bereits im Frühjahr 2020 die Preise für Industriemetalle stark an, obwohl sich die westlichen Industriestaaten noch in einer Rezession befanden. China hat 2021 weltweit die höchsten Anteile sowohl bei der Produktion als auch beim Verbrauch von Metalle. Im einzelnen sieht das wie folgt aus (P: Produktion raffiniert; V: Verbrauch raffiniert): Aluminium P 55%, V 56%; Kupfer P 40%, V 53%; Blei P 48%, V 45%; Nickel P 35%, V 55%; Zinn P 50%, V 48%; Zink P 35%, V 48%. Vgl. Wellenreuther, Claudia: Chinas Rolle auf den Industriemetallmärkten, in: Wirtschaftsdienst Heft 2/ 2022, s. 151-152. World Bank Group: Commodity Markets Outlook: Causes and Consequences of Metal Price Shocks, April 2021.

Die ungeheure Höhe der Investitionen wird China nicht mehr aufrechterhalten können (1980 bis 2010  50% der Wirtschaftsleistung; Entwicklung erklärbar mit dem Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag). Der Gewinn in der chinesischen Industrie bricht im August 2015 um 8,8% ein (Statistikbüro, Peking; stärkste Abwärtsbewegung seit Datenerhebung ab 2011). Der Einkaufsindex für September 2015 ist auf 47 Punkte gefallen. Für den Wandel von der Schwerindustrie zur High-Techindustrie sind aber weiterhin hohe Investitionen erforderlich.

Die chinesischen Staatsunternehmen haben sehr hohe Schulden. In der Vergangenheit, vor allem nach der Finanzkrise 2008, wurden exzessiv Kredite vergeben (aus einem staatlichen Konjunkturpaket, 400 Mrd. €). Die Unternehmen investierten gerne in unrentable Infrastrukturprojekte. Die Schulden sollen in Höhe von 240 % des BIP liegen. Die Firmen können jetzt die Schulden nicht mehr zurück zahlen. Bei den Banken türmen sich Schulden und Risiken. Nach außen dringt dies bei Sinosteel, eines der größten Stahlunternehmen der Welt. Am höchsten verschuldet ist China Railway (173 Mrd. €; Zinsen für Anleihen können nicht mehr aus dem erwirtschafteten Geld bezahlt werden). Auch Petrochina und State Grid China sind hoch verschuldet. Rund ein Fünftel aller börsennotierten staatlichen Unternehmen sollen Minus machen (Ausgleich durch Schulden). In den ersten drei Quartalen 2015 nahmen zehn Staatsunternehmen zwei Milliarden Euro an neuen Krediten auf (die Schuldenquote bei staatlichen Unternehmen ist doppelt so hoch wie bei privaten).  Einige Unternehmen kaufen im Ausland zu, am bekanntesten ist das Beispiel Chem China, das 2016 Kraus Maffei in München für 925 Mio. Euro kauft. KMU haben dagegen Probleme, von Banken Geld zu bekommen. Es gibt keine Schufa, so dass jeder seine Kreditwürdigkeit selbst nachweisen muss. Online-Kreditportale stoßen gezielt in diese Lücke. Aufgrund der strengen Kapitalverkehrskontrollen landen die im Export erzielten Devisen immer noch nicht auf den eigenen Konten der Firmen, sondern bei der Zentralbank. Die nimmt dann den Tausch in Renminbi vor zu einem festgelegten Wert.  Die Firmenschulden fallen insgesamt mit 163% der Wirtschaftsleistung höher als in der Eurozone (103%) und in den USA (73%) aus.

Aber nicht nur Unternehmen, sondern auch die anderen Institutionen sind relativ hoch verschuldet: Privathaushalte (38% des BIP), Finanzinstitute (125% des BIP), Staat (55% des BIP).

Strategie bei den Direktinvestitionen: Das Münchener Ifo-Institut hat die Direktinvestitionen empirisch analysiert (2019). Sie untersuchten mehr als 70.000 Firmenkäufe in 92 Ländern von 2002 bis 2018.  Bei 1900 Übernahmen kamen die Käufer aus China. In 171 Fällen wurden deutsche Unternehmen übernommen. Die chinesischen Investoren werden nicht per se mit Staatsgeldern unterstützt. So können sie auch nicht jeden Wettbewerber überbieten. Sie konzentrieren sich auf Firmen, die sie billig kaufen können (nicht so rentabel, die Verschuldungsquote bei den Übernahmefirmen  liegt mit 6,5% über dem Durchschnitt). Die durchschnittliche Profitabilität der Zielunternehmen war gering. Die Größe lag meist über dem Durchschnitt. Es werden von Seiten der chinesischen Staatsunternehmen Unternehmen aus der Rohstoffgewinnungs- und der Agrarbranche bevorzugt. Private Unternehmen präferieren Elektro-, Maschinenbau- und Fahrzeugindustriefirmen. Damit scheint China einen langfristigen Plan zu haben, der zum "Neuen Seidenstraßenprojekt" und zu "Made in China 2025" passt. Nach der Corona-Pandemie steigen 2021 wieder die Beteiligungen bzw. Käufe chinesischer Unternehmen an europäischen Unternehmen: 2020 132; 2021 155. In Deutschland gab es 2021 35 Einkäufe von Chinesen in deutsche Unternehmen. Quelle: Studie von EY, März 2022.

China liegt ganz hinten beim FDI Restrictiveness Index der OECD (Stand 2017; 0=offen, 1=geschlossen).  China hat einen Wert von 0,317. Ganz vorne liegen Deutschland (0,023) und Großbritannien (0,040). Dahinter Frankreich, Japan, USA, Russland, Indien, China. 2021 könnte die Handelsgroßmacht aggressiver werden. Mit der EU kann ein Investitionsabkommen geschlossen werden (liegt dann auf Eis). Die USA brechen ein. Metallische Substanzen, bei denen China Champion ist, werden immer wichtiger. Drei Viertel aller Produktionskapazitäten für Lithium-Ionen-Batterien kontrolliert China. Bei Gas wird China zum Teil in die Lücke springen, die Deutschland hinterlässt (Wirtschaftssanktionen wegen des Angriffskriegs von Putin). Bis 2030 sollen 600 Gigawatt an neuen Fotovoltaikkraftwerken in der EU ans Netz gehen. Das schafft eine Energieabhängigkeit von China. Dessen Solarindustrie beherrscht fast alle Fertigungsschritte, fast 80% des Weltmarktes. Fast die Hälfte des wichtigen Solarzellenrohstoffs Polysilizium kommt aus der chinesischen Region Xinjiang (die EU hat hier Handelsrestriktionen wegen Menschenrechtsverletzungen). Vgl. WiWo 30/ 22.7.22, S. 8.

Besonders in einigen Branchen und Wertschöpfungsprozessen ist die Abhängigkeit der EU von China groß: Elektromotoren (65%), Windturbinen (54%), Fotovoltaik (53%). Vgl. Lau, Jörg u. a.: An der goldenen Kette, in: Die Zeit Nr. 33, 11. August 2022, S. 21.

Exportbeschränkungen von Rohstoffen 2023: Das eigentliche Ziel sind die USA. Doch auch Europa wird getroffen. Das Handelsministerium in Peking kündigt ab August 2023 die Ausfuhr von Gallium- und Germanium-Produkten zu beschränken. Zukünftig müssen Unternehmen entsprechende Lizenzen beantragen. Es scheint eine Gegenreaktion auf den Ausschluss bei komplexen Computerchips bei den USA, Taiwan und Süd-Korea zu sein. Bei Gallium beträgt der chinesische Anteil am Weltmarkt 90%, bei Germanium 80%.

Resümee:  China fährt energietechnisch mehrgleisig. Das ist konträr zu der Strategie in Deutschland. Man baut massiv die erneuerbaren Energien aus (Strom, Wind). Man passt sie ideal der Umgebung an (Solarenergie Wüste Gobi; Windenergie Himalaja). Dennoch setzt das Reich der Mitte weiterhin auf Kohle, Atomkraft und Gas. Die Gelegenheit des Ukraine-Krieges (westliche Sanktionen) wird genutzt, um fossile Energie billig aus Russland zu importieren. Bei grüner Energie bzw. Rohstoffen ist China in vielen Bereichen weltweit an der Spitze (Seltene Erden, Raffinierung Seltener Erden, Fertigung von Solarpanelen, Kobalt-Raffinierung, Grafit, Fertigung von Batteriebauteilen, Polysilizium).

Exkurs. Abhängigkeit der EU von China bei Rohstoffen: "Bis zum Jahr 2030 will die EU mindestens 10 % der strategischen Rohstoffe, die sie verbraucht, im eigenen Land gewinnen bzw. verarbeiten (40 %) und recyceln (25 %). Nicht mehr als 65 % dieser wichtigen, aber seltenen Ressourcen sollen aus einem einzigen Drittland stammen. Die Benchmarks des Critical Raw Materials Act (CRMA) sollen in erster Linie durch finanziell geförderte strategische Projekte erreicht werden. Die Autarkieziele für Rohstoffe erscheinen jedoch aus technischen und ökologischen Gründen unrealistisch. Stattdessen sollte die EU verstärkt Partnerschaften mit gleichgesinnten Ländern eingehen." Siehe Kuhn, Britta: Kritische Rohstoffe: Wie die EU ihre Abhängigkeit senken will, in: Wirtschaftsdienst 7/ 2024, S. 490-496.

4. Globale Relevanz der Umwelt- und Energiepolitik Chinas (für den Klimawandel): China (und auch die USA sowie Japan) werden wahrscheinlich beim Nachfolgeprotokoll von Kyoto in Paris dabei sein. Das ist die wichtigste Determinante. Durch den hohen Kohleanteil der Kraftwerke beeinflusst das Land das Weltklima durch den CO2-Ausstoß (höchste CO2-Emissionen der Welt, 27% an den Weltemissionen/ 2018; pro Kopf allerdings USA)  negativ. China und die USA haben zusammen fast 50% der Kohlendioxid-Emissionen. Die starke Nachfrage nach Öl beeinflusst den Preis. Bei der Atomkraft hat China ehrgeizige Zukunftspläne und sorgt somit für die weitere Verbreitung neuer Atomkraftwerke in aller Welt. Durch ein Green-GDP und konkrete Pläne für die starke Ausbreitung alternativer Energien versucht China, auch hier Vorreiter zu sein (zu konkreten Daten vgl. die Seite "Ostasien/ Makroökonomische Grunddaten" oder einen Vortrag von mir zum gleichen Thema: Energiepolitik). Wirtschaftskrisen in China verlangsamen voraussichtlich die Energiewende. Umweltverschmutzung und Energieverbrauch gehen dadurch aber zurück. Im Oktober 2015 lässt die chinesische Regierung die umweltbedingten Produktionseinschränkungen fallen. Im Großraum Peking verschlechtert sich die Luft schlagartig. Das wird Anfang Dezember 2015 so schlimm, dass wieder ca. 2000 Firmen ihre Produktion zurückfahren müssen und Autobahnen gesperrt werden (Smog-Alarm; Feinstaub 20x höher als Norm; Ursachen: Wetterlage, CO2 in Peking, Kohlekraftwerke im Süden Pekings). Der Smog-Alarm wiederholt sich mehrmals. Die chinesische Hauptstadt plant eine "Stau-Abgabe" (5,6 Mio. Fahrzeuge sind registriert). Die chinesische Regierung will Autos mit kleineren Motoren fördern. Im Jahre 2016 sollen allein 2500 Firmen geschlossen werden (KMU: Hotels, Werkstätten, Restaurants; evtl. nur Vorwand für Stadtplanungsmaßnahmen; 2017 sollen weitere folgen). Außerdem will China 4300 kleine Kohlebergwerke schließen (ab 2016 in drei Jahren). Ende 2015 waren 11.000 Kohlebergwerke in Betrieb.

Hochleistungsmagnete: China produziert über 95% aller Hochleistungsmagnete. Bayan Obo in der Inneren Mongolei ist die größte Seltenen Erden-Mine der Welt. Der Hochleistungsindustrie in den führenden Industriestaaten fehlen die notwenigen Rohstoffe. Man braucht diese Magnete für Elektroautos und Windkraftanlagen. Platz zwei und drei haben die USA und Australien. Man hofft in Europa auf Recycling.

Auf dem Weltklimagipfel in Paris im Dezember 2015 übernimmt China eine wichtige Funktion. Einmal aufgrund seiner Führungsrolle beim CO2-Ausstoß. Zum anderen als Vorbild für viele andere Länder, vor allem Entwicklungsländer. Indien folgt in der Regel immer der Position Chinas. China lehnt den ersten Entwurf eines Klimavertrags ab (wegen "High Ambition Coalition", Finanzierung, Dekarbonisierung, Kontrolle). Die Türkei passt sich der chinesischen Position an, und verweist auf eine Sonderrolle aufgrund des wirtschaftlichen Rückstandes. China setzt auf eine spätere zeitliche Ausdehnung (Kohlekraftwerke u. a.) und stimmt dem Vertrag schließlich zu (Absichtserklärungen überwiegen; Sanktionen und Kontrollen sind sowieso unzureichend).  Auch nach dem Ausstieg der USA unter Trump will China im Abkommen bleiben. Das dürfte aber nicht einfach werden, weil die USA mit der Begründung ausgestiegen sind, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Am 18.4.21 treffen sich eine chinesische (Leiter Xie Zhenhua) und eine US-amerikanische Delegation in Shanghai. Man beschließt und trifft eine Vereinbarung, dass beide Länder bei der Klima- und Umweltpolitik kooperieren wollen. Sie sind die beiden größten CO2-Emitenten dieser Welt. In fast allen anderen Politikbereichen hat sich seit dem Amtsantritt von Biden das Verhältnis beider Länder eher abgekühlt bzw. ist eher konfliktträchtig. Die US-Delegation wird vom Klimabeauftragten der USA John Kerry geleitet. Beide Länder bereiten sich damit auf die virtuelle Klimakonferenz vor, die 2021 von den USA ausgerichtet wird (Vorbereitung). Im November 2021 soll in Glasgow/ Schottland dann die nächste reale Weltklima-Konferenz stattfinden. 

2019 übersteigt Chinas jährlicher Ausstoß von Treibhausgasen erstmals dei Emissionen aller entwickelten Länder zusammen. Nach einer Schätzung hat China 2019 27% aller Emissionen an CO2-Äquivalenten ausgestoßen (USA 11%). Pro Kopf lagen Chinas Emissionen bei 10,1 Tonnen (OECD-Durchschnitt 10,5; USA 17,6 t). Quelle: Rhodium Group, Denkfabrik USA. Deshalb sollte man die Zahlen mit Vorsicht gebrauchen.

Klimawandel und besondere Verantwortung Chinas: China und die USA sind die größten Produzenten von schädlichen Klimagasen. China führt beim Ausstoß von CO2 insgesamt. Die USA liegen beim Pro - Kopf - Ausstoß vorne. Insofern spielen die beiden größten Volkswirtschaften der Welt auch eine besondere Rolle beim Kampf gegen die globale Erderwärmung. Beide Länder haben das Klimaabkommen von Paris mittlerweile unterschrieben (die USA mit Verzögerung nach der Ära Trump). China versucht, die USA unter Druck zu setzen. Der Klimabeauftragte der USA Kerry hält sich im September 2021 schon zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten in China auf. Chinas Forderung: Die amerikanische Seite solle aufhören, China als Bedrohung und Rivalen abzustempeln. Das heißt, die Chinesen fahren eine Strategie, in der sie Wirtschaft/ Handel und Umwelt verknüpfen wollen.

Im Oktober 2021 ordnet die Nationale Energiekommission eine Liberalisierung des Kohlemarktes an. Kohle wird im Land knapp. Es soll wieder mehr Strom in Kohlekraftwerken hergestellt werden. Hinderlich dafür ist die staatliche Festlegung des Kohlepreises. Der Strom muss schon in vielen Regionen für einige Tage abgestellt werden. Damit wird aber das Erreichen der Klimaziele schwieriger. Xi Jinping will nicht persönlich bei der Weltklimakonferenz in Glasgow dabei sein. Das sorgt für Verwunderung und regt zur Interpretation an. China ist für ca. 27% des weltweiten CO2-Austoßes verantwortlich (zusammen mit USA 40%). Es kommt sogar in vielen Regionen zur weiteren Abschaltung von Strom. Betroffen sind besonders energieintensive Bereiche: Stahl-, Aluminium-, Glas-, Zementindustrie. Vgl. auch: Gern, Klaus-Jürgen/ Reents, Jan: Konjunktur in China unter Druck, in: Wirtschaftsdienst Heft1/ 2022, S. 67-68.

Erst einmal dürfte auch nach der Weltklimakonferenz 21 in Glasgow der CO2-Ausstoß in China noch steigen. Das Land unternimmt aber gewaltige Gegenmaßnahmen, die mittelfristig wirken dürften: 1. Riesige Investitionssummen in Energiewende (im Pandemiejahr 20 mehr Windkraftanlagen als der Rest der Welt gebaut). 2. Wende von Verbrennungsmotoren zu E-Autos. 3. Schadstoffneutralität bis 2030. 4. Höhepunkt von CO2-Ausstoß 2030. 5. 2021 Einführung von nationalem Emissionsmarkt. 6. Keine Kohlekraftwerke mehr im Ausland. 7. Klimaneutralität bis 2060  (nationales Papier dazu Ende Oktober 21, erst Technologien zum Senken perfektionieren). Vgl. Rheinpfalz 3.11.21, S. 2.  Auf der Konferenz in Glasgow macht China in einer Initiative mit: Bei der Rettung der Wälder. Bei der Methan-Initiative ist man nicht dabei. Xi Jinping nimmt nicht an der Konferenz teil. Die Klimapolitik Chinas ist in die Wirtschaftsstrategie der KPCh eingebettet (schlechte Luft in den Städten im Winter verbessern, nicht von Energieimporten aus dem Ausland abhängig werden,  Exportmodell durch Binnenmarktmodell ersetzen, auf jeden Fall politische Stabilität wahren). Vg. Ankenbrand, Hendrik: China am Pranger, in: FAZ Nr. 260, 8.11.21, S. 1. Im Abschlussdokument der Konferenz schwächen Indien und China den Ausstieg aus der Kohle ab.

China ist faktisch der Hauptverantwortliche bei der Klimarettung. Das Land erzeugt 2021 ein Drittel aller anthropogenen Treibhausgase. Also wird in Peking über die Zukunft des Weltklimas entschieden. Vgl. Christian Geinitz: Die Grenzen von Glasgow, in: FAZ Nr. 266, 15.11.21, S. 17. Russland wird in Anbetracht der Sanktionen des Westens (EU, USA, G7) gegen das Land versuchen, in China einen Abnehmer für seine Gasexporte zu finden. Aber China wird auch Russland sicher seine Marktmacht spüren lassen. China hat 2022 einen Anteil von 30,6% an den weltweitem CO2-Emissionen vor USA (13,5%), Indien (7,0%), Russland (4,5%) und Japan (3,0%). 2022 kommt es nach Lockdowns, Immobilienkrise zu einer Hitze bedingten Energieknappheit. Weil der Jangtse so wenig Wasser führt, können die Wasserkraftwerke nicht arbeiten. Besonders betroffen ist dei Provinz Sichuan. Fast 55% der Energie kommen 2021 in China noch aus Kohle, 19,4% Erdöl, 8,6% Erdgas, 2,3% Kernenergie. Die erneuerbaren bringen 15,0%. Vgl. Gusbeth, Sabine: Gefährlicher Abgrund, in: HB Nr. 165,/ 26., 27., 28. August 2022, S. 14f.

UN - Biodiversitätskonferenz (COP15) in Montreal/ Kanada im Dezember 2022: Die Konferenz findet ab 7. Dezember 2022 statt. Es nehmen fast 200 Länder teil. Die Konferenz findet nur in Kanada statt, weil es in China wegen Covid nicht ging. China hatte aber den Vorsitz. Thema ist die biologische Vielfalt. Die EU will sich für den weltweiten Schutz von mindestens 30 Prozent aller Land- und Meeresflächen einsetzen (das wird auch durchgesetzt). Das soll zu den Zielen bis 2030 der UN hinzugefügt werden. Man will das Sterben von Lebewesen und Ökosystemen (Massensterben, globale Ökokrise) aufhalten. Berühmte und bedrohte Ökosysteme sind der peruanische Regenwald und die Galapagos-Inseln. Es werden über20 Ziele verhandelt.  Vgl. Habekuss, Fritz: Ode an die Fliege, in: Die Zeit 51/ 8.12.22, S. 1. Am 19.12.22 endet die Konferenz. Sie hat viel guten Willen gezeigt, es fehlen Finanzen (ärmere Länder bis 2025 20 Mrd. $; bis 2030 30 Mrd. $).  Deutschland war Vorreiter, die USA waren kaum vertreten. starke Kritik kam vom Kongo und von Uganda.112.000 Tierarten sind weltweit gefährdet, 32.000 stehen unmittelbar vor dem aussterben. Drei Viertel aller weltweiter Naturgebiete sind aus dem Gleichgewicht. Die Hälfte aller Korallenriffe abgestorben.

Exkurs. Monopolisierung der Solarstrommodule durch China und Sicherheit bei Windparks: Solarstrommodule aus China dominieren den Weltmarkt. Die Preise liegen inzwischen unter den Herstellungskosten. Auf diese Weise konnten chinesische Unternehmen ihren Marktanteil auf 80% erhöhen. Sie beherrschen 87% des Weltmarktes. . Sie wurden stark von den staatlichen Banken unterstützt. Dies trifft insbesondere deutsche Firmen, die reihenweise Pleite gehen (z. B. Qcells, aber auch wegen der sinkenden Förderung in Deutschland, Conergy, Solar Millenium). Ca. 30.000 Jobs gingen 2012 verloren. Die EU-Kartellbehörde eröffnet im Herbst 2012 ein Verfahren gegen die chinesische Solarindustrie, wegen Dumping-Preisen. Die EU und China verhandeln. Ziel dürfte es sein, einen Mindestpreis für chinesische Module zu finden. Ende Jlui 2013 einigt man sich auf einen Kompromiss. Damit ist das Problem aber nicht vom Tisch. Es besteht darin, dass China die Produktion und die EU die Nachfrage subventioniert. 2023 rächt sich die Abhängigkeit der Branche von China. Peking droht implizit mit Exportbeschränkungen. Das ist eine neue Stufe im geopolitischen Kräftemessen und eine akute Gefahr für die deutsche Energiewende. Chinas Weltmarktanteil sieht wie folgt aus: Module 74,7%, Zellen 85,1%, Wafer 96,8%. Vgl. auch: Giesen, Christoph/ Hecking, Claus: Sonnenfinsternis, in: Der Spiegel 8/ 18.2.23, S. 62f. Von den 10 größten Herstellern von Solarzellen haben 7 ihren Sitz in China. Vgl. WiWo 10/ 1.3.24, S. 10.  Concentrated Solar Power CSP): Solarstrom hat eine Schwäche. Er ist nicht verfügbar, wenn die Sonne nicht scheint. Die CSP - Technologie soll dieses Problem lösen. Weltweit gibt es schon Anlagen (China, USA, Europa, Südafrika). China ist weltweit führend und verfolgt ambitionierte Pläne. Es gibt zwei Verfahrensweisen: 1. Solarturm mit Receiver und Heliostaten. 2. Parabolrinnen: Reflektoren mit Absorberröhren. Vgl. HB 13.2.24, S. 28f. Ab 2024 flutet China die Märkte mit Solaranlagen. Dafür gibt es mehrere Gründe. 1. Im eigenen Land werden mehr Solarzellen produziert als man selbst braucht. 2. Peking braucht auch Alternativen zur Bau- und Immobilienbranche. 3. Die Solaranlagen-Produktion soll auch der Abschreckung dienen. Man will sich gegn die Sanktionen der USA, etwa bei Halbleitern, wehren.  2024 rückt Technik aus China in den Vordergrund bei Windparks. Zunächst untersucht die EU "unfaire Subventionen", dann Cybersicherheit. Gefährden Windräder aus China die Energiesicherheit Europas?

Exkurs. Chinas Rolle bei der Elektrifizierung der Welt: Wie kann die ökologische Modernisierung des Verkehrs aussehen? China als einstiges Entwicklungsland, das eine eigene grüne Industrie aufbaut und weltweit vertreibt, spielt hier eine zentrale Rolle. Seit etwa 2010 fördert die Regierung die "Drei Neuen". Es sind die Produktlinien Solarzellen, Lithium -Ionen - Batterien und Elektrofahrzeuge. Drei Ziele sollen erreicht werden: Das Land sollte unabhängiger von Ölimporten werden. Die Luftqualität, insbesondere in Städten, sollte verbessert werden. Die batterieelektrische Technologie bot die Chance weltmarktfähige Produkte zu entwickeln. Die Politik war außerordentlich erfolgreich. Unternehmen wie CATL und BYD sind Weltmarktführer und vorne bei Innovationen. Bei Automobilexporten hat China Deutschland 2022 überholt. China peilt den globalen Süden als Absatzmarkt für seine Produkte an. BYD baut derzeit weltweit Produktionsstätten für E-Autos (Brasilien, Mexiko). Es zeichnet sich ab, dass Chinas "green energy industry" in den nächsten Jahren versuchen wird, den Globalen Süden zu elektrifizieren ("Grüne Seidenstraße").  Vgl. Daum, Timo: Big Data China. Technologie - Politik - Regulierung, Wien 2023. Rudyak, Marina: China´s International Development Cooperation, Bonn 2023.

Resümee: China wird 2023 immer mehr zum entscheidenden Land in der Klimapolitik. Einerseits stehen viele Länder bei China in der Kreide. Bei der Entschuldung ist das Land bisher sehr zurückhaltend. Chinas Emissionen selbst sind gewaltig, inzwischen auch historisch betrachtet. Sie haben großen Wohlstand aufgebaut, aber auch große Verantwortung. Peking müsste zukünftig in multilaterale Fonds einzahlen. Es müsst sich also auch um Klimafinanzierung kümmern. Vgl. auch Jennifer Morgan, Staatssekretärin für Klima - Außenpolitik, in: FAZ 29.3.23, S. 18. Im Juli 2023 reist Klima-Diplomat Kerry nach Peking. Er soll für einen Neustart beim Klimaschutz sorgen. Die weltgrößten Verursacher von Treibhausgasen müssen sich bewegen. Chinas CO2-Emissionen sinken. aber es bleiben Zweifel. China setzt stark auf Kohlekraft. Die thermische Energie (Kohle) führt deutlich bei der Stromerzeugung. Weit dahinter liegen Atomenergie, Solarenergie, Windenergie und Wasserkraft.

Exkurs. Chinesische Hochseefischerei: Man nennt sie auch "Schattenflotte". 2023 werden katastrophale Zustände aufgedeckt. Man entdeckt Sklavenhalterschiffe und Zwangsarbeitsbetriebe. Das ist durchaus relevant, weil deren Fang auch in deutschen Supermärkten landet. Das Outlaw Ocean Project deckt dies auf (Kooperation mit US-Küstenwache). Vgl. Rohwetter, Marcus: In der Tinte, in: Die Zeit Nr. 47/ 9.11.23, S. 26. Die Flotte bzw. Teile von ihr haben auch eine gewisse militärische Bedeutung. China setzt sie, insbesondere im südchinesischen Meer, auch für paramilitärische Zwecke ein. Sie sind gut bewaffnet, arbeiten außerdem mit Laser und Sonar. Sie rammen Forschungsschiffe, andere Fischerboote und sorgen für Unruhe.

Exkurs. Atomkraft und Kohlekraft: 2014 schloss GB ein Abkommen mit China zum Bau eines Atomkraftwerkes. Doch fertig ist Hinkley Point C 2024 immer noch nicht. Der französische Betreiber EDF räumt ein, das statt 24 Mrd. Pfund, nicht 32 Mrd. Pfund, oder 46 Mrd. Pfund, sondern 2024 54 Mrd. Pfund veranschlagt sind. Spannungen zwischen der britischen Regierung und dem chinesischen Staatskonzern CGN verzögerten das Projekt wohl bis 2031, wenn es je fertig wird. Der britische Staat springt nicht ein, sondern kritisiert China wegen Hongkong und der Ukraine. Bei thermischer Energie (Kohle) hat China immer noch 2023 den höchsten Anteil bei der Stromerzeugung vor Atom (beides wird noch erheblich aufgestockt). Trotzdem geht der CO2-Ausstoß nach unten. Das erzeugt Zweifel an den Messdaten.

Exkurs. Öko-Dumping von China:  Nickel wird für chinesische E-Auto-Batterien gebraucht. Sie sind technologisch führend und konkurrenzlos billig. Das Problem: Was Kunden sparen, bezahlen Arbeiter und Umwelt in Indonesien. Indonesien steigert den Nickelabbau seit Jahren (2022  1.600.000 Tonnen). Damit liegt Indonesien an der Spitze vor Australien, Brasilien und Russland. 77% der indonesischen Minen sind in der Hand Chinas. Allein 14 Mrd. US$ hat China in Schmelzhütten in Morowali investiert. Es entstehen riesige Mülldeponien. Die Abwässer färben die Flüsse und das Meer rotbraun. Fischerei und Muskatanbau werden ruiniert. Die Gehälter sind extrem niedrig. Vgl. Mattheis, P.: Schürfwunden, in: WiWo 6/ 2.2.24, S. 58ff.

Exkurs. Bohranlage Shenditake 1: Sie liegt in der Taklamakan-Wüste im Tarim-Becken. Dort stellt China einen Rekord auf. Die Bohranlage hat sich bis in eine Tiefe von 10.000 Metern vorgearbeitet. am Ende sollen es 11.100 werden.  Mit der Bohrung wird der Untergrund erforscht, aber auch Öl- und Gasvorkommen sollen erschlossen werden. Dei Arbeitsbedingungen sind nicht angenehm: Tagsüber kann es bis zu 60 Grad Celsius heiß werden, nachts auf minus 10 Grad abkühlen. Vgl. Der Spiegel 11/ 9.3.24, S. 90.

5. Finanzmärkte in China und Auswirkungen: Die Finanzmärkte in China sind noch reguliert und fehlgesteuert. Wegen der drohenden importierten Inflation waren die Kapitalmarktgrößen Leitzins und Mindestreserve lange restriktiv gesetzt. Erst die sich 2015 anbahnende Konjunkturflaute lässt die Notenbank auf expansivere Geldpolitik umschalten (mehrmalige Senkung des Leitzinses). Am 23.10.15 wird der Leitzins zuletzt um 0,25 Prozentpunkte auf 4,35% gesenkt. Der Aktienmarkt ist heute schon nach den USA der zweitgrößte der Welt (Börsen in Hongkong, in Shanghai mit Shenzhen und in Tianjin). Die drei Unternehmen China Mobile, China Petroleum und Petrochina sind alleine so groß wie die 30 DAX-Unternehmen zusammen. Der Aktienmarkt in Shanghai ist hoch volatil (viele Chinesen kaufen mangels Alternativen inzwischen Aktien, auch Spieltrieb und Manipulation der Händler). 2016 wirkt ein Gesetz, dass der Aktienhandel automatisch ausgesetzt wird, wenn die Einbrüche stärker als 5% sind (soll wieder abgeschafft werden). Außerdem dürfen Anteilseigner, die mehr als 5% der Aktien eines Unternehmens besitzen, die Aktien nicht verkaufen. Mitte September 2015 gibt es wieder Einbrüche. Weitere Stürze kommen ab 04.01.2016 (Einbrüche um 7%). Ursache  ist der starke Rückgang der chinesischen Industrieaktivitäten (Einkaufsindex, auch Rückgang der Erzeugerpreise). Der Shanghai Component Index beeinflusst inzwischen als Frühindikator stark den Nikkei in Japan und die Börsen der Nachbarländer. Auch der Dow Jones in den USA und der DAX in Deutschland schließen sich dem jeweiligen Trend an (Anfang 2016 rutscht der DAX deshalb unter 10.000). Die Börse in Hongkong mit dem Hang Seng wirkt noch ausgleichend (gilt auch als seriöser Maßstab). Starke Argumente für die Stabilität der Finanzmärkte und Chinas insgesamt sind die gewaltigen Devisenreserven (rund 3,33 Billionen Dollar; sie sind deutlich zurückgegangen wegen der Interventionen auf dem Devisenmarkt 2015 und 2016; -513 Mrd. $), die hohe Sparquote der Bevölkerung, der Fleiß und Geschäftssinn der Menschen und das besonnene Management bzw. die Machtposition der Führungsspitze. Argumente dagegen sind die enorm hohe Verschuldung (Staat, Unternehmen, Banken) und politische Probleme (z. B. Demokratie, Verteilung, Umwelt). Der Schuldenberg des Landes hat sich seit 2007 (Jahr vor der Finanzkrise) bis Mitte 2015 vervierfacht. Der Anteil an faulen Krediten ist dramatisch gestiegen (den höchsten Anteil hat traditionell die Agricultural Bank of China wegen der Naturkatastrophen-Risiken mit fast 2% vor der China Construction Bank mit ca. 1,5%; es folgen die Bank of China mit 1,41% und die Industrial and Commercial Bank of China mit 1,4%). Andererseits ist das Bankgeschäft im Vergleich zum Westen noch sehr traditionell (Differenz zwischen Spar- und Kreditzins als Hauptgewinnquelle). Regionalregierungen verschulden sich jedoch zunehmend bei Schattenbanken. Wichtig wird sein, wie China seine Banken in Zukunft schützt. Wählt sie die Methode der USA, gewährt die Zentralbank den Banken Zinsen, wenn sie Reserven dort parken. In diesem Falle subventioniert die Notenbank die Finanzindustrie. Die Frage ist, ob die chinesischen Steuerzahler das  tolerieren, wenn sie es merken. Alternativ kann die Zentralbank auf die riesigen Devisenreserven zurückgreifen. Kein Land der Welt hat auch die letzte Finanzkrise von 2008 so schnell hinter sich gelassen. Mitte Januar 2016 fließen wieder 7,7 Mrd. Euro von der Notenbank ins Bankensystem. Grund ist die Furcht vor einem Konjunktureinbruch. Umgerechnet 500 Mrd. Euro haben Notenbank und Regierung in die Wirtschaft gepumpt. "Die Ökonomie hat noch nicht die Konsequenzen aus dem Versagen der Finanzkrise gezogen... Eine wichtige Ursache der Finanzkrise war Unsicherheit", Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, auf der Jahrestagung des Vereins für Sozialpolitik, Anfang September 2015.

Sieben Jahre nach dem Lehmann-Crash und der großen Finanzkrise 2008 scheint eine neue Ära zu beginnen. Das Kapital flieht aus den Schwellenländern, die US-Notenbank will die Geldschwemme bremsen und die Zinsen erhöhen (bei der letzten Zinserhöhung gab es noch kein Smart-Phone). Das geschieht auch im Dezember 2015. Investoren ziehen ihr Geld aus China ab. 2015 flossen 676 Mrd. $ Kapital aus dem Land (Quelle: IIF). 2016 soll der Kapitalabfluss bei 552 Mrd. $ liegen. China zeigt sich erstmals seit vielen Jahren als schwächelndes Land, das aber mittlerweile die Finanzmärkte anderer führender Länder der Welt beeinflussen  und sogar erschüttern kann.

2020 dehnen die USA massiv ihre Strategie der Deglobalisierung (Entflechtung der Märkte) auf die Finanzmärkte aus. China will das aber auch. Ein gutes Beispiel ist der Börsengang von Ant Financial noch im Oktober 2020. Mit einem anvisierten Börsenvolumen von 30 Mrd. Dollar ist er der größte der Welt vor Saudi Aramco. China lässt das Megaereignis nicht an der Wall Street, sondern in Hongkong und Shanghai stattfinden. Zumindest sind noch führende US-Banken bei der Platzierung  beteiligt (Goldman Sachs, Citigroup, Morgan Stanley). In den letzten drei Jahren (ab 2020 rückwärts) sind die chinesischen Direktinvestitionen in den USA von 46,5 Mrd. $ auf 4,8 Mrd. $ gefallen.

Bisher floss viel Geld aus den USA in die technologische Entwicklung Chinas:  In den letzten 20 Jahren flossen 54 Mrd. $ an Wagniskapital in chinesische Technologieunternehmen. Die Marktkapitalisierung chinesischer Unternehmen an der Wall Street beläuft sich 2020 auf 1800 Mrd. $. Seit 2020 können ausländische Investoren erstmals Mehrheitsbeteiligungen an Joint Ventures erwerben. Der chinesische Finanzmarkt wird auf 47 Billionen Dollar geschätzt. Trump macht Druck auf US-Pensionsfonds: Sie sollen kein Geld mehr in China anlegen. Außerdem will er chinesischen Unternehmen die US-Börsenlizenz entziehen, falls sie ihre Bücher nicht für US-Prüfbehörden öffnen. Vgl. Fischer, Malte: Scheiden tut weh, in: WiWo 43, 16.10.20, S. 36f.

Aktienhandel als Volkssport: China hat 2021 186 Mio. Privatanleger am Aktienmarkt. Sie sorgen für 80 Prozent der Marktbewegungen (Schätzung von Experten). Die Privaten Direktanleger in Aktien machen in China 15,5% aus (in Deutschland zum Vergleich 7,5%). Die Struktur der Aktienleger in der Bevölkerung ist breit gestreut: aus allen Altersgruppen und über alle Geschlechter hinweg. Die Chinesen sehen die Anlage mehr als Spiel. Die Regierung warnt die Anleger beständig vor Risiken. Vgl. Dana Heide/ Yukun Zhang: Herr Suo und die Aktien, in: HB Nr. 98, 25. Mai 2021, S, 32f.

Regeln für Börsengänge chinesischer Firmen im Ausland: 2021 werden die Regeln verschärft. Nach Angaben der Chinese Administration of Cyberspace (CAC) werden Unternehmen mit Daten von mehr als einer Million Nutzern künftig gesondert auf Sicherheit geprüft, bevor sie an einer ausländischen Börse Aktien ausgeben dürfen. Als erstes Unternehmen ist der Fahrdienstleister Didi betroffen. Der Vertrieb der App wurde verboten. Daraufhin brach die Aktie ein. Linkdoc verschiebt den Börsengang. Auch bei der Marktregulierung wird China restriktiver: Die Marktregulierungsbehörde State Administration for Market Regulation (SAMR) verbietet Tencent die Zusammenlegung mit den Videodiensten Huya und Douyu.  Die USA verhängen ihrerseits neue Sanktionen. Unternehmen aus Xinjiang werden auf eine schwarze Liste gesetzt.

China sieht sich genau die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland wegen des Ukraine-Angriffskrieges an (ab 24.2.22). Sie werden alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um sich unabhängiger vom westlichen Finanzsystem zu machen. Allerdings ist es außerordentlich schwierig bis unmöglich, Vermögenswerte außerhalb des westlichen Finanzsystems zu parken. Auswege böten Kryptowährungen. Vgl. Rogoff, Kenneth: Interview im HB, 11./12./13. März 2022, S. 14f. Der Schulterschluss zwischen China und Russland vertreibt westliche Anleger. Die Kapitalabflüsse treffen sowohl Aktien als auch festverzinsliche Wertpapiere wie chinesische Staatsanleihen. Der Rückzug internationaler Investoren hat ein noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht. Es vermischen sich geopolitische Verwerfungen mit hausgemachten wirtschaftlichen Problemen. Quelle: Institute of International Finance 2022.

Start einer neuen Börse für kleine Unternehmen. Sie heißt Beijing Stock Exchange (BSE). Der Handelsplatz soll Firmen mit Finanzierungsbedarf eine Alternative zur Kapitalbeschaffung über US-Börsen bieten. 81 Unternehmen gaben 2021 an der neuen Börse in Peking ihr Debüt und emittierten Aktien im Wert von gut 2,4 Mrd. €. Die feierliche Eröffnung am 15.11.21 machten Parteisekretär Cai Qi und Yi Huiman (Chef der chinesischen Börsenaufsicht). Als Alternative gibt es noch den STAR Market in Shanghai. Die Anforderungen in Peking sind niedriger. Vgl. Heide, Dana: In Peking startet eine neue Börse für kleine Unternehmen, in: HB Nr. 222, 16.11.21, S. 34f.

 China hat einen Weg entdeckt, an der globalen Dominanz seiner Währung mit Rohstoffgeschäften zu arbeiten. Das führt zu einem heimlichen Aufstieg des Yuan.  Man spricht vom Petro-Yuan, der den Petro-Dollar bedroht. Vgl. Lang, Joachim: Der heimliche Aufstieg des Petro-Yuan, in: WiWo 15/ 6.4.23, S. 10. 

Im Sommer 2ß23 stehen die chinesischen Aktienmärkte unter Druck. Ende August 2023 stehen der CSI 300 bei 3.753 Pkt. und der Shanghai Composite Aktienindex bei 3.099 Pkt. Besonders die Immobilienunternehmen schwächeln (allen voran Evergrande). Darin drückt sich ein tiefer Fall aus. Das Vertrauen der Kapitalmarkte hat gelitten. Aber auch die Unternehmensgewinne fallen stark. Die Regierung leitet Gegenmaßnahmen ein: Die Stempelsteuer auf den Aktienhandel wird halbiert (zuletzt Senkung 2008 in der Finanzkrise). Konkret werden die Gebühren für den Handel mit Aktien von 0,1% auf 0,05% gesenkt. Die Wertpapieraufsicht deutet auch an, dass weniger neue Unternehmen an die Börse sollen.

Im September 2023 gibt Turbulenzen auf dem Devisenmarkt. Die Währung bricht ein. Der Yuan fällt auf ein 16-Jahrestief (7,32 pro US-$; -6% seit Jahresanfang).

Börsenkrise: Ende 2023 und Anfang 2024 ziehen internationale Anleger Kapital ab. Über das ganze Jahr 2023 haben Auslandsinvestoren Geld aus China abgezogen. Das führt zu massiven Kursverlusten. Experten erwarten weitere Turbulenzen. ausländische Investoren wenden sich ab. Chinas Anleger investieren im Ausland. Auch die schwache Konjunktur schreckt ab. Der Staat gibt ein beschränkt handlungsfähiges Bild ab. Vgl. Gusbeth, Sabine u. a.: Chinas Börsenkrise, in: HB 16/ 23.01,24, S. 4f.

Exkurs. Der chinesische Aktienmarkt: Es gibt bei chinesischen Aktien verschiedene Varianten, die sich durch Handelsplatz, Zugang  und die Währung unterscheiden. Das sind A-, B- und H-Aktien. A-Aktien werden ausschließlich auf dem chinesischen Festland gehandelt, in Shanghai, Shenzhen und Tianchin. Sie sind in chinesischer Landeswährung Renminbi notiert und für für chinesische Anleger zugänglich (auch für institutionelle ausländische Anleger, die bestimmte Kriterien erfüllen). B-Aktien werden auch in Hongkong gehandelt, sind speziell für Ausländer und werden in US-Dollar oder Hongkong-Dollar notiert. Die dritte Möglichkeit sind H-Aktien. Sie werden in Hongkong in Hongkong-Dollar gehandelt. Sie sind für alle Anleger. Viertens kann man American Despositpory Receipts kaufen (ADRs).  Das sind Hinterlegungsscheine für Aktien, die an US-Börsen gehandelt werden. Der chinesische Aktienmarkt hat starke Schwankungen, birgt ein höheres Risiko und regulatorische Unsicherheit. 

2024 kommt ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong. Es ist eine schwammig formulierte Vorlage, die von den Abgeordneten im Eiltempo durchs Parlament gepeitscht wird. Vor allem Hongkongs Finanzbranche zittert vor dem Gesetz. Kritische Analysen etwa zur Bonität von chinesischen Staatsunternehmen könnten im Zweifel juristische Folgen haben. Zugriff auf Daten ist möglich wie auch lebenslange Haft. Gerade die Finanzbranche in Hongkong mit dem Hang Seng -Index galt noch als seriös. Doch Sicherheit scheint wie in ganz China vor Wachstum zu gehen. Es zeigt sich ein eigenwilliges Verständnis. Vgl. NZZ 18.3.24, S. 16.

Stresstest für Banken: 2024 sorgt sich Peking um die Finanzstabilität. Chinas Zentralbank startet einen Stresstest für Banken. Die Rally am Anleihemarkt schwächt sich vorübergehend ab. Experten sehen das nur als vorübergehende Entspannung. Die Volatilität könnte wieder zunehmen.  Die Banken sollen mehr Kredite an die Realwirtschaft geben, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Es gibt aber verzögernde Faktoren: Zusammenbruch des Immobilienmarktes, Krise des Aktienmarktes.  "China will an einer stützenden Geldpolitik festhalten, das Kreditwachstum fördern und die Finanzierungskosten allmählich senken", Pan Gongsheng, Zentralbankchef, August 2024 (Quelle: HB 27.8.24, S. 39).

6. China als größter Gläubiger der Welt (Kredite als Machtmittel, Geldpolitik): China sichert sich mit seinen Krediten Rohstoffe und Einfluss. Die größten Schuldner sind Länder in Afrika (am höchsten Niger und Republik Kongo, Dschibuti, Angola, Elfenbeinküste), Südamerika (am höchsten Ecuador, Venezuela) und Asien (am höchsten Laos, Sri Lanka, Pakistan). Vgl. Horn, Sebastian/ Reinhart, Carmen/ Trebesch, Christoph: Analyse der chinesischen Auslandskredite, 2019. Die Kredite laufen in der Regel über die China Development Bank (CDB, Chinas Superbank, Bilanzsumme 2,4 Billionen Dollar). Vgl. HB 29.8.23, S. 26f.

Die USA haben allerdings in den letzten Jahren ihre finanzielle Abhängigkeit von China reduziert. China ist zwar weiterhin größter Gläubiger, aber der Anteil der ausstehenden US-Staatsanleihen im chinesischen Besitz ist von 15% (2010, nach der Finanzkrise) auf knapp 8,5% Ende 2018 nahezu halbiert. Amerikanische Staatspapiere werden heute zu 60% von Inländern gehalten.

2020 beläuft sich der Bestand amerikanischer Staatsanleihen im Besitz China sauf 1100 Milliarden Dollar. 2021 sinkt der Bestand rapide auf 1000 Milliarden US-Dollar. Nach Japan ist China immer noch der zweitgrößte Gläubiger. China ist auch ein wichtiger Kapitalgeber für US-Unternehmen (200 Mrd. $ 2020 an Aktien und Beteiligungen).

Auf der anderen Seite steigt die eigene Verschuldung ständig. Die Außenstände von Haushalten, Unternehmen und öffentlicher Hand belaufen sich auf ungefähr 250% des BIP (statistische Informationslücke). Das Gros der Schulden entfällt auf Unternehmen, viele im Staatsbesitz ("faule" Kredite, auch der Banken). 2020 steigt Der Wert nach der Corona-Krise stark an: 280% des BIP (Unternehmen 162, Staat 59, private Haushalte 59). Quelle: BIZ 2020, Stand 2. Quartal 2020. Die chinesische Notenbank gibt 66,8% Verschuldung des Staates für 2020 an (Anteil am BIP).

Viele Entwicklungsländer haben Kredite aus China erhalten. Die Höhe ist unbekannt (Transparenz gibt es nur bei Weltbank und IWF). Das ist ein Risiko. Niemand kann die Schuldentragfähigkeit der Länder noch überprüfen. China hat viele Darlehen mit Sicherheiten versehen. Das gilt für allem für Kredite im Rahmen der "Neuen Seidenstraße". Die Infrastruktur fällt dann in das Eigentum Chinas, wenn der Schuldendienst zusammenbricht.

2022 gehen die Bestände an US-Schatzpapieren stark zurück. Sie sinken um -11% auf 934 Mrd. $. Das gilt aber auch für japanische Schatzpapiere (2022 -15% auf 1120 Mrd. $). Gleichzeitig sinken die Währungsreserven von China 2022 um -6% auf 3052 Mrd. $.

Im Ausland kann China ab 2023 nicht mehr mit Geld um sich werfen. Viel Kapital wurde in die Neue Seidenstraße gesteckt. Aber viele dieser Zielländer sind hoch verschuldet. In China gehören die hohen Wachstumszahlen von 5% plus x der Vergangenheit an. Die Bevölkerung altert (Ein-Kind-Politik). Es gibt zu wenig junge Leute, um den Wohlstand zu sicher. Um die Inflation im Schach zu halten, sind Zinserhöhungen und ein geringeres Kreditwachstum notwendig. China weiß selbst nicht genau, wie viel Geld verliehen wurde.  Eine Studie von 2021 kommt zu dem Schluss, dass es mindestens 840 Mrd. $ sind. Davon sind rund 385 Mrd. $ versteckte Schulden. Vgl. Mattheis, Philipp: Die dreckige Seidenstraße, München 2023, S. 233ff.

Im August 2023 senkt dei PBoC den Referenzzinssatz für einjährige Kredite. Davon hängen die Kredite der Banken am meisten ab. Die Banken senken daraufhin ihre Zinssätze für Kredite, um die Konjunktur anzukurbeln. Überraschend bleibt der Referenzzinssatz für fünfjährige Kredite unverändert. Vgl. HB 22.8.23, S. 27.

7. Immobilienmarkt: Der Immobilienmarkt hat eine Blase. Aber des Ende des Baubooms ist abzusehen. Halbfertige Immobilienvorhaben liegen brach. Die Kommunen als Eigentümer von Grund und Boden ("Volkseigentum"; käuflich ist ein Recht, vergleichbar unserer Erbpacht), hatten in der Vergangenheit großes  Interesse, Land zu verpachten. Das brachte Geld in die kommunalen Kassen. Die Preise wurden nach oben getrieben. Um Immobilienprojekte und Bauten zu finanzieren, sprangen manchmal Sparer ein, weil die Banken traditionell Staatsunternehmen bevorzugen wegen der Sicherheit. Das wurde häufig mit Bürgschaften verknüpft. Mit dem Einbrauch der Verkaufpreise der Immobilien sehen die Sparer ihr Geld nicht mehr und die Bürgen werden belastet. Das stürzt viele Familien ins Elend. Auf der anderen Seite haben viele Bürger ihre Immobilien auch mit den Krediten von Banken bezahlt. Es gibt also auch ganz normale Finanzierung. Über die Häufigkeitsverteilung wissen wir kaum was, so das die Verhältnisse intransparent sind (das gilt auch für andere Bereiche wie etwa die Privatisierung staatseigener Unternehmen). Die fortschreitende Urbanisierung ist ein Projekt der Regierung und der kommunistischen Partei. Also werden die Städte weiter wachsen, die Dörfer zurückgehen und die Immobilienpreise in den Ballungsgebieten weiter steigen. 2019 gilt jede fünfte Wohnung als unbewohnt (Schätzungen, es gibt keine genauen Statistiken). Der Leerstand bei Büroimmobilien hat 2019 einen Höchststand erreicht. Das verstärkt sich noch in der Corona-Krise durch Homeoffice. Das kann noch dramatische Folgen haben, denn Immobilien sind in China die häufigste Form der Besicherung von Krediten.

Exkurs. Bauboom in China: Im Jahre 20210 verbrauchte China vierzig Prozent der Welzproduktion an Stahl und Zement. In den drei Jahren nach dem Konjunkturpaket 2009 verbrauchte es mehr Zement als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. In China gab es 221 Großstädte mit mehr als einer Million Einwohnern, und alle waren auf sämtliche Errungenschaften der Moderne erpicht: Einkaufszentren, Kinos und Luxushotels. Das Geld für die Bauten stammte von den Banken, aber auch aus Landverkäufen. Lokale Verwaltungen verkauften zu lukrativen Preisen Land  an Bauherren und verwendeten die Einnahmen für den Ausbau der Infrastruktur. Die chinesischen Bauern verloren durch Beschlagnahmungen seit 1978 5,4 Milliarden Dollar. Es kam zu einem Vermögenstransfer vom Land in die Stadt. Vgl. Dikötter, Frank: China nach Mao, Stuttgart 2023, S. 348ff. In Nordchina sieht man heute die schlimmen Folgen am deutlichsten. In Shenyang gibt es verwaiste Rohbauten am laufenden Band. Vgl. Die Zeit 49/ 23.11.23, S. 25.

Doch die Immobilienpreise steigen 2021 rasant weiter. Sie sind in den Jahren zwischen 2010 und 2020 um 100% gestiegen (Megastädte, Großstädte etwas weniger, Quelle: Economist). Die Regierung hat die Gefahren dieser Entwicklung erkannt (Ende 2020 waren 26% aller Kredite Immobilienkredite). Sie versucht, Spekulationsgeschäften entgegenzuwirken. Sie schaut Immobilienentwicklern und Banken stärker auf die Finger. Die Finanzierung soll gedeckelt werden. Besondere Probleme bestehen in den Städten . Vgl. Y. Zhang: Das Dilemma der chinesischen Regierung, in: HB Nr. 74, 19.4.21, S. 30f.

Evergrande Real Estate Group, Guangzhou: ewig groß, Immobilienriese, Verkauf und Entwicklung von Wohnungen, 1996 von Xu Jiayin gegründet,  kollabiert im September 2021, auf dem Immobilienmarkt droht zunehmend Panikstimmung, die Schulden waren so hoch wie die von Griechenland, es gab ein großes Minus beim Vermieten. Gibt es ein neues Lehman Brothers, hat der Staat sogar den Todesstoß versetzt? Einige Manager ließen sich Anlagesummen vorzeitig auszahlen. Der Konzern will das Geld zurückfordern. Evergrande versucht, Firmenteile und Immobilien zu verkaufen. Viele Investoren fürchten eine Pleite.  An der Hongkonger Börse kommt es zu einem Absturz für Immobilientiteln (Henderson Land, New World Development). Der Wirtschaftszweig Immobilien macht in China ca. ein Viertel des BIP aus. Am 20.9.2 stürzt der Kurs von Evergrande noch mal um 17% ab. Der Hang Seng in Hongkong verliert auch am Montag -4%. Als der Verkauf der Konzerntochter Hopson Ende Oktober 21 scheitert, stürzt der Aktienkurs noch mal um 10% ein.

Exkurs  Xu Jiayin: Der hat einen großen Aufstiegswillen mit Hang zum Größenwahn. Wahrscheinlich ist er der reichste Mann Chinas. Er hat immer mit allen Mitteln gearbeitet. Mit Schlitzohrigkeit,  Wein und Frauen hat er die Politiker bei Laune gehalten. Seinen Reichtum hat er gerne zur Schau gestellt. Berühmt ist seine Rede 2018 vor dem Nationalen Volkskongress, als er einen goldenen  Hermesgürtel um die Hüfte trug. Xu ist 2021 62 Jahre alt. 1958 wurde er in der Provinz Henan geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Seine Mutter starb früh. Ein Studium absolvierte er in Wuhan nach der Kulturrevolution. In über 280 Städten laufen seine Immobilienprojekte. Er beschäftigt direkt 200.000 Mitarbeiter, indirekt 4 Mio. Seine Frau Ding Yumei ist die Tochter eines hohen Parteisekretärs. In dem Buch Red Roulette (siehe Buchbesprechung auf der Asienseite) spielt Xu eine Rolle. In einem Privatclub auf hoher See wollte er wichtige Politiker versorgen. Xu mischt heute praktisch in fast allen Branchen mit (Fußball, E-Autos, Versicherungen u. a.). Er scheint 2021 die Gunst von Xi Jinping verloren zu haben. Quellen: Fabian Kretschmer: Der 300-Milliarden-Schulden-Mann, in: Die Rheinpfalz. Nr. 226, 29.9.21. Red Roulette, 2021 (kommt bald auch in Deutsch).

Die drohende Riesenpleite am Immobilienmarkt führt weltweit zu Kursrutschen an den Börsen. Es entsteht Angst, ob das chinesische Wirtschaftswunder vorbei sein könnte. 70% des chinesischen Privatvermögens sind in Gebäuden und Wohnungen angelegt (deshalb ist die Pleite von Evergrande so gefährlich). Die Bau- und Immobilienbranche hat in China einen Anteil von 15% am BIP (größer ist nur das Verarbeitende Gewerbe mit 26%). Damit verbunden sind aber Finanzinvestoren, Stahlwerkbetreiber und Rohstofflieferanten. So könnte in Dominoeffekt entstehen. Vgl. Fischermann, Thomas/ Yang, Xifan: Wie stabil ist Chinas Wirtschaft? in: Die Zeit 39, 23.9.21, S. 26f. Der Chinesische Staat gibt am 23.9.21 bekannt, dass er das Unternehmen nicht mit Staatsgeld retten wird. Er warnt die lokalen Behörden. Die Japanische Zentralbank geht nicht von einer globalen Auswirkung der Pleite aus, sondern von einer Beschränkung auf China. Das könnte aber Folgen für die gesamte chinesische Wirtschaft haben.  Die Bafin in Deutschland schließt sich diesem Urteil an. Diese Einschätzung könnte sich ändern, wenn die ganze Immobilienbranche in China zum Problem wird. Die chinesische Notenbank  speist umgerechnet 14,5 Mrd. € in den Geldkreislauf ein.

Bei der Immobilienkrise in China muss man die Rahmenbedingungen im Hintergrund beachten. Auslöser ist die kommunistische Führung. Sie hat neue Regeln zur Verschuldung - auch dieses Sektors -  aufgestellt. Auch die Emissionen sollen und müssen drastisch reduziert werden. Dafür verlangt die Führung von den Lokalregierungen, Energie zu sparen. Der Bausektor und die Energieknappheit führen zu einer Katerstimmung. Vgl. Petring, Jörn: Peking reguliert mit der Brechstange, in: WiWo 40, 1.10.21, S. 11.

Weitere Immobilienunternehmen werden mit nach unten gezogen: Fantasia Holdings lässt die Frist für Zinszahlungen verstreichen. Der Immobilienentwickler Sinic Holdings wird von einer Rating-Agentur herab gestuft (Fitch). Liquidität fehlt. Ein Kredit in Höhe von 216 Mrd. € kann nicht zurückgezahlt werden.  Immobilienfirmen bekommen keine Kredite mehr. Dann gerät Anfang November 2021 Kaisa in den Strudel. Der Immobilienentwickler, der in Hongkong seinen Sitz hat und auch dort gehandelt wird, verliert -14% an einem Tag. Er hat eine Zahlungsfrist verstreichen lassen. Die Schuldenlast ist hoch. Die Rating-Agenturen stufen runter.

Anfang Dezember 21 warnt Evergrande vor Zahlungsschwierigkeiten (gravierende Warnung!). Die Regierung der Provinz Guandong, wo Evergrande liegt, entsendet eine Arbeitsgruppe in den Konzern. Sie soll auch mit dem Chef  sprechen. Chinas Börsenaufsicht versucht, die Angst zu zerstreuen. Trotzdem geht der Aktienkurs weiter in den Keller. Am 9.12. kommt es zu einem Zahlungsausfall. Die Rating - Agentur Fitch stuft den Immobilienkonzern weiter herab, auch Kaisa. Die Regierung in Peking bekräftigt, dass es keine staatliche Rettung geben werde. Auf der Insel Hainan muss  Evergrande 2022 39 Immobilien innerhalb von zehn Tagen abreißen, weil Baugenehmigungen fehlen. Trotzdem scheint sich eine Rettung abzuzeichnen (Finanzgeber sammeln sich).

Der Immobiliensektor macht etwa ein Viertel des chinesischen BIP aus. Er war in der Vergangenheit verantwortlich für ein Großteil des Wachstums. Schon Anfang 2021 hatte die Regierung eine Obergrenze für Immobilienkredite eingeführt. Ende 2021 fielen die Immobilienpreise schon deutlich. Das gilt vor allem für zweit- und drittrangige Städte. Vgl. Rogoff, K./ Yang, Y.: Has China`s Housing Production Peaked? China and the World Economy, 21 (1) 2021, S. 1-31.

Im laufenden Jahr 2022 steckt der wichtige Markt für Eigenheime weiter in Schwierigkeiten. Dadurch geraten Immobilienabwickler unter Druck. Fusionen und Übernahmen können folgen. 2021 sind folgende Unternehmen auf dem absteigenden Ast: Evergrande (in der Rangfolge Platz 5), Greenland (11), Shimao Group (10), Zhongnan Land (17), Yango Group (19). Die Spitze halten folgende Unternehmen: Country Garden, Vanke, Sunac, Poly Real Estate. Quelle: China Real Estate Information Corporation.

Im Mai 2022 senkt die Zentralbank weiter die Zinsen: Die Zinsen für Kredite mit fünfjähriger Laufzeit wird auf 4,45 % gesenkt (um 15 Basispunkte). Sie will den Immobilienmarkt stabilisieren. Doch der Immobilienmarkt kommt nicht recht auf die Füße. Dem nächsten Bauträger droht die Insolvenz: Shimao (2001 von Milliardär Hui Wing gegründet) . Einmal traf die Null-Covid-Strategie den Häusermarkt. Zum anderen führte die Goldgräberstimmung zu immer mehr Gier und Größenwahn. Mittlerweile brechen die Immobilienpreise ein (mehr Eigenheimverkäufe in den Metropolen, noch nicht in der Provinz).  Vgl. Kretschmer, Fabian: Von einer Krise zur nächsten, in:  die Rheinpfalz Nr. 154/ 6.7.22. 

Die Effekte sinkender Immobilienpreise könnten in China noch gravierender sein als in den USA. Wohnimmobilien machen fast 70% des Vermögens privater Haushalte aus. Ein anhaltender Preisrückgang würde die inländische Nachfrage in China spürbar senken. Es gibt keine politische Strategie, die Immobilienpreise zu stabilisieren. Erschwerend kommt die demographische Entwicklung dazu. Vgl. Dieter, H.: Die doppelte Krise der chinesischen Planwirtschaft, in: WiWo 5/27.1.23, S. 41. Auch im Sommer 23 werden immer weniger Wohnungen verkauft. Die Immobilienkrise geht weiter (der Immobilienmarkt macht - wie schon erwähnt - ca. 30% des BIP aus). Die Krise verschärft sich im August 23: Evergrande beantragt in den USA Gläubigerschutz. Dem Bauentwickler County Garden, der vor noch nicht allzu langer Zeit als solide galt, könnte die Pleite drohen. Die Aktie stürzt ab. Die Immobilienkrise verschärft auch die Wirtschaftskrise: Tagelöhner finden keine Arbeit mehr, Wohnungskäufer könnten ein Vermögen verlieren. Vgl. Fahrion, Georg/ Giesen, Christoph: Das Betonproblem, in: Der Spiegel 35/ 26.8.23, S. 76ff. Im August kann Evergrande wieder an der Börse gehandelt werden nach eineinhalb Jahren Pause. Es kommt zu einem Rekordeinruch von -87%. Die Aktie ist nur noch 0,22 Hongkong-$ wert, so billig wie nie. Der Börsenwert beträgt nur noch 342 Mio. € (Stand 28.8.23; Börsenwert 2017 50 Mrd. €).

2023 stürzt eine  Schattenbank ein und scheitert an ihren Immobilienverbindungen. Zhongzhi Enterprise Group/ ZEG Co., Peking/ Shanghai (Finanzkonglomerat, auch Schattenbank, 1990er-Jahre Beginn mit Holz- und Grundstücksgeschäften, Insolvenz 2023, 56 Mrd. € könnte der Gesamtschaden für die Anleger betragen, hängt zu stark mit den maroden Immobilienfirmen zusammen).

Im Januar 2024 ordnet ein Gericht in Hongkong (Richterin Linda Chan) an, dass der größte Baukonzern Chinas Evergrande abgewickelt werden soll und zerschlagen wird. Ziel des Verfahrens war es, den Gläubigern des Unternehmens zumindest einen Teil ihres Geldes wiederzubeschaffen. Ein Großteil des Vermögens besteht im Festland - China. Für ausländische Gläubiger dürfte kaum etwas zu holen sein. Es bleibt auch abzuwarten, wie die Regierung in Peking und die KPCh damit umgeht. Gegen sie dürfte nichts laufen. Nach dem Gerichtsurteil stürzten die Aktien weiter in den Keller. Evergrande-Chef Shawn bedauerte die Entscheidung. Ausländische Investoren dürften in Zukunft fern bleiben. Es bleibt also offen, ob die Gerichtsorder auch auf dem Festland umgesetzt wird. Das langsamere Wachstum des Sektors gilt als gewollt (25% des BIP).  Xi sprach von "fiktivem Wachstum".

China wird aber alles tun um den Zusammenbruch des Immobiliensektors zu verhindern. So Keyu Jin, Professorin für Economics an der LSE, NZZ 27.3.24, S. 18f. Aber es bekommt auch 2024 die Immobilienkrise nicht in den Griff. Man versucht, mit Stützungskäufen anzuschieben. doch Makler in Shanghai und Shenzhen sind skeptisch. Egal, wie sehr die Anzahlung für Immobilienkäufe gesenkt wird, am Ende muss man das Geld zurückzahlen. Vgl. HB 18.6.24, S. 26f. Die Städte werden voll erfasst. Wohnungen werden massenhaft angeboten. Nicht überall dürfen Ausländer kaufen. Im August 24 gehen die Verkäufe um -26,8% zurück. Die Einnahmen aus der Übertragung von Landnutzungsrechten sind 2023 völlig eingebrochen. Die Städte nehmen Bußgelder als neue Einnahmequelle. Vgl. HB 11.9.24, S. 30f.

8. Arbeitsmarkt und Kaufkraft/ Wohlstand (Ungleichheit): In China wird der Arbeitsmarkt statistisch nicht korrekt erfasst. Gezählt wird die Arbeitslosigkeit der städtischen Bevölkerung. Das liegt an Chinas Einwohnermeldesystem (Hukou). Wer in einer Stadt geboren ist, wird automatisch als Arbeiter registriert, wer auf dem Lande geboren ist, als Bauer. Also tauchen die Bauern, die als Wanderarbeiter ihre Heimat verlassen, nicht in der Statistik auf. Sie stellen aber sicher den höchsten Anteil bei den Arbeitslosen. Das Niveau der Arbeitslosenversicherung ist auch noch gering, so dass Beiträge und Leistungen von Provinz zu Provinz variieren.

Viele Anzeichen sprechen aber dafür, dass die Arbeitslosigkeit in China gestiegen ist (etwa 5,2% 2019 bei städtischer AL gegenüber 4,8% 2018). Das zeigen Befragungen in den Großstädten oder Daten des Jobportals Zhaopin. Die Unternehmen halten sich im Handelsstreit mit den USA mit der Arbeitsnachfrage zurück. Die Staatsfirmen lassen sich nur noch bedingt dazu anhalten, Arbeiter nicht zu entlassen. Die Digitalisierung dürfte auch zu Arbeitsplatzverlusten führen, weil China nicht mehr länger die Werkbank der Welt ist (Regionalisierung der Lieferketten, höhere Lohnkosten)). Der Dienstleistungsbereich kann nicht genügend ausgleichen. Entlastung bringt etwas die Demographie. Vgl. Asia und China (Makroökonomische Daten/ Arbeitsmarkt, Erwerbstätigkeit) und Petring, Jörn: Das chinesische Arbeitsmarkträtsel, in: Wirtschaftswoche 16, 12.4.2019, S. 38ff. 

Wenn die Arbeitslosenzahlen stark steigen fällt der Wohlstand und die Kaufkraft. 3,1% der Bürger gelten 2018 in China als arm. 2010 waren es noch 17,2%. 8826 Dollar pro Kopf betrug Chinas BIP pro Kopf 2018 (andere Zahlen liegen bei etwa 16.000$). Das deutsche lag bei 44.470 Dollar. Durch die Corona-Krise werden auch die Menschen arbeitslos, die aus der Statistik ganz raus fallen, die Millionen von Wanderarbeitern. Sie müssen oft wieder in ihre Ursprungsberufe zurück (meist Reisbauern) und können gerade noch überleben, wenn sie Glück haben.

Die Regierung fährt eine Reihe von Armutsprogrammen, die oft mit Umsiedlung von Kleinbauern verbunden sind. Das stößt nicht nur auf Begeisterung. Die Bekämpfung der Armut soll auch die Strategie des Binnenkonsums der Regierung flankieren. Außerdem sollen die drastischen Disparitäten reduziert werden (Küste-Hinterland; Stadt - Land). Man will in Anbetracht des US-Protektionismus die Exportabhängigkeit runterfahren.

In der Corona-Krise ist das verfügbare Einkommen langsamer angezogen als das Gesamtwachstum. Die Einkommensschere zwischen Stadt- und Landbevölkerung ist weiter auseinander gegangen. 2020 ist das Einkommen der Städte etwa dreimal so hoch. Genaue Daten müssen noch ermittelt werden. Die Ungleichheit ist in China wie in den USA (den wirtschaftsstärksten Mächten) das gleiche Grundproblem und sie wächst in beiden Ländern. Die Digitalisierung verstärkt diesen Trend. Man darf gespannt sein, wie die beiden Länder in den nächsten Jahren das Problem angehen.

Allerdings ist China noch auf einer geringeren Basis: 2019 betrug das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung (BIP) 16.700 $ (Kaufkraft bereinigt). In den USA betrug der Wert 65.300 $, in der EU-28 46.600 $. Quelle: IWF 2020. Die Sparquote der privaten Haushalte lag 2020 bei etwa 40% (in der EU-Euro-19 bei 19, USA 16).  Quelle: Oxford Economics 21. Kein Land der Welt hat aber eine so dynamische Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens: Seit 1990 bis 2019 um das 30-fache (vor Polen und Indonesien).

Exkurs. Konsumschwäche, Binnenmarktstrategie, Konsumquote und Sparquote: Die Staatsführung in China versucht schon seit Jahren die Volkswirtschaft stärker auf den Binnenkonsum auszurichten.  Doch die Konsumenten sind verunsichert (Index des Verbrauchervertrauens/ PCSI liegt unten , 2024 65) in China und halten sich zurück. Für Chinas Volkswirtschaft ist das ein Problem. Die ökonomische Transformation läuft schleppend ab. Der Anteil des Konsums an der Volkswirtschaft beträgt 2023  38%.  Für den Stand der Volkswirtschaft ist das vergleichsweise gering (Deutschland 50%, USA 68%). die Bruttoanlageinvestitionen liegen immer noch bei rund 40% (Quelle: Weltbank). Die Schwäche des Konsums hat konjunkturelle, strukturelle, regionale (kleinere Städte, Land)  und sozialpolitische Gründe. Die Unsicherheit in der Bevölkerung ist groß. Sie kommt von der angespannten Lage am Arbeitsmarkt, den Folgen des Immobiliencrashs und den vergleichsweise niedrigen Löhnen. Die Menschen legen ihr Geld auf die hohe Kante. Hinzu kommt, dass die Beschaffenheit des Sozialsystems noch nicht perfekt ist. Der Zugang zu Kranken- und Rentenversicherung variiert stark zwischen den verschiedenen Regionen. Großstädte wie Peking, Shanghai und Shenzhen haben in der Regel bessere Systeme. Ärmere und ländliche Gebiete liegen zurück. Auch die jahrelange Einkind-Politik hat zu dem Verhalten geführt, dass man für die Zukunft des einen Kindes (Bildung) Geld zurücklegt. Vgl. Petring, Jörn: Chinesische Sparzwänge, in: WiWo 34/ 16.8.24, S. 36f.

Die Regierung will ab 2021 den Raubtierkapitalismus bändigen. Bei den Top 1% sind die Einkommen von 1978 bis 2015 um +8,6% gestiegen, bei den unteren 50% um 4,5% (Quelle: Piketty, Yang und Zucman 2019; Daten aber mit Vorsicht zu genießen, da schwache Quellenlage). Die Macht der Konzerne soll gebrochen werden und es soll wieder mehr Sozialismus kommen. Instrumente dafür sind mehr staatliche Kontrolle, mehr Konformität und mehr soziale Sicherheit. Manche sprechen auch von einer zweiten Konterrevolution. Vgl. Fahrion, Georg: Chinas zweite Konterrevolution, in: Der Spiegel Nr. 39, 25.9.21, S. 66ff.

Exkurs: Soziale Ungleichheit in China: Der Anteil der ärmsten 50% am chinesischen Volkseinkommen zwischen 1978 und 2015 sank von 28 auf 15%. Gleichzeitig wuchs der Anteil der reichsten 10% von 26 auf 41%. Damit liegt die Ungleichheit über europäischem Niveau und nähert sich der Situation in den USA an. Vgl. Thomas Piketty: Der Sozialismus der Zukunft, München 2021, S. 78.

Exkurs. Bedeutung der Arbeit in China: Sie wandelt sich permanent. Im Kommunismus war die Arbeit für alle gleich wie auch die Löhne. In der sozialistischen Marktwirtschaft ab 1989 setzte sich immer mehr das Leistungsprinzip durch. Das geht soweit, dass es in vielen Teilen der Welt ausgiebigere Ferienansprüche und Löhne gibt. Das bleibt im Zeitalter der Globalisierung und sozialen Medien nicht verborgen. Die urbane Jugend findet durchaus Gefallen an einer anderen World-Life-Balance. Besonders am Tag der Arbeit, am 1. Mai, staut sich Wut auf. Viele Chinesen wollen auf Reisen gehen, aber Flug- und Zugtickets sind ausverkauft. Die Übernachtungspreise gehen dann überall rapide in die Höhe. Das verbittert die Menschen, weil sie nur wenig freie Tage haben. Vgl. Kretschmer, Fabian: Ein schlechtes Tauschgeschäft, in: Rheinpfalz 29.4.23, S. 1. 

Digitalisierungsauswirkungen auf die Arbeit in China: Auch in China gibt es viele Missstände. 2021 regt sich Protest gegen Lieferfirmen, die ihre Mitarbeiter mithilfe von Algorithmen durch die Gegend hetzen und sie dabei ausbeuten. so geraten zunehmend Essensboten mit ihren Arbeitgebern aneinander. Diese verhängen Geldstrafen bei verspäteter Lieferung oder bei schlechter Bewertung im Internet.  Zu den Arbeitgebern gehören Liefer-Apps wie Meituan oder Ele.me. Das Ministerium für Personalmanagement und soziale Sicherheit bestellt öfter beide Seiten ein. Es gibt auch Beschäftigte, die die schlechten Arbeitsbedingungen ins Netz stellen (Menzhu wird verhaftet dafür). andere geben tipps, wie man Regeln verletzen kann, um die Zeit einzuhalten. Das Essen bestellt die chinesische Mittelschicht, so dass hier auch soziale Konflikte liegen. Die Arbeitsverhältnisse sind unterbezahlt und schlecht reguliert. Die Verhältnisse gleichen sich scheinbar immer mehr auf der Welt an.  Vgl. Tai, Katharina: "Verspätung: Zwei Sekunden". in: Die Zeit Nr. 45, 4.11.21, S. 33.

Arbeitsproduktivität und Rückgang der Erwerbsbevölkerung:  Das bisherige Modell bis 2021 war durch hohe Investitionen, steigender Erwerbstätigkeit und vergleichsweise geringen Arbeitsproduktivität gekennzeichnet. 2011 errechte die Zahl der Erwerbspersonen mit 940,5 Mio. ihren Höchststand. Vier Jahre später waren es nur noch 911 Mio. 230 sollen es nur 830 Mio. sein , 2050 700 Mio. (Ministerium für Humankapital und soziale Angelegenheiten). Das ist das Ergebnis der Ein-Kind-Politik. Das könnte die Steigerung des Lebensstandrads erschweren. Chinas Geburtenrate liegt 2022 bei 1,6 Kindern (3 sind seit 2021 erlaubt). Die Industrieproduktion müsste auf Roboter umgestellt werden. Dafür läuft eine Kampagne. Chinas dürfte als Standort für Produktion seine Attraktivität verlieren. Vgl. Dieter, Heribert: China muss zum Land der Roboter werden, in: WiWo 5/ 28.1.22, S. 41.

Jugendarbeitslosigkeit: Sie ist 2022 relativ hoch mit 18,4% (ungenaue Messung!). Das ist ein Rekordwert. Bis zum Sommer 22 wird mit 23% gerechnet. Das ist sozialer Sprengstoff und eine tickende Zeitbombe. Da Aufstiegsversprechen der Partei steht auf der Kippe. Der Frust lässt sich nur schwer messen. 10,7 Mio. Universitätsabsolventen strömen allen 2022 auf den Arbeitsmarkt. Dei regelmäßigen Lockdowns verschlingen immense Kosten, die die Lokalregierungen wegen ihrer Schulden nicht mehr leisten können. Allein in den ersten fünf Monaten 2022 ist das Staatsdefizit in China auf 2,9 Billionen Yuan (140 Mrd. €) gestiegen.  Über alle Branchen hinweg werden die Löhne gekürzt, die Tech - Unternehmen bieten weniger Jobs an. Vgl. Kretschmer, Fabian: Jugendarbeitslosigkeit als sozialer Sprengstoff, in: Die Rheinpfalz Nr. 140, 20.6.22.

Die Unterstützung der Position Russlands im Ukraine-Krieg könnte China langfristig schaden. Viele Handelspartner haben Angst für einem chinesischen Angriff auf Taiwan und nachfolgenden Wirtschaftssanktionen. Sie diversifizieren ihren Handel und ihre Lieferketten. Das bedroht das chinesische Wohlstandsversrechen an die Bevölkerung. China stellt sich darauf ein und ersetzt das Wohlstandsversprechen durch einen neuen Nationalismus. Das könnte aber eine Gefahr für das System sein. Vgl. Interview mit Australiens Ex-Premierminister Kevin Rudd, in: Die Zeit Nr. 22/ 25. Mai 2022, S. 8.

Exkurs: Kritische Bevölkerungsentwicklung in China: Das Volk altert zur Zeit relativ schnell. In den nächsten 30 Jahren wird das Land 200 Mio. Arbeitskräfte verlieren. Am Ende des Jahrhunderts werden 700 Mio. weniger Menschen in China leben. Also nur die Hälfte von heute. Mit der "Werkbank der Welt" ist es dann endgültig vorbei. 2023 ist die chinesische Bevölkerung auf 1,14 Mrd. Menschen geschrumpft. Die Anzahl der Neugeborenen um 500.000 zurückgegangen. Das Reich der Mitte droht alt zu werden, bevor es wirklich wohlhabend geworden ist. Die Geschwindigkeit des Bevölkerungsrückgangs ist im internationalen Vergleich atemberaubend. Die statistische Fertilitätsrate zählt mit etwas über 1,0 zu den niedrigsten der Welt (Deutschland 1,5). Die chinesische Regierung versucht mit allen Mitteln, den Trend umzukehren.

Der Abschuss eines chinesischen Spionageballons im Februar 2023 vor der Küste South Carolinas vergiftet die Beziehungen zum Westen weiter. Peking richtet den Blick mehr nach Innen (die Binnenmarktstrategie ist schon älter). Man setzt in der Not auf den Konsum im Inland. Es ist aber fraglich, ob man damit großen Erfolg hat, weil die Kaufkraft fehlt. Die Demografie ist sicher eine Wachstumsbremse (siehe oben), auch der Vertrauensverlust im Technologiesektor (politische Regulierung). Hinzu kommen bleibende Schäden durch die Corona-Pandemie und die Null - Covid - Strategie. Vgl. Petring, Jörn: Kalter Krieg, heiße Konjunktur, in: Wiwo 7/ 10.2.23, S. 38f.

 Im Mai 2023 steigt die Jugendarbeitslosigkeit auf einen Negativ-Rekordwert. Sie liegt über 20% (21,3%) und dürfte im Sommer noch weiter steigen. Im Juni 2023 liegt sie auch bei 21,3%. Die junge Generation ist nicht mehr mit Hunger und Zwangsarbeit groß geworden. Sie ist auch nicht mehr bereit, große Opfer zu bringen. Es herrscht große Unsicherheit unter den jungen Chinesen. China veröffentlicht mittlerweile keine Zahlen mehr zur Jugendarbeitslosigkeit (ab August 23). Es gibt mittlerweile auch staatliche Maulkörbe für Wirtschaftsexperten. Xi scheut generell Vergleiche mit dem Erzfeind USA. Vgl. Kretschmer, Fabian: Die schöne neue Welt des Xi Jinping, in: Die Rheinpfalz 16.8.23.

Exkurs. Streiks in China: Der Gewerkschaftsbund hat mit der doppelten Identität als Regierungsbehörde und als Arbeitnehmerorganisation zu kämpfen. Dei Arbeitsgesetze setzen hohe Standards für die Rechte der Arbeitnehmrinnen und Arbeitnehmer, aber sie regeln die Umsetzung nur mangelhaft. Streiks finden in China oft statt, bevor Arbeitnehmer und Arbeitgeber versuchen zu verhandeln. In China müssen Streikende kreativ sein, da die Regierung Standardtaktiken als Provokation empfinden kann.  Vgl. Yuequan Guo:  Vermeintlich unpolitisch, in: WZB Mitteilungen Juni/ 2024, S. 40ff.

9. Bevölkerung und China als Zielland für Flüchtlinge und Migranten und Herkunftsland für Auswanderer (Rolle in der Weltflüchtlingsproblematik): In China sitzt das Misstrauen gegen einwandernde Menschen tief. Minderheiten im Land werden zwar besonders geschützt, aber gleichzeitig auch diskriminiert. 2014 gehörte China trotzdem zu den zehn Hauptaufnahmeländern von Flüchtlingen (10. Platz; 301.052 aufgenommene Flüchtlinge; vor allem aus Myanmar, Afghanistan, Pakistan, Kasachstan, Mongolei, Nord-Korea; Quelle: Flüchtlingsbericht 2015 des UNHCR). 2015 gibt es eine merkliche Zuwanderung von qualifizierten Menschen aus der Ukraine (durch den Krieg dort bedingt). Für die ärmere Bevölkerung der Nachbarländer ist China wegen des unterentwickelten Transfersystems noch kein Anreiz zur Arbeitsmigration (außerdem findet eine restriktive Regulierung statt). Auf dem chinesischen Arbeitsmarkt kommt nicht einmal die eigene Bevölkerung unter (hoher Anteil von Wanderarbeitern, die in die Städte strömen; die Infrastruktur in den Ballungsgebieten fehlt dafür). Migranten aus China in die Nachbarländer gibt es nennenswert in Richtung russische Grenzgebiete. Die eingewanderten Chinesen dominieren in der Regel den Handel und die Geschäftswelt. Ähnlich sieht es mit der chinesisch stämmigen Bevölkerung in Malaysia aus.

Die chinesische Regierung betreibt eine Umsiedlungspolitik im eigenen Land. 300 Mio. Menschen sollen bis 2030 vom Land in die Städte ziehen (Urbanisierung).  Insbesondere in den Randregionen, wo man sich vor den Minderheiten, vor allem vor dem Islam,  fürchtet, wird die Stammbevölkerungsgruppe "Han-Chinesen" hingesiedelt (so auch stärker in Tibet). Zusätzlich gibt es eine höhere Zahl von Binnenflüchtlingen (0,1-0,5 Mio.; UNHCR), die hauptsächlich vor Naturkatastrophen (Erdbeben, Taifun, Überschwemmungen) fliehen Es gibt auch eine nennenswerte Re-Migration von Exil-Chinesen, die während der Wirren (z. B. Kulturrevolution) geflohen waren, und kontinuierlich zurückgekommen sind. Insgesamt verhindern das starke Familienbewusstsein (jia=Familie; danwei=Einheit), das Hukou-System (Wohnsitz-Melderegister mit allen sozialen Ansprüchen) und der große Nationalstolz zu große Auswanderungen. Dafür hat sich der Binnentourismus sehr stark entwickelt. Der Auslandstourismus der Chinesen ist bereits in einigen Sehenswürdigkeiten der Welt ein Problem (z. B. Florenz, Paris, Tokyo).

Exkurs. Feng Shan Ho:  Ende der 1930er Jahre arbeitete er als Generalkonsul in Wien. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten stellt er Tausenden Juden Visa für Shanghai aus und rettete ihnen so das Leben. Shanghai war damals von Japanern besetzt und es gab praktisch keine Einreisekontrollen. Der Chef wirft Ho vor, er sei korrupt und lasse die Visa bezahlen. Belege dafür existieren nicht. Vgl. Rheinpfalz am Sonntag, 24./ 25. August 2024, s. 21.

Der demographische Wandel macht den Wirtschaftsplanern große Sorgen. Besonders besorgniserregend ist die geringe Geburtenrate: 2020 12 Mio. Kinder, 18% weniger als 2019 (nur 1961 weniger; 4. Jahr in Folge Rückgang; Geburtenrate 1,3).  Daran hat auch die Lockerung der Ein-Kind-Regel nichts geändert. Die zunehmend urbane Bevölkerung kann sich aufgrund der Immobilien- und Bildungskosten nicht mehr als ein Kind - wenn überhaupt - leisten (es soll bald Fördergelder für Kinder geben). Bald könnten in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde auch einmal Arbeitskräfte fehlen, weil die Zahl der Erwerbspersonen sinkt (. So setzt man Hoffnungen auf die Automatisierung und KI. Die demographische Zeitbombe könnte den Aufstieg des Landes behindern. Die Daten der jüngsten Volkszählung von 2020 werden zunächst geheim gehalten, dann im Mai 21 veröffentlicht. Aber ab 2023 (Höhepunkt der Bevölkerung 2022) dürfte die Einwohnerzahl schrumpfen. In den letzten 10 Jahren von 2010 bis 2020 ist die Bevölkerung nur um +5,4% gewachsen (auf 1,412 Mrd.). Jeder fünfte Einwohner (18%) soll über 60 Jahre sein (wahrscheinlich ist die Zahl noch höher, sagen Experten). 2030 soll ihr Anteil auf 30% steigen. Die traditionellen Medien propagieren zunehmend konfuzianische Familienwerte und preisen die Mutterrolle der Frauen. Die Zahl der erlaubten Kinder von 2 soll erhöht werden.  Das Rentenalter (Männer 60. Frauen 55) soll angehoben werden. Eventuell sollen auch die Hürden für Einwanderung gesenkt werden (Ausländeranteil 2020 0,06%). Am 24.05.21 beschloss das Politbüro eine "Optimierung der Geburtenpolitik". Diese solle helfen, die Bevölkerungsstruktur zu verbessern. Die Zwei-Kind-Politik (seit 2015) wird durch eine Drei-Kind-Politik ersetzt. Neben der Beschränkung der Kinderzahl gibt es weitere Gründe für das Schrumpfen der Bevölkerung: hohe Kosten für Wohnen, Ausbildung und Gesundheit. Auch hier müsste man ansetzen. Quelle: Nachrichtenagentur Xinhua. Der staatliche Zensurapparat verhindert eine Diskussion über die moralische Schuld der Ein-Kind-Politik (1980). Nach einer Umfrage können sich 90% keine drei Kinder vorstellen (Ergebnis wurde später gelöscht).

Gleichstellung der Frau: Laut Gleichstellungsindex vom Weltwirtschaftsforum ist das Land in zehn Jahren von Platz 69 im Jahr 2012 auf Platz 102 2022 abgestürzt. Frauen verdienen wieder weniger, gelten ab 30 als "übrig geblieben" und werden regelmäßig Opfer von Gewalt. Vgl. Sahay, Lea: Das Ende des Chinesischen Traums, München 2024, S. 249.

Der Bevölkerungsschwund zeigt sich 2023 stark im Bildungssystem. Zuerst werden Kitas und Schulen unter Druck gesetzt. Der Nachwuchsmangel dürfte bald auch die Unis erreichen. Dann hat er auch Folgen für den Arbeitsmarkt (siehe oben). Im Jahre 2023 waren 14,3% der Bevölkerung über 65 Jahre (2050 30,1%). Zwischen 15 und 64 Jahren waren 68,9% (2050 58,5%). Zwischen 0 und 14 waren 16,9% (1950 34,8%; 2050 11,4%). Vgl. Economic and Social Comission for Asia and the Pacific und HB 10.9.24, S. 16f.

"Multipliziert man ein Problem mit der Bevölkerungszahl Chinas, ist es ein sehr großes Problem. Aber wenn man es durch dei Bevölkerung Chinas teilt, wird es sehr klein", Wen Jiabao, Ministerpräsident 2003 (in Harvard).

10. China als Teilnehmer am "Global Government": Das Land strebt ein multipolares Government in der Welt an. Möglichst viele Staaten sollen über die Spielregeln der Weltwirtschaft entscheiden. China sieht sich selbst als Sprachrohr der Entwicklungsländer in Afrika, Südamerika und Asien. Die Volksrepublik versucht die bestehenden Global Government - Institutionen zu erodieren, weil sie von den USA dominiert sind. China geht es aber immer vorrangig um die Sicherung der eigenen Einflusszonen in Afrika, Zentral und Südostasien sowie Südamerika. Die Rolle des Weltpolizisten ist China zu teuer. Bereits jetzt baut China mit anderen Schwellenländern zusammen eine Alternative zum IWF auf (alternativer Währungsfonds und Weltbank 2). 2015 möchte China mit dem Renminbi in den Währungskorb des IWF aufgenommen werden (spätestens 2016; Liste von Reformen: konvertierbar, keine Kapitalverkehrskontrollen, Börsen vollständig öffnen, Umtausch der Währung für Kapitalmarkttransaktionen). Das gelingt auch Ende 2015. Bis dahin hatten nur vier Länder bzw. Regionen  Sonderziehungsrechte (künstliche Reservewährung): USA, Euroland, GB, Japan. Ab Dezember 2015 ist der Renminbi dann Welt-Reservewährung (siehe oben). Damit wickelt der IWF seine internen Transaktionen ab. Das wird ganz sicher die Akzeptanz der chinesischen Währung stärken (Welthandel, internationaler Zahlungsverkehr). Gegenwärtig (2015) hat der Renminbi nur einen Anteil von 2% am Welthandel (Quelle: Swift Watch).  China strebt an, den Renminbi durch Gold zu decken und den Umtausch zu garantieren. Deshalb hat die Zentralbank systematisch Gold gekauft (Stand: mehr als 1600 Tonnen Mitte 2015). Vielleicht kann die Währung so den Dollar als Leitwährung in ferner  Zukunft ablösen oder vielleicht sogar einen "Globo" bzw. "Mundo" als einheitliche Weltwährung  schaffen. Zuerst aber muss die Regierung die Kontrolle über die eigene Wirtschaft wiedergewinnen. China sitzt im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen un dist mittlerweile der zweitgrößte Beitragszahler.  2021 zahlt das Land 381 Mio. US-$ zum Haushalt der UN. Die USA zahlen 699 Mio. $. (Deutschland 193 Mio. $, Japan 272 Mio. $).

In der Entwicklungspolitik werden am stärksten die Entwicklungsländer in Afrika unterstützt. Es ist ein Geschäft auf Beiderseitigkeit. China interessieren die Rohstoffe (sie werden in der Regel mit chinesischen Beschäftigten abgebaut). Dafür gibt China Unterstützung und baut Infrastruktur. Ende 2015 sagt der Präsident Xi Jinping Afrika 60 Mrd. Dollar an Hilfen zu. Die meisten werden für zinsfreie Kredite vergeben. Damit sollen unzureichende Infrastruktur verbessert und der Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften beseitigt werden. Viele Staaten Afrikas werden von der Wirtschaftskrise in China sehr hart getroffen. Zunächst werden die Investitionen in Afrika gekürzt. Weiterhin leiden die afrikanischen Staaten besonders unter der Schwäche der Rohstoffpreise (bei den China eine Ursache ist, siehe oben; Sambia, Angola, Nigeria, Südafrika). Mittlerweile (2016) stürzen die Währungen in den Keller; Rand, Naira, Kwacha. Die Billigexporte der Chinesen zerstören eigene Industrien (z. B. Schuh- und Textilindustrie).

Exkurs: Modell der Armutsbekämpfung für die Welt? Auf dem Nationalen Volkskongress 2021 zählt Xi Jinping als einen von drei Erfolgen die Überwindung der extremen Armut auf. In letzten zehn Jahren wurden 99 Mio. Menschen über eine Armutsschwelle von 2,30 Dollar pro Tag gehoben (1980 noch ca. 90% unter 1,90 Dollar/Tag, fast 100% unter 3,20 Dollar/Tag, Quellen: IWF, Weltbank). Das wirft jedoch einige Fragen auf: 1. Wie aussagekräftig ist die Armutsgrenze? 2. Wie nachhaltig ist das Programm? 3. Inwieweit kann man Chinas Methoden übertragen? Zu 1.: Das enorme Wachstum ermöglichte den Sieg bei einer zu niedrigen Grenze. Verantwortlich für die Armut war wohl Mao. Zu 2.: In dem Programm waren massive Umsiedlungen. Es wurden Arbeitsplätze durch Subventionen geschaffen. Viele lokale Regierungen nutzten das, um sich die Landflächen. anzueignen. Zu 3.: Man kann nicht vergleichen. Immerhin war China bis ins 19. Jahrhundert eines der reichsten Länder der Erde. Vgl. Böge, Friederike: Vermeintlich überwunden, in: FAZ 6. März 2021, S. 6. Auf der anderen Seite hat das Land mittlerweile sehr viele Milliardäre: Es gibt 922 (USA 696, Hurun-Liste). Die Verteilung ist wahrscheinlich das zentrale Problem des Landes. Vgl. auch: Fahrion, Georg: Rückzug in die Blase, in: Der Spiegel Nr. 6/5.2.22, S. 8ff. Die Frage ist, on China sein Verteilungsproblem noch über Wachstum lösen kann. Im Moment nach Corona stehen die Zeichen eher für Stagnation. Diese Schwäche versucht das Land durch zunehmende Aggressionen nach außen auszugleichen.

Exkurs. Lebensmittel: Der Ukraine-Krieg stellt auch die Lebensverhältnisse in China auf den Kopf. In China ist immer noch die zentrale Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere Getreide, das Thema. Am Anfang des Ukraine-Krieges waren die weltweiten Getreidevorräte auf dem Tiefsstand.  China strebt bei Nahrungsmitteln eine Unabhängigkeit an, denn eine Hungersnot wie zu Maos Zeiten ist ein Horrorszenario. 2022 haben die Chinesen alles an Weizen aufgekauft, was sie kriegen konnten. Schlechte Ernten, hohe Preise und mangelnde Versorgung können in ärmeren Ländern - auch noch in China - zu Aufständen führen. China ist der größte Importeur von Weizen aus der Ukraine. Es ist also stark betroffen von einem Scheitern des Getreideabkommens von Ukraine und Russland. Vgl. BayWa-Chef Klaus Peter Lutz in Der Spiegel 14/ 1.4.23, S. 56ff.

Exkurs. Landwirtschaft der Zukunft: Mit einem Zehntel der globalen Ackerfläche muss China ein Fünftel der Weltbevölkerung ernähren (bei Mais hat China nur einen Weltmarktanteil von 24%). Dazu kommt der wachsende Hunger der Chinesen auf Fleisch- und Milchprodukte. Die Regierung hat drei Gegenstrategien: 1. Zunehmende Importe aus dem Ausland. 2. Kauf von Ackerflächen im Ausland (Südamerika, Afrika, Europa, Asien). 3. Sinkende Erträge im Inland in Kauf nehmen und auf digitale Agrartechnologie setzen. Drohnen sollen in Zukunft Dünger versprühen, Roboter sollen ernten, Autopiloten Traktoren lenken. Es gibt Demonstrationszonen, etwa in Nanjing. Vgl. Wiwo 16/ 12.4.24, S. 26.

Mit Donald Trump könnte die Vorherrschaft der USA enden. In die Position könnte China schlüpfen. Es könnte jetzt wirklich ein chinesisches Jahrhundert beginnen. Das Projekt "Neue Seidenstraße" (BRI) symbolisiert den Anspruch des Landes auf eine führende globale Rolle. Dahinter stecken geostrategische Interessen. Bisher ist Zentralasien, Afrika, Europa und der mittlere Osten einbezogen ("Chinas Griff nach Westen"). Jetzt soll auch Südamerika dazu gehören. Es soll auch eine "polare Seidenstraße" durch die Arktis geben. Die Initiative trägt den Namen "Ein Gürtel, eine Straße" (One Belt, One Road). Die Projekte werden zu 805 von chinesischen Unternehmen geplant. Nur wenige lokale Firmen sind beteiligt. Die "maritime Seidenstraße" dient unter anderem der Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung. 2019 wächst der chinesische Druck auf Italien. Es soll sich der chinesischen Initiative zum Bau der "Neuen Seidenstraße" anschließen. Ende März 2019 kommt Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping nach Italien. Dann könnte eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet werden. Italien wäre dann als bisher größte Volkswirtschaft und Mitglied der G7 dabei. China lockt mit großen Investitionen. Es fordert auch "Respekt vor Kerninteressen". Damit sind die Ansprüche im Ost- und Südchinesischen Meer gemeint. Deutschland übt scharfe Kritik an der geplanten Kooperation zwischen China und Italien. China als als Einfallstor in Italien den Hafen Triest im Nordosten Italiens gewählt.  Andere EU-Länder wie Griechenland, Portugal und Ungarn haben entsprechende Vereinbarungen schon unterschrieben. Vgl. Peter Frankopan: Die Neuen Seidenstrassen. Gegenwart und Zukunft unserer Welt, Berlin 2019.Ende April 2019 (Eröffnung 26.04.) findet ein weiterer Gipfel zur "Neuen Seidenstraße" in Peking statt. Aus Deutschland ist Wirtschaftsminister Altmaier dabei. Xi Jinping gibt bekannt, dass bereits Infrastruktur-Verträge in Höhe von 64 Milliarden Dollar abgeschlossen wurden. Laut Außenminister Wang haben 126 Länder und 29 internationale Organisationen Verträge abgeschlossen. Seit 2013 wurden Kredite in Höhe von 265 Milliarden Euro von verschiedenen Banken vergeben. "Die Chinesen nutzen skrupellos ihre Wirtschaftskraft, um politischen Einfluss zu nehmen", Jörg Wuttke, 2019, Präsident der Europäischen Handelskammer und für die BASF seit 22 Jahren in China aktiv

Trump verschärft den Handelskrieg (vgl. Abschnitt 11) mit China auch, um den Vorsprung der USA in der Welt zu konservieren. Der Schuss könnte aber nach hinten losgehen. China forciert als Gegenschlag seine technologische und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die Entglobalisierung könnte so den Abstieg der USA beschleunigen und erhöht gleichzeitig das Risiko militärischer Konflikte. So wird der Wohlstand der ganzen Welt gefährdet. Demonstrationen in Hongkong finden 2019 immer wieder statt. Sie treten für Freiheit und Demokratie ein. Hongkong ist eine chinesische Sonderverwaltungszone. Auslöser der Proteste waren die Versuche Chinas, Sonderrechte der Bewohner in der Sonderverwaltungszone einzuschränken (Daten nicht an die VR China). Der Erfolg des "Trumpismus" in den USA verstärkt aber die Schwächen Europas und hilft indirekt China den Weg zu ebnen. Die Europäer und auch die Kanadier müssen ihre neue Rolle erst wieder finden. Es gibt noch keine Antwort auf die Krise der Demokratie.

China unterstützt seine Strategie im Global Government auch durch eine sehr effektive Informationspolitik. Diese ist im eigenen Land so erfolgreich, dass außerhalb der Ballungsgebiete die Menschen mittlerweile tatsächlich glauben, der Corona-Virus komme aus den USA. Nach außen hat China Maskenlieferungen und Lieferungen von Schutzkleidung gegen Covis-19 nach Italien, Serbien und Ungarn und in andere Länder, die von der EU finanziert wurden, als chinesische Spenden deklariert und war damit sehr überzeugend. Die Corona-Krise wurde auch für die Propaganda im Systemwettbewerb benutzt: Immer wieder wurde herausgestellt, dass China die Krise besser bewältigt habe als die USA. Hongkong, das für China keine große ökonomische Bedeutung mehr hat und gegenüber Shenzhen immer mehr zurückfällt, wird als Testfall für Taiwan missbraucht. Man testet aus, wie weit man gehen kann und wie man mit Sanktionen fertig werden kann.  Die KPCh wird durch die Corona-Krise legitimiert, ihre Kontrolle über die Bevölkerung mit einer anderen Begründung auszubauen. In der WHO und anderen Organisationen schlüpft China in die Lücke, die die USA hinterlässt, und dominiert vor allem die Informationspolitik (Covid-19 wurde zu lange verharmlost). Die Informationspolitik (negativ Propaganda) ist für das Regime von systemrelevanter Bedeutung: Es geht letztendlich darum, das Aufstiegs- und Wohlstandsversprechen (analog dem "American Dream") gegenüber der Bevölkerung zu retten. Davon hängt die Existenz der KPCh ab. Der deutsche Virologe Kekule (Uni Halle), der öfter in Talkshows in Deutschland auftritt, wird geschickt missbraucht. Eine Äußerung von ihm über die Ausbreitung des Corona-Virus wird passend zurecht gestutzt: Danach ist die weltweite Pandemie in Oberitalien ausgebrochen, weil erst der Typ W des Virus die Pandemie verursacht habe.

China baut systematisch sein eigenes Netzwerk auf. Es wurden und werden neue multilaterale Institutionen aufgebaut: Asian Development Bank, Asian Infrastructure Investment Bank, Shanghai Cooperation Organisation. Sie bilden ein Gegengewicht zum "Washington Consenus" (IWF, Weltbank). Mehr als 100 Staaten unterstützen die diplomatische Großoffensive im Zusammenhang mit der "Neuen Seidenstraße" (siehe ganz oben). Die "neue Seidenstraße" als Projekt ist sehr komplex: Es sind chinesische Direktinvestitionen, Kredite, Infrastruktur, Militärstützpunkte und wichtige Verkehrswege. Hauptprofiteure sind Pakistan, Russland, Indonesien, Kasachstan, Vietnam. Manche  Stränge laufen im Hintergrund, wie der gute Draht zur Militärjunta in Myanmar. Hier sieht man eine perfekte Verbindung von Macht und Korruption. Man geht auch gezielt in Konfliktzonen. So kann man im März 2021 einen Pakt mit dem Iran schließen. Auch zum IWF baut man ein Gegensystem auf. Chinas Gegensystem zum IWF: Es ist für Länder des globalen Südens gedacht. Seit der Jahrtausendwende wurden 104 Mrd. $ an EL an Kredite vergeben. Das ist etwa 40% der Kreditvergabe des IWF. Hinzu kommen 240 Mrd. $ an Liquiditätshilfen und Notkrediten an über 20 Länder, davon allein 185 Mrd. von 2016 bis 2021. Der Zins lag mit 5% höher als beim IWF mit Durchschnitt 2%. Vieles hängt mit der Neuen Seidenstraße zusammen. Die chinesische Zentralbank hat auch gigantische Währungstauschgeschäfte gemacht. Ein großer Teil der Notkredite lief über SWAP-Abkommen. Vgl. Studie des IfW, Kiel 2023. Auch FAZ 29.3.23, S. 19.

Gegenbewegung: Die Strategie Chinas bleibt nicht verborgen.  Die USA organisieren in Asien ein Bündnis gegen China. Sie schmieden eine Allianz, die man "Quad" nennt. Ihr gehören neben der USA Indien, Australien und Japan an. Die USA bemühen sich noch um Indonesien, Sri Lanka und die Malediven (latent auch Neuseeland und Kanada). Peking sieht die Gruppe als asiatische Nato, deren Ziel die Eindämmung Chinas ist. Auf jeden Fall sucht man gemeinsam auf eine Antwort auf Chinas Machzuwachs. Der Widerstand in der Welt gegen China wächst. Am 12.3.21 halten die Staatschefs von USA, Japan, Indien und Australien einen virtuellen Indopazifik - Gipfel ab: Ihr Treffen soll ein Signal an Peking sein. Die EU (Konferenz der Außenminister am 16.3.21) verhängt erstmals seit 1989 wieder Sanktionen gegen China: Einreiseverbote und Konteneinfrierung. Grund sind die Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren in der Provinz Xinjiang. Großbritannien macht 2021 einen "Schwenk nach Asien". Man will sich stärker auf die Bedrohung durch China konzentrieren. Das Atomarsenal soll vergrößert werden. China verhängt Sanktionen gegen Deutsche (EU-Politiker, Mercator-Institute for China Studies). Es werden auch Sanktionen gegen die USA und Kanada verhängt. Die Sanktionen sind beiderseitig eher symbolisch (wie auch die Uiguren nur vorgeschoben sind). Aber im Hintergrund geht es um strategisches Ringen in der Weltpolitik. China fühlt sich nach seinem Wirtschaftsaufstieg in der Position, dem Westen die Stirn zu bieten. China, die USA und die EU sind ökonomisch in der Globalisierung stark vernetzt, so dass ein Handelskrieg alle treffen würde. Das größte Risiko hat die EU, vor allem Deutschland. Immer öfter wird eine klare Position gefragt sein, wie bei Russland, Nord Stream 2 und anderem.

Der harte Kurs der USA unter Trump hat China eindrücklich klargemacht, dass es sich bei Wertschöpfungs- und Handelsketten unabhängiger machen muss. China macht sich deshalb bei Vorleistungen zukünftig autarker. Umgekehrt macht es andere Länder stärker von sich abhängig. China betreibt global eine knallharte Machtpolitik (Realpolitik). Beim Verhältnis zu Deutschland setzt Xi auf Scholz. In einem Telefonat mit Scholz am 21.12.21 warb er für eine Entwicklung der Beziehungen "auf Kurs". Xi hofft dass der Kanzler den Kurs bestimmt und nicht die Außenministerin. Im Ukraine-Krieg steht China fest an der Seite Russlands. Damit zeichnet sich eine neue Weltordnung mit zwei Blöcken ab. Das Schweigen in Peking zu dem Krieg kostet China viele Sympathien in der Welt. China läuft Russland aber nicht hinterher, versteht aber seine Sicherheitsinteressen (wie Indien auch). Man kann nicht von einer strategischen Allianz sprechen. China braucht eine stabile Weltordnung für die weitere Modernisierung in Wohlstand.

Exkurs: Olympische Winterspiele 2022 in China (Zusage 2015 vergeben; 4. bis 20 Februar 2022): Man wird die Winterspiele sicher im Westen und in einigen anderen Ländern benutzen, um Menschenrechte in China einzufordern. Der neue US-Präsident Biden erwägt sogar einen Boykott un dfühlt in westlichen Hauptstädten vor. Frankreich ist dagegen, weil Olympia 2024 in Paris ist. Auch Großsponsoren aus den USA wie Airbnb, coca Cola, Dow Chemical. Auch die Allianz aus Deutschland sponsert. Diese Kritik ist immer scheinheilig. Zuerst sollte man mal den Vergabeprozess unter die Lupe nehmen. Warum bekommt ein Land ohne Wintersport - Tradition die Spiele? Weil es sonst niemand mehr finanzieren will (ähnlich die Fußball-WM in Katar,  damit geht es noch nicht um Korruption der Vergabe selbst). Menschenrechte sollte man beim Bau und bei der Austragung  beachten. Beim Bau der Sportstätten 2008 und vorher in Peking wurde massiv Zwangsarbeit eingesetzt und es wurde nachts gearbeitet (weil tagsüber die Lastwagen wegen des Verkehrs nicht fahren konnten). Das hat niemand interessiert; stattdessen wurde über Tibet diskutiert. Es wäre meiner Ansicht nach fairer, Menschenrechte und Sport direkt zusammenzubringen. Die Spiele sollen vom 4. Februar bis 20 Februar 2022 ausgetragen werden. Das wären die ersten direkt hintereinander (Japan, China) in Asien ausgetragenen Olympischen Spiele. Hauptaustragungsort ist das Nationalstadion in Peking. Dort finden 15 Disziplinen statt. Weitere Austragungsorte sind  Zhanjiakou (dort hatte das OAI früher eine Partneruni; die Stadt war eine reine Garnisonsstadt ohne Ausländer) und Yanqing. Für das Land ist da sein wichtiges Statussymbol. Hauptzweck dürfte aber ein geplanter Boom sein: man will den milliardenschweren Wirtschaftszweig Wintersport erschließen. Man schreibt ein Playbook. Dieses enthält genaue Regeln für die Spiele, um Corona zu verhindern. Es sind auch drastische Strafen vorgesehen. Der Club der Auslandskorrespondenten (FCCC) beschwert sich immer wieder über eingeschränkte Pressefreiheit (keine Unterstützung, Argwohn, Einschränkungen). Die USA verkünden Anfang Dezember 2021 einen Diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele. Es werden keine Diplomaten und Regierungsvertreter entsandt. Als Grund geben die USA Menschenrechtsverletzungen an. Dieser Position folgen GB, Neuseeland und Australien. Gegen die Spiele gibt es diesmal keine Proteste in Tibet oder Dharamsala/ Indien. Die Repressionen haben sich durchgesetzt. Außerdem ist viel Infrastruktur in Tibet gebaut worden, von denen allerdings hauptsächlich Han - Chinesen profitieren. China hat die Kommunikation mit Dharamsala unterbunden, so weit es geht. Die Kritik an den Olympischen Spielen kommt diesmal von Klimaschützern und Umweltaktivisten. Die Skipisten liegen zwar in hohen und kalten Regionen in der Nähe von Peking, aber wegen des Wassermangels und der Wüstenbildung gibt es keinen Schnee. Alles muss mit Kunstschnee aufgebaut werden. Das Wasser wird von weit hergeholt. Das Umweltproblem dürfte heute aber bei allen Winterspielen relevant sein. Die Olympischen Spiele erhöhen den Druck auf China, Corona in allen Mutanten im Zaum zu halten. Die Null - Covid -Strategie wird immer härter umgesetzt. Sie führt in den betroffenen Regionen zu Versorgungsengpässen, Hunger und großer Unzufriedenheit. Die chinesen haben große Angst vor der Ausbreitung des Coronavirus. 243 NGOs fordern im Januar 2022 einen diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele. An der Spitze steht Human Rights Watsch. Aber auch die Athleten sind nervös: Sie fürchten unfaire Wettbewerbsbedingungen, verseuchte Lebensmittel und Spionage (App). Die ausländischen Gäste werden vom Rest der Bevölkerung getrennt. Die strenge Abschirmung erzählt viel darüber, wie sich das Land seit den Sommerspielen 2008 verändert hat (nicht nur Corona-Gründe). Die Eröffnung ist am 4.2.22. Deutsche Fahnenträger sind Claudia Pechstein und Francesco Friedrich. Die Olympische Flagge wird von der uigurischen Ski-Langläuferin Dinigeer Yilamujiang entzündet, was auch wieder viele als Provokation empfinden. Maskottchen der Spiele ist Bing Dwen Dwen. Es ist einem Panda-Bär nachempfunden.

Exkurs. Olympische Sommerspiele in Paris 2024: China wollte einen Medaillenregen feiern und eine Charmeoffensive starten. Das Regime instrumentalisiert immer solche Ereignisse und macht folglich einen politischen Bauplan.. Die USA konnte man nur fast einholen. Doch es kam auch anders. Es gab Dopingvorwürfe, insbesondere gegen das Schwimmerteam und die WADA. Das Herzmittel Trimedazidin soll im Hotelessen gewesen sein, das die Sportler gar nicht besuchten. Damit machte sich China eher lächerlich  und entlarvte auch das korruptive Olympische Komitee. China startet eine Gegenoffensive und  greift auch Deutschland an. Vgl. t-online, 14.8.24.

Spaltung der Weltwirtschaft nach dem Ukraine-Krieg: Russland und China werden ihre Lehre aus den Wirtschaftssanktionen des Westens ziehen. 1. Zahlungssysteme: Die Sanktionen zwingen Banker aus Sankt Petersburg und Moskau sich in China umzuschauen. Chinas Konzerne bieten Alternativen. UnionPay und das Zahlungssystem Cips freuen sich. 2. Rohstoffe: Die Staatswirtschaften akzeptieren den Weltmarkt nicht. Sie schließen mit wichtigen Ländern Lieferverträge (Saudi-Arabien, Venezuela). Sie bieten Gegenleistungen wie Schutz, Diplomatie und Waffen. 3. Industrie-Inputs: Vorleistungen werden vorgeschrieben. Russland verwendet eigene Chips wie Baikal oder Ebrus. Bisher werden die Chips in Taiwan gefertigt. Künftig sollen chinesische Firmen das machen. Vgl. Nass, Matthias: Sie planen die Spaltung, in: Die Zeit Nr. 14/ 31.3.22, S. 24. 4. Währung: Der Renminbi ist noch nicht frei handelbar und als Weltwährung zu schwach. Die Frage ist, inwieweit eine Digitalwährung in die Lücke springen kann.

Annäherung der beiden Supermächte auf dem G20-Gipfel in Bali: Bei diesem Gipfel kommt es zum ersten persönlichen Zusammentreffen zwischen den Staatschefs von den USA und China seit 5 Jahren. Das Treffen verläuft wesentlich freundlicher als erwartet. Auf beiden Seiten ist der deutliche Wille zu erkennen, die desaströsen Beziehungen beider Länder zu verbessern. Man spricht über rote Linien. Beide Länder verurteilen Atomkriege und die Drohung damit, auch in der Abschlusserklärung. Damit ist Russland diplomatisch isoliert (Putin ist gar nicht erst erschienen). Beide Länder haben Interesse an einer positiven Entwicklung der Weltwirtschaft.

Weltwirtschaftsgipfel in Davos 2023: Xi schickt den stellvertretenden Ministerpräsidenten Liu He, seinen Vertrauten für Wirtschaft. Der kündigt eine positive Entwicklung an. Ein Gesetz für finanzielle Stabilität sei in Arbeit (vor allem Immobilienbranche). China müsse das Gleichgewicht nach Corona wieder finden wie die USA und die ganze Welt. Das Wachstum werden wieder auf ein normales Niveau kommen (2022 nur 3%). In der sozialistischen Marktwirtschaft spielten Markt und Staat eine wichtige Rolle. Die Rechtsstaatlichkeit sei gesichert. Vgl. FAZ 18.1.23, S. 17.

Chinas Zwölf-Punkte-Plan für die Beendigung des Ukraine-Krieges: Er wird im Februar 2022 vorlegt. Beide Seiten werden zu Verhandlungen aufgerufen. Er pocht auf Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität. Er fordert den Verzicht auf Einsatz von Atomwaffen. Später bringt Der Spiegel ans Licht, dass Verhandlungen zwischen Russland und China über die Lieferung von Kampf-Drohnen  an Russland für den Ukraine-Krieg laufen. Das würde vieles verändern. Wenn Xi 2023 Russland besucht, will er mit Putin nach Lösungen suchen. Er strebt auch Gespräche mit der Ukraine an (Selenski). In dem Papier fordert China auch Erleichterungen von Getreideexporten und Stabilisierung von Lieferketten. Das ist für die Länder des globalen Südens wichtiger als der Grenzverlauf zwischen Russland und der Ukraine. China signalisiert damit dem globalen Süden, ein Advokat seiner Sorgen und Nöte zu sein; Xi hat zunehmend Einfluss in der Welt. Ende April 2023 telefoniert Xi mit dem Präsidenten der Ukraine Selenskyj über den Krieg. China entsendet einen Sondergesandten in das Krisengebiet.

Russland-Reise im März 2023: Am 20.3.23 kommt Xi zu einem Staatsbesuch nach Russland. Er bleibt drei Tage. Im Kern geht es um die neue Weltordnung. Nach der Vermittlung zwischen Iran und Saudi-Arabien spürt Xi Aufwind und wird auch versuchen, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Doch im Zentrum steht die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Russland und China (mehr Öl- und Gasimporte von China, mehr Technologieexporte von China, militärische Kooperation). Es wird ein Abkommen unterzeichnet für den Ausbau der strategischen Partnerschaft bis 2030.

Neue Weltordnung: Xi propagiert 2023 auf dem Volkskongress und später eine neue Weltordnung. Sie verfängt vor allem im globalen Süden. Die Jahrzehnte, in denen sich die USA als Weltpolizei aufspielten, haben zu Animositäten geführt. Die Europäer stehen wegen ihres kolonialen Erbes in vielen Ländern am Pranger. China steht hingegen für Pragmatismus. Es bietet ein Wirtschaftsmodell an, das Hunderte Millionen Menschen aus Armut geführt hat. Es propagiert keine Werte wie die Menschenrechte. Vgl. Kretschmer, Fabian: China erwacht, in: Die Rheinpfalz 27.3.23, S. 2. Regionale Interessen stehen aber bei China im Vordergrund. Man will nicht Weltpolizist werden. Im April 2023 erregt eine Äußerung des chinesischen Botschafters in Frankreich Aufsehen. Lu Shaye weist darauf hin, dass die heutigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion nicht notwendigerweise souverän seien. Die Staaten hätten keinen effektiven Status im Völkerrecht. Der Außenminister Qin Gang wird im Juli 2023 abgesetzt (vorher verschwindet er wochenlang von der Bildfläche). Nachfolger wird sein Vorgänger Wang Yi. Es gibt viele Gerüchte zu der Ablösung.

Beschlüsse zu China auf dem G7-Gipfel in Hiroshima im Mai 2023 und BRICS-Erweiterung: Im Mai 2023 findet in Japan/ Hiroshima ein G7-Gipfel statt. Anwesend sind auf Einladung auch weitere wichtige Länder: Indien, Brasilien, Indonesien. Es werden auch Beschlüsse zu China gefasst. Der wirtschaftliche Aufschwung dort sei gewollt uns solle nicht behindert werden. Aber die Gangart soll härter werden. Es sollen Lieferketten breiter werden und das Risiko minimiert werden. Ein Outbound - Investment - Screening wird eingeführt. Es soll ungewollte Technologietransfers verhindern. China drückt sein "starke Unzufriedenheit" über die Beschlüsse aus.  Deutschland mahnt zur Zurückhaltung. Auf dem BRICS-Treffen in Johannesburg in Südafrika nimmt BRICS sechs zusätzliche Länder auf und wird zu BRICS plus. China versucht den Pakt, gegen den Westen zu positionieren. Einige Länder scheinen aber da nicht mitzuspielen (Indien, Südafrika, Brasilien, Argentinien)

Exkurs. Tourismus: Von 120 auf 200 Mio. war die Zahl chinesischer Reisepässe zwischen 2016 und 2020 gestiegen. Corona hat dann zum Zusammenbruch des Tourismus geführt. Das war eine Ära des "social distancing", die den Abstand zum Westen vergrößerte. 2023 kann sich der Abstand vielleicht wieder verringern, denn die Menschen reisen wieder. Das ist gut. Denn viele Chinesen haben dunkle Ideen über die westliche Welt entwickelt, ganz im Sinne der Regierung. Das nennt man auch "Wahrnehmungskluft". Wenn die Jungen und Gebildeten wieder reisen, können sie das Ausland mit eigenen Augen sehen. Vgl. Zand, Berhard: Die Chinesen kommen - gut so! in: Der Spiegel 6/ 4.2.2023, S. 82f. Auf der Sitzung des Volkskongresses im März 2023 wird bekannt gegeben, dass sich das Land wieder ganz dem Tourismus öffnet. Auf der anderen Seite ziehen die Chinesen seit Neuestem Urlaubstage im eigenen Land den Reisen in ferne Gegenden vor. Reisen wird insofern auch als patriotische Tat definiert. Nur noch ein Bruchteil der Chinesen reist ins Ausland. Das hängt auch mit der Wirtschaftslage zusammen. Sowohl in den sozialen Medien als auch in den traditionellen Papierzeitungen häufen sich die Negativschlagzeilen übers Ausland. Gegen Japan läuft eine Desinformationskampagne wegen dem Kühlwasser in Fukushima. Vgl. Kretschmer, Fabian: Reisen als patriotische Tat, in: Die Rheinpfalz 2.10.23, S. 1. Wer aus Deutschland zwei Wochen nach China reisen will, braucht bald kein Visum mehr. Das ist ein eindeutiges Signal, vor allem für Wirtschaftsvertreter. 2024 will Chinas Führung das Land wieder öffnen. Doch das Interesse der Welt hält sich in Grenzen. Der Tourismus kommt nicht recht in Gang. Die Expats sind misstrauisch. Das akademische Interesse ist eingebrochen. 2019 studierte eine halbe Million Ausländer in China, 2023 weniger als 200.000. Vgl. Mühling, Jens: Wo sind sie denn alle? in: Die Zeit 16/ 11.4.24, S. 8.

Exkurs. Zibo: Zibo ist 2023 eine 4,5 Millionen-Stadt in der Provinz Shandong, wo auch Qindao liegt. Neuerdings gibt es einen wundersamen Tourismusboom. Besuchermassen tauchen auf. Zuerst vermutet man, dass es mit dem ehemaligen Fifa-Präsident Sepp Blatter zu tun hat. Er hatte die Stadt 2004 zum Geburtsort des Fußballs erklärt. Vor 2000 Jahren sei hier ein Sport namens Cufu (Tretball) erfunden worden. Mittlerweile glaubt man, dass Influencer den Boom ausgelöst haben. Zuerst kamen Studenten, jetzt Touristen aus ganz China. Vgl. Süddeutsche Zeitung 10.5.23, S. 13.

Die USA haben ein Interesse daran, dass China seinen Einfluss auf Länder wie Iran nutzt. Xi hat ein Interesse daran, das internationale System im chinesischen Interesse umzubauen, um den Einfluss der USA zu schwächen. Ende November 23 treffen sich Xi und Biden am Rande des Apex-Gipfels.

Bündnisse gegen die USA: China hat eine Strategie entwickelt, wie man die Kriege in der Welt für sich nutzen kann. Schon zu Beginn des Ukraine-Krieges praktizierte China "pro-russsiche Neutralität". Es gab eine Schlagseite zu Russland hin. Handelspolitisch holte man das beste für sich heraus und sprang zum eigenen Vorteil in die Lücke, die der Westen hinterließ. Gleichzeitig versucht man möglichste viele Länder aus dem Block des Westens herauszulösen. Die gleiche Strategie fährt China im Gaza-Krieg. Der Terroranschlag der Hamas wird ignoriert und man betreibt jetzt eine "pro-palästinensische Neutralität". Man will den arabischen Block hinter sich versammeln und die Dominanz des Westens unter Führung der USA durchbrechen. Man braucht die Araber auch, um gegen die Uiguren Ruhe zu haben.

Langfristziel und Strategie: China hat ein großes Ziel, was es kontinuierlich anstrebt und worauf es seine Grundstrategie abstellt. Man spricht auch von einem 100-Jahre-Plan. 2049 will das Land mit den USA auf Augenhöhe sein. Das gilt militärisch, wirtschaftlich und geopolitisch. Die Geoökonomie steht nach außen im Vordergrund. Man beobachtet noch nicht Missionierung (obwohl man auf Autokratie und asiatische Menschenrechtserklärung setzt). China war in Afrika deshalb so erfolgreich, weil es alle politischen Systeme dort toleriert hat. Das Angebot an die ärmeren Länder ändert sich aber: Mehr Message, weniger Geld. Nach außen spricht man von Multipolarität, meint aber wohl eher Bipolarität (mit den USA). Insofern verhandelt man über die großen Probleme am liebsten mit den USA (Deutschland und die EU wird an der langen Leine gesehen). Gegenwärtig noch wird der Satz von Biden akzeptiert: Die Welt ist groß genug für uns beide. Ein Angriff auf Taiwan ist deshalb noch unwahrscheinlich, weil China pragmatisch ist. Eine komplette Abriegelung ("Stiller Tod") würde die Welt schon so in Chaos stürzen (Zusammenbruch der Lieferketten). Asien kann China allein schon durch seine Staudämme (Tibet) und seine finanziellen Ressourcen ("Neue Seidenstraße") unter Kontrolle halten (Tibet, alle große Flüsse Asiens). China wird insgesamt Harmonie predigen und die Spaltung der Welt rigoros ausnutzen.

Entdollarisierung und Vorbereitung auf Eskalation: Dei Chinesen bereiten sich systematisch auf eine Eskalation der geopolitischen Konflikte vor. Die Militärausgaben wurden 2024 um 7,2% erhöht auf umgerechnet 214 Mrd. €. Dei Armee ist schon die größte der Welt. In allen Tech -Bereichen will man sich vom Westen emanzipieren. 2023 kauft China mit 224,9 Tonnen das meiste Gold der Welt auf (vor Polen, Singapur, Libyen). Zuggleich tut man alles, um dei eigene Währung Remminbi im globalen Zahlungsverkehr aufzuwerten. Man schließt Swap-Abkommen mit vielen Zentralbanken des globalen Südens. Dei Swap-Linien ermöglichen es anderen Zentralbanken, ihre lokale Währung in Remminbi zu tauschen. Damit stößt man in Ländern wie Brasilien, Russland, Indien und Südafrika auf Resonanz. Das De-Risking betrifft auch globale Handelsströme. Erstmals exportierte China 2023 mehr Waren in seine direkten Nachbarländer in Südostasien als die USA. Die Exporte in die 150 Partnerländer der Neuen Seidenstraße (unter anderem Indien, Indonesien, Russland, Saudi-Arabien, Marokko) übertrafen erstmals die Ausfuhren nach Europa, Japan und in die USA. Es müssen allerdings immer noch Kapitalverkehrskontrollen angewendet werden, um zu verhindern, das große Vermögen das Land verlassen. Vgl. Petring, J./ Losse, B./ Leonardt, J.: Chinese Walls, in: WiWo 13/ 22.3.24, S. 36f.

Exkurs. Zölle gegen chinesische Importe im Globalen Süden: China tritt im globalen Government gern als der große Freund des Globalen Südens auf. Aber viele ärmere Länder wehren sich plötzlich mit Zöllen gegen Importe aus der Volksrepublik. In den ersten 6 Monaten des Jahres 2024 musst sich Peking mit 64 Anti-Dumping-Ermittlungen von Handelspartnern auseinandersetzen. China wird unterstellt, Waren unter Herstellungspreis zu verkaufen, etwa um Marktanteile zu erobern oder um unwirtschaftliche Fabriken mit Staatshilfe am Leben zu halten. Damit hat sich dei Zahl der Ermittlungen im Vergleich zum Vorjahrszeitraum verdoppelt. Zu den Ländern, die entsprechend handeln zählen Chile, Südafrika, Mexiko und  die Türkei. China verändert sein Verhalten, weil es in einer Wirtschaftskrise steckt. Deshalb soll um jeden Preis exportiert werden. Hinzu kommt, dass der Westen Handelsbarrieren aufbaut. Nun fürchtet der Globale Süden, mit Gütern überschwemmt zu werden. Einige Länder zwingen China im eigenen Land zu produzieren, etwa Thailand. Andere pokern mit dem Westen um die besten Handelsverträge. Vgl. Fischermann, Thomas: Womit keiner rechnet, in: Die Zeit 35/ 15.8.24, S. 19

11. Handelskrieg mit den USA ab 2018 und Auswirkungen: 2018 häufen sich Probleme in der Ökonomie des Landes. Seit Januar sind die Kurse an den chinesischen Aktienmärkten im Schnitt um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Das Wachstum hat sich auf 6,7% verringert (teilweise, weil die Staatsinvestitionen  zurückgefahren wurden). Die Schuldenberge der öffentlichen Haushalte sollen abgetragen werden. Die Technologiebranche kämpft mit Rückschlägen. Xiaomi erzielt beim Börsendebut in Hongkong nur die Hälfte der anvisierten 100 Mrd. Dollar. In diese Bedingungen kommt der Handelsstreit mit den USA. Trump droht sogar damit, alle chinesischen Waren zu belegen. Doch welche Möglichkeiten hat China? Dienstleistungen in den USA könnten mit Zöllen belegt werden. Das wäre aber eine Katastrophe für die vielen Familien und Freunden in den USA, ganz zu Schweigen von den notwendigen Wirtschaftsprüfungsfirmen (Aktienrecht von USA abgeschrieben). Ein Verkauf der hohen Dollarreserven würde den Zinsdruck in den USA verstärken, aber der Anteil Chinas liegt bei nur 7%. Seltene erden könnten verknappt werden (China fördert mehr als 80%). Beim Boykot amerikanischer Waren wären stark US-Firmen in China betroffen (Apple, McDonald´s). Eine Erschwerung der Bürokratie in China würde den Ruf des Landes im Ausland schädigen. Ein Währungskrieg (Abwertung de Yuan) könnte die Exporte erhöhen, aber die Importe würden teurer (Verleistungen für viele Exportprodukte). Die Gefahr einer Asienkrise wäre groß (vgl. auch Xifan Yang: Angst in China, in: Die Zeit, Nr. 31, S. 19. Im Juni (29 Mrd. $) und Juli (28 Mrd. $; Exporte +12,2%) 2018 werden Rekordüberschüsse im Handel mit den USA erzielt. Es könnten Vorwegnahmen sein, aber auch die Abwertung des Yuan wirkt. Am 23. August 2018 treten weitere Strafzölle der USA in Kraft: 279 Waren im Werte von 16 Mrd. $ (Metalle, Chemikalien, Elektronik). Chinas Wettbewerbsfähigkeit könnte gestärkt werden. China antwortet sofort mit Retorsionszöllen.  Dann einigt man sich beim G20-Treffen in Buenes Aires auf eine Aussetzung der Zölle bis Ende März 2019. Der Handelskrieg ist nur eine Dimension des Kampfes zwischen den beiden Weltmächten um die politische und militärische Vorherrschaft in der Welt. Hoffentlich geraten die USA nicht in die berühmte Falle des Thukydides. Der Dichter sah im Aufstieg Athens den Grund für den peloponesischen Krieg zwischen Sparta und Athen im 5. Jahrhundert vor Christus: "Den wahrsten Grund sehe ich im Wachstum Athens, das die erschreckten Spartaner zum Kriege zwang". "Du führst deinen Krieg, ich führe meinen", Mao Zedong. Vgl. auch: Bernhard Zand: Messer am Hals, in: Der Spiegel, Nr. 1; 29.12.2018; S. 12ff.

Der Protektionismus der USA kann aber den Aufstieg Chinas nicht verhindern, nur verlangsamen (dies würde auch für einen erschwerten Technologietransfer gelten). China sollte in das internationale System mehr eingebunden und dann auch sanktioniert werden. So auch der US-Ökonom P. Krugman: Wir sind nicht vorbereitet, in: Der Spiegel 2/2019, 5.1., S. 69. "Ein voller Handelskrieg triebe den jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden Chinas auf 30 Mrd. $", Gabriel Felbermayr, Ifo-Institut, bald Institut für Weltwirtschaft Kiel; Quelle: China, wir und die neue Aufteilung der Welt, in: Focus 5/2019, S. 52.

Manche sprechen mittlerweile von einem Art Kalten Krieg 2.0. China ist den USA zu gefährlich geworden. Der kalte Wirtschaftskrieg wird um Hochtechnologie, Rohstoffe und Finanzmacht geführt. Kurz bevor sie ökonomisch überholt werden, brechen die USA in eine Torschlusspanik aus. Auf allen Kontinenten haben sich die Chinesen eingekauft. Sie sichern sich Lebensmittel, Rohstoffe und Macht. Immer öfter stößt man auch direkt aufeinander wie in Venezuela 2019: China stützt Maduro, die USA Guaido. Huawei wird Spionage und Betrug vorgeworfen, obwohl das nicht belegt werden kann. Auch Iran-Sanktionen sollen verletzt worden sein. Mit dem Sanktionsmechanismus wird Politik gemacht. Die USA versuchen, eine Anti-China-Allianz aufzubauen. Für Unternehmen die nicht einem der beiden Länder angehören, wird das zunehmend zu einem Risiko. Vgl. Wirtschaftswoche, Ausgabe 6, 02.02.2019, S. 59ff. und Sieren, F.: Zukunft? China! , München 2018, S. 265ff. Der Kampf der beiden Supermächte China und USA betrifft in starkem Maße die EU, dei ökonomisch etwa gleich stark ist. Beide Länder versuchen mit allen Mitteln die EU zu spalten (China über die "Neue Seidenstraße", die USA über Militärprojekte mit Osteuropa und über GB). Lightnizer, der Handelsbeauftragte, kündigt im Mai 2019 eine Ausweitung der US-Zölle auf die Höhe von 25% auf alle verbliebenen Importe aus China an. Das beträfe Waren im Wert von 300 Mrd. $. Er setzt eine Frist von drei Monaten für ein Abkommen. China ist in der schwächeren Position, weil es nur noch die Zölle erhöhen kann. Im Mai 2019 setzen die USA Huawei auf eine "schwarze Liste". Daraufhin will Google das Unternehmen nicht mehr mit dem Betriebssystem "Android" versorgen. Das könnte Huawei schwer schaden. Dann werden die Strafmaßnahmen gegen Huawei wieder etwas gelockert (zunächst für drei Monate; Software wird geliefert). Damit erreichen die Sanktionen eine neue Dimension. China antwortet mit einer Androhung eines Exportstopps beziehungsweise einer Exportbeschränkung bei Seltenen Erden (China liegt weit vor Australien, den USA und Sonstigen). Diese werden für die Handy-Produktion benötigt. 2019 ist China der Rohstoffproduzent für 70% der Seltenen Erden. 80% davon werden in die USA exportiert. Ebenso macht China eine Liste mit "unzuverlässigen" ausländischen Firmen. Mittlerweile hat China die USA bei Patentanträgen überholt (2017: 1,3 Mio. gegenüber 525476 aus den USA). Die Devisenreserven lagen 2018 noch immer in China über 3 Billionen Dollar gegenüber 0,2 in den USA (ohne Goldreserven). Es geht um die Weltherrschaft. Ab 1.6.19 treten chinesische Zölle in Höhe von 53,8 Mrd. Dollar auf Importe aus den USA in Kraft. Abgaben in Höhe von 5 bis 25% werden erhoben (5400 Produkte: Kosmetika, Kaffeemaschinen, Musikinstrumente, Sportartikel, Kondome, Diamanten, Wein). Am 01.08.19 verhängen die USA neue Strafzölle gegen China: Es handelt sich Produkte im Wert von rund 300 Milliarden Dollar. Die Strafzölle gelten ab September 2019 und haben die Höhe von 10%. Die Handelsgespräche wurden vorerst ohne sichtbare Fortschritte beendet. Sie sollen im September 2019 fortgesetzt werden.  Betroffen sind besonders wichtige Produkte für China wie Handys, Laptops, Textilien und Spielzeug. Die Produkte werden in den USA teurer. Die USA scheinen die Veränderung von Lieferketten zu beabsichtigen. Als Retourkutsche werten die Chinesen ihre Währung ab. Vorübergehend rutscht der Renminbi unter 7 (die chinesische Zentralbank, die nicht unabhängig ist, hat den größten Einfluss). Die USA sprechen von Währungsmanipulationen. Die USA verschieben die jüngsten Zollerhöhungen von 10% gegen China auf Anfang Dezember 2019 (wegen Weihnachtsgeschäft in den USA). Im August 2019 verkündet Trump die Einfuhrzölle gegen China, die es schon gibt, auf 30% zu erhöhen. China kündigt sofort ebenfalls eine Erhöhung an. Mitte Oktober 2019 spricht Trump von einem Teilabkommen: Er verzichtet auf weitere Erhöhungen. Einigung bei Geistigen Eigentum, Finanzdienstleistungen und Agrarprodukten (China sagt hier feste Importe zu).  Mehr soll bei einem Treffen von Xi und Trump im November kommen. Anfang November 2019 kommt man zu einer Verständigung, Sonderzölle wieder abzubauen. Es soll schrittweise abgerüstet werden. Im Dezember 2019 (Treffen zwischen Trump und Xi Jinping) soll ein Handelsvertrag abgeschlossen werden. Im November 2019 sind die chinesischen Exporte in die USA um 23% eingebrochen. Mit China spricht man im Dezember 2019 von einem Teilabkommen. Die USA gehen auf China zu. Neue Strafzölle treten nicht in Kraft 15%, Warenwert 160 Mrd. ). Das so genannte Phase-Eins-Abkommen wird am 15.01.2020 unterzeichnet.    "Die reichen Länder von heute setzen fast ausnahmslos Zölle und Subventionen ein (...). Interessanterweise sind Großbritannien und die USA die beiden Länder, die den Gipfel der Weltwirtschaft durch ihre Politik des freien Marktes und des Freihandels erklommen haben wollen, gerade diejenigen, die Zölle und Subventionen am aggressivsten eingesetzt haben", Ha-Joon Chang. Chinas Verhandlungsführer und wichtigster Berater für Xi Jinping ist Liu He. Er sieht sogar einen positiven Effekt für China: mehr Innovationen und mehr Qualität.

Exkurs: Handelskonflikt im Alltag der Chinesen: 19% der Exporte Chinas gingen 2017 in die USA. Damit lebt China stark vom Export, auch wegen der lange Zeit niedrigen Löhne. Der niedrige Kurs des Yuan kann Zölle zum Teil auffangen, weil die chinesischen Produkte gegenüber dem starken Dollar günstiger sind. Wohlhabende Chinesen drücken ihren Pessimismus aus, indem sie Goldbarren in Hongkong bunkern oder Barreserven in US- oder australischen Dollar horten. Es wächst die Sorge vor Arbeitslosigkeit und Inflation. Die Preise für Obst und Lebensmittel sind schon stark gestiegen (was nur bedingt von den Zöllen der USA abhängt). Die Staatsmedien schweigen eher, Unzufriedene melden sich in Online-Foren. China hat nicht mehr viele Möglichkeiten für Zugeständnisse an die USA. Die Regierung spricht von einem "Langen Marsch" (angelehnt an Maos Kommunisten-Armee).

Zum Präsidentenwechsel Ende 2020 in den USA schaffen es die Chinesen nach acht Jahren Verhandlung, eine eigene Wirtschaftsintegration zu vereinbaren: RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership): Das Freihandelsabkommen kommt im November 2020 zustande. Es ist die größte Freihandelszone der Welt (größer als EU und Nafta).  Es hat 2,2 Mrd. Verbraucher. Es umfasst ca. ein Drittel des Welthandels. 15 Staaten machen mit. Es sind die 11 Asean - Staaten (China, Thailand, Laos, Malaysia, Singapur, Kambodscha, Vietnam, Burma, Indonesien, Philippinen, Brunei)  + Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland. Chinas Position verstärkt sich in der Welt: China ist das Zentrum der Zone und füllt das Vakuum aus, das die USA hinterlassen. Die USA hatten sich zurückgezogen. Zölle werden gesenkt  innerhalb von 15 Jahren, Investitionen vereinbart, es gibt neue Regelungen für den Handel. Die Dienstleistungen sind mit einbezogen (auch Online-Handel). "Meilenstein der ostasiatischen Zusammenarbeit", Le Keqiang, Ministerpräsident Chinas, November 2020.

Resümee: Bis Juni 2019 haben die USA die Zölle auf chinesische Produkte in vier Stufen bis zuletzt im August 2019 erhöht. Insgesamt sind Produkte im Wert von 300  Mrd. Dollar betroffen. Die Chinesen haben Strafzölle ebenfalls in vier Stufen für einen Wert von  insgesamt 75 Mrd. Dollar erhoben (Quelle: US-Kongress; Der Spiegel Nr. 51, 14.12.19). Bis 2018 exportierte China Waren im Werte von 539,7 Mrd. Dollar und importierte Waren im Werte von 120,1 Mrd. Dollar. Mitte 2019 setzt der Handelskrieg China kräftig zu: Im Juni geht der Außenhandel um -4% zurück; insgesamt sank der Außenhandel zwischen den Ländern seit Ausbruch des Konfliktes um -13%. Das verlangsamt auch das chinesische Wachstum (nur noch 6,2% im 2. Quartal 19). Ab Mai 2019 steigen die Exporte wieder kontinuierlich an (aber die Ausfuhren der USA sinken). Vgl. auch: Erber, Georg: Handelsstreit zwischen den USA und China, in: Wirtschaftsdienst 2019/8, S. 588ff. Trump scheint auf Zeit zu spielen. Er spielt die Bedeutung einer raschen Einigung herunter. Er will sich bis Wahl nicht zu sehr mit China anlegen (umfassendes Abkommen später). China dürfte aber sowieso nicht mehr zu stoppen sein. Der Versuch des technologischen Ausschlusses kommt viel zu spät. Im Dezember 2019 kommt es zu einem Teilabkommen; noch geplante Zollerhöhungen treten nicht mehr in Kraft. Die Regierung Biden hält aber an den Handelsbeschränkungen fest. Auf dem G20-Gipfel Ende Oktober 2021 in Rom geben die USA bekannt, dass die Strafzölle auf Stahl und Aluminium wegfallen sollen. Das soll nur für nachhaltige Produktion gelten, wobei China als umweltschädlich definiert wird.

China und die USA kontrollieren zusammen 2021 etwa 42% der Weltwirtschaft. Die restlichen Prozent verteilen sich auf 190 Länder. Die EU hat sich durch den Austritt GB entscheidend geschwächt. Im Oktober 2021 nehmen die Unterhändler beider Länder nach längerer Pause wieder die Gespräche zur Lösung des Handelskonflikts auf. Hauptpersonen sind die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai und Chinas Vizepremier Liu He. Trotzdem dürfte die Schubumkehr im Welthandel Bestand haben und sich fortsetzen: Im Jahre 2000 trieben 80% aller Länder mehr Handel mit den USA als mit China. Heute (2019) haben über zwei Drittel aller Staaten ein größeres Handelsvolumen mit China, auch Deutschland. Im Taiwan-Konflikt 2022 (Besuch von Nancy Pelosi) in Taipeh Anfang August 2022) kommen neue Handelssanktionen von China (gegen Taiwan und die USA). Die Exporte in die USA waren im Juli 2022 noch um 11% gestiegen, während die Importe um -4,5% zurückgingen.

Der neue Premier Li Qiang (ab März 2023) schlägt moderate Töne gegenüber den USA an. Er versucht, Investoren zu beruhigen. Xi schließt eine militärische Bedrohung Taiwans aus, verbietet sich aber ausländische Einmischung. Aber China richtet seine Handelspolitik zunehmend nach geopolitischen Verschiebungen (sicherheitspolitische Kriterien) aus. Der Westen geht auf Distanz (-12% Handelsvolumen mit Deutschland, USA -7,2%, EU -6,4% im Jahr 2023) und Russland springt in die Bresche. Anfang April 2024 besucht die US-Finanzministerin Yellen China. Sie hat eine schwierige Mission: Sie soll China vom Export hoch subventionierter Produkte abbringen (Solarmodule, E-Autos).  Sie prangert Chinas Industriepolitik an. Sie hält der chinesischen Regierung erneut vor, die Welt mit billiger und hoch subventionierter Umwelttechnologie zu fluten. Vgl. NZZ 10.4.24, S. 19.

Mexiko wird immer mehr zu Chinas Einfallstor in die USA. Um Waren ohne Zollbeschränkung in die USA zu liefern, investieren chinesische Unternehmen vermehrt in Mexiko. Dadurch kommen sie in den Genuss eines Freihandelsabkommens (Zone). Neuestes Beispiel ist der Auto-Riese BYD, der ein E-Auto-Werk in Mexiko plant. Das stößt in den USA auf wenig Begeisterung. Im Mai 2024 erhöhen die USA die Zölle auf E-Autos aus China (bisher 25%). Es kommen Sonderzölle von 100%. Weiterhin werden folgende Zölle erhöht: Solarzellen, Halbleiter, Hafenkräne, Medizinartikel.

Exkurs Diplomatische Öffnung Chinas und Pingpong-Diplomatie: 1971 treffen sich die Tischtennisspieler Glenn Cowan (USA) und Zhuang Zedong (China) bei der Tischtennis-WM im japanischen Nagoya. Seit der Machtübernahme Maos 1949 ist China diplomatisch völlig isoliert. Die Begegnung der Sportler mit Austausch privater Geschenke geht durch ein Pressefoto um die Welt. Die Kulturrevolution stellt ab 1966 in China alles auf den Kopf. Die US-Tischtennisspieler werden kurz nach der WM nach China eingeladen und kommen in die Große Halle des Volkes. Im gleichen Jahr 1971 gibt es eine heimliche Reise des damaligen nationalen Sicherheitsberaters Henry Kissinger nach Peking., der den Besuch von US-Präsident Nixon vorbereiten soll. Im Februar 1972 reist Nixon nach China ("die Woche, die die Welt veränderte"). Die Isolation des Reiches der Mitte ist bald beendet. Danach nehmen 100 Länder diplomatische Beziehungen zu China auf (vorher nur 32). Vgl. Müller, Stephan M.: Pingpong-Diplomatie, in: Rheinpfalz am Sonntag, 14.3.21, S. 25. "Only Nixon could go to China". Geflügeltes Wort. Es steht dafür, dass nur derjenige unpopuläre Dinge tun kann, der unverdächtig ist, sie heimlich immer schon geplant zu haben. Im Juli 2023 reist Henry Kissinger als Hundertjähriger nach Peking. Er wird von Xi Jinping im selben Gästehaus empfangen wie 1971. Kissinger hatte 1971 eine Geheimreise in die Volksrepublik gemacht. Er hatte damit die ersten Schritte zur Normalisierung der Beziehungen zwischen USA und China eingeleitet. Als Personen besiegelten Le Duc Tho für Vietnam und Henry Kissinger für die USA auch den Vertrag für Frieden in Vietnam zur Beendigung des Krieges. Viele sagen, der Vertrag hätte Jahre früher kommen können, um viele Menschenleben zu retten. Trotzdem erhält Kissinger den Friedensnobelpreis. Kissinger wurde 1923 in Fürth/ Franken geboren. Als Jude musste er 1939 mit seiner Familie in die USA fliehen. Er sprach fließend Deutsch und war Anhänger des Fußballvereins Greuther Fürth.

12. Konfliktzonen zwischen China und den USA: Kampf um die Weltherrschaft (Kalter Krieg 2.0? Das Megathema der Zukunft) manche verwenden diesen Begriff wie hier, andere nur für den Kampf der digitalen Weltunternehmen bzw. der digitalen Wirtschaft; Vgl. Teilung der digitalen Welt): Taiwan wird von vielen multinationalen Unternehmen zu "Greater China" gerechnet. Seit 1992 besteht ein Konsens, dass es nur ein China gibt, allerdings mit zwei politischen Systemen. 2008 gibt es eine Annäherung durch ein erstes Treffen der Parteichefs nach 60 Jahren (Vereinbarung direkter Flugverbindungen). Im Februar 2014 gibt es erstmals seit 1949 Gespräche auf Regierungsebene zwischen China und Taiwan. 2018 verstärkt China den Druck auf Fluggesellschaften: Sie müssen den Anspruch Chinas  auf Taiwan bestätigen. Sie dürfen Taiwan nicht mehr als Land benennen. Außenpolitisch unterhält China in Rivalität zu Indien besonders enge Beziehungen zu Pakistan und Burma. China fürchtet eine Einkreisung durch Indien, Russland, Südkorea und Japan. China kauft sich daher immer mehr in Pakistan ein (Milliardeninvestitionen). China plagt die Sorge, das sich Taliban- und IS-Terror via Pakistan auf die muslimische Provinz Xinjiang im Westen Chinas ausdehnen könnte. Zum anderen geht es um einen die Arabische See und den Indischen Ozean beherrschenden Seekorridor vom südpakistanischen Hafen Gwadar aus. Ein Zubringer von der nördlichen Seidenstraße aus wird errichtet.

Im südchinesischen Meer gibt es auch Auseinandersetzungen um Inseln mit Malaysia und den Philippinen. Vor der philippinischen Küste haben die Chinesen künstliche Riffe geschaffen. Die USA schaltet sich immer wieder in den Schlagabtausch ein. Der Nationalismus in China selbst könnte irgendwann außer Kontrolle geraten. Das Land beruft sich auf seine lange Tradition, in der es Jahrhunderte lang die Nachbarländer dominierte. Die USA und China kämpfen um die Vorherrschaft im Pazifik. Umstritten sind die Seegebiete, die China kontrollieren will (das Land wird vom internationalen Gerichtshof in Den Haag verurteilt). China will sich Taiwan einverleiben, auch wenn man dort von Wiedervereinigung gar nichts hält. Die USA verfügen über eine Reihe von Marinestützpunkte in dem Bereich (Südkorea, Japan, Guam, Darwin, Diego Garcia, Britischer Militärstützpunkt). Immer wieder kommt es zu Konfrontationen in der Region. Westliche Staaten entsenden Schiffe in internationale Hoheitsgewässer, wie z. B. GB den Flugzeugträger HMS Queen Elisabeth (Flaggschiff der britischen Marine). So sollen z. B. die Philippinen unterstützt werden. In der Regel fährt man im Verbund mit US-Kriegsschiffen un d Schiffen anderer Nationen (Niederlande, Japan, Deutschland). China fühlt sich provoziert und sendet eine Warnung aus: "Einen hinrichten als Warnung an hundert". Auch Deutschland beteiligt sich ab Sommer 2021 an der Mission. Man schickt die Fregatte "Bayern". Bei den Operationen fahren  Kriegsschiffe gezielt durch von China beanspruchte Gewässer.

Militärisch sind die USA 2020 noch überlegen. 2020 investieren die USA 778 Mrd. US-$ in Rüstung. China liegt bei 252 Mrd. US-$ (aber seit 2004 vervierfacht). Aber ein Krieg hätte desaströse Folgen , auch für die ganze Welt. China füllt systematisch die Leere, die die USA hinterlassen ("America First"). Die USA rüsten ihre Verbündeten in Asien auf. 2020 werden Boden-Luft-Raketen (Marschflugkörper, Raketenwerfer) an Taiwan geliefert im Wert von 1 Mrd. $. Peking droht mit Vergeltung. Wenn die Wirtschaft Chinas in Zukunft die der USA überholt, wird auch das Militär früher oder später dominieren. Das war immer so in der Geschichte. Dann könnte der Punkt gekommen sein, dass China seine nationalen Interessen durchsetzt, ohne dass der Westen eingreift. China wird einen militärischen Konflikt aber kaum provozieren, da die Zeit für das Land spricht. China sieht keinen Sinn in bilateralen Abrüstungsverhandlungen oder in Dialogen. Vgl. den Militärexperten Tang Zhao vom Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy, Quelle: Interview in der Rheinpfalz  vom 7.7.2021, S. 3.  "Die US-Chinesische Beziehung ist die wichtigste politische Aufgabe dieses Jahrhunderts", Torrey Taussig, Harvard Kennedy School 2021.

Weil die USA Rüstungsgüter an Taiwan liefern, verhängt China im Oktober 2020 Sanktionen gegen US-Konzerne. Es trifft mehrere US-Waffenhersteller: Lockheed Martin, Boing Defense, Raytheon und noch weitere Unternehmen. Sie haben Waffen im Wert von 1,5 Mrd. € an Taiwan geliefert. Die US-Regierung erwägt Sanktionen gegen 89 chinesische Unternehmen (Lieferung amerikanischer Technologie verboten). Grund seien Beziehungen zur chinesischen Armee. Der Präsident der tibetischen Exil-Regierung wird im Weißen Haus empfangen. Ein ranghoher Vertreter der US-Armee reist zu Gesprächen nach Taiwan. Die USA steigern auch die Zahl ihrer Kriegsschiffe. und der Durchfahrten. Asien ist nicht nur China, auch Australien, Japan, Südkorea, Indien, Neuseeland, Singapur. Man sollte von der EU aus mehr eine Balance der Interessen herstellen.

Die Volksrepublik will in den nächsten Jahren (ab 2020) mehr auf sich selbst setzen (eigene Kräfte nutzen). Die Kommunistische Partei entwirft 2020 einen neuen Fünfjahresplan, in dem man sich international stärker entkoppeln will. Ab 26.10.20 finden viertägige Beratungen in Peking statt (Plenum des ZK). Die Tagung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eine stärkere Selbständigkeit Chinas wird angestrebt. Hintergrund sind die Corona-Pandemie und der Konflikt mit den USA. Die USA seien misstrauisch, weil China zu schnell wachse (Vizeaußenminister Qin Gang). Die Exportabhängigkeit soll reduziert und der Binnenkonsum gestärkt werden (Fortsetzung der Strategie). Präsident Xi spricht von einem "neuen offenen Wirtschaftssystem". Ausländische Direktinvestitionen und Kapital sind erwünscht. Gleichzeitig wendet er sich gegen den Trend der Anti-Globalisierung. Der Wissenschaftler Xeuwu Gu (Uni Bonn) plädiert für eine amerikanisch-chinesisch-europäische Führungsrolle in der Weltpolitik, eine "G3-Weltordnung". Vgl. Xeuwu Gu: Die Stunde Europa, in: Handelsblatt Nr. 15. 22./23./24. Januar, S. 64.

Die USA "gehen Klinkenputzen" gegen den Einfluss Chinas. Sie schmieden eine Allianz, die man "Quad" nennt. Ihr gehören neben der USA Indien, Australien und Japan an. Die USA bemühen sich noch um Indonesien, Sri Lanka und die Malediven. Peking sieht die Gruppe als asiatische Nato, deren Ziel die Eindämmung Chinas ist. Auf jeden Fall sucht man gemeinsam auf eine Antwort auf Chinas Machzuwachs. Der Widerstand in der Welt gegen China wächst. Am 12.3.21 halten die Staatschefs von USA, Japan, Indien und Australien einen virtuellen Indopazifik - Gipfel ab: Ihr Treffen soll ein Signal an Peking sein.

1979 machte Biden schon seine erste Chinareise als junger Senator. Es kam zu einem Treffen mit Deng Xiaoping. Joe Biden und Xi Jinping kennen sich schon aus der Zeit als beide noch Vize-Präsidenten waren. Sie trafen sich 2011 in der Provinz Sichuan. Letztes Mal begegneten sich beide 2013. Biden kippte damals ein Überflugverbot Chinas über das Ostchinesische Meer. Biden befürwortete einst den Beitritt Chinas zur WTO. Vgl. Zand, Bernhard: Im Höhenrausch, in: Der Spiegel Nr. 4, 23.1.21, S. 9.  2021 feiert die Kommunistische Partei ihren 100. Gründungstag. 2049 ist das 100. Gründungsjahr der Volksrepublik. Dann soll China ein "starkes, demokratisches, zivilisiertes, harmonisches und modernes sozialistisches Land" (KPCh) sein.

Biden will einen "globalen Gipfel der Demokratie" einberufen. Er hat vor, eine breite Koalition gegen China zu schaffen. Das dürfte schwierig werden. Das wirtschaftliche Kräfteverhältnis verlagert sich unweigerlich nach Asien (2022 sind es schon über 50%. Anteil am Welt - BIP). Die Strategie von Trump ist krachend gescheitert: Handelsdefizit der USA 2020 so groß wie nie (900 Mrd. $, mit China alleine 308 $). Es geht bei dem Konflikt zwischen beiden Weltmächten erst mal  um die wirtschaftliche Kontrolle. China will die Führung spätestens 2049 (100 Jahre Volksrepublik, siehe oben) übernehmen. Dieses Ziel wird voraussichtlich viel früher erreicht. Sofort nach dem Amtsantritt von Biden geht das Geplänkel los: Chinesische Flugzeuge verletzen den Luftraum Taiwans. Die USA entsenden den Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt in das südchinesische Meer. Die bloße Existenz von Taiwan ist Peking ein Dorn im Auge (demokratischer und innovativer Staat). Das Engagement der USA dürfte sich verstärken. Am 24.01.21 beginnt das diesjährige Weltwirtschafts-Forum von Davos, das virtuell startet. Im Mittelpunkt steht 2021 Asien. Xi Jinping hält eine digital übertragene Ansprache. Darin warnt er vor einem "Kalten Krieg". Er sieht China als Verteidiger des Multilateralismus und der Globalisierung.

Am 11.2.21 findet ein erstes Telefongespräch zwischen Präsident Biden und Präsident Xi statt. Der US-Präsident lässt einen unverändert harten Kurs erkennen. Die Gegensätze zwischen beiden Ländern prallen aufeinander. Biden brachte seine grundlegenden Sorgen zum Ausdruck: unfaire wirtschaftliche Praktiken, Repression in Hongkong, Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, provozierende Aktionen gegen Taiwan. Xi warnte vor einer Konfrontation, die definitiv katastrophal für die beiden Länder und die Welt sei. Einig waren sie sich über die Eindämmung von Covid-19 und den Klimawandel. Grundsätzlich setzt Biden weiter auf eine Allianz mit den Verbündeten, was den Spielraum der Europäer einschränken dürfte.

Der Konflikt wird die kommenden Dekaden bestimmen (China and USA first?). Biden setzt mehr auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, China auf Nichteinmischung. Die zentrale Frage bleibt:  "Wie kann man in einem globalen System agieren, in dem die nationalen Systeme sich so stark unterscheiden?" Siehe Joseph Stiglitz, "Die Inflations - Warner liegen völlig daneben", in: HB 5./6./7. 3.2021, S. 10f. Am 7.3.21 fordert der chinesische Außenminister Wang Yi die USA auf, zum Ein - China - Prinzip zurückzukehren. Diese "rote Linie" sei überschritten worden.  Er sagt dies in einer Rede vor dem Volkskongress in Peking. Weiterhin sagt er: China habe allgemein mit "Hegemonie, Überheblichkeit und Schikane" sowie "unverblümter Einmischung" zu kämpfen. Biden versammelt eine Reihe von Berater um sich, die man als Falken bezeichnen kann. Es sind Peking skeptische Top-Berater. Dazu gehören Ely Ratner (Pentagon, neue Strategie im Umgang mit China), Laura Rosenberger (Nationaler Sicherheitsrat), Michael S Chase Pentagon, Denkfabriken), Rush Doshi (Denkfabrik Brookings, Chinas Willen zur Weltmacht). Vgl. Heissler, Julian: Über Peking kreisen die Falken, in: WiWo 30/ 23.7.21, S. 32.

Am Ende des einwöchigen Volkskongresses am 10.3.21 ruft  Xi das Militär zu ständiger Bereitschaft auf. Der Volkskongress hatte vorher eine Steigerung der Militärausgaben von 6,8% beschlossen. Der für den Asien-Pazifikraum zuständige US-Admiral Davidson sagte dazu, dass die USA damit rechneten, dass China bis 2027 versuchen werde, die Inselrepublik Taiwan zu besetzen. Die USA und China sprechen über ein Spitzentreffen in Anchorage im US-Bundesstaat Alaska. Dieses Treffen kommt am 19.3.21 zustande. Es kommt dort zu einem Eklat zwischen den Delegationen (mit den beiden Außenministern: Blinken, Wang Yi, auch Sicherheitsberater Sullivan). Die Fronten zwischen den Ländern verhärten sich. Zumindest wird geredet (Strafzölle, Industrie-Spionage, Zukunft Hongkongs, Taiwans, Pekings Machtansprüche im südchinesischen Meer). Der US-Admiral James G. Stavridis hat einen Thriller über den nächsten großen Krieg zwischen China und den USA  geschrieben. Er war schon Nato-Oberkommandierender und Chef der Fletcher School. Der Roman heißt "2034. A Novel of the Next World War" und ist 2021 auf Platz 6 der US - Bestenliste der New York Times. Das Buch ist Fiktion, aber gleichzeitig realistisch (Meeresgebiete, die China beansprucht; Cyberkrieg).

In Asien belebt Biden alte Allianzen neu. Als erstes ausländisches Staatsoberhaupt besucht der japanische Premierminister Suga das Land Es geht vor allem um die aggressive Politik Chinas im südchinesischen und ostchinesischen Meer.  Bald wird auch der Ministerpräsident Südkoreas in den USA erwartet. Neben Quad will Biden auch die G7 wieder als Allianz gegen die autoritären Regime in China und Russland wieder beleben.  Auf seiner strengen Linie liegen Großbritannien, Kanada und Japan. Es wird eine Initiative für Infrastrukturprojekte gestartet (G7-Gipfel in Cornwall). Der Infrastrukturplan ist für ärmere und aufstrebende Länder. Es ist ein Gegenprojekt zur Neuen Seidenstraße Chinas. Biden möchte auch die Nato gegen China in Position bringen. Viele Mitgliedsländer in Europa sind dagegen. Die USA, Großbritannien und Australien schließen eine neue Sicherheitspartnerschaft gegen China ab: AUKUS wird im September 2021 gegründet. China wird zwar nicht erwähnt, fühlt sich aber unmittelbar bedroht. Daneben gibt es noch das ANZUS - Abkommen der USA mit Australien und Neuseeland. In diesem Abkommen sichern sich die Staaten gegenseitige militärische  Unterstützung zu. Australien storniert sogar einen U-Boot-Auftrag an Frankreich und kauft die U-Boote in den USA (der französische Botschafter wird daraufhin aus den USA abberufen). Es gibt auch eine "Five-Eyes"-Partnerschaft der Geheimdienste von USA, Australien, Neuseeland, Kanada und Großbritannien. Der US-Bestsellerautor Ken Follet bringt 2021 den Thriller "Never". In dem gehen die Atommächte China und USA aufeinander los. Das Szenario ist fürchterlich plausibel.

Im Juli 2021 ist ein Besuch der US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman in der nordchinesischen Stadt Tianjin. Sie trifft sich dort mit Chinas Vize-Außenminister Xie Feng.  China wirft den USA eine hochgradig fehlgeleitete China-Politik vor. Die bilateralen Beziehungen steckten in einer Sackgasse. Sherman soll Konfliktthemen ansprechen.  Es geht auch um die Vorbereitung eines Gipfeltreffens von Joe Biden und Xi Jinping. Biden spricht im September 2021 vor den Vereinten Nationen. Er betont, dass die USA keinen neuen Kalten Krieg wollen. Er weist aber eindeutig darauf hin, dass die USA zukünftig den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in Asien sehen.  "Wir müssen um jeden Preis einen kalten Krieg verhindern", Antonio Guterres, UN-Generalsekretär, im September 2021 vor der UN. Die Gefahr eines neuen Kalten Krieges sieht auch der australische Ex-Premier und Asienkenner Kevin Rudd. Er vergleicht die Situation mit jener vor dem 1. Weltkrieg. Vgl. "Ein neuer Kalter Krieg ist wahrscheinlich", in: Der Spiegel 39, 25.9.21, S. 74f.

Am 16.11.21 telefonieren Biden und Xi drei Stunden miteinander. Es wird als virtueller Gipfel tituliert. Das Lächeln der beiden Führer wirkte herzlich. Doch bei den zentralen Streitthemen kommen sie nicht auf einen Nenner. Es ging um Menschenrechte (Xinjiang, Tibet, Hongkong), Taiwan, Klimawandel und Corona. Taiwan ist das heikelste Thema. Beide Länder haben ihre Militärpräsenz in der Region stark erhöht. Beim Klimawandel und Corona gibt es die größte Schnittmenge. Vgl. auch: Kretschmer, Fabian: Unüberwindbare Gräben, in: Rheinpfalz Nr. 267, 17.11.21, S. 2.

"Der Osten steigt auf, der Westen steigt ab", He Yiting, Vizepräsident der Zentralen Parteischule und auch im Kabinett, 2020 in der 2. Welle der Corona-Krise im Westen (USA, Europa). Der Westen taumelt von einem Lockdown zum nächsten, während China dem Zentrum der Welt noch nie so nahe war. Vgl. auch: Alexander Graf Lambsdorff: Wenn Elefanten kämpfen, Propyläen - Verlag 2021. Er spricht davon, dass der globale Westen neu gedacht werden muss. Ebenso als Überblick: Matthias Naß: Drachentanz, München 2021, S. 215ff. (XI. Rivalität mit Amerika).

Exkurs: Qin Gang: 2021 wird der Karrierediplomat Chinas neuer Botschafter in den USA. Er ist 55 Jahre alt und war auch schon Sprecher des Außenministeriums. Seine große Stärke ist der kurze Draht zu Xi Jinping. die Ernennung ist eine Überraschung, weil er nicht in der Gerüchteküche auftauchte. Er wurde 1966 in Tianjin geboren. Er studierte an der Uni für  internationale Beziehungen in Peking. 2008 wurde er bekannt, als er in die Kontroverse um das Album von Guns n`Roses "Chinese Democracy" eingriff. Er sagte: "viele Leute mögen diese Art von Musik nicht". Sie sei laut und lärmend. Vgl. Kretschmer, Fabian: Karrierediplomat mit Streitlust, in: Die Rheinpfalz, Nr. 175, 31.7.21, S. 3.

Exkurs: Konsumboykott als Machtmittel. Im Jahre 2021 werden westliche Firmen Zielscheiben staatlich gesteuerter Boykott-Aktionen. Es trifft besonders H&M, Nike und adidas. Sie haben sich gegen Zwangsarbeit der Uiguren in Xinjiang auf den Baumwollfeldern  ausgesprochen. Einige Online-Händler in China (Taobao, Tmall) nehmen die Produkte aus dem Sortiment. Schon vorher traf es australische Winzer und Rindfleischproduzenten, als Australien China kritisiert hatte. Die Kampagnen der Regierung werden von den regulierten Sozialen Medien unterstützt (Weibo). Die westlichen Firmen geraten in ein Dilemma (Wahl zwischen Werten und Geschäft). Die aktuelle Boykott-Kampagne der Regierung ist gezielt gegen die Menschenrechtskampagne der USA unter Biden gerichtet. Vgl. Kretschmer, Fabian: Chinas Zorn, in: Rheinpfalz am Sonntag, 28. März 2021, S. 6. Ende 2021 kommt es zu einem Boykottaufruf gegen Tesla. Jeder vierte Tesla wird in China verkauft. Die Raumfahrtfirma SpaceX von Elon Musk, dem Eigner von Tesla,  hatte zwei Satelliten im All, die die Umlaufbahn der chinesischen Raumstation "Tiangong" (Himmlischer Palast)  kreuzte. Diese musste zweimal ihre Umlaufbahn ändern. Es kommt immer wieder zu Konsumboykotten. Ein berühmter war 2021 gegen die schwedische Modefirma H & M gerichtet. Diese hatte aus Bedenken gegen die Zwangsarbeit in der Provinz Xinjiang auf Baumwolle aus dieser Region verzichtet. Die kommunistische Jugendliga rief zum Boykott auf. Innerhalb kurzer Zeit sprang die Textilfirma Anta Sports ein. Gleiches könnte bei Apple kommen. Siehe nachfolgenden Artikel.

Exkurs. Huawei und Apple: Die Smartphone-Giganten liefern sich einen Kampf. In China scheint Huawei Apple bald zu überholen. 2023 im September kommt das iPhone 15 in China auf den Markt. Wenige Tage vorher bringt Huawei das Mate 60 auf den Markt. Es ist ein 5-G-kompatibles Smartphone. Der Chip wurde von HiSilicon entwickelt.  Mit sieben Nanometern hat es noch nicht ganz das Apple-Niveau. Aber es ist zum politischen Statement geworden. Noch ist Apple in China mit 67 % Marktanteil vorne. Huawei liegt mit 15,6% an zweiter Stelle. Beamte der Zentralregierung in China haben ihre Mitarbeiter angewiesen, künftig keine Apple-Produkte auf der Arbeit mehr zu verwenden. Staatsunternehmen scheinen zu folgen. Das könnte einen Trend zu heimischen Produkten in China auslösen. Vgl. Kretschmer, Fabian: Der Kampf der Smartphone-Giganten, in: Die Rheinpfalz 18.9.23, S. 1.

Exkurs. Abkopplung von Innovationen: Die USA fahren gegen China diese Strategie. Es ist zu einem Programm geworden. Man will mit aller Macht den Technologievorsprung halten. Besonders Computerchips und KI-Bausteine dürfen nicht an China geliefert werden. Die offene Frage ist: lässt sich Wissen abriegeln und isolieren? Blickt man in die Geschichte muss man die Frage eindeutig mit nein beantworten. Berühmte Beispiele sind die Muranoglasherstellung in Venedig im 17. Jahrhundert, die Lokomotivproduktion in England im 18. Jahrhundert. Auch China selbst konnte die Seidenherstellung nicht geheim halten. Gegenwärtig unterstützt das einen Trend zu zwei Technologiesphären. Vgl. Losse, Bert/ Leonardt, Julia: Wissen lässt sich nicht einsperren. Der Volkswirt, in: WiWo 26/ 21.6.24, S. 34f.

China dürfte den Ukraine-Krieg nutzen, um der Weltmacht ein Stück näher zu kommen. Offiziell ruft man die Kriegsparteien zwar zum Dialog auf, aber man versucht auch, den Konflikt für seine eigenen Interessen zu nutzen. Erstens geht es um die Erhaltung des autokratischen Systems mit gemeinsamer Legitimation (Marxismus-Leninismus/ Maoismus, "grenzenlose Freundschaft"). Zweitens bestehen Rohstoffinteressen. so dass gerne Lücken gestopft werden, die die Sanktionen des Westens hinterlassen. Drittens nutzt China den Krieg, um antiwestliche Ressentiments zu schüren. Die Militärkooperation wird weiter gestärkt. Regelmäßig werden gemeinsame Manöver abgehalten (zuletzt im August 2021). Die Aufrüstung Chinas geht rasant weiter (2021 272 Nuklearsprengköpfe, 2050 Raketen). Viertens zwingt die Ukraine-Krise die USA, sich in Europa zu engagieren (anders als geplant). China wittert die Chance, seinen Einfluss andernorts auszudehnen. Fünftens kann China seine Währung Renminbi  stärken und vielleicht seine Währung global etablieren (vielleicht nur Yuan-Rubel-Block). Das gleiche versucht Indien mit Russland. Man lässt den Dollar außen vor. Vgl. Becker, B. u. a.: Pekings Drang zur Weltmacht, in: Stern 31.3.2022, S. 26ff. (Titel).

Ende Juli telefonieren Xi und Biden lange miteinander. Xi stellt sich gegen die Einmischung externer Kräfte in Taiwan (geplanter Besuch von Pelosi). Biden bemüht sich angesichts der hohen Inflation und der drohenden Rezession um bessere Handelsbeziehungen mit China. Es geht auch um die wachsenden Spannungen im südchinesischen Meer. Am 02.08.22 besucht Nancy Pelosi den Inselstaat Taiwan. Sie ist die dritthöchste Repräsentantin der USA. Sie versichert der taiwanesischen Regierung den Rückhalt der USA. Peking spricht von Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten. China macht Manöver um Taiwan (Kriegsschiffen, Flugzeuge).  Beide Seiten haben es nun schwer, eine gesichtswahrende Lösung zu finden. In Taiwan fürchtet man eine Seeblockade durch das Manöver. Es gibt auch Wirtschaftssanktionen (keine Lebensmittel aus Taiwan). Eine Woche fährt China Kampfjets und Schiffe vor Taiwan auf. Für Staatschef Xi ist die Angelegenheit persönlich und emotional (er hat sich in seinen Reden  immer wieder für die Vereinigung geäußert). China kappt alle Gespräche mit den USA. Das betrifft den Dialog über Klimaschutz, Militärfragen und Kooperationen im Kampf gegen das Verbrechen. Die Militärmanöver, die ursprünglich nur eine Woche dauern sollten, werden auf unbestimmte Zeit verlängert. Auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit Mitte September 2022 in Samarkand/ Usbekistan treffen Putin und Xi aufeinander. Sie üben den Schulterschluss. Xi braucht einen Partner, um eine Front gegen die USA aufzubauen für eine neue Weltordnung (Vision einer alternativen Staatengemeinschaft).

Anfang Februar 2023 fliegt ein chinesischer Spionage-Ballon über die USA. Das sorgt für eine diplomatische Verstimmung. Außenminister Blinken verschiebt seine China-Reise, die kurz bevor steht (außerdem wird der chinesische Botschafter einbestellt). Über dem Meer vor South Carolina wird er Ballon von der US-Luftwaffe abgeschossen. Er wird geborgen und soll untersucht werden. Peking schlägt verbal zurück. Ein weiterer Ballon flog über Südamerika (Kolumbien, Costa Rica). China spricht bei den Ballonfahrten von unabsichtlichen Unfällen aufgrund höherer Gewalt.

Exkurs. Thukydides-Falle:  Das Bild geht auf folgendes Buch zurück: Graham Allison (2017)  „Destined for War: Can America and China Escape the Thucydides’s Trap?“ "Der Begriff Thukydides-Falle verweist auf den klassischen Konflikt zwischen aufsteigender und etablierter Macht, der fast nie vermieden werden konnte. Hintergrund ist der fast 30-jährige Peloponnesische Krieg (431-404 v. Chr.) zwischen der etablierten Macht Sparta und dem aufstrebenden Athen, den der griechische Historiker Thukydides kriegsbegleitend dokumentierte (Thukydides, 431-404 v. Chr.). Der Hintergrund des Konflikts zwischen Sparta und Athen lag in fundamentalen kulturellen und staatsphilosophischen sowie machtpolitischen Divergenzen. In dem Konflikt siegte zwar Sparta durch Allianzen, unter anderem mit Persien, konnte dauerhaft aber keine Dominanz entfalten, weil es durch den Krieg ausgezehrt und von den Bündnispartnern abhängig war. Lachende Dritte waren schließlich Phillip II. von Mazedonien (359-336 v. Chr.) und Alexander der Große (356-323 v. Chr.), die diese Schwäche hegemonial nutzten. Athen blieb die kulturelle Blüte in der Hellenistischen Zeit." Siehe Blum, Ulrich: Chinas und Amerikas geopolitische Rivalität: Gibt es die Gefahr einer Thukydides - Falle, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2023, s. 170-173. Vgl. auch: Stephen S. Roach: Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives, Yale University Press 2022. Seine Grundthese: Biden und Xi seinen jeweils Gefangene innenpolitischer Zwänge. Er appelliert für einen neuen Umgang miteinander. Vgl. auch: Roubini, Nouriel: Ein Krieg zwischen den USA und China droht - und ist doch leicht vermeidbar, in: WiWo 38/ 15.9.23, S. 42f. Er rät beiden Seiten strategisch klug Zurückhaltung. "Womöglich haben die USA den potentiellen Aufstieg Chinas unterschätzt - und ihren Vorsprung in vielen Zukunftstechnologien zugleich unterschätzt." Ebenda.

In der US-Regierung gibt es 2023 vier Lager, die um die beste Strategie mit China ringen: 1.Bidens China-Architekt und Falke: Sicherheitsberater Jake Sullivan. 2. Die Pragmatikerin: Finanzministerin Janet Yellen. 3. Hart in Sachen Halbleiter: Wirtschaftsministerin Gina Raimondo und Handelsbeauftragte Katherine Tai. 4. Die geopolitischen Manager: Lloyd Austin und Außenminister Antony Blinken. Vgl. HB 2.5.23, S. 8f. Das Zusammenwachsen der USA und Chinas, das jahrzehntelang dauerte, ist auf jeden Fall zu Ende. Ein neuer kalter Krieg droht. Supermacht steht gegen Supermacht. Vgl. Kohleberg, Kerstin/ Yang, Xifan: Supermacht gegen Supermacht, in: Die Zeit 21/ 17.5.23, S. 13ff. Am 20.6.23 besucht erstmals nach fünf Jahren wieder ein US-Außenminister Peking. Blinken wird sogar von Xi Jinping empfangen. Taiwan bleibt der Knackpunkt. Mitte Juli 2023 besucht Finanzministerin Janet Yellen vier Tage China. Sie spricht mit ihrem Kollegen und dem Ministerpräsidenten.  Offenbar wird wieder intensiver miteinander geredet.

Im August 23 schränkt die US-Regierung Investitionen in China ein. Es geht um die Zukunftsbereiche Halbleiter und KI. Man will mit diesem Mittel militärische Modernisierungen verhindern. US-Präsident Biden nennt bei einer Rede zu einer Spendenveranstaltung in Utah im August 23 China "eine tickende Zeitbombe". Das asiatische Land sei in Schwierigkeiten. Dies sei ein Grund zur Sorge, denn "wenn schlechte Menschen Probleme haben, tun sie schlechte Dinge". Vgl. zur Problematik auch aktuell: Naß, Matthias: Kollision. China und die USA und der Kampf um die weltpolitische Vorherrschaft im Indopazifik, München (Beck) 2023. Am Rande des Apec-Gipfels in San Francisco noch 2023 wollen sich Biden und Xi treffen. Die sehr schlechten Beziehungen sollen verbessert werden. Es wird um Rüstungskontrolle, Taiwan u. a. gehen. Biden und Xi haben in einigen Punkten gemeinsame Interessen. Beide Seiten müssten Wege finden, miteinander auszukommen. Das Gespräch findet am 15.11.23 auf dem Landsitz Filoli in der Nähe von San Francisco statt. Es dauert mehrere Stunden (4 Stunden, "der Wettbewerb darf nicht in einen Konflikt ausarten", die beiden Mächte dürfen sich nicht "den Rücken zukehren", "ja, er ist ein Diktator", Biden). China blickt aber auf die Präsidentschaftswahl 2024, die alles wieder verändern kann. Beide bemühen sich demonstrativ um eine Annäherung. Beim Kampf gegen Drogen vereinbaren sie eine Zusammenarbeit. Die direkte Kommunikation der Streitkräfte wird wieder aufgenommen.

Das China-Bashing bestimmt 2024 den US-Wahlkampf. Republikaner und Demokraten sind sich fast nie einig - außer in ihrer beißenden Kritik an China. Der Ton gegenüber Peking wird immer rauer. China wird den erbitterten Wahlkampf nutzen, um die amerikanische Demokratie zu kritisieren. Billiganbieter darf China sein. Strategischer Konkurrent soll es nicht sein. Aus dem Dilemma kommt man schwer raus. Vgl. HB 16/ 23.01.24, S. 14f.

Finanzsanktionen sind effektiver als Handelssanktionen. China beobachtet die Russlandsanktionen sehr genau. Wenn man wirklich eine Militäraktion gegen Taiwan anstrebt, wird man erst im Vorfeld alles tun, um China vor westlichen Sanktionen zu schützen. Die Währungsreserven würden umgeschichtet, weg vom Dollar und Euro. Jetzt schon arbeitet China im Bankenbereich am Aufbau seines alternativen Transfersystems CIPS. Es könnte noch bis ca. 2040 dauern, bis das System vollständig steht und funktioniert (rechtzeitig vor 2049). Jede neue Sanktion gibt dem System einen Schub. Vgl. Hufbauer, Gary: "Sanktionen, solange Putin lebt", in: WiWo 23.2.24, S. 36f. China war auch überrascht davon, dass Russland nicht schnell die Ukraine einnehmen konnte. Das hat dem chinesischen Militär und der Führung im Hinblick auf Taiwan zu denken gegeben. Ein solcher Fehlschlag könnte die KPCh gefährden. Die Herrschaft der Partei hat höhere Priorität als Taiwan. Vgl. Chen Chaoting: "Biden ist gefährlicher als Trump", in: NZZ 10.4.24, S. 6.

 Ende April 24 führt der US-Außenminister Blinken lange Gespräche in Peking. Er kritisiert Chinas Beistand für Russland. Er hat vor allem Komponenten für Kriegsgüter im Blick. Man will sich für gemeinsame Regeln auf See einigen. Blinken wiederholt in Peking, dass die Militärallianz zwischen den USA und den Philippinen "eisern" sei.  Vgl. Zoll, Patrick: Blinken kritisiert Chinas Beistand für Russland, in: NZZ 29.4.24, S. 3. Wichtigste Kontaktperson nach Peking ist allerdings der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan. Er hat den Außenminister Wang Yi aus China schon oft getroffen, auch heimlich. Die beiden verstehen sich. Bei den heiklen Missionen geht es um den Ukrainekrieg, den Handelsstreit, die Taiwanfrage. Für China am wichtigsten ist die Taiwan-Frage. Vgl. HB 27.8.24, S. 9. Bei dem Besuch in Peking trifft Sullivan auch Xi Jinping. Das ist ein deutliches Zeichen für eine vorsichtige Annäherung. Es wird ausgelotet, ob noch ein Treffen der Staatschefs vor der US-Wahl möglich ist.  Das könnte Harris im Wahlkampf helfen. Vgl. Der Spiegel 26/ 31.8.24, S. 71.

13. Chinesische Industriepolitik und Standort Deutschland (auch Interessen deutscher Konzerne): China betreibt eine umfassende und aktive Industriepolitik. Dabei wird der staatliche Sektor (Staatsunternehmen) mehr gefördert als die privaten Unternehmen. Ein Paradebeispiel ist die E-Mobilität in China. So erhielt z. B. FAW, der größte chinesische Autohersteller, 2018 einen Kredit in Höhe von 129 Millionen Euro. Zwischen 2009 und 2017 soll China insgesamt 50 Milliarden Euro in diese Industrie investiert haben (Beispiele: Kaufprämien, Ladeinfrastruktur, Forschung; das Vorgehen ähnelt der Förderung der Solar-Branche). Quelle: Center for Strategic and International Studies Washington 2018. Die Verkäufe der Autofirmen wurden also stark durch Staatsausgaben angeregt. BYD machte aber 2017 nur Gewinne aus dem Verkauf traditioneller benzingetriebener Autos. Wenn die Gewinnsituation für die Branche in China so kritisch bleibt, könnte man versuchen, die Autos zu stark reduzierten Preisen am Weltmarkt los zu werden. Also ist die Erfolgsbilanz der Industriepolitik sehr umstritten, in China selbst und im Ausland. Vgl. Mühlhahn, Claus: Licht und Schatten der chinesischen Industriepolitik, in: bdvb aktuell, Nr. 145, 2019, S 12ff.

Chinesische Unternehmen haben ein hohes Interesse an Deutschland. als Standort. Spätestens seit den Brexit - Überlegungen wird Deutschland bei Niederlassungen häufig als EU-Hauptsitz gesehen. 2018 sind 2000 chinesische Unternehmen in Deutschland aktiv. Sie beschäftigen über 80% lokale Mitarbeiter. Immer mehr chinesische Unternehmen richten auch Forschungs- und Entwicklungszentren in Deutschland ein. Vgl. Duan Wei: Standort Deutschland: eine chinesische Perspektive, in: bdvb aktuell Nr. 145, 2019, S. 16f. Noch 2019 kauf die chinesische Hotelkette Huazhu mit Sitz Shanghai die deutsche Steigenberger-Hotelkette (außer Frankfurt und Davos).

Auf der anderen Seite gerät Deutschland bei der US-Handelspolitik immer mehr in eine Sandwich-Position zwischen den USA und China. Immer öfter müssen sich die deutschen Unternehmen entscheiden ("zwischen den Fronten"). Vor dieser Entscheidung stehen vor allem vier Großunternehmen (Multis): VW, Daimler, Siemens, BASF.

Teile der Industriepolitik haben auch protektionistische Züge, wie in vielen Ländern der Welt. Nur bei China fällt es stark auf, weil es in der Regel der größte Markt der Welt ist. Die staatliche Industriepolitik hat schon immer vorrangig mit drei Instrumenten gearbeitet, die eindeutig protektionistisch sind: 1. Erzwungener Technologietransfer. Deutsche Firmen können in China nur agieren, wenn sie bereit sind, sich technologisch "in die Karten sehen zu lassen (Beispiel Siemens, Konkurrenz CRRC; die Chinesen erkennen die deutsche Leistung an, z. B. beim Zug von Peking nach Tianjin, aber sind stolz, wenn  sie es endlich selbst können; eigenes Erleben!). 2. Einschränkungen bei der Zulassung. Für andere Produkte gibt solche Einschränkungen. Diese gehören zu den nicht-tarifären Hindernissen. Sie gelten besonders im Konsumgüterbereich, um Marken zu schlagen (die Chinesen sind besonders Status orientiert. Deshalb bevorzugen sie europäische Marken. Ein gutes Beispiel ist Beiersdorf/ Nivea im Bezug zu Perfect Diary aus China). 3. Staatliche Subventionen (Sie verzerren massiv die Preisrelationen. Ein gutes Beispiel ist Infineon im Vergleich zur chinesischen Firma Tsinghua Unigroup). Vgl. Widmann, Marc: Wie fair ist China? in: Die Zeit Nr. 35, 20. August 2020, S. 19.

"Es gibt deutliche Anhaltspunkte dafür, dass Unternehmensübernahmen durch chinesische Investoren in Deutschland und Europa auch auf einen Technologietransfer abzielen und Teil der industriepolitischen Aufholstrategie Chinas sind. Zudem führen Wettbewerbsverzerrungen durch den chinesischen Staatskapitalismus auf dem Weltmarkt zu zunehmenden Problemen und scheinen kaum durch eine Änderung der internationalen Handelsregeln änderbar zu sein, weil dies durch China blockiert wird. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik aus Vorsicht die mögliche Gefahr im Blick haben, dass ein schnelles Aufholen Chinas, das durch den Technologietransfer begünstigt wird, in den Industrieländern zu Wohlstandsverlusten führen könnte, auch wenn dies theoretisch und empirisch derzeit nicht eindeutig zu belegen ist." Siehe Matthes, Jürgen: Technologietransfer durch Unternehmensübernahmen chinesischer Investoren, in: Wirtschaftsdienst, August 2020 (online).

Für viele große Konzerne in Deutschland ist China der wichtigste Markt. Die Leiter dieser Unternehmen haben großen Einfluss auf die deutsche Regierung. Sie reisen in der Regel auch mit der Bundeskanzlerin nach China. Dazu gehören Volkswagen (Ertrag in China 4,2 Mrd. €); Adidas (Umsatz in China 5,4 Mrd. €); BASF (Umsatz in China 7,3 Mrd. €); Infineon (Umsatz in China 2,17 Mrd. €); Siemens (Umsatz in China 8 Mrd. €); MTU (Umsatz in China 1,3 Mrd. €). Deutsche Bank (Ertrag in China 200 Mio. €); Henkel (Umsatz in China wird verschwiegen). Schon lange sprechen die Unternehmen von "Greater China" und blenden so elegant Taiwan und Tibet als Problemzonen aus. Diese Konzerne haben auch großen Einfluss auf die jeweiligen Landesregierungen in jeder Hinsicht (in RLP die BASF und Daimler durch Wörth, die auch die Bildungspolitik beeinflussen). Vgl. Tatje, Claas: Profit oder Menschenrechte? Wie halten sie es mit China? in: Die Zeit Nr. 39, 17.9.20, S. 21. Gerade die deutschen Autobauer sind immer mehr von China abhängig. Anlässlich der Internationalen Automobilausstellung Ende September 2020 wird  deutlich, dass China als erster Markt 2020 und 2021 wieder starke Zuwachsraten hat. Die deutschen Auto-Firmen haben zum Teil über 40% ihres Marktanteils in China. Deutschland braucht China, weshalb die Geschäfte oft vorgehen. Am liebsten würde man politisch  weiter an der Seite der USA stehen und trotzdem mit China Geschäfte machen (Pragmatismus). Die Regierungskonsultation findet am 28.4.21 zum zehnten Mal statt (Merkel, Le Keqiang, Kabinette). Sie ist virtuell, Gastgeber ist China. Sie bei den Geschäften erfolgreicher als bei den Menschenrechten. Themen sind außer Menschenrechten die Zusammenarbeit der Wirtschaft bei Klimaschutz und Gesundheit. Die Beratungen finden alle zwei Jahre statt. Der ehemalige Außenminister Gabriel spricht 2021 von der Beziehung  Deutschland zu China von Friendemy (aus Friend und Enemy). 2022 wird man vorsichtiger angesichts des Einmarsches der Russen in die Ukraine mit chinesischer Billigung. 2021 wurden 7% der deutschen Auslandsinvestitionen in China getätigt (2000 1%).

Seit 2015 schon ist China das Land, aus dem die meisten Importe nach Deutschland kommen. Die Importe stiegen 2020 trotz Corona noch um 3,0% auf 116,3 Mrd. €. Der Export ging leicht um minus 0,3% zurück auf 95,9 Mrd. €. Mit 212,1 Mrd. € ist China der wichtigste Handelspartner für Deutschland. Der wichtigste Abnehmer für deutsche Exporte bleiben 2020 die USA mit 103,8 Mrd. € (aber 2020 -12,5%). Quelle: Statistisches Bundesamt. Deutschland hat etwa ein Drittel des EU - Chinahandels. 2020 betrug das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und China 212 Mrd. €. Vgl. auch: Richenhagen, Martin: "Der Amerika-Flüsterer". Mein Weg vom deutschen Religionslehrer zum US-Topmanager, Edel Books 2021. Im Juni 2021 explodieren die deutschen Exporte und Importe mit China. Exporte +28,6%, Importe +26,9%.

Selektives Decoupling: So viel Handel wie nötig, so viel Abschottung wie nötig. Neue Außenwirtschaftsstrategie Chinas nach Trump. Verbindung von Fortschrittlichkeit und Autarkie. China soll Marktführer in den Schlüsselbranchen der Zukunft werden. und unabhängig von Importen. Es gibt außenpolitische Einflusszonen und er Wohlstand der Bevölkerung soll weiter verbessert werden. Deutsche Unternehmen haben von der Einbindung Chinas in die Globalisierung extrem profitiert. Sie müssen eine Antwort auf die neue Strategie finden. Vgl. Koch, Moritz: Chinas Selbstentkopplung, in: HB Nr. 131, Mo. 12. Juli 2021, S. 16.  Die Abhängigkeit der DAX-Konzerne von China ist groß. Die Unternehmen müssen eine Antwort finden, wenn China immer mehr Wertschöpfung ins Land zwingt.

Eine spezielle Strategie Chinas besteht darin, den Datentransfer ins Ausland zu erschweren. Das trifft besonders hart die Digitalwirtschaft. Das zwingt ausländische und deutsche Unternehmen immer größere Teile ihrer Aktivitäten nach China zu verlagern. Damit wird das Export orientierte Geschäftsmodell Deutschlands bedroht.

Im Koalitionspapier der Ampel deuten sich andere Akzente in der Chinapolitik an. Die Menschenrechtsverletzungen sollen mehr angesprochen werden. Es ist auch von "systemischer Rivalität" die Rede. Man plädiert auch für faire Regeln im zunehmenden Wettbewerb. Man will auch eher eine gemeinsame EU-Strategie (China bevorzugt die bilaterale Ebene). Baerbock als Außenministerin dürfte versuchen, die kritischeren Töne gegenüber China umzusetzen. Es gibt mittlerweile drei verschiedene globale Infrastrukturprogramme, die sich der Neuen Seidenstraße entgegenstellen: "Build Back Better World" der USA, "Clean Green"- Initiative GB, "Global Gateway" der EU. Die Bundesrepublik geht bisher ihren eigenen Weg. Vgl. Sebastian Biba,: Plädoyer für eine neue China-Politik, in: HB Nr. 2, 4.1.22, S. 48.    "China ist bereit, das gegenseitige Vertrauen zu festigen und zu vertiefen, und den Austausch und die Zusammenarbeit mit Deutschland in verschiedenen Bereichen auszubauen", Xi Jinping als erste Grußbotschaft an dei neue Regierung am 8.12.21.

Exkurs: Deutsche Handelspolitik gegenüber China in der Wende? Wegen Xinjian ist es immer wieder zu Scharmützeln gekommen. Als die EU wegen der Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang Sanktionen gegen wenige niedrige Funktionäre erließ, antwortete China mit Einreiseverbote gegen EU-Abgeordnete. Das deutsche  Außenwirtschaftsgesetz wurde verschärft (Ausländer in Schlüsselindustrie genehmigungspflichtig). Man steht mit China im Austausch für weitere Marktöffnungen und fairen Wettbewerb. Die Abhängigkeit soll aber vermindert werden. Das Zusammenbrechen globaler Lieferketten in Corona-Zeiten soll zum Anlass genommen werden, einen Gegenentwurf der EU zur Seidenstraße aufzubauen.  2022 (aber aus älteren Jahren die Daten) ist die Abhängigkeit deutscher DAX-Konzerne von China aber immer noch sehr groß: Im Schnitt erzielen sie 16% ihres Umsatzes in China (1% Russland). An der Spitze liegt Infineon (37,9%) vor Volkswagen (37,2) und Daimler (32,2). Bei den M - Dax -Unternehmen  führt Aixtron (64,8%) vor Siltronic (35,3) und Schaeffler (23,8). Quelle: HB Nr. 55, 18./ 19./ 20.3.2022, S. 46f. 2019 gibt es hierfür auch andere  Zahlen (Anteil des chinesischen Marktes am Umsatz): Puma 28%, Infineon 27%, VW 21%, Airbus 19%, BASF 12%, Trumpf 11%, Siemens 10%. Quelle: Lau, Jörn: An der goldenen Kette, in: Die Zeit Nr. 33/ 11. August 2022, S. 21. In der Summe hängen in Deutschland 1,1 Mio. Arbeitsplätze vom Endverbrauch in China ab. 2,7% der Wertschöpfung und 2,4% der Gesamtbeschäftigen sind von Export nach China abhängig. Quellen: IW Köln, HB 20.3.23, S. 9. Im Jahre 2022 erreichen die deutschen Direktinvestitionen in China einen neuen Rekord mit 11,5 Mrd. €. Die Unternehmen folgen nicht der Politik. Die größten Investoren waren 2021 (nach der Rangfolge): Volkswagen, BASF, BMW, Veolia, Crystek Pharma. Vgl. HB 67/ 4.4.23, S. 10f. Für China ist die Entkopplung eine Bedrohung. Wenn die chinesische Wirtschaft nicht mehr massenweise exportieren kann, was ist dann die Alternative? Das Bauen als Alternative fällt weg (Wohnungen, Infrastruktur). Es bleibt dann noch der Binnenkonsum. Dazu gibt es zwar eine Strategie. Aber die Mittelschicht mit Kaufkraft ist extrem verunsichert. Also wird China weiter produzieren und exportieren, so weit man es lässt. Vgl. Fischermann, Thomas: Wächst da noch was? in: Die Zeit 8/ 15.2.24, S. 24. Im April 24 nimmt eine China-Flotte Kurs auf Deutschland. Mit eigenen Schiffen bringen die Chinesen ihre E-Fahrzeuge nach Europa. In der EU läuft eine Anti-Subventionsuntersuchung. Die USA sperren die chinesische E-Autos bereits aus dem Markt aus. Sie verlangen derart hohe Zölle, dass sich ein Verkauf nicht mehr lohnt. Aber auch Tesla will aus Shanghai exportieren.

Eine "moralisierende" deutsche Außenpolitik, die dazu auch noch öffentlich kommuniziert wird, ist unklug und kann keinen Erfolg haben. Man muss China zugestehen, dass der Ausstieg aus der Armut  erst mal Vorrang vor Werten hat, zumal die chinesische Kultur viele Werte aus ihrer Tradition heraus teilweise anders sieht. Sanktionen und Druck werden ins Gegenteil umschlagen. Deutschland hat durch herausragende Persönlichkeiten (Hegel, Marx u. a.) und seine Geschichte ein sehr gutes Image und einen relativen Vorteil in China. Ein Abwenden von der Ein - China - Politik wäre ökonomischer Selbstmord für Deutschland (Litauen ist von der EU-Linie abgewichen). Vgl. zu einer Gegenposition dazu: Ohlberg, Mareike: Gute Mienen zu bösen Spielen, in: WiWo 6/ 4.2.22, S. 44f. Natürlich muss man China warnen, dass man eine gewaltsame Übernahme Taiwans durch einen Angriffskrieg nicht akzeptieren kann.

Reisebeschränkung/ Sonderegeln bei Corona: China zeigt sich im Februar 2021 offen dafür, Erleichterungen für Geschäftsleute zuzulassen ("Fast Track" für Geschäftsleute). 2020 sind 2600 Deutsche nach China eingereist, aber das war eine Einbahnstraße. Deutschland erwägt für Chinesen Sonderegeln für getestete oder geimpfte Personen. Ein Drittel der in China tätigen deutschen Firmen können seit März 2020 dringende Geschäfte und Serviceleistungen nicht erbringen (Quelle: Deutsche Außenhandelskammer in China). Die Volksrepublik reagiert mit rigorosen Lockdowns auf Covid - Ausbrüche (Shenzhen, Shanghai). Die Angst vor Zwangsquarantänen geht um. Die Nahrungsmittelversorgung ist angespannt. Arbeiter müssen wochenlang in Fabriken hausen. Unter europäischen Unternehmen in China kippt die Stimmung. Immer weniger ausländische Fachkräfte wollen ins Reich der Mitte.

Verhaltenskodex für deutsche Firmen in China: Er stammt von der deutschen Handelskammer in China. Er wird den Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Ausgangspunkt ist das neue Lieferkettengesetz. Es ist ein Leitfaden/ Werkzeug für die Umsetzung. Es gilt für Unternehmen ab 3000 Beschäftigten ab 2023. Die Wirtschaft bekennt sich zu nachhaltigen Lieferketten und will ihre soziale und ökologische Verantwortung wahrnehmen. Folgende Kriterien sollen auch gewährleistet werden: Nicht-Diskriminierung, Vereinigungsfreiheit, Tarifverhandlungen und "freiwillige" Mitarbeiter. Kinderarbeit wird abgelehnt. Einmal im Jahr soll eine Risikoanalyse bei den Zulieferern und im eigenen Unternehmen durchgeführt werden. Auch indirekte Lieferanten sollen einbezogen werden. Auch der Umgang mit dem Anti-Auslands-Sanktionsgesetz soll noch ergänzt werden. Es soll Unternehmen bestrafen, die sich Sanktionen gegen China anschließen (vom Volkskongress/ Ständiger Ausschuss im Juni 21 beschlossen). Vgl. Heide, Dana: Verhaltenskodex für deutsche Firmen in China, in: HB Nr. 111, 14. Juni 2021, S. 10.

Anti-Spionage-Gesetz 2023: Ein neues Gesetz kann praktisch jedes Unternehmen unter Spionageverdacht stellen. Es tritt am 1. Juli 2023 in Kraft. Westliche Manager sind alarmiert. Sind sie der Willkür der Behörden komplett ausgeliefert?. auf jeden Fall  herrscht Rechtsunsicherheit. Es gibt vage Formulierungen in Gesetzen und Regularien. Vor allem, wenn Infos über Landesgrenzen gehen, ist vieles offen. Im chinesischen Verständnis ist das Recht oft ein politisches Werkzeug. Die Führung steht über dem Gesetz ("Rule by Law"). Es kann für nicht chinesische Firmen immer schwieriger werden, im Wettbewerb zu bestehen.  Vgl. Giese, Christoph/ Hage, Simon: Rechtsfreier Raum, in: Der Spiegel 20/ 13.5.23, S. 68f. "Es muss dringend geklärt werden, welche Informationen sensibel sind und welche nicht", Jörg Wuttke, Präsident, EU-Handelskammer, 2023.

Abhängigkeit der deutschen Industrie von China: Die deutschen Unternehmen investieren immer höhere Beträge in ihre Präsenz in China. Das gilt vor allem für die Automobilindustrie. Stark vertreten sind auch Maschinenbau und Chemie. Diese Brachen transferieren auch immer mehr Technologie und Wissen nach China. 2019 flossen 7 Prozent der gesamten Auslandsinvestitionen nach China, also rund 89 Mrd. €. Im Jahre 2000 lag der China-Anteil bei den Direktinvestitionen nur bei 2 Prozent. Zuletzt waren es 14%. Für Umsatzwachstum und für die Gewinne ist das China-Geschäft in vielen Branchen zum entscheidenden Treiber geworden.  Vgl. Studie des IfW, Kiel, 2022.

Mittlerweile haben Vorleistungen aus China einen hohen Anteil in den einzelnen Branchen in Deutschland: Automobilindustrie 75,8%; Datenverarbeitungsgeräte 71,6%; elektronische Ausrüstung 70,6%; Bekleidung 64,8%; Möbel 64%; Maschinenbau 55,2%; pharmazeutische Industrie 51,8%; chemische Industrie (41,4%); Gummi- und Kunststoffwaren 38,4%; Metallerzeugung und -bearbeitung (37,4%); Glaswaren, Keramik 24,8%; Nahrungs- und Futtermittel 18,7%); Druckerzeugnisse (18,6%); Papier, Pappe 17,5%. Vgl. Focus 21/2022, S. 59. Unternehmen wollen ihre Importe aus China aber reduzieren. Gründe sind: Diversifizierung, gestiegene Frachtkosten, Störanfälligkeit des Transports, politische Unsicherheit, gestiegene Herstellerpreise, mangelnde Qualität.

Im Sommer 2022 arbeitet die Bundesregierung an einer neuen China-Strategie. Sie will raus aus der Abhängigkeitsfalle. Man will Russland und China aber nicht in einen Topf schmeißen. Aber das völlig apolitische Exportmodell dürfte auch vorbei sein. Vor allem die USA drängen auf einen harten Umgang mit China. Analog zu Unternehmen planen auch deutsche Hochschulen ein Decoupling. Vgl. Heide, Dana/ Stiens, T.: Raus aus der Abhängigkeitsfalle, in: HB Nr. 120, 24./25./26.6.22, S. 10f. Kooperationsvorhaben dürften auf den Prüfstand kommen. Man wird grundsätzlich stärker auf die Reziprozität setzen. Vgl. dazu auch: Andreas Fulda: The Struggle for Democracy in Mainland China, Taiwan und Hongkong. Sharp Power and its Discontents, Routledge Verlag 2020. An der neuen deutschen China-Strategie arbeiten das Außenministerium, das Wirtschaftsministerium und das Bundeskanzleramt zusammen. Federführend ist die Asien- und Pazifik-Abteilung im Auswärtigen Amt. Man arbeitet mit Szenarien, also mit mehren Plänen.

Im August 2022 legt das Ifo-Institut aus München eine Studie vor. Es versucht zu berechnen, was eine Entkopplung von China für die deutsche Wirtschaft für Folgen hätte. Die kompakteste Zahl ist der Rückgang des deutschen BIP in diesem Falle. 46% aller deutschen Unternehmen sind von Vorprodukten aus China abhängig. China wird mittlerweile als Klumpenrisiko gesehen. Wirtschaft und Regierung spielen den Exit durch. Das Risiko in China dabei zu sein scheint mittlerweile höher als nicht dabei zu sein.  Vgl. Haerder, Max u. a.: Ausgang ungewiss, in: WiWo 35/ 26.8.2022, S. 14ff. Das Wirtschaftsministerium plant eine Verschärfung der milliardenschweren Investitionsgarantien. Das hätte erhebliche Folgen. Vgl. Greive, M. u. a. :Kurswechsel in der China-Politik, in: HB Nr. 165/ 26., 27., 28. August 2022, S. 1.

Die deutsche Regierung erlaubt im Oktober eine Beteiligung von Cosco am Hamburger Hafen (24,9%). Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen in Deutschland.  Am 03.11.22 startet Bundeskanzler Scholz zu einer Chinareise. Die Außenministerin Baerbock, die auch Asien bereist, pocht auf eine andere China-Politik (Menschenrechte und fairen Wettbewerb). Es ist ein Besuch mit Signalwirkung (historische Dimension). Scholz ist der erste westliche Politiker der seit der Corona-Pandemie und dem Parteikongress China besucht (Kurzbesuch, 12 Stunden wegen Covid). Er reist mit einer Wirtschaftsdelegation (u. a. VW, Deutsche Bank, BASF, BMW, Siemens, BionTech). Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang weist China schon im Vorfeld zurück. Beide Seiten sprechen sich für eine rasche Beendigung des Ukraine-Krieges und gegen den Einsatz von Atomwaffen aus. Der BionTech - Impfstoff soll in China zugelassen werden. 745 Mio. € umfassten 2022 die Garantien, die die Bundesregierung deutschen Unternehmen für ihre Direktinvestitionen in China gewährt hat. 2021 betrug das Volumen noch 2 Mrd. €. Quelle: BMWi 2023.

Am 13./ 14. April 2023 besucht die deutsche Außenministerin Baerbock China. Sie trifft auch Xi Jinping. Themen sind die Ukraine, Taiwan und Menschenrechte. Der Hamburger Hafen wurde inzwischen vom Wirtschaftsministerium als kritische Infrastruktur eingestuft. Das könnte zu Misstönen führen. Das wichtigste Ergebnis der Reise ist: China sagt zu, keine Waffen an Russland zu liefern. Auch Güter mit doppeltem Verwendungszweck sollen kontrolliert werden. Qin Gang, der chinesische Außenminister, sagte dabei zu den Menschenrechten: "Jedes Land hat eine andere nationale Situation, eine andere Geschichte und Kultur, und für die Menschenrechte gibt es keine allgemein gültige Norm".

2023 im Juni finden die Regierungskonsultationen wieder persönlich statt, diesmal in Berlin. Es kommt Ministerpräsident Li Qiang mit einer Delegation. Gleichzeitig trifft US-Außenminister Blinken seine  chinesischen Kollegen und Xi in Peking. Li betont, China wolle die Beziehungen zu Deutschland auf ein höheres Niveau bringen. Vgl. Haerder, Max u. a.: Dieses Mal ist alles anders, in: WiWo 25/ 16.6.23, S. 27ff.

Deutschland und Europa sollten gezielt schauen, wie und wo man von China profitieren kann. Das gilt etwa für Überkapazitäten, die in einer Staatswirtschaft fast normal sind (Solarpanels, Windräder). Wir könnten China für unsere Energiewende nutzen und lieber andere Sparten subventionieren (KI). Beeinflussen können China nur noch die USA. Ansonsten folgt es seiner Strategie. Vgl. Interview mit Jörg Wuttke, in: Die Zeit Nr. 49/ 23.11.23, S. 25.

Auch im Jahr 2023 bleibt China Deutschlands größter Handelspartner vor den USA und den Niederlanden. Allerdings gehen die deutsche Exporte nach China um -15% zurück. Die Exporte nach den USA sind gestiegen. 2023 ist ein Ungleichgewicht in der Handelsbilanz: Importe aus China 156,7 Mrd. €; Exporte nach China 97,3 Mrd. €. 2024 könnte China seinen Spitzenplatz verlieren. Im ersten Quartal 2024 wird es von den USA überholt.

Neue Industriepolitik ab 2024: Modernisierung der heimischen Wirtschaft und grüner machen: 2024 im März lädt die chinesische Staats-Führung die globale Wirtschaftselite zum China Development Forum (CDF). Bayer, Mercedes, Siemens, Bosch, Wacker-Chemie folgen dem Ruf. Die deutschen CEOs hoffen auf Chinas neue Industriepolitik. Sie wittern ein "vielversprechendes Geschäft". Denn die Führung setzt auf "Produktivkräfte neuer Qualität". Die deutschen CEOs haben auch ein Gespräch mit Li Qiang und Handelsminister Wang Wentao. Wenige Konzernchefs aus den USA treffen sogar Xi Jinping. Vgl. HB 26.3.24, S. 9.

Vom 13.04. bis 16.04.24 ist Bundeskanzler Scholz mit einer Wirtschaftsdelegation in China. Er startet am 14. in Chongqing mit dem Besuch eines deutschen Wasserstoff-Unternehmens (Bosch). Am 15.04. reist er nach Schanghai zu einem deutschen Kunststoff-Unternehmen und trifft sich mit Studenten. Am 16.04. trifft er Xi Jinping und Li Qiang in Peking. Mit Li Qiang nimmt er auch am Deutsch-chinesischen beratenden Wirtschaftsausschuss teil. Vgl. FAZ 9.4.24, S. 1 und 2. Das Ansehen Chinas in Deutschland hat sich verschlechtert: negativ 76%, positiv 18%. Beide Tendenzen haben sich 2023 verstärkt. Vgl. Der Spiegel 16/ 13.4.24, S. 23. Scholz fordert einen fairen Wettbewerb und Handel (unterschiedliche Ansichten über die Definition). Scholz fordert von Xi einen Beitrag zu Frieden in der Ukraine (Dual-Use-Güter).  "Was klar sein muss: dass es kein Dumping gibt, dass es keine Überproduktion gibt, das man keine Urheberrechte beeinträchtigt". Bundeskanzler Scholz in Shanghai 2024.

Exkurs. Studie von Bertelsmann Stiftung, IW, Merics und BDI 2023: Der chinesische Markt hat in den kommenden Jahren eine sinkende Bedeutung für deutsche Exporte. Zunehmend könnte die Produktion vor Ort ersetzen. Die zunehmende Systemrivalität erfordert eine neue China-Strategie. China sei 2022 als Investitions- und Produktionsstandort für deutsche Firmen zwar wichtiger geworden, es gebe aber keine volkswirtschaftliche Abhängigkeit von Direktinvestitionen (DI) in China (ca. 7% aller deutschen DI im Ausland). Es flossen jährlich Gewinne aus DI in China nach Deutschland in Höhe von 7 bis 11 Mrd. €.

Exkurs. Soll der deutsche Staat die Industrie vor Konkurrenz aus China schützen? Die Entwicklung der Solarbranche wird auf der einen Seite als warnendes Beispiel gesehen. Weil sie zu wenig Subventionen bekam, wanderte sie aus Deutschland ab bzw. die chinesischen Subventionen waren zu hoch. Bei der Automobilindustrie sollte sich das nicht wiederholen. Wenn der chinesische Markteintritt gelingt, geht es den etablierten Firmen Daimler, BMW, VW an den Kragen.  Auf der anderen Seite wird vor einem Subventionswettbewerb gewarnt. Deutsche Unternehmen würden den Staat einspannen. Man könne fremde Subventionen auch ausbeuten. Daraus können eigene Produkte integriert werden und attraktive Angebote für den Weltmarkt gemacht werden. Vgl. WiWo 46/ 2023, S. 37.

Exkurs. Chinesische Subventionen und Strafzölle des Westens: Weil die Binnenmarkt -Konzeption wegen Krise und sinkender Kaufkraft nicht so funktioniert, flutet China die Welt mit subventionierten Waren. Die USA reagieren mit extremen Strafzöllen (bei E-Autos 100%). Dadurch schrumpfen die Gewinnmargen bei chinesischen Firmen so stark, dass sich Exporte in die USA nicht mehr lohnen. Ausweg sind Direktinvestitionen in Mexiko. Man schätzt, dass die Subventionen für Industrieunternehmen in China 2019 1,73% des BIP betrugen (im Vergleich: Frankreich 0,55; Deutschland 0,41; USA 0,39; Quelle: Die Zeit 22/ 16.5.24, S. 19). Chinaspezifische Instrumente sind: Grundstücksverkäufe unter Marktpreis; Öko-Dumping bei der Produktion in China (Umweltvorgaben, Logistik); gezielte Geldzuwendungen, um bei Ausschreibungen zu unterbieten (CRRC in Bulgarien), Steuernachlässe bei Unternehmen. Für die EU ist es schwieriger als bei den USA mit Schutzzöllen zu antworten. Zwar hält auch das marktliberale IfW in Kiel Schutzzölle für denkbar, aber in der Regel ist für europäische Unternehmen der Markt in China wichtiger als umgekehrt. Deshalb hat man Angst vor Retorsionszöllen oder anderen nicht-tarifären Gegenmaßnahmen. Vgl. Hägler, M./ Mühling, J.: Hart am Wind, in: Die Zeit 22/ 16.5.24, S. 19. Viele plädieren für einen offenen wirtschaftlichen Austausch. So: Fischermann, Thomas: Keine Angst vor Geschenken, in: Die Zeit 24/ 29.5.24, S. 24. Die EU hat eine Anti-Subventionsuntersuchung durchgeführt. Aufgrund der Ergebnisse werden Straf-Zölle auf EU-Autos aus China ab 4.7.24 eingeführt (Bekanntgabe 11.6.24). Die Zölle sind nach Firmen unterschiedlich, je nach Kooperation und Subvention: BYD 17,4%; Geely 20%, SAIC 38,1%.; sonstige 38,1 (keine Kooperation). Andere Lösungen sind bei Kooperation möglich (im Durchschnitt 21%). Man spricht auch von konditionierten Zöllen. Die Effektivität wird in Frage gestellt. Retorsionszölle würden insbesondere die deutschen Autobauer treffen. Die chinesischen Firmen verkaufen ihre Autos in der EU doppelt so teuer wie auf dem Heimatmarkt. Sie liegen damit ganz deutlich über den Produktionskosten. Quelle: Studie der Rhodium-Gruppe, 2024. EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis und der chinesische Handelsminister Wang Wentao vereinbaren, in den kommenden Wochen Gespräche auf allen Ebenen zu führen. Beide  Seiten wollen die Handelsströme stabil halten. Auf der anderen Seite gibt es Experten,, die aus politischen Gründen eine Distanzierung wollen. Sie sehen in den Drohgebärden und Manipulationen der KPCh eine Gefahr für unsere Demokratie. Vgl. Fulda, Andreas: Germany and China. How Entanglement Undermines Freedom, Prosperity and Security, Bloomsbury Academic 2024. In der EU gibt es auch Kritik an den geplanten Strafzöllen. Dadurch würden E-Autos deutscher Hersteller, die in China  gemeinsam mit Partnerunternehmen gefertigt werden, höher belastet als Fahrzeuge chinesischer Konzerne. Dazu gehören der Mini Cooper von BMW, der mit dem Partner Great Wall in Zhangjiagang gebaut wird,  mit einem Höchstsatz von 37,6% belegt werde. Auch der Cupra Tavascan von VW würde mit einem Ausgleichszoll von 37,6% belegt. Die Fahrzeuge von BYD werden mit 17,4% versteuert. Vgl. Der Spiegel 27/ 29.6.24, S. 51. Die deutschen Autobauer kritisieren die Zölle. Sie dürften am stärksten von Gegenmaßnahmen betroffen sein. Deshalb wird China versuchen, dass Deutschland Druck in Brüssel ausübt. Frankreich gilt als stärkster Befürworter der Zölle. Vgl. Basedow, Robert, in: HB 9.7.24, S. 16. Viele ökonomische Experten wollen eher auf eine kluge Industriepolitik setzen. Dazu gehören auch öffentlich-private Partnerschaften, Staatsgarantien, Euro-Bonds. Vgl. Subran, Ludovic: Kluge Konter gegen China, in: WiWo 32/ 2.8.24, S. 38f.

"Wer mir Milch gibt, darf meine Mutter sein", chinesisches Sprichwort.

14. Handelsabkommen mit der EU und Auswirkungen von RCEP auf Europa, Neustart bei CAI 2023: Investitionsabkommen zwischen der EU und China (Comprehensive Agreement on Investment, CAI; Unterhändler: Dombrovskis, Liu He): Die EU und China planen seit längerem ein Investitionsabkommen. Endziel ist aber ein Handelsabkommen. CAI ist die Voraussetzung. Im Sommer 2020 will Angela Merkel mit Spitzenvertretern der EU nach Peking reisen. Das Verhältnis zu China ist Anfang 2020 angespannt. Das Abkommen soll im Herbst 2020 fertig sein. Experten rechnen aber mit einer Verschlechterung der Beziehungen im Laufe des Jahres, so dass es länger dauern dürfte. End e2020 dringt Deutschland in der EU auf ein Abkommen. Einige Staaten haben aber Zweifel (Irland, Niederlande, Italien). Das Abkommen soll vor dem Amtsantritt der neuen US-Regierung am 20.01.21 fertig sein (das wollen beide Seiten). Die Arbeitnehmerrechte sind am umstrittensten (ILO, Zwangsarbeit, Umerziehungslager). 2021 könnte China als Handelsgroßmacht aggressiver auftreten, man hat die USA bei der Größe der Volkswirtschaft bald erreicht. Die Einigung über den Vertrag wird am 30.12.20 erzielt. Kernpunkt ist der verbesserte Marktzugang in China. Damit sollen neue Geschäftsmöglichkeiten geschaffen werden. Davon profitiert insbesondere in Europa Deutschland. Es könnte aber zu Konflikten mit den USA führen. So richtet sich die Kritik an dem Abkommen auf zwei Punkte: Verrat an den Menschenrechten, stößt die US-Regierung unter Biden vor den Kopf. Der genaue Wortlaut ist unter Verschluss. Besonders interessant dürften die Nebendeals sein.  100 Mrd. € ist der Wert der Waren, die Deutschland 2020 nach China exportiert.

Auswirkungen von RCEP auf die EU: "Auch europäische Unternehmen, die in der Region tätig sind, profitieren von resilienteren Lieferketten. Des Weiteren ist mit einer Harmonisierung von Standards über alle 15 RCEP-Mitgliedsländer hinweg zu rechnen. Diese Vereinheitlichung erleichtert europäischen Exporteuren die Geschäfte mit Asien. Dennoch wird Europa durch Handelsumlenkungseffekte, die durch den neuen Mega-Deal entstehen, insgesamt verlieren: Wenn der Handel zwischen den asiatischen Ländern ansteigt, fällt die Nachfrage nach Waren aus dem Westen. Das RCEP-Abkommen ist die chinesische Antwort auf das gescheiterte TPP (Trans-Pacific Partnership). China nutzte die Chance und stieß in das entstandene Machtvakuum." Siehe Flach, L./ Teti, F.: RCEP-Abkommen: Versteckte Auswirkungen, in: Wirtschaftsdienst 12/ 2020, S. 904. Solche indirekten Wirkungen sind schwer zu analysieren und zu prognostizieren. Deshalb bin ich froh, dass ich hier mal zitieren kann.

China hat schon zwischen 2000 und 2019 sehr stark in der EU investiert. Spitzenreiter ist Großbritannien (GB) mit 50,3 Mrd. € Der Brexit dürfte gerade hier dem Land schwer schaden. Viele Länder haben GB als Tor in die EU genommen. An zweiter Stelle liegt Deutschland mit 22,7 Mrd. €. Dann folgen Italien (15,9), Frankreich (14,4) und Finnland (12,0). In den letzten Jahren geht China bevorzugt nach Osteuropa. Hier sieht die Reihenfolge im gleichen Zeitraum (2000 bis 2019) wie folgt aus: Ungarn (2,4), Polen (1,4), Rumänien (1,2), Tschech. Rep. (1,0), Bulgarien (0,4). Die Vereinigung für wirtschaftspolitische Kooperation 16 + 1 wurde 2012 gegründet. 2029 trat Griechenland noch bei, dass man von 17 + 1 spricht (1 ist China). 2020 fiel eine Konferenz im April wegen Corona aus. Eine Videoschaltung soll am 09.02.21 stattfinden. Viel Vakzin von China soll die Vereinigung retten. China investiert auch in Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kroatien. Hier erreichen die Investitionen ein Sechstel oder Siebtel des BIP. Diese Länder sind für China interessant, weil sie sich noch nicht an Vorgaben der EU halten müssen. Quelle: Mihm, Andreas: China Charme Offensive im Osten, in: FAZ Nr. 32, 8.2.21, S. 19. Große Aufmerksamkeit erregt die chinesische Autobahn in Montenegro. Sie wird mit viel Geld und Arbeitern aus China gebaut. Das Land ist ein Beitrittskandidat der EU  und hat hohe Schulden in China gemacht. Gleichzeitig setzt China auf eine Strategie der Zersetzung der EU. Das Veto Ungarns gegen die China-Politik der EU (Sanktionen wegen Hongkong) ist ein erster Erfolg.

Im Jahre 2020 überholt China die USA erstmals als wichtigster Handelspartner der EU. Das Handelsvolumen mit der Volksrepublik betrug 586 Mrd. €. Mit den USA waren es 555 Mrd. €. Die Exporte der EU nach China stiegen um 2,2% auf 202,5 Mrd. €. Die Importe erhöhten sich um 5,6% auf 383,5 Mrd. €. Die Exporte in die USA fielen um 8,2%, die Importe gingen um 13,2% zurück (Corona-Krise). China erholte sich schneller als die USA, aber auch Handelsrestriktionen. Die EU muss eine Handelsstrategie gegenüber China entwickeln. Der Handelskommissar Dombrovskis ist 2021 damit beauftragt. Vgl. zu einer Einschätzung: M. Naß, Drachentanz, München 2021, S. 183ff. (IX. Europa: Das Ende der Naivität). Die EU verhängen Sanktionen gegen China gegen Verantwortliche für die Unterdrückung der Uiguren: Vermögenswerte natürlicher und juristischer Personen). Erstmals seit 30 Jahren Sanktionen der EU gegen China. China verhängt Sanktionen gegen Deutsche (Politiker, Mercator-Institute for China Studies). Das könnt das Investitionsabkommen noch gefährden: Die Zustimmung des EU-Parlaments ist notwenig. Firmen, die die Zwangsarbeit der Uiguren kritisieren, werden mit dem Kaufboykott der Bevölkerung belegt (H&M, Arbeit auf Baumwollplantagen).

Exkurs: China und Europa: Im späten Mittelalter war in Europa Venedig eine Weltmacht im globalen Handel und hatte nahezu ein Monopol im Handel mit China ("Europas Tür zur Welt"; La Serenissima"). Aus China importiert wurde Seide, Tee und Porzellan. Nach China exportiert wurden Textilien, Schmuck, Gewürze, Lederwaren, edle Hölzer, Pelze. Die Polos hatten auch Kontore am Ural. Sie betrieben Handel über die Seidenstraße zur Zeit der "Goldenen Horden" der Familie Khan. Die Strecke ging von Venedig über Istanbul durch den Kaukasus bis China. Marco Polo soll Kublai Khan, den Enkel von Dschingis Khan, in Dunhuang oder Shangdu getroffen haben. Der machte ihn zu seinem Präfekten. Khan hatte Cambaluc, das heutige Peking, zur Hauptstadt gemacht (er stammte aus Karakorum in der Mongolei). Er ließ die ersten Geldscheine machen (Rinde aus Maulbeerbäumen, mit einem roten Siegel). Er förderte den internationalen Handel, die Bauern und die Handwerker.  Marco Polos Lieblingsstadt in China soll Hangzhou gewesen sein. Auf dem Seeweg reiste Polo zurück (von Quanzhou aus, der Partnerstadt von Neustadt Weinstraße).  Marco Polo (1271-1295; in genuesischer Gefangenschaft schrieb er seine Erlebnisse auf; das Erfolgsbuch prägte vor den Jesuiten das Chinabild der Europäer) Er reiste, berichtete und brachte viele Produkte und  Erfindungen aus China, das zu der Zeit die technologische Führungsmacht der Welt war, nach Europa. An den Erzählungen Marco Polos zweifelten schon die Zeitgenossen. 17 Jahre will er das Land bereist haben. Beim Schreiben half ihm der Mitgefangene Rustichello da Pisa. Das Buch heißt "Il Milione". Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Es gibt heute noch viele handschriftliche Exemplare. Am erfolgreichsten in der Verbreitung war die lateinische Version. Heute gibt es umgekehrt eine Invasion von Chinesen in Venedig. Sie betreiben Geschäfte, Bars und Restaurants. Einige führen auch illegale Imitate ein. Im Jahre 1697 gründete Gottfried Wilhelm Leibnitz in Hannover das "Bureau d`adresse pour la Chine" Er hatte über 1100 Korrespondenzpartner. Er schrieb das Buch "Novissima Sinica". Er pries ein ebenbürtiges China als "Europa des Ostens". Leibnitz schrieb weiter, den Chinesen gebühre der "goldene Apfel" für "Vortrefflichkeit der Völker". In der Phantasie der europäischen Fürsten spielte China eine große Rolle.  Im 18. Jh. sorgten europäische  Missionare für einen stetigen Fluss von Informationen aus China für Europa (vgl. Friedhof der europäischen Jesuiten in Peking). Sie machten auch Meister Kong zu Konfuzius (latinisiert). Es entstand eine Begeisterung für China. Porzellan, Pavillons, Lackmöbel, Schattenspiele, Tee kamen in Mode. Für Immanuel Kant war China "das kultivierteste Reich der Welt". Voltaire hielt der katholischen Kirche die überlegene Sittlichkeit der Chinesen vor. Quesnay lobte die chinesische Philosophie über die griechische. Im 19. Jh. änderte sich das Bild als die beiden Weltmächte China und England aneinander gerieten (vgl. Opium weiter unten).  Vgl. Vogelsang, Kai: Geschichte Chinas, Stuttgart 2019, S. 434ff. Die heutige Invasion von Chinesen in Venetien und Oberitalien begünstigte bzw. verursachte den massiven Corona-Ausbruch 2020 dort.

Exkurs. Hafen von Piräus: Er wird in Brüssel auch "Kopf des Drachen" genannt. 2016 war Griechenland pleite. Die EU gab vor, Staatsfirmen zu verkaufen. Da es in Europa niemand wollte, schlug China zu mit COSCO. COSCO hat noch weitere Beteiligungen in der EU: Seebrügge/ Belgien (90%), Antwerpen/ Belgien (20%), Bilbao/ Spanien (40%), Rotterdam/ Niederland (30%), Hamburg/ Deutschland (24,9%).

Nach der Xinjiang-Eskalation (mit Sanktionen der EU und Gegensanktionen) ist mit einer Ratifizierung  erst mal nicht zu rechnen. Die stärkeren Sanktionen Chinas deuten darauf hin, dass man die EU nicht ganz so ernst nimmt (eine Klasse mit Australien, Kanada).

Die EU kann viel von China lernen. Sie muss entschlossener, klarer, pragmatischer  besser organisiert und egoistischer werden. "America first" wird bleiben. Man kann nicht mehr bedingungslos auf die USA setzen. Man braucht auch in Asien Käufer von Staatsanleihen und Exporten. Die EU muss eine Strategie entwickeln, wie sie China schon hat. Auf Dauer wird die deutsche Strategie nicht funktionieren: Werte predigen und Autos verkaufen. Bisher ist die EU-Strategie zu allgemein: China als Partner, Wettbewerber und Systemrivale. Vgl. Middelaar, Luuk van: Macht unter Mächten, in: Die Zeit Nr. 17, 22. April 2021, S. 9. Auch: Flach, Lisandra: Die EU braucht eine klare USA - China - Strategie, in: Wirtschaftsdienst, H. 4; 2021, S. 238f. Im schlimmsten Falle könnte die EU zwischen die Fronten der Supermächte geraten ("tripolare Welt").

2021 hat die EU schon eine große Abhängigkeit von China. Wenn man globale Lieferketten betrachtet und die Herkunft von 137 sensiblen wirtschaftlichen Ökosystemen ergibt sich folgende Abhängigkeiten (in Prozent des importierten Warenwertes): China 52%; Vietnam 11%), Brasilien (5%), Südkorea (4%), Singapur (4%), USA (3%), GB (3%), Japan (3%), Russland (3%), Hongkong (1%), Restliche Welt (11%). Quellen: HB Nr. 84, 3. Mai 2021, S. 13. EU-Kommission. Die Exporte der EU nach chin asteigen im Juni 2021 um 34,1%.

Im September 2021 gibt die EU bekannt, dass sie die Handelsverbindungen zu Taiwan vertiefen will (Freihandelsabkommen). Da könnte Ärger mit China drohen. China hat aber selbst ein Freihandelsabkommen mit Taiwan. Die EU will ein positives Signal an Taiwan senden, weil dort mit TSMC der größte Chip-Hersteller sitzt.

Im November 2021 entwickelt die EU einen 300-Milliarden-Plan (Global Gateway). Sie will das Geld investieren, um Infrastrukturprojekte weltweit zu fördern. Es ist Europas Antwort auf Chinas Seidenstraßeninitiative. Die EU will zu einem geopolitischen Akteur werden. 147 Mrd. € sollen von Europäischen Entwicklungsorganisationen wie der KfW kommen. Europa ärgert es besonders, dass bei den Ausschreibungen der "Belt and Road" - Initiative der Chinesen europäische Unternehmen so gut wie keine Chancen haben. Die USA sind mit ihrer Gegen-Strategie allerdings voraus ("Leuchtturmprojekte" beginnen schon Januar 22; "Build back better World"). Auch Japan will agieren. Im Rahmen der G7 sollen die Projekte verzahnt werden.  Vgl. HB 30.11.21, S. 1.

Im Januar 2022 startet die EU ein WTO-Verfahren gegen China: Man springt Litauen im Handelsstreit mit Peking bei.  China will Litauen abstrafen und setzt dafür auch deutsche Firmen unter Druck (bilaterale Beziehungen Litauens zu Taiwan, Vertretung). Die Beziehungen zwischen der EU und China sind auf Talfahrt. Daran ändert auch ein virtueller Gipfel nach zwei Jahren am 1. April 2022 nichts. China ist stiller Nutznießer des Ukraine-Krieges. Es schließt neue Energieabkommen mit Russland (springt in die Lücke, die die EU hinterlässt) und liefert Waren gegen Devisen (unterläuft damit die Wirtschaftssanktionen). Die EU zieht eine rote Linie bei der Lieferung von Militärgütern von China an Russland.

Am 14.2.23 startet Außenminister Wang Yi eine Europa-Reise. Man spricht von Charmeoffensive. Er besucht Frankreich, Italien, Ungarn, die Münchener Sicherheitskonferenz und Russland. Es geht auch um die Vorbereitung von Staatsbesuchen (Macron in China, Xi in Russland). Gleichzeitig reist der Gouverneur von Xinjiang Erkin Tuniyaz nach London, Paris und Brüssel. Wahrscheinlich geht es auch um die Sanktionen der EU gegen Verantwortliche in Xinjiang. Als Gegenmaßnahme hatte China das EU - China-Abkommen auf Eis gelegt.

Im März 2023 einigen sich das Europaparlament und der Ministerrat auf ein neues Handelsinstrument gegen Erpressung. Es ist insbesondere gegen China entwickelt worden. Es soll ein Schutzinstrument sein, dass verhindert, dass Drittstaaten Handel als politische Waffe einsetzen. Ausgangspunkt war die Blockade Chinas für Litauen bei Eröffnung eines Büros von Taiwan. Gegenmaßnahmen der EU sind Zölle, Einfuhrbegrenzungen, Zugang zum EU-Binnenmarkt, Beteiligung bei öffentlichen Ausschreibungen. Die EU soll zunächst direkt mit dem betroffenen Drittstaat verhandeln. Bei Nichtzurücknahme soll gehandelt werden. Vgl. FAZ 29.3.23, S. 19.

Im April 2023 soll das CAI (Comprehensive Agreement on Investment) wieder belebt werden. Macron (französischer Präsident) und Ursula von der Leyen (EU-Kommissionschefin) reisen nach Peking. Das Abkommen würde Europäern in China Minderheitsbeteiligungen ermöglichen, in Bereichen, in denen bisher kein Zugang erlaubt war: bei Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Krankenhäusern, Immobilien, Luftfahrt und Cloud-Diensten. China steht unter Druck. Es gibt einen gigantischen Kapitalabfluss (für 2023 erwartet der IWF 5,5%). Hinzu kommt, dass dei US-Regierung an einem Screening - Mechanismus arbeitet, um DI  für bestimmte High-Tech-Branchen in China zu überwachen und zu erschweren. Die EU-Kommission könnte ähnliches machen. Vielleicht will China auch erreichen, dass die EU die Sanktionen wegen der Uiguren aufhebt. Vgl. Wettlach, Silke: Wie CAI aus der Kiste, in: WiWo 14/ 31.3.23, S. 28f.

China-Abkommen von Italien und anderen EU-Staaten: Im Rahmen der Neuen Seidenstraßeninitiative gibt es 14 Abkommen mit EU-Staaten. In Italien schielt man vor allem auf Häfen und Bauaufträge. die USA und die G7 sind dagegen. Italien steckt in einem Dilemma: China ist einer der wichtigsten Handelspartner (9% der Importe, 2,7% der Exporte). Auf der anderen Seite hat man Angst vor feindlichen Übernahmen. Ein Kompromiss könnte wie folgt aussehen: Abkommen ratifizieren, aber sensible Bereiche ausnehmen (Energie, Telekommunikation). Vgl. HB 16.5.23, S. 12.

Gegenmaßnahmen der EU in internationalen Handelskonflikten: Im Oktober 2023 kommt ein entsprechendes rechtliches Instrument. Hintergrund waren die Handelsbeschränkungen Chinas gegen Litauen. Künftig kann die EU den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen für Firmen der betreffenden Länder beschränken oder den Vertrieb bestimmter Produkte aus Europa blockieren.

Die EU-Kommission will künftig Investitionen aus China und in der Volksrepublik stärker überwachen. Im einzelnen geht es um folgende Maßnahmen: 1. Verordnung zum Screening ausländischer Direktinvestitionen  (FDI) wird verschärft. Kritische Technologiebereiche müssen geprüft erden. 2. Im Outbound Investment Screening sollen die Regierungen erst mal Daten sammeln.  3. Die nationalen Exportkontrollen sollen verbessert werden. 4. Universitäten sollen bei der Zusammenarbeit stärker auf Sicherheit achten. 5. "Dual - Use"- Technologie soll eventuell besser gefördert werden. Vgl. HB 16/ 23.01.24, S. 6f. "Wir können nicht chinesischer sein als die Chinesen", EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager, im Januar 2024, siehe WiWo 5/ 26.01.24, S. 28.

Im Mai 2024 kommt der chinesische Präsident Xi Jinping zu einem Staatsbesuch nach Frankreich (erstmals seit 5 Jahren wieder in Europa, Dissens im Ukraine-Krieg, unlautere Handelsmethoden). Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist dabei (Scholz hatte eine  Einladung ausgeschlagen). Die EU droht mit Schritten gegen Marktverzerrung (subventionierte chinesische Produkte wie E-Autos, Stahl und Solarmodule fluten den europäischen Markt, die EU will nicht die chinesische Überproduktion absorbieren). Xi soll zugesichert haben, Russland im Ukrainekrieg nicht mit Waffen zu beliefern und die Ausfuhr militärisch nutzbarer Güter zu kontrollieren. Weitere Stationen in Europa sind Serbien und Ungarn. Es sind die China- und Russland-Freunde. Putin macht just zum Besuch eine Übung des Atomkommandos (Militärübung mit taktischen Atomwaffen). Es ist eine Warnung Putins an den Westen. Ungarn ist das Einfallstor Chinas in die EU. Es ist ein wichtiger Teil der Neuen Seidenstraße, weil wichtige Eisenbahntrassen durch das Land führen. China tätigt auch DI, wie z. B. den Bau großer Batterie-Fabriken (ohne große Beachtung von Umweltauflagen). Deshalb bleibt Xi auch 3 Tage bei seinem Besuch im Mai 24  in dem Land. Er spricht von einer "goldenen Reise" beider Länder.

Bei den EU-Firmen in China ist 2024 eher Katerstimmung. Sinkende Profite, schwieriges Geschäftsumfeld. Eines der Probleme: Chinas Lokalregierungen investieren in zusätzliche Produktionskapazitäten, obwohl es nicht genug Nachfrage gibt. Vgl. Die Rheinpfalz 11.5.24, S. 3.

Exkurs. Chinastrategie der EU: 2021 kommt die Indopazifik - Strategie. Sie beinhaltet mehr Konfrontation. Es liegt ein Papier vor. Die Aufrüstung in Asien und die Bedrohung demokratischer Werte durch autoritäre Regime werden beklagt. Man will noch enger mit den USA zusammenarbeiten. Man will auch tiefere Wirtschaftsbeziehungen zu Taiwan eingehen. Unfaire Handelspraktiken und wirtschaftliche Erpressung werden angeprangert. Man setzt auf Allianzen mit gleich gesinnten Staaten. Dem Machtstreben Chinas soll entgegengewirkt werden. Eine engere Anbindung an das Quad -Bündnis ist geplant. Verstärkte Marineeinsätze der Mitgliedsstaaten in der Region soll es auch geben. Vgl. Gusbeth, Sabine/ Heide, Dana: Europas Anti - China - Strategie, in: Handelsblatt Nr. 177, Dienstag, 14.09.21, S. 12f. Zukünftig will die EU-Kommission chinesische Subventionen genauer unter die Lupe nehmen. Das soll ein neues Korsett für Fusionen in der EU sein. Vgl. FAZ 22.2.23, S. 16. Einzelne Regierungschefs unterlaufen immer wieder die Strategie der EU (die von Ursula von der Leyen präsentiert wird). Dabei tun sich besonders hervor: Macron/ Frankreich, Orban/ Ungarn. Vgl. Fahrion; Georg: Die Höflinge des Xi Jinping, in: Der Spiegel 16/ 15.4.23, S. 6. Im Mai 2023 findet ein Außenminister -Treffen in Brüssel statt. Man will die Umgehung von Sanktionen gegen Russland stoppen. Im Blickfeld ist vor allem China. Betroffen sind aber auch insbesondere die Türkei und Kasachstan. Im September 2023 kritisiert die EU, dass China Elektroautos künstlich  verbillige. Die chinesischen Hersteller bekämen Subventionen. Deutschland und Frankreich applaudieren. Am 26.9.23 besucht EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis China. Er kritisiert Chinas Handelspolitik und die Haltung zum Ukraine-Krieg. Die EU hatte 2022 ein Handelsdefizit von -396,2 Mrd. €. 2024 verschärft die EU die Investitionskontrollen. Die EU-Kommission will künftig Investitionen aus China und in der Volksrepublik stärker überwachen. Im einzelnen geht es um folgende Maßnahmen: 1. Verordnung zum Screening ausländischer Direktinvestitionen  (FDI) wird verschärft. Kritische Technologiebereiche müssen geprüft erden. 2. Im Outbound Investment Screening sollen die Regierungen erst mal Daten sammeln.  3. Die nationalen Exportkontrollen sollen verbessert werden. 4. Universitäten sollen bei der Zusammenarbeit stärker auf Sicherheit achten. 5. "Dual - Use"- Technologie soll eventuell besser gefördert werden. Vgl. HB 16/ 23.01.24, S. 6f. "Unsere Offenheit wird ausgenutzt", Valdis Dombrovskis 2023.

"Die Politisierung von Wirtschafts- und Handelsfragen verzerrt die Prinzipien der Marktwirtschaft", Wu Ken, Botschafter Chinas in Berlin, 2023 (HB 9.1.23, S. 5).

15. De - Risking als neue Strategie in Deutschland ab 2023 und "Reverse dependency": Es geht um die Reduzierung der Abhängigkeit von China. Es soll einen Mittelweg geben. Die Frage ist, inwieweit die Unternehmen bereit sind, ihn umzusetzen.

Exkurs. Die größten Abhängigkeiten von China: Konkrete große Abhängigkeiten gibt es bei folgenden Produkten: Gallium 95%; Fahradteile 93%; Regenschirme 89%; Rollschuhe 82%; Laptops 86%; Vitamin C 84%. Vgl. Hägler, Max/ Yang, Xifan: China, eine toxische Beziehung, in: Die Zeit 16/ 11.4.24, S. 19.

2022 waren die deutschen Direktinvestitionen (DI) in China noch mal gestiegen auf 11,5 Mrd. € (2020 2,1 ; 2021 10,0). Das ist das Gegenteil von Abkopplung. Hinzu kommt die große Abhängigkeit bei Rohstoffen. Bei folgenden Rohstoffen beträgt der Import aus China einen besonders hohen Teil: Scandium 92%, Yttrium 92, Bismut 87, Antimon 87, Carbon 73, Magnesium 73. Quelle: WiWo 17/ 21.4.23, S. 19 (Haerder, Max u. a.: Alarmstufe Rot). 

Die Bundesregierung will in der neuen Chinastrategie weniger China wagen. Die deutschen Unternehmen folgen dieser Strategie noch nicht. Deutschland ist im europäischen Vergleich immer noch der größte Investor in China (Anteil von 43%; Ergebnis der Beratungsfirma Rhodum)). Die Abhängigkeit von Peking bleibt eine Schicksalsfrage. Mittelständler verlagern wohl Produktion aus China in andere Länder Asiens. Die weitaus größte Mehrheit der über 5000 deutschen Firmen will aber bleiben. Insofern scheint De - Risking erst mal eine Leerformel zu bleiben. Aber aus Sicht eines Unternehmens ist das plausibel. De - Risking sieht ein Unternehmen nicht länderspezifisch. Auch Europa hat hohe Risiken:  hohe Energiekosten, Bevölkerungsrückgang, Krieg und Instabilität. Ohne China wird es auch in Zukunft nicht gehen. "Reverse dependency"  ist deshalb der aktuelle Begriff: Nicht nur Europa soll von China abhängig sein, sondern China auch von Europa. Die Zeit dafür ist günstig: Chinas Wirtschaft schwächelt, es fehlen Jobs, die Löhne sinken, die Menschen sparen zu viel.  "Peking verfügt in zahlreichen Märkten und Technologien über eine Art Monopolmacht", Gabriel Felbermayr, Chef des  Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Wien 2023.

Exkurs. China-Strategie Deutschlands 2023: Nach längeren Diskussion und auch Konflikten zwischen Außenministerium und Bundeskanzleramt wird Mitte 2023 (13.7.23) die neue China-Strategie Deutschlands in einem Paper schriftlich festgelegt (ca. 60 Seiten, Neuausrichtung des Umgangs mit China, Mittelweg zwischen Kritik und Pragmatismus): China wird als Partner, Wettbewerber und Systemrivale gesehen. Die Strategie besitzt keine Gesetzeskraft, soll aber Orientierung darstellen. Das Papier spricht Streitthemen wie Menschenrechte, Rechtsstattlichkeit und fairen Wettbewerb an. Als ausdrücklich negativ wird hervorgehoben, das China seinen Weltmachtanspruch zunehmend offensiv vertritt; das es handelspolitisch den Marktzugang für ausländische Unternehmen erschwert und das es in der Innenpolitik zunehmend repressiv gegenüber der eigenen Bevölkerung auftritt. Dei Wirtschaft wird zudem stärker in die Pflicht genommen, Unternehmen müssen Risiken in China verstärkt selbst tragen. De - Risking ist wohl das Schlüsselwort. Deutschland muss sich besser aufstellen, diversifizieren, Lieferketten streuen. Unternehmen treffen aber die Investitionsentscheidungen, sie müssen dabei selbst mehr Risiken tragen. Der Bericht wurde ausgerechnet beim Berliner Merics-Institut vorgestellt, dessen Forscher Einreiseverbot in China haben. China ist Deutschland wichtigster Handelspartner.

Im Juni 2023 sind die chinesischen Exporte nach Deutschland eingebrochen. Die ausländischen Direktinvestitionen betrugen 2023 lediglich 20 Mrd. $, 2022 waren sie noch fünfmal so hoch. Das scheint auf ein Ende der China-Romanze als Goldgrube hinzudeuten. Das Pflaster wird härter. Kern des Problems: Das wirtschaftliche Umfeld wird immer stärker ideologisch geprägt. Vgl. Kretschmer, Fabian: Das Ende der China Romanze, in: die Rheinpfalz 21.9.23. Seit 2003 hat sich die Importquote Chinas auf nun 15% halbiert. Weil der komparative Vorteil Deutschland bei Kapitalgütern nicht mehr dem chinesischen Bedarf entspricht, muss sich Deutschland neue Wachstumsmärkte suchen. Vgl. Studie des IfW Kiel 2023.

Exkurs. Chinesische Subventionen und Strafzölle des Westens: Weil die Binnenmarkt -Konzeption wegen Krise und sinkender Kaufkraft nicht so funktioniert, flutet China die Welt mit subventionierten Waren. Die USA reagieren mit extremen Strafzöllen (bei E-Autos 100%). Dadurch schrumpfen die Gewinnmargen bei chinesischen Firmen so stark, dass sich Exporte in die USA nicht mehr lohnen. Ausweg sind Direktinvestitionen in Mexiko. Man schätzt, dass die Subventionen für Industrieunternehmen in China 2019 1,73% des BIP betrugen (im Vergleich: Frankreich 0,55; Deutschland 0,41; USA 0,39; Quelle: Die Zeit 22/ 16.5.24, S. 19). Chinaspezifische Instrumente sind: Grundstücksverkäufe unter Marktpreis; Öko-Dumping bei der Produktion in China (Umweltvorgaben, Logistik); gezielte Geldzuwendungen, um bei Ausschreibungen zu unterbieten (CRRC in Bulgarien), Steuernachlässe bei Unternehmen. Für die EU ist es schwieriger als bei den USA mit Schutzzöllen zu antworten. Zwar hält auch das marktliberale IfW in Kiel Schutzzölle für denkbar, aber in der Regel ist für europäische Unternehmen der Markt in China wichtiger als umgekehrt. Deshalb hat man Angst vor Retorsionszöllen oder anderen nicht-tarifären Gegenmaßnahmen. Vgl. Hägler, M./ Mühling, J.: Hart am Wind, in: Die Zeit 22/ 16.5.24, S. 19. Viele plädieren für einen offenen wirtschaftlichen Austausch. So: Fischermann, Thomas: Keine Angst vor Geschenken, in: Die Zeit 24/ 29.5.24, S. 24. EU-Zölle könnten E-Autos generell verteuern. Die Deutsche Industrie spricht sich für Zölle gegen China aus. Ansonsten führe der unfaire Konkurrenzdruck zu Produktionskürzungen und Entlassungen in Deutschland. Vgl. HB 11.6.24, S. 8f. Peking untersucht im Gegenzug die Handelspraktiken der EU. Es gibt eine formelle Untersuchung. Betroffen sind Eisenbahnen, die Bereiche Sonnen- und Windkraft sowie Sicherheitsausrüstung. Einige Ökonomen in Deutschland halten Subventionen für Schlüsselbranchen für ökonomisch sinnvoller als Strafzölle auf Importe. Vgl. WiWo 31/ 26.7.24, S. 39.

Exkurs. Chinas Autoindustrie auf dem Weg an die Spitze: China braucht nur 20 Jahre, um die Autoindustrie zur weltweiten Bedeutung aufzumotzen. Schon 2022 beherrscht die chinesische Autoindustrie den globalen Markt bei E-Autos: Der Anteil liegt bei 59%. Dann kommen Europa mit 26% und Nordamerika mit 11%. Das ist eine Vorschau auf die zukunft. 2022 hat China einen weltweiten Anteil bei der Herstellung in der Autoproduktion von 32,6%. Es folgen Japan (9,1), Indien (6,0), Deutschland (4,8), Südkorea (4,8), Mexiko (4,8). China hat auch den mit Abstand größten Automarkt der Welt mit 23,2 Mio. Neu-Zulassungen 2022 (vor USA 13,7 und Europa 11,3). Noch liegen die Autokonzerne aus China hinten bei Umsatz (SAIC 9. Stelle mit 121 Mrd. US-$) und Börsenwert (Polestar Platz 8, Geely Platz 12, Nio Platz 20, BYD Platz 91, alle Juli 2023 in US-$). BYD hat 2022 1,9 Mio. E-Autos produziert, ein Plus von 211% gegenüber 2021. Damit wurde auch Tesla überholt (1,3 Mio.). Die E-Mobilität ordnet die Welt neu bei Autos. Kann Deutschland dem noch was entgegensetzen. wie gefährdet ist unser Wohlstand? Vgl. Steinkircher, Peter/ Teryoshin, Nikita: Chinas lange Fahrt, in: Focus 36/ 2023, S. 90ff.  Im September 2023 kritisiert die EU, dass China Elektroautos künstlich  verbillige. Die chinesischen Hersteller bekämen Subventionen. Deutschland und Frankreich applaudieren. Am 26.9.23 besucht EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis China. Die EU erwägt Importzölle für chinesische E-Autos. Die könnten über 25% liegen (vergleichbar den Importzöllen der USA). Dann würde China einen Retorsionszoll erheben. Man verhandelt. Die Chinesen profitieren von drei Faktoren: Erstens sind die Lieferketten in der Welt extrem unbeständig (Suez u. a.). Zweitens fehlt eine klare politische Flankierung (das Aus des Verbrenners in der EU war ein großer Fehler, China forscht intensiv daran). Drittens sind die USA und China in ihrer merkantilistischen Industrie-Politik mit hohen Subventionen nicht zu schlagen. Für Deutschland kann das dramatisch werden, da die Zukunft der Autobranche mit der Zukunft des Standortes zusammenhängt. BYD baut ein neues Werk in Zhengzhou, das allein eine Kapazität von 400.000 Autos pro Jahr hat (mit drei Batteriefabriken nebenan). Schon seit Jahren trainieren chinesische Hersteller zudem selbst fahrende Autos. Am berühmtesten ist die Teststrecke in der Hafenstadt Lingang bei Shanghai. 60% aller Investitionen in Robo-Autos werden in China gemacht. Vgl. WiWo 16/ 12.4.24, S. 22. Die deutschen Autobauer erleben 2024 einen Absturz in China. Sie fallen auf ihrem wichtigsten Absatzmarkt weit hinter einheimische Marken zurück. Radikale Schrittte müssen wohl kommen. "Die deutschen Autobauer sitzen in China in einer Falle. Ihr Markenerbe wird zur Last", Andreas Herrmann, Direktor am Institut für Mobilität, Uni St. Gallen, siehe HB 23.4.24, S. 1. Die USA erheben 2024 Sonderzölle auf chinesische E-Autos von 100%. Die chinesischen Hersteller wollen das Einfallstor Mexiko nutzen. Die EU plant auch Zölle auf E-Autos, weil China E-Autos hoch subventioniert. Bisher werden 10% Zollgebühr plus Mehrwertsteuer auf den Gesamtwert eines PKWs erhoben. Die Sache wird kompliziert, denn China ist als Markt für europäische Autohersteller deutlich wichtiger als umgekehrt. Bei 30% wäre die Marge von Nio zu gering. Für Byd und MG bliebe noch etwas übrig. EU-Zölle könnten E-Autos verteuern (die China-Importe könnten um 25% sinken). Die EU hat eine Anti-Subventionsuntersuchung durchgeführt. Aufgrund der Ergebnisse werden Straf-Zölle auf EU-Autos aus China ab 4.7.24 eingeführt (Bekanntgabe 11.6.24). Die Zölle sind nach Firmen unterschiedlich, je nach Kooperation und Subvention: BYD 17,4%; Geely 20%, SAIC 38,1%.; sonstige 38,1 (keine Kooperation). Andere Lösungen sind bei Kooperation möglich (im Durchschnitt 21%). Man spricht auch von konditionierten Zöllen. Die Effektivität wird in Frage gestellt. Retorsionszölle würden insbesondere die deutschen Autobauer treffen. Die chinesischen Firmen verkaufen ihre Autos in der EU doppelt so teuer wie auf dem Heimatmarkt. Sie liegen damit ganz deutlich über den Produktionskosten. Quelle: Studie der Rhodium-Gruppe, 2024. EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis und der chinesische Handelsminsiter Wang Wentao vereinabren, in den kommenden Wochen Gespräche auf allen Ebenen zu führen. China hat zur Not aber Einfallstore in die EU: Das ist in erster Linie Ungarn. Hier baut BYD eine Batteriefabrik. Eine Autofabrik entsteht in der West-Türkei (Umgehung der Zölle, Zollabkommen der Türkei). Auch Serbien steht immer bereit.

Deutsche Firmen klagen 2024 über harten Preiskampf in China. Das ergab eine Umfrage der deutschen  AHK in China. 61% der Unternehmen nannten das als größtes Problem. Ein Fünftel der befragten Firmen sind Autohersteller. Man verhandelt mit chinesischen Behörden und Unternehmen über die Strafzölle der EU. Bis Anfang Juli 24 ist noch Zeit. China droht mit Retorsionszöllen, etwa auf Schweinefleischimporte. Im Juni 2024 besucht Bundeswirtschaftsminister Habeck das Land. Deutsche Firmen fordern fairen Marktzugang in China. Der Zollstreit vergrößert die wirtschaftliche Unsicherheit. Doch die Mehrheit der deutschen Firmen will weiter in China investieren. Vgl. HB 18.6.24, S. 8. Themen sind auch Menschenrechte, der Pakt mit Russland und das Klima. Am 21.6. und an den folgenden tagen besucht Wirtschaftsminister Habeck Peking, Shanghai und Hangzhou. (vorher in Südkorea). Es geht um den Handel und die Vermeidung eines Handelskriegs. Li Qiang kann ihn nicht treffen.  Er spricht mit Handelsminister Wang Wentao und Industrieminister Jin Zhuanglong. Man will den Handelskonflikt um Strafzölle lösen (E-Autos, Retorsionszoll auf Schweinefleisch). Man vereinbart, Verhandlungen zu führen. China ist aber nicht darauf angewiesen. Man hat strategisch geplant: E-Auto-Fabriken und Batteriefabriken entstehen in Ungarn und der Türkei (Zollabkommen mit der EU).

Exkurs. Chinas Maschinenbau auf dem Weg an die Weltspitze: Deutschland Maschinenbau war einsam an der Weltspitze (zusammen mit Japan). Seine Technik war führend, sein Image tadelos. Jetzt kommt China auf und lehrt, was echte Konkurrenz bedeutet. Beim Exportvolumen in der Entwicklung von 2013 bis 223 sind die Daten Furcht erregend für den deutschen Maschinenbau. Man kann von einem wirtschaftswunder sprechen. Die chinesischen Zuwachsraten bei den Exporten sehen wie folgt aus: Werkzeugmaschinen +225%; Holzbearbeitungsmaschinen +195%; Kompresssoren und Vakuumpumpen +222%; Kunststoff- und Gummimaschinen +196%; Verpackungsmaschinen +215%; Papiertechnik, Papierverarbeitungsmaschinen +188%; Aufzüge und Fahrtreppen +95%. Natürlich sind Basiseffekte zu beachten. Aber die goldenen Jahre in Fernost sind für Deutschland vorbei. China ist 2020 zum weltgrößten Exporteur von Maschinen und Anlagen aufgestiegen. Die Firemn haben natürlich Skalenvorteile. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden chinesische Firmen vom Staat hoch subventioniert (aber sehr intransparent). Es laufen Anti-Dumping-Verfahren.  400 von 3200 deutschen Maschinenbauern haben eine Fertigung vor Ort. Zunehmend werden Joint - Ventures eingegangen. Die Chinesen arbeiten auch stärker integriert.   Der chinesische Maschinenbau ist durchaus auch mittelständisch. Dafür wurde die Initiative "Kleine Riesen" eingerichtet. Auf der Liste stehen ca. 10.000 Firmen, die gefördert werden. Vgl. Stölzel,  Thomas: Der nächste Chinakracher, in: WiWo 30/ 19.7.24, S. 44ff.

16. Der Wert des Staatskapitalismus (die bessere Wirtschaftsordnung?): Sozialistische Marktwirtschaft: Mischsystem, d. h. Volkseigentum und starker Plan- bzw. Staatsanteil verbunden mit Marktpreisbildung und Gewinnergebnisrechung bei Betrieben. Planwirtschaftliche Methoden spielen noch eine Rolle, vor allem über die KP-Kader (Partei hat ca. 90 Mio. Mitglieder mit strengen Aufnahmekriterien; sie bilden eine Klammer bis in die Regionen, "Rotchina AG"; der Parteitag trifft sich alle 5 Jahre in Peking; die 2213 Delegierte wählen die 350 ZK-Mitglieder). Man spricht von Staatskapitalismus. Der Anteil der Privatwirtschaft liegt mittlerweile über 50% (abhängig von der Zuordnung der Rechtsformen, den Anteilen und dem Einfluss des Staates). Die Staatsunternehmen, noch ca. 35% aller Unternehmen (ca. 150.000 größere Unternehmen  2003),  haben in der Wertschöpfung einen Anteil von 42%. 2011 gibt es noch 144.700 Staatsunternehmen mit einem Nettogewinn von 322 Mrd. Euro. Man spricht auch vom "China-Modell". Typisch sind auch stark informelle Strukturen wie das Kultur geprägte "Family Business Network". Ein neues Eigentumsrecht soll das Privateigentum gesetzlich schützen (Nutzungsrecht vergleichbar der Erbpacht). Im August 2007 wird ein Anti-Monopolgesetz verabschiedet: Preisabsprachen werden verboten und Fusionen sind genehmigungspflichtig.  Für ausländische Investoren wird bei Zusammenschlüssen "die nationale Sicherheit" überprüft (wegen der Schwammigkeit sehr umstritten!). Nach dem internationalen Business-Monitor von Handelsblatt ist China 2008 das wettbewerbsfähigste Land der Erde (vor Deutschland und der Schweiz). China wird von der EU noch nicht als Marktwirtschaft anerkannt (non-market economy), was Antidumping -  Maßnahmen erleichtert. Umgekehrt sind die Märkte in China noch nicht vollständig geöffnet, wodurch viele ausländische Firmen von lukrativen Aufträgen ausgeschlossen sind. In der Weltwirtschaftskrise 2009 verstärkt China die staatliche Lenkung seiner Wirtschaft wieder (der Umweltschutz wird gelockert). Rund 6,5 Mrd. € will China von 2010 bis ca. 2013 in "Auslandspropaganda" investieren, um sein Image in der Welt zu verbessern. China baut seine Wirtschaft konsequent von einer Export- zu einer Binnenwirtschaft um. Nach jüngsten Prognosen wird China 2028 die USA als führende Wirtschaftsnation ablösen (Heuser, J./ Yang, X.: Der Markt macht`s, in: Die Zeit, 15.11.2018, S. 25 und Zhang Weiying: Die Mär vom China-Modell, in: Die Zeit 15.11.18, S. 26). "Planung und Marktkräfte sind nicht der wesentliche Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Planwirtschaft ist nicht die Definition von Sozialismus, da es Planungen auch im Kapitalismus gibt. Marktwirtschaft findet auch im Sozialismus statt. Planung und Marktkräfte sind Wege zur Kontrolle der Wirtschaftstätigkeit", Deng Xiaoping. Die Idee war nicht neu: Theoretische Vorläufer waren Enrico Barone (1859 - 1924) und Oskar R. Lange (1904 - 1965).

Am Ende der Corona-Krise 2021 zeigt sich, dass das System der USA (vor allem seit dem Amtsantritt von Biden) bei Innovationen Europa und auch vielleicht China voraus ist. Dafür funktionieren in der EU die Sozial- und Gesundheitssysteme besser, da hat auch China Nachholbedarf. Der chinesische Staatskapitalismus, der Zensur praktiziert und Selbstzensur fördert,  stößt an die Grenzen. Wäre das nicht so, hätte man die Pandemie bei größerer Transparenz Ende 2019 verhindern können. Vgl. Aghion, Philippe: Neue schöpferische Zerstörung, in: WiWo 16, Heft 4/ 16.4.21, S. 36f.

Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaften: Indikatoren: 1. Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (hier führen die USA, China ganz hinten). 2. Einkommensverteilung (Gini, geringster Wert wichtig, Schweden vorne, China schlecht, direkt hinter USA). 3. Arbeitsproduktivität (BIP je Beschäftigten in Dollar, es führt Schweden, China hinten). 4. Erfindergeist (Internationale Patentanmeldungen, China vorne). 5. Wettbewerbsfähigkeit (WEF, es führen die USA vor Japan, China hinten). Hochschulabschluss (es führt Großbritannien, China hinten). Vgl. Pennekamp, J.: Soziale Marktwirtschaft in der Zange, in: FAZ Nr. 92, 21. April 2021, S. 19.

Die Beteiligung des Staates am Kapital des Landes (Immobilien, Unternehmen, Boden, Infrastruktur, technische Anlagen) liegt seit 2006 etwa bei 30% (1978 70%). Vgl. Thomas Piketty: Der Sozialismus der Zukunft, München 2021, S. 77ff. So gesehen steht der Staat in China besser da als in den meisten anderen Ländern. Dort ist in der Regel das gesamte staatliche Kapital in den Händen von Privateigentümern, weil die Schulden höher sind als die Vermögensbestände (auch in Japan).

Exkurs: Legitimitätsglaube in China.  Die Chinesen haben einen hohen Grad an Vertrauen in die Regierung. Sie glauben, dass das System ihr Leben verbessert und ihr Schicksal zum Positiven verändert. Sie haben auch großen Stolz auf ihr Land. Xi spricht sogar von der besseren Demokratie mit mehr Menschenrechten. Meinungsumfragen in China sind nicht üblich, die das bestätigen. Es handelt sich um Einschätzungen von Experten, die China im Blick haben. Vgl. Fahrion, Georg: Rückzug in die Blase, in: Der Spiegel Nr. 6/ 2022, S. 8ff. Xi Jinping hat auch systematisch den Nationalismus in seinem Land aufgebaut. Dazu gehört auch das Versprechen, dass in seiner Amtszeit noch Taiwan ins "Reich heimgeholt" wird. Damit hat er sich erheblich unter Druck gesetzt. Der Legitimitätsglaube ist aber eng mit dem Wohlstandsversprechen, d. h. dem Aufstieg,  verknüpft. Xi denkt in 100-Jahresepochen: 100 Jahre KPCh (2021) haben China von Armut in mehr Wohlstand geführt. 100 Jahre VR China 2049 machen China zur führenden ökonomischen und militärischen Macht in der Welt. Somit hat China als einziges Land der Welt ein klares strategisches Ziel. Die kommunistische Führung kann nicht machen. was sie will. Als die Null-Covid-Strategie zu Demos führt, ändert sie sofort die Strategie um 180 Grad. Die VR China hat auch einen klaren Überbau. Der Marxismus legitimiert das Wirtschaftssystem. Der Konfuzianismus stützt das kommunistische Herrschaftssystem. Der Daoismus steht für Lebensqualität (Glück, Gesundheit, Jenseits). Religionen, vor allem der Islam, werden mit Separatismus verbunden. Am ehesten wird der Buddhismus toleriert, wenn es nicht die tibetische Variante Lamaismus ist. Die Chinesen sind auf der anderen Seite aber sehr gut darin, sich der staatlichen Kontrolle zu entziehen. Die Stagnation in aktueller Zeit löst so etwas wie einen kollektiven Schock aus. Vgl. Biao, Xiang, Interview, in: HB 14.11.23, S. 12. Ende 2023 scheint die Stimmung eher schlecht zu sein, die Kritik an der Führung scheint groß. Laut der internationalen World -Value -Umfrage ziehen über 90 Prozent der Menschen in China Sicherheit der Freiheit vor. In den USA sind es 27 Prozent. Die Chinesen in China sind wegen ihrer Regierung nicht weniger glücklich als Briten in GB. Sie erwarten von ihrem Staat, dass er aktiv eingreift. Das sehen sie als impliziten Vertrag zwischen ihnen und der Regierung. Siehe Keyu Jin, Professorin für Economics an der LSE, Interview in NZZ 27.3.24, S. 18f. ( ihr Vater leitet die AIIB). Die chinesische Führung begründete ihre Legitimität stets mit ihrem ökonomischen Erfolg (Bekämpfung der Armut im Land und Aufstieg in die Mittelschicht). Das ist ein Sozialpakt und Element der Stabilität. Hinzu kommt aber immer das Element, dass der leninistische Staat die Gesellschaft effektiv-autoritär kontrolliert. Der Legitimitätsglaube vermischt sich auch mit Grundeigenschaften der Chinesen: Resilienz, Unternehmergeist und Optimismus.

Kontrolle scheint mittlerweile (2021) China wichtiger zu sein als Wachstum. Die Staatsführung (Politbüro der KP) reguliert ganze Wirtschaftszweige. Gleichzeitig gibt es immer wieder Stromausfälle und Lieferengpässe. Der Handelsstreit mit Australien führt zu einem Mangel an Kohle.  In Covid-Fällen greift man knallhart durch (zuletzt in Dailan bei Studenten). Die Staatsmedien fangen schon an, "barbarisches Wachstum" zu geißeln. Vgl. Felix Lee: Kontrolle ist China wichtiger als Wachstum, in: Rheinpfalz Nr. 267, 17.11.21. China stärkt systematisch den eigenen Binnenmarkt. Man will auch technologisch unabhängiger von den USA werden. Total abschotten ist aber auch nicht erwünscht. Angesichts der Zerfallstendenzen in den USA (Spaltung) und der EU (Brexit, Osteuropa) sieht man sich im Wettbewerb der Systeme mittlerweile im Vorteil.

Doch mittlerweile 2022 häufen sich auch Analysen, die darauf hinweisen, dass China den Zenit überschritten habe. Man spricht von einer Weltmachtblase. Folgende Punkte werden aufgeführt: 1. Die autokratische Effizienz ist eine Mär. 2. Die strategische Weitsicht hält sich in Grenzen. 3. Die Ideologie ist dem Pragmatismus unterlegen. 4. Die Jugend ist ohne Hoffnung. 5. Der Nationalismus ist hohl. Vgl. Yang, Xifan: Die Weltmachtblase, in: Die Zeit Nr. 25/ 15. Juni 2022, S. 10. China kann sein Verteilungsproblem nicht mehr über das Wachstum lösen. Die Stagnation führt dazu, dass im Inneren die Kontrolle verstärkt wird (nutzen der Digitalisierung) und nach außen der aggressive Auftritt wächst (Flotte und paramilitärische Fangschiffe im südchinesischen Meer u. a.).

Es wird immer schwieriger, sich ein akkurates Bild über die Wirtschaft zu machen. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass der Privatsektor systematisch zurückgedrängt wird. Man scheint sich wieder eher auf dem Weg zu einer Planwirtschaft zu befinden.

Exkurs: Geschichte der Sozialistischen Marktwirtschaft, anhand von vier entscheidenden Kriterien: 1. Unternehmen: Ab 1979 mit dem Beginn der Wirtschaftsreformen entwickelte sich privates Unternehmertum. Es entstanden Handelsgeschäfte, Werkstätten, erste kleine Fabriken. Ihre Besitzer durften Gewinne machen und diese auch behalten.  Parallel dazu bekamen Staatsbetriebe größere Freiheiten. Wenn sie ihre Plan-Ziele überschritten, durften sie die Mehreinnahmen frei verwenden.  2. Arbeitsmarkt. Schon 1979, gleich am Anfang der Reformen, wurde für die Arbeiter ein Bonussystem eingeführt. Das alte, anreizlose System (egalitäre Bezahlung) wurde sukzessive zurückgefahren. Die Arbeiter konnten selbst bestimmen, wie sie die Boni untereinander aufteilten. Mitte der 1980er Jahre kam dann eine weitere Reform: die Einführung von Arbeitsverträgen. 3. Landwirtschaft. Hier fing die Marktwirtschaft an. Bauern bekamen zunächst kleine Flächen (wie Gärten) zugewiesen, auf denen sie anbauen und anpflanzen konnten, was sie wollten. Die Ernte durften sie dann auf Märkten zu Marktpreisen verkaufen. Sukzessive wurde so die kollektivistische Landwirtschaft privatisiert. Das nützte Bauern und Verbrauchern. Im Großraum Shenzhen durften Bauern später ihr Nutzungsrecht verkaufen und wurden dadurch zu Millionären (hierzu gibt es legendäre Geschichten über das Nachtleben in Shenzhen). Es gibt aber auch viele Berichte über Landraub (Enteignung; das gilt auch für das kommunistische Bruderland Vietnam)  4. Preise. Es war eine wichtige Frage. Unter Mao wurden die Preise staatlich festgelegt, egal ob Gemüse, Kleidung oder Maschinen. Guangdong im Süden Chinas durfte als erste Stadt Stück für Stück Preiskontrollen reduzieren, besonders für Agrarprodukte. Die Preise für Konsumgüter wurden schneller freigegeben als für Industriegüter. 1988 hatte Guangong fast keine regulierten Preise mehr (in der Anfangsphase holte man sich Beratung in Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, was die Preismessung anging; das Staatliche Preisamt wurde immer mehr reduziert und letztendlich in die Statistik eingegliedert).

Exkurs: Überwachung mit Gesichtsscannern: Gesichtsscanner werden überall eingesetzt. Sie sind selbst auf den Toiletten. Vordergründig dienen sie zur Verfügungstellung der Ressourcen (Wasser, Papier). Sie können aber leicht umfunktioniert werden. China ist ein Land der Universalüberwachung geworden. In Supermärkten kann der Konsum überwacht werden. Vordergründig geht es um Nachschub-Logistik. Gesichtsscanner beschränken den Zugang zu Hotels, Büros und Bahnhöfen. Die Sicherheit wird dadurch sicher erhöht. Fahrräder müssen kaum noch abgeschlossen werden. Vgl. Mühling, Jens: Die Partei weiß alles über mich, in: Die Zeit 34/ 8.8.24, S. 18.

"Der chinesische Staat hat keine Ideologie, keine Religion, keine moralischen Prinzipien. China ist eine Diktatur geworden, die den Staatskapitalismus praktiziert", Ai Weiwei, Chinesischer Künstler und Menschenrechtsaktivist, Quelle: Der Focus 36/2020, S. 41. Es gibt in Deutschland auch Deutsche, die eine große Skepsis gegenüber China haben. so etwa Reinhard Bütigkofer, der für die Grünen im Europaparlament sitzt. China hat über ihn ein Einreiseverbot verhängt.

17. Der "kleine Kaiser" Xi Jinping und seine Ziele (er lässt sich lieber "guter Kaiser" nennen): 2017 ist Xi Jinping Teil der Verfassung geworden - das hat es seit Mao nicht gegeben (einmalig in der "Mao-Dynastie"). Die Person wird damit den Takt und auch den Ton der Weltpolitik für Jahrzehnte vorgeben. China ist vielleicht das derzeit mächtigste Land der Welt (in Anbetracht der Schwächen und Wankelmütigkeit der USA unter Trump; vielleicht bringt Biden hier Besserung). Seine Industrie untermauert die Weltwirtschaft, sein Militär wächst schneller als das jeder andern Nation. Also ist es von immenser Bedeutung, wie dieser Mann tickt. Xi wurde 1953 geboren, als Sohn von Xi Zhongxun, einem Militärführer und Verbündeten Mao Zedongs. Zwei Jahrzehnte war der Vater ein Opfer der Kulturrevolution (der Absturz kam 1962). Xi war der zweitälteste Sohn von sieben Kindern. 1966 war er auf einer Eliteschule nahe des Regierungsviertels und wohnte in der Verbotenen Stadt. Er lernte die Mao-Bibel auswendig. Dann kam er in der Kulturrevolution in die Provinz Shaanxi, wo er mit Bauern lebte. Mit 15 Jahren musste er Fronarbeit verrichten und wurde gedemütigt (7 Jahre; seine älteste Schwester begeht wegen der Demütigungen der Familie wahrscheinlich Selbstmord)). Experten vergleichen sein Schicksal mit dem Stockholm-Syndrom. Mitte der Siebzigerjahre studierte Xi an der Pekinger Universität Tsinghua Ingenieurwissenschaften (mit 22 Jahren trat er wieder in die Partei ein mit gefälschten Dokumenten). Eine Zeit lang lebte Xi auch in den USA in Iowa (ursprünglich wollte er vom US-Modell lernen; bei einem erneuten Besuch sah er klar die Schwächen). Von 1978 bis 1982 arbeitete er als Sekretär Geng Biaos, Mitglied des ZK und eine militärische Schlüsselfigur (auch Verteidigungsminister). 1982 ging er wieder in die Provinz, 1985 ging er nach Fujian (Partner-Provinz von RLP). Er blieb 16 Jahre dort. Wichtig ist seine zweite Frau Peng, die als bekannte Schauspielerin und Sängerin in Ansehen und Bekanntheit über ihm stand. Sie schult ihn in Öffentlichkeitsarbeit. Von 2000 bis 2002 war er Gouverneur in Fujian. Dann ging er in die Küstenprovinz Zhejiang, wo er fünf Jahre in höchster Parteiposition tätig war. Er lernte dort Jack Ma, den Begründer von Alibaba, kennen. Ein wichtiger Konkurrent um die Führung der Partei Bo Xiling musste 2011 aufgeben bzw. wurde von ihm ausgeschaltet. Xi verschwand dann eine Zeitlang 2011 (niemand weiß bis heute, wo er war). Es fand wohl im Politbüro ein Machtkampf statt, bei dem er sich als Kompromisskandidat durchsetzte. Man hatte in dieser Zeit Mühe mit Kontakten zu führenden Kollegen an den Hochschulen (an den führenden Hochschulen sind die Mitglieder des Politbüros in der Leitung). Xi hatte sich bei der Organisation der Olympischen Spiele 2008 bewährt. Ende des Jahres bzw. 2012 konnte er sich dann als Führer durchsetzen (erst in der Partei, 2013 als Präsident). Wie stark die innere Opposition gegen Xi ist, bleibt Journalisten und Wissenschaftlern verborgen. Ebenso wie die tatsächlichen Machtverhältnisse und Entscheidungsmechanismen sind. Was sind nun Xi´s Ideen? 1. Er will massiv die Korruption bekämpfen (die VBA wird "gesäubert"). 2. Die Partei soll zum Diener der wachsenden Mittelschicht werden. 3. Wohlstand und Innovation sollen stark ausgedehnt werden (China 2025; mehr Verteilungsgerechtigkeit). 4. Formulierung eines Wertekanons (Konfuzianismus, Revival des Marxismus, Harmonie; er baute die Marxismus-Kurse an den Universitäten aus). 5. Wirtschaft zuerst. Sozialer und politischer Fortschritt kann warten. 6. Globale Führungsmacht bis 2050 (2049 100 Jahre Volksrepublik). Man bezeichnet die Ziele zusammen als "China Dream". Vgl. Kerry Brown: Die Welt des Xi Jinping. Alles, was man über das neue China wissen muss, S. Fischer, Frankfurt 2018. Die KPCh hat 2018 90 Mio. Mitglieder, mehr als Deutschland Einwohner hat. Sein engster Berater ist Wang Xining. Er verfügt über eine immense Erfahrung in der Partei. 11,2 Mio. Parteimitglieder wurden bis 2018 in Haft gesetzt in der Antikorruptionskampagne, die ein Machtinstrument ist. Allerdings hat seine Familie (vor allem seine Schwester) auch Vermögen im Ausland gebunckert. Als Bloomberg das raus brachte, wurde der Sender in China verboten bis heute. Xi Jinping hat 2012 bei seinem Amtsantritt das Dokument Nr. 9 eingeführt. In ihm warnt er vor demokratischen Kräften, die Pressefreiheit, Demokratie und Menschenrechte wollen. Die vorsichtige Trennung von Partei und Staat, die Deng Xiaoping eingeleitet hatte, wird vollkommen zurückgedreht. Der Macht der Kommunistischen Partei hat sich alles andere unterzuordnen (Staat, Wirtschaft, Unternehmen, Wissenschaft).  Außenpolitisch strebt Xi Eurasien an, das Rückgrat ist die "Neue Seidenstraße". Bei Nachbarländern traut er sich auch politisch ran, wie bei Australien und Neuseeland. Politiker wurden bestochen. Australien verbietet daraufhin ausländische Spenden. In Djibuti wurde der erste Militärstützpunkt in Afrika errichtet. China dominiert mittlerweile in Afrika mit dem Motto " Recht auf wirtschaftliche Entwicklung". In Europa wird eher gekauft (Piräus, Toulouse, Budapest, Hahn). Die Invasion Chinas in Europa verläuft schleichend aber wirkungsvoll. "Wirft man Eisen 100 mal ins Feuer, dann wird es zu Stahl". "Wer Europa besitzt, dem gehört die Welt". Beide Sprüche hat er im Hinterkopf. Er hat eine große Angst vor dem Zerfall des Landes. Er hat immer wieder Russland-Experten nach der Zerfall der Sowjetunion befragt. Auch der Arabische Frühling hat ihn alarmiert. 2021 erscheint eine weitere Biographie über Xi Jinping. Stefan Aust/ Adrian Geiges: Xi Jinping. Der mächtigste Mann der Welt, München 2021. Die Autoren wollen Xi aufgrund von Reden, verfügbaren Quellen, eigenen Interviews und Reportagen darstellen. Das Buch enthält keine Geheimnisse oder Skandale. Trotzdem verhindert man in Deutschland über die Konfuzius-Institute (Hannover, Duisburg-Essen) eine Diskussion darüber.  2023 erscheint ein weiteres Buch, dass Infos über Xi enthält: Frank Dikötter: China nach Mao. Der Aufstieg zur Supermacht, Stuttgart/ Klett-Cotta 2023.

Exkurs: Am 1. Juli 2021 (wurde später festgelegt, es gab mehrtätige Beratungen) feiert die Partei (KPCh) ihr 100. Gründungsjubiläum. Unter der Führung von Staatspräsident Xi Jinping hat sie die Kontrolle auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft ausgedehnt. Sie hat im Jubiläumsjahr 92 Mio. Mitglieder. Die Phase der Öffnung ist vorerst beendet. Kritik an der Partei darf nur anonym oder verhalten geäußert werden. In die subtropische Bergregion der Provinz Jiangxi zog sich Mao einst mit seinen Getreuen zurück, bevor er 1934 zum Langen Marsch aufbrach. Die Kaderschmiede Jinggangshan erinnert noch heute daran. Sie bereitet die Elite auf eine politische Laufbahn vor. 1949 erobern die Kommunisten die Macht und gründen die Volksrepublik. 2008 war ich ein Semester im Zentrum der Macht an der Hochschule der KPCh in Peking und habe dort und anderswo  Vorlesungen gehalten und Forschungen gemacht, Die Welt war damals eine andere. Andere Symbole der Partei, wie die Gründungstätte im französischen Kolonial - Viertel von Shanghai, werden eher runtergespielt, weil sie nicht ins nationalistische Geschichtsbild passen. Es findet eine Zeremonie auf dem Platz des Himmlischen Friedens statt. In seiner Rede droht Xi dem Ausland; doch es ist auch Verunsicherung zu spüren. Peking steht an dem Tag still.  Es gibt auch "Roten Tourismus": Chinesen pilgern an die wichtigsten Stätten der Parteigeschichte. Eine neue Stätte ist das Parteimuseum in Peking (150.000 Quadratmeter). Wichtigstes Versprechen für die Bevölkerung sind heute Wohlstand und nationale Größe. Schwesterparteien gibt es noch in Kuba, Vietnam, Laos und Nordkorea.

Am 08.11.21 tritt das Zentralkomitee von Chinas KP zusammen. Xi Jinping wird die Gelegenheit nutzen, seine persönliche Rolle in den Geschichtsbüchern zu verewigen. Es gibt zwei große Linien: Der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft bis 2049 (100 Jahre VR China). Der Wiederaufstieg der chinesischen Nation nach dem so genannten "Jahrhundert der Schande" (1840-1949). Die Parteigeschichte soll in drei Abschnitte unterteilt werden: Unter Mao sei China auferstanden, unter Deng Xiaoping sei es reich geworden, und unter Xi Jinping werde es stark werden. Drei Siege werden Xi zugeschrieben: Niederschlagung der Demokratiebewegung Hongkong 2019, Sieg über extreme Armut, Sieg über das Coronavirus. Vgl. Böge, Friederike: Auf Maos Pfaden, in: FAZ Nr. 260, 08.11.21, S. 2.  Xi legt immer größeren Wert auf das philosophische Fundament (Marxismus, Daoismus, Konfuzianismus). Man bezeichnen ihn schon als "Philosophenkönig". Im Herbst 2022 ist der 20. Parteikongress der KP, die wahrscheinlich wichtigste Polit-Veranstaltung für Xi Jinping. Er will seine dritte Amtszeit ausrufen. Gleichzeitig kriselt es in China (Null-Covid-Strategie, Lockdowns, Massenentlassungen). Hoffentlich muss Xi das nicht durch zunehmenden Nationalismus ausgleichen (Verschärfung der Taiwan-Krise). Als die WHO die Corona-Varianten durchnummeriert werden nach der Omikron-Variante (aus Südafrika) 2 griechische Buchstaben übersprungen: "Ny" klinge zu ähnlich dem Englischen "New". "Xi" sei ein weit verbreiteter Nachname. Pikant dabei ist, dass der chinesische Parteichef und Staatspräsident so heißt.

Am 16.Oktober beginnt der Kongress der Kommunistischen Partei (20., alle 5 Jahre, 5 Tage Dauer, 2341 Delegierte) in Peking. Dort soll eine dritte Amtszeit von Xi beschlossen werden bzw. seine lebenslange Regentschaft, was wohl nur Formsache ist. Seine Macht ist gefestigt (über 100.000 Regierungsbeamte wurden im Zuge der Anti-Korruptionskampagne hinter Gittern gesteckt). Er hat sein Land umgekrempelt. Den Zenit dürfte er aber überschritten haben. Wahrscheinlich hat er zu viele Fehler gemacht. Man spricht von vier Kardinalfehlern: 1. Die Null - Covid - Strategie hat das Land in eine Sackgasse geführt, einschließlich Wirtschaftskrise. 2. Die gesellschaftliche Überwachung hat zu viel Frust geführt, Covid wird instrumentalisiert (perfekter Überwachungsstaat). 3. Die führenden Tech - Konzerne wurden an die Leine gelegt und damit ihrer Innovationskraft beraubt. 4. Die Unterstützung der Position Putins im Ukraine-Krieg hat das Ziel einer neuen Weltordnung offen gelegt (er scheint den Rest der Welt von sich abhängig machen zu wollen). Vgl. Kretschmer, Fabian: Fehlentscheidungen holen Xi ein, in: Die Rheinpfalz 15.10.22. Xi tritt als Ideologe auf. Seit 2017 verschiebt er die Wirtschaftspolitik in Richtung marxistische Linke. Er misstraut dem privaten Sektor. Er hat Parteikomitees geschaffen, die Personalberufungen in privaten Firmen überwachen. In Hongkong hat Xi ein drakonisches Sicherheitsgesetz eingeführt, das alle Proteste erstickt hat.  Vgl. Fahrion, Georg/ Giesen, Christoph: Der Allmächtige, in: Der Spiegel Nr. 42/ 15.10.22, S. 10ff. Xi hält auf dem 20. Parteikongress eine zweistündige Grundsatzrede, in der er die Ziele seiner neuen Amtszeit erläutert ("Chaos" in Hongkong beseitigt, Aufrüstung, Null-Covid bleibt, Wiedervereinigung mit Taiwan - notfalls mit Gewalt, Ausklammerung von Ukraine und Xinjiang, Betonung des Umweltschutzes). Die Jugendarbeitslosigkeit in China beunruhigt die Partei. Xi warnt vor "gefährlichen Stürmen". Vgl. Gusbeth, Sabine: Xi Jinping warnt vor "gefährlichen Stürmen", in: HB Nr. 200/ 17.10.22, S. 10. Selbstkritik ist nicht zugelassen. Das Ausland wird mit "Wolfskrieger-Diplomatie" bekämpft: Verschwörungstheorien und Beschimpfen des Westens. Vgl. Kretschmer, Fabian: Pekinger Paralleluniversum, in: Die Rheinpfalz Nr. 245/ 21.10.22, S. 3. Xi Jinping wird für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der KPCh gewählt (damit kann er 2023 auch zum dritten Mal als Staatspräsident gewählt werden). Auf der Abschlusszeremonie des Kongresses wird der ehemalige Staatspräsident (von 2003 bis 2013)  Hu Jintao von Saaldienern aus dem Raum geleitet (Verhaftung oder gesundheitliche Probleme?). Xi lässt seine loyalen Anhänger in den Ständigen Ausschuss des Politbüros wählen. Direkt hinter ihm folgt der Technokrat Li Qiang (kümmert sich um die Wirtschaft und die führenden Unternehmen), der damit auch Premierminister werden dürfte. Man rechnet damit, dass Xi rational und zuverlässig bleiben wird. Vgl. Kretschmer, Fabian: Xi und seine Ja-Sager, in: Die Rheinpfalz 24.10.22, S. 2. Wichtig für uns ist weiterhin: Wirtschaftswachstum in China wird an Bedeutung verlieren. China forciert die weitere technologische und wirtschaftliche Abkopplung. Für die chinesische Staatsführung ist die Ideologie wichtiger als die Wirtschaft. Vgl. HB Nr. 205/ 24.10.22, S. 6f.

Exkurs: Zentralkomitee von Chinas KP: Es sind die knapp 380 mächtigsten Frauen (30) und Männer (350) des Landes (Stand 2021). Sie halten alle Macht in den Händen. Es sind Minister, Militärführer, Gouverneure, die Parteichefs der Provinzen, die Vorsitzenden der wichtigsten Parteiorgane, die Leiter der wichtigsten Hochschulen. Aktuell läuft wieder eine Säuberungskampagne: Der frühere Chef des Geheimdienstes wird verhaftet (Sun Lijun, Illoyalität). Es gibt sogar die Hypothese, Xi reise nicht zum G20-Gipfel und zur Weltklimakonferenz in Glasgow, um seinen Gegnern keine Chance zu geben. Vgl. Böge, Frederike: Auf Maos Pfaden, in: FAZ Nr. 260, 08.11.21, S. 2

Am 07.2.23 hält Xi seine erste Grundsatzrede im neuen Jahr. Er skizziert seine politische Kursrichtung. Eine "Verwestlichung" lehnt Chinas Staatschef ab, über allem steht die Kommunistische Partei. Die Rede ist einen Monat vor Beginn des Nationalen Volkskongresses, bei dem seine dritte Amtszeit beginnt. Er hielt seine Rede vor den führenden Kadern in der Parteischule des Zentralkomitees (hier habe ich mal ein Semester unterrichtet). "China habe den Mythos entlarvt, dass Modernisierung gleich Verwestlichung bedeute". "Der chinesische Weg diene den Entwicklungsländern des globalen Südens als Vorbild". China versucht schon länger, sein autokratisches Regierungsmodell ins Ausland zu exportieren. China sei die "bessere Demokratie und fördere die Menschenrechte stärker als die USA". Kein anderes Land als China habe in solch kurzer Zeit so viele Menschen aus der Armut gehoben, was das Verdienst der KPCh sei (die ersten 100 Jahre von 1921 bis 2021). Die zweiten 100 Jahre (1949-2049) sollen China in jeder Hinsicht an die Weltspitze bringen.  Vgl. auch: Kretschmer, Fabian: China: Xi sieht sein Land als die bessere Demokratie, in: Die Rheinpfalz Nr. 34/ 9.2.23.  Bei der Sitzung des Volkskongresses 2023 im März kommen ein neuer Premierminister (Li Qiang) und ein neuer Außenminister (Qin Gang). Beide sind Vertraute von Xi. Xi selbst wird für eine dritte Amtszeit als Staatspräsident gewählt. Er hat die drei wichtigsten Ämter inne (Präsident, Chef der KPCh, oberster Militär). Xi nennt zwei wichtige Ziele: 1. Wirtschaft (Wachstum mindestens 5%).2. Militär (höchste Ausgaben). Li Qiang (an 2. Stelle im ständigen Ausschuss des Politbüros) beruhigt internationale Investoren.  In China gibt es eine Xi Jinping-App. Sie soll adäquat zur ehemaligen Mao-Bibel sein. Sie enthält kluge Sprüche von Xi und zeigt sein Weltbild. Wenn man die App anklickt, erhält man Social Scoring-Punkte. Abends gibt es mehr Punkte als morgens.

Xi scheint 2023 und wohl auch 2024 fest im Sattel zu sitzen. Wahrscheinlich kommen weitere Details über Qin und Li ans Licht. Doch die Berichte dürften geschönt sein, denn der Eindruck, Xi habe bei der Ernennung Fehler gemacht, ist zu vermeiden. Xi hat immer noch keinen designierten Nachfolger. Es könnten Spannungen kommen, wenn Möchtegern-Kandidaten um seine Aufmerksamkeit buhlen. Zu den Anwärtern gehört sicher Cai Qi, der im März 23 zu Xis Stabschef ernannt wurde. Im ständigen Ausschuss des Politbüros (7 Köpfe) steht er an fünfter Strelle. Er war immer nahe bei Xi (in Fujian, in Zhejiang). er ist für Xis persönliche Sicherheit und für die Propaganda/ Ideologie der KPCh zuständig. Xi muss sein persönliches Image aufpolieren. Die Wirtschaftsmisere und der  chaotische Ausstieg aus der strikten Pandemiepolitik dürften ihm geschadet haben. Hinzu kommen die gespannten Beziehungen zum Westen. Vgl. James Miles: Xi und die Ja-Sager, in: The Economist, 2023 (Die Welt in 2024). An vierter Stelle steht Wang Huning, der als Mann der Zukunft gilt. An zweiter Stelle in der Hierarchie steht normalerweise immer der Premierminister, als Li Qiang.

Bei Experten scheiden sich die Geister bei Xi. Die einen (Geiges, Wuttke) halten ihn für einen überzeugten Marxisten, der mit seiner Ideologie in China die Wirtschaft übertrumpfte. Andere (zu denen ich zähle, der ihn nur flüchtig kennt aus einer Begegnung) halten ihn eher für einen Nationalisten, der den Kapitalismus als Sündenbock für die aktuelle Wirtschaftsmisere braucht und Marx nur als sich anbietendes Gegenmodell instrumentalisiert. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit - wie meist - in der Mitte. Vgl. Geiges, Adrian: Ich war ein nützlicher Idiot, in: Die Zeit 36/ 22.8.24, S. 26.  Vgl. auch: Sahay, Lea: Das Ende des Chinesischen Traums, München 2024.

18. Militärpolitik Chinas: Aufrüstung/ Militär: Xi Jinping rüstet die Volksbefreiungsarmee sehr erfolgreich auf. Er galt von Anfang an als Mann der Volksbefreiungsarmee (enge Beziehungen) Traumatisch war die Niederlage 1979 gegen Vietnam bei einem Einmarsch. Er macht eine Wehrstrukturreform. Elementar sind Flugzeugträger, U-Boote, Satellitenaufklärung und Raketenabwehr. Alles Voraussetzungen für eine Weltmachtrolle. China hat nach den USA die zweithöchsten Militärausgaben der Welt (vor Saudi-Arabien und Russland sowie Indien). Korruption im Militär wird bekämpft. Die Seemacht wird massiv ausgebaut. Vgl. Sommer, Theo: China First, München 2019, S. 250ff.  Die USA machen im Sommer 2019 ein Waffengeschäft mit Taiwan. Sie liefern 66 Kampfflugzeuge vom Typ F-16. China droht mit Strafmaßnahmen. China hat mittlerweile nuklear bestückbare Interkontinentalraketen, die bis zu 15.000 km weit fliegen und erstmals das gesamte Territorium der USA ereichen können. Mittlerweile verfügt das Land auch über Hyperschall-Raketen. Auf der Militärparade zum 70. Geburtstag präsentierte China einen Hyperschall-Gleiter. Seitdem sind Militärstrategen rund um den Globus alarmiert. Es gibt noch keine Verteidigung gegen sie. Chinas Flotte könnte in zehn Jahren (2030) der der USA fast ebenbürtig sein. China plant, 2049 (dann wird die Volksrepublik 100 Jahre alt, in allen Feldern (ökonomisch, militärisch, geopolitisch) die globale Führung zu übernehmen. Dann hätten wir eine von China dominierte Weltordnung. Die Strategie des Westens "Wandel durch Annäherung" ist krachend gescheitert. Wenn man die weltweiten  Militärausgaben 2020 (Corona-Jahr) bündelt, sind sie auf fast 2 Billionen $ gestiegen (+2,6% gegenüber dem Vorjahr). 62% der Summe entfallen auf die USA, China, Indien, Russland und GB. Die höchsten Militärausgaben mit 778 Mrd. $ entfallen auf die USA.  Chinas Militärausgaben lagen 2020 bei 252 Mrd. $ (Schätzung). Die Zahlen stammen von Sipri/ Friedensforschung, Stockholm/ Schweden. 2022 beginnt ein nukleares Modernisierungsprogramm in China. Das ist kein gutes Zeichen für die Welt. Im Rüstungsprogramm liegt auch die tiefere Ursache des Konflikts mit den USA. US-Geheimdienst fanden in chinesischen Raketen amerikanische Computerchips. Sofort verhängten die USA ein Chip-Embargo gegen China. Gleichzeitig soll möglichst viel Produktion aus Taiwan in die USA (Arizona) und Deutschland (Dresden) geholt werden. Im Herbst 2023 erreicht Xi Jinpings Säuberungswelle das Militär. Erst werden zwei hochrangige Generäle entlassen (bei den Racketenstreikräften, die besonders wichtig sind). Dann wurde der Verteidigungsminister Li Shangfu zwei Wochen nicht gesehen (schon der Außenminister verschwand spurlos). Eine mögliche Erklärung bietet Korruption. Es ist aber auch ein Indikator dafür, dass Xi fürchtet, die Kontrolle über die eigene Armee zu verlieren. Die Korruption in der Armee ist für uns völlig intransparent. Ihre Ursachen liegen in der Bezahlung der Soldaten und ihrer Qualifikation (in der Armee sind sicher nicht die Besten). "Jede Kriegsführung gründet auf Täuschung. Wenn wir also fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen; wenn wir unsere Streitkräfte einsetzen, müssen wir inaktiv erscheinen; wenn wir nahe sind, müssen wir den Feind glauben machen, dass wir weit entfernt sind; wenn wir weit entfernt sind, müssen wir ihn glauben machen, dass wir nah sind", Sun Tsu: Die Kunst des Krieges (zweieinhalbtausend Jahre alt). Berühmt ist auch der Spruch von Deng Xiaoping: "Verbirg deine Stärke, und warte ab".

Hainan: Hainan ist eine Insel im Süden Chinas Sie ist die zweitgrößte Insel nach Taiwan. Sie hat ca. 9 Mio. Einwohner. Sie wird oft das Hawaii Chinas genannt. Es ist ein Urlaubsschwerpunkt der Chinesen (manche Reiche aus dem Norden haben dort einen Zweitwohnsitz). Gleichzeitig ist Hainan ein wichtiger Militärstützpunkt des Landes. Man spricht von einer "schwimmenden Festung". Unterirdische Raketen sollen dort ruhen (Flotte der Atom-U-Boote). Ein Netz von paramilitärischen Fischerbooten soll die Insel sichern helfen, aber auch die normale Flotte ist präsent. Es ist der wichtigste Militärstandort für Aufklärung, auch für die Raumfahrt. Die Insel ist der militärische Ausgangspunkt für das südchinesische Meer, für den Griff nach Taiwan und für den Ausbau und die Inbesitznahme vieler kleiner Inseln (werden zu Festungen umgebaut). Taiwan empfindet China auch als Provokation, weil das demokratische System ökonomischen Erfolg hat. Haikou ist die Hauptstadt der Inselprovinz (wurde 1988 in den Rang einer Provinz erhoben). Sie hat 2020 zwei Millionen Einwohner. Im Süden der Insel gibt es auch ein  großes Kreuzfahrtterminal. Die ganze Insel ist eine Freihandelszone (erst seit 2020, die Insel ist extrem hoch verschuldet). Auf der Insel gibt es einen Nationalpark. Berühmt ist die seltene Variante des Gibbon-Affen, die es nur auf der Insel gibt. Im südschinesischen Meer gibt es paramilitärische Fischereischiffe, die stark bewaffnet sind (Maschinengewehre, Laser, Sonar). Sie rammen und provozieren. Sie haben ihren Sitz in der Regel auf Hainan. Die Insel gilt aber auch kurioserweise als Gesundheitsinsel. China entdeckt die Gesundheitsbranche. Die Bevölkerung altert und Krankheiten wie Krebs und Diabetes nehmen zu. Hainan soll zum Zentrum für den internationalen Medizintourismus aufgebaut werden. Bisher hat China nur einen Anteil von 8% am Weltmarkt für Medizintechnik.

2021 beginnt man auf der Insel mit dem Bau einer eigenen Raumfahrtstation. Der Raumfahrtbahnhof heißt Wenchang. Von hier sollen die Starts zu der ständigen Raumfahrtsstation "Tiangong" (Himmelspalast) stattfinden. Die Trägerraketen heißen in der Regel "Langer Marsch". Das Hauptmodul wird meist "Tianhe" (Himmlische Harmonie) genannt. In Hainan starten in der Regel auch die Spionage-Ballons. Einer dieser Ballons flog über Nordamerika und wurde von den USA über South-Carolina abgeschossen.

Im Konflikt mit Japan 1933 bis 1945 haben 230.000 Chinesen durch den Einsatz biologischer Waffen ihr Leben verloren. Daraus hat China gelernt und betreibt "defensive" biologische Waffenforschung. Es scheint mittlerweile die Sowjetunion als größte biologische Supermacht abzulösen. Seit 1984 ist China Mitglied der Biowaffekonvention der UN und bestreitet die Existenz biologischer Offensivwaffen. Die Geheimdienste aus Taiwan und Südkorea haben immer auf die Möglichkeit solcher Waffen hingewiesen. Deshalb waren diese Länder auch wesentlich besser auf Sars-CoV-2 vorbereitet. Erst recht China selbst, das schon seit April 2020 in der Testphase von Impfstoffen ist. Das Wuhan Center for Desease Control und ein anderes biologisches  Forschungszentrum in Wuhan stehen unter der Kontrolle des Militärs. Das heißt nicht, dass es Beweise für ein absichtliches oder versehentliches Freisetzen des Virus in  Wuhan gibt. eher sprechen virologische Forschungsergebnisse gegen entsprechende Anschuldigungen von Trump. Aber die Welt muss auf den Einsatz biologischer Kampfstoffe vorbereitet sein. Sie sind in einer globalisierten Welt wesentlich effektiver als die klassischen militärischen Mittel (Quelle: Hans Rühle: Der Wahrheit zu nahe gekommen, in: Der Focus, 20/2020, S. 40).

2020 sind die USA militärisch China noch überlegen. Aber ein Krieg hätte schon desaströse Folgen, auch für die Welt. China füllt systematisch die Leere, die die USA durch ihren Rückzug hinterlassen. In den internationalen Organisation werden Chinesen in einflussreiche Positionen gebracht (UN, WHO, WTO; IWF u. a.). Dabei helfen finanzielle Anreize, Investitionsversprechungen und massives Lobbying. Vgl. Reichart, Thomas: Das Feuer des Drachen, München 2020, S. 241ff. Bis 2049 (100 Jahre Volksrepublik) will China spätestens die dominierende Militärmacht der Welt werden. Weil die USA dicht machen, hält man verstärkt in anderen Ländern nach Rüstungstechnik Ausschau. Besonders begehrt sind deutsche Deep-High-Tech Start-ups. Sie verfügen oft über Dual-Use-Produkte. Die Produkte sind auch militärisch nutzbar. Solche Firmen sind z. B. Mynaric, Alcan Systems, Black Semiconductor, Hyperganic. Vgl. Stözel, T./ Petring, J.: Im Visier der Wettrüster, in: WiWo 39, 18.9.20, S. 64ff. Vgl. auch das neue Buch von Ex-BND-Chef Schinder über die Sicherheitspolitik. Er sagt, dass die Gefahr Chinas unterschätzt wird. Am Ende des einwöchigen Volkskongresses am 10.3.21 ruft  Xi das Militär zu ständiger Bereitschaft auf. Der Volkskongress hatte vorher eine Steigerung der Militärausgaben von 6,8% beschlossen. Der für den Asien-Pazifikraum zuständige US-Admiral Davidson sagte dazu, dass die USA damit rechneten, dass China bis 2027 versuchen werde, die Inselrepublik Taiwan zu besetzen. Die USA und China sprechen über ein Spitzentreffen in Anchorage im US-Bundesstaat Alaska. Das findet auch statt mit unüberbrückbaren Differenzen. 2021 fängt China an, die USA militärisch zu überholen. Es finden sich immer mehr Staaten, die mit den USA in Asien kooperieren wollen: Kanada, Sri Lanka, auch Deutschland. Man will noch 2021 eine Fregatte in die Region entsenden. Vgl. Busse, Nikolas: Chinas neue Muskeln, in: FAZ 12.4.21, S. 8. Zahlenmäßig ist die chinesische Flotte heute schon die größte der Welt. Sie ist noch nicht so effektiv wie die der USA. Sie wächst jährlich in der Bestandsgröße der deutschen Flotte (Aussage eines deutschen Flottengenerals, der dann schweigen muss).   Pensionierte Piloten der Bundeswehr bilden chinesische Kampfpiloten aus. Es taucht der Verdacht auf, dass sie militärische Geheimnisse verraten könnten. Verteidigungsminister Pistorius will das ab 2023 mit allen Mitteln verhindern.

Wenn die Wirtschaft Chinas in Zukunft die der USA überholt, wird auch das Militär früher oder später dominieren. Das war immer so in der Geschichte. Dann könnte der Punkt gekommen sein, dass China seine nationalen Interessen durchsetzt, ohne dass der Westen eingreift. China wird einen militärischen Konflikt aber kaum provozieren, da die Zeit für das Land spricht. China sieht keinen Sinn in bilateralen Abrüstungsverhandlungen oder in Dialogen. Vgl. den Militärexperten Tang Zhao vom Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy, Quelle: Interview in der Rheinpfalz  vom 7.7.2021, S. 3. Das Pentagon bestätigt im Oktober 21 Chinas Hyperschallwaffentest. Das ist "sehr nah am Sputnik-Moment". Das amerikanische Abwehrsystem kann damit übergangen werden. Vgl. FAZ 29.10.21, S. 5. Immer wieder kommt es zu Konfrontationen in der Region. Westliche Staaten entsenden Schiffe in internationale Hoheitsgewässer, wie z. B. GB den Flugzeugträger HMS Queen Elisabeth (Flaggschiff der britischen Marine). So sollen z. B. die Philippinen unterstützt werden. In der Regel fährt man im Verbund mit US-Kriegsschiffen un d Schiffen anderer Nationen (Niederlande, Japan, Deutschland). China fühlt sich provoziert und sendet eine Warnung aus: "Einen hinrichten als Warnung an hundert". Auch Deutschland beteiligt sich ab Sommer 2021 an der Mission. Man schickt die Fregatte "Bayern". Bei den Operationen fahren  Kriegsschiffe gezielt durch von China beanspruchte Gewässer.

China baut Nachbildungen von US-Kriegsschiffen. Diese sollen als Angriffsziele für Militärübungen gelten. China entwickelt Raketen, die gezielt Kriegsschiffe ins Visier nehmen sollen. Die Flugzeugträgerverbände zählen zu den mächtigsten Militärgeräten im Waffenarsenal der USA. Ein Flottenverband der USA ist im Pazifik stationiert, um strategisch wichtige Gebiete wie Taiwan und das Südchinesische Meer zu überwachen. Pekings Gebietsansprüche werden als illegal angesehen.  Neuer Verteidigungsminister wird der bisherige Marinechef Dong Ju.

2024 rüstet China militärisch stark auf. Es scheint auch Hightech aus Deutschland im Spiel zu sein. Der Ampel scheint es an einer Strategie zu fehlen. Notwendig wäre auch eine gemeinsame EU-Sicherheitspolitik, die dann die Exportkontrolle vereinheitlichen könnte. Vgl.Wettlach, Silke: Der Kontrollverlust, in: WiWo 5/ 26.01.24 , S. 30ff.

19. Hongkong: Geschichte: "Eine öde Insel mit kaum einem Haus drauf", nannte Lord Palmerton Hongkong 1841 (Quelle: Vogelsang, Kai: Geschichte Chinas, Stuttgart 2019). Etwa 5000 bis 6000 Einwohner lebten auf der Insel. 1842 im Vertrag von Nanjing musste die Qing-Dynastie  Hongkong den Engländern überlassen.  1898 zwangen die Engländer die Qing, ihnen auch die "New Territories" (nördlich der Stadt und viele Inseln) für 99 Jahre zu verpachten. Von Anfang an war Hongkong auch ein Refugium für Flüchtlinge aus Südchina.   

Ein Land, zwei Systeme. 1997 übernahm China Hongkong wieder von den Briten. Die Stadt hat eine eigene Währung und ein eigenes Rechtssystem. Auch der Aktienmarkt (Hang Seng) ist eigenständig. Auch die Presse- und Versammlungsfreiheit sind garantiert. 2020 sind freie Parlamentswahlen verabredet. 2017 soll erstmals der Regierungschef gewählt werden. Die Situation der Pressefreiheit hat sich zunehmend verschlechtert. Unter einer Brücke im Zentrum von Hongkong verdient eine Handvoll Frauen ihr Geld damit, andere Menschen zu verfluchen. Fünf Euro bezahlen, den Namen des persönlichen Plagegeistes notieren, verfluchen lassen - fertig. Man nennt sie die "Fluchfrauen". Es ist eine Dienstleistung, die immer Konjunktur hat.

Viele deutsche Konzerne setzen auf Hongkong als Standort für die
Asien-Zentrale (600 Unternehmen; 97 Unternehmen mit deutscher Mutter). Ca. 400 Mitglieder hat die deutsche Außenhandelskammer. Wichtig ist dabei die Offenheit und Unabhängigkeit der Metropole (weniger wichtig sind die Steueranreize). Ökonomisch stärker ist mittlerweile Shanghai. China zieht die Schlinge in Hongkong aber immer mehr zu. Der Sonderstatus ist allerdings eines der attraktivsten Merkmale. China will die südchinesische Stadt Shenzhen zur Finanzmetropole ausbauen, um Hongkong "das Wasser abzugraben". Außerdem sollen nach der "Greater-Bay-Area" - Strategie, die China im Süden des Landes verfolgt, Hongkong, Macau und die Provinz Guangdong stärker vernetzt werden. Mittlerweile geht die Regierung in China dazu über, ausländische Unternehmen gegen Hongkong zu nutzen. Wer sich den Pekinger Vorgaben nicht beugt, muss mit Einbußen rechnen. (Airline Cathay Pacific, Finnair, PwC, KPMG, EY, HSBC). Vgl. Sauga, Michael: Ewiger Kniefall, in: Der Spiegel, Nr. 35, 24.8.2019, S. 60ff.

China versucht immer mehr, Hongkong zu politischem Wohlverhalten zu zwingen. Die Lehrpläne in Schulen wurden geändert, es gibt mehr chinesische Geschichte, Demonstrationen werden bekämpft. Die Politiker werden immer mehr eingeschränkt und eingeschüchtert. Jack Ma, der Besitzer von Alibaba hat die renommierte englischsprachige "South China Morning Post" gekauft. Sie soll Chinas Geschichte gut erzählen. Vgl. Petra Kolonko: Die Schlinge in Hongkong zieht sich zu, in: FAZ , Nr. 289, 13. Dez. 2017, S. 5. Auch während der Corona-Krise gibt es Schläge gegen Regimekritiker. Der Volkskongress, der 2020 wegen Corona erst am 22.05. beginnt, beschließt ein Nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong (es soll Separatismus und "Aufruhr" in Hongkong verbieten; der Start ist noch ungewiss). Es soll gegen subversive, separatistische oder terroristische Aktivitäten vorgehen. Es gibt chinas Staatssicherheit weitreichende Vollmachten.   Der Hang-Seng fällt um -5%. Eigene Sicherheitsgesetze für Hongkong gefährden die Autonomie (sind aber rechtlich zulässig). Es kommt wieder zu Zusammenstößen. Es gibt wieder pro-demokratische Demos. Entscheidend dürfte für Hongkong sein, ob es den amerikanischen Sonderstatus behält. Die für China verhängten Strafzölle gelten bisher nicht für Hongkong. Deshalb hat die Stadt Vorteile als Wirtschafts- und Finanzstandort. Hongkong ist ein wichtiges Tor für China. Mögliche Sanktionen der USA oder anderer Staaten könnten diese Rolle verändern. so kommt es auch: Die USA wollen die Vorteile für Hongkong aufheben, auch GB plant dies. Die EU plant keine Sanktionen gegen China. Die USA planen, den Sonderstatus von Hongkong in ökonomischen Fragen zu beenden. China droht mit Vergeltung. Ein großer Teil der Aktion ist auch Wahlkampf von Trump. Er will China für die Corona-Katastrophe in den USA verantwortlich machen. Die USA schicken auch Flugzeugträger ins südchinesische Meer. Die EU wird immer mehr gezwungen, sich für eine Seite zu entscheiden. Der Herausgeber von "Apple Day" Jimmy Lai wird im August 2020 verhaftet. Er ist einer der führenden Peking-Kritiker.  Im Oktober 2018 wird die längste Brücke der Welt nach fast neunjähriger Bauzeit fertig. Sie verbindet über das Delta des Perlflusses die beiden Sonderverwaltungszonen Macau und Hongkong. Die 55 km lange Brücke enthält auch einen 6,7 Kilometer langen Wassertunnel. Die Kosten liegen bei 15 Mrd. Euro. Umweltschützer kritisieren, dass der Lebensraum der seltenen weißen Delphine weiter eingeschränkt wird. Ende  2018 stehen Demokratieaktivisten in Hongkong vor Gericht wegen "Verschwörung". Pekings langer Arm reicht sicher bis Hongkong. Der Prozess wird zeigen, wie unabhängig die Justiz ist. Im Juni 2019 gibt es große Demonstrationen in Hongkong mit über eine Million Teilnehmern. Die Menschen demonstrieren gegen ein Auslieferungsgesetz, das Auslieferungen von Hongkong in die VR China erleichtern soll. Nachdem die Demonstrationen nicht abreißen, verschiebt die Vorsitzende des Parlamentsrates von Hongkong kurz die Abstimmung über das Abschiebegesetz. Die Proteste eskalieren. Sicherheitskräfte gehen mit Tränengas, Pfefferspray, Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen Demonstranten vor. Die EU streitet mit China wegen Hongkong. Peking verbittet sich "Einmischung" in innere Angelegenheiten. Schließlich wird das Gesetz auf Eis gelegt. Die Demonstranten fordern, dass Regierungschefin Carrie Lam zurücktritt. Am Jahrestag der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China sind die Proteste eskaliert. Hunderte Protestierende besetzen am 01.07.19 das Parlament. Die Polizei räumt das Gebäude. Danach finden noch viele Proteste statt. Am 05.09. 2019 kommt es zu einem Generalstreik. Am 12.08.19 legen Demonstranten den Flughafen lahm. Die chinesischen Polizisten gehen immer brutaler vor. China zieht Militär an der Stadtgrenze zusammen (konzentriert bei Shenzhen). Es ist allerdings unwahrscheinlich, das es den letzten Schritt wagt. Im September 2019 besucht einer der führenden Aktivisten von Hongkong Joshua Wong Deutschland. Er trifft auch Außenminister Maas. Der chinesische Botschafter in Deutschland gibt erstmals eine Pressekonferenz und verurteilt das Treffen. Der Rückgriff auf koloniales Notstandsrecht und Vermummungsverbot in Hongkong bringt neue Proteste und Chaos mit sich. Die Demonstrationen hören nicht auf; im November 2019 werden sogar zwei deutsche Studenten in Hongkong festgenommen. Die Polizei umkesselt Aktivisten in der besetzten Polytechnischen Universität Hongkongs. Diese harren lange aus. Wegen der Eskalation stehen auch die geplanten Kommunalwahlen auf dem Spiel. Sie finden dann doch statt und die Demokratiebewegung gewinnt in den Bezirkswahlen. Sie holt 388 der 452 Sitze in den 18 Bezirksräten, 263 mehr als in den Wahlen 2015. Die Bezirksräte haben kaum politischen Einfluss (Busstrecken, Müllabfuhr). Die Netzwerke sperren Nutzerkonten. Die USA erlassen im November 2019 ein Hongkong-Gesetz: Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzer. Die Chinesen reagieren mit Gegen-Sanktionen: US-Kriegsschiffe dürfen in Hongkong nicht mehr Station machen. Im Januar 2020 tauscht Peking seinen wichtigsten Vertreter in Hongkong aus: Der Leiter des Verbindungsbüros Wang Zhimin wird abgesetzt. Er wird durch den ehemaligen Provinzgouverneur Luo Huining ersetzt. Gründe werden nicht genannt. Australien setzt sein Auslieferungsabkommen mit China aus, ebenso Kanada. Deutschland bestellt den chinesischen Botschafter zum Gespräch. Grund ist das Sicherheitsgesetz, das das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" aushöhlt. Man erwägt einige konkrete Gegenmaßnahmen (Einreise für Hongkong-Chinesen, Exportstopp für bestimmte Rüstungsgüter, Stipendienprogramme für bedrohte Wissenschaftler, Künstler oder Journalisten). In dieser Hinsicht ringt sich die EU dann zu gemeinsamen Maßnahmen durch. Demonstranten aus dem demokratischen Lager sollen nicht zur Wahl zugelassen werden. Führende Aktivisten werden im November 2020 verhaftet. Unter ihnen ist auch Joshua Wong. Anfang Januar 2021 werden noch 50 Personen verhaftet.  "Hongkong ist nicht eine Sache, die Eurer Sorge bedarf", aus einem Brief des chinesischen Außenministeriums an die USA.

China selbst baut Shenzhen systematisch als Ersatz für Hongkong auf. Die Industriemetropole übernimmt nach und nach die Rolle von Hongkong. Fraglich ist, ob das Ausland da mitzieht. Wahrscheinlicher ist es, das ausländische Banken und Unternehmen Singapur als Standort wählen. Singapur ist aber auch eine Diktatur.  Weitere Städte bieten ihre Dienste an: Taipeh, die Hauptstadt von Taiwan. Seoul in Südkorea.  Kuala Lumpur in Malaysia. Nach der Installation des Sicherheitsgesetzes macht Peking ernst: Hongkonger Abgeordneten wird willkürlich ihr Mandat entzogen. Das pro-demokratische Lager will geschlossen zurücktreten. Die Opposition ist damit eher Geschichte. Immer wieder werden 2020 in Hongkong Menschen verhaftet, was im Westen schon gar nicht mehr registriert wird. so werden im Dezember zehn Hongkonger wegen ihres Fluchtversuchs nach Taiwan zu Haftstrafen verurteilt.

Hongkong wird aber noch auf Jahre eine "Frontstadt der Freiheit" sein. Es hat insofern die Rolle von Berlin übernommen. Es ist Symbol und Schauplatz eines Systemwettbewerbs. Die USA und China kämpfen um die Vorherrschaft in der Welt. Europa und Deutschland sind eher Zuschauer und engagieren sich nicht. Hier ist der Brexit eine Hilfe, denn Großbritannien (GB) hat eine historische Aufgabe in Bezug auf Hongkong. Vgl. Lill, Felix: Frontstadt der Freiheit, in: Rheinpfalz am Sonntag, 24.01.21, S. 3.  Im Januar 2021 werden die Einreisebedingungen für Bürger aus Hongkong nach GB erleichtert. Im Februar 2021 kommen 47 Anklagen wegen Staatsgefährdung in Hongkong (nach dem neuen Sicherheitsgesetz).

Der Volkskongress beschließt auf seiner Sitzung Anfang März 2021  eine Wahlrechtsreform für Hongkong.  Damit will man die Opposition noch besser in den Griff bekommen. Die Reputation als Finanzmetropole hat schon gelitten. Bei der Parlamentswahl in Hongkong im Dezember 2021 ist die Beteiligung auf einem Rekordtief (30%). Das wird als Boykott der Bevölkerung angesehen. Das Online-Magazin Stand News wird verboten, Journalisten verhaftet. Im April 2022 tritt Carrie Lam als Regierungschefin ab. Unter ihr verlor Hongkong seine Autonomie. Nach ihr dürfte der Peking - treue Kurs noch verschärft werden. Als Nachfolger wird John Lee benannt. Er gilt als Hardliner. Vgl. Görlach, Alexander: Alarmstufe Rot, Hamburg 2022, S. 72ff. Zum 25. Jahrestag der Vereinigung Chinas mit Hongkong kommt Xi in die Stadt. In Hongkong ist die Freiheit nicht nur aufgrund der autoritären Eingriffe Chinas in Gefahr, sondern auch, weil hausgemachte politische und wirtschaftliche Defizite die ehemalige Kronkolonie destabilisieren. Arbeitslosigkeit, Einkommensunterschiede, sinkende Gehälter haben tiefe Gräben in der Gesellschaft hinterlassen. die zersplitterte Parteienlandschaft und die Polarisierung des Parlaments höhlen demokratische Institutionen aus. Jüngere haben sich radikalisiert und halten Gewalt für legitim. Vgl. Julia Haes: Hongkong: Umkämpfte Metropole, Herder Verlag 2022 und zusammen mit Mühlhahn, Klaus: "Das Festland hat ein leichtes Spiel", in: Focus 26/ 2022, S. 38f.

2024 kommt ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong. Es ist eine schwammig formulierte Vorlage, die von den Abgeordneten im Eiltempo durchs Parlament gepeitscht wird. Vor allem Hongkongs Finanzbranche zittert vor dem Gesetz. Kritische Analysen etwa zur Bonität von chinesischen Staatsunternehmen könnten im Zweifel juristische Folgen haben. Zugriff auf Daten ist möglich wie auch lebenslange Haft. Gerade die Finanzbranche in Hongkong mit dem Hang Seng -Index galt noch als seriös. Doch Sicherheit scheint wie in ganz China vor Wachstum zu gehen. Es zeigt sich ein eigenwilliges Verständnis. Vgl. NZZ 18.3.24, S. 16. Ende Mai 2024 wird das Sicherheitsgesetz gegen viele Oppositionelle in Hongkong in Prozessen angewandt. Es drohen Strafen von 3 Jahren bis lebenslang. Die Prozesse sind nicht öffentlich.

20. Taiwan: Taiwan wird von vielen multinationalen Unternehmen zu "Greater China" gerechnet. Seit 1992 besteht ein Konsens, dass es nur ein China gibt, allerdings mit zwei politischen Systemen (One - China - Prinzip). 2008 gibt es eine Annäherung durch ein erstes Treffen der Parteichefs nach 60 Jahren (Vereinbarung direkter Flugverbindungen). Im Februar 2014 gibt es erstmals seit 1949 Gespräche auf Regierungsebene zwischen China und Taiwan. 2018 verstärkt China den Druck auf Fluggesellschaften: Sie müssen den Anspruch auf Taiwan bestätigen. Sie dürfen Taiwan nicht mehr als Land benennen. Außenpolitisch unterhält China in Rivalität zu Indien besonders enge Beziehungen zu Pakistan und Burma. China fürchtet eine Einkreisung durch Indien, Russland, Südkorea und Japan. China kauft sich daher immer mehr in Pakistan ein (Milliardeninvestitionen). China plagt die Sorge, das sich Taliban- und IS-Terror via Pakistan auf die muslimische Provinz Xinjiang im Westen Chinas ausdehnen könnten. Zum anderen geht es um einen die Arabische See und den Indischen Ozean beherrschenden Seekorridor vom südpakistanischen Hafen Gwadar aus. Ein Zubringer von der nördlichen Seidenstraße aus wird errichtet. Im Finanzmarktbereich scheint es mittlerweile eine Zusammenarbeit mit Japan zu geben. Die tibetisch-nepalesische Grenze wird seit 2007 stark überwacht. Die Flucht von Tibetern soll verhindert werden. Zu Füßen des Cho Oyu wird vor allem der Nangpa La - Pass kontrolliert. China vorgelagert ist eine Inselkette, die von der Koreanischen Halbinsel über Japan, Taiwan, die Philippinen bis nach Indonesien reicht. Alle diese Staaten sind mit den USA durch Militärabkommen oder Sicherheitsgarantien verbunden ("umgekehrte Große Mauer"). Streit gibt es mit Vietnam um die Paracel- und Spratly-Inseln. Erstmals bringen die Chinesen 2018 Raketen auf den Spratly-Inseln in Stellung. An ihnen vorbei führt eine der weltweit wichtigsten Handelsrouten. Mit Japan gibt es Konflikte um die Senkaku-Inseln. Das ist die japanische Bezeichnung; die Chinesen sprechen von Diaoynu-Inseln. Dieses Problem kann Weltmächte gegeneinander aufbringen. An der Seite Japans stehen die USA. Die Inseln sind strategisch sehr wichtig: Wer sie hat, kann die Seewege in der Region besser kontrollieren. China macht Ende Januar 2021 ein neues Gesetz, das der chinesischen Küstenwache weitgehende Hoheitsrechte einräumt. Chinas Küstenwache - einst Seenothilfe - besteht teils aus umgebauten Marinefregatten. Im südchinesischen Meer gibt es auch Auseinandersetzungen um Inseln mit Malaysia und den Philippinen. Vor der philippinischen Küste haben die Chinesen künstliche Riffe geschaffen. Die USA schaltet sich immer wieder in den Schlagabtausch ein. Der Nationalismus in China selbst könnte irgendwann außer Kontrolle geraten. Das Land beruft sich auf seine lange Tradition, in der es Jahrhunderte lang die Nachbarländer dominierte. Die USA und China kämpfen um die Vorherrschaft im Pazifik. Umstritten sind die Seegebiete, die China kontrollieren will (das Land wird vom internationalen Gerichtshof in Den Haag verurteilt). China will sich Taiwan einverleiben, auch wenn man dort von Wiedervereinigung gar nichts hält. Die USA verfügen über eine Reihe von Marinestützpunkte in dem Bereich. Die USA rüsten ihre Verbündeten in Asien auf. 2020 werden Boden-Luft-Raketen (Marschflugkörper, Raketenwerfer) an Taiwan geliefert im Wert von 1 Mrd. $. Peking droht mit Vergeltung. Heute sieht sich das Land als "Daguo" (die Großmacht), das groß sein will, aber frei von imperialen Zielen. Vgl. zu gegenteiliger Auffassung: Graham Allison: Destined for War: Can America and China Escape Thucydides´s Trap, Houghton Mifflin 2017.  2020 baut China einen riesigen Fischereihafen auf Papua-Neuginea. Gut 200 Mio. Dollar sind dafür veranschlagt. Es ist ein "multi-funktionaler Fischerei-Industriepark" geplant. Die USA und Australien (100 Kilometer vor der Küste) befürchten einen Militärstützpunkt. Der Projektrahmen ist auch die "Neue Seidenstraße". Bislang hatte Taiwan keine offiziellen Alliierten. Doch die USA und ihre pazifischen Verbündeten signalisieren militärischen Beistand im Falle eines chinesischen Angriffs. Japan wäre wohl automatisch Teil des Kriegsgeschehens. Deshalb plant man die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen, Luft- und Schiffsabwehrraketen auf japanischen Inseln im Westen Taiwans, um China von einer Invasion abzuschrecken. Vgl. Kölling, M./ Peer, M./ Riecke, T.: Warnung vor der Invasion, in: HB Nr. 241, 13.12.21, S. 16f.  China verfolgt in Bezug auf Taiwan eine langfristige Strategie. Man denkt in erster Linie an die Wirtschaft. Chinas Wirtschaft ist zentral für die Stabilität der politischen Führung. Man beobachtet die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland genau. Man kann geduldig sein und auch auf den politischen Verfall der USA setzen. Am 02.08.22 besucht Nancy Pelosi den Inselstaat Taiwan. Sie ist die dritthöchste Repräsentantin der USA. Sie versichert der taiwanesischen Regierung den Rückhalt der USA. Peking spricht von Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten. China macht Manöver um Taiwan (Kriegsschiffen, Flugzeuge). Die USA und China geben gegenseitig die Schuld für die wachsenden Spannungen im Taiwan-Konflikt. Es ist noch unklar, wem Pelosis umstrittener Besuch nützt. Xi verbittet sich ausländische Einmischung in Taiwan, schließt aber eine militärische Lösung aus. So auf der Sitzung des Volkskongresses im März 2023. Aber Xi beschwört dort die neue Größe des Landes. Vgl. Kretschmer, Fabian: Paukenschlag aus Peking, in: Die Rheinpfalz 14.3.23.   "Das Vaterland muss wiedervereinigt werden, und es wird wiedervereinigt werden", Xi Jinping zu Jahresbeginn 2019 in einer Rede. ("Wenn es um Taiwan geht, ist Xi ein Mann in Eile", Kevin Rudd, China-Kenner).

Die Chipindustrie in Taiwan hat einen Anteil von 77,3% weltweit (TSCM 55%). Eine Seeblockade durch China oder eine militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und China würde Deutschland stark treffen. Sie scheint aber wahrscheinlicher als ein militärischer Angriff. Eine komplette Abriegelung ("stiller Tod") könnte sehr effektiv sein. Im Januar 2024 in der Präsidentenwahl wird erst mal über den zukünftigen Kurs des Landes entschieden (China freundlich oder kritisch). Je nach Ausgang könnten dei Spannungen zwischen der demokratischen Insel und der kommunistischen Volksrepublik auf dem Festland hoch kochen. Eigentlich kann China warten, bis die USA schwächer werden. Die sich verschärfenden wirtschaftlichen Probleme könnten Xi allerdings in der Versuchung bestärken, extreme Maßnahmen zu ergreifen (Priorisierung der Sicherheit vor der Wirtschaft). Vgl. Studeman, Mike: Ein Sturm zieht von Peking gegen Taipeh, in: NZZ 29.4.24, S. 17.

21. Xinjiang (Uiguren): Xinjiang ist Chinas westlichste Provinz (grenzt an Mongolei, Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Pakistan). Sie wurde 1949 als Ost - Turkestan von China annektiert. Sie macht  mit 1,66 Millionen Quadratkilometern rund ein Sechstel der Fläche der Volksrepublik aus. Es ist die Heimat der Uiguren, die muslimisch geprägt sind und sich nie mit der Einverleibung in das Riesenreich abgefunden haben. 2020 hat die Provinz etwa 24 Mio. Einwohner, davon sind 11 Mio. Uiguren (2% der Gesamtbevölkerung Chinas). Die Uiguren pflegen ihre eigene uralte Tradition und einige Handwerke (z. B. Töpfern von Lehm). Die Provinz ist ökonomisch sehr wichtig für China (große Erdgasvorkommen, Bergbau, Baumwolle, Rüstungsindustrie). VW hat ein Werk in der Hauptstadt der Provinz Ürümqi (deutsch: Urumtschi, 6000 km von der Küste weg; seit 2013). Es ist ein Joint-Venture mit SAIC (Gesamt-Deal im Zusammenhang mit anderen Standorten). 600 Mitarbeiter gibt es dort. Sie produzieren 20.000 Fahrzeuge (4 Mio. in ganz China). "Wir werden zu unserem Engagement in Xinjiang stehen, solange wir glauben, dass es aus wirtschaftlicher Sicht machbar ist", Stephan Wöllenstein, Chinachef von VW, 2021. Auch die BASF hat seit 2016 ein lokales Joint-Venture in der Provinz.  China hat aus viel Misstrauen wegen separatistischer Tendenzen jahrelang Millionen von Han-Chinesen aus den großen Städten des Ostens umgesiedelt. Die Uiguren sind  mittlerweile in der Minderheit. Xinjiang ist eine Art Testlabor für Repressionsmaßnahmen (willkürliche Verhaftungen, ständige Kontrollen, Umerziehungslager u. a.; es soll über 380 Lager geben). Der Repression gingen allerdings einige Anschläge voraus (einer in Peking, einer in der Provinz beim Besuch von Xi Jinping). Die Provinz soll bei der neuen Seidenstraße Verkehrskreuz für Zentralasien werden (Urumqi, Kashgar). Der berühmte Karakorum Highway schlängelt sich von Kahsgar das Pamiergebirge hinauf zum Tashkurgan-Pass, dem mit 4600 Metern höchstgelegenen Grenzübergang der Welt (nach Pakistan und Kirgistan). Wegen ihrer Bedeutung als Drehkreuz der Seidenstraße lebt die Stadt heute schon in totaler Überwachung. Die chinesische Regierung fürchtet eine Welle religiösen Extremismus und Terrorismus. Es wurden auch restriktive Gesetze erlassen (Verbot von Gesichtsschleiern, Fasten - Verbot für Beamte). 2018 kommt heraus, dass die VR China in Xinjiang Umerziehungslager betreibt (die Regierung spricht von "freiwilliger Erziehung", "Weiterbildung"). Bis zu 1 Million Uiguren sollen mittlerweile unfreiwillig in Internierungslagern getrennt von ihren Familien sein (andere Schätzungen sprechen von 1,8 Mio.). In den Lagern werden in Zwangsarbeit auch Produkte hergestellt. Es soll auch Zwangssterilisationen von Frauen durch chemische Mittel geben. Wenn die Eltern im Lager sind, werden die Kinder in staatlichen Heimen untergebracht und umerzogen. Im November 2019 werden Geheimdokumente der KPCh der internationalen Presse zugespielt ("China Cables", Lager und Praktiken werden bestätigt). Auch die Bundesregierung kritisiert diese Praktiken; die chinesische Regierung spricht von Einmischung in innere Angelegenheiten. Es gibt Gerüchte, dass Siemens mit einem chinesischen Kooperationspartner (China Electronics Technology Group Corporation, seit 2014) technische Infrastruktur für die Lager zur Verfügung stellt. Jo Kaeser, der Vorstandsvorsitzende von Siemens,  ist 2019 Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Der Weltrat der Uiguren hat seinen Sitz in München. Die meisten Uiguren im Ausland leben in Deutschland, der Türkei und den USA. Man kann als Ausländer in die Provinz reisen; ich war selbst vor längerer Zeit da (allerdings nur mit einem staatlich verordneten "Kontrolleur" in Begleitung, der nicht alle Orte zulässt; diese Kontrolleure sind in der Regel Ex-Soldaten, die beschäftigt werden müssen). Der US-Kongress unterstützt im Dezember 2019 die Uiguren: Gesetz zum Schutz der Uiguren. Sanktionen gegen chinesische Regierungsvertreter, die an der Unterdrückung beteiligt sind. Es kommen auch Sanktionen gegen Firmen. Am 27.7.20 findet eine große Demo in München statt. Die Europäische Handelskammer empfiehlt, bei Produkte aus China eine Garantie zu verlangen, dass keine Zwangsarbeit eingesetzt wurde. 2021 droht ein Deal zwischen der Türkei und China. China will ein Auslieferungsabkommen. Es liefert seinen Impfstoff gegen Corona an die Türkei. Wegen der Konflikte mit der EU und den USA nähert sich die Türkei in ihrer Wirtschaftskrise immer mehr Russland und China an. Der neue US-Außenminister Blinken wirft China im Januar 2021 Völkermord an den Uiguren vor. Das chinesische Außenministerium weist den Vorwurf zurück (dreimal!). Die Uiguren haben sich in einem Weltkongress organisiert. Dieser betreibt Lobby-Arbeit in einigen Ländern (Deutschland, GB, USA, Türkei). Die chinesische Führung begründet ihren Umgang mit den Uiguren als "Frontlinie im Kampf gegen den Terrorismus" und meint Muslime und Separatismus. Dadurch ist die Provinz faktisch zu einem Polizeistaat geworden. Die EU (Konferenz der Außenminister am 16.3.21) verhängt erstmals seit 1989 wieder Sanktionen gegen China: Einreiseverbote und Konteneinfrierung. Grund sind die Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren in der Provinz Xinjiang. Ende Mai 2022 tauchen Belege für Chinas Unterdrückung der Uiguren auf. Es sind Fotos und Dokumente von 2018, die an Adrian Zens/ Anthropologe geschickt wurden ("Xinjiang Police Files"). Es gibt wohl mehr als 300 Lager mit ca. 1 Mio. Insassen. Die geleakten Polizeiakten belegen erstmals die umfassenden Repressalien. Pünktlich dazu darf erstmals nach 17 Jahren die UN-Menschenrechtskommissarin (Michelle Bachelet) wieder für mehrere Tage das Land besuchen.  Der uigurische Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti (bis 2014 Professor an Pekinger Uni, wollte wahrscheinlich zwischen Han und Uiguren vermitteln), der wegen Separatismus in einem chinesischen Gefängnis sitzt, wird im Dezember 2019 mit dem Sacharow-Preis des Europäischen Parlamentes ausgezeichnet. Seine Tochter nimmt den Preis entgegen. Die Uigurin Gulbahar Haitiwaji ist mit ihrer Familie nach Frankreich ausgewandert. Über ihre Erlebnisse in einem staatlichen Umerziehungslager in China hat sie ein Buch geschrieben: Gulbahar Haitiwaji, Rozenn Morgat: Rescapeé du goulag chinois, Edititions des Equateurs, 244 S. 2021. Die Uiguren haben einen Weltkongress. Präsident ist Dolkun Isa. "China lehnt die Instrumentalisierung der Menschenrechtsfragen zum Zwecke der Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten ab", Chinas Botschafter in Deutschland Wu Ken, 2023 (HB 9.1.23, S. 5).

2023 ändert die Staatsmacht ihre Strategie der Unterdrückung. Sie setzt nicht mehr nur auf Umerziehungslager. Die Provinz soll dem Tourismus als Wunderland präsentiert werden. Diese Strategie war schon im Süden bei Guilin am Li-Fluss und in Tibet recht erfolgreich. Kahgar sowie Korla  sollen für Touristen geöffnet werden. Bei Kashgar befindet sich das Mausoleum von Afak Hodscha und ein weitläufiger Park. Berühmteste Nachfahrin von Hodscha war Xiang Fei, die es als einige Uigurin als "duftende Konkubine" in den Harem von Kaiser Qianlong schaffte. Hotan mit seine Massen-Lagern soll dem Tourismus als "dunkler Ort" verborgen bleiben. Korla ist eine Art Zwischenwelt. Hier soll sich die uigurische Kultur präsentieren dürfen. Vgl. Fahrion, Georg/ Sabrie, Gilles: Drei Welten von Xinjiang, in: Der Spiegel 20/ 12.5.23, S. 82ff.

Im November 2023 gibt es Hinweise auf Zwangsarbeit im Umfeld des BASF Joint-Venture-Partners Markor in Korla. "Menschen sollen durch Arbeit beruhigt werden". Der Konzern will eine weitere Überprüfung durchführen lassen. Allerdings haben sich die Bedingungen für Überprüfungen verschlechtert. Vgl. HB 8.11.23, S. 20f. Bei VW gibt es 2023 ein Fiasko in Xinjiang. Nach Vorwürfen sollte eine unanhängige Untersuchung Klarheit schaffen. Doch sie wirft weitere Fragen auf. Selbst die Prüfer distanzieren sich von dem Bericht. Gibt es wirklich keine Zwangsarbeit? Man spricht von irreführenden PR-Manövern. Die Ergebnisse werden für unglaubwürdig gehalten. Vgl. HB 19.12.23, S. 22. Presserecherchen gehen weiter. VW und die  BASF bleiben in der Kritik. Bei VW rückt auch die Teststrecke in Turpan in den Mittelpunkt (Zwangsarbeit von Uiguren?). VW legt das Werk in Xinjiang weitgehend lahm.  Bei der BASF ist es immer wieder das Joint Venture Markor in Korla. Uiguren sollen ausspioniert worden sein. Vgl. Der Spiegel 6/ 3.2.24, S. 72f. 30 Abgeordnete aus mehreren Ländern verlangen im Februar 24 eine BASF-Rückzug aus Xinjiang. Tatsächlich will die BASF die umstrittenen Beteiligungen in Xinjiang verkaufen: Markor Chemical Manufactorimg, Markor Meiou Chemical, beide in Korla. Das ist vorbehaltlich der Genehmigungen der Behörden. Es gebe Aktivitäten, die mit den Werten der BASF nicht vereinbar seien. VW gerät in den USA unter Druck. Es gibt Importverbote für Autos aus China.

2024 hat China die Umerziehungslager in Xinjiang offiziell geschlossen. Man nannte sie "Berufsbildungszentren". Dafür wurde aber wohl Ersatz geschaffen, nämlich Gefängnisse. Die vielen Gefängnisse sind weiterhin in Betrieb. 10 von 26 Lagern scheinen in Betrieb zu sein (2022 10.000 Uiguren). Die Gefängnisse wurden sogar ausgebaut (Hochsicherheitsgefängnisse). Vgl. NZZ  6. 3.24, S. 6.

22. Gesundheitskrisen (Epidemien mit China als Quelle) und  Globalisierung als Gefahr: Viele Epidemien der letzten Jahrzehnte hatten in China ihren Ursprung. Als Gründe gelten mangelnde Hygiene, das Beharren auf dem Konsum von Frisch- und Wildfleisch (im März 2020 verhängt China einen Einfuhrstopp von Wildfleisch, das hilft Löwen und Nashörnern in Afrika), exzeptionelle Ernährungsgewohnheiten, das enge Zusammenleben von Tier und Mensch. 2002 brach SARS in China aus, eine Viruserkrankung, die 774 Menschenleben forderte. die Krankheit konnte nur gestoppt werden, weil die Menschen konsequent zu Hause blieben. Bei einem neuen Virus der Vogelgrippe 2013 in China fallen die Aktien von globalen Firmen erheblich (z. B. Lufthansa). Vogelgrippe ist eine unter Vögeln hoch ansteckende Krankheit. Eine Calciumschale im Darm sorgt dafür, dass sie Vögel und kaum Menschen bedroht. Die erste globale Krankheit war die Spanische Grippe. Zwischen 1918 und 1920 starben 50 Millionen Menschen weltweit (durch den 1. Weltkrieg begünstigt). Ursprungsort war wahrscheinlich auch China. Mitte 2014 bricht die Pest in Yumen (Provinz Gansu, China) aus. Überträger war wahrscheinlich das Murmeltier, das als Delikatesse gilt. 2020 bricht eine mysteriöse Lungenkrankheit in China aus. Ein neuer Virus-Typ wird ausgemacht (Corona-Virus, Sars-CoV-2, Covid-19). Es gibt Sorgen wegen der anstehenden Reisewelle in China. Die Krankheit ist in der Metropole Wuhan zuerst ausgebrochen. Der Bürgermeister verhindert die Bekanntgabe auf Anweisung von oben um drei Wochen (wahrscheinlich gab es die Seuche aber noch früher, schon im Dezember 19 wurden große Mengen von Vorprodukten für Masken in Troisdorf gekauft). Später müssen die Verantwortlichen für die Verschleppung  zurücktreten (KPC-Partei-Chef in Hubei muss gehen). Die Krankheit breitet sich rasch aus (Mitte Januar 2020 820 Infizierte, 26 Tote; Experten gehen von über 1600 Infizierten aus, da die Krankheit auch in Thailand, Südkorea, den Philippinen, dem Iran (15 Tote) und Japan ausgebrochen ist; am 06.02. schon in über 20 Ländern). In Europa gibt es die ersten Fälle in Frankreich (44 Fälle in Europa; 1 Todesopfer). Dann gibt es viele Infizierte und zwei Todesfälle in Italien (Venetien und Lombardei, Italien schottet 11 Städte ab). Dann folgen Fälle in Norwegen, Griechenland, Österreich und Deutschland. Den ersten Todesfall außerhalb Chinas gibt es auf den Philippinen. Am 5.2.20 wird das Virus auf einem Kreuzfahrtschiff vor Japan gefunden (anfangs 10 Fälle und später mehr Fälle/ über 200, darunter auch Deutsche, sollen zurückgeholt werden; auch ein Kreuzfahrtschiff vor Hongkong ist betroffen). Die Zahl der Infizierten und der Toten steigt rapide an. Vor dem Neujahrsfest wird Wuhan abgeriegelt (Provinz Hubei; Stadt genau in der Mitte Chinas mit 11 Mio. Einwohnern; mit öffentlichem Personenverkehr die Stadt verlassen, ist nicht mehr möglich; Wuhan ist die Partnerstadt von Duisburg, zwischen den beiden Städten gibt es eine Zugverbindung; in Duisburg sind etwa 100 chinesische  Firmen angesiedelt). Weitere 12 Millionen-Städte werden so abgeriegelt. In Wuhan soll innerhalb 6 Tagen ein Spezialkrankenhaus gebaut werden (es dauert 10 Tage bis Patienten aufgenommen werden können: 25.000 Quadratmeter, 1400 Ärzte). Die Lufthansa und andere Fluggesellschaften fliegen China nicht mehr an. Ausländische Firmen schließen Filialen in China (z. B. Ikea, Schaeffler, BMW, KSB, Adidas, Nike). Apple kappt seine Prognose. Auch inländische Unternehmen stellen die Produktion ein (wichtig als Zulieferer). Wuhan ist ein Zentrum der Automobilindustrie. Lieferketten funktionieren nicht mehr.  In Deutschland sind bis 1. Februar 2020  8 Menschen erkrankt, darunter ein Kind (später steigt die Zahl auf 16, wiederum später steigt die Zahl rapide an, 27.02.20; Bayern, NRW, B.-W.). Die Bundeswehr holt Bundesbürger aus China zurück (zwei davon sind erkrankt und werden in der Uni-Klinik Frankfurt behandelt). Die zurückgeholten Deutschen (120) werden in einer Kaserne in Germersheim/ Pfalz in Quarantäne untergebracht (keiner hat die Krankheit). Eine zweite Bundeswehrmaschine holt 24 Deutsche aus Wuhan nach Berlin. In China gibt es bis zu diesem Zeitpunkt 11.791 Erkrankte. Die Zahl der Todesopfer kletterte auf 259 (am 5.2. steigt die Zahl auf über 25.000, die Zahl der Toten auf über 500, der Höhepunkt wird in zwei Wochen erwartet; am 09.02. sind es schon über 40.000 Infizierte, über 500 Tote; am 12.02. über 1000 Tote, über 60.000 Infizierte; am 14.02. über 70.000 Infizierte, 1600 Tote, am 19.02. über 90.000 Infizierte und 2000 Tote; am 24.02. 80.000 Infizierte und 2400 Tote). In China scheinen ab 25.02. die Fallzahlen schon wieder rückläufig zu sein. Am 27.02. sind erstmals außerhalb Chinas mehr Fälle als in China gemeldet (Pakistan, Georgien, Brasilien, USA). Am 28.02.20 gibt es weltweit mehr als 80.000 Infizierte und über 3000 Tote. Das gefährliche und ungewöhnliche an dem Virus (2019-nCoV bzw. Covit-19; chinesische Forscher: Fledermäuse - Schuppentiere/ Pangoline - Fleischverarbeitung auf Wildtiermärkten - Mensch) ist, dass Menschen anstecken können, obwohl sie selbst noch keine oder schwache Symptome zeigen (ansonsten gibt es in den sozialen Netzwerken viele Fehlinformationen; das Virus verbreitet sich auch im Verdauungstrakt; anfangs ähnelt es eher einer harmlosen Erkältung). Das Virus ist hoch ansteckend, weil es zuerst im oberen Rachen sitzt. Das Virus ist unberechenbar, weil es beim neuen Wirt Mensch mutiert. 80% haben nur leichtere Erkältungs-Symptome, 15% erkranken schwer, die Sterberate ist relativ hoch.  Es droht so eine Pandemie. Die Quarantäne-Maßnahmen in China schwächen die Wirtschaft im Land. Die Wanderarbeiter müssen an ihrem Standort bleiben. Die Regierung will über 240 Mrd. Dollar Finanzhilfen geben. Sie spricht von einem "Volkskrieg" gegen den Virus. Sie verstärkte auch die soziale Kontrolle über ihre Bevölkerung mit den Möglichkeiten der digitalen Technik. Normalerweise zeigen sich die Folgen an den Märkten weltweit (Einbruch der Ex- und Importe, des Tourismus, Fallen der Aktien-Indizes, Fallen des Ölpreises). Arzneimittel, die in China produziert werden, könnten in der EU knapp werden. Die Aktienindizes in Shanghai und Shenzhen brechen ein. Ende Februar 20 brechen die Aktienkurse weltweit ein (Dow Jones -7%, auch der DAX -6%7 allein 28.02. -5%, FTSE MIB Italien -9,2%). Es zeigen sich auch Folgen für Industrieproduktion, Schifffahrt und Flugverkehr. Die Schifffahrt stockt, in den Häfen stapeln sich die Container. Man versucht, auf Züge zu wechseln (doppelt so schnell, aber nur 100 Container statt 20.000 auf einem Schiff). Die Messebranche ist gelähmt. Die Logistikbranche ist stark negativ betroffen. Die Exporte aus China brechen ein.  Das BIP-Wachstum in China könnte auf 4% 2020 sinken, mindestens -1% auf ca. 5%; schlimmstenfalls 3%). Im schlimmsten Fall könnte auch ein globaler Abschwung kommen. Der wird schon prognostiziert (Weltbank; auch Baltic Dry Index im freien Fall). Insgesamt spricht man ökonomisch vom Corona-Effekt. Stark betroffen ist die deutsche Industrie, die viele Güter nach China exportiert. Die Nachfrage in China geht stark zurück. Aber auch Lieferketten werden gestört. Am stärksten trifft es die deutsche Automobilindustrie (Rückgang der Autoverkäufe in China im Januar 20 -20%, Februar wahrscheinlich -90%) . Auch die Kommunikation ist gestört:  Bei der Einreise nach China kommen Manager in Quarantäne. Immer mehr Länder schließen ihre Grenzen für Einreisende oder führen scharfe Kontrollen durch. Mitte März 2020 beginnt die Coronawelle in China langsam abzuebben. Die neuen Fälle werden sogar mittlerweile eher aus dem Ausland eingeschleppt. Es sieht so aus, dass es in China wieder aufwärts geht. Trotzdem muss der Absturz (Industrieproduktion Januar/Februar -13,3%, Anlageinvestitionen -24,5%, Einzelhandelsumsätze -20,5%) erst aufgeholt werden. Viele Selbständige und Kleingewerbetreibende dürften nicht mehr weitermachen können. Die Regierung fährt einen Drahtseilakt zwischen Gesundheitsschutz (Einreisebeschränkungen, Quarantäne) und wirtschaftlichen Interessen. Am 19.3. soll es keine Neuansteckungen mehr geben, nur noch importierte Infektionen. . Die Zahlen über die Corona-Epidemie in China sind am Ende auch zu schön, um wahr zu sein. Sie lauten wie folgt: 80.928 Infizierte, 3245 Tote (Stand 20.3.20). Auf dem Kontinent Europa will China sogar im Kampf gegen Corona sein Image aufbessern: Alibaba liefert 2 Mio. Atemmasken. Huawei schickt Hilfspakete für Italien, Polen und Tschechien und plant ein Hilfspaket für die gesamte EU. Die am stärksten betroffene Provinz Hubei, wo alles in Wuhan begonnen hatte, öffnet am 23.3. wieder die Grenzen. Am 26.3. schließt China wieder die Grenzen für fast alle Ausländer, um ein Einschleppen der Seuche zu verhindern.  Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass die Zahlen in China nicht stimmen: Viele nehmen als Schattenzahlen die Urnen bei den Bestattungsunternehmen oder die Schlangen vor den Krematorien. Dann kommen Schätzungen in Wuhan allein auf 26.000 Tote mehr (gegenüber Durchschnitt). Die Führung in China scheint eine Mundtot-Politik zu betreiben bzw. ein großes Interesse daran zu haben, dass die Wirtschaft wieder in den Normalzustand kommt. Der 04.04.20 wird zum nationalen Gedenktag für Corona (Vier ist die Zahl des Todes in China, weil die Aussprache ähnlich klingt). Es ist aber seit über 1000 Jahren sowieso das Toten-Gedenkfest. Am 06.04. soll es erstmals keinen Corona - Toten gegeben haben. Insgesamt hatte China 82.803  Infizierte und 3336 Tote (offiziell). Am 08.04.20 ist Wuhan nicht mehr abgeriegelt. Das hat hohe symbolische Bedeutung (auch gigantische Lichter - Show, war zweieinhalb Monate gesperrt; "Heldenstadt"). Aufgrund eines persönlichen Kontaktes von Merkel zu Xi Jinping liefert ein chinesischer Staatsbetrieb direkt Atemschutzmasken (Millionen) nach Deutschland in mehreren Direktflügen. Es wird eine Luftbrücke zwischen Shanghai und Frankfurt eingerichtet (Bundeswehrmaschinen, in China produzieren etwa 1000 Staatsfirmen Schutzausrüstung). Trump erhebt den Vorwurf, dass der Sars-CoV-2-Virus aus einem Labor in Wuhan stamme (größtes in Asien). Er greift auch die Informationspolitik Chinas an. China muss im Mai 2020 die Millionenmetropole Jilin im Norden in der gleichnamigen Provinz abriegeln. In Wuhan gibt es kaum noch Infizierte (Anfang Juni 2020 stirbt noch mal ein Arzt, der erste offizielle Corona - Tote seit längerem). Am 15.06.20 kommt es zu einem Corona-Ausbruch in Peking auf dem Großmarkt. Dutzende Menschen werden positiv getestet. Teile der Hauptstadt werden abgeriegelt. Man fürchtet eine zweite Welle. Das Virus scheint auch mutiert zu sein. Anfang Januar 2021 kommt eine neue Welle in der Provinz Hebei. Zwei Millionenstädte werden vollkommen abgeriegelt. China lässt Mitte Januar 21 eine Expertenkommission der WHO ins Land, die die Ursachen der Pandemie untersuchen soll. Diese unterstützt die These von der Entstehung auf dem Markt in Wuhan. Biden weist dei Geheimdienste an, die Laborthese weiter zu prüfen. Ende Mai 2021 kommt es zu einem Ausbruch in der Provinz Guandong (27 Neuinfektionen an einem Tag). Vor allem die Provinzhauptstadt Guangzhou ist betroffen (18 infizierte an einem Tag). Im September 2021 müssen Städte in Fujian in den Lockdown.  Die Delta-Variante ist auf dem Vormarsch. Ende 2021 und 2022 kommt die Omikron Variante: Die Millionenstädte Xi`an und Yuzhou in der Provinz Henan müssen in den Lockdown. Wegen der begrenzten Wirksamkeit chinesischer Vakzine gibt es keine Alternative zur Null-Covid-Strategie.  außerdem stehen die Olympischen Winterspiele vor der Tür. Nach dem nationalen Statistikbüro ist im Januar und Februar 2020 die Nachfrage nach Konsumgütern um 20,5% eingebrochen, die Industrieproduktion ist um 13,5% zurückgegangen. Im 1.Quartal 2020 ist das BIP in China um 6,8% eingebrochen.

Im Konflikt mit Japan 1933 bis 1945 haben 230.000 Chinesen durch den Einsatz biologischer Waffen ihr Leben verloren. Daraus hat China gelernt und betreibt "defensive" biologische Waffenforschung. Es scheint mittlerweile die Sowjetunion als größte biologische Supermacht abzulösen. Seit 1984 ist China Mitglied der Biowaffenkonvention der UN und bestreitet die Existenz biologischer Offensivwaffen. Die Geheimdienste aus Taiwan und Südkorea haben immer auf die Möglichkeit solcher Waffen hingewiesen. Deshalb waren diese Länder auch wesentlich besser auf Sars-CoV-2 vorbereitet. Erst recht China selbst, das schon seit April 2020 in der Testphase von Impfstoffen ist. Das Wuhan Center for Desease Control und das Wuhan Institute of Virology (steht unter der Kontrolle des Militärs) liegen in Wuhan. Das heißt nicht, dass es Beweise für ein absichtliches oder versehentliches Freisetzen des Virus in  Wuhan gibt. Eher sprechen virologische Forschungsergebnisse gegen entsprechende Anschuldigungen von Trump. Aber die Welt muss auf den Einsatz biologischer Kampfstoffe vorbereitet sein. Sie sind in einer globalisierten Welt wesentlich effektiver als die klassischen militärischen Mittel (Quelle: Hans Rühle: Der Wahrheit zu nahe gekommen, in: Der Focus, 20/2020, S. 40).

China ist mittlerweile auch mit führend bei der Herstellung von Impfstoffen. China liefert in einige sehr große Länder: Indonesien hat 140,5 Mio. Dosen bestellt, Brasilien (100). Auch viele andere Länder haben Dosen geordert: Chile 60, Türkei 50, Peru 38, Philippinien 25, Malaysia 14, Marokko 10, VAE 3, Thailand 2, Ukraine 1,8, Pakistan 1,3. Quelle: Duke Global Health Innovation Center, Januar 2021. China beherrscht auch die neue Technik (mRNA). Die "Impfstoffdiplomatie" führt dazu, dass China das Impfrennen im Inneren verliert. Erst Ende 2022 sollen alle Chinesen geimpft sein, die wollen (Mitte 2021 sollen schon übe r1 Mrd. Menschen geimpft sein).. Es werden auch systematisch Falschinformationen gestreut, z. B. über Tote durch den Biontech  -Impfstoff. Die Grenzen Chinas könnten also noch lange verschlossen bleiben für Ausländer. Anfang August 2021 kommt es zu einem weiteren großen Ausbruch  durch die Delta-Variante. Ursprung ist der Flughafen von Nanjing. Von da kommt es im Nu zu 400 Infizierten. Es gibt auch 12 Fälle in Peking. Im September 2021 wird ein Ausbruch in der Provinz Fujian beobachtet. Zwei Großstädte kommen in den Lockdown. Im gleichen Monat sind über 1 Mrd. Chinesen zweimal geimpft. Immer wieder müssen auch 2021 noch einzelne Regionen in den Lockdown. Im Oktober 21 werden weite Bereiche der Inneren Mongolei im Norden abgeriegelt. Die Stadt Ruili wurde schon x-mal abgeriegelt. Auch die Provinzhauptstadt von Gansu Lanzhou trifft es immer wieder. Hintergrund ist die Zero-Covid-Strategie.   Auch in der Hauptstadt Peking gibt es immer wieder Beschränkungen (für einzelne Wohnkomplexe). Für die radikale Strategie gibt es auch politische Gründe: Olympische Winterspiele im Februar 2022. Im Herbst 2022 will Xi Jinping als erster Machthaber nach Mao eine dritte Amtsperiode antreten. Am 23.12.21 wird die alte Kaiserstadt Xi ´an abgeriegelt. Sie muss insgesamt in den Lockdown. Betroffen sind 13 Mio. Einwohner. Der Autobauer BYD drosselt die Produktion.  Die Chinesischen Internetnutzer gedenken im Februar 2021 des Arztes Li Wenliang. Er warnte als erster vor dem Coronavirus und starb daran. Es ist ein Jahr nach seinem Tod. Es werden auch Transparente gezeigt. Heute hat man den Arzt zum Helden erklärt (mit vielen Medaillen vom Staat). Er hat noch einen Web - Account auf Weibo. Berühmt der Internetkommentar von vor einem Jahr: "Wir wissen, dass sie lügen. Sie wissen, dass wir wissen, dass sie lügen. Und dennoch lügen sie weiter". In Wuhan wird im November 2021 immer noch eine kritische Journalistin in Haft gehalten. Die EU fordert China zur Freilassung auf.

China steckt Ende 2021 in einem Omikron-Dilemma. Der chinesische Impfstoff wirkt nur unzureichend gegen diese Mutante. Gelten nun 1,4 Mio. Chinesen als ungeimpft? Die Maßnahmen im Rahmen der Null-Covid-Strategie werden immer radikaler und repressiver (z. B. "an den Pranger stellen"). Die ständigen Lockdowns beeinträchtigen die Wirtschaft zunehmend. Allein am 9.1. 22 tauchen folgende Fälle auf: Henan 80, Zhenghou 21, Xuchang 21, Anyang 15, Tianjin 21 (Omikron), Xi`an 15, Shenzhen 1, Summe 157. Aus dem Ausland importierte Fälle: Shanghai 26, Guangdong 8, Yunnan 6, Fujian 5. Quelle: NHC. Die Nervosität vor den Spielen wächst. Die Olympischen Spiele sollen in einer "Blase" ohne Kontakt zum Rest der Hauptstadt stattfinden. In Tianjin werden für Tests Wohnanlagen und Bürotürme dichtgemacht. Vgl. Giesen, Christoph: Die "erste echte Schlacht" gegen Omikron, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 8/ 12.1.22, S. 7. Mitte März 2022 ist Shenzhen betroffen. 17,5 Mio. Menschen sind im Lockdown. Der muss dann noch auf Teile von Shanghai ausgedehnt werden. Das ist das industrielle Zentrum Chinas. Tausende von Mitarbeitern (eventuell Millionen) müssen in den Fabriken schlafen. Die Wohnblocks sind abgeriegelt. Man spricht von Chinas Lockdown-Horror. Die Zensur lässt wenig Infos nach außen zu. Bis Mitte April 2022 gibt es offiziell schon 10 Tote in Shanghai und täglich 20.000 neue Fälle. Die provisorischen Quarantäne-Unterkünfte führen zu Unruhen. Sie sind sehr dreckig. Die Lage wird zur Belastung für Xi und für die Weltwirtschaft. China weigert sich 2022, den Covid-Impfstoff von Biotech zuzulassen. Gründe: Nationalstolz, Propaganda, Vergeltung. Ende April 2022 greift die Panik in Peking um sich: Hamsterkäufe, Massentests und erste Abrieglungen. Der chinesischen Hauptstadt droht der Lockdown. Man sieht lange Warteschlangen. Alle 3,5 Mio. Einwohner des größten Stadtteils Chaoyang müssen sich testen lassen. Die Regierung propagiert sogar traditionelle Medizin bei der Heilung von Covid - Infektionen. Null-Covid ist zu einer neuen Ideologie der Partei geworden. Kritik daran ist nicht erlaubt.

China nutzt die Corona-Maßnahmen auch zur sozialen Überwachung seiner Bürger. Jeder Bürger hat einen Gesundheits-Code bekommen. Dieser muss bei jeder Reise vorgezeigt werden. So können Reisen kontrolliert werden. Es häufen sich Fälle, bei denen Bürger ohne Corona reisen verwehrt werden oder Bankkonten eingefroren werden. Vgl. Kretschmer, Fabian: Big Brother in Reinkultur, in: Die Rheinpfalz Nr. 137/ 15.6.22, S. 1. Immer wieder flackern 2022 Infektionsstränge auf. Laut Staatsmedien und nationaler Gesundheitskommission ist die Lage immer unter Kontrolle. Von den Schattenseiten erfährt die Öffentlichkeit kaum etwas. Ausnahmen sind We-Chat und Weibo. So erfährt man hier, wie katastrophal wohl die Lage in der Kleinstadt Yingtan (1,15 Mio. Einwohner, 2 Wochen Lockdown) ist. Vgl. Kretschmer, Fabian: Eine Stadt schreit nach Hilfe, in: Die Rheinpfalz 26.8.22, S. 1.

Im November 2022 tauchen Gerüchte über ein Ende der Null - Covid - Politik auf. An den Finanzmärkten sorgen die Gerüchte für einen Aufschwung. Vorher gibt es aber einen großen Rückschlag. Im größten Foxconn - Werk in Zhengzhou in der Provinz Henan bricht Covid aus. Es kommt zu einer Massenflucht aus dem Werk. Die lokalen Behörden informieren zu spät und treffen auch zu wenig Vorkehrungen. Mit finanziellen Anreizen versucht man, die Menschen zu halten. Schließlich wird das Industriegebiet unter Quarantäne gestellt. Für Apple ist das eine Katastrophe vor dem Weihnachtsgeschäft. In dem Werk arbeiten 300.000 Beschäftigte. Ende November gibt Demonstrationen gegen die Null-Covid-Strategie, zuerst in Ürümqi in Xinjiang. Bei einem Hochhausbrand kommen mindestens 10 Menschen ums Leben, weil sie wegen der Quarantäne nicht das Haus verlassen können. Es folgen Proteste in Shanghai und Peking (Tschingua) mit Hunderten von Teilnehmern. In Shanghai gibt es viele Festnahmen, in Peking hält man sich zurück. Das könnte das Ende der Null-Covid-Politik eingeläutet haben. Viele ältere Bürger haben noch nicht ausreichend Impfschutz (80 bis 90%).

Am 06.12.22 verkündet der Staatsrat Lockerungsschritte: Es kommt ein 10-Punkte Plan. Erleichterungen für Quarantäne (zu Hause), PCR-Tests, Lockdowns. Bei Reisen ist ein negativer Test nicht mehr notwendig. Das Dilemma bleibt: Wie lässt sich die Null-Covid-Politik beenden ohne dass die Zahl der Toten rapide ansteigt? Die Infektionszahlen steigen dramatisch Ende des Jahres 2022 an. Man schätzt, dass 80-90% der älteren Bevölkerung nicht geimpft sind. Die Kliniken sind heillos überlastet. Offiziell gibt es weiter keine Corona - Toten. In der Hauptstadt Peking laufen die Krematorien aber im Dauerbetrieb und haben längere Wartezeiten.

Der Biontech - Impfstoff, der in China nicht zugelassen ist, darf ab Ende 2022 an Deutsche in China verimpft werden. Das soll in Peking, Schanghai, Guangzhou, Shenyang und Chengdu passieren. Es gibt 11.500 Dosen. In China halten sich noch etwa 20.000 Deutsche auf. Viele fordern einen Stopp der Flüge nach China. Es soll 1 Mio. Covid-19-Infektionen pro Tag geben. Regierungen in aller Welt sorgen sich, dass Peking keinen transparenten Umgang mit den Daten pflegt. Es könnten weitere Virus-Variationen entstehen.

Es bleiben für die Zukunft viele Fragen offen: Öffnet sich China wieder? Werden verlässliche Daten zum Infektionsgeschehen heraus gegeben? Kann eine gefährliche Mutation entstehen? Wie schlimm wird es für unsere Wirtschaft? Könnte BionTech retten? Wird Xi den Tod von Millionen von Menschen überstehen? Vgl. Nass, Matthias: Auf dünnem Eis, in: Die Zeit 1/ 2022, 29.12.22, S. 4. Lauterbach will die Flughäfen engmaschig überwachen für Einreisende Chinesen. Eine Varianten - Monitoring ist wegen Corona geplant (Abwässer der Flugzeuge). PCR-Tests schreiben nur GB, Italien, Frankreich und Spanien vor. Die EU will eine einheitliche Regelung finden. Die sieht so aus, dass Einreisende Tests aus China vorlegen müssen (weniger als 48 Stunden). End e2023 grassiert eine mysteriöse Lungenkrankheit in China. Es sind vor allem Kinder betroffen.

Exkurs. Top-Wissenschaftler Zhang Yongzhen: Er entdeckte die Genomfrequenz des Corona-Virus (Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention). Er publizierte seine Ergebnisse. Er ebnete damit den weltweiten Weg für die Corona-Impfung. Im Mai 2024 wird er aus seinem Forschungslabor in Shanghai rausgeschmissen worden. Die Publikation war ohne Regierungserlaubnis erfolgt. In China spricht man von einem Missverständnis. Ihm sei ein alternativer Arbeitsplatz angeboten worden. Aber es lief schon lange eine Kampagne gegen ihn. Vgl. dei Rheinpfalz 2.5.24, S. 3.

Grundprobleme des Gesundheitssystems (auch Krankenversicherung heute): Durch den Turbokapitalismus Den Xiaopings verschlimmerte sich in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts zunächst die Gesundheitslage dramatisch. Dei Regierung beschränkte die Gesundheitsleistungen und die Preise für Patienten gingen in die Höhe. Dann regulierte Die Regierung die Preise für wesentliche Untersuchungen. Die Folge waren schlecht bezahlte Ärzte und unterfinanzierte Krankenhäuser. 90% der Bevölkerung werden heute in öffentlichen Krankenhäusern behandelt. Der Name ist aber irreführend, weil der Staat nur 10% der Kosten deckt. Die Lösung waren zunächst teure Zusatzleistungen. Auf der anderen Seite gab es Anreize für Prävention und Stärkung öffentlicher Gesundheit. Peking rühmt sich damit, 95% der Bevölkerung krankenversichert zu haben. Doch in Wahrheit gibt es zwei Versicherungen. Eine Grundsicherung (Angestellte in Städten, pensionierte Mitarbeiter von Staatsunternehmen) und eine Bürgerversicherung (Landbewohner). Ein Drittel der Chinesen sind im ersten Topf, relativ gut versorgt.  Vgl. Sahay, Lea: Das Ende des Chinesischen Traums, München 2024, S. 211 ff.

23. Zukünftige Entwicklung und nächste technologische Entwicklungsstufe: Ein wichtigen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung in China dürfte die Straffung der Geldpolitik in den USA haben (allein die Verschiebung der Zinswende in den USA verunsichert weltweit die Finanzmärkte im September 2015). Die Angst vor der Zinswende sorgt für Nervosität bei Anlegern. Am 16.12.2015 kommt es zu der erwarteten Zinswende: Erhöhung der Leitzinsen in den USA auf das Niveau 0,25 bis 0,50%. Auswirkungen der Zinserhöhung könnten sein:  Kapitalabflüsse aus den ohnehin geschwächten Schwellenländern, Stärkung des Dollars und damit Anstieg des Schuldendienstes vieler Länder, Erhöhung des Ölpreises (Öl wird in Dollar gehandelt). Das Wachstumsziel in China wird ab 2015 für die nächsten Jahre auf 6,5% gekappt (2015 werden wohl noch 6,9% erreicht, CASS). Längerfristig für das Wachstum entscheidend dürften die Innovationen im Land sein. Es müssen höherwertige Produkte entwickelt werden. Langfristig bis 2050 könnte Asien wieder seinen ursprünglichen Anteil an der Weltwirtschaft von 50% haben. China allein soll  schon einen 25%-Anteil 2025 in Kaufkraftparitäten erreichen (Prognose der Weltbank). Wenn diese Vorhersagen halbwegs zutreffen, wird die ökonomische Bedeutung der VR China für Deutschland, die EU und die Welt weiter ansteigen. Dann müsste das Land als Leitwirtschaft irgendwann die USA ablösen können. "China ist zum Sorgenkind der Weltwirtschaft geworden., (...) Gerade die deutschen Exporteure von Maschinen, Elektrotechnik und Fahrzeugen spüren eine sich abkühlende Investitionstätigkeit in vielen Auslandsmärkten", Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des DIHK (s. Handelsblatt, Mo. 01.02.2016, S. 4).

Ende Oktober 2015 treffen sich die kommunistischen Spitzenkader (ZK der KPC), um einen neuen Masterplan für die chinesische Wirtschaft zu beraten. Ergebnis wird der 13. Fünfjahresplan sein, ein Grundsatz-Planungsdokument mit Vorhaben bis 2020: 1. Förderprogramme für Elektromobilität, Robotertechnik und Biotechnologie. 2. Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Finanzmärkte. 3. Verdopplung des BIP pro Kopf bis 2020 im Bezug auf 2010. 4. Menschen unter der Armutsgrenze soll es 2020 nicht mehr geben (heute rund 70 Mio.). Der endgültige Plan wird erst auf dem Volkskongress im Frühjahr 2016 beschlossen. Innenpolitisch hat Staatspräsident Xi Jinping die Zügel enger angezogen  (man spricht von Mikro-Management by Angst). Bekämpft wird auch zunehmend die Korruption (Exzesse der Staatswirtschaft). Die Reform des Staatssektors mit zunehmender Privatisierung (Übertragung von Vermögen auf private Haushalte) muss fortgesetzt werden. Die steigende Staatsverschuldung und die Zinswende in den USA drohen eine Flaute zu verursachen. Die Antwort auf die Entwicklung ist Abschottung.  China wird nicht mehr lange die "Werkbank der Welt" sein. Inflationsbereinigt gleichen sich mittlerweile die Stundenlöhne in China und Europa an (Stundenlohn 2016: China 3,6 US-Dollar, Portugal 4,5 US-Dollar). Damit hat China klassische Schwellenländer überholt (Mexiko, Brasilien, Indien, Thailand). Unternehmen aus Niedriglohnsektoren ziehen sich schon zurück. Das frei verfügbare Einkommen der Chinesen hat sich erhöht (meist fast verdoppelt) und damit die Konsum- und Sparquote. China wird mehr für den Binnenmarkt herstellen. "Chinas offene Tür wird sich nicht wieder schließen", Xi Jinping, Staatschef, auf dem Nationalen Volkskongress im März 2017.

Exkurs. "Made in China 2025": Masterplan des Politbüros, um die heimische Wirtschaft innovativer zu machen (digitale Transformation). Man spricht auch von "China Dream". 300 Mrd. Dollar sollen in Schlüsseltechnologien wie Robotik, Umwelttechnik und Biochemie investiert werden (auch: Medizintechnik, Schienentransport, Luftfahrt, Hightech-Schiffe).  Allein 150 Mrd. Dollar sollen in die Erforschung künstlicher Intelligenz fließen.  Ausländische Firmen sind in China nur noch willkommen, wenn sie wichtige Technologien mitbringen. Die nicht-tarifären Handelshemmnisse für Ausländer häufen sich. Im Softwarebereich gibt es unterschiedliche Geschwindigkeiten. China ist längst kein "Level Playing Field" mehr. Zum Teil werden ausländische Mitbewerber aus dem Land gedrängt, vor allem über Steuerung von Ausschreibungen. Beispiel ist die Umwelttechnik. Nordex und Repower mussten so den Markt verlassen. Laut dem Plan sollen 70 Prozent aller wichtigen Werkstoffe und Kernkomponenten künftig in China produziert werden. Das Programm ist so etwas wie das Gegenprogramm zu "America First". Subventionen und Schutzmaßnahmen für chinesische Firmen sind ausdrücklich erlaubt.  Es gibt zunehmend mehr Meldungen, dass bei öffentlichen Aufträgen chinesische Unternehmen bevorzugt werden müssen (Krankenhäuser - Medizintechnik; Flugzeugbau - Comac). Im Jahr 2016 sanken die europäischen Investitionen in China um 23% auf 8 Mrd. €. Im gleichen Zeitraum kauften sich chinesische Firmen mit mehr als 35 Mrd. € in europäische High-Tech-Unternehmen ein. Das Großprojekt "Neue Seidenstraße" soll in den nächsten Jahren ab 2017 100 Mrd. € für Investitionen in Infrastrukturbauten verschlingen (bis 2030 Volumen von 26 Billionen €, Quelle: ADB). 2025 ist allerdings nur ein Zwischenziel. Offiziell geht es um das Jahr 2049, den 100-jährigen Geburtstag der Volksrepublik. Bis dahin will China die "führende Industrie-Supermacht" sein. Man spricht auch von Froschtechnik: Man hüpft immer eine Stufe weiter. Beispiel sind die Digitalisierung und die Elektromobilität. Wagemutige Entrepreneure  sind dabei gefragt. Fragwürdig ist dabei, dass Unternehmen im Reich der Mitte bei der künstlichen Intelligenz zum Datensammeln verpflichtet werden. Das Vorreiter des Planes gilt Shenzhen im Perlfluss-Delta. Ein Kern des Programms ist die Quantentechnologie. Sie gilt als Innovationstreiber. China steckt Milliarden in ein neues Forschungsinstitut und ein ultrasicheres Satellitennetz. Gesteuert wird da svon einem Forscher, den man "Vater des Quanten" nennt. Er heißt Jian Wei Pan. Er verbrachte seine prägenden Jahre in Deutschland (Heidelberg) und Österreich (Innsbruck, Wien, Prof. Matthias Weidemüller). Er baute den Supercomputer Zuchongzhi 2.1: Eine Million leistungsfähiger als der nächst beste Rechner von Google. China ist Technologieführer. Vgl. Stözel, Thomas: Mr. Pan und das Geheimnis der Weltherrschaft, in: WiWo 9/ 25.2.22, S. 68ff.  Insgesamt wird die Führung das Programm wohl als Erfolg ansehen. Der nächste Meilenstein ist dann 2035. China will Marktführer in Zukunftstechnologie werden. Das dürfte nicht einfach sein (Schulden, Immobilienkrise, Demographie).

China will in den nächsten Jahren seine Kontrolle verschärfen. Bürger werden in Städten mit Gesichtserkennung gescannt. 2029 tritt ein Bewertungssystem in Kraft, das das Verhalten der Bürger beurteilt. Wer seine Schulden nicht zahlt, gegen die Verkehrsordnung verstößt oder seine Eltern nicht besucht, muss mit Nachteilen bei der Kreditvergabe und bei der Verteilung von Schulplätzen rechnen. Virtuelle private Netzwerke sollen verboten werden. Das Verhältnis zur USA könnte sich weiter verschlechtern. Es droht ein neuer Kalter Krieg zwischen den Supermächten. (Corona, Hongkong, Taiwan, Handel). Die USA versuchen, die G7 gegen China einzuspannen. Auf der Linie der USA liegen Kanada, Japan  und Großbritannien. Verbündete sind auch Indien, Südkorea und Australien.  "Ich have seen the future, and it won`t work". Ich habe die Zukunft gesehen, und sie wird nicht funktionieren". Der Nobelpreisträger 2008 für Ökonomie Paul Krugman in der New York Times 2009 in seinem Erfahrungsbericht über eine Studienreise durch China, bei der ihm Li Ping eine Lotosblüte überreicht hatte. Das sagt viel über die Arroganz der USA gegenüber China über viele Jahre und vor allem über die Fehlbarkeit der US - Volkswirtschaftslehre. 

Für 2022 nimmt China viele Probleme mit ins Jahr. Die Immobilienkrise ist noch nicht ausgestanden und bleibt ein großes Risiko (siehe oben eigenen Abschnitt). Die Gewerblichen Verkäufe von Wohnimmobilien sind stark gesunken und auch volatil. Im Konflikt mit den USA ist keine Entspannung in Sicht, eher das Gegenteil (eigener Abschnitt oben). Die ständigen Lockdowns verunsichern die Wirtschaft. Schon seit Monaten ist der Konsum belastet. Insbesondere für das Gaststättengewerbe und den Tourismus haben die Einschränkungen schwerwiegende Folgen. China hat kaum eine Alternative zur Null-Covit-Strategie, weil die eigenen Impfstoffe gegen Omikron kaum wirken. Die Regierung nimmt die Tech - Branche unter Kontrolle, was deren Entwicklung nicht fördert (der Aktienwert ist um 1 Billion $ seit 2020 gesunken). Die sinkenden Wachstumsraten fordern das System heraus (Prognose für 2022 +5,8%). Internationale Unternehmensberatungen rechnen für die nächsten Jahre sogar mit 2 bis 2,5% Wachstum. Vgl. Heide, Dana: Chinas riskanter Weg durch das neue Jahr, in: HB Nr. 2, 4. Januar 2022, S. 14f. Das Land muss auch viel innovativer werden, um seinen Reichtum zu vergrößern. Die geringe Wachstumsrate führt nicht dazu, dass China in den nächsten 30 Jahren zu "einer voll entwickelten und reichen Nation" aufsteigt. Das durchschnittliche Einkommen der Chinesen liegt bei rund 10.000 Dollar, ein Sechstel des Wertes in den USA. Vgl. Ankenbrand, Hendrik: Chinas neues Sorgenjahr, in: FAZ Nr. 3, 5. Januar 2022, S. 15.

China denkt aber desto Trotz in größeren Dimensionen als der durch Aktienkurse gesteuerte Westen (das ist der eigentliche komparative Vorteil des Systems). Die Führung will die Forschungspläne und Produktentwicklungszyklen dieser Unternehmen weit in die Zukunft ausrichten. Sie sollen früher als westliche Konkurrenten die nächste technologische Entwicklungsstufe erreichen. Man will Dominanz in den Bereichen Telekommunikation (Internet aus dem All), Künstliche Intelligenz (Metaverse)und Synthetische Biologie (Genschere, Verschmelzung KI und Biotech) erreichen. Ähnliches hat China vorher mit Wearables, also tragbarer Elektronik, erreicht (Smartwatches, Fitnessarmbänder, digitale Brillen). Vgl. Webb, Amy: Aus dem Chaos entsteht eine neue Welt, in: HB Nr. 7/ 11.1.22, S. 28f.

Man muss eine eine neue Form der Zusammenarbeit finden. Es ist ein Systemrivale da, auf den man sich einstellen muss. Der handelt nach eigenen Kriterien der Rationalität: Die Null-Covid-Strategie schadet der Wirtschaft, der Ukraine-Krieg zerstört die Seidenstraße. Die Behandlung der Uiguren in Xinjiang ist ein Skandal. Trotzdem helfen nur Kontakt und Dialog. "Der Westen wird lernen müssen, mit China als einem Akteur auf Augenhöhe zu leben - unabhängig von allen Differenzen auf der Wertebene", Markus Taube, Mercator School of Management, Uni Duisburg-Essen. Quelle: WiWo 25/ 17.6.22, S. 44f.

Exkurs: Der Aufstieg Chinas wird enden. Diversität und wachstumsfördernde Eigenschaften in der Kultur: These von Oded Galor (The Journey of Humanity, München 2022): Historische Quellen von Wohlstand und Ungleichheit. Die Unterschiede sind weit in der Vergangenheit angelegt. Diverse und pluralistische  Gesellschaften sind stärker als homogene. Andere wichtige Faktoren sind: Qualität und Integrationskraft von Institutionen, ökonomisch günstige Geografie, wachstumsfördernde kulturelle Eigenschaften. Chinas Homogenität sei nur kurzfristig ein Vorteil. Das muss aber nicht für die Zukunft gelten. China dürfte in zehn Jahren die Decke erreichen, wenn es sich nicht reformiert und mehr öffnet. Deshalb werden die USA und Europa an der technologischen Spitze bleiben. Er unterstützt nicht die Abgesänge an den Westen. Vgl. auch: Interview mit ihm in WiWo 28/ 8.7.22, S. 40f.

"Was geht es uns an, wenn in China ein Sack Reis umfällt". Dieses chinesische Sprichwort gilt im übertragenen Sinne für die Wirtschaft ganz sicher nicht mehr: Ca. sieben Billionen Dollar Aktienkapital wurde im Anschluss an die Volatilitäten in China seit Jahresbeginn 2016 im Januar weltweit vernichtet (darunter Dow Jones -9,5%; DAX -12,6%; Shanghai Composite -15,9%).

24. Exkurs: Indikatoren der Wirtschaft in China und Aussagekraft der Statistik (Relativierung): Auch in der Sozialistischen Marktwirtschaft in China ist das BIP der wichtigste Indikator. Experten zweifeln aber diese Zahl an. Es stehen 5,5% Revidierung nach unten im Raum. Folgende Indikatoren sprechen für eine Korrektur nach unten: Energieverbrauch, Wachstumsraten in den Provinzen geschönt, Rückgang der Importe, Dienstleistungssektor schlecht erfasst. Es fehlt auch die Transparenz wie das Statistikbüro genau den Wert des Bruttonationaleinkommens ermittelt. Einen großen Anteil haben Schätzungen. Einige Analysehäuser sehen das Wachstum jeweils um bis zu 5% niedriger. Eine völlig unterschätzte Rolle spielen die Lokalregierungen, die gezielt falsche Zahlen liefern. Das Statistikbüro will die Vorgaben der Regierung erfüllen. "Zombie-Fabriken" (nicht ausgelastet, falsche Zahlen) tragen auch dazu bei. Chinas Wirtschaft wächst seit 1978 ohne Unterbrechung. Der Durchschnitt liegt bei fast 10 Prozent. Erst ab 2018 kommt der Einbruch mit wesentlich geringeren Wachstumsraten. Aus meiner eigenen statistischen Erfahrung und dem engen Kontakt zu chinesischen Kollegen gehe ich davon aus, dass die Statistik relativ genau ist, allerdings unter Berücksichtigung der obigen Rahmenbedingungen. Vgl. Fernald, J./ Hsu, E./ Spiegel, M. M.: Is China Fudging its Figures? Evidence from Trading Partner Data, Federal Reserve Bank of San Francisco, Working Paper, Nr. 2015-12, 2015. Auch: Chen, Z./ Liu, C./ Liu, J.: The Financing of Local Government in China: Stimulus Loans Wane and Shadow Banking Waxes, VoxChina, 9.7.2017.

Es gibt auch mittlerweile eine Reihe alternativer Aktivitätsmaße für die chinesische Wirtschaft. Sie können ergänzungsweise herangezogen werden.. Für China entwickelt wurde der Keqiang-Index. Er wurde nach dem jetzigen Premierminister Chinas Li Keqiang benannt, der in einem Gespräch mit US-Diplomaten die offizielle Statistik des Nationalen Statistikbüros als "menschengemacht und unzuverlässig" abtat. In den Index gehen die wirtschaftliche Aktivität anhand der Variablen Energieverbrauch (Strom), Kreditvergabe und Eisenbahnfrachttonnen (Frachtvolumen) ein. Große Bedeutung hat mittlerweile der Einkaufsmanager-Index (PMI) für die Beurteilung der chinesischen Industrieaktivitäten. Das Wirtschaftsmagazin "Caixin" veröffentlicht ihn regelmäßig. Zu Beginn 2016 führt ein Rückgang von 48,6 auf 48,2 zu Aktieneinbrüchen in Shanghai. Sehr starke Aufmerksamkeit richtet man in China auf die Entwicklung der Erzeugerpreise (Index der Erzeugerpreise). ein deutlicher Rückgang zeigt in der Regel Konjunktureinbrüche an. China Satellite Manufactoring Index: Er überwacht die Industrieproduktion. Per Satellit werden 6000 Industrieregionen beobachtet (Start up Space now).

Eine Konjunkturabschwächung in China ab 2018 ist aber unbestritten. Zahlreiche Indikatoren signalisieren das. Besonders schlecht ist die Stimmung 2019  in kleinen und mittleren Unternehmen (Einkaufsmanagerindex). Sowohl bei Exporten als auch bei Importen haben sich die Zuwächse stark abgeschwächt. Hier wirkt sich die Handelspolitik aus. Vgl. Gern, K. - J. / Hauber, P.: Konjunkturabschwächung in China, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2019, S. 227f.

2023 bricht der Außenhandel ein (Oktober 23 -8%). Es fehlen stark ausländische Investitionen. Das Wachstumsziel von 5% scheint erreicht zu werden: Januar bis September 23 +5,3%.    Aber dei Zahlen sind auch geschönt: Zinssenkung der Zentralbank, verbilligte Kredite, finanzielle Unterstützung.

Aktuelle Chinesische Wachstumszahlen: Beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos im Januar 2024 umgarnt Chinas Premierminister Li Qiang internationale Investoren. Er verkündet die Wachstumszahlen des BIP für 2023: Das BIP-Wachstum liegt bei 5,2%. Im Vorjahr betrug das Wachstum noch 3,0%. Li Qiang teilte die neuen Zahlen stolz mit und sagte "Chinas Markt sei kein Risiko, sondern eine Chance". Bei einer Online-Veranstaltung von Merics/ Berlin zweifelt der EU-Botschafter Jorge Toledo die Zahlen offen an. Er stellte die Glaubwürdigkeit in Frage. Er verwies auf Analysten, die die Schwäche des Immobiliensektors betrachten. Auch der Binnenkonsum habe sich nicht erholt. Man spricht von In-Transparenz der statistischen Zahlen. Internationale Beobachter raten tatsächlich zu Skepsis. Sie stört auch die Ignoranz der Parteiführung gegenüber öffentlichen Missständen. Dagegen Li Qiang in Davos: "China wird an der fundamentalen Politik der Öffnung festhalten und seine Tür zur Welt noch weiter aufmachen". Toledo verweist darauf, dass man mittlerweile sogar für das Betreten eines Universitätscampus eine schriftliche Genehmigung brauche. Vgl. auch: Kretschmer, Fabian: Zweifel an Pekings Statistiken, in: Die Rheinpfalz 19.01.24. Bei der Wachstumsrate von 2023 spielt sicher auch der Basiseffekt eine Rolle. 2022 war die Wirtschaft noch teils lahm gelegt durch Corona.

Akkurates Bild über die chinesische Wirtschaft: Es wird immer schwieriger, eine reale Beurteilung zu machen. Wichtige Statistiken werden nicht mehr publiziert und kritische Ökonomen erhalten einen Maulkorb. Sogar in Gesprächen mit der EU-Handelskammer werden bestimmte Gesprächsthemen als tabu erklärt (Präsident der EU-Handelskammer Eskelund). Reden sollen möglichst vorher eingereicht erden. Manche Experten sehen die Entwicklung hin zu einer Planwirtschaft, deren Zahlen man unter Kontrolle halten will. Der Privatsektor wird systematisch zurückgedrängt. Vgl. Kretschmer, Fabian: China verliert das Interesse an deutschen Waren, in: Die Rheinpfalz 12.9.24.

25. Berücksichtigung der anderen Kultur mit Daoismus und Konfuzianismus (in Teilen auch Buddhismus und Marxismus): Der Gedanke von der Einheit von Mensch und Natur ist Kern der Weltsicht der traditionellen chinesischen Kultur (geprägt von Daoismus und Konfuzianismus). Dadurch entstanden eine Reihe von gedanklichen Gebilden in China, die sich von der westlichen Kultur unterscheiden, diese aber heute erheblich beeinflussen. Generell ist die Welt der Asiaten komplexer (dagegen bei uns mehr in Schubladen). Es gibt weniger einfache Lösungen. Alles hängt mit allem zusammen. Die Gehirne scheinen aufgrund der Kultur anders gepolt. Dies wirkt sich auf Wahrnehmungen aus, die bis in Gehirnstrukturen wirken. Leben Asiaten lange im Westen passen sie ihr Denken an. "Es ist viel Raum in den Hautfalten des Buddha", Chinesisches Sprichwort.

Der Daoismus ist die Naturphilosophie in China und einigen anderen asiatischen Ländern.  Laozi, chinesischer Philosoph, 6. Jh. v. Chr., Begründer des Taoismus bzw. Daoismus. Die Weisheit des Tao Te King, das Buch vom Sinn und Leben. Es gibt zwei Bücher mit 81 Kapiteln. In Lujang sollen sich Laotse und Konfuzius getroffen haben. Laotse half Konfuzius die alten Regeln zu studieren. Sie stammten aus der Bronzezeit. Es waren geschichtliche Riten. Im Mittelpunkt standen Blut/ Fleisch und Wein für die Ahnen. Das war ein religiöser Akt und eine religiöse Erfahrung. Aber es gab keinen Schöpfer. Man spricht auch von Pinyin. Lehre des Weges. Es ist eine Art authentische Religion ("Seele Chinas"). Die Ursprünge reichen bis 1400 v. Chr. Das war auch in der Zeit der Zhou-Dynastie (1040-256 v. Chr.). Die wesentlichen Bausteine wurden 400 v. Chr. niedergeschrieben. Da erreichte die Lehre ihren Höhepunkt. Es ging ursprünglich auch um Unsterblichkeit (auch im übertragenen Sinne). Dazu dienten Qigong, Taijiquan, Imagination, Konzentration  und Atemtechniken. Folgende Elemente gehören dazu: Kosmologische Vorstellungen von Himmel und Erde. Fünf Wandlungen. Lehre vom Qi. Yin und Yang. Yijing ( I Ging). Die größte und älteste Statue des als Gründer des Daoismus verehrten Laozi steht am Fuß des Berges Qingyan bei der Küstenstadt Quanzhou im Südosten Chinas (Partnerstadt von Neustadt an der Weinstraße in Deutschland).

Lehre des Konfuzianismus (Inhalt): Fünf Klassiker: Buch der Wandlungen. Buch der Lieder. Buch der Urkunden. Buch der Riten. Frühlings- und Herbstannalen. Das Lunyu (chinesische Bibel) umfasst vier Grundlagen: Mitmenschlichkeit (Ren; =zwei; bestmögliche Lebensführung; Shu=Empathie, Gegenseitigkeit), Gerechtigkeit, Kindliche Pietät, Riten. Der Studienplan in Qufu umfasst sechs Künste, die man lernen musste: 1. Li (soziales Verhalten, Zeremonie). 2. Riten. 3. Moral. 4. Kaligraphie. 5. Mathematik. 6. Kunst des Streitwagenlenkens.  7. Bogenschießen. Die fünf Klassiker und die Analekten wurden als Text auf Stehlen (189, dauerte vier Jahre) gehauen. Man sieht sie heute im Nationalmuseum in Peking (auch im Konfuziustempel und der kaiserlichen Akademie). Sie waren Grundlage des Examens für den klassischen Staatsdienst. Die Prüfungen waren sehr streng und dauerten 3 Tage (vorher hatte man sich auf regionaler und Provinz-Ebene bewährt). Die Säulen der Gesellschaft waren Familie, Hierarchie und Tradition. In der Unternehmenskultur sind es Bildung, Disziplin, Fleiß. Die Kernpunkte der Kultur waren Aufrichtigkeit, Bescheidenheit und Harmonie. Es gibt ganz konkrete Verhaltensregeln: Rituale des Alltags, Harmonie, korrekte Begrüßung, Beziehungen zwischen Alt und Jung, Ehe, Freunde, Gefühl für einander da zu sein. Im Mittelpunkt steht die Ehrung der Ahnen. Es gibt nicht einen Gott als Schöpfer wie bei den Religionen. Die Schüler von Konfuzius (Kong Qiu) haben die Lehren verbreitet. Einer der wichtigsten war Zeng Shen, der das Xiaoling verfasste.

Xi Jinping steht auch für eine Renaissance des Marxismus.  Er hat den Marxismus als Lehre an den Hochschulen wieder belebt. Interessant ist die Integration des Marxismus in den Konfuzianismus und Daoismus. Darüber habe ich in den letzten Jahren viel geforscht und geschrieben.

Tianxia ((Alles, was unter dem Himmel ist; auch Herrschaftsanspruch des Kaisers): Es ist eine gesellschaftliche Ordnung, die keine Zustimmung verlangt, sondern letztlich die einzelnen Elemente umfasst ("harmonische Gesellschaft"). Die Volksseele repräsentiert die Gesamtheit der Anschauungen (ähnlich dem Begriff "Kollektivbewusstsein" von den französischen Soziologen Durkheim). Es wird das Kriterium der vollständigen Inklusivität erfüllt. Vgl. Zhao, Tinyang: Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung, Berlin 2020. Er wirft dem Christentum universalistischen Anspruch vor. Die Demokratie neige dazu, Populisten ins Amt zu bringen. Sie sei "Publikratie". Zhao ist in China hoch angesehen. Er "zimmert" mit an der weltanschaulichen Grundlage des kommunistischen Regimes. Seine Philosophie ist ein Versuch, dem Westen, der Demokratie, etwas ganz anderes entgegen zusetzen. "Der freiheitlich, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzunge, die er selbst nicht garantieren kann". Er stellt heraus, dass China offenbar effizienter mit Krisen (Covid19) umzugehen weiß. Allerdings blendet Zhao die "Meritokratie" in China aus: Die Besten und Leistungsfähigsten sollen an den Entscheidungsstellen sitzen, dann sind alle Sachprobleme gelöst (Politbüro der KPCh). Bekanntlich hat dieses System auch große Schattenseiten, worüber Zhao nicht schreibt. Zhao ist Professor für Philosophie an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, die dem Staatsrat untersteht. In einem weiteren Essay entfaltet er den Gedanken, dass der Kampf der Kulturen heute den Westen entzweit. Vgl. Zhao Tingyang: Universum ohne Moral, in: Die Zeit Nr. 30/ 13.7.23, S. 46. "Die Moderne ist sicherlich eine große Errungenschaft, doch könnte sie mit der Überheblichkeit des Individuums zerstört werden...", ebenda. ""Man findet eigentlich gar keinen Begriff des Seins in der daoistischen Theorie, denn das Sein ist vollständig durch das Werden ersetzt"... "Sein heißt Werden". Ebenda. ..., damit wir besser mit der Zukunft Schritt halten können, die nicht mehr dem übersichtlichen System der Nationalstaaten, sondern der globalen Macht der Netzwerke gehören wird"... ebenda.

Deutschland wird in China zutiefst respektiert - wie kaum ein anderes Land in der Welt. Das hängt einerseits mit Marx, Hegel, Goethe, Bach und vielen anderen Größen zusammen ("Helden"). Andererseits ist Deutschland für China ein Modell für ein fortgeschrittenes Industrieland, das nach zwei Weltkriegen wieder auferstanden und der Stabilisator der EU ist. Natürlich will China auch einen Keil zwischen die EU und die USA treiben (auch die EU als Wettbewerber spalten). Kritik an Menschenrechtsverletzungen werden angesichts der abscheulichen kolonialen Verbrechen Europas in China und anderswo nicht akzeptiert.

26. Die Haltung der westlichen Kultur gegenüber China: Gefahr oder Erlösung? Seit über einhundert Jahren changiert das Bild, das man sich in der westlichen Welt von dem gewaltigen "Reich der Mitte" macht. Woran liegt es, dass die Perspektiven immer wieder wechseln?

Berühmt wurde 1881 eine Skizze einer neuen Freiheitsstatue für San Francisco. Sie wurde von einem Einwanderer aus Preußen mit Namen Franz Keller angefertigt. Sie zeigt alle anti-chinesischen Stereotype der damaligen Zeit (Kuli, mit Zopf, zerbrochene Ketten der Unterdrückung, zerrissene Kleidung). Man wollte damit gegen die hohen Einwanderungswellen aus China protestieren.

Trump sprach vom China-Virus bei der Corona-Pandemie. Er bediente sich der alten Stereotype. Gegenwärtig kursiert die Angst vor der chinesischen Wirtschaft, die uns überrollen könnte.

Viele Metapher reichen weit in die Geschichte zurück. China war immer Exempel, wenn die Globalisierung und die Rolle Deutschlands und Europas darin diskutiert wurden. So tat sich Kaiser Wilhelm II. hervor, nach dem die Völker Europas die Bedrohung aus China entgegentreten sollten. Berühmt wurde seine "Hunnenrede" ("Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht gemacht"). Im Boxerkrieg (1899-1901) hinterließ man eine Spur der Verwüstung in China. Immer wieder taucht der Ausdruck "Gelbe Gefahr" auf. Vor einer militärischen Intervention hatte vor allem Australien Angst (1888, "Chinese Crisis").

In Deutschland äußerten sich 1890 die bekanntesten Ökonomen (Gustav Schmoller, Adolf Wagner) und warnten vor der neuen Konkurrenz aus China auf dem Weltmarkt. Dann kam die Angst vor der Mobilität. Man fürchtete die Überflutung durch Arbeit von Millionenmassen (heute eher Produkte). Es gibt im 19. Jahrhundert einen Rassismus gegen Chinesen in Europa (auch bei den Klassikern, wie z. B. Herder). Auch die Hoffnung auf den unermesslichen chinesischen Markt gab es damals schon. Eine große Rolle spielten auch Reisebericht berühmter Leute (Lord Macartey 1793: "Garten Eden"; Lord Amherst 1816: "Merkwürdiges, uninteressantes Land"). Das China-Bild hing immer von der eigenen Rolle in der Geopolitik ab. Auch der große deutsche Soziologe Max Weber aus Heidelberg distanzierte sich zu China und traute der Kultur nichts zu (Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus). Vgl. Conrad, Sebastian: Die Gelbe Gefahr 2.0, in: FAZ Nr. 272, 22. November 2021, S. 7.

Das Meinungsforschungsinstitut Kanter ermittelt 2021 im Auftrag der Körber-Stiftung, dass der wachsende Einfluss Chinas in Deutschland negativ gesehen wird. Man sieht China im Vergleich zu Russland als größere Bedrohung für Werte in Deutschland.

27. Wird China das neue Japan? (Die Situation der chinesischen Konzerne; das große Fragezeichen, auch Angst vor Preisverfall 23): Einige Experten gehen davon aus, das im Bezug auf die Zukunft China einen ähnlichen Weg wie Japan gehen könnte. Chinas Konzerne sind stark vom Inlandsgeschäft abhängig. Durch die rapide sinkende Erwerbsbevölkerung wird sich das BIP-Wachstum stark verringern, falls nicht gleichzeitig die Arbeitsproduktivität steigt (was wahrscheinlich nicht passieren wird). Die Entwicklung in Japan ist ein beunruhigender Präzedenzfall für die Folgen solchen demographischen Wandels.

Immer mehr chinesische Unternehmen sind in der Liste der Fortune 500 der umsatzstärksten Weltkonzerne. Es ist aber fraglich, ob sie diesen Platz halten können. Dazu wäre ein Wandel zu einer internationalen Denkweise notwendig: 1. Mehr Respekt zeigen. 2. Ausländer in die Zentrale holen. 3. Entsendungen verbessern. 4. Führungskräfte besser entwickeln. 5. Innovationen im Ausland entwickeln (nicht nur Werte absaugen). 6. Managementstil innovationsfreundlicher machen. 7. Diversität im Management erhöhen. Siehe Black, J. Stewart/ Morrison, Allen J.: China droht Wachstumskrise, in: HBM, Januar 2020, S. 68ff. China verfügt 2019 über die meisten Unicorns ("Einhörner") auf der Welt. Es sind 206, womit die USA überholt werden konnte (203).

Durch die Corona-Krise steigt die Verschuldung, sowohl der Unternehmen als auch des Staates, weiter an. Die KPCh versucht mit allen Mitteln gegen die Krise  vorzugehen. Es soll ein Konjunkturpaket kommen. Aber die Krise ist auch mit einem globalen Gegenwind verbunden (überall auf der Welt geht das BIP zurück, die USA lockern nicht ihre Restriktionen). Auf der anderen Seite setzt man auch bei den Zahlen an (Schönrechnen unproduktiver Wirtschaftstätigkeit; siehe oben bei 19.).  "Wenn in China die Schuldentragfähigkeit überschritten ist, dürfte das Wachstum innerhalb weniger Jahre ebenso stark und unerwartet verlangsamen wie nach 1990 in Japan", Michel Pettis, Professor für Finanzwissenschaft an der Guanghua School of Management der Peking University, Quelle: WiWo 11/ 6.3.2020, S. 26.

Die Unternehmensstruktur in China (und auch auch den USA) fußt auf großen Unternehmen, in China vor allem auf Staatsunternehmen und staatlich kontrollierten Unternehmen (der genaue Einflussbereich der KPCh in den Führungsgremien der Unternehmen ist nicht abgrenzbar). Eine  solche Struktur ist nicht gesund. Sie wird durch ein virtuelles Skelett (wie in den USA) unterfüttert. Die großen Tech - Riesen in China und den USA sollen Defizite in der Wirtschaftsstruktur ausgleichen. Für Europa heißt dies, dass man die bessere Wirtschaftsstruktur hat und sie digital besser unterfüttern muss. Das ist einfacher als umgekehrt. Wir haben zu wenig Daten über die chinesische Unternehmensstruktur. Es spricht aber viel dafür, dass die Lage der Unternehmen nicht so günstig ist, wie sie immer wieder dargestellt wird. Die Staatswirtschaft ist an vielen Stellen anfällig (vgl. die anderen Abschnitte). Manchmal helfen persönliche Netzwerke (z. B. Xi Jinping und Jack Ma). Deshalb könnte es mit der ökonomischen Führungsrolle Chinas und der Neuordnung der Welt doch etwas länger dauern. Viele Probleme schiebt das Land auch vor sich her: ethnische Minderheiten, Umwelt, Verteilung.

2021 warnen Experten sogar vor der nächsten Kulturrevolution in China. Das Land reitet einige Attacken gegen einheimische Konzerne (Alibaba, ByteDance, Evergrande).  Sie sollen mehr dem Gemeinwohl dienen. Peking will den Privatsektor mehr kontrollieren. Das könnte die Innovationslust und Risikobereitschaft im Privatsektor bremsen. Der Zugang chinesischer Unternehmen zu internationalen Märkten könnte ebenso erschwert werden. Vgl. Rajan, Raghuram: Droht in China die nächste Kulturrevolution? in: WiWo 45, 5.11.21, S. 40.

Chinas Wirtschaft wächst nach dem Ende der Corona-Pandemie nur langsam. 2023 könnte sogar eine Deflation drohen. China könnte mit den gleiche Problemen zu kämpfen haben wie Japan in den 1990er-Jahren. Die Preise könnten in den letzten Monaten des Jahres 2023 weiter fallen. Vgl. Petring, Jörn: Die Angst vor dem Preisverfall, in: WiWo 32/ 4.8.23, S. 36f. Im Juli 2023 sind die Preise um -0,3% gefallen. China ist in einer Abwärtsspirale gefangen. Die Immobilienblase ist geplatzt (im Juni 23 Immobilienverkäufe -30%, 50 Mio. Wohnungen finden keine Käufer). Quelle: Chinesisches Statistikamt 2023. Der Immobiliensektor macht fast 25% des BIP aus.

China steckt 2023 in einer Deflation fest. Moody s senkt den Ausblick für die Kreditwürdigkeit. Nominal scheint die Wirtschaft kaum noch zu wachsen. Die Regierung kontrolliert die Notenbank und hängt nicht von Auslandsinvestitionen ab. Aber der private Konsum ist die große Schwäche. Die Regierung kann sich nicht entscheiden zwischen Förderung der Binnenkonjunktur und Investitionen in Infrastruktur und Technologie. Die Deflation hilft den Exporten. Die Subventionen der Firmen (von Staatsbanken oder dem Staat direkt) sorgen auch für Konkurrenzvorteile im Ausland.

China droht eine Kombination aus recht schwachem Wachstum und einer deflationären Spirale.

28. Shenzhen als weltweites Technologie - Zentrum und Modellstadt sowie Smart City (Weltwirtschaft von morgen, die Zukunft): Shenzhen (früher Kanton). Ist eine 12 Millionen-Stadt im Süden Chinas. Sie ist weltweit die erste Stadt, die im Nahverkehr ihre Busflotte komplett auf elektrische Antriebe umgestellt hat. Mehr als 16.000 Busse, vor allem von Byd, fahren durch die Straßen. Die Betriebskosten sollen pro Jahr um etwa 20.000 Euro geringer als bei einem Dieselbus. Als nächstes sollen sämtliche Taxis aus dem Verkehr gezogen werden, die einen Verbrennungsmotor haben. Am Ende der Kaiser-Ära war die Stadt das Tor des Westens nach China. Die Stadt stand unter britischer und französischer Verwaltung. Sie hat 10 Stadtbezirke: Bao`an, Guangmin, Nanshan, Longhua, Futian, Luohu, Longgang, Yantian, Pingshan, Dapeng. Deng Xiaoping war der Wegbereiter des Ausstiegs. Sie soll zur Smart City umgebaut werden. "Die Greater Bay Area wird das Zentrum der globalen Wirtschaft werden", Michael Enright, US-Ökonom. 2020.Shenzhen ist heute die am schnellsten wachsende Metropole der Welt. Sie gilt auch als die offenste, reichste und teuerste Stadt Chinas. Die Chinesen sehen sie als globale Modellstadt, die Hongkong einmal ablösen soll. Shenzhen war die erste Stadt für folgende Entwicklungen: Anfang mit Landversteigerungen, Einführung von Arbeitsverträgen, Privatisierung von Staatsunternehmen, Gründung eines Technologieparks, Public Private Partnership, Genehmigung ausländischer Tochterunternehmen. Hier werden auch die Trends bei wichtigen Zukunftstechnologie gesetzt: Elektromobilität (siehe oben), Gentechnik, Künstliche Intelligenz. Shenzhen wird oft mit dem Silicon Valley verglichen, was zu einseitig ist. Shenzhen ist nicht nur Zentrum der IT - Wirtschaft, sondern hat auch eine große industrielle Basis. Die Region um die Stadt, auch Perlflussdelta genannt, ist darüber hinaus das Zentrum der KMU in China (anderer Begriff: Greater Bay Area). Foxconn ist im Norden von Shenzhen. Weitere Handy und IT-Firmen sind Huawei, ZTE, Oppo, Vivo (jedes vierte Handy weltweit kommt aus der Stadt). Weitere berühmte Konzerne in der Stadt sind Tencent, Ping An. Bei den Städten um Shenzhen herum spricht man von Clusterstädten. Dalang steht für Pullover und Sweatshirts, Humen für Bekleidung, Qiatou für Verpackungen, Qingxi für Computer, Houjie für Möbel und Schuhe. Shenzhen ist auch das Mekka der Start-up-Szene: Eric Pan, David Li, William Bao Bin, Cyril Ebersweiler, Kevin Lau, Chadwick Xu, Liam Casey sind berühmte Gründer. Auch viele ausländische Firmen haben Forschungslabore in Shenzhen: Airbus, Apple u. a.. Vgl. zu Shenzhen: Wolfgang Hirn, Shenzhen. Die Weltwirtschaft von morgen, Frankfurt/ New York (Campus) 2020. Sieren, Frank: Shenzhen - Zukunft Made in China, 2021

Exkurs: Greater Bay Area (GBA): Für China hat jede einzelne Stadt nicht mehr die Bedeutung. Man plant schon lange einen riesigen Wirtschaftsraum im Süden. Bis 2035 w3ar das ursprüngliche Ziel. Dem entgegen stehen unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsräume, die die Integration erschweren.  Man will die bekannten Städte Hongkong und Macao mit der südöstlichen Küstenprovinz Guandong verbinden. 11 Partnerstädte sollen zu einer großen Integration  (unter anderem außer den schon genannten Hongkong, Macao, Shenzhen Guangzhou, Jiangmen, Dongguan, Zhongshan, Zhuhai, Zhaoqinq u. a.). Vgl. Kuhn, Britta: Chinas Greater Bay Area, in: Wirtschaftsdienst 4/2021, S. 311ff.

Exkurs. Shenzhen und autonomes Fahren: Sie ist die erste Stadt weltweit, wo autonomes Fahren nun Alltag wird. China ist mittlerweile das führende Land des autonomen Fahrens. Seit 2020 bieten Pioniere wie AutoX ihren Service in Shenzhen an. Es ist der größte Anbieter von autonom fahrenden Taxis. Er wird von Alibaba mitfinanziert. Bis 2023 werden mit 30 Mio. selbst fahrenden Autos gerechnet. 27 Städt3 und über 70 Unternehmen haben bis 2023 die Erlaubnis für autonomes Fahren erhalten. AutoX testet auch in San Jose/ Kalifornien. Ein Gesetz dazu wurde 2022 verabschiedet. Vgl. Sieren, Frank: China to go, München 2023, S. 55ff.

29. Mögliche betriebswirtschaftliche Gegenstrategien westlicher Unternehmen: Sie kommen relativ spät, weil einige kulturelle Irrtümer bestanden. 1. Wirtschaftliche und politische Liberalisierung bedingen sich. Die Partei glaubt an den überragenden Einfluss der Geschichte und an die marxistische Lehre. 2. Autoritäre politische Systeme können keine Legitimation haben. Für die Bürger ist der Wohlstand entscheidend. Sie denken pragmatisch.  3. Chinesen arbeiten und investieren wie wir im Westen. Während die Regierung eher langfristige und klare Strategien verfolgt, haben die Chinesen kein Vertrauen darin und handeln mehr kurzfristig im Sinne des eigenen Vorteils. Diese Irrtümer können zu fatalen Fehlentscheidungen westlicher Firmen führen. Vgl. Mitter, Rana/ Johnson, Elsbeth: Reich der Irrtümer, in: HBM Oktober 2021, S. 40ff.

Abkopplungsstrategie Chinas und der USA, Gegenstrategie westlicher Firmen: Die chinesische Regierung will die Wirtschaft des Landes vom Ausland unabhängiger machen. Viele global tätige Unternehmen werden davon betroffen sein. Der Zollstreit zwischen den USA und China war nur der Anfang. Die Unternehmen sind gezwungen, Strategien zu entwickeln. Wie können diese aussehen? Ihre Gestaltung hängt von der Platzierung in den Quadranten einer Matrix ab. Die X-Achse misst Chinas Bedeutung als Vermarktungsgebiet, die y-Achse die Bedeutung des Landes als Produktionsstandort. Die Achsen gehen vom Focus auf Upstream-Aktivitäten gering bis hoch und Focus auf Downstream-Aktivitäten gering bis hoch. So ergeben sich vier Situationen: 1. Unternehmen sollten alternative Produktionsstandorte aufbauen (Upstream-Unternehmen). 2. Wenig aktive Unternehmen: Wenn Peking diese Branchen ins Visier nimmt, sollten anderenorts Gegengewichte aufgebaut werden. 3. Unternehmen mit dualer China-Strategie: Unternehmen mit alternativen Märkten oder Produktionsstandorten sollten sollten ihre Unanhängigkeit von China erhöhen als auch die Standorte in China stärken. 4. Unternehmen, die China als Markt nutzen: B2C-unternehmen sollten ihr Geschäft wie gewohnt fortsetzen und ihr Angebot an den lokalen Markt anpassen. Für B2B-Unternehmen zeichnet sich eine in China für China -Strategie ab. Vgl. J. Stewart Black/ Allen J. Morrison: Abschied vom Westen, in: HBM Oktober 2021, S. 48ff.

Chinas Innovationstreiber: Die Menschen in China haben in den vergangenen Jahrzehnten so viel Veränderung erlebt wie wohl nirgendwo sonst auf der Welt. Nicht zuletzt deshalb sind sie Neuerungen aufgeschlossener gegenüber und integrieren Innovationen nahtlos in ihren Alltag. Damit haben chinesische Unternehmen gegenüber ihren Wettbewerbern im Westen einen handfesten Vorteil. Westliche Unternehmen sollten erfolgreiche Ansätze nachahmen und Produkte sowie Dienstleistungen auf ihre Zukunftsfähigkeit hin auf dem chinesischen Markt testen. Vgl. Dychtwald, Zak: Chinas Innovationstreiber, in: HBM Oktober 2021, S. 30ff.

Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen in Deutschland beachtet werden. Deutschland hat keinen Plan für den Umgang mit China. Es muss lernen, seine Interessen besser zu erkennen und durchzusetzen. Wir haben nur die Interessen der USA als die unseren angesehen. Vgl. Interview mit Matthias Platzceck, in: Zeit-Magazin Nr. 45, 4.11.21, S. 75ff. Vgl. auch: Garthe, Michael: Heißer Krieg. Kalter Krieg, in: Die Rheinpfalz am Sonntag, Nr. 30/ 23./24.7.22, S. 1.

30. China als Wackelkandidat für europäische und amerikanische Unternehmen:  2022 sorgen zwei Faktoren für eine Umorientierung vieler Unternehmen im Bezug auf den chinesischen Markt: 1. Die Lockdown - Politik (Null - Covid - Strategie). 2. Der Ukraine-Krieg mit seinen geopolitischen Risiken. Traumatisch war für viele Firmen der Lockdown in Shanghai und Shenzhen. Ebenso die Rechtfertigung des Ukraine-Krieges durch die chinesische Propaganda. Nach einer Blitz-Umfrage der europäischen Handelskammer wollen über 60% der befragten Unternehmen ihre Umsatzprognose für 2022 nach unten korrigieren (teilweise prozentual zweistellig). Die Unternehmen diskutieren auch darüber, wie sie reagieren würden, wenn China Taiwan angreift. Die große Abhängigkeit deutscher Firmen vom chinesischen Markt ist auch auf der Tagesordnung. Vgl. Kretschmer, Fabian: China, der neue Wackelkandidat, in: Rheinpfalz Nr. 105/ 6. Mai 2022.

Die Wirtschaft in China bricht 2022 ein. Die großen Lockdowns führen zu einem massiven Rückgang des Einkaufsmanager-Index im Verarbeitenden Gewerbe. Auch die Investitionen ausländischer Kapitalanleger sacken ein. Vgl. Gusbeth, S. u. a.: "Düsteres Bild" in: HB Nr. 88/ 6.-8. Mai 2022, S, 6. die Stimmung ist auch für deutsche Firmen 2022  auf einem Tiefpunkt. Vgl. Petring, Jörn: Der chinesische Drachentöter, in: WiWo 21/ 20.5.22, s. 36f.

Es tritt auch ein Exodus der Expats ein. Für Ausländer werden Leben und Arbeiten in China zum Härtetest. Viele kehren dem Land für immer den Rücken. Vgl. Gusbeth, S.: Chinas Expat-Exodus, in: HB Nr. 88/ 6.-8. Mai 2022, S. 7. 

Das Ausmaß dieses Einbruchs ist in Europa noch nicht zu spüren, wird aber sicher kommen.

Die Welt entwickelt sich nun mehr in Richtung "Handel ohne Wandel" oder "Freiheit statt Freihandel". Es bilden sich in der neuen Weltwirtschaft nach dem Ukraine-Krieg vier Blöcke heraus: 1. Europa-Block. 2. USA-Block. 3. China-Block mit Russland. 4. Block-freie. Es sind geopolitische Machtblöcke. Vgl. Busch, A. u. a.: Handel ohne Wandel, in: HB Nr. 88/ 6.- 8.5.22. Die Analyse und die Daten wurden von Prognos/ Schweiz zusammengestellt. Allein von dieser neuen Konstellation her, wird vorerst die Bedeutung Chinas zurückgehen.

Hinzu kommt 2022 die Container-Krise durch den Null - Covid - Lockdown der Regierung in Shanghai und anderen Städten (Shenzhen, Tinajin u. a.). Kaum Produktion, geschlossene Läden. Sperrung der Häfen. Das belastet auch deutsche Firmen vor Ort und Firmen in Deutschland durch die hohe Abhängigkeit von Vorleistungen. Damit lähmt China auch die Globalisierung und führt zu Wachstumsverlust der deutschen Wirtschaft. Vgl. Dometeit, Gudrun u. a.: In den Fängen des Drachen: Droht in den Containern nicht nur unsere Ware, sondern auch unser Wohlstand festzustecken? in: Focus 21/ 2022, S. 52ff.

Bei einem Besuch Bidens in Japan Ende Mai 2022 sagt er, dass die USA Taiwan bei einem Angriff Chinas verteidigen würden. Dazu soll auch Quad dienen (USA, Japan, Indien, Australien). Er will auch eine Wirtschaftsinitiative für den Indopazifik aufbauen gegen den wachsenden Einfluss Pekings. Er nennt es IPEF. Das heißt "Indo-Pacific-Economic Framework". Man will in überlappenden Kooperationen zusammenarbeiten.   Eine Wiederbelebung von TPP ist vorerst nicht geplant. Vgl. HB Nr. 100/ 24.5.22, S. 15. Russland und China sehen sich durch die Werte der liberalen Demokratien bedroht. Deutschland kann diesem Konflikt gar nicht ausweichen.

Die Überwachung wird in China systematisch verstärkt. Covid wird dazu benutzt einen Überwachungsstaat aufzubauen. Vgl. dazu: Chin, Josh/ Lin, Liza: Surveillance State, New York 2022. Die Proteste gegen die Null-Covid-Strategie im November und Dezember 2022 werden flexibel bekämpft (Polizeigewalt) und Versprechen, die Strategie zu wandeln.  Schließlich dreht man sich um 180 Grad.

China will seine Abhängigkeit vom Westen minimieren, die Abhängigkeit des Westens von China soll maximiert werden. Das sollten alle Unternehmen im Hinterkopf haben.

2023 kommt es zu einem Streit zwischen Regierungen und Unternehmen über den Umgang mit China. Auch die Bundesregierung blickt immer kritischer auf China. Doch die deutschen Konzerne investieren weiter unverdrossen Milliardenbeträge. De facto scheinen sie auch keine Alternative zu haben. Sie brauchen die Vorleistungen aus China (IT, Textilien, Bekleidung, Möbel, Maschinenbau, Kraftwagen, chemische Erzeugnisse). Sie wollen auch weiter exportieren. Damit braucht auch Deutschland die Exporte für seine Handelsbilanz. Vgl. Fahrion, G. u. a.: Konfrontation mit dem Riesen, in: Der Spiegel 15/ 8.4.23, S. 66ff.

"Mit Blick auf das externe Umfeld warnte Präsident Xi, die vom Westen unter Führung der USA verfolgte „umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas“ stelle China vor nie da gewesene schwere Herausforderungen. Entsprechend führt die Regierung in ihrem Bericht die „Sicherheit der Industrie- und Lieferketten“ als wichtiges Ziel der Politik an. Unzulänglichkeiten und Schwächen in Chinas Industrie- und Lieferketten müssten schnell beseitigt werden. Chinas führende Position in wichtigen Technologiebereichen (New Energy Vehicles, 5G und Photovoltaik) solle gefestigt werden. Und zur Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen sollen sowohl in China als auch im Ausland verstärkte Anstrengungen zur Erkundung und Erschließung mineralischer Rohstoffe unternommen werden." Siehe Bickenbach, Frank/ Wan-Hsin Liu: Wie China internen und externen wirtschaftlichen Herausforderungen begegnen will, in: Wirtschaftsdienst 7/ 2023, S. 484-490.

31. Gewinner der Auseinandersetzung Chinas mit dem Westen: Der Handelskrieg zwischen China und dem Westen führt zu unerwarteten Profiteuren. Insofern kann man immer weniger eine Analyse Chinas nur auf China begrenzen. Es profitieren davon vor allem die südostasiatischen Länder, die größtenteils in ASEAN sind. Sie werden von den beiden Riesen USA und China umworben, aber auch von der EU. Das hat nicht nur Zollgründe bzw. protektionistische Motive. Es geht auch um Risikostreuung (bei Taiwan-Angriff) und Kostengründe (Energie, Rohstoffe). Das erste Land, das davon profitierte, war Vietnam. Nun kommen immer mehr Malaysia, Thailand, Philippinen und Indonesien ins Spiel. Firmen verlassen nicht China, sondern sie bauen sich zusätzlich Alternativen auf. Man fürchtet eine Eskalation des Handelskrieges und will gerüstet sein. Diplomatisch sprach man früher von Bambus-Diplomatie. Das lässt sich heute auf die Ökonomie übertragen.

Deutsche Firmen folgen dem Trend. Bosch in Ho-Chi-Minh-Stadt, BMW in Thailand. Vgl. Fischermann, T./ Hägler, M.: Europa verliert, sie gewinnen, in: Die Zeit 23/ 23.5.24, S. 20.

Exkurs. Petrodollar, Renminbi, Globaler Süden  und Digitalisierung: Das Petro - Dollar - System entstand Mitte der 1970er-Jahre, nachdem US-Präsident Richard Nixon die Konvertierbarkeit des Dollar in Gold aufgehoben hatte. Es sieht vor, dass der Ölpreis in Dollar festgesetzt wird und Öl exportierende Länder überschüssige Einnahmen in auf Dollar laufende Vermögenswerte investieren. Dieses Prozedere festigte die Position des Dollar als Weltreservewährung. De USA bescherte das System jahrzehntelangen Wohlstand und machte die USA zum bevorzugten Markt für global agierende Unternehmen. Bis zum Jahre 2000 wurden über 70% aller Devisenreserven in Dollar gehalten. Der Zustrom ausländischen Kapitals sorgte in den USA für niedrige Zinssätze und einen robusten Anleihemarkt und machte die Wallstreet zu weltweit herausragenden Finanzzentrum. Doch der Wind hat sich gedreht. Es gibt immer mehr Indizien für eine Entdollarisierung. Die Zentralbanken haben ihre Goldkäufe zwischen 2021 und 2022 mehr als verdoppelt und 2023 auf hohem Niveau gehalten. Im bilateralen Handel nimmt zugleich dei Zahlungsabwicklung über Lokalwährungen (LCS) zu. Indien bezahlte 2023 erstmals Erdöl aus den Emuraten in Rupien. China wickelt mittlerweile die hälfte seines grenzüberschreitenden Handels und seiner Investitionen in Renminbi ab. Das Land bedient sich dabei auch spezieller Währungsswap-Deals, die die PBOC mit mehr als 40 Zentralbanken weltweit abgeschlossen hat. Das hängt mit der stärkeren Rolle des globalen Südens zusammen. Vor 2000 waren dei USA für mehr als 80% der Länder der weltweit wichtigste Handelspartner. Heute 2024 liegt der Wert bei 30%. China hat zum großen Teil Amerikas Rolle übernommen. Die Digitalisierung erleichtert auch den Einsatz heimischer Währungen. So haben die Zentralbanken Indonesiens, Malaysias, Singapurs und Thailands ein QR - Code basiertes System eingeführt, das digitale grenzüberschreitende Zahlungen ermöglicht. Amerikas extensiver Einsatz von Sanktionen hat vielen Ländern die politische und finanzielle Abhängigkeit vom Dollar als Reservewährung und Zahlungsmittel verdeutlicht. Laut IWF hat sich zugleich der Renminbi - Einsatz im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr Chinas zwischen 2014 und 2021 stark erhöht. Mit Saudi-Arabiens hat man ein System des Petro - Renminbi eingeführt. Vgl. Fofack, Hippolyte: Die Erosion des Petrodollar, in: WiWo 34/ 16.8.24, S. 39.

32. Resümee - VR China als Lokomotive bzw. Anker der Weltwirtschaft?: Die Rettung der Weltwirtschaft darf man von China nicht erwarten, obwohl die Führung weiterhin auf das Wachstumsmodell setzt (in den vergangenen 7 Jahren trug China mit einem Drittel am weltweiten Wirtschaftswachstum bei; 19% der globalen Wirtschaftsleistung). Ein 3%-iger Rückgang des Wirtschaftswachstums in China würde nach ökonometrischen Berechnungen etwa folgende Konsequenzen haben: Deutschland -0,4; Euroraum -0,4; Welt -0,9 (Vgl. Gern, Hauber, Auswirkungen einer harten Landung in China, in: Wirtschaftsdienst 10/2015, S. 719-720). Das Wirtschaftswunder scheint vorerst vorbei zu sein (aber laut Weltbank 2015 voraussichtlich noch 7% BIP-Wachstum; im 3. Quartal 2015 aber Rückgang unter 7%; Ministerpräsident Li Keqiang rückt vom 7%-Ziel ab). Insgesamt erwartet die Weltbank 2016 für die Weltwirtschaft nur noch 2,9% Wirtschaftswachstum (von 3,3% revidiert; das beeinflusst die deutsche Wirtschaft stärker als nur die Entwicklung in China). Vielleicht geht China den gleichen Weg wie die "kleinen Drachen" Taiwan und Südkorea, deren Wachstumsraten inzwischen auch relativ klein sind (2014: Südkorea 2,99%; Taiwan 4,04%). Experten sprechen von der "middle income trap" (steiles Wachstum, Löhne steigen über Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Exporte nehmen ab). Der Übergang von zu hohen Investitionen  (schuldengetrieben) und zu hohen Exporten auf mehr heimischen Konsum (konsum- und dienstleistungsorientierte Wirtschaft) wird eine zeitlang dauern (Umbauprozess; Strukturwandel). Im Jahr 2021 feiert die KPC ihren 100. Geburtstag. Bis dahin will China sein Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zu 2010 verdoppeln. Es gilt aber als fraglich, dass das Land wie bei der letzten Weltwirtschaftskrise 2008/2009 noch einmal die Weltwirtschaft in einer Krise stabilisieren könnte. Die Krise könnte dann sogar mit einem Schock in China beginnen. Die strukturellen Probleme sind offenkundig. Der Modernisierungsprozess stockt (auch wegen US-Handelspolitik). 2018 dürfte die Wirtschaft nur um 6,5% wachsen. Eine Abwertung des Renminbi ist wenig wahrscheinlich, weil sie eine Kapitalflucht verursachen würde.  "Was sich in den vergangenen Wochen erwiesen hat, ist, wie sehr Asien im Zentrum der Weltwirtschaft steht. Wir gehen davon aus, dass das globale Wachstum moderat bleibt", Christine Lagarde, IWF-Chefin, im September 2015. "Mit der Abwertung des Renminbi folgt die chinesische Notenbank dem Druck der Märkte", Zhou Xiaochuan, Notenbankchef Chinas, im August 2015 zu den Abwertungen drei Tage hintereinander.

Wachstumseffekte der Digitalisierung: Nach einer Prognose der Weltbank wird die Digitalisierung das Wirtschaftswachstum beschleunigen. Die etablierten Volkswirtschaften können den Wert ihrer produzierten Güter und Dienstleistungen bis 2030 nur langsam steigern: USA 24%, Deutschland 17%. China dagegen soll auch dank Automatisierung bis 2030 noch einmal um 85% zulegen. Andere Experten sprechen von 25%. Damit hätte das Land dann die größte Volkswirtschaft der Welt. Spätestens aber 2049 (100 Jahre Volksrepublik) dürfte China mit Sicherheit die führende Wirtschaftsmacht der Erde sein und das von China dominierte Asien der wichtigste Erdteil der Welt sein. Die großen Strategien "Made in China 2025" und "Belt and Road"  sind langfristig angelegt. Vgl. auch: Sieren, Frank, Zukunft? China!, München 2018, S. 59ff. Vgl. auch: Meier, Christian: Grüße vom Großen Bruder, in: Welt am Sonntag, Nr. 13, 31. März 2019, S. 14. Sommer, Theo: China First, München 2019, S. 169ff. Die entscheidende Frage ist, sind diese Effekte größer als die Folgenden?

Überkapazitäten in der Schwerindustrie 2019: Massive Überkapazitäten treten in der Grundstoff- und Stahlindustrie auf. Diese überschüssigen Erzeugnisse sollen mit Macht auf die Weltmärkte (direkt über Exporte, indirekt über die Seidenstraße-Initiative). Das geht aber aus den oben genannten Gründen nicht mehr so einfach. Deshalb belasten die Probleme die Verlagerung von Kapital und Arbeitskräften zu neuen Dienstleistungsbranchen (Strukturwandel). Erstens werden im Überlebenskampf Unternehmen (Staatsunternehmen) und Banken (faule Kredite) vom Staat unterstützt. Zweitens verzögert das die China 2025-Strategie. Drittens kann die Regierung nicht mehr so einfach abwerten. Mit Kapitalverkehrskontrollen und Devisenmarktinterventionen stemmt sie sich sogar dagegen. Denn ein schwächerer Renminbi erschwert die Rückzahlung der in ausländischer Währung aufgenommenen Anleiheschulden (die Erträge werden überwiegend in heimischer Währung erzielt). Vgl. Langhammer, Rolf J.: Das wird keine sanfte Landung, in: WiWo 24, 7.5.2019, S. 43. Wenn man diese beiden letzten Abschnitte auf den Punkt bringen will, könnte man Folgendes resümieren: Langfristig wird China nicht aufzuhalten sein und die Führungsrolle in der Welt übernehmen. Kurz- und mittelfristig werden Strukturprobleme und die US-Handelspolitik diese Entwicklung hinauszögern. Sie haben auch Einfluss auf Staaten, die mittlerweile in einem engeren ökonomischen Zusammenhang mit China stehen, so wie Deutschland. Vgl. auch: Reccius, S./ Fischer, M./ Petring, J./ Heissler, J./ Böll, S./ Schnaas, D.: Rote Zone, in: WiWo 45, 25.10.2019, S. 17ff.

Exkurs: Corona und China: Das Volumen des Konjunkturprogramms 2020 ist nur ein Drittel des Programms von 2008. Die privaten Konsumenten dürften eher Zurückhaltung üben (Angst vor Job- und Einkommensverlusten, Niveau der Immobilienschulden beflügeln die Sparneigung). China steht weiterhin unter starkem Druck der USA. Die Bedeutung des Staatssektors wird steigen. Handelspartner  dürften ihre Lieferketten überprüfen und abspringen. Die Renditen der Staatsanleihen (von  westlichen Ländern) sinken, weil die westlichen Zentralbanken ihre Kredite weiter ausdehnen.  Vgl. Langhammer, Rolf: Sechs Gründe, warum China die Weltwirtschaft (diesmal) nicht retten kann, in: WiWo 31/ 24.7.20, S. 41.

Viele Vorprodukte, die deutsche Unternehmen benötigen,  kommen mittlerweile im elektrischen Bereich aus China (Halbleiter, Transistoren, Schaltelemente). Auch der Maschinenbau bezieht viele Vorprodukte aus China. Andererseits ist China ein wichtiger Absatzmarkt. Für die deutsche Automobilindustrie (BMW, Daimler, VW) ist China inzwischen der wichtigste Markt. Sie haben auch Produktionsstandorte dort. China scheint sich schnell zu erholen. Entweder, weil sie die Epidemie besser im Griff haben, oder weil die Regierung der Bevölkerung größere Risiken zumutet (hierzu haben wir nicht genügend Infos). Dies ist für Deutschland von Vorteil. Vgl. Hans-Werner Sinn: Der Corona-Schock. wie die Wirtschaft überlebt, Freiburg, Basel, Wien (Herder) 2020, S. 20

 Im August zeigen sich die wichtigsten chinesischen Einkaufsmanagerindizes erholt (NBS Industrial Production, China Caixin Manufact. PMI; Quelle: National Bureau of Statistics of China). Die Kauflaune kommt langsam zurück. Im 2. Quartal 20 wuchs die Wirtschaft um 3,2% (so wenig wie seit 1976 nicht mehr, aber vermutlich mehr als in jedem anderen Land der Welt). Über das ganze Jahr 2020 wächst das BIP um 2,3% (durch Staat, hohe Neuverschuldung; 4 Quartal +6,5%; Quelle: NBSC).

Das Land wird diesmal wohl als Retter der Weltwirtschaft ausfallen. Hauptschuld daran hat der Konflikt mit den USA im Handel. Hinzu kommen Emissionsauflagen und schwächelnder Binnenkonsum. Außerdem ist heute die Verschuldung höher als bei der letzten Krise und der Bedarf an Investitionen in der Infrastruktur ist nicht mehr so riesig. Vgl. Mattheis, Philipp: Wettet nicht auf China, in: Capital 09/2020, S. 68ff. Nicht nur in den USA hat ein Umdenken eingesetzt (Hongkong, Xinjiang, Taiwan-Politik, Subventionen der Staatsunternehmen, aggressives Auftreten beim Technologietransfer).

Relativ gesehen dürfte China trotzdem aber der Gewinner der Corona-Krise sein: Für 2020 gibt es +2,3% Wachstum des BIP (siehe oben). Die Konkurrenten haben alle Negativwerte: USA -4,3%; Deutschland -5,0%; Euro-Zone -8,3%. Quelle: IWF, SRW. Global sinkt die Wirtschaft um über -4%. Ende 2020 lautet die Prognose für die Ablösung der USA als weltgrößte Volkswirtschaft 2028 (vielleicht schon etwas früher), allerspätestens 2035. Im März 2021 gehen die Exporte sprunghaft nach oben: 30,6% im Vergleich zum Vorjahresmonat (wachsen im achten Monat in Folge). Die Importe wachsen sogar um 38,3%. Deutschland profitiert im Besonderen von dieser Entwicklung.  Im 1. Quartal 2021 steigt das BIP um +18,3% an. Das ist das stärkste Wachstum in einem Quartal seit 30 Jahren. Vor allem der Export explodiert (siehe oben, Waren der Medizintechnik und für Homeoffice). Für 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von +8,4% erwartet (Schätzung Statistikamt). Die USA rechnen mit 6,4%. Vgl. auch: Lantau Group (2021), China watching brief: 2021 Measures to Accelerate and Deepen Power Sector Reforms Announced in China, November 2021. https://www.lantaugroup.com/file/brief_china_power_sector_oct21.pdf (9).

China wird sicher nicht mehr die Rolle halten können, die es drei Jahrzehnte gespielt hat als Treiber der globalen Konjunktur. Es könnte im schlimmsten Falle sogar zu einer Bremse werden (Corona birgt noch viele Risiken). Die Unternehmen müssen sich mit dem Risiko vertraut machen und ihre Strategien darauf abstellen (siehe ausführlich dazu oben). Hinzu kommt, dass langfristige "nationale Interessen" (sprich strategische) immer Vorrang in China haben vor kurzfristigen ökonomischen Profit-Interessen. Vgl. auch Rürup, Bert: Ein Risiko für die Weltwirtschaft, in: HB Nr. 20/ 28.29.30.1.22, S. 12.

China und Russland haben aber gemeinsame Interessen. Sie wollen eine neue Weltordnung. Die jetzige Weltordnung ist vor allem von den USA und dem Westen geprägt (G7, WTO, IWF). Sie sehen den Westen im Niedergang und den Osten im Aufwind. Sie haben auch das gemeinsame Ziel, die USA jeweils zu verdrängen: aus Europa und aus Ostasien/ Westpazifik. Dann können sie vielleicht wieder Eingliederungen vornehmen. die sie in ihren Träumen auf lange Sicht anstreben (Taiwan, Ukraine).  Vgl. Nass, Jörg/ Thumann, Michael: Wem gehört die Zukunft? in: Die Zeit Nr. 6, 3. 2.22, S. 3. Die Expansionspolitik der Nato treibt die beiden Großmächte China und Russland enger zusammen und festigt ihr Zweckbündnis (das kommt auch bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking zum Ausdruck, wo Putin als zweiter Staatschef neben Xi anwesend ist). China billigt den Einmarsch Russlands in die Ukraine und schaut genau auf die Wirkungen der Sanktionen der USA, EU und G7.  Es ist eine ideale Generalprobe für Taiwan. Xi hat mit Putin einen Partner gefunden, der das westliche Bündnis destabilisieren und den strategischen Fokus der USA von China ablenken kann. Vgl. Roach, Stephen: Amerika ist am Lenkrad eingeschlafen, in: WiWo 9/ 25.2.22, S. 41. Wenn Russland und China in Zukunft noch enger zusammenrücken, entsteht eine neue Weltordnung mit wieder zwei Blöcken. China könnte im Wirtschaftsboykott des Westens gegen Russland mit Kapital, Waren und Know-how aushelfen. Die entscheidende Frage ist, ob beide das wirklich wollen. China ist schließlich  der viel stärkere Partner der beiden. Russland müsste gefügig sein und nur noch Rohstoffe und Energie an China liefern (es gibt auch Gebietsansprüche in  Sibirien von China an Russland). Auf dem Nationalen Volkskongress 2022 wird nur noch mit 5,5% Wirtschaftswachstum 2022 gerechnet (die Militärausgaben sollen um 7,1% steigen). Die Welt weiß, dass Xi der Einzige sein dürfte, der Putin stoppen kann. Der Schulterschluss kostet China viele Sympathien in der Welt. China steckt in einem Dilemma: Ökonomisch braucht man die EU dringend, um seinen Wohlstand zu mehren. Politisch ist es wichtig, noch ein totalitäres Regime neben sich zu haben. Die Wachstumsprognosen für 2022 müssen immer weiter nach unten korrigiert werden (unter 5%, allein Shanghai hat 3,8% zum BIP beigetragen 2021, die Lockdowns schaden schwer). Die Auswirkungen der chinesischen Lockdowns wegen Corona werden die Weltwirtschaft auf Monate belasten. Insbesondere, weil der wichtige Hafen in Shanghai so gut wie geschlossen ist. Shanghai ist der größte Container-Hafen der Welt. Der Stau dort setzt sich fort (auch vor allem Zeit versetzt in Hamburg) und treibt die Preise in die Höhe. Die Null-Covid-Strategie ist eine Wachstumsbremse (Einzelhandel und Industrie weit hinter den Erwartungen). Obwohl die Notenbank die Leitzinsen auf 2,75 % im August 2022 senkt, sind die Kapitalkosten nicht das Problem, sondern die Nachfrage (Vorhersagbarkeit, Vertrauen). Im Januar 2023 dreht man die Strategie um 180 Grad. Null-Covid wird aufgegeben, die Infektionszahlen schnellen in die Höhe.

Die alte westliche ökonomische Weltordnung mit G7, IWF und WTO hat an Macht verloren. Asien bildet seine eigenen Integrationen  (Asean, Apec, SCO). Indien, Brasilien, China, Süd-Afrika und Russland haben dazu noch ihre BRICS - Gruppe und nehmen aufeinander Rücksicht. Der Westen sollte offensiv seine Werte vertreten, aber nicht arrogant. Der Aufstieg eint Asien. Der Pragmatismus ist stärker als man bei uns oft vermutet. Kommunismus und Konfuzianismus sind Mittel zum Zweck, wenn sie bei Xi auch klar eine größere Rolle spielen. Wir sollten offener in den Wettstreit gehen und durchaus auch fragen, was wir von China lernen können. China hat sein strategisches Ziel immer offen gelegt: Spätestens im Jahre 2049, wenn die VR 100 Jahre alt wird, will das Land ökonomisch, militärisch und politisch die führende Macht in der Welt sein und auch mit Taiwan vereint sein).  Im ersten Quartal 2023 erholt sich die Wirtschaft überraschend schnell. Das Wachstum liegt bei 4,5%, die Exporte steigen sogar um 14,5%. Doch dann mehren sich dei wirtschaftlichen Krisensignale: Alle Motoren stottern. Zielvorgaben sind gefährdet. Das Wachstum von 5% ist nicht sicher. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht einen Rekord. Vgl. NZZ 19.7.23, S. 18.

2023 kommt ein Konjunkturpaket, das im Umfang und der Wirkung schwer einzuschätzen ist. Ende Juli 23 präsentiert der Staatsrat 20 neue Einzelmaßnahmen. Es ist ein Konsumpaket. Gefördert werden soll der Kauf von Elektroautos, Ausgaben im Tourismussektor, im Wohnungsmarkt. Die Shopping-Infrastruktur soll ausgebaut werden. Experten sind skeptisch.    Es gibt zahlreiche Begrenzungen: qualitatives Wachstum (Unabhängigkeit), nicht unbegrenzte Mittel durch hohe Staatsschulden, Abkehr von der Schwerindustrie. Trotzdem bleibt China in den Jahren 2023 bis 2028 ein Motor der Weltwirtschaft. Der Anteil am Wachstum der Weltwirtschaft dürfte bei 22,6% liegen. Kaufkraft bereinigt hat China 2022 schon den höchsten Anteil am globalen BIP (18,48% vor USA 15,57, Indien 7,25; Quelle: IMF) . Trotzdem dürfte China nicht der Retter sein wie nach der letzten großen Finanzkrise 2009 und 2010. Im Juli 2023 bricht der Export um -14,5% ein (schwache Nachfrage aus den USA und Europa). Auch die Inlandsnachfrage sinkt (Importe -12,4%). Es werden immer weniger Wohnungen verkauft und immer mehr Unternehmen kriseln (2023 Country Garden). Der immobilienmarkt ist ziemlich kaputt. Die Schuldensituation belastet, ebenso wie die Demographieprobleme. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt weiter über 20% (sie darf dann nicht mehr bekannt gegeben werden). Ein Drittel der privaten Unternehmen haben in den ersten Quartalen 23 Verluste gemacht. China verliert an Bedeutung, doch der China-Boom ist noch nicht zu Ende. Aber die fetten Jahre sind eindeutig vorbei. Vgl. auch: Alvarez, S. u. a.: Crashtest für China, in: WiWo 34/ 18.8.23, S. 27ff.

Grundsätze für die wirtschaftliche Entwicklung: Beim so genannten dritten Plenum legt Chinas Parteispitze traditionell im Oktober oder Anfang Dezember die Grundsätze für die wirtschaftliche Entwicklung fest. Doch im Dezember 23 gibt es immer noch keinen Termin. Das Treffen hat eine große Tradition. Zuerst verkündete Deng Xiaoping 1978 seine Reform- und Öffnungspolitik. Experten sind sich uneins über den fehlenden Termin: Dissens in der Parteiführung oder zu große Machtfülle von Xi. Die fehlenden Leitlinien verunsichern allerdings Investoren. Vgl. HB 19.12.23, S. 13. Fragilität scheint die neue Normalität zu sein. Das Wachstum ist nicht zu Ende, aber es ist weniger steil und langsamer geworden. Wahrscheinlich kann China 2024 nicht die großen Konflikte entschärfen, die die USA binden und gegen China aufbringen (Ukraine, Gaza, Nordkorea). Vgl. HB 1/ 02.01.24, S. 12f. Unsichere globale Konjunkturaussichten lasten auf der Stimmung. Chinas Industrie ist weniger zuversichtlich. Quelle: Caixin Insight Group und FAZ 3.1.24, S. 17. Damit muss das Land im Zweikampf mit den USA seine angestrebt Führung in der Welt auf viele Jahre später verschieben. Man pendelt sich wieder eher auf 2049 ein (100 Jahre VR China). Vgl. Petring, Jörn: Der Zweikampf, in: WiWo 1/2, 24, 5. 1., S. 40f.  Im Jahre 2023 beträgt Chinas Wirtschaftswachstum 5,2% (Aufholjagd zum Jahresende; Wachstumsziel der Regierung war 5,0%; Li Qiang sagt 2024 in Davos: keine "massiven Anreize"; 2022 nur 3,0%: schwache globale Nachfrage, Null-Covid).

Aktuelle Politik und wirtschaftliche Dynamik in China: 1. 2024 Setzt die Regierung auf "proaktiven fiskalpolitischen Stimulus und umsichtige Geldpolitik". Man will 2024 5% Wirtschaftswachstum erreichen. 2. Die kurzfristigen antizyklischen Maßnahmen lösen nicht die langfristigen Strukturprobleme. 3. Die Regierung konzentriert sich immer stärker auf die innere Sicherheit. Am meisten Sorge bereitet aber die Produktivität der Wirtschaft. Die Bevölkerungsentwicklung ist ungünstig, Innovationen werden durch eine Flut von Regulierungen erstickt. Es droht eine ökonomische Sackgasse. Vgl. Roach, Stephen: Chinas ökonomische Sackgasse, in: WiWo 9/ 24.2.24, S. 40.

Exkurs: Soziale Medien und Zensur bzw. Boykottaufruf. Große Plattformen wie Twitter und Facebook kann man in China nicht nutzen. Google und Wikipedia können nicht aufgerufen werden. Die chinesische Führung argumentiert zweigleisig: Einmal will man die Dominanz der sozialen Medien des Konkurrenten USA brechen. So gibt es immer "Gegenunternehmen" zu denen der USA. Zum anderen will man mit einem umfangreichen Überwachungsapparat mögliche Gegner kontrollieren. Deshalb werden auch eigene Plattformen wie TikTok unter die Lupe genommen. Man kann sich auf das Cybersicherheitsgesetz von 2017 berufen. Dei Sozialen Medien müssen danach ihre Inhalte auf Gesetzeskonformität überprüfen und illegale Inhalte löschen (kontrolle bei den privaten Firmen). Allein bei Bytedance (die Firma hinter TikTok) arbeiten 50 Software-Ingenieure an diesem Thema. Zusätzlich zum technischen Team gibt es 20.000 Moderatoren, die auf der untersten Ebene entscheiden. Es wird auch eine "Kochtopf-Metapher" vermutet. Das heißt, die Zensuren lassen immer einen bestimmten Teil an unbequemen Informationen zu (Beispiel Corona und Wuhan, Ablassen öffentlichen Frusts). Vgl. Kretschmer, Fabian: Wie Zensur in China funktioniert, in: Rheinpfalz 4.3.2021. Ende 2021 kommt es zu Boykottaufrufen gegen Musk in den sozialen Medien Chinas. Vor einiger Zeit kollidierten zwei Satelitten von SpaceX (Firma von Musk) fast mit der chinesischen Raumfahrtstation "Tiangong" (Himmlischer Palast). Die Station musste zweimal ihren Kurs ändern. Musk verkauft jeden vierten Tesla in China. Man darf gespannt sein, wie der Boykott wirkt.

33. Neues Wachstumsmodell für China: Es betrifft die Zukunft des Landes. Die Kommunistische Partei Chinas scheint zu glauben, sich angesichts ihres Macht- und Kontrollapparats mangelndes Wirtschaftswachstum leisten zu können, ohne die politische Stabilität zu gefährden (die Verteilung wird ungerechter werden). Bisher basierte das Wachstum stark auf allen Arten von Investitionen in Infrastruktur und Immobilien.  Jahrzehntelang funktionierte das gut (sogar Überinvestition). Der Immobiliensektor macht heute 30% der Wirtschaft aus. 2021 stand aber fast ein Viertel aller Wohnungen leer.

Exkurs. Wachstum der chinesischen Wirtschaft: 2023 wuchs das BIP nach offiziellen Angaben um 5,2%. Der Grund dafür waren allerdings auch Basiseffekte. 2022 standen weite Teile Chinas noch unter Corona - Lockdown, bei vielen Firmen stand der Betrieb still. Mache Experten glauben auch, dass die Zahlen geschönt sind (vgl. meinen Artikel über die Statistik in China auf der Seite "method"). Auf dem Nationalen Volkskongress im März 2024 gibt Premierminister Li Qiang wieder "rund 5%" als Wachstumsziel für das aktuelle Jahr an. Auf substantielle Konjunkturspritzen will man verzichten. Das Haushaltsdefizit soll gemäß den Planungen bei 3% liegen. Um die Investitionen anzukurbeln, will Peking eine weitere Anleihe mit einem Volumen von 137 Milliarden Dollar begeben. Die Transfers an die hoch verschuldeten Lokalregierungen sollen geringfügig gesteigert werden. Die schwache chinesische Währung Reminbi engt den Spielraum der chinesischen Zentralbank für Zinssenkungen ein. Das neue Wachstumsziel liegt deutlich über dem prognostizierten Wert des IWF (3-4%). Im Zuge der geopolitischen Spannungen dürfte der Exportsektor kaum für Wachstumsimpulse sorgen. Die Anleger (Hang-Seng, Shanghai) zeigen sich enttäuscht von Lis Vortrag. Nach Ansicht von Xi, der alles in der Hand hat, befindet sich die Wirtschaft in einer "mehrjährigen schmerzhaften Umbauphase". Xi strebt eine "Entwicklung mit hoher Qualität" an (ohne Spekulationen, Schulden, und Überinvestition). Davon geht aber kein Produktivitätsschub aus. Das Verteidigungsbudget wird um 7,2% angehoben. Li ging nicht auf die nationale Sicherheit und Taiwan ein. Vgl. NZZ, 6. März 2024, S. 1. Xi verweigert ein Konjunkturprogramm. Chinas Volkskongress geht ohne Wachstumsimpulse zu Ende. Er will sogar Maßnahmen drosseln, etwa Investitionen in Infrastruktur und Immobilien. Das soll eine Abkehr vom "fiktiven Wachstum" sein. China müsse einen "langen Atem beweisen". Beim Militär fordert Xi eine "neue Qualität der Kampfkraft". Vgl. Gusbeth, Sabine: Xi Jinpings "bittere Medizin" für China, in: HB 12.3.24, S. 6f. Bei Drohnen hat China eine Vormachtstellung in der Welt. Kein anderes Land kann so zuverlässig und billig Mikroelektronik produzieren. Im Ukrainekrieg kämpfen diese Drohen wohl auf beiden Seiten. Der Einsatz von Drohnen ist revolutionär und effektiv. Die Lieferketten im Westen müssen sich aus der chinesischen Abhängigkeit lösen. Vgl. NZZ 26.6.24, S. 15.

Heute geht es für die Zukunft um einen Strukturwandel, wo die riesigen , aber zunehmend unproduktiven Investitionen, durch produktivere ersetzt werden und damit durch Produkte und Produktionsprozesse mit hoher Wertschöpfung. Es gibt aber kurzfristig kaum ausreichende hochproduktive Alternativen. Der Hightech-Sektor macht maximal 10% des BIP aus. Die Konsumquote, der Anteil der privaten Haushalte am BIP, muss also größer werden. Das erfordert aber eine stärkere Umverteilung der Einkommen, eine  stärkere Beteiligung der privaten Haushalte an der Wirtschaftsleistung. Der Anteil der Löhne am BIP müsste höher werden, der Einkommens - Anteil der Unternehmen müsste geringer werden. Hier sind insbesondere die Staatsunternehmen und die öffentlichen Verwaltungen zu erwähnen.

Eine höhere Konsumquote setzt einen Rückgang der Sparquote voraus, die in China - wie auch in anderen asiatischen Ländern - traditionell hoch ist. Sie muss auch hoch sein für Wohnungen, Alter , Krankheit, Arbeitslosigkeit und Kinder. Böte der Staat höhere Renten und Sozialleistungen an, würde erst die Sparquote sinken.

Andere Experten sehen durch neuere Beschränkungen im privaten Bereich einen großen Vertrauensverlust gegenüber der Politik. Unter Xi wurden zahlreiche drastische Regulationen etwa im IT - Sektor und direkte Passkontrolle weit in den Privatsektor vorgenommen. Hinzu kamen die Covid - Einschränkungen. Vertrauen ist autoritär kaum steuerbar.  Einigen in der KPCh dürfte diese Problemlage klar sein.

China braucht ein neues Wachstumsmodell. Der Erfolg von Deng in der Aufbauphase basierte einst auf der großen Lernfähigkeit und dem Pragmatismus der Partei. Das scheint sich heute geändert zu haben. Es wird wohl zu einer dauerhaften Wachstumsverlangsamung in China kommen. Darauf muss sich die Weltwirtschaft einstellen. Ob China selbst ohne eine prosperierende Wirtschaft auskommt, wird sich noch erweisen. Vielleicht hat Xi zu hoch gepokert.   Vgl. auch Hotz-Hart, Beat: China braucht ein neues Wachstumsmodell, in: NZZ, 28.2.24, S. 16 (der Autor ist Professor für VWL an der Uni Zürich).

Anfang 2024 versucht China, Industriegüter im Überfluss zu produzieren und auf dem Weltmarkt loszuwerden. Das bedeutet harte Konkurrenz. Neue Handelskonflikte drohen. US-Finanzministerin Yellen und Bundeskanzler Scholz versuchen bei China-Besuchen 2024, Mäßigungen zu erreichen (auch Macron beim Frankreich-Besuch von Xi 2024). Bei Investitionen muss man sich immer mehr zurückhalten. China hat ein Schuldenproblem. Vgl. Fahrion, Georg/ Giesen, Christoph: Die Welt ist nicht genug, in: Der Spiegel 10/ 2.3.24, S. 58ff. In der neuen Phase der Entglobalisierung und des Protektionismus scheint China an die Grenzen seines Export geleiteten Wachstums zu stoßen. Bisher setzt China vor allem auf Ideologie. Vgl. Roubini, Nouriel: Reformagenda ohne Reformer, in: WiWo 20/ 10.5.24, S. 43.

Im Juni zeigen neue Konjunkturdaten: Der Versuch der Regierung, die Konjunktur mit Milliardenstützen anzuschieben, scheint weitgehend zu verpuffen. Chinas Industrieproduktion zeigt sich weiterhin schwach und der Immobiliensektor kommt nicht aus der Krise. Die Risiken werden immer deutlicher. Die Industrie befindet sich in einem ruinösen Preiskampf. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist weiterhin nicht gelöst. Vgl. HB 18.6.24, S. 13. Was passiert, wenn die Blase platzt? Auch für ein autokratisches Land scheint es nicht einfach zu sein, durch die Wirtschaftskrise zu steuern. Wenn das Gefährdungspotential für die KPCh zu groß wird, wird man zur klassischen Abwehrreaktion greifen: die nationalen Reflexe beleben, um die Unzufriedenheit im Land auszugleichen. Man wird sich dann gegen die USA richten, was eine große Gefahr ist.

Im 2. Quartal 2024 wuchs die Wirtschaft des Landes nur um 4,7% (BIP, niedrigste Rate seit 2023, Statistikbehörde). Die Wirtschaft wächst im 1. Quartal um 5,3% (Nationale Statistikamt). Experten zweifeln das an, weil sie nur mit 4,6% gerechnet hatten. Dei chinesische Führung trifft sich im Juli 2024 zu einem mehrtätigen Treffen über die Ausrichtung der künftigen Wirtschaftspolitik (drittes Plenum des ZK der KPCh). Die Augen der Welt sind darauf gerichtet. Der Leiter Xi Jinping hatte bedeutende Reformen angekündigt.

China forciert mit aller Macht und viel Geld die technologische Unabhängigkeit vom Westen. Strukturreformen werden verschoben. Hier sind der Immobilienmarkt, die Jugendarbeitslosigkeit, die zu geringe Konsumnachfrage zu nennen. Im Fokus steht vor allem die KI. Bei der Zahl der angemeldeten Patente ist China schon einsame Spitze (2017 - 2023: 38.210, USA 5275, Südkorea 4155). Vgl. Petrin, Jörn: Kampfansage an den Westen, in: WiWo 29/ 12.7.24, S. 36f.

Xi spricht im September 2023 auf einem Parteitag der KPCh von der "Entwicklung neuer Produktivkräfte". Analog von "Made in China 2025" sollen wichtige Zukunftsbranchen mithilfe von "qualitativ hochwertigen Wachstum" weiter vorangetrieben werden. Das ist auch dringend notwendig. Auf der einen Seite finden Hochschulabsolventen keinen job. Auf der anderen Seite hatte jeder dritte Chinese, also ca. 500 Mio., keinen  weiterführenden Schulabschluss. Dei meisten sind nach der 9.Klasse abgegangen. Sie arbeiten größtenteils im informellen Sektor, mit niedrigen Löhnen und ohne soziale Versicherung. Früher brauchte man sie auf Baustellen oder in Fabriken. Baustellen sind weniger und Fabriken automatisieren oder verlagern (hohe Löhne, Diversifikation). Schätzungsweise 200 Mio. Menschen sind Teil der "Gig Economy", also ein Viertel der Arbeiterschaft (vermeintliche Freiberufler). Vgl. Sahay, Lea: Das Ende des Chinesischen Traums, München 2024, S. 268ff.

Im August 2024 kann China seinen Exportüberschuss stärker als erwartet ausbauen (91 Mrd. US-$, +8,7% gegenüber dem Vorjahresmonat, stärkster Anstieg seit September 2022. Quelle: Zollbehörde China). Dafür sind auch die sinkenden Preise verantwortlich. Die Importe stiegen nur um 0,5%. Die Lage zu den Abnehmerländern wird immer angespannter (vor allem USA). Das staatliche Wachstumsziel liegt bei 5%. Das kann nur erreicht werden, wenn das Ausland mitspielt. Ein Problem liegt beim Binnenkonsum. Vgl. HB 11.9.24, S. 12.

"Das politische Modell Chinas ist eine große Schöpfung und ein Modell für andere Staaten", Xi Jinping auf dem Volkskongress 2017 in der großen Halle des Volkes in Peking. Die Rede von Xi gilt als Zeitenwende im Kurs der Volksrepublik. Das Zitat ist der Kern der Rede. Vgl. sehr kritisch dazu: Görlach, Alexander: Alarmstufe Rot, Hamburg 2022.

"China braucht uns nicht, aber wir China", Wolfgang Röhr, ehemaliger Generalkonsul von Shanghai, jetzt Lehrauftrag an der Tongji-Uni. Quelle: Focus 5/2019, S. 56. Dieser Satz, der die Ökonomie beschreibt, wird in der Position der EU gegenüber den USA und China eine große Rolle spielen.

Literaturtipps: Die meiste Literatur wird im Text angegeben. Weitere: Dikötter, Frank: China nach Mao, Stuttgart 2023.. Pan Wei: The China Model: A New Interpretation of Sixty Years Peopl`s Republic. Zhang Weiwei: The China Wave: Rise of a Civilizational State.

 

Ökonomische Analyse der Flüchtlingskrise (Globale Migration, Migrationsökonomik, Migrationspolitik, Migration aus Krisengebieten und aus Afrika und in Südamerika, Integration):

"Die Herausforderung ist viel größer, als wir sehen und sehen wollen. Es wird zu wenig getan", Christine Lagarde, IWF-Chefin zur Flüchtlingskrise 2016 (Ende 2019 wird sie Chefin der EZB).

Das Foto links ist von einem Symposion zur Flüchtlingskrise im April 2016 in der HWG Lu, W. Krämer bei seinem Vortrag. Das Thema war 2016 in Deutschland sehr virulent, weil 2015 die deutschen Grenzen geöffnet worden waren und über 1 Million Menschen nach Deutschland strömten. Dieses Ereignis hat die politische Landschaft in Deutschland und der EU direkt und indirekt stark beeinflusst und wirkt immer noch nach. Kriege in Vorderasien und Afrika, aber auch das große Wohlstandsgefälle zu Afrika, halten das Thema für die nächsten Jahre virulent. Die Lage spitzt sich dann wieder 2022 zu mit der hohen Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine (über 1 Mio.). Wohnungsmarkt und Infrastruktur sind stark belastet.

"Der Mensch wandert und flüchtet, seit es ihn gibt", Hans Magnus Enzensberger, 1992 (Die große Wanderung, Frankfurt 1994 (Suhrkamp). Die Zuwanderung lässt sich seiner Meinung nach nicht stoppen.

Man spricht auch von Migrantenökonomik bzw. Migrationsrentabilität (eigentlich ein Unwort). Sie ist schwierig zu berechnen. Am Beispiel Japans haben wir das mal versucht. Man kann nur erstmal grob die Faktoren beziffern, die eine Rolle spielen. Die Wohlfahrt wird durch Arbeitsmigration im Zielland nicht in jedem Falle gesteigert. Die Wanderer haben die Industrieländer als Ziel. Dort locken sie auch die hohen Löhne. Sie kommen aber auch in die Sozialsysteme. Sie verbessern dadurch ihre eigene Position, verschlechtern aber die Lage der Steuerzahler im Zielland. Je größer das Transfersystem eines Landes ist, desto attraktiver wird es für Migranten (Selbstselektion). Die Migranten benutzen und beanspruchen zusätzlich das Eigentum der indigenen Bevölkerung: Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Justizwesen (sie treten teilweise in Wettbewerb, sie konkurrieren am ehesten mit den gering Qualifizierten und Armen). Diese Infrastruktur wurde mit Mitteln der Steuerzahler geschaffen und wird von ihnen unterhalten. Also muss ein Land aufpassen. Z. B. wäre eine Karenzzeit beim Zugang zu den Sozialsystemen eine Möglichkeit. 2015 wächst die deutsche Bevölkerung durch Zuwanderung um ca. ein Prozent. Das ist historisch und im internationalen Vergleich eine extrem hohe Zahl. Entscheidend dürfte der Zugang zum Arbeitsmarkt sein, damit Kosten von den Migranten selber getragen werden können. Sprachprobleme, Qualifikation und Mindestlohn dürften hier Einfluss haben. Wahrscheinlich spielt auch das Herkunftsland eine große Rolle dabei. Syrer und Eritreer gelten als relativ höher qualifiziert.  Die empirischen Daten sind noch zu ungenau. Zunächst wirkt die Einwanderung wie ein Konjunkturprogramm (Binnenkonjunktur). Die Nachfrage steigt an. In Bildung, Wohnungen und Gesundheit muss dringend investiert werden.

Die beste Form von Investition dürfte aber eine gelungene Integration sein (Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, gewinnen bei erfolgreicher Integration: z. B. Steuerzahler, Nachfrage). Sie besteht aus den Bausteinen "Bildung, Arbeit und Heimat" (Wohnraum, medizinische Versorgung, Sozialsysteme). Erschwert wird die Integration vor allem durch Kriegstraumata der Flüchtlinge und durch das Frauenbild männlicher islamischer Einwanderer, die die größte Gruppe stellen (50% der Flüchtlinge haben posttraumatische Belastungsstörungen; 40% von ihnen sind selbstmordgefährdet). Wichtig ist auch die Qualifikation der Flüchtlinge (Schätzungen sprechen von 70%, die nicht für den Arbeitsmarkt qualifiziert sind). Die Löhne bei einfacher Arbeit dürften unter Druck kommen (entweder legal oder illegal) und die Schattenwirtschaft wird sich ausweiten. Insgesamt wird die Einkommensverteilung in Deutschland, die schon ungleicher geworden ist, noch ungleicher werden (H. - W. Sinn in der ZEIT vom 08.10.15). Im Schnitt sind Flüchtlinge deutlich weniger qualifiziert als Deutsche. Wenn die Qualifikation hoch ist, fehlen oft Deutschkenntnisse oder zumindest Englischkenntnisse. Die Arbeitslosenzahlen werden sicher ansteigen (mit allen entsprechenden Kosten). Neben den Qualifikationsmängeln spielen auch "schwierige institutionelle Bedingungen eine Rolle" (IAB). Der Staatssektor wird sich wieder mehr aufblähen (steigende Transferzahlungen, Personalausgaben der öffentlichen Haushalte). Dafür braucht er aber weiterhin dauerhaft niedrige Zinsen, um die zusätzlichen Schulden bezahlen zu können (es gibt schon Forderungen nach Ausgliederung aus dem Haushalt). Dann drohen Fehlinvestitionen und Wohlstandsverluste (kalte Enteignung). Die rechten Populisten bekommen starken Zulauf und werden die politische Landschaft verändern. Dadurch wird auch die Kriminalität ansteigen (BKA: schon bis Oktober 2015 über 500 Anschläge auf Asylbewerber-Unterkünfte; aber keine Islamisten oder Sympathisanten unter den Flüchtlingen; Problemgruppen eher aus Nordafrika und Osteuropa). Aus vergangenen Einwanderungen wissen wir, dass bei einem großen Männerüberschuss bei Flüchtlingen die kriminellen Delikte ansteigen.

Eine Analyse der vielen historischen Einwanderungswellen in Deutschland zeigt eindeutig, dass ein wirtschaftlich starker Staat, der Arbeitskräfte braucht und dessen Gesellschaft überaltert ist, von Zuwanderung mittelfristig nur profitieren kann. Die Allianz (Versicherungskonzern)  schätzt die Kosten der Flüchtlingskrise bis 2025 auf rund 90 Mrd. €. Der SRW beschäftigt sich in seinem Jahresgutachten 2015 mit der Migrationsrentabilität: Er hält die Zuwanderung insgesamt für positiv und bezahlbar. Entscheidend seien schnelle Asylverfahren und eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt. Die Zuwanderungskosten werden 2015 auf bis zu 8,3 Mrd. € beziffert (2016 maximal 14,3 Mrd. €, bis 750.000 Zuwanderer). Flüchtlinge können aber nur ein- und aufsteigen, wenn der Arbeitsmarkt weiter dereguliert wird. Auch eine bessere Verbindung von Humanität und Ökonomie wäre nicht schlecht (vgl. Die Zeit, Nr. 46, 12.11.15, S. 23/24). Der Mindestlohn könnte Unqualifizierte vom Arbeitsmarkt ausschließen. Der Bau von Flüchtlingsunterkünften, die Einstellung von zusätzlichem Personal und die Bildungsprogramme wirken wie ein kleines Konjunkturprogramm (mit Multiplikator).  Die steigenden Sicherheitskosten (mehr Polizei, mehr Richter; Fanal sind die Vorgänge vor dem Hauptbahnhof in Köln in der Silvesternacht) belasten aber die öffentlichen Haushalte. Eine Karenzzeit für alle Einwanderer (von D. Cameron in GB gefordert) bei den Sozialleistungen könnte die Kosten drastisch senken (Verhinderung der Entstehung eines Migranten - Prekariats). Eine Wohnsitzauflage (Residenzpflicht), wie sie vermehrt gefordert wird, könnte die Folgekosten in den Städten und Ballungsgebieten senken (Vermeidung von Ghettos).

Auf keinen Fall ist Einwanderung für Alle von ökonomischem Vorteil: Einwanderung ist mit Umverteilung verbunden (Lüge der Politik!). Die Verschiebung des ethnischen und kulturellen Gleichgewichts lässt sich nur schwer messen (Indikatoren sind umstritten, z. B. Kriminalität). Asylsuchende in der Schweiz sind verpflichtet, bei der Einreise persönliche Vermögenswerte von mehr als 1000 Franken abzugeben. Mit denen müssen sie sich an den Kosten des Aufenthalts beteiligen (Asylgesetz). Sehr schwer zu berechnen sind die Kosten, die die Grenzkontrollen in der EU für den Handel mit sich bringen. Die Grenzkontrollen dürften verschärft werden und länger andauern. Es gibt Schätzungen, die die Kosten für den Handel mit 10 Mrd. Euro pro Jahr beziffern. Trotzdem dürften Grenzen wieder ein Comeback erleben. Im Februar 2016 zeigt sich zuerst, dass die gesetzlichen Krankenkassen hohe Defizite haben, weil sie nach der Anerkennung Asylbewerber aufnehmen müssen. Über die Sozialversicherungsbeiträge werden die Mitglieder an der Finanzierung indirekt beteiligt.

Eine konsequente Einwanderungspolitik (mit Einwanderungsgesetz auf Qualifikation ausgerichtet)   - wie sie etwa Australien und Kanada betreiben - wäre sicher rein ökonomisch betrachtet die beste Lösung. Schwer zu errechnen ist der Effekt, dass durch Zuwanderer die Wirtschaft besser internationalisiert werden kann. Sprachkenntnisse können erheblich in den Heimatmärkten der Zuwanderer helfen. Die Schweizer Ökonomen Margit Osterloh und Bruno Frey entwickeln eine ökonomische Analogie zur Genossenschaftsidee: Sie wollen Länder mit ihren jeweiligen Sozialsystemen als Genossenschaften begreifen. Wer in ein Land kommen will, muss Anteilsscheine erwerben. Das gilt auch für Flüchtlinge. Rolf Langhammer vom IfW in Kiel ist der Ansicht, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch den Zustrom an Flüchtlingen abnimmt: Die Zuwanderung lässt den Dienstleistungssektor expandieren. Die Exportindustrie wird geschwächt. Vgl. als Quelle: Faßmann, Heinz: Migration - Gefahr oder Potential, in: FAZ, Mo. 27. Juni 2016, S. 6 (der Autor ist Vizerektor der Uni Wien). 2019 macht die Bundesregierung in Deutschland einige Gesetze, die mehr Klarheit in die Migrationspolitik bringen: Ein Einwanderungsgesetz für hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern. Ein Gesetz, das die Abschiebung von Migranten erleichtern soll, die in die Sozialsysteme einwandern (Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber sollen erleichtert werden, verschärfte Regeln). dieser Aspekt ist auch im Koalitionsvertrag der Ampel Ende 2021.

Zur Flüchtlingskrise habe ich im Frühjahr 2016 ein Symposion an der HWG Ludwigshafen durchgeführt. Zu einer ausführlicheren Analyse der Situation vgl. auf dieser Homepage die Seite "special/ Arbeitsökonomik/ Demographie. Die USA haben eine Einwanderungswelle von Staaten aus Mittel- und Südamerika. Die Menschen fliehen vor Gewalt, Armut und Chancenlosigkeit. Europa ist ein attraktives Ziel für Menschen aus Afrika, die aus den gleichen Gründen aus ihren Heimatländern fliehen. Aus Asien kommen durch die Kriege vertriebenen Menschen. Eine bessere Bildung dürfte das Problem nicht verringern, sondern sogar vergrößern. Verbessert werden muss insgesamt die soziale Situation in Afrika. Die CDU veranstaltet im Februar 2019 ein Werkstattgespräch zur Migration. Man einigt sich auf ein Migrationsmonitoring und ein Frühwarnsystem. Abschiebungen sollen beschleunigt werden. Im Jahre 2019 sind erstmals über 70 Mio. Menschen auf der Erde auf der Flucht (Quelle: UN-Flüchtlingskommissar).

Exkurs: Islam und Integration. An vielen Stellen beschäftige ich mich auf dieser Plattform mit dem Islam. Die Spanne reicht von der Auseinandersetzung mit der Religion, die geteilt ist in Schiiten und Sunniten, bis zur sozialen und politischen Zersetzungswirkung in Staaten (UdSSR bzw. Russland, China, Türkei). Was ich für unklug und untragbar halte, ist eine Tabuisierung des Themas. Ich nehme als Beispiel das Buch von Sarrazin "Deutschland schafft sich ab". Zwei Grundthesen in diesem Buch sind diskussionswürdig: Die schwierige Integrationsfähigkeit des Islam und die wesentlich höhere Geburtenrate (z. B. arabische Clans und ihre Rekrutierung). So halte ich auch die Ausschluss-Diskussion in der SPD für völlig falsch. Die schwierige Integration bei islamischen Migranten ist durch viele Studien belegt (Frankreich, GB, Schweden, Dänemark; dazu habe ich mal eine spezielle Veranstaltung gemacht). Auch die verzerrte Darstellung der schiitischen Moslems im Iran (von den USA massiv betrieben, vor allem von einer reinflussreichen Minderheit gefördert) sollte nicht von der Wissenschaft unterstützt werden. Die Wissenschaft hat immer die Grundfunktion der Aufklärung und eventuell der Moderation. Vgl. Sarica, Tuba: Ihr Scheinheiligen. Doppelmoral und falsche Toleranz - die Parallelwelt der Deutschtürken und die Deutschen, München 2018.

Aktuell kommt es zu einer Entlastung bei den Flüchtlingsströmen in die EU, weil man mit der Türkei eine Vereinbarung trifft, dass diese die Grenzen schließt. Sie bekommt dafür viel Geld und verhandelt immer mehr heraus (auch für "Sicherheitszone" zu Syrien). Andererseits erpresst er damit auch die EU, weil sie ihm in Idlib im Kampf gegen Syrien helfen soll (er öffnet die Grenzen für Flüchtlinge). Italien nimmt auf der Insel Lampeduso keine Flüchtlinge aus Afrika mehr auf und verweigert den Rettungsschiffen die Anlandung. Einige wenige Länder der EU, die Flüchtlinge aufnehmen wollen (vor allem Deutschland, Frankreich, Italien, Malta, Irland, Luxemburg) versuchen, sich auf Quoten zu einigen. Griechenland verschärft die Asylverfahren: Sie sollen beschleunigt werden und nicht kooperierende Migranten sollen ausgewiesen werden. Die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern ist dramatisch (Flüchtlinge werden auf Festland gebracht). Ein weiteres Land, das Ströme von Flüchtlingen aus Afrika hat, ist Spanien. Spanien hat seine Exsklaven in Afrika abgeschottet. Die Aufnahmepolitik ändert sich häufig. Die EU betreibt keine Seenotrettungsschiffe mehr im Mittelmehr, diese werden von NGO` s betrieben, die Probleme haben, Aufnahmeländer zu finden. Im Laufe des Jahres 2019 kommen wieder mehr Flüchtlinge in Europa an. Vor allem steigen die Zahlen aus der Türkei nach Griechenland (Quelle: Frontex). Im Mittelmeer Gerettete 213 Flüchtlinge werden erstmals in einer Zusammenarbeit von Deutschland, Frankreich, Italien und Malta im November 2019 verteilt. Ende Februar/ Anfang März 2020 öffnet die Türkei die Grenze zur EU. Der türkische Staatschef Erdogan sagt, die Ära der "einseitigen Opfer" seines Landes in der Flüchtlingsfrage sei zu Ende. Er fühlt sich im Krieg gegen Syrien/ Idlib von der EU und der Nato im Stich gelassen. Griechenland und Frontex machen die Grenze dicht (lassen keine Flüchtlinge hinein, bringen Eindringlinge zurück). Nato-Stacheldraht, Tränengas, Schüsse sollen die türkisch-griechische Grenze sichern. Die Bundesregierung pocht auf eine europäische Lösung bei der Aufnahme von Flüchtlingen (unbegleitete Jugendliche). Wenn eine europäische Lösung kommt, will sie aus griechischen Lagern 1500 unbegleitete Kinder unter 14 Jahren aufnehmen. Griechenland will den Grenzzaun zur Türkei ausbauen. Durch die Corona-Krise, die alle EU-Länder hart trifft, werden die Ressourcen auf das Gesundheitssystem konzentriert und die Flüchtlinge sind erst mal vergessen. Außerdem werden die EU-Außengrenzen wegen Corona geschlossen. Deutschland und Frankreich scheinen sich überdies mit der Türkei geeinigt zu haben, so dass Erdogan auch wieder die Grenze zu Griechenland schließt. Die Corona-Krise drängt das Flüchtlingsproblem in den Hintergrund. Auch schon beschlossenen Maßnahmen werden auf eis gelegt. Der EuGH entscheidet am 2.4.20, dass Polen, Tschechien und Ungarn EU-Recht gebrochen haben, als sie keine Flüchtlinge aufnahmen. Ungarn wird zusätzlich für seine pauschalen Abschiebungen angeprangert.  Das könnte Konsequenzen mit der Kürzung von Fördermitteln haben. Covid-19 bricht im April 2020 auch intensiv in den griechischen Flüchtlingslagern aus. Moria auf Lesbos wird unter Quarantäne gestellt. Das Virus kann dramatische Folgen haben. Deutschland nimmt im April 20 unbegleitete Kinder auf (zuerst 50, dann mehr). Neun andere EU-Staaten sind ebenfalls bereit, unbegleitete Kinder aufzunehmen. Vgl. auch: Hardinghaus, Barbara/ Smoltczyk, Alexander: Geschafft in Haßloch, in: Der Spiegel Nr. 29/ 11.7.2020, S. 58ff. Weil Haßloch das demographische Abbild der Bundesrepublik ist, wird hier die These von Angela Merkel "Wir schaffen das" überprüft. 2020 war die Anzahl der Asylanträge in Deutschland rückläufig (Januar bis Oktober 57.200; Statistisches Bundesamt). Die Flüchtlingsströme nach Europa ändern ständig ihre Wege. Nachdem der Balkan und auch das Mittelmeer relativ geschlossen sind, kommen immer mehr Menschen über den gefährlichen Atlantik auf die Kanarischen Inseln. In Bosnien irren Hunderte Migranten obdachlos umher, da sie niemand aufnehmen will. Griechenland verstärkt immer mehr seine Grenzsicherung, vor allem am Evros (hier werden auch Schallkanonen eingesetzt). 2022 verändert der Einmarsch Russlands in die Ukraine radikal die Flüchtlingspolitik der EU: Man rechnet mit vielen Flüchtlingen aus der Ukraine. Die Bundesländer in Deutschland bereiten sich auf die Aufnahme von Menschen vor. Bis Mitte März 2022 sind schon fast 150.000 Flüchtlinge in Deutschland registriert. Fast 2,5 Mio. Menschen sind bis Ende März 2022 aus der Ukraine geflohen, hauptsächlich jüngere Frauen mit Kindern. Die meisten Flüchtlinge nimmt Polen auf. Zusätzlich steigt die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien, der Türkei und Afghanistan  stark an. Die Kommunen in Deutschland sind an der Belastungsgrenze.  Ende 2020 sind weltweit mehr als 80 Mio. Menschen auf der Flucht. Sie fliehen vor Krieg, Gewalt und Hunger. Quelle: UN-Flüchtlingshilfe (UNHCR) 2020. Immer mehr Migranten versuchen, die Wasserstraße von Frankreich in Richtung Großbritannien zu überqueren. Die Einreise entscheidet über Asyl. Unter ihnen sind auch Flüchtlinge, die über Belarus gekommen sind. Die Kontrollen werden verstärkt. Frontex hat in den letzten 6 Jahren (von 2021 aus) über 800.000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet.

Flüchtlinge aus der Ukraine: Hunderttausende Menschen fliehen aus dem Land. Es sind vor allem Frauen und Kinder. Die EU gewährt eine dreijährige Aufenthaltszeit mit Antrag, ohne für ein Jahr. Bis Ende Februar 2022 sind schon über 600.000 im Ausland oder auf dem Weg dazu. Die Zahl übersteigt im März 22 über eine Million, Mitte März 2,5 Mio. im April ca. 4 Mio. (ohnr Binnenflüchtlinge) Moskau und Kiew vereinbaren "humanitäre/ "grüne" Korridore", durch die die Menschen fliehen können. Alle Länder der EU sind bei der Aufnahme solidarisch. Die Flüchtlinge gehen nach Russland, Belarus, bleiben im Land in anderen Regionen, Moldau, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Polen (nimmt die meisten auf), andere EU-Länder, vor allem Deutschland. Putin hat die Absicht mit der Zerstörung der Ballungszentren Flüchtlingswellen auszulösen, die die EU destabilisieren sollen. Die Bundesregierung versucht, 2022 viele Fehler von 2015 zu vermeiden: Integration und Sprache werden direkt gefördert. Arbeit und Vermittlung werden sofort unterstützt. Kitas und Schulen werden zügig geöffnet. Senioren und Behinderte werden unterstützt. Kranke und Verletzte, auch Corona-Geschädigte, bekommen Hilfe. Die USA wollen bis zu 100.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen. Die EU macht einen Zehn-Punkte-Plan (gemeinsames Registrierungssystem). Die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland dürfte sehr viel Geld kosten. 2930 Euro pro Kopf und Monat kalkulieren deutsche Stadtverwaltungen. Die Infrastruktur, vor allen die Bildungsinstitutionen, werden zusätzlich stärker belastet. Demgegenüber steht ein Nutzen bei des Bekämpfung des Fachkräftemangels. Wahrscheinlich werden die Flüchtlinge selbst in etwa die gleichen Leistungen erhalten wie Hartz - IV - Empfänger. Am 7.4.22 einigen sich Bund und Länder auf folgende finanzielle und formale Lösung: Die Länder erhalten vom Bund 2 Mrd. €. Ab Juni 2022 werden die Ukraine-Flüchtlinge wie anerkannte Asylbewerber eingestuft: Sie erhalten Leistungen nach SGB III (also auch Zugang zur KV und zum Arbeitsmarkt). 400.000 Kinder sind bis Ende April 2022 nach Deutschland gekommen. Das stellt hohe Anforderungen an die Bildungsinfrastruktur.

"Nicht Flüchtlinge sind die Gefahr, sondern Populisten", Charles Taylor, kanadischer Philosoph.

 

Digitale Revolution und Transformation ("The Second Machine Age", vgl. auch die ausführliche Extraseite zur Digitalisierung: Mercator/ digital)

"Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt", William Ford Gibson, Science-Fiction-Autor. "Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance", Victor Hugo.

  Links auf dem Foto ist das James Watt-Denkmal in Glasgow/ Schottland abgebildet. Watt, der Erfinder der Dampfmaschine, studierte und wirkte dort (er war mit Adam Smith befreundet). Die Dampfmaschine löste die erste industrielle Revolution aus (mechanischer Webstuhl, Lokomotive u. a.). Das Internet steht für die heutige digitale Revolution.

1. Definition, Grundlage: Sie verläuft mit exponentieller Geschwindigkeit und basiert auf der Digitalisierung. Sie verknüpft zahlreiche Technologien und betrifft alle Sektoren. Digitalisierung bedeutet auch Automatisierung. Die Wertschöpfung ist mit immer weniger Beschäftigten möglich. Besondere Sorge bereitet die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft. Eine herausragende Bedeutung kommt dem Plattform-Effekt zu: Digitale Unternehmen bauen Netzwerke auf, die Käufer und Verkäufer mit einer breiten Palette von Produkten und Dienstleistungen zusammenführen. Megatrends sind selbst fahrende Kraftfahrzeuge, 3D-Druck, Robotik, neue Materialien. Vgl. Klaus Schwab, Die vierte industrielle Revolution, München 2016. "Nie hat es eine Zeit gegeben, die so große Möglichkeiten und zugleich so große Gefahren bereithielt", Klaus Schwab.

2. Chancen und Risiken: Machtkonzentration und Totalitarismus entstehen durch die Digitalisierung: In der Internetökonomie liegt eine große Gefahr, das Private abzuschaffen und Menschen effektiv zu kontrollieren. Am Anfang steht oft Freiwilligkeit (wie in der Share Economy), dann kommt Profit in der Regel durch Werbung und am Ende Machtakkumulation (alle Informationen über das soziale Leben). Teilweise erhöhen Unternehmen mit diesen Informationen den Druck auf die Menschen (z. B. wenn Versicherungen einen Bonus zahlen, wenn man sein Verhalten kontrollieren lässt). Die Internetunternehmen versuchen auch, an immer jüngere Nutzer heranzukommen. Ein Beispiel ist die Streaming-Plattform "YouNow". Danach muss sich auch die Wettbewerbspolitik neu ausrichten. Sicher gilt in der digitalen Ökonomie zwei Gesetzmäßigkeiten: 1. Information entwickelt sich zum wichtigsten Rohstoff zur Welterschließung ("Informationskapitalismus" löst den "Finanzkapitalismus" ab). 2. Der Mensch selbst wird zur Information und zum Rohstoff. Die Rolle de Menschen verändert sich: Er ist gleichzeitig Datenkonsument und Datenproduzent (große Gefahr der modernen Sklaverei). Er lässt sich aber auch zurichten (Empfehlungen von Streaming - Diensten, Follower). Monopole, insbesondere die aus dem Silicon Valley, gewinnen an Bedeutung (sie werden als Garant des Fortschritts beworben). In der Preisbildung wird das Image immer wichtiger (Beispiel Apple: macht den Preis nicht der Markt). Preise haben früher die wichtigsten Informationen verdichtet, heute verändert Big Data das Spiel.  Informationsdienste - etwa Google - streben eigentlich die Integration aller Marktzugänge an. Digital-industrielle Komplexe ersetzen die Gesetze von Angebot und Nachfrage. Vgl. Douglas Rushkoff, Present Shock, Orange Press, 2015; Yvonne Hofstetter, Sie wissen alles, 2015. Deutschland und Europa haben fast kein Internetunternehmen unter den Top 20 der Welt (SAP Ausnahme). Damit fehlt die Schnittstelle in der Wertschöpfung. Der Staat muss digitaler Wettbewerbshüter sein.

3. Digitales Defizit und Herausforderungen: Deutschland hat in Bezug auf Digitalisierung große Schwächen: Die Vernetzung ist unterentwickelt. In der Produktion verlassen wir uns zu sehr auf alte Stärken (Mittelstand). Wir denken zu sehr in Fachgebieten und meiden Risiken. Im Management wird Perfektion zu sehr belohnt und Fehler bestraft. Wir müssen Technologien weiter entwickeln. Plattformen müssen ausgebaut werden. Die Disruption muss gefördert werden, alte Märkte kollabieren. Neue Geschäftsmodell, die  das "Wie" in den Fordergrund stellen, müssen entwickelt werden. Vgl. Christoph Keese: Silicon Germany, München 2016 (Wirtschaftsbuch 2016 auf der Frankfurter Buchmesse). Netzwerkeffekte wirken wie externe Effekte: Das Handeln einzelner Akteure beeinflusst das Handeln anderer Akteure. Die Technologie ist gut standardisiert. "Lock-in", virtuelle Märkte, Wertschöpfungsmodule und Systemwechselkosten wirken als Betreiber der Internetökonomie.

Um mit den führenden Technologieplattformen mithalten zu können, muss sich in Europa einiges ändern: 1. Die EU muss einheitlicher werden. Verschiedene Sprachen, viele Verbraucherschutzbestimmungen, unterschiedliches Steuerrecht wirken als Barriere. Da haben es die USA und China einfacher. 2. Die Finanzierungsmöglichkeiten müssen verbessert werden. Es fehlt vor allem Venture Capital. 3. Die einzigen Computer - Science - Fakultäten in der EU sind in GB, das aber evtl. die EU verlässt.

4. Bausteine:  Die digitale Ökonomie (the Second Machine Age) besteht aus mindestens folgenden Bausteinen: Produktion 4.0, Internet der Dinge (kommunizierende Geräte), digitale Transformation (vor allem Dienstleister mit Plattformen), Breitbandausbau. Sie beeinflusst insbesondere folgende Branchen (Rangfolge): Technologie, Medien/ Unterhaltung, Handel, Finanzen, Telekom, Bildung, Gastgewerbe, Fertigung, Gesundheit. Eigentum geht auch in der digitalen Ökonomie nicht verloren. Es bleibt vor allem als eine mentale Ressource. Teile des Wirtschaftslebens wandern von den Märkten ab: Der Konsument ist zugleich Produzent ("Prosument"). Vielleicht lässt sich erst viel später erkennen (50 Jahre), wohin die Basistechnologie Internet führt. Bis der Massenmarkt erreicht ist, dauert es etwa so lange (Anfang des Digitalzeitalters?). Auf digitalen Märkten tummeln sich vier Technologien: Speicher- und Übertragungstechnik, Steuerungstechnik bzw. Robotik, Künstliche Intelligenz und Informationsplattformen.

Die Technologien hängen also mit Daten und neuen Kundenrollen zusammen. In Unternehmen werden Prozesse ausgelöst, die mit Disruption (Wandel von Geschäftsmodellen), Change Management und Entrepreneurship beschrieben werden. Vgl. Nicolai, A. T./ Schuster, C.: Digitale Transformation, in: WiSt, H. 1, 2018, S. 15ff.

5. Glossar: 1. Distributed Ledger: Zentral gesteuerte und weltweit verteilte Datenbanksysteme. Die Blockchain gehört dazu. 2. Tangle: Transaktionsdaten werden nicht - wie bei der Blockchain - chronologisch hintereinander angeordnet, sondern in einem netzwerkartigen Gewirr (Tangle) mit vielfältigen Knotenpunkten (Nodes). "Miner" fallen hier weg. 3. Smart Contracts: Eine beliebige Transaktion wird automatisch unter der Voraussetzung abgewickelt, dass alle beteiligten Parteien die zuvor in der Blockchain niedergelegten Konditionen erfüllt haben. 4. DApps: dezentralisierte, automatische Apps. Open Source, öffentlich in einer Blockchain gespeichert. 5. DAO (Decentralised Autonomous Organization): Ein eneue Form der Organisation, deren Geschäftsordnung, Gesellschaftsvertrag oder Satzung durch einen Smart Contract festgelegt und automatisch ausgeführt wird. 6. ICO: Bei einem Initial Coin Offering (ICO) werden quasi digitale Wertpapiere aufgelegt. 7. Kryptokatze: Eine der erfolgreichsten Anwendungen auf der Blockchain - Plattform Ethereum. Anwender können virtuelle Kätzchen (Cryptokities) züchten und mit ihnen handeln. Vgl. Sommer, Sarah: Vertraut den Daten, in: brand eins 06/18, S. 20ff.  8. Token: Digitale Münze bzw. Schlüssel. Sie wird mithilfe eines Smart Contract erstellt. Bei Ethereum heißen die Münzen ERC20-Token. Ein Token kann verschiedene Funktionen haben: Sollen Eigentümer ihn einsetzen, um Dienstleistungen eines Start-ups zu nutzen, handelt es sich um einen Utility-Token. Soll er Anteile an einem Unternehmen repräsentieren, also einer Aktie gleichkommen, heißt er Equtiy- oder Security-Token und fällt unter die Kontrolle der Finanzaufsicht. 9. Whitepaper: Projektbeschreibung des Start-ups zum ICO. Verbindliche Zahlen fehlen fast immer. Es ist kein Börsenprospekt.

6. Innovationen im Finanzbereich: Blockchains: Treten im Zusammenhang mit Digitalwährung auf. Ein gutes Beispiel ist Bitcoin. Interessant ist die Technologie und die Logik: 1. Person A kauft von Person B bestimmte Diamanten (Geschäft). 2. Verifizierung (Identifizierung, Eigentümer). 3. Transaktion (anonym). 4. Validierung. 5. Umsetzung. 6. Ergebnis. Vgl. Bettina Schulz, Das ärgert Betrüger, in: Die Zeit, Nr. 3, 14.01.2016, S. 24f. Allgemein ist eine Blockchain ein dezentrales Register für Transaktionen. Alle Transaktionen werden in Blöcken zusammengefasst und bilden eine Kette. Ein aufwendiges Rechenverfahren gewährleistet die Unveränderbarkeit der Blockchain. Sie kann vertrauensbildende Intermediäre ersetzen, zum Beispiel Banken. So werden Geschäftsprozesse automatisiert. Es entsteht eine gemeinsame Vertrauensgrundlage (Konsens, Proof-of-Work). Zwischengeschaltete Finanzinstitute fallen weg. Es entsteht auch mehr Transparenz, da die Blockchain ein globales Hauptbuch darstellt, in dem alle Transaktionen gespeichert werden. Bei einzelnen Schritten bestehen Variationsmöglichkeiten: Da der Proof-of-Work-Mechanismus viel Rechenleistung und Energie fordert, wurde Proof-of-Stake als energiesparende Alternative entwickelt.

Die Blockchain besteht aus vier Teilen: 1. Einem Wallet und Schlüssel. Ein Wallet ist eine digitale Geldbörse, bestehend aus einem öffentlichen (public key) und privaten Schlüssel (private key, geheim). Mit dem privaten Schlüssel wird die Identität las berechtigter Besitzer der Wallet bestätigt. Der öffentliche Schlüssel entspricht etwa einer gewöhnlichen Kontonummer. 2. Verteiltes System. Die Transaktionsabwicklung läuft in einem Netzwerk auf spezieller autorisierter Hardware. Geschäftsabschlüsse werden kryptographisch abgesichert. 3. Kassenbuch. Transaktionen werden chronologisch aufgezeichnet. 4. Peer-to-Peer. Direkter Austausch von Werten zwischen einzelnen Marktteilnehmern. Vgl. com professional 11/16, S. 14ff.  Im Bereich Finanzen  arbeiten US-Unternehmen wie IBM, Intel und J. P. Morgan schon mit der Blockchain -Technologie. Hierüber werden die Bücher sicher ausgetauscht. Sie können von jedem geprüft werden, der eine Berechtigung besitzt. Den Unternehmen bietet das den Vorteil, dass sie zum Beispiel die Einhaltung von Bilanzregeln per Croudsourcing prüfen lassen und sie bekommen von einem breiten externen Netzwerk Feedback zu ihrem Finanzmanagement. Das signalisiert auch Vertrauenswürdigkeit. Mittlerweile gibt es auch Blockchain - Finanzdienste: Es handelt sich um P2P-Kreditvergabeunternehmen (Peer-to-Peer). Einige sollen hier aufgeführt werden. lendico.de ist ein P2P-Kreditvergabe- und Anlageportal von Privatpersonen an Privatpersonen und Kleinunternehmer. auxmoney.com ist ein P2P-Kreditvergabeportal von Privatpersonen an Privatpersonen. Sieben Gestaltungsprinzipien beeinflussen die Blockchain - Wirtschaft: 1. Vernetzte Integrität. 2. Verteilte Macht. 3. Wert als Anreiz. 4. Sicherheit. 5. Datenschutz. 6. Wahrung von Rechten. 7. Inklusion. Vgl. Don Tapscott/ Alex Tapscot: Die Blockchain - Revolution, Kulmbach 2016.

Geldtransfer via Blockchain: Person A will Person B Geld schicken. Die Transaktion wird online in einen Datenblock verwandelt. Der Datenblock wird an jeden Rechner im Blockchain - Netzwerk geschickt. Jeder Rechner prüft die Transaktion automatisch und gibt sie frei. Der Datenblock wird zu der Kette hinzugefügt und kann nicht mehr verändert werden. Das Geld wechselt von Person A zu Person B. Vgl. Financial Times. , 2016.

Die Entwicklung schreitet fort. Einmal zum Algorithmischen Handel: Computergestützte und automatisierte Entscheidungs- und Durchführungshilfen setzen sich immer mehr durch. Damit können Marktdaten unvorstellbar schnell bearbeitet werden. Finanztransaktionen werden in Form von Small Contracts abgebildet. Die damit verbundene Digital Ledger-Technologie hilft, Kreditvertragsbeziehungen, Wertpapiertransaktionen und Derivate - Geschäfte zu verifizieren und zu automatisieren.

Aber insgesamt gibt es mittlerweile ein digitales Finanzleben, das den traditionellen Banken Konkurrenz macht: so gibt es Giro-Konten per App (N26), Bezahlung per Smartphone (SumUp), Vermittlung von Privatkrediten (Auxmoney), Onlinebezahlsysteme (Billpay), Wertpapierhandel (Ayondo), Vermögensverwaltung (Liqid).

Vor- und Nachteile: Die Blockchain macht aber vor keiner Branche halt. Sie wird Auswirkungen auf Lieferketten haben. Sie wird einen Peer-to-Peer-Handel begünstigen und zu Börsen führen. Die Blockchain bietet Chancen für neue Geschäftsmodelle. Sie erhöht die Sicherheit von Transaktionen. Sie führt zu mehr Dokumentensicherheit. Die Blockchain macht aber vor keiner Branche halt. Die Blockchain hat auch viele Nachteile: De Rechenaufwand ist riesig und damit auch der Energieverbrauch. Der Stromverbrauch soll 2018 so hoch sein wie der von ganz Österreich. Der US-Ökonom nennt die Blockchain in einem Gutachten für den US-Senat 2018 "die am stärksten überschätzte Technik aller Zeiten". Neue Anwendungen 2018 waren Plattform für Online-Wahlen, Flugschreiber für Drohnen, virtuelle Kryptoschweine für Kinder (Pigzbe), Verwaltung von Lieferketten in der Logistik, Patientendaten in der Medizin.  80% der Projekte sollen aber Betrug sein (Beratungsfirma Satis Group). Man muss den Institutionen vertrauen, die die Datenbank betrieben.

Treasury - Management: Immer wichtiger wird auch das Treasury - Management - System. Es ist eine Art Schatzmeister aus der Cloud. Die KI steht hier erst am Anfang. Funktionen sind der Zahlungsverkehr, die Kontakte zu Banken und Kapitalmärkten, das Cash- und Liquiditätsmanagement, das Finanzmanagement, die Absicherung finanzieller Risken und Reporting. Bisher kann man das noch nicht von der Stange kaufen. Vgl. Jürgen Mauerer: Schatzmeister aus der Cloud, in: com! professional 1/2019, S. 54ff.

Das Leben gehört den Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein", Johann Wolfgang von Goethe.

7. Produktion/ Industrie 4.0: In der Fabrik der Zukunft werden IT- und Fertigungstechnik verschmelzen. Immer mehr Maschinen kommunizieren über das Internet. Damit wird auch immer mehr improvisiert (ausgehend von einem groben Schema viele kleine Abweichungen). Die gesamte Produktion ist vernetzt. Das heißt, es findet eine umfassende Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Maschinen statt, in die auch Kunden und Geschäftspartner eingebunden sein können. Robotterquallen sind relativ autonom. Durch die starke Vernetzung wird die Sicherheit zum Problem. Diese Technik gilt als Krönung der Produktion. Die deutsche Industrie hat 2014 ein bis zwei Jahre Vorsprung. Die Vernetzung bietet grundsätzlich ganz neue Geschäftsmodelle (völlig neue Produktionslogistik). Die größten Hindernisse gegen die Ausbreitung von 4.0 sind: Lücken in der IT - Sicherheit, fehlende Normen, fehlende Fachleute, mangelnde Infrastruktur und hohe Kosten. Die KMU sind in dieser Produktionstechnik stark (Pionier dieser vierten industriellen Revolution). Einzelfertigungen und Kleinserienfertigungen, die traditionell hier gefertigt werden, können sehr viel billiger hergestellt werden. Die Produktion 4.0 hat drei Grundelemente: Selbststeuerung (Smart Factory, cyber-physische Systeme, CPS, es verschmelzen virtuelle und reale Welt); Interaktion (alle Daten tragen die Produktkomponenten in sich, dezentrale Selbstorganisation); Information (der Industriearbeiter ist Planer und Entscheidungsträger, Smartphone). Die "Integrated Industry" mit ihrer Vernetzung hat auch Auswirkungen auf den Markt, auf Arbeitsplätze, auf Ausbildung und Geschäftsbeziehungen. Der Produktionsstandort Europa könnte gesichert werden. Es kommen neue Entwicklungspartnerschaften mit mehr Kooperationen. Die Arbeitsplätze könnten höherwertiger werden. In den USA entsteht 2014 ein neues Normungskartell. Dadurch könnten die deutschen Unternehmen ihre bislang gute Position bei den Standards für die Industrie 4.0 verlieren. Normensetzung und ein gutes Rechtssystem sind Voraussetzungen der Produktion 4.0. Von den Arbeitnehmern fordert die Produktion 4.0 mehr Flexibilität (Abhängigkeit von Marktimpulsen wird stärker, Produktionszyklen werden noch kürzer).  Am 12.06.17 beginnt der Digital-Gipfel der Bundesregierung in Ludwigshafen. Das Stammwerk der BASF dort soll schnell digitalisiert werden (Sensoren, Datenerfassung zur Wartung und Steuerung der Kraftwerke und der Steamcracker). Eine Datenschutz-App für Bauern wird entwickelt.

8. Internet der Dinge (Internet of Things, IoT, Vernetzung): Die Entwicklung geht rasend schnell. Den Endpunkt bildet das Internet of Everything. Systeme sind z. B. automatische Verkehrssysteme, intelligente Straßen, intelligentes Stromnetz, vernetzte Geschäfte, intelligente Krankenhäuser, intelligente Stadt, Logistiksysteme. Die Gefahr könnte sein, dass die künstliche Intelligenz in einigen Jahren den Menschen überlegen ist. Im Unternehmen können Algorithmen bisherige Managementaufgaben übernehmen. Die Unternehmen haben Zugriff auf einen riesigen digitalen Datensatz. Marktforscher sind leicht ersetzbar; Kundenprofile können auf Knopfdruck erstellt werden. Große Gefahren sind der Kontrollverlust, die fehlende Transparenz, falsche Analysen, Diskriminierung. Anwendungsbereiche sind die Automobilelektronik, branchenspezifische Geräte (Produktion, Transport, Versorgung), allgemeine industrielle Anwendungen (Bankautomaten, Terminals), Konsumenten. IoT verunsichert viele Unternehmenslenker. Sie müssen teilweise völlig neue Strategien entwickeln. Vor allem der Wettbewerb ist immer schwieriger einzuschätzen (Quelle: Bain). Chancen und Risiken sind ganz schwer einzuschätzen: Es es zu einem Verlust von Arbeitsplätzen oder werden mehr entstehen? Auch persönlich sind die Folgen schwer abzuschätzen: Es kommt zu Effizienzsteigerungen, gleichzeitig steigt die Ablenkung und der Autonomie- und Privatsphäreverlust. Zum Internet der Dinge gehört auch folgendes: Facebook, Microsoft und andere arbeiten an digitalen Parallelwelten. Per Datenbrille erfüllen sich Simulationen, die sich wie echt anfühlen. Bald können Menschen so arbeiten, leben und shoppen an Orten, die nur im Computer existieren. Man setzt hier auch große Hoffnungen in die Digitalisierung, weil sie bei großen gesellschaftlichen Themen helfen könnte: Bei der Energiewende, beim Klimaschutz, bei der Qualität von Bildung, bei Gesundheitsvorsorge und Pflege in ländlichen Gebieten.  Im Juni 2017 gewinnt Darmstadt den digitalen Wettbewerb "Digitale Stadt" des Branchenverbandes Bitcom. Unter anderem war auch Kaiserslautern als Finalist im Wettbewerb. Es gibt Fördergelder von unternehmen, die hier sponsern.

9. Plattform - Kapitalismus: Dies ist eine weitere Bezeichnung für die Sharing Economy oder die digitale Ökonomie. Hier geht es speziell um Online-Plattformen. Sie ändern rapide den Büroalltag. Einerseits schaffen sie große Freiheiten, andererseits führen sie zu neuen Abhängigkeiten. Sie revolutionieren Märkte wie z. B. den Wohnungsmarkt (Airbnb) oder Taximarkt (Uber). Sie bringen auf dem Arbeitsmarkt direkt Arbeitnehmer und Auftraggeber zusammen (Upwork in den USA, Freelancer in Australien). Arbeitnehmer werden so von angestellten zu Freiberuflern. Wer via Plattform arbeitet konkurriert mit Millionen anderer Anbieter. Das dereguliert radikal den Arbeitsmarkt. Scheinbar hohe Stundenlöhne relativieren sich dadurch, dass man sich selbst für Alle versichern muss und oft noch die Ausrüstung stellt. Die Ratings geben den Plattformen noch mehr Macht. Vgl. O. V. : Immer auf Abruf, in: Wirtschaftswoche 29.7.16, S. 87ff. Die meisten Plattformfirmen kommen aus den USA. Sie dominieren die Weltwirtschaft. Es werden zunehmend Klagen laut, dass die ganz großen Plattformen ihre Marktmacht missbrauchen und Wettbewerber mit unlauteren Methoden zurückdrängen. Der Konsument wird zum User degradiert (nicht mehr Besitzer). Bei der Software wird er nur zum Lizenznehmer. Damit werden Eigentumsrechte reduziert. Ganz wichtig ist, dass die Vielfalt der Entscheidungsassistenten sichergestellt wird.

10. Management und Personal: Die Verwaltung der Mitarbeiter mit HR-Software verlagert sich in die Cloud. HR-Dienste können auch aus der Cloud abgerufen werden. Damit verliert die klassische Personalverwaltung an Bedeutung. Anbieter sind z. B. Haufe (Umantis), IBM (Kenexa Talents Insights), Oracle (Human Capital Management Cloud), SAP (ERP Core Human Resources), Workday (Human Capital Management) und Sage (HR & Personalabrechnung). Erfahrung und Routine im Bezug zu Industrie 4.0: Die fortschreitende Digitalisierung verlangt von den Beschäftigten, mit Komplexität und Wandel umzugehen. Bisher weiß man wenig über die dafür notwendigen informellen Anforderungen. Erste Ansätze bringt ein Index des Arbeitsvermögens mit folgenden Elementen: Situatives Umgehen mit Komplexität, Situative Unwägbarkeiten, Strukturelle Komplexitätszunahme, Relevanz Erfahrungslernen. Vgl. Pfeiffer, S./ Suphan, A.: Erfahrung oder Routine? Ein anderer Blick auf das Verhältnis von Industrie 4.0 und Beschäftigung, in: BWP 6/ 2015, S. 21ff.

11. Beschäftigungseffekte: Die aktuelle Entwicklungen der digitalen Technik eröffnen große Rationalisierungspotenziale. Ob der Arbeitsplatzverlust tatsächlich eintritt, ist bisher offen. Denn Digitalisierung schafft auch viele neue Arbeitsplätze, insofern ist ein Strukturwandel sicher. Die Wirkungen dürften auch entscheidend von den Reaktionen der Beschäftigten abhängen: Es ist ein strukturiertes und zertifiziertes Weiterbildungssystem erforderlich. Sinnvoll ist auch ein Flexicurity-Konzept. Zur Anwendung kommen sollte auch eine integrative regionale Strukturpolitik. Vgl. Kurt Vogler-Ludwig: Beschäftigungseffekte der Digitalisierung - eine Klarstellung, in: Wirtschaftsdienst 2017/12, S. 861ff. Im April 2018 legen das IAB der BA und das BIBB eine gemeinsame Studie zu der Folgen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt vor: Fazit ist, dass die Jobs kaum weniger, aber anders werden. Regional soll sogar ein Plus an Arbeitsplätzen möglich sein. Vor allem im Bereich Information  und Kommunikation könnte es zu einem deutlichen Stellenaufbau kommen.   "Die Tätigkeit des Arbeiters auf eine bloße Abstraktion der Tätigkeit beschränkt, ist nach allen Seiten hin bestimmt und geregelt durch die Bewegung der Maschinerie, nicht umgekehrt. Die Wissenschaft , die die unbelebten Glieder der Maschinerie zwingt, durch die Konstruktion zweckgemäß als Automat zu wirken, existiert nicht im Bewußtsein des Arbeiters, sondern wirkt durch die Maschine als fremde Macht auf ihn, als Macht der Maschine selbst", Karl Marx, MEW 42, S. 599.

12. Marketing: Digitales Marketing: Alle Maßnahme im Marketing, die über Computer und Internet ausgeführt werden. Technologien müssen integriert und Strategien angepasst werden. Zunächst muss "eine digitale Reife" entwickelt werden. Das Marketing muss optimal in das Management von Daten eingefügt werden. "Zero Trust" muss bei der Sicherheit das Konzept sein. Es muss eine Verbindung bzw. Schnittstelle zur Industrie 4.0 geben. Im Vordergrund steht "Augmented Reality" als Kombination aus wahrgenommener und vom Computer erzeugter Realität. Das Netzwerk der "Quantified Self" muss genutzt werden. Fog-Computing wird Cloud-Computing ablösen. Digitales Marketing heißt auch direkter Kundenkontakt, Produkt- und Serviceinnovation, Unternehmen 3.0 (Effizienzsteigerung entlang der Wertschöpfungskette). Die Aktivitäten im Digitalen Marketing sind entweder sichtbar oder unsichtbar. Sichtbar sind z. B. Internetauftritt, E-Commerce, Online-PR. Nicht sichtbar ist Suchmaschinen-Marketing, Suchmaschinen-Optimierung, Auswertung des Nutzungsverhaltens. Vgl. H. Ahlf: Digitales Marketing, in: WISU 1/2016, S. 49f.

Big Data: Es könnte die größte Veränderung im Marketing sein seit dem Internet. Es geht um das Sammeln von Kundendaten, die Auswertung in Systemen und die zielgenaue Kundenansprachen daraufhin. Gemeint sind auch Applikationen auf mobilen Geräten (Handys). So wird der Wettbewerbsvorteil über die Datennutzung definiert. "Customer-Journey" heißt die Reise zum Verkauf und Vertrieb auch. Big Data läuft in mehreren Phasen ab: 1. Assessment: Potentiale für den Einsatz von Big-Data-Methoden; 2. Readiness: erforderliche Hardware- und Software-Infrastruktur und entsprechende Kompetenzen; 3. Implementierung und Integration: Verbindung mit vorhandenen Datenquellen; 4. Reporting und Predictive Analytics: Optimierung der Reporting-Prozesse und evtl. Prognose. Bestandteile von Big Data sind die Datenmenge (Volumen), die Datenvielfalt, die Geschwindigkeit und Analytics. Insgesamt werden die Menschen immer mehr vermessen (Werbung, Shoppen, Onlinehandel, Kreditwesen, Reisen, Gesundheit, Lebensplanung u. a.), um Verhalten vorherzusagen. Die Frage ist, wie die einzelnen Menschen ihre Freiheit schützen können und wollen.  "Wer aus Daten die richtigen Schlüsse zieht, hat die Macht", com professional 11/2014, S. 3. "Die Daten über unser Verhalten explodieren", Susan Athey, Stanford. 2015 entbrennt über die Daten der Autofahrer ein heftiger Verteilungskampf. die Autofirmen wollen ihre Märkte sichern. Internetkonzerne wollen werben. Versicherungen wollen bessere Tarife entwickeln.

13. Digitaler Markt, Eigenschaften: Digitale Märkte haben besondere Merkmale: 1. Hohe Dynamik und Innovationskraft. 2. Hohe Fixkosten und geringe marginale Kosten (kaum Kapazitätsgrenzen, Log-in-Effekte). 3. Hohe Transparenz und geringe Transaktionskosten. 4. Große Bedeutung von (personenbezogenen) Daten (Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft?). 5. Internet-Plattformen und mehrseitige Märkte (Matching). 6. Fehlende unmittelbare monetäre Gegenleistung auf Plattformen (Finanzierung nur durch eine Marktseite). Marktteilnehmer treten individuell in Kontakt in einem Netzwerk. Eine solche Blockchain besteht aus vier Teilen: 1. Einem Wallet und Schlüssel. Ein Wallet ist eine digitale Geldbörse, bestehend aus einem öffentlichen und privaten Schlüssel. Mit dem privaten Schlüssel wird die Identität als berechtigter Besitzer der Wallet bestätigt. Der öffentliche Schlüssel entspricht etwa einer gewöhnlichen Kontonummer. 2. Verteiltes System. Die Transaktionsabwicklung läuft in einem Netzwerk auf spezieller autorisierter Hardware. Geschäftsabschlüsse werden kryptographisch abgesichert. 3. Kassenbuch. Transaktionen werden chronologisch aufgezeichnet. 4. Peer-to-Peer. Direkter Austausch von Werten zwischen einzelnen Marktteilnehmern. Vgl. com professional 11/16, S. 14ff. Auch: Brynjolfsson, E. / McAfee, A.: The Second Machine Age, Kulmbach 2015. Weiterhin spielt in den digitalen Märkten das Eigentum nicht mehr die große Rolle. Menschen sind mehr bereit, nur zu teilen. Zugleich verliert der Preis als Steuerungsmechanismus an Bedeutung. Von der Größe von Internetgiganten profitieren auch die Kunden massiv. Auf den digitalen Märkten gelten auch andere Regeln als früher. Der Tendenz nach sieht dies wie folgt aus: 1. Monopole statt Wettbewerb. 2. Daten statt Preise. 3. Clickworkertum statt Sozialpartnerschaft. 4. Sharing statt Eigentum. Vgl. A. Wambach/ H.-C. Müller: Digitaler Wohlstand für Alle, New York/ Frankfurt 2018, S. 24ff.

14. Wettbewerbspolitik in der digitalen Wirtschaft:  Bei sozialen Netzwerken, Suchmaschinen und dem Online-Handel beherrschen große Unternehmen den Markt (fast Monopolisten). Die entscheidende Frage ist aber, ob dies zu Wettbewerbsbeschränkungen führt. Das zu beurteilen hängt davon ab, wie digitale Märkte abgegrenzt werden können und was faire Marktbedingungen bedeuten. Geklärt werden muss auch, ob das geltende Wettbewerbsrecht ausreicht. Sonst bedürfte es sektorspezifischer Regulierungen. Der Missbrauch von Datenmonopolen muss verhindert werden. Marktbeherrschende Plattformen müssen angemessen reguliert werden. Kunden brauchen echte Wahlfreiheit. Aber auch die Infrastruktur durch Gigabyte - Netze muss wettbewerbspolitisch ermöglicht werden. In der digitalen Wirtschaft werden marktbeherrschende Unternehmen begünstigt.  Verantwortlich dafür sind Skaleneffekte (Vorteile gegenüber kleinen Anbietern) auf der Angebotsseite, Netzwerkeffekte (mehrseitige Märkte, verschiedene Gruppen treffen sich) und Lock - in - Effekte (Wechselkosten für den Kunden).  Das Datenschutzrecht müsste dringend an die digitale Wirtschaft angepasst werden. Es muss Transparenz darüber hergestellt werden, wie die Plattformen die erhobenen Daten verwenden und auch welche überhaupt gesammelt werden. Vgl. auch: Big Data aus wettbewerblicher Sicht, in: Wirtschaftsdienst 2016/9, S. 648ff. Der Mittelstand in Deutschland wird sicher in Zukunft von Wettbewerbern angegriffen werden, an die wir gar nicht denken.  Im Jahre 2016 taucht der Verdacht auf, dass sich die USA und die EU in einem Wirtschaftskrieg befinden ("transatlantische Feindschaft"). Die USA gehen hart gegen VW und die die Deutsche Bank vor. Die EU bekämpft Google und Apple.

15. Mögliche strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft als Folgen: Hierüber kann man nur Vermutungen anstellen. Bildet sich eine Mainstream-Blockchain heraus? Bewegen wir uns auf dem Weg zur Peer-to-Peer-Gesellschaft? Wird die Blockchain nur in Nischen erfolgreich sein (Notarwesen)? Wird es zu einer selektiven Disruption kommen? Vgl. Martin, Diehl, Deutsche Bundesbank, in einem Vortrag bei der Volkswirte - Tagung am 18.5. 2017 in Worms.

Die Wirtschaftswelt wird zunehmend von Software geprägt. Hardware und Ingenieurskunst verlieren an Boden. Die Automobilindustrie ist die Schlüsselbranche in Deutschland. Elektrofahrzeuge sind technisch weniger komplex und einfacher zu bauen. Im DAX (30 Unternehmen) sind nur zwei Digitalkonzerne, SAP und Wirecard. Die künftige Wirtschaftswelt wird weniger von Ingenieuren und Maschinen geprägt als von Programmierern und Daten. Die große Gefahr besteht darin, dass die eigentlichen Produzenten nur noch Zulieferer für die großen Digitalkonzerne sind. Traditionelle Managementtechniken sind zu langsam. Möglichst viele Geschäfte sollten die Unternehmen selbst machen, damit sie nicht von Plattformen abhängig werden. Im Konsumgüterbereich und auch im Industriegeschäft schieben sich Plattformen wie Amazon und Alibaba zwischen Produzenten und Endkunden. Die Grenzen zwischen klassischen Branchen verändern sich oder lösen sich auf.

16. Digitalisierung und gesellschaftliche Ungleichheit: Die Fortschritte in der Informationstechnologie führen zu immer größeren Ungleichheiten in den Industriegesellschaften (sie ersetzen das Gehirn und machen die Arbeit von vielen Menschen überflüssig). Produktivitätsgewinne verteilen sich immer mehr zu Gunsten der oberen Klassen (in US-Unternehmen ist dieser Effekt am stärksten, weil sie mehr aus der IT-Technologie herausholen). Notwendig wäre ein "Gleichheitsindex" im Steuersystem ("Steigende- Flut-Steuersystem"), der sich der Ungleichheit mit den Steuersätzen anpasst (Robert Shiller, Yale, Irrational Exuberance, Princeton 2000; New Financial Order, Princeton 2003). Shiller fordert  eine Globalisierungsversicherung für jedermann. Er untersucht auch, wann Spekulationsblasen auf Immobilienmärkten platzen ("Historic Turning Points in Real Estate", Working Paper, Juni 2007). In Deutschland arbeiten 2007  61% aller Erwerbstätigen mit dem PC. Als wichtigster Aufsatz des Autors gilt: Do Stock Prices Move Too much to Be Justified by Subsequent Changes in Dividents, in: AER, 1981. R. Shiller hat auch ein Unternehmen gegründet, das erstmals Handel mit ökonomischen Risiken aller Art betreibt (Rezession, fallende Immobilienpreise, Arbeitslosigkeit). Der Name ist Makro Market. Es gibt einen weiteren Faktor, der die Ungleichheit durch Informationstechnologie beeinflusst: menschliche Faulheit. Einige Experten sprechen von einer "Winner takes all"- Welt: Wenige profitieren übermäßig.  "Der herrschende Glaube an soziale Gerechtigkeit ist gegenwärtig vielleicht die größte Bedrohung der meisten anderen Werte einer freien Gesellschaft", Friedrich von Hayek, The Mirage of Social Justice. "Ein innovationsgetriebenes Wachstum kann auch Ungleichheit verschlimmern", Christine Lagarde, IWF-Chefin, 2016. "Wir müssen verhindern, dass die Gewinne der Digitalisierung privatisiert werden, während die Gesellschaft die Folgekosten trägt.

17. Digitalisierung und Besteuerung: Die "Bepreisung" von Daten, insbesondere die der Konsumenten, ist ein Gerechtigkeitsproblem jetzt und in der Zukunft. Die Menschen liefern kostenlos Daten und andere verdienen damit viel Geld. Die Menschen als Datenlieferanten sind doppelt benachteiligt. Weil das Steuersystem an realen Gütern orientiert ist, müssen die Bürger die Steuern aufbringen. Andererseits werden die Daten-Unternehmen nicht ausreichend besteuert. Die Digitalsteuer wird von der eU ins Auge gefasst. Was würde aber passieren, wenn die USA und China auch diese Steuern einführten?

18. Auswirkungen der Digitalisierung auf den öffentlichen Sektor: Der öffentliche Sektor ist in vielerlei Hinsicht durch den digitalen Wandel betroffen. Der Handlungsspielraum des Staates könnte vergrößert werden, wenn zusätzliches Wachstum entsteht. Die Polarisierungsthese behauptet, dass durch die Nutzung digitaler Technologien funktionale, räumliche und personelle Ungleichheit zunehmen. Die Erosionsthese behauptet, dass digitale Technologien zu einem langfristigen Rückgang der Lohnquote und einer Erosion des Ausmaßes der voll versicherungspflichtigen Beschäftigung führt. Dann gibt es noch die steuertechnische Herausforderung bei der Besteuerung von Einkommen bzw. Gewinnen sowie Umsätzen  digitale Geschäftsmodelle nicht zu begünstigen. Vgl. Margit Schratzenstaller: Auswirkungen der Digitalisierung auf den öffentlichen Sektor - ein erster Überblick, in: Wirtschaftsdienst 2018/11, S. 799ff.

19. Digitalisierung und Handel/ Außenhandel bzw. internationale Arbeitsteilung: Kampf um Wertschöpfungsketten (Modell der Institutionenökonomik/ Jean Tirole, Toulouse, Nobelpreis 2014): Die Institutionenökonomik/ Tirole bietet ebenfalls wie Krugman eine Alternative zum Freihandelsmodell. Freihandel wird nicht als Wert an sich gesehen. Es ist eines der Verfahren, um für eine Gesellschaft Wohlstand zu erzeugen. Aktuelle Handelskonflikte (wie zum Beispiel der zwischen den USA und China 2018) ergeben sich danach aus grundlegend veränderten Risiko- und Kommunikationsstrukturen. Die Digitalisierung senkt die Transaktionskosten weiter und verändert das Risiko. Es entstehen durch reduzierte Informationsasymmetrien neue Institutionen im Kontext der Plattformökonomie. Dadurch wandeln sich Informationstransport, Informationsspeicherung und Informationsverarbeitung. Die Digitalisierung beeinflusst auch die Industriestruktur: Systemtreiber sind die Fähigkeit zur Kontrolle des Agenten und die Möglichkeit, Skaleneffekte zu realisieren. Es kommt zu einer Reintegration von Wertschöpfungsketten. Treiber sind die Finanz- und Schuldenkrise, die Störanfälligkeit von Lieferketten und die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts. In diesem Zusammenhang sind Zölle ein Mittel der politischen und wirtschaftlichen Rivalität. Unter zu erwartenden Konfliktbedingungen ist die Sicherung der Lieferkette entscheidend dafür, die Rivalität auszuhalten bzw. siegreich zu beenden. Die Staaten haben ein Dominanzproblem:  Die USA haben ein großes Leistungsbilanzdefizit (im Opiumkrieg hatte es England), China hat einen historischen Nachholbedarf (mandschurische Machtübernahme 1647, Opiumkrieg 1839). "Made in China 2025" soll die Hochtechnologie sichern aufgrund eines schuldengetriebenen Entwicklungsmodells. Im Grunde genommen will China sich weiterhin erfolgreich in der globalen Lieferverflechtung positionieren. Man kann dies in der "Crying Curve of Asia" darstellen. Freie Märkte sind nach diesem Modell auf dem Rückzug. Vgl. Ulrich Blum: Der Kampf um Wertschöpfungsketten: Krieg gegen den Freihandel? in: Wirtschaftsdienst 2018/10, S. 737ff. 

20. Industriepolitik: Der Mangel an großen deutschen IT - Konzernen birgt erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Zu diesem Schluss kommt auch eine Analyse der Beratungsfirma McKinsey 2019. Technologie-Konzerne mit über 100 Mrd. Dollar Börsenwert wie Google, Apple, Facebook oder Amazon hat Deutschland nicht, nur die SAP. Solche Konzerne sind aber ein zentraler Motor der globalen Wirtschaft und Gesellschaft. China hat dies strategisch genau erkannt und seit Jahrzehnten Gegenunternehmen aufgebaut, die eine vergleichbare Größe haben oder sogar größer sind (Tencent, Huawei, Alibaba, Baudu). Dafür gibt es laut McKinsey Gründe: Aufstrebende Technologieunternehmen brauchen drei Schlüsselfaktoren: Talent (hochkarätige Tech-Gründer und Mitarbeiter), Kapital (um Wachstum zu finanzieren) und günstige Marktbedingungen (optimales Umfeld). So gibt es 2019 eine Diskussion in Deutschland, ob eine Industriepolitik die Schwächen ausgleichen sollte. Dabei geht es um folgende Punkte: 1. Sollte die Politik national oder europäisch sein? 2. Sollten sich Deutschland und Frankreich mehr zusammentun? 3. Kann man ohne Protektionismus nicht mehr gegen die USA und China bestehen? 4. Welche Schwächen müssten konkret ausgeglichen werden? (Langfristigkeit, Kapitalmärkte in Deutschland, Wagniskapital,  Sicherheitsrelevanz, nationale Sicherheitsinteressen). 5. Härteres Verhandeln mit China ("Walk the Talk, "Level playing field"). 6. Rahmenbedingungen (Beihilfen, Ausschreibungen). 6. Braucht man Europäische Champions?

21. Volkswirtschaftslehre 4.0: Die letzten Abschnitte zeigen schon, dass Volkswirtschaftslehre in ihrer Bedeutung mit der Digitalisierung und Globalisierung stark ansteigt. Das zeigt sich auch konkret darin, dass die großen Tech - Firmen, insbesondere im Silicon Valley, ihre volkswirtschaftlichen Abteilungen massiv ausbauen. Sie sollen bei der Suche nach neuen Geschäftsmodellen helfen. Auf der anderen Seite bieten die Datenflut und die Plattformen Ökonomen neue Möglichkeiten, Theorien und Hypothesen zu testen. Die vorrangigsten Aufgabe der Volkswirte ist aber, Muster zu erkennen (Algorithmen), Szenarien durchzuspielen und neue Start - ups in ihren Strategien auszurichten. Daten können die Märkte und die Wirtschaft besser koordinieren. Die angewandten Hochschulen in Deutschland (frühere Fachhochschulen, oder die dualen Hochschulen) haben auf diesen Trend noch nicht reagiert. Sie handeln azyklisch. Die Mechanismen der Selbstverwaltung sind zu stark politisch (durch Finanzen) gegängelt und zu stark an den eigenen Berufszielen (oft Lebensqualität) ausgerichtet. Vgl. Buhse, Malte: VWL 4.0: Wie Wissenschaft und Techunternehmen voneinander lernen, in: Wirtschaftswoche, 50/ 2.12.16, S. 40f. Im Zeitalter der Digitalisierung nehmen Verteilungsfragen stark zu in allen Ländern. Wenn es nicht gelingt, Lohn und Arbeit zu entkoppeln, werden viele Menschen in Zukunft keinen Arbeitsplatz mehr finden (vgl. Mayer-Schönberger/ Ramge: Das Digital, Berlin 2017). Weiterhin könnte aber die Blockchain - Technologie  mehr möglich machen als nur Handel mit Krypto - Währungen. Es könnte eine neue Weltwirtschaftsordnung entstehen. "Die Digitalisierung vernichtet in Summe keine Jobs. Sie verändert Berufsbilder und die Ausbildung", SAP-Vorstand Bernd Leukert 2017 (s. Handelsblatt 24.01.17, S. 17). Auf diesem Gebiet geht die Entwicklung rasant weiter. Deshalb habe ich eine eigene Seite eingerichtet: Mecator/ digital.

"Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen, was du denkst", Alphabet-Chairman Eric Schmidt (Google, bis Dez 2017). "Wir erfüllen eine soziale Mission, indem wir die Welt offener, vernetzter und transparenter machen", Facebook-Chef Mark Zuckerberg 2015.

 

Die politische und ökonomische Wende in den USA und ihre Auswirkungen auf die Globalisierung ("Trumponomics/ biblischer Kapitalismus"; der globale Stellenwert der USA und der Kampf um die Weltvorherrschaft mit China; das langsame Ende der Nachkriegsordnung und der Anfang einer neuen Weltordnung weg vom Multilateralismus; der Abstieg einer Supermacht; Neustart unter Präsident Biden).

Trump - Tower in Chicago im Hafengebiet. Trump gewinnt im November 2016 entgegen allen Prognosen die Präsidentschaftswahl in den USA. Experten fürchten, dass die Welt dadurch an einem Wendepunkt ist. Die entscheidende Frage ist, was Trump von seinen Wahlversprechen in der Praxis umsetzt. Die Möglichkeiten dafür hat er mit seinen Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses. Die Zusammenstellung seiner "Mannschaft" lässt nichts Gutes vermuten. Chicago ist  auch die Heimatstadt von Barak Obama, dem Vorgänger von Trump. Obama hält dort am 10.01.2017 seine Abschiedsrede. Die Ortsgemeinde Kallstadt  in der Pfalz, aus der der Großvater von Trump in die USA auswanderte, verweigert mit einem Trick die Ehrenbürgerschaft für Trump. Trump bezeichnet Bad Dürkheim in einem Interview als "das echte Deutschland". 2018 gibt es Anzeichen, dass Trump bei seinem nächsten Europa-Aufenthalt Kallstadt besuchen könnte. Der US-Generalkonsul Herman inspiziert das Geburtshaus des Großvaters Friedrich (Kallstadt, Freinsheimer Straße; 1869 geboren als Sohn von Joannes Trump und Katharina Trump; die Familie besaß ein kleines Weingut). In der Heimat heiratete Friedrich noch Elisabeth Christ und zog mit ihr in die USA. Weil er durch die Auswanderung 1885 seinen Wehrdienst nicht ableisten musste, konnte er später kein deutscher Staatsbürger mehr werden (seine Frau hatte Heimweh). Er wurde mit Restaurants und einem Bordell  im Nordwesten der USA (Monte Christo bei Seattle) und in der Goldgräber-Region am Yukon in Kanada  reich. Der Besuch von Trump könnte zusammen mit Rammstein erfolgen. Beim G7-Treffen im August 2019 stellt Trump einen Deutschland -Besuch noch 2019 in Aussicht, der aber dann doch nicht kommt. Auch andere berühmte US-Amerikaner stammen aus der Region (Vater der Marx Brothers aus Mertzwiller/ Elsass; Heinz (Ketchup) ebenfalls aus Kallstadt. Prof. Georg Hollerith wanderte 1848 aus Großfischlingen in der Pfalz in die USA aus. Sein Sohn Hermann (1860-1929) entwickelte die erste Apparatur zum Auswerten von gestanzten Lochkarten, welche erfolgreich für die damalige Volkszählung in den USA eingesetzt wurde. 1896 gründete er die erste Fabrik für Datenverarbeitungsmaschinen, die Weltfirma IBM. Ehemalige Mitarbeiter von IBM gründeten dann viel später in Walldorf bei Heidelberg die Firma SAP. Die Vorfahren von Elvis Presley kamen aus Hochstadt (Namen Pressler). Die "Mutter der New York Times" Bertha Levy kam aus Landau/ Pfalz. Weil sie sich an der badischen Revolution von 1848/49  beteiligt hatte, musste sie in die USA fliehen. Ihr Sohn Adolph Ochs-Levy gründete die New York Times. Der Stammbaum des berühmten Schauspielers Marlon Brando, der 2024 vor 100 Jahren geboren wurde, hat seine Wurzeln auch in der Pfalz. Ca. 40 Mio. Deutsch - Amerikaner leben in den USA, vornehmlich in den Bundesstaaten Ohio, Iowa oder Pennsylvania. Sie verhalfen Trump 2016 auch zum Sieg. Viele sind Anhänger von Freikirchen und Sekten (aus diesem Grunde waren sie neben der Armut auch aus Deutschland geflohen). Trump hatte zwei Talente, die ihm einen Wettbewerbsvorteil verschafften: 1. Skrupelloser Lügner. 2. Durchhaltevermögen mit Sturheit. Nachdem Trump die Präsidentenwahl 2020 verloren hat, gibt es Absetzungsbewegungen. So werden Straßennamen geändert, die nach ihm benannt wurden. In Ottawa,, Kanadas Hauptstadt, soll die "Trump Avenue" schnell umbenannt werden. 2024 findet der Parteitag der Demokraten mit der Nominierung des Präsidentschaftskandidaten in Chicago statt. 2024 kämpft die Stadt gegen den Regen. Bei Starkregen stehen schnell ganze Straße unter Wasser. Man baut ein gigantisches Abwassersystem. Hoffentlich schützt es gegen Überflutungen.

"Alle Handelsabkommen, die wir haben, sind schrecklich. Wir werden sie neu verhandeln", Donald Trump im Wahlkampf 2016.

"Wie viel schmerzlicher sind die Folgen von Wut als die Gründe dafür", Marc Aurel (römischer Kaiser, gestorben 180 n. Chr.).

"Ich fürchte, das Welthandelssystem wird grundsätzlich beschädigt, denn es hat auf der Rolle der USA als ultimativem Garanten basiert, der für Stabilität sorgt. Aber die USA sind nicht mehr stark genug. Nun, da wir uns einmal als unzuverlässiger Partner erwiesen haben, wird ein neuer, den Freihandel befürwortender Präsident den Schaden nicht mehr beheben können. Die Welt wird immer wissen, dass dieses Land wieder einen Donald Trump wählen kann" Paul Krugman, US-Ökonom, Nobelpreisträger 2008 (Quelle: Der Spiegel 2/2019, 5.1., S. 69).

0. Grunddaten als Rahmen  (Schwerpunkt Ökonomie): Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Erde und Träger der Leitwährung "Dollar" (19,391 Billionen $ BIP 2017). Mit 24,1% hat das Land den höchsten Anteil am Welt - BIP (China 18,5, EU-27 18,7%). Mit 325 Mio. Menschen haben die USA nach China und Indien die drittgrößte Bevölkerung der Welt. Trotzdem haben sie bis Mitte Oktober 2020 mehr Corona - Tote als China und Indien (217.000). Das größte ökonomische Problem sind die Schulden. Bis Anfang 2020 ist die Gesamtverschuldung auf 22,4 Billionen Dollar gewachsen, 2012 beträgt sie voraussichtlich 29,3 Bill. US-Dollar bis 2023 soll die Verschuldung voraussichtlich noch bei 17,5 Billionen $ liegen. Die verfassungsmäßige Höchstgrenze ist bei 14,3 Billionen $. Das Haushaltsdefizit liegt seit 2009 - nach der Finanzkrise - bei 10% des Bruttoinlandsprodukts, was das Dreifache der EU-Schuldengrenze darstellt und höher als bei Griechenland ist. Die Staatsschuldenquote liegt 2021 bei 134% (EU-27 92%; China 67%). Es gibt 50 Bundesstaaten. Hauptstadt ist Washington. Die Verfassung ist von 1789. Von großer Bedeutung ist das höchste Gericht der USA (Supreme Court), das über die Verfassung wacht. Präsident Trump sorgt dafür, dass die Mehrheit zu Gunsten der Republikaner am Ende seiner ersten Präsidentschaft bei 6:3 liegt. Das könnte noch eine große Rolle spielen, wenn es um die Legalität des Wahlverfahrens und des Wahlergebnisses geht, aber auch um den Stopp der Gesundheitsreform von Obama. 2019 beträgt der Handelsbilanzsaldo noch -864 Mrd. US-$, er ist durch die protektionistische Handelspolitik kaum zurück gegangen (2018: -880). Für das Jahr 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von nur +3,1% prognostiziert (China: 8,2%; EU-27 +5,0%).

Beim Gini - Koeffizienten, dem bekanntesten Maß für Einkommensverteilung, liegen die USA 2019 bei 0,42 (laut US-Census 2019 sogar bei 0,48). Der Wert ist höher als in China (0,39) oder der EU (0,30). 0 heißt völlige Gleichheit, 1 = völlige Ungleichheit. Beim Vermögen haben die reichsten 50 US-Bürger so viel wie 50% der US-Bürger (=165 Mio. Menschen), nämlich 2 Billionen US-Dollar. 2021 soll die Arbeitslosigkeit auf 7,3% steigen (2020 7,0% geschätzt; zum Vergleich: China: 3,6%, aber statistische Verzerrung!). All diese letzten Daten zeigen, in welcher Krise die US-Gesellschaft steckt und wie gespalten das Land ist. Quellen: Bloomberg, US-Census, IMF, Unctad. Die Wirtschaftsdaten sind am Ende der Wahlperiode auch nicht mehr gut: Die Arbeitslosequote ist gestiegen (Sept. 20 7,9%; sie sinkt leicht im November 2020; das Außenhandelsdefizit liegt bei 84 Mrd. $, der Protektionismus hat nichts gebracht; Die Staatsverschuldung ist auf 27,3 Billionen $ angestiegen /131%). Quellen: US Census, IWF.

Exkurs. Ist das politische System der USA noch zu retten? Viele Amerikaner glauben, das politische System der USA sei so konzipiert, dass es dem öffentlichen Interesse diene. Doch das ist nicht zutreffend. Es unterliegt den gleichen Anreizen und Kräften wie jede privatwirtschaftliche Branche. Leider har das zu einem ungesunden Wettbewerb geführt. Wahlen und Gesetzgebungsverfahren sind so gestaltet, dass das Duopol aus Republikanern und Demokraten gewinnt, während das öffentliche Interesse verliert. Das Wahlsystem und die Gesetzgebungsverfahren müssen sich deutlich verändern. Siehe Gehl, K. M./ Porter, M. E.: Wie das Politische System der USA zu retten ist, in: HBM Oktober 2020, S. 42ff. Besonders bei den Demokraten fällt auf, dass sie schon länger wichtige Probleme des Landes ignorieren: Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Sozialversicherung (Gesundheit), Verschuldung der Privathaushalte. Sie konzentrieren sich auf die wirtschaftsstarke und wohlhabende Bevölkerung der West- und Ostküste. Gerade bei den Verlierern der Globalisierung hatte Trump gepunktet (siehe oben). Eine liberalere Politik, die Chancengleichheit und mehr Einkommen für gute Leistung für die Mehrheit vertritt, scheint keine Mehrheiten in den USA zu haben. Das bis heute scharfsinnigste Buch über die Demokratie in den USA ist schon sehr alt: Alexis de Tocqueville (1805-1859), "Über die Demokratie in Amerika", 1835/ 1840. Er war im Auftrag der französischen Regierung in die USA gereist, um das Rechts- und politische System zu studieren. Er analysierte in seinem Buch das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit und die Grenzen der Gleichheit und das Ende des Mitleids. Er analysiert den Konflikt zwischen Ehre/ Bürgerarbeit und Geld. Es ist eines der meist rezitierten Werke der Sozialwissenschaften. Das US-Wahlsystem führt auch zu Apathie: Das Wahlleutesystem (Electoral College) ist antiquiert. Es stammt von den Gründervätern 1787. Es kam unter Druck und den damaligen Verhältnissen zustande. Die US-Verfassung lässt sich aber nur schwer ändern. Man braucht für einen Sieg mindestens 270 Wahlmänner ("The Winner takes it all", es gibt 538). Auch kleinere US-Staaten sollen zählen, was der tiefere Sinn dahinter ist.  Vgl. auch: Timothy Snyder: Die amerikanische Krankheit, Beck/ München 2020. Einzelne Bundesstaaten versuchen zunehmend 2021, Minderheiten per Gesetz beim Wählen zu behindern. Hier tun sich z. B. Die Republikaner in Georgia hervor. 2022 kommt heraus, dass Trump einen eigenwilligen Umgang mit Papier gepflegt hat. Er verstieß damit gegen Archivgesetze: Viele Papiere wurden zerrissen und die Toilette im Weißen Haus heruntergespült. Andere Unterlagen landeten auf seinem Landsitz in Florida. Sie müssen eigentlich im Nationalarchiv aufbewahrt werden.

Die Rechte Gefahr in den USA ist größer geworden. Besonders gefährlich sind die radikalen Milizen. Die größten sind die folgenden: 1. Oath Keepers. um die 3000 Mitglieder. 2. Proud Boys. Sie haben mindestens 1000 Mitglieder. 3. Boogaloo Bois. 4. Three Percenters. Die Supermacht USA bricht entlang ihrer Parteigrenzen auseinander - radikale Konservative wünschen das auch herbei. ein Indiz ist der so genannte Texit, ein Referendum für die Ablösung von Texas.

Exkurs. Die drei unberechenbaren Faktoren der USA: Wenn man die Geschichte der USA und ihre Weltpolitik seit dem 2. Weltkrieg analysiert, zeigen sich immer drei große Einflüsse, die in ihrer Wirkung nicht exakt eingeschätzt werden können: 1. Die Macht des industriell-militärischen Sektors, der seine eigenen Profitinteressen in den Vordergrund stellt. 2. Der Einfluss der Geheimdienste, von denen der CIA der dominierenste zu sein scheit. 3. Der Akteur Wallstreet, der neben Gewinn auch die Interessen des Staates Israel hervorhebt (Netzwerk jüdischer Organisationen und Finanzinvestoren). Es fehlt hier an Transparenz und Aufklärungswille der Medien. Wenn zwei oder drei dieser Machtzonen sich verbünden, wie vor dem Irakkrieg die Geheimdienste, die Wallstreet und der industrielle Komplex, haben die demokratischen Institutionen keine Chance mehr. Solche externen Effekte der Machtzentren begleiten den Koreakrieg, den Vietnamkrieg und viele andere Konflikte. Sie protegieren auch jeweils die Präsidenten, die sie haben wollen und vernichten die, die sie nicht brauchen können (Beispiel J. F. Kennedy). Im Folgenden sind einige Literaturstellen aufgeführt, die sich näher mit diesem Thema beschäftigen. Sie sollten Pflichtlektüre werden. L. Fletscher Prouty: JFK. Der CIA, der Vietnamkrieg und der Mord an John f. Kennedy, Wien 1993. Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien, Zürich 2016. Jim Garrison: Wer erschoss John f. Kennedy? Auf der Spur der Mörder von Dallas, Bergisch-Gladbach 1992. Robert Harris: Dictator, München 2015. Letzteres Buch ist eigentlich über Cicero und Rom. Es ist aber zeitlos vom Thema her: Wie lässt sich politische Freiheit gegen die Dreifachbedrohung aus skrupellosem Ehrgeiz, einem von Geld beherrschten Wahlsystem und den verderblichen Auswirkungen endloser Kriege im Ausland schützen? "Ich bin kein großer Anhänger der Demokratie. Der Kapitalismus ist sehr viel wichtiger als die Demokratie", Stephen Moore, Wirtschaftsberater von Donald Trump 2024.

1. Die Wende und ihre Ursachen: a) Politik als Business: Im amerikanischen Wahlkampf 2016 betreibt Trump die Politik als Geschäftsmodell. Ausgrenzung, Hass und Beleidigung werden als Wahlkampfinstrument eingesetzt, um die Zielgruppen zu erreichen, die die Wahl entscheiden (z. B. "angry white males"). Insgesamt die "lower white middle class", die sich benachteiligt, beleidigt, erniedrigt und vergessen fühlt. Gleichzeitig hat Trump viele Reiche und Eliten angesprochen. Es wurden systematisch die Voraussetzungen ausgenutzt, von denen ein demokratischer Staat lebt.  Die Methode könnte Schule machen. In Deutschland könnte ein Wahlkämpfer die verarmten Rentner ködern. b) Populismus: In Europa ist die EU bedroht (Frankreich, Großbritannien). In den USA hat Trump damit die Wahl gewonnen. Der Populismus besteht aus folgenden sieben Elementen: 1. "Wir sind das Volk". 2. Abgrenzung. 3. Vereinfachung. 4. Die Ordnung der Welt wiederherstellen. 5. Tabus brechen. 6. Feinde benennen. 7. Gefühle und Emotionen ansprechen. Vgl. Gauweiler, R./ Schmitt, M.: Volkes Stimme, in: Rheinpfalz 13. November 2016, S. 3. Harvard-Ökonomen entwickeln nach der Wahl Modelle, die die Wahl eines unfähigen Präsidenten erklären sollen (DiTella, Rotemberg, Krugman, Buchanan). Aus psychologischen Gründen wird Inkompetenz nachgefragt. Menschen in ländlichen Regionen und gering qualifizierte Weiße bevorzugen diese Attribute. Die Wähler erwarten auch, dass Politiker normalerweise die Wählerinteressen missachten und Eliteinteressen bedienen. Mit einem Kandidaten geringer Kompetenz glauben die Bürger hier besser zu fahren. In der Handelspolitik macht die Wahl auch Sinn. Freihandel in der Globalisierung schadet vor allem den gering Qualifizierten. 80 Prozent des weißen Mittelstands glaubten vor der Wahl, dass die USA auf einem falschen Weg seien. Man könnte die Ideologie des Trumpismus auch historisch einordnen: Sie ruht auf den Pfeilern von Nationalismus, evangelischer Religion und einer Betonung der ethnischen Identität - alles Elemente, die über starke Traditionslinien in der Geschichte der USA verankert sind. Vgl. Katzenstein, Peter J.: Das Problem heißt nicht Donald Trump, in: WZB Mitteilungen, Heft 164, Juni 2019, S. 7.  "Das weiße Amerika hat sich das Land zurückerobert....In Trump hat es einen radikalen, charismatischen Führer gefunden, der den Widerstand gegen die multikulturelle Moderne vereinen soll", s. Der Spiegel, 46/ 2016, S. 3. Die Wahlforscher haben den Wahlausgang falsch prognostiziert. Ausnahme war Arie Kapteyn von der University of Southern California, Los Angeles. Wahrscheinlich beruhen die falschen Vorhersagen auf dem traditionellen Einsatz von Telefoninterviews. Über Festnetznummern erreicht man fast nur noch ältere Menschen.

2019 rückt immer mehr der nächste Wahlkampf in den Mittelpunkt. Trump will wieder für die Republikaner antreten. Viele außenpolitische Entscheidungen scheinen auch davon beeinflusst zu sein (z. B. Konflikt mit Iran). Dabei zieht auch wieder ein neuer Skandal auf: Es geht um Ukraine-Kontakte. Trump soll den dortigen Präsidenten zu etwas gedrängt haben, was ihm im Wahlkampf nutzen könnte (Material gegen den Biden-Sohn Hunter, der in der Ukraine gearbeitet hat, und damit gegen Joe Biden selbst). Dabei versuchte er möglicherweise Militärhilfe in Höhe von 250 Mio. $ als Pfand einzusetzen. Die entscheidende Frage ist, war es nur die Bitte um einen Gefallen oder ein Verbrechen. Die Demokraten prüfen wieder mal ein Amtsenthebungsverfahren, weil sie von letzterem ausgehen. Geheimdienstmitarbeiter bringen Trump weiter in Bedrängnis, weil Informationen vertuscht werden sollten. Trumps Sprecherin wirft den Demokraten Hysterie vor. Donald Trump fordert im Oktober 2019 auch China auf, gegen Biden zu ermitteln.

2. Widerstand der "schweigenden Mehrheit" und der Verlierer gegen die Globalisierung und Zweifel an Trump: Nicht nur in den USA wächst der Widerstand gegen die übermächtigen Konzerne, die chaotischen Finanzmärkte und die Ungleichheit in der Gesellschaft. Die großen multinationalen Unternehmen wissen mit ihrem Geld, das sie als Profit verdienen, nichts produktives anzufangen. Sie nutzen global rechtsfreie Räume aus. Die Entkopplung des Geldsystems von der realen Wirtschaft geht weiter. Die Schulden steigen in allen Ländern, vor allem in den Schwellenländern, dramatisch an. Der Beitrag der Finanzmärkte zum Wachstum ist unklar, aber die Kosten werden immer mehr sichtbar. Steuerparadiese werden von ihnen systematisch genutzt. Die multinationalen Unternehmen, vor allem die aus den USA, parken dort 1,65 Billionen Dollar (Quelle: Citizens for Tax Justice, Der Spiegel 46/ 2016, S. 62). Die Einkommensungleichheit hat sich weltweit vergrößert (Gini - Koeffzient in den USA von 1985 bis 2014 +6 Prozentpunkte auf 40%; völlige Gleichheit 0, Quelle: OECD) Die Verlierer der Globalisierung sehnen sich nach Abschottung. Für sie ist es der richtige Weg, um ihren früheren Wohlstand wiederzugewinnen. Wichtigstes Motto scheint "America first" zu sein ("Make America Great Again"). Die USA soll mehr zählen als Freihandel und globale Kooperation. Der Populismus bedroht damit den Freihandel und die Globalisierung. "Abgehängte" und Verlierer der Globalisierung wollen Protektionismus und die Uhr zurückdrehen. Der Wahlkampf zeigt: Je mehr Informationen über Wähler existieren, desto direkter können Politiker sie ansprechen (Big Data). Sehr viel wird darüber diskutiert, dass Trumps Schwiegersohn Jared Kushner als Chef-Berater die rechte Hand des Präsidenten im Weißen Haus wird. Man spricht von Familienclan und zahlreichen Interessenskonflikten (chinesischer Versicherungskonzern, jüdische Verbände und Banken). Kushner wird später sogar an die Spitze eines neuen Büros für Innovation gestellt, was die Aufgabe hat, den Regierungsapparat zu reformieren ("soll wie eine große US-Firma geführt werden"). Seine Immobilienfirma will Trump seinen beiden Söhnen übertragen. Aber auch nach Amtsantritt scheinen die Geschäfte der Familie am wichtigsten zu sein ("Business first"). Die Kaufhauskette Nordstrom hatte eine Modekollektion der Trump - Tochter Ivanka aus dem Sortiment genommen. Ivanka macht bei offiziellen Anlässen Werbung für ihre Kollektion. Trump twittert in ihrem Sinne. Beim Besuch des chinesischen Präsidenten Xi lässt sie ihre Kinder in Mandarin singen und bekommt prompt drei Markenrechte in China (sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin, Modell und Unternehmerin und wichtigste Beraterin von Trump, setzt sich für Frauen in der Arbeitswelt und Familienfragen ein; Teilnehmerin am G20-Gipfel in Berlin). Kurz vor Antritt der Präsidentschaft muss sich Trump gegen Vorwürfe verteidigen, dass der russische Geheimdienst ihn in der Hand habe. Ein weiterer Vorwurf ist, dass russische Hacker das Wahlergebnis zugunsten von Trump beeinflusst hätten. Sein Sicherheitsberater Michael Flynn muss zurücktreten, weil er in einem Telefonat mit Russland mildere Sanktionen verspricht und danach leugnet. Trump hat Mühe, einen Nachfolger zu finden.  Das FBI ermittelt weiter wegen der Kontakte des Wahlkampfteams mit Russland. Im Mai 17 entlässt Trump den FBI-Chef Comey. Das ist wegen der Ermittlungen des russischen Einflusses auf die Wahl brisant (Trump nennt schlechte Arbeit als Grund; er wollte aber Ermittlungen gegen M. Flynn einstellen lassen). Es wird ein Sonderermittler eingesetzt (früherer FBI-Chef Robert Mueller). Im Mai 2017 gibt Trump zu, auch Schulden in Russland zu haben. Im gleichen Monat muss er sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Staatsgeheimnisse an den russischen Außenminister verraten zu haben (Putin bietet Veröffentlichung an). Im Juli gerät der Sohn Trumps schwer unter Druck. Er hatte Kontakte mit Russen im US-Wahlkampf (Material gegen Clinton). Am liebsten äußert sich Trump über Twitter, ungern in Pressekonferenzen. Dabei stellt er immer Ausspionierung von Trump durch Obama). Auf Pressekonferenzen tritt er wie ein Märchenkönig auf (spricht mehr über die Presse und wendet sich an sein Wahlvolk mit alternativen Fakten). Kommunikationschef Anthony Scaramucci muss gehen (Ratgeberbuch: Hopping over the Rabbit Hole). Im März 2018 wird Vize-FBI-Chef McCabe zwei Tage vor der Pensionierung entlassen.   "Die Anhänger der Globalisierung haben die amerikanische Arbeiterklasse ausgenommen und eine Mittelschicht in Asien geschaffen. Ich bin kein weißer Nationalist, ich bin ein Nationalist. Ich bin ein Wirtschaftsnationalist", Steve Bannon, Chefstratege unter Trump ("Finsternis ist gut"; viele bezeichnen ihn als heimlichen US-Präsident). Zumindest ist er der Chefideologe von Trump ("das Gehirn des Präsidenten"; hat "Breitbart" aufgebaut) und will die alte Ordnung der USA zerstören. Im August 2017 muss Bannon gehen. Er und Michael Flynn, der Sicherheitsberater, sind ständiger Gast im Oval Office (auch Sitz im National Security Council; Flynn muss zurücktreten). Später wird er sogar angeklagt wegen Falschaussage. Nachfolger als nationaler Sicherheitsberater wird H. R. McMaster. Am 22.03.18 wird auch der gefeuert.  Es folgt John Bolton ("Falke", hat sich für Krieg gegen Iran und Nord-Korea ausgesprochen). Auch Stabschef John Kelly muss gehen. Im April 17 verliert Bannon seinen Sitz im Sicherheitsrat. Anfang 2018 beschuldigt er Trump wegen der Kontakte zu Russland (in dem Buch "Fire and Fury: Inside the Trump White House" von Michael Wolff). Damit hat Bannon mit einem Tabu gebrochen und schlechtes über den Trump-Clan gesagt. Trump meint, dass Bannon den Verstand verloren habe. Trump erklärt sich zum Genie. Er könnte aber so seine nationalistische Basis verlieren. Bannon verlässt danach Breitbart News. 2024 kämpft Bannon wieder für eine nationalpopulistische Revolution in den USA ("Revolutionen sind immer chaotisch", Steve Bannon, 2024). "Ich will Präsident aller Amerikaner sein, das ist wichtig für mich. Die vergessenen Menschen sollen nicht länger vergessen sein. Wir müssen das Schicksal des Landes wieder in die Hand nehmen", Donald Trump. "Blender, Hochstapler und Möchtegerndiktator. Ich persönlich glaube, dass er scheitern wird", George Soros, US-Investor über D. Trump. Der Palm Golf Club in Florida, der Trump gehört erhöht die Aufnahmegebühr auf 200.000 $ und wird zum Regierungsnebensitz. Trumps Flüge dorthin kosten den Steuerzahler Millionen Dollar. Im Mai 2017 erscheint das Buch "The Sum of Small Things" der Soziologin Elisabeth Currid-Halkett (University of Southern California). Sie untersucht die Frage, warum die Trump - Wähler die Elite hassen (mangelnde Chancengleichheit!). Im März 2018 muss die junge Kommunikationsdirektorin Hope Hicks gehen (29 Jahre, Ex-Modell, ist durch viele brisante Notlügen aufgefallen).

Exkurs. Die US-Kultur und Gesellschaft: Obama wollte die Spaltungen überwinden und ist letztlich gescheitert. Trump sieht und sah die Spaltung nicht als Herausforderung, sondern als Chance für seine Wahlkämpfe. Die Amerikaner geben ihr Geld mehr für Waffen als für Sozialleistungen oder frei zugängliche Bildung aus. Wir haben uns immer auf den militärischen Schutz der USA verlassen. Das Individuum ist immer noch alles. Insofern ist der amerikanische Traum nicht tot. Aber er ist inzwischen mehr eine Ideologie. Aber die Gesellschaft leidet an ihrer inneren Schwäche. Viele soziale Bereiche sind unterfinanziert. Kein  Land der Welt sperrt so viele Bürger ins Gefängnis (629 Einwohner auf 100.000 Einwohner). Bildung ist eine alleinige Frage des Geldes. Die gesellschaftlichen Defizite führen zu finanziellen Defiziten und umgekehrt. Wenn der Dollar irgendwann nicht mehr akzeptiert wird (z. B. auch von Chinesen, die der größte ausländische Gläubiger sind), bricht das Kartenhaus zusammen. Politisch sind die USA gespalten, weil sich die republikanische Partei auch von religiösen Ideologien leiten lässt (Abtreibung). Innere wirtschaftliche Schwäche ist gepaart mit internen Kämpfen. Biden konnte bisher die Hoffnung nicht erfüllen. Vgl. Wiebe, Frank: Amerikas (Alb)traum, in: HB Nr. 155/ 12./ 13./ 14. August 2022, S. 16f. Die Rassenunruhen in USA 2020 empfehlen ein Buch von Philip Roth: Der menschliche Makel. Es gibt meines Wissens nach kein besseres Buch zu dem Thema. Gleichzeitig erfährt man viel Interessantes zu der Kultur amerikanischer Hochschulen. Vieles kann man auch auf Deutschland übertragen (Gender, Diskriminierung). 2020 gerät der deutsche Ökonom Harald Uhlig unter Druck. Er lehrt an der Uni Chicago. Er soll sich angeblich rassistisch geäußert haben (Kommentar zur Protestbewegung "Black Life Matters"). Er geht um seine Äußerung über Twitter, in der er sich gegen einen Finanzierungstopp bei der Polizei aussprach ("Drückt Euch aus! Habt Spaß! Aber macht nichts kaputt, ok?", wird als herablassend empfunden). Uhlig war aber schon vorher mehrmals negativ aufgefallen. Die Uni untersucht unter anderem einen Vorwurf, er habe eine Vorlesung auf dem Martin Luther King-Tag verlegt und sich darüber lustig gemacht. Es taucht auch die Frage auf, ob die Ökonomie eine "weiße Wissenschaft" sei (Menschenbild). Uhlig muss die Rolle als Chef-Herausgeber des Journal of Political Economy aufgeben. Siehe auch: "Tragisches Missverständnis, in: Die Zeit 26, 18. Juni 2020, S. 26. Von Philip Roth kann ich weiteres Buch empfehlen: Amerikanisches Idyll, Hamburg (Rowohlt) 2020 (21. Auflage). Es ist eine Klage über die in diesem Jahrhundert gegebnen Versprechen von Wohlstand, öffentlicher Ordnung und häuslichem Glück. Die Hauptfigur ist Swede Levov, ein legendärer Sportler an der Highschool in Newark. Für dieses Buch erhielt Roth den Pulitzer-Preis. Gegen Philip Roth ist John Steinbeck, der andere große Autor über die Kultur der USA, eher oberflächlicher. Trotzdem sind seine Bücher immer noch lesenswert, vor allem "Die Straße der Ölsardinen" (über Monterey, südlich von San Francisco). Es gibt weitere interessante Bücher zum Thema: Bret Easton Ellis: American Psycho, 1991. Er beschreibt die Grandiosität und die Verkommenheit amerikanischer Alltagskultur mit besonderer Sensibilität gegenüber Gewalt. Sehr lesenswert ist auch das Buch eines deutschen Soziologen (verstorben, Lehrstuhl an der Uni Köln): E. K. Scheuch: USA - ein maroder Gigant, Freiburg 1992. 2024 sind die US-Unis im Ausnahmezustand. Der pro-palästinensische Protest an amerikanischen Universitäten breitet sich rasant aus. Einer der Zentren ist die Columbia - University in New York. Aus Sorge vor antisemitischen Auswüchsen reagieren die Hochschulleitungen mit fragwürdiger Härte. Mit zum Hintergrund gehört auch, dass   die reichen Elite-Unis (Harvard, MIT, Yale, Standfort) mit von reichen Arabern finanziert werden. "Ich erwarte am Ende einen großen Knall, der alles erklärt", Quentin Tarantino.

Exkurs. Wokeismus: In den USA greift 2023 eine Ideologie um sich, die gesellschaftliche Konflikte zu lösen behauptet. Die Bewegung ist ein sehr diffuses Phänomen. Es gibt viele Zweige an ihrem Baum, die alle dieselben Wurzeln und dasselbe Endziel haben: eine antiwestliche Utopie. Die unterschiedlichen Denker berufen sich sogar auf Marx, Hegel, Nietzsche und die Frankfurter Schule. Doch liegen die Wurzeln eher bei Michel Foucault oder Jacques Derida. Der Erfolg hat viele Gründe: Missstände werden angeprangert, die Klimakatastrophe, der Kapitalismus. Hinzu kommt ein extremer Gender -Aktivismus. Vgl. Ayaan Hirsi Ali: Der Wokeismus verfolgt zerstörerische Ziele, in: NZZ 19.7.23, S. 8f.

Exkurs. Taylor Swift: Die Sängerin ist ein weltweites Phänomen. Ihre Wurzeln liegen in der Countrymusik (eigenes Zimmer in der Hall of Fame für Country in Nashville; sie stammt auch aus und wohnt in Nashville). Sie hat schon als Kind mit 8 Jahren angefangen und hatte schon als Jugendliche Erfolge (geboren 1989). Die Popikone bricht alle Rekorde. Das gilt für Preisverleihungen, Ticketverkäufe und in den Charts (die Liste ihrer Liebhaber und Teilzeitlebensgefährten ist auch lang). Der Superstar beeinflusst auch die Einstellungen der Menschen. Mittlerweile ist sie auch politisch sehr aktiv. Die Universität Melbourne will das Phänomen wissenschaftlich untersuchen. Es findet ein "Swiftposium" statt (3 Tage im Februar 24). Auch an anderen Unis wird die Sängerin behandelt (USA, Belgien). Sie hat in den USA ein Vermarktungsimperium aufgebaut. Sie prägt die heutige Musikwelt. Mit 101 Mio. Hörer pro Monat liegt sie bei Spotify an der Spitze. 130 Mio. $ setzte ihr Film über die  Eras-Tour um. 10 Songs von ihr lagen Ende 22 zugleich an der Spitze der Verkaufscharts. Die höchsten Einnahmen kommen aber aus der Werbung (Getränke, Kreditkarten, Kameras). Den Eras-Film (im neuen Sofi - Stadium in Los Angeles aufgenommen, 70.000 Zuschauer) hat sie selbst produziert. Wenn man den Film gesehen hat, versteht man sofort ihre Position. Ich habe noch nie eine so perfekte Musikern gesehen (viele Musikrichtungen, komponiert und textet selbst immer mit, sie spielt Klavier und Gitarre, Tanz, Bewegung, Ausdruck, Mimik, Stimme, Stimmlagen, Authentisch). Sie scheint auch eine ungeheure Aura zu haben (so ihr Freund von 2023 Trevis Kelce im Wall Street Journal). Swift wird 2023 vom US-Magazin "Time" zur Person des Jahres gewählt. "Niemand anders auf diesem Planeten kann heutzutage so viele Menschen so gut bewegen". Sogar die Beziehung zu Kelce nützt beiden vom Marketing her. So bleiben sie ständig in der Öffentlichkeit. 2024 tauchen Nacktbilder von Swift in den sozialen Medien auf, die Fakes sind (mit KI gemacht). X sperrt deshalb vorübergehend den Namen. Taylor könnte auch zum entscheidenden Faktor in der US-Präsidentenwahl werden. Von den Republikanern aus versucht man sie schon zu demontieren. Wenn sie sich eindeutig auf die Seite der Demokraten schlägt (wie schon mal im eigenen Bundesstaat), könnten die Republikaner viele jungen Wähler, Unabhängige und Wechselwähler verlieren.  Man spricht schon vom Taylor-Swift-Effekt. Sie ist auch zu einer politischen Figur geworden. Im Januar 2024 gewinnt sie den Grammy für das beste Album des Jahres zum vierten Mal, wieder ein neuer Rekord. Swift kommt aus Tokio zum Super Bowle in Las Vegas, das Kansas City gewinnt. Sie wird im Fernsehen dauernd gezeigt. In Australien in der Universität Melbourne findet ein dreitätiges Symposion über die Wirkung von Taylor Swift statt. Gleichzeitig, Mitte Februar, gastiert Swift in Melbourne. Ihr Freund Kelce macht in einem Film mit und profitiert dabei vom Klimaschutzprogramm der US-Regierung. Im April 2024 bringt Swift ihr fünftes Album innerhalb von fünf Jahren: The Tortured Poets Department. Vgl. auch: Stelzer, Tanja: Warum ausgerechnet sie? in: Die Zeit 29/ 4.7.24, S. 11ff. Berühmte Songs von Swift sind: Love Story von 2008 (Romeo und Julia nacherzählt), Long Live von 2010 (es ist die Hymne der Swifties). All Too Well von 2012. Ihr erster US-Nummer-Eins-Hit war "We Are Never Ever Getting Back Together". Die Liste der Ex-Freunde ist lang. Über jeden hat sie ein Lied geschrieben. Das beste ist vielleicht dieses über Jake Gyllenhaal. Shake it off von 2014 (hier kappte sie endgültig ihre Country-Wurzeln). Lover von 2019 (ihr bekanntestes Liebeslied). Vgl. Der Spiegel 28/ 6.7.24, S. 104. Am 17. Juli 2024 startet ihre Deutschland-Tour (die letzte vor 9 Jahren). Sie tritt in Gelsenkirchen, Hamburg und München auf. Sie ist mittlerweile ein einmaliges Pop-Phänomen (junger, weiblicher, amerikanischer Traum). Im September 2024 spricht sie sich für eine Unterstützung der Präsidentschaftskandidatin Harris aus. Das könnte viele junge Wähler für Harris bringen.

3. Die innenpolitischen, insbesondere wirtschaftlichen, Pläne der Trump - Administration, dann Neustart unter Biden: Bisher erscheinen Trumps ökonomische Vorhaben als kruder Mix. Mit vielen Milliarden will er Infrastruktur und Militär ausbauen (im ersten Haushalt vom März 2017 Militär +10%; Grenzsicherung +7%) , um die Konjunktur anzukurbeln. Der US-Militäretat soll massiv erhöht werden (+10%). Die Mittel für die Vereinten Nationen und Entwicklungshilfe sollen stark gekürzt werden (bisher tragen die USA 22% der UN). Das wird dazu führen, dass auch andere Staaten, vor allem China den Militärhaushalt erhöhen. Es kommen auch spezielle  Konjunktur-Programme. Die will er mit privatem Geld machen, so es reicht. Die extrem hohe Staatsverschuldung wird aber wahrscheinlich weiter anwachsen. Im Kongress kann  Trump im Mai 2017 seine Haushaltsforderungen nicht ganz durchsetzen. Gleichzeit plant Trump, die Steuern zu senken.  Neuer Finanzminister wird Mnuchin (Ex-Goldman Sachs, Hedgefonds Dune Capital, Finanzmanager des Wahlkampfs; windiger Profiteur der Immobilienkrise 2008), der eine große Steuerreform plant. Er will unter anderem  die Unternehmenssteuern halbieren auf 15%. Außerdem plant er eine radikale Unternehmenssteuerreform: Sie zielt auf eine cashflow-basierte Besteuerung nach dem Bestimmungslandprinzip, wie es in der EU für die Mehrwertsteuer gilt. Das hätte große Auswirkungen auf andere Länder, auch die EU. In der Tat soll die Senkung der Unternehmenssteuern ab August 2017 kommen. Die Körperschaftsteuer soll von 35 auf 15% gesenkt werden. Das würde einen härteren Wettbewerb um Unternehmen auslösen, zumal GB nach dem Brexit auch eine deutliche Senkung plant. Dabei sind die Unternehmen nicht das schwächste Glied in der US-Wirtschaftskette, viel schwächer sind die Arbeitnehmer. Weiterhin ist eine "Border Adjustment Tax" angedacht. Hiernach sollen Exporte steuerfrei bleiben und Importe nicht steuerlich absetzbar sein. Das wäre eine Anti-Globalisierungssteuer und stark protektionistisch. Mit einem Dekret im April 2017 ordnet Trump die Überprüfung vieler bestehender Steuerregeln an. Damit soll einer Steuerreform der Weg geebnet werden (Entlastung von Mittelklasse und Unternehmen). Kern bleibt die "Destination-Based Cash Flow Tax" (DBCFT). Man muss aber abwarten, was tatsächlich kommt. Vielleicht soll nur der Mehrwertsteuer in den USA der Weg freigemacht werden. Ende April werden die Eckpunkte der Steuerreform klarer: Unternehmenssteuern von 35% auf 20% senken (unter den Durchschnitt der Industriestaaten (22,6%). Einkommenssteuer runter. Erbschaftssteuer abschaffen. Keine Grenzausgleichssteuer. Evtl. Mehrwertsteuer. Doch erst muss Trump die Mehrheit der Republikaner hinter sich bringen. Im Senat scheint er das zu schaffen. In den USA wird Anfang Dezember 2017 die historische Steuerreform vom Senat gebilligt (es müssen noch Repräsentantenhaus und Präsident folgen, aber wohl sicher): Senkung der Körperschaftssteuer von 35 auf 21 Prozent. Nach Berechnungen erhöht sich dadurch in zehn Jahren das Staatsdefizit um eine Billion Dollar.  Zusätzlich sollen konzerninterne Importe mit einer Sondersteuer belegt werden. Diese soll zwischen 10 und 20 Prozent liegen. Die Importbesteuerung würde die deutsche Wirtschaft hart treffen. Zusätzlich könnte kommen, dass bestimmte Betriebsausgaben (für Lizenzen, Motorenteile aus dem Ausland) nicht mehr geltend gemacht werden können. Am 20.12.2017 wird die Steuerreform beschlossen.  Noch Januar 17 erlässt Trump weiterhin ein Dekret, dass die Finanzmärkte wieder mehr dereguliert werden sollen (vor allem die Bankenregulierung nach 2008 soll aufgeweicht werden). Unter anderem geht es um höhere Eigenkapitalquoten, um eine Überschuldung zu verhindern. Nach der Trump - Administration behindert das Gesetz die Kreditvergabe. Die Korrekturen an den Bankenregeln (Dodd-Frank-Act) würde zu transatlantischen Wettbewerbsverzerrungen führen und zu Lasten Europas gehen. Der radikale Umbau des Finanzsystems konkretisiert sich immer mehr: Die Aufsichtsbehörde FDIC hat vorgeschlagen, die Finanzinstitute ganz von strengen Regeln zu befreien. Der neue Vize-Chef der Fed Randal Quarles folgt dem Anfang Dezember 2017. Eine Deregulierung des Bankensektors scheint bevor zu stehen.  ("Wir könnten Tausende an Regeln streichen, die die Banken bremsen", Thomas Hoenig, Vize-Chef der US-Einlagensicherung). Das traditionelle Bankgeschäft soll vom Investmentbanking getrennt werden. Das Trennbanksystem wurde 1930 in der Weltwirtschaftskrise eingeführt. 1999 wurde das Gesetz unter Bill Clinton aufgehoben (viele Experten sehen darin die Ursache der Finanzkrise 2008). Damit würde die US-Regierung auf einem wichtigen Politikfeld die internationale Kooperation aufkündigen (Ebene der G20). Der Ausbau der Infrastruktur und ihre Finanzierung erfordert Anleihen und Zwischenfinanzierungen, was der Wallstreet auch zugute kommt. Kernregelungen von Dott-Franck sind: 1. Effektive Finanzaufsicht, 2. Regulierungen der Finanzmärkte, 3. Schutz der Verbraucher und Investoren vor "Schwarzen Schafen" bei den Finanz - Dienstleistern, 4.  Werkzeuge für die Regierung, 5. Internationale Kooperation. Notenbanken in Europa warnen vor Deregulierung von Finanzinstituten.  Ökonomisch ist das Wirtschaftsprogramm eigentlich unmöglich. Außerdem käme dies in erster Linie den Reichen zugute ("Selbstbereicherungsprogramm für die alten Eliten"). Viele Experten rechnen daher mit einem Anstieg der Inflation ("Trumpflation"). Damit könnte der Druck auf die Fed, die amerikanische Notenbank, steigen, im Dezember die Leitzinsen anzuheben. Dies geschieht auch an 14.12.16 (auf 0,5 bis 0,75% angehoben). Danach kündigt Yellen schon weitere Erhöhungen an (Risiko einer überhitzten Wirtschaft). Dann wird Fed-Chefin Yanet Yellen wahrscheinlich 2018 ausgewechselt werden. Ein neuer Notenbankchef würde sich wahrscheinlich eher passiv verhalten (Powell). Dann würde ein Boom mit Inflation entstehen (zum Schaden der Armen). "Trumponomics" ähnelt in den Grundzügen "Reagonomics". Was die USA eigentlich brauchen, ist eine Umverteilung. Das ist aber ein Unwort in der amerikanischen Politik. Umverteilt werden müssten zumindest die ökonomischen Anreize (die Menschen sind ja nicht arm, weil sie faul sind; der "American Dream" müsste wiederhergestellt werden: jeder, der hart arbeitet, kann es nach oben schaffen).  Auch das Sozialsystem müsste dringend verbessert werden. Erziehungsministerin wird Betsy DeVos, die gegen staatliche Finanzierung von Schulen ist. Chef des nationalen Wirtschaftsrats wird Gary Cohn, leitender Geschäftsführer bei Goldman Sachs. Damit scheint die Bank zukünftig die Welt zu beherrschen ("Goldmänner" Bannon, Mnuchin, Cohn). Die Prognosen für die US-Wirtschaft für 2017 sind positiv: Die Wachstumsprognose liegt bei 2,3% (OECD). Die ALQ dürfte weit unter 5% liegen. Die Inflation könnte 2,3% erreichen (IWF). Dann würden weitere Zinserhöhungen folgen. Im April 2017 unterschreibt Trump das Dekret "Buy American, Hire American". US-Firmen sollen bei der Vergabe von Regierungsaufträgen bevorzugt werden. Angeblicher Missbrauch bei der Vergabe von Arbeits-Visa soll abgeschafft werden.  "Ich bin ein Macher und hasse die Bürokratie", D. Trump. Dabei wird er massiv vom ultraliberalen Hedgefonds-Manager Robert Mercer unterstützt. Zunächst mit viel Geld. Dann mit Netzwerken (erzkonservativer Juristenbund Federalist Society, Waffenlobbyistenverein NRA, auch Investition in Breitbart). Das Vermögen von Trump beläuft sich auf 1,4 Mrd. Dollar. 300 Mio. Dollar Schulden hat er, allein 130 Mio. Dollar bei der Deutschen Bank. Trump hat ein halbes Dutzend Goldman-Sachs-Banker in seine Mannschaft geholt. Die helfen prompt, den Banken mehr Freiheit zu geben. Trump nutzt fleißig sein Amt, um seinen Immobilien zu nutzen. Er pendelt ständig zwischen verschiedenen Golfplätzen, die sich über zunehmende Gäste und Preise freuen.

Im August 2017 gibt es Krawalle in Charlottesville/ Virginia. Rechtsextreme ("White Supremacy"; "Alt Right", "Vereinigt die Rechte") protestieren für ein Denkmal eines Südstaatengenerals (Robert E. Lee). Es kommt auch zu Zusammenstößen mit Demokraten und Bürgerrechtlern mit Toten. Der Ausnahmezustand muss verhängt werden. Trump verurteilt nicht klar den Rassismus, weil ihn die Rechten massiv unterstützen. Sogar Republikaner kritisieren das Verhalten des Präsidenten.  Später verurteilt Trump rassistische und antisemitische Gewalt auf Druck hin (auch seiner Partei), macht aber dann wieder eine Kehrtwende. Bannon, der als rechter Chefideologe gilt, muss das Weiße Haus verlassen (er hat sich aber gegen einen Krieg mit Nordkorea ausgesprochen).

Die Verschlüsselung des Datenverkehrs (Google, Apple, Facebook) soll auch aufgehoben werden, um mehr Kontrolle zu erreichen. Außerdem will Trump einen großen Teil der Migranten zurückschicken (1,2 Mio.?). Von diesen billigen Arbeitskräften profitieren die großen amerikanischen Internetkonzerne wie Google, Apple, Amazon und Facebook. Folglich sind die Aktienkurse dieser Unternehmen kurz vor und zu Beginn der Präsidentschaft um durchschnittlich 5% gesunken. Die führenden Manager der Internetkonzerne (Sandberg, Pichai, Chesky, Kalanick) melden sich sofort zu Wort und kritisieren die Migrationspolitik. Die Euphorie für Trump schwindet. Die Wirtschaft könnte am Ende über sein Schicksal entscheiden. Trumps mächtigste Gegner sind die Geheimdienste. Der Konflikt ist groß.   "Wir müssen sehen, welche seiner Drohungen Trump wirklich umsetzt", Eric Schmidt, Verwaltungsratschef von Alphabet (tritt Ende 2017 zurück).

Trump will Obamas Gesundheitsreform (allgemeine Krankenversicherung) teilweise zurücknehmen. Ein Dekret gleich nach Amtsantritt beginnt damit. Das würde wieder mehr die Armen treffen. Anbieter von Medizintechnik, vor allem Exporteure aus Deutschland (Siemens, Fresenius, Draeger), hätten Nachteile. Die Weichen für eine  Zentralangriff auf Obamacare sind gestellt: Der Obamacare - Gegner Tom Price (gelernter Chirurg) wird als Gesundheitsminister nominiert. Er wird die Reform möglichst beschneiden. Im September 2017 muss er zurücktreten, weil er auf Kosten der Steuerzahler teure Privatjets benutzte. Im März 2017 wird die Richtung deutlich: Die Pflicht zur Krankenversicherung soll abgeschafft werden. Die freiwillige Krankenversicherung soll gefördert werden. Wahrscheinlich wäre Obamacare auch ohne Machtwechsel in Schwierigkeiten gekommen. Die Kosten für den Staat sind sehr hoch und der Nutzen für die Patienten hält sich in Grenzen. Im US-Repräsentantenhaus können sich die Republikaner nicht einigen. Ein Votum wird mehrmals verschoben. Trump droht damit, Obamacare  beizubehalten. So zieht denn auch Trump den Gesetzentwurf für eine neue Gesundheitsversorgung zunächst am 24.03.17 zurück. Das ist eine schwere Niederlage für Trump scheitert an Rebellen aus den eigenen Reihen). Reformiert werden müsste eigentlich der Wettbewerb bei Medikamenten, die Bürokratie und das Rechtssystem. Anfang Mai 17 geht ein reformierter Gesetzentwurf (Neufassung, weniger Versicherung) knapp im Repräsentantenhaus durch. Im Kongress wird der Gesetzentwurf mehrmals abgesetzt. Im September 2017 scheitert eine Reform von Obamacare erneut. Auch der neue Arbeitsminister Andy Puzder, ehemaliger Chef der Fast-Food-Kette CKE,  lehnt die Gesundheitsreform ab. Er wird erst gar nicht ernannt, weil er jahrelang illegal (schwarz) eine Haushaltshilfe beschäftigt hatte. Jetzt ist Alexander Acosta designierter Arbeitsminister  (Arbeitsrechtler an der Uni von Florida) und wird es auch. Bildungsministerin wird Betsy DeVos, die Trump im Wahlkampf mit Geld unterstützt hat, aber nicht als Kämpferin für Chancengleichheit aufgefallen ist. Gleich nach Amtsantritt reformiert Trump Teile der Reform. Die Steuerreform von Dezember 2017 greift auch in den Gesundheitsbereich ein. Gesunde, junge Beschäftigte können befreit werden. Das dürften sie millionenfach machen. Auf Ältere und Kranke kommen drastisch steigende Beiträge zu.13 Mio. US-Bürger könnten ihren Gesundheitsschutz verlieren. Außerdem ordnet er ein Anti-Abtreibungs-Dekret an. Neil Gorsuch, ein Abtreibungsgegner, wird für den Verfassungsgerichtshof nominiert. Im Oktober 2017 ruft Trump den nationalen Gesundheits-Notstand aus. Der Heroin- und Opiummissbrauch ist gravierend. Jeden Tag sterben 91 Menschen an einer Überdosis. Weiterhin hat Trump Deregulierung und ein Modernisierungsprogramm für die Infrastruktur angekündigt.  "In den USA formiert sich hinter dem Sichtschutz legitimer Kritik an ökonomischer Ungleichheit eine reaktionäre Bewegung", in: Wirtschaftswoche 48/ 18.11.16, S. 26. "Wenn der Handel stoppt, stoppt die Welt. Nicht andere Länder stehlen den USA die Jobs. Die Amerikaner haben das Geld nicht richtig verteilt", Jack MA, Chef von Alibaba.

Im Februar 2018 startet Trump sein Infrastruktur-Paket. Das Programm umfasst Investitionen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar. Allerdings will die US-Regierung nur 200 Milliarden Dollar selbst beisteuern. Die fehlende Differenz soll von Bundesstaaten, Kommunen und dem Privatsektor investiert werden. 54.000 Brücken in den USA sind sanierungsbedürftig. Viele Tunnel sind für heutige Bedürfnisse zu eng. Weiterhin müssen Straßen, Bahnlinien, Stromnetze, Flughäfen, Dämme und Schleusen dringend auf den Stand des 21. Jahrhunderts gebracht werden. Wenn man bedenkt, dass wegen der Steuerreform die Einnahmen zurückgehen werden, kann das nur durch Erhöhung der öffentlichen Schulden gehen. "Wie zahlreiche Rechtsexperten festgestellt haben, habe ich das absolute Recht, mich selbst zu begnadigen. Aber warum sollte ich das machen, wenn ich nicht unrechtes getan habe?", Donald Trump, US-Präsident über Twitter im Juni 2018.

Ende September 2018 gibt es eine große Auseinandersetzung um die Ernennung des obersten Richters. Trump hat Brett Kavanaugh vorgeschlagen. Er soll noch vor der Senatswahlen ernannt werden. Drei Frauen beschuldigen den Kandidaten sexueller Übergriffe. Die Wahl des Richters ist auch nach einer Empfehlung des Justizausschusses noch offen. Das FBI ermittelt. Die Mehrheit für Kavanaugh scheint nahe zu sein. Tatsächlich gibt es eine Senatsmehrheit für ihn. Er wird oberster Richter. Im September 2020 stirbt die angesehene und legendäre Richterin Ruth Bader Ginsburg an Krebs mit 87. Trump ernennt sofort Ann Convey Barrett zur Nachfolgerin (48 Jahre alt, sieben Kinder, erzkonservative Katholikin, gegen Abtreibung) Die Personalie spaltet wieder die US-Politik, weil Trump nicht bis nach der Wahl wartet. Es gibt jetzt ein Verhältnis 6:3 beim obersten Verfassungsgericht zugunsten der Konservativen.  Der frühere amerikanische Justizminister William Blarr wird wieder im Dezember 2018 Minister, Trump hofft, dass er die Untersuchungen gegen ihn  stoppt. Haushaltsdirektor Mick Mulvaney löst im Dezember 2018 den Stabschef im Weißen Haus Kelly ab. Im gleichen Monat tritt Innenminister Ryan Zinke wegen Skandalen zurück.   Die New York Times bringt im Oktober 2018 einen großen Artikel über die Familie Trump. Sie entlarvt darin die Mär vom Milliardär, der sein Vermögen erarbeitete. Die Steuerbehörde prüft nun, ob der US-Präsident seinen Eltern bei der Steuerhinterziehung geholfen hat (Immobilienvermögen zu niedrig bewertet; zu wenig Erbschaftssteuer).

Ende Februar 2019 findet eine Anhörung des Ex-Anwalts von Trump Michael Cohen vor dem US-Kongress statt. Er belastet den Präsidenten schwer bei den Russlandgeschäften, dem Wahlkampf  und den Sex-Affären. Trump habe ein Hochhaus in Moskau gebaut, bei dem er noch verhandelt habe als schon Wahlkampf war. Von Julian Assange und Wikileaks habe Trump Material gegn Hillary Clinton verwendet. In den Sex-Affären habe er Schweigegeld gezahlt. Cohen bezeichnet Trump als Rassist, Betrüger und Lügner.

Anfang Februar 2019 wird der ehemalige Trump - Berater und Wahlkampfmanager Paul Manafort zu 47 Monaten Haft verurteilt. Es ging dabei auch um die Russland-Affäre (Treffen mit eine russischen Anwältin im Trump-Tower). Manafort war schon verurteilt worden wegen Steuerhinterziehung und Bankbetrugs.

Im März 2019 streitet sich ein prominentes Ehepaar über den Geisteszustand von Trump. Es geht um Kellyanne und George Conway. Die Frau war Trumps Wahlkampfmanagerin und ist heute eine der wichtigsten Beraterinnen. Sie prägte den Ausdruck "Alternative Fakten" (Unwort des Jahres 2017 in Deutschland). George ist ein prominenter Anwalt. Er kritisiert regelmäßig den Präsidenten. Er stellt seine psychische Verfassung in Zweifel.

Am 21.03.2019 legt US-Sonderermittler Robert Mueller seinen Abschlussbericht  über die Russlandaffäre beim Justizminister Bill Barr vor. Der will die wichtigsten Schlussfolgerungen zusammenfassen. Diese müssen nicht strafrechtlich relevant sein, könnten aber politisch heikel sein. Im schlimmsten Fall könnten sie Grundlage für ein Amtsenthebungsverfahren sein. Mueller ermittelt seit Mai 2017. Mueller sieht es als erwiesen an, dass Russland versuchte, Einfluss auf die US-Präsidentschaftswahlen zu erlangen. Hinweise auf eine tatsächliche Zusammenarbeit oder Absprachen gibt es aber nicht. Die Demokratische Partei und andere Gruppen fordern eine vollständige Veröffentlichung des Berichtes. Viele Stellen wurden für die Öffentlichkeit geschwärzt. Es gibt einen überraschenden auftritt von Sonderermittler Robert Mueller im Mai 2019 (die Nachforschungen hätten Trump nicht entlastet). Die Debatte über ein mögliches Amtsenthebungsverfahren entbrennt neu. Die Demokraten wollen Trump jagen. Mueller muss vor dem Kongress aussagen.

Im April 2019 zwingt Trump seine Heimatministerin zum Rücktritt. Kirstjen Nielsen wollte die Leitung der Heimatpolizei ICE einem Kandidaten übertragen, den Trump nicht wollte. Trump fühlt sich nicht genug unterstützt in seiner kompromisslosen Politik gegen illegale Einwanderer.

Im April 2019 informiert die Deutsche Bank Ermittler über Kredite an Trump. Ausschüsse im US-Kongress verlangen Unterlagen über Kredite in Milliardenhöhe. Trump verklagt die Deutsche Bank wegen der Herausgabe.

Im April 2019 tritt Justizminister Rosenberg zurück. Er war bei Trump in Ungnade gefallen, weil er Mueller nicht abgesetzt bzw. entsprechend angegriffen hatte. Der Nachfolger steht mit Rosen schon bereit.

Im Mai 2019 entbrennt ein Streit über die 20-Dollar-Note. Bisher zeigt sie Präsident Andrew Jackson. Er soll durch Harriet Tubman abgelöst werden. Sie gilt als berühmteste Fluchthelferin für Sklaven. Trump sieht Jackson als sein Vorbild und möchte die Ablösung verhindern.  Der Vorschlag Tubman geht noch auf Obama zurück. 

Ende Juni 2019 scheidet die US-Präsidentensprecherin aus dem Amt. Sarah Sanders war sehr umstritten. Im Kurznachrichtendienst Twitter spricht Trump von einer "wunderbaren" Sprecherin. Sie will in ihren Heimatstaat Arkansas zurück. Sanders ist 36 Jahre alt und seit Juli 2017 im Amt. Die bisherige Sprecherin von Ehefrau Melania Trump , Stephanie Grisham, soll neue Pressesprecherin von Trump werden.

Im Juni 2019 eröffnet Trump den Wahlkampf mit dem Slogan "Keep America great again".

Im Juni 2019 tritt der geschäftsführende Verteidigungsminister Shanahan sein Amt nicht an. Neuer kommissarischer Minister wird Mark Esper. Er war Verwaltungschef des Heeres. Er soll das Amt auch dauerhaft übernehmen, was auch geschieht.

Am 4. Juli 2019, dem US-Nationalfeiertag, widmet Trump diesen zur Bühne für seine Selbstdarstellung um. Panzer und Kampf-Jets treten zum ersten Mal als Symbole amerikanischer Stärke auf.

Am 12.07.2019 tritt Arbeitsminister Alexander Acosta zurück. Im Zuge der Missbrauchsaffäre um den US-Milliardär Jeffrey Epstein hatte er als Staatsanwalt einen Deal ausgehandelt.

Die Zahl der Amokläufe und Bluttaten häuft sich. Trump scheut sich, gegen die Waffen-Lobby vorzugehen. Er setzt auf härtere Strafen (Todesstrafe).

Im Sommer 2019 positionieren sich die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gegen Trump: Joe Biden, Bernie Sanders, Elisabeth Warren, Kamala Harris. Mein Favorit ist Warren. Mittlerweile gibt es schon 18 Kandidaten für die Demokraten im November 2019, zuletzt tritt noch  Michael Bloomberg an (ehemaliger Bürgermeister von New York und Milliardär).

Im September 2019 schmeißt Trump Sicherheitsberater John Bolton raus, der als Falke galt. Er schreibt später ein buch über seine Zeit mit Trump. Das gibt ein sehr negatives Bild von Trump. Nachfolger wird Robert O´Brien, der eher als Pragmatiker denn als Ideologe gilt. Er ist in der republikanischen Partei gut vernetzt und gilt als Mannschaftsspieler.  Im März 2020 muss der Stabschef im Weißen Haus wieder mal gehen (Malvaney; zum dritten Mal unter Trump). Er hat Trump in der Ukraine-Affäre nicht genug unterstützt. Neuer Stabschef wird Mark Meadows aus North-Carolina. Er war einer der treuesten Unterstützer von Trump.

Die demokratische Partei leitet 2019 ein Impeachment-Verfahren gegen Trump ein. Ausgangspunkt ist die Ukraine-Affäre. Trump soll die ukrainische Regierung unter Druck gesetzt haben, Material gegen den Biden - Sohn zu sammeln und so Trump im Wahlkampf zu helfen. Der Botschafter bei der EU Gordon Sondland belastet Trump schwer. Im Dezember beantragt Parlamentschefin Nancy Pelosi das Impeachment-Verfahren gegen den US-Präsidenten offiziell. Wird Trump das Impeachment überstehen? Entscheidend ist der Senat, wo die Republikaner die Mehrheit haben. Sie wollen ein möglich schnelles Verfahren dort. die Demokraten wollen das verhindern. Die Trump - Regierung will John Boltons Buch verhindern. Er war bis September 2029 Sicherheitsberater. Die Demokraten wollen ihn als Zeugen vorladen. Im Senat scheitert schließlich die Amtsenthebung von Trump. Es kommt nicht die nötige Zweidrittelmehrheit zustande. Das ist ein Befreiungsschlag für Trump zu Beginn des Wahljahres in den USA. 2021 startet die demokratische Partei ein zweites Impeachmentverfahren. Hintergrund ist die Erstürmung des Kongresses in Washington von rechten Trump-Anhängern. Am Ende gibt es einen Freispruch für den politischen Brandstifter. Der Prozess unterstreicht die tief greifende Polarisierung der USA. Die Republikaner bleiben vorerst die Partei Donald Trumps. Ein ehemalige Mitarbeiterin (Assistentin von Stabschef Mark Meadows) sagt 2022 über die Rolle von Trump bei der Erstürmung des Kapitols aus.  Cassiy Hutchinson bringt schlimme Sachen zutage. Trump greift sie sofort über sein Netzwerk "Truth - Social" an.    Im Juli 2020 gestattet das Oberste Gericht der USA der Justiz die Auswertung von Finanzunterlagen des US-Präsidenten. Trump steht nicht über dem Gesetz.

Die republikanische Partei will sich von extremen Abgeordneten distanzieren. Zuerst ist Im US-Repräsentantenhaus Marjorie Taylor Greene betroffen. Die Abgeordnete aus Georgia fliegt aus zwei Ausschüssen. Sie ist antisemitisch und rechtsextrem.

Biden will innenpolitisch nicht die Fehler seiner Vorgänger machen. Es packt Riesen - Pakete, um die Schwächen der USA anzugehen. 620 Mrd. Dollar für Transport und Infrastruktur (Brücken, Bahn, E-Autos). 384 Mrd. $ für Jobs und Produktion in den USA (u. a. Halbleiter). 311 Mrd. $ für Versorgung (Strom, Wasser, Internet). 400 Mrd. $ für Alte und Kranke. 241 Mrd. $ für Gebäude (Sozialer Wohnungsbau). 194 Mrd. $ für Forschung und Innovation (u. a. Klima). 137 Mrd. $ für Bildung (u. a. Kindergärten). Vgl. Buchter, Heike: Familie first, in: Die Zeit Nr. 19, 6.5.21, S. 22. Biden hat Probleme diese Programme durchzusetzen, auch in der eigenen Partei. Er muss auf Reform-Werbetour gehen.

Die Republikaner wollen nach der Präsidentenwahl in einzelnen Staaten, in denen sie die Mehrheit haben,  Wahlrechtsreformen durchführen. Sie wollen die Wahlverfahren in der Weise ändern, dass die Stimmabgabe erschwert wird (z. B. Öffnungszeiten der Wahllokale). In der Praxis bedeutet das fast immer Nachteile für ihre Gegner. In Texas fliehen Abgeordnete, um Abstimmungen zu verhindern. Ein Jahr nach den Wahlen bereitet Trump eine erneute Kandidatur vor. Er hat seine Partei noch fest im Griff. Wenn Abgeordnete nicht kuschen, erhalten sie Todesdrohungen. Trumps Kundgebungen ähneln immer mehr den Treffen einer Sekte, die ihrem Guru huldigt.  Trump erhält im Dezember 21 1 Mrd. $ für seine Medienpläne: Er will das Netzwerk "Truth Social" aufbauen.

Die Republikaner versuchen systematisch das Wahl-Recht zu ihren Gunsten zu ändern. Sie versuchen oft, die Abstimmungsregeln zu ändern. So geht es auch um ein nach Bürgerrechtler und späteren Abgeordneten John Lewis benanntes Gesetz zum Schutz des Wahlrechts. Das Recht zur Stimmabgabe soll geschützt werden. Gesetze der Bundesstaaten, die das Wahlrecht untergraben, sollen ausgebremst werden.

Im April wird die liberale Jackson die erste schwarze Richterin am US-Supreme Court. die konservative Mehrheit änderte die Bestätigung Jacksons nicht.

Im Jahre 2022 gehen die Mieten durch die Decke (über 37% Preissteigerung bei Neuobjekten). Die Inflation ist sowieso hoch und die Angestellten kehren nach Corona in die Metropolen zurück. Der Wohnungsmarkt droht aus den Fugen zu geraten. Die Metropolen an der West- und Ostküste haben noch höhere Steigerungsraten (San Francisco, Miami). Personalmangel, Lieferprobleme haben die Kosten am Bau zusätzlich stark in die Höhe getrieben.

Exkurs. Der US - Supreme Court will im Mai 2022 ein Abtreibungsverbot erlassen, obwohl die Mehrheit der Amerikaner für Abtreibung ist. Im Juni kommt das entsprechende Urteil (6 zu 3 Richterstimmen, Trump hatte erzkonservative Richter durchgedrückt). Das fast 50 Jahre alte liberale Abtreibungsgesetz wird gekippt. Abtreibung sei nicht in der US-Verfassung vorgesehen. Die einzelnen Bundesstaaten können entscheiden. Abtreibung wird wohl nur noch in Kalifornien und New York möglich sein, wo es in der Verfassung verankert ist. Trump triumphiert, es gibt große Demonstrationen in den USA. Die Gesellschaft wird weiter gespalten. Die ultrarechten Richter, die Präsident Trump noch bestellt hat und die die Mehrheit bilden, torpedieren zunehmend die Grundwerte der liberalen Gesellschaft (Waffenverbot, Abtreibungsrecht, Klimaschutz, Teile des Wahlrechts). Der Supreme Court ist nicht mehr ausgleichende Instanz. Im Gegenteil: Waffentragen wird leichter, die Umweltbehörde wird ausgebremst. Die Gesellschaft wird gespalten. Der Suprme Court könnte auch noch die Trennung zwischen Kirche und Staat aufheben. Der Oberste  Gerichtshof ist 2024 unbeliebt wie kaum zuvor in der Geschichte. Dazu kommt 2024 noch das umstrittene Urteil über die Immunität des früheren Präsidenten Donald Trump. Es entscheidet mit 6 zu 3 Stimmen, dass Präsidenten teilweise Immunität genießen. Für Handlungen im Kernbereich ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse sei die Immunität absolut. Für offizielle Handlungen sei eine Immunität zumindest anzunehmen. Für private ("nicht offizielle") Handlungen gebe es keine Immunität. Vgl. FAZ 3.7.24, S. 5.

Exkurs. Lebensbedingungen in den USA und Deutschland: "Ein Vergleich der Arbeits- und Lebensbedingungen in den USA und in Deutschland im Jahr 2022 zeigt, dass Deutschland bei einer Vielzahl von Indikatoren besser abschneidet als die USA. Gemessen werden die Arbeits- und Lebensbedingungen anhand von zwölf Dimensionen unter Rückgriff auf über 80 Subindikatoren. Zum Vergleich: Der traditionelle Indikator BIP, der oft für internationale Vergleiche herangezogen wird, lag in den USA 2022 über dem deutschen Wert. Im Folgenden werden nun die Ergebnisse der alternativen Messung analysiert." Siehe Priewe, Jan: Arbeits- und Lebensbedingungen in Deutschland und den USA im Vergleich, in: Wirtschaftsdienst 6/ 2024, S. 407-412.

4. Die US-Präsidentschaftskandidaten, die Vorwahlen und die Wahlen in den USA 2020; Corona-Covid-19 und Ölpreis als Rahmenbedingungen : In Iowa beginnen im Februar 2020 die Vorwahlen zur Kür der US-Präsidentschaftskandidaten. Hier beginnt traditionell die Vorwahl. Bei den Republikanern steht Donald Trump schon fest. Bei den Demokraten ist das Rennen völlig offen. Es konkurrieren Bernie Sanders, Pete Buttigieg, Jo Biden, Elizabeth Warren und Bloomberg. Landesweit die besten Prognosen hat Biden. Bei der Vorwahl gibt es ein Auszählungschaos historischen Ausmaßes. Ein Programmierfehler in einer Auszählung - App ist dafür verantwortlich. Pete Buttigieg liegt vorne und gewinnt knapp vor Bernie Sanders. Sanders gewinnt dann knapp die Vorwahl in New Hampshire. Bloomberg will erst bei den bevölkerungsreichsten Staaten eingreifen: Sein Bekanntheitsgrad als ehemaliger Bürgermeister von New York ist aber hoch. Sanders gewinnt auch die Vorwahl in Nevada. In South-Carolina gewinnt Ende Februar 2020 Biden vor Sanders. Danach geben einige Kandidaten auf. Am Dienstag, den 03.02.20, ist der "Super Tuesday". Hier dürfte sich entscheiden, wer für die Demokraten antritt: Biden, Sanders oder Bloomberg. In neun Staaten gewinnt Biden  (auch in Texas). In vier Staaten Sanders, auch in Kalifornien (hier werden aber alle Stimmen über 15% verteilt). Bloomberg wirft danach das Handtuch, auch Buttigieg. So bleiben noch als ernsthafte Bewerber Biden und Sanders. Es geht auch um grundsätzliche Gesellschaftskritik (Realismus oder Revolution). Das Duell könnte die Partei spalten. Dei US-Senatorin Elisabeth Warren gibt auch auf. Ihr Ausstieg spielt Bernie Sanders in die Hände, weil beide links stehen. Damit kann aber keine Frau Präsidentin werden. Biden gewinnt die Vorwahlen in vier weiteren Staaten. Besonders wichtig ist Michigan. Biden wirkt aber nicht so frisch bei seinen Auftritten wie Sanders. Sanders gibt am 08.04. auf. Damit ist der Weg für Biden frei.

Die Corona-Krise, die auch die USA hart trifft, weil auch zu wenig und zu spät Tests stattfinden, könnte den Wahlkampf grundlegend verändern: Trump kann nicht mehr Großveranstaltungen durchführen, Wirtschaft, Aktienkurse, Arbeitsplätze entwickeln sich negativ (die positive Entwicklung was das Narrativ von Trump). Der Seuchenschutz wurde in der Amtszeit von Trump deutlich heruntergefahren. Außerdem haben republikanische Senatoren bereits im Januar, als sie vom Geheimdienst über das wahre Ausmaß von Corona informiert wurden, auf dem Höchststand des Dow Jones Aktienpakete verkauft (Insider-Geschäfte)). Trumps Corona-Hilfspaket scheitert am 23.3. im US-Senat. Am 25.3. einigt man sich auf ein Programm in Höhe von 2 Billionen $. Am 23.3. gibt es 41.027 Infizierte in den USA (12.000 in N. Y., einen Tag später 20.000 und 280 Tote). Am 25.3. liegt die Zahl schon bei 61.167 Infizierten und 253 Toten. Für den 26.3. sind die Zahlen: 75.233 Infizierte und über 1000 Tote. 27.3. fast 100.000 Infizierte und 1500 Tote. Am 30.3.20 gibt es 150.000 Infizierte und über 2000 Tote, eine exponentielle Steigerung. Am 6.04.20 haben die USA 350.000 Infizierte und mehr als 10.000 Tote. Am 08.04. liegt die Zahl der Infizierten über 400.000 (2000 Tote an einem Tag). Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer, weil es zu wenig Tests gibt.  Ausrüstung fehlt (Atemschutzmasken, Schutzkleidung, Beatmungsgeräte). Trump will nicht auf Kriegswirtschaft umrüsten (dann könnte die Ausrüstung in den USA produziert werden). Später (in drei Wochen) wird ihm nichts anderes mehr übrig bleiben, sonst bricht Chaos aus: Die öffentlichen Krankenhäuser werden heillos überlastet sein. Die privaten Krankenhäuser werden sich abschotten. Die USA werden den Weltmarkt leer kaufen mit starken Auswirkungen auf die Preise (Arzneien, Impfstoffe, Mundschutz, Beatmungsgeräte, Ausrüstung; beschlagnahmen Ladungen für andere Länder). Der Leiter des National Institute of Allergy and Infectious Diseases Anthony Fauci (79 Jahre, Virologe) widerspricht Trump ständig. Er hat in seinem Leben schon viele Seuchen bekämpft. Der Präsident ist offenbar beratungsresistent bei Experten (wie man das von ihm kennt). Er begibt der WHO die Schuld. Fauci ist auch Mitglied einer Corona-Task Force im Weißen Haus. Am 28.3. ruft der Präsident doch das Kriegsrecht (Kriegswirtschaftsgesetz aus dem Koreakrieg) aus. GM und andere Firmen müssen Beatmungsgeräte herstellen. Trump ist gegen die Abriegelung von Krisenherden. Mittlerweile liegen die Prognosen für die USA zwischen 80.000 und 160.000 Toten, am 1.4. steigt die Prognose auf 240.000 Tote. Es fehlen in großem Ausmaß Krankenhauskapazitäten und Schutzausrüstung. Am 09.04. hatten die USA 432.396 Infizierte und 14.851 Tote (Verdopplung 7,8 Tage). Am 13.04. sind die USA schon bei 560.000 Infizierten und 23.000 Toten (Verdopplung 10 Tage). Am 18.04. erreichen sie 700.000 Infizierte und 37.000 Tote (höchste Zahl in der Welt). Die sozialen Kontakte sollen bis zum 30. April minimiert werden ( Präsident ändert seine Meinung). Am 12.05.20 gibt es schon 1,4 Mio. Infizierte und 81.000 Tote (Weltspitze). Am 28.05. erreicht man über 100.000 Tote. New York ist am stärksten betroffen: Am 04.04. schon 100.000 Infizierte und 300 Tote am Tag (Armeeschiff vor der Küste). Auf Park Island werden Massengräber eingerichtet.  Bis zum 05.05. haben die USA 1,2 Mio. Infizierte und 70.000 Tote (bis zum Sommer 134.000 Tote?). auf dem Lande sind Altenheime, Gefängnisse und Fleischfabriken die stärksten Überträger. Innerhalb von zwei Woche melden sich 10 Mio. Menschen arbeitslos, bis zum 09.04. 17 Mio., bis zum 15.04 22. Mio., bis Anfang Mai 20 30 Mio. Die Rezession erfasst die USA voll. Trump will die Einschränkungen gegen den Rat von Experten lockern. Er redet von der Befreiung einzelner Bundesstaaten und schiebt den Gouverneuren die Verantwortung zu. Mit einer Abschottungspolitik gegen Einwanderer will der Präsident aus der Corona-Krise kommen. Dann empfiehlt er kuriose Maßnahmen: UV-Licht, Hitze, Feuchtigkeit, Desinfektionsmittel spritzen. die Arbeitsgruppe "Corona" will Trump Ende Mai 2020 auflösen. Die Wachstumsraten der Infizierten liegen in Ballungsgebieten zwischen 70 und 200 %. Mittlerweile gibt es viele Fälle im Weißen Haus. Ab Juni 2020 beginnen fast alle Bundesstaaten mit größeren Lockerungen (aber Ende Mai über 1,7 Mio. Infizierte und über 100.000 Tote). Bundeskanzlerin Merkel will nicht zum G7-Gipfel in Washington reisen. Ende Juni 2020 verschärft sich die Corona-Krise erneut in den USA. Dramatisch ist die Lage vor allem im Süden. Kühllaster stehen vor US-Krankenhäusern. 3,5 Mio. Menschen haben sich schon infiziert. Rund 138.000 Menschen starben. Am 19.11.20 gibt es in der Summe schon 250.000 Todesfälle. 171.000 Menschen infizieren sich an einem Tag. "Ich kann Trump ja nicht zu Boden stoßen", Anthony Fauci.

Trump macht in der Krise ein desaströses Krisenmanagement (obwohl die CDC die größte und wahrscheinlich auch eine der besten Seuchenbehörde der Welt ist). Die USA werden dadurch zum Epizentrum von Covid-19. Die USA sind mit Abstand Spitzenreiter bei der Zahl der Infizierten und die Zahl der Toten in der Welt. Der ökonomische Crash dürfte noch bevorstehen. Absoluter Brennpunkt ist New York, eine der reichsten Städte der Welt. Die Schwäche des US-Gesundheitssystems und des ganzen Sozialsystems wird brutal offen gelegt. Schwarze und Hispanics sind am meisten betroffen. Die Äußerungen von Trump über Twitter oder sonst wo sind nur noch chaotisch. Er klagt aber China an, weil es falsche Zahlen bekannt gebe. Er erhebt auch Vorwürfe gegen die WHO (stellt Zahlungen ein) und gegen die Medien. End eMai treten die USA aus der WHO aus. Weiterhin reklamiert er absolute Macht, damit die Gouverneure mehrer US-Bundesstaaten nicht ein eigene Corona-Politik betreiben. Er will dam Kongress eine Zwangspause verpassen, damit möglichste schnell Stellen besetzen kann. Damit wird auch die Strategie im Präsidentschaftswahlkampf gegen Joe Biden deutlich. Er will Biden als Freund Chinas darstellen, der damit indirekt für die Krise verantwortlich ist ("China-Keule"). Er versucht das zu untermauern mit der Rolle des Biden - Sohnes bei Investitionen in China (These: China habe Biden gekauft). Weiterhin soll China den Sündenbock spielen. Einige Republikaner fordern eine stärkere Militärpräsenz im Pazifik.  China soll bestraft werden. Das Verhältnis beider Länder verschlechtert sich. Es droht ein neuer Kalter Krieg. Die USA schließen im Juli 2020 das chinesische Konsulat in Texas. Die Mitarbeiter werden der Spionage beschuldigt. Peking droht mit Gegenmaßnahmen. 

Besonders problematisch ist, dass sich Trump - Anhänger und  -Wähler weniger vor Corona schützen. Wissenschaftler sprechen von einem "Partisan Bias". Eine auf die Spitze getriebene Parteizugehörigkeit senkt die Sorge der Menschen vor Covid-19. Individuen und Haushalte reagieren stark unterschiedlich nach politischen Überzeugungen. Vgl. Barrios, John/ Hochberg, Yael: Risk Perception Through the Lens of Politics in the Time of the Covid-19 Pandemic, University of Chicago, Becker Friedman Institute of Economics, Working Paper No. 2020-32, April 2020.Beim Mund- und Nasenschutz vollzieht Trump im Juli 2020 eine Kehrtwende: Er plädiert jetzt für die Maske und bezeichnet sie als patriotisch. Das wirkt mehr pflichtgemäß als glaubwürdig.

Putin in Russland macht einen Nebenkriegsschauplatz auf. Er senkt dramatisch die Preise für Gas und Öl. Er setzt sich von der Opec ab und brüskiert Saudi-Arabien. Damit werden aber am härtesten die Länder belastet, die hohe Förderkosten haben. Das trifft voll die US - Fracking - Industrie. Preise unter 40-50 Dollar sind für sie nicht tragbar. Außerdem sind die Unternehmen hoch verschuldet. Es sieht wie eine Revanche für die USA wegen der Sanktionen gegen Nord - Stream 2. Auch das könnte die Wiederwahl von Trump gefährden. Es zeigt sich immer gravierender, dass Kriege heutzutage auf andern als militärischen Ebenen stattfinden (Ressourcen, Cyberspace/ Internet, Viren). Von dem freien Fall des Ölpreises (06.04.20 26,4 US-Dollar für ein Barrel der Sorte WTI) sind besonders die Regionen betroffen, wo Trumps Wähler sitzen (Oklahoma, Texas, Montana, Louisiana). Trump muss eine ganze Reihe finanzschwacher US-Ölfirmen über Schulden retten (und den Markt abriegeln) oder den Markt zulassen, was die Firmen in den Ruin treibt.

Wegen der Corona-Krise in den USA werden viele Vorwahlen abgesagt: Ohio, Louisiana, Georgia, Kentucky. Sie sollen später nachgeholt werden. Biden gewinnt aber die Vorwahlen in Florida, Arizona und Illinois. Damit ist er fast durch. Die Kandidatur fürs Weiße Haus ist ihm so gut wie sicher. Afroamerikaner unterstützen ihn besonders. Ein Vorwurf wegen sexuellen Übergriffs, der sich auf das Jahr 1993 bezieht, bringt ihn unter Druck. Im Juli 2020 kommt ein Buch über Trump von seiner Nichte Mary Trump. "Zu viel und nie genug" lautet der deutsche Titel. Sie hat einen Doktortitel in Psychologie. Sie zeichnet Trump als Soziopathen, der die menschlichen Emotionen in seiner Kindheit und Jugend nie ausleben konnte. Trump sei ein Meister im Schummeln. An der Uni habe ein Freund seine Prüfung geschrieben. Trump sei auch überhaupt nicht religiös. "Er hat keine Prinzipien, überhaupt keine". Sie bezeichnet ihn auch als den "gefährlichsten Mann der Welt". Es kommt im September 2020 ein weiteres Buch über Donald Trump heraus.