Werner Krämer

Casestudy/Narrativ/Themen/Practice

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"Longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla" (lateinische Lebensweisheit frei in Deutsch: Ein Gramm gutes Beispiel ist besser als ein Zentner gute Worte, L. A. Seneca, 4 v. Chr. - 65 n. Chr.). "Das  große Ziel der Bildung ist nicht Wissen, sondern Handeln", Herbert Spencer, englischer Philosoph. 

Untergliederung: VWL - Lehrbuch, 2.Teil, (3.Teil), (4. Teil), (5. Teil) (1.Teil)

VolkswirtschaftslehreFallstudien, Literaturtipps dazu, Lernsoftware, Funktionsweise einer Volkswirtschaft (Grundlagen der VWL), Ideologien (Ideen) & Wirtschaft, Wirtschaftspolitische Grundkonzeptionen (Denkschulen), Geschichte des Geldes und Kapitals, Marktbetrachtung (Grundlagen), Finanzmärkte, Umweltsektor, Arbeitsmarkt), Weltwirtschaftskrisen, Ursachen, Folgen und Folgerungen von Finanzkrisen, (+ Bankenbeben 23), Aufstieg der Schwellenländer, Neue Ökonomie der Nachhaltigkeit (Green and Climate Economy), Analyse von Wirtschaftsordnungen (Markt- und Staatskapitalismus), Exportorientierung und Wettbewerb (Deutschland in der Kritik), Bevölkerungsentwicklung und Folgen, Abwertungswettlauf von Währungen (Währungskrieg in der Welt), Soziale Gerechtigkeit und Arbeit, Krise der Europäischen Union (Euro), "Wenn der Drache lahmt": Die Bedeutung Chinas für Deutschland und die Weltwirtschaft und der Wert des Staatskapitalismus,  Analyse der Migration (Globale Flüchtlingskrisen), Digitale Revolution und Transformation ("The Second Machine Age"), Die politische und ökonomische Wende in den USA und ihre mögliche Auswirkungen auf die Globalisierung ("Trumpismus", am Anfang einer neuen Weltordnung; globaler Stellenwert der USA, Neustart unter Biden), Karl Marx - Jahr 2018: 200. Geburtstag und 150 Jahre "Das Kapital" (oder: "Von der industriellen zur digitalen Revolution", auch Bedeutung in China, mit Friedrich Engels), Die Genossenschaftsidee von F. W. Raiffeisen - Die ideale Organisationsform in einer digitalen und nachhaltigen Welt? (200 Jahre Raiffeisen-Jubiläum; mit Fokus auf "Japan"), "Vom Land der aufgehenden zum Land der untergehenden Sonne?": Der langsame Abstieg Japans in einer lang andauernden ökonomischen Krise. Was können die EU und Deutschland daraus lernen? Erfolgsmodell Mittelstand! Die mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft als Grundlage des ökonomischen Erfolges Deutschlands. Negative Folgen der Globalisierung:  Ökonomische Effekte weltweiter Epidemien (Pandemie, Corona-Schock). Die Rückkehr der Inflation in der Welt und wirtschaftspolitische Reaktionen darauf. Die Weltenergiekrise einschließlich Rohstoffkrise und die Epoche der Hochpreisenergie. Putins Krieg und die Weltwirtschaft, Was wird aus dem deutschen Wirtschaftsmodell in Zeiten der Deglobalisierung? (De- Globalisierung im 21. Jahrhundert, Transformation). Wein in der WeltSpieltheorie & Modell, Theoreme, Daten, Portrait, Blogonomics (diese Artikel passen immer zu bestimmten Lehrveranstaltungen).

Ostasien; Betriebswirtschaft; Wert der Fallmethode  & Quellen  dazu; Fallbearbeitung als Methode; Mitarbeiterinterview in der Personal-ökonomik; Fallstudie im Studium; Stellenwert des Internet.                 

   

Sowohl im Bachelor- als auch im Master-Studienabschnitt wird es ohne Fallstudien nicht mehr gehen. Diese Seite wird weiter ausgebaut, auch zu E - Learning hin. Teile sind  wie ein Blog gestaltet. Dabei handelt es sich um aktuelle wissenschaftliche Artikel zu volkswirtschaftlichen bzw. ökonomischen Problemen, die Schwerpunktthemen einzelner Lehrveranstaltungen sind oder waren. Zu vielen dieser Themen habe ich Vorträge gehalten (in der Regel mit PPP). Teilweise ist die Zuordnung von Artikeln auf diese Seite oder auf die Seite "Methode" schwierig zu begründen (bei "Methoden" eher empirisch, statistische Themen). Verhandlungen über eine Kooperation mit E - Learning Firmen in den USA in diesem Bereich konnten noch nicht erfolgreich beendet werden.

Man kann diese Themen als ein Netz interpretieren, in dem sich die Ökonomie der Welt bewegt. Alle Bereiche der Ökonomie werden von diesem Netz als Rand- und Rahmenbedingung beeinflusst. Man braucht das Wissen über aktuelle Entwicklungen, um an strategischen Entscheidungsprozessen (meist in Unternehmen) mitwirken zu können. Ich habe die Analysen bewusst möglichst objektiv und neutral gehalten. Aufgrund der Fakten und Beschreibungen soll sich jeder Nutzer und Leser seine eigene Meinung und Schlussfolgerung bilden können.

Im Vordergrund steht also die Sachdimension, die zwischen Themen, Gegenständen unterscheidet. Sie fragt also nach dem "Was". Die Sozialdimension steht im Hintergrund. Sie unterscheidet zwischen "alter" und" ego", fragt also nach dem "Wer". Die gleiche Stellung hat die Zeitdimension, Sie unterscheidet Vergangenheit und Zukunft bzw. früher und später. Vgl. Nassehi, Armin: Theorie der überforderten Gesellschaft, München 2021, S. 27.

Seit 100 Jahren gilt das Lernen mit Fallstudien als Goldstandard der Managementausbildung. Doch inzwischen regt sich immer mehr Kritik an dem Konzept aus Harvard. Das Erfolgsmodell scheint ein Update zu brauchen. Klar ist, dass Fallstudien allein keine guten Manager machen. Vgl. HB Nr. 223, 17./18./19.11.2023, S. 30f.

 

 

 

Volkswirtschaftslehre   "Lasst 100 Blumen blühen...",  Titel einer Kampagne von Mao Zedong 1956.

"Please find me a one-armed economist so we will not always hear ´On the other hand`...", Herbert Hoover, ehemaliger US-Präsident.

Fallstudien:

Ständig experimentiere  ich mit  einem Planspiel, aus dem ein   Buch  der Mittelstandsökonomik hervorgegangen ist. Dieses ist im Jahre 2003   erschienen (Werner Krämer: Mittelstandsökonomik, München). Auf dieser Basis will ich die Rolle der KMU in der Globalisierung weiter vertiefen (neues makroökonomisches Modell). Das Planspiel ist eine Weiterentwicklung der Fallmethode. Es eignet sich hervorragend um ganzheitlich und dynamisch ein Problem in den Mittelpunkt zu stellen, wenn Unterrichtszeit fehlt. Gegenwärtig geht es um die Auswirkungen der Globalisierung auf kleine und mittlere Unternehmen. Der Ansatz ist interdisziplinär und zeigt den Nutzen der VWL in der betrieblichen Praxis. Dieses Planspiel setze ich zur Zeit bei Marketing/Bachelor im 4. Semester ein. Ablauf und Lernerfolg sind o. k.; die Veranstaltung wird ständig verbessert.

"Unter den heutigen Bedingungen sind Spitzenmanager gezwungen, sich mehr mit dem Geld- und Devisenmarkt auseinander zu setzen als mit dem langfristigen Gedeihen ihres Unternehmens", Akio Morita (japanischer Unternehmer, 1921-1999, Sony).

Oil Price Shock (hoher Erdölpreis als Ausgangspunkt). Mit dieser Fallstudie arbeite ich im ersten Studienabschnitt. Sie soll theoretische Elemente praktisch veranschaulichen. Bei der Preiserklärung werden mikroökonomische Marktmodelle verdeutlicht; bei den Folgen wird mit makroökonomischen Hypothesen gearbeitet. Zunehmend werden umwelt- und internationale Aspekte berücksichtigt. So ist z. b. sehr interessant und lehrreich, den Einfluss der Ölpreiserhöhung auf die Wechselkurse zu untersuchen. Kleinere Fallstudien setze ich auch im 1. Studienabschnitt in der Klausur ein.

"Es gibt drei Dinge, die einen Menschen zum Wahnsinn treiben; der Ehrgeiz, die Liebe und die Beschäftigung mit Währungsproblemen", N. N., zitiert nach: Sperber, Wirtschaft verstehen, a. a. O., S. 274.

Globalisierung und Zukunft der Arbeit. Diese Fallstudie habe ich für IPO im Master -  Studienabschnitt entwickelt. Die Auswirkungen der Globalisierung, des technischen Fortschritts und der Bevölkerungsentwicklung auf die Arbeit können analysiert werden. Die Globalisierung hat zu einer Umkehrung der Knappheitsrelationen bei Arbeit und Umwelt geführt. Es gibt auch weltweite Interdependenzen beim Lohn. Die Ungleichheit in den Industrie- und Schwellenländern nimmt zu. Dies wird mit empirischen Forschungsmethoden verbunden.

"Die Aufgabe der Ökonomie ist es, die Welt zu verbessern", Olivier Blanchard, Chefvolkswirt des IWF.

Fallstudie "Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009" anhand des Buches "Die Neue Weltwirtschaftskrise", Frankfurt/ New York 2009 (Autor. Paul Krugman, Wirtschaftnobelpreisträger 2008). Dies ist der Mittelpunkt der Veranstaltung "Internationale Ökonomie" im SS 2009 bei IM und WS 2009/2010 bei IBMEA. Die Lernmodule der Veranstaltung begleiten das Buch und die Themen der Hausarbeiten.

MoPoS: Es handelt sich um ein Geldpolitik - Simulationsspiel, das man bei der Schweizer Nationalbank herunterladen kann. Adresse: www.snb.ch, MoPoS als Suchwort eingeben.

Second Life  (SL) als virtuelle Volkswirtschaft (Linden Lab, San Francisco) soll eventuell systematisch einbezogen werden (das Institut als Akteur oder Erfahrungsberichte und Experimente der Studenten). Eine explorative Studie in Form einer Hausarbeit läuft zur Zeit. Die zentrale Frage ist, was Volkswirte in diesen virtuellen Welten lernen können. Es gibt einige interessante Aspekte: Der Linden-Dollar ist die Währung, die über die interne Währungsbörse LindEx in US-Dollar umgetauscht werden kann und umgekehrt. "Avatar" ist die Spielfigur, das virtuelle Alter-Ego. "Covenant" ist die Nutzungsvereinbarung zwischen einem Landbesitzer und seinen Mietern oder Käufer. "Tier" ist die Grundsteuer, die für ein bestimmtes Stück Land zu entrichten ist. Alles was innerhalb von SL läuft ist "inworld" im Gegensatz zu RL ("real life"). Mittlerweile gibt es weltweit 15 Mio. Nutzer, aber die meisten Firmen haben sich Ende 2008 schon zurückgezogen. Das Projekt droht zu scheitern. Vgl. auch: "Virtual Worlds, Virtual Institutions", David Bray und Benn Konsynski, Working Paper, Mai 2007 und Stöcker, Ch.: Second Life, München 2007. Die University of Utah baut ihren kompletten Campus in Second Life nach. Den Aspekt des Rollenspiels kann man mittlerweile auch in anderen Programmen finden, z. B. bei World of Warcraft.

Eve-Online: Weltrollenspiel mit Chef-Ökonom J. Gudmundsson (Akureyi, Island) als Analyst der virtuellen Welt. Es scheint allmählich ein neues Feld der Ökonomie zu entstehen. Gerade Konflikte zwischen Gemeinschaft und Individuum können gut simuliert werden.

Howrse: Wirtschaftssimulation. Pferdezucht. Es geht um die Betreibung eines Reitzentrums. Dieses Spiel wurde als beste Wirtschaftssimulation 2008 ausgezeichnet.

Global Economics Game: Volkswirtschaftliches Planspiel. Gut und recht kostengünstig.

Classroom Expernomics: Volkswirtschaftliche Prinzipien können spielerisch gelernt werden.

OLAT: Mittlerweile werden alle  Veranstaltungen der VWL über das E-Learning-System OLAT verwaltet, zumindest die Lern-Ressourcen. Hier sind weitere Fallstudien enthalten.

Flipped Classrooms (Mooc): Anstatt Frontalvorlesungen filmt der Dozent seine Vorlesung ab. Dann stellt es sie für seine Studenten und andere kostenlos ins Netz, die sie zuhause ansehen.  Die Zeit an der Hochschule kann für Übungen und Fragen genutzt werden.

Computerspiele: Turniere von Computerspielen sind mittlerweile so populär wie Sportwettkämpfe und große Konzerte. 10 Mio. $ betrug das höchste Preisgeld für ein Computerturnier. 32 Mio. Zuschauer verfolgten das LoL-Turnier. Für die Spiele - Plattform "Twitch" werden schon 1 Mrd. $ geboren. 400 Mausklicks pro Minute schaffen Profispieler. Sehr interessant ist das Spiel "Civilization". Es wird 2016 schon 25 Jahre alt. Man spielt die Geschichte der Menschheit nach.

Metaverse: Die Grundidee von Second Life wird wieder aufgelegt. Es werden Parallelwelten konstruiert. Menschen agieren über Avartare. So kann man Volkswirtschaften simulieren.

Online Community zur Lösung globaler Probleme am MIT auf einer Plattform: http://solvecolab.mit.edu/web/guest/about

 

Literatur-Tipps zu Fallstudien in der VWL:  

15 Fallstudien zur VWL (angewandte Mikro- und Makroökonomie) enthält folgendes Buch: Börsch-Supan, A./ Schnabel, R.: Volkswirtschaft in fünfzehn Fällen, Wiesbaden 2006. Zu jeder Fallstudie gehören eine Kurzfassung und eine Theorie-Box.

Wirtschaftspolitische Fallstudien mit Lösungstechniken sind in folgendem Lehrbuch: Möller, H. W.: Angewandte Volkswirtschaftslehre, Wiesbaden, 1997.

Neu ist folgendes volkswirtschaftliche Buch mit vielen Fallstudien: Sperber, Herbert: Wirtschaft verstehen. 100 Lernmodule für Schule, Studium und Beruf, Stuttgart 2007.

"Wer umsichtig agieren will, sollte - bildlich gesprochen - mit Lesebrille und Fernrohr gleichzeitig arbeiten", Axel Weber, Bundesbankpräsident.

 

Lernsoftware:

LiveEcon: Es handelt sich um eine interaktive ökonomische Lernsoftware von der schottischen Firma Interactyx, die seit 2006 auf dem Markt ist. Es ist eines der ersten elektronischen mikro- und makroökonomischen Lehrbücher Ökonomische Modelle können Schritt für Schritt verändert werden (dynamische Darstellung mit Modellierungsmöglichkeiten). Mehr als 60 Unis in den USA und GB setzen diese Software bereits ein. Der Nachteil ist noch, dass Daten relativ stupide eingegeben werden können und Sachverhalte nicht kritisch hinterfragt werden müssen.

MyEconLab: Online Lernportal von dem  britischen Verlag Pearson Education (seit 2002). Es gibt auch Internetseiten zu den herausgegebenen Lehrbüchern. 2010 gab es eine neue deutsche Version des Programms.

Mittlerweile kann man auch Vorlesungen von Professoren auf DVD käuflich erwerben. Es gibt auch Einführungsveranstaltungen der VWL.

"Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von anderen. So wird dir viel Ärger erspart bleiben", Konfuzius.

 

Webseiten & Blogs:

New Economics Foundation. www.neweconomics.org . Fundierte Quellen zu alternativen Ansätzen der Ökonomie mit Analysen und innovativen Vorschlägen zu aktuellen Debatten.

Post-Autistic Economics Network. www.paecon.net . Datenbank mit kostenlosem Zugang zu hunderten Texten.

Marginal Revolution. www.marginalrevolution.com . Die beiden Wirtschaftsprofessoren Tyler Cowen und Alex Tababarrok diskutieren Nachrichten aus der ganzen Welt.

EconLog. econlog.econlib.org . Täglicher Blog aus der Library of Economics and Liberty. Drei Blogger bloggen zu aktuellen Wirtschaftsthemen.

Nachdenkliches zu Wirtschaft, Finanzen und Leben von Donald Marron:  https://dmarron.com

 

Funktionsweise einer Volkswirtschaft (Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, Overview, Einführung, Grundlagen der Ökonomie):

Jede Volkswirtschaft der Welt funktioniert nach einem Mechanismus, der sich in Grundregeln zeigt. Dies ist das Alphabet der Volkswirtschaftslehre. Alle Bürger leben in Volkswirtschaften, in denen sich das Wirtschaftsgeschehen abspielt. Die Wissenschaft sieht die Wirtschaftsakteure in ihren Rollen (Haushalte, Unternehmen, Staat u. a.) sowohl mikroökonomisch (individualistische Idealtypen, die Einzelteile) als auch makroökonomisch (aggregierte Sektoren, das große Ganze). Im Zentrum stehen Produktion und Absatz. Man versucht zu verstehen, wie Waren und Dienstleistungen produziert werden und wer sie konsumiert. In der Geschichte der Menschheit haben uns zwei große Sprünge nach Vorne gebracht: Die Sprache (mit der Schrift), technologische Revolutionen und Überschüsse. Die schriftliche Verbuchung der Erntemengen steht am Beginn der Erschaffung von Schulden und Geld. Besitzrechte an Getreidevorräten wurden auf Muscheln oder ersten Metallmünzen notiert. Entscheidend war der Glaube an den Tauschwert dieser Einheiten (Glauben = Credere). Eine kollektive Institution (Staat) wachte darüber. So entstand Ökonomie dort, wo Menschen zum ersten Mal sesshaft wurden und Agrarwirtschaft betrieben, in Mesopotamien. Vgl. Yanis Varoufakis: Time For Change, Köln 2016, S. 18ff. (in der großen Wirtschaftskrise Griechenlands und der Diskussion um Grexit war er Finanzminister Griechenlands).

- Knappheit ist das grundlegende Phänomen und Problem der Wirtschaft (knapp sind Zeit, Ressourcen, Informationen, konsumierbare Güter, Frieden). Jede Wirtschaft braucht Ressourcen (alles, was genutzt werden kann, um etwas anderes zu produzieren). Dazu gehören die Produktionsfaktoren "Arbeit, Boden, Kapital" (danach ist die Seite "Economics/ Spezial" gegliedert). Immer wichtiger und teurer werden die zum Boden rechnenden Ressourcen "Energie" und "Rohstoffe", aber auch die durch ihn produzierten Güter "Lebensmittel". Die Produktionsfaktoren müssen so auf die Produktion von Gütern verteilt werden, dass möglichst viele Bedürfnisse erfüllt werden können (Allokation). Abstrakt stellt die Produktionsmöglichkeitskurve alternative Kombinationen von Gütermengen dar, die sich bei einer gegebenen Ausstattung mit Produktionsfaktoren herstellen lassen. Weniger Einsatz von Produktionsfaktoren für mehr Waren wird durch die Produktivität gemessen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft kennzeichnet. Die realen Kosten eines Gutes bestehen in seinen Opportunitätskosten (dem, worauf man verzichten muss, um das Gut zu bekommen). Viele definieren die Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft über den Umgang mit Knappheiten (natürliche Ressourcen, technisches Wissen, Zeit), die Allokation von knappen Ressourcen (was jedoch zu eng ist, aber es ist das Kardinalproblem). Auf den Punkt gebracht hat diese Definition Lionel Robbins (1896-1984) in seinem "Essay on the Nature and Significance of Economic Science". Am besten kann Knappheit durch Arbeitsteilung (siehe unten) und Tausch beseitigt werden.

- Die wichtigste Ressource ist die Arbeit, genauer die Motivation und Fähigkeiten der Menschen. Wegen abnehmender Knappheit in der Globalisierung gerät die Bewertung der Arbeit (Lohn) immer mehr unter Druck. Insofern könnte die relative Mehrwerttheorie von Karl Marx aus einem anderen Grund wieder aktuell werden. Immer mehr  Arbeiter sind auch schlecht beschäftigt (atypische Beschäftigung: Leasing, Zeitverträge, geringfügige Beschäftigung  u. a.) und stellen in rezessiven Zeiten einen Puffer dar (zeigt sich klar in der Corona-Krise). Insofern sind viele Länder auf dem Weg in die Dualisierung des Arbeitsmarktes (Kern- und Randbelegschaft). Das gilt sogar für das Land, in dem die Arbeit den höchsten Stellenwert im Leben hat, für Japan. Zur Arbeit muss das Humankapital hinzugerechnet werden (wurde erst relativ spät entdeckt, Leontieff-Paradoxon, Samuelson). In der digitalen Revolution steigt die Bedeutung hoch qualifizierter Arbeit (Informatiker, Naturwissenschaftler), was große Auswirkungen auf die Verteilung in der Gesellschaft hat. Die Gestaltung der Arbeitswelt ist für die Qualität der Arbeit von entscheidender Bedeutung.

- Private Haushalte stellen ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Für das dadurch erzielte Entgelt können sie konsumieren oder sparen. Menschen verhalten sich aber nicht immer rational (Verhaltensökonomik). Eigentumsrechte können für sie der Schlüssel zum Kapitalismus sein. Aber das Leben ist nicht immer fair zu ihnen, so dass es Ungleichheit gibt. Dei Struktur der Haushalte hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt: Es gibt nicht mehr nur einen Haushaltsvorstand (Alleinverdiener) und die Haushalte können divers aufgestellt sein.

- Spezialisierung (Arbeitsteilung) sorgt für eine kompetente und Wettbewerb für eine effiziente Verwendung der Ressourcen. In Deutschland wird der Wettbewerb durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geschützt. Es verbietet Kartelle und soll Unternehmenskonzentration verhindern. Der Wettbewerb wirkt auch als Anreiz für die Menschen, die zwischen Alternativen möglichst rational entscheiden müssen. Die Kosten eines Produktes bestehen aus dem, was dafür beim Erwerb ausgegeben werden muss. Tauschhandlungen erhöhen die Wohlfahrt der beteiligten Tauschpartner. Es scheint einer Gesellschaft besser zu gehen (Wohlfahrt), wenn die Menschen ihre eigenen Interessen verfolgen und individuell handeln (der Staat reguliert nur).

- Der Markt als Lenkungsmechanismus steht im Mittelpunkt jeder Volkswirtschaft (siehe Bild oben mit Erläuterung). Er ist normalerweise gut für die Organisation des Wirtschaftslebens. Bei Marktversagen muss der Staat eingreifen. Vgl. hierzu meine aktuelle Markt - Betrachtung. Der Markt ist ein Ort, ein Mechanismus und eine Begegnung vieler Menschen (O. von Nell-Breuning, 1890-1991). Der Begriff reicht also vom kreativen Selbstentwurf von Menschen über Kommunikationsprozesse (Interaktion ist kulturell bedingt) bis zu Sachzwängen. Theorien über den Markt (ob sozial, kulturell, ökonomisch oder moralisch) beeinflussen wiederum den Markt selbst (ein gutes Beispiel ist die US-Rechtfertigung der freien Marktwirtschaft, obwohl die Praxis oft krass abweicht). Der Markt hat in einer idealen Welt die besten Lösungen. In einer Realität mit Verzerrungen (Qualität der Institutionen, historisches Erbe, Spekulationen)  muss es Modifikationen  geben. Einen freien Markt kann es in der Realität nicht geben, weil immer ein gutes Rechtssystem, Bilanzregeln u. a. da sein müssen und weil er den Umweltschutz nicht gewährleistet. Freie Märkte sind auch instabil und bedürfen deshalb der Regulierung. Besonders hervorzuheben ist ein brauchbares System von Eigentumsrechten. Besondere Probleme bestehen bei Märkten, die in starkem Wandel sind (Energie, Medien, Gesundheit).  "Die Märkte können länger irrational bleiben als man selber liquide", John M. Keynes. "Die Hypothese effizienter Märkte sollte man über Bord werfen", Klaus Adam, Mannheim (Wirtschaftswoche, Nr. 18, S.40).

- Der Staat schafft die institutionellen Rahmenbedingungen,  strebt die Erreichung anderer wirtschaftspolitischer Ziele an, sorgt für die Berücksichtigung der Umwelt (Internalisierung externer Effekte, starke Eigentumsrechte) sowie die soziale Abfederung (gerechtere Verteilung des Wohlstands). Insofern können Regierungen die Marktergebnisse verbessern, Wahlzyklen schwächen und stärken aber den Staat gleichermaßen. Dass der Staat aber nur auf Stimmenmaximierung aus ist, scheint zu einseitig. Der Staat kann systemrelevante Banken nicht in die Insolvenz gehen lassen. Um seine Aufgaben zu erfüllen, muss der Staat Steuern, Abgaben und Schulden nehmen, um Investitionen,  Ausgaben, Subventionen und Sozialleistungen geben zu können. Staaten können nicht Pleite gehen, aber Ausgabenreduzierung infolge hohen Schuldendienstes und Steuerrückgängen wird zu Konflikten führen. Die Kultur und die Geschichte einer Volkswirtschaft, die auch wichtige Einflussfaktoren darstellen, führen ein schwer einzuschätzendes Eigenleben. Zusammen mit der Psychologie der Wirtschaftsakteure ist die Kultur zu lange in der Volkswirtschaftslehre ausgeklammert worden (vgl. meinen Beitrag über Japan).  Die Digitalisierung durch das Internet führt erst virtuell zur Auflösung von Staatsgrenzen, später werden sie  wahrscheinlich auch real durchlässiger.

- Investitionen und Innovationen sorgen für Dynamik und erhöhen den Erfolg, der mit Ressourcen zu erzielen ist. Dieser wird in Gewinn gemessen und kontrolliert. Hauptträger von Investitionen und Innovationen sind die kleinen und mittleren Unternehmen (in öffentlichen Haushalten die kleinsten Einheiten, die Kommunen, die Hauptträger öffentlicher Investitionen sind). Das Innovationsmanagement wird zu einem immer wichtiger werdenden Standortfaktor und Indikator der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Mit Innovationen müssen die führenden Industrieländer ihren technologischen Vorsprung und ihren Wohlstand sichern (in neuerer Zeit KI und Chips). Der Schutz geistigen Eigentums fördert Innovationen. Bildung ist nicht nur für Innovationen notwendig, sondern steigert auch den Lebensstandard. Investitionen bestimmen den Wechsel zwischen Gipfel und Talsohle, was als Konjunktur angesehen wird. Viele Innovationen waren in den letzten 250 Jahren nur auf der Grundlage der fossilen Energieträger (Kohle, Öl, Gas) möglich. Die entscheidende Frage ist, was passiert, wenn diese Energieträger zur Neige gehen? Die Digitalisierung macht das Internet zum wichtigsten Produktionsfaktor heute. Das Internet beeinflusst entscheidend die Entwicklung der übrigen Produktionsfaktoren (z. B. Produktion 4.0).

- Unternehmen sorgen auch für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen und hängen von der Zufriedenheit ihrer Kunden ab. Dies wird manchmal auch verkürzt als Definition der VWL genommen: "Economics is the study of the production and distribution of goods and services". Dienstleistungen, die die Wirtschaftsstruktur moderner Länder prägen (Dienstleistungssektor vor Industrie und Landwirtschaft), haben eigene Gesetzmäßigkeiten im Preis- und Qualitätsmanagement. Von der Fähigkeit, Waren und Dienstleistungen zu produzieren, hängt der Lebensstandard eines Landes weitgehend ab. Die Trennung von Arbeit und Kapital (Unternehmen) wird oft als gegeben vorausgesetzt, obwohl sie Gegenstand der Analyse sein muss (z. B. ein wichtiger Punkt bei Karl Marx im Kapital). Gleichartige Unternehmen von der Produktion her werden zu Branchen zusammengefasst. Immer wichtiger werden heute Unternehmen, die Informationen und Wissen produzieren oder Dienstleistungen dafür bereitstellen (Google, Apple, Meta, Amazon; chinesische Gegenunternehmen Tencent, Huawei, Baidu, Alibaba). In der digitalen Welt droht eine Dichotomisierung (USA, China).

- Die Banken, insbesondere die Notenbank, sind für wertstabiles Geld verantwortlich (vgl. auch den Abschnitt über die Geschichte des Geldes). In kapitalistischen Volkswirtschaften (der Produktionsfaktor "Kapital" dominiert) hat der Finanzsektor eine Schlüsselfunktion. Die internationalen Finanzmärkte sind am weitesten globalisiert und der große Einfluss der Spekulation prägt den Marktmechanismus ("Mad Money"?). In der ökonomischen Theorie wird der Finanzsektor vernachlässigt (dies hat sich in der Finanzkrise 2008 gerächt, Finanzmärkte müssen auch weitgehend reguliert werden). GB und die USA forcieren den Protektionismus zugunsten ihrer Finanzzentren New York und London. Zu den bekanntesten Wirtschaftsdaten gehört die Inflationsrate, die als Kaufkraftverlust des Geldes beschrieben werden kann (Sinken des Preisniveaus nennt man Deflation). Kurzfristig kann es für eine Gesellschaft möglich sein, zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit zu wählen (Phillips-Kurve). Die Finanzaufsicht sollte mit der Internationalisierung der Finanzmärkte Schritt halten. Die Rolle und Bedeutung der Banken wird die aktuelle Zinspolitik und durch neue digitale Formen immer mehr zurückgedrängt (Schwarmfinanzierung, virtuelles Geld, Blockchain). Die Notenbanken der Länder und Integrationen (EZB) scheinen Geld in beliebiger Menge bereitstellen zu können (Modern Monetary Theory/ MMT? Erfinder war ein Deutscher: Knapp). Die Finanzwelt umfasst aber mehr als nur die Banken. Hinzu kommen Kaufrechte sichern (Derivate), Kapitalbeschaffung, Börsengang, Financial Engineering und vieles andere.   Die Privatbank Metzler in Frankfurt/M. ist die letzte unabhängige, große Privatbank in Deutschland. Sie wurde 1674 als Tuchhandelsfirma gegründet. Schrittweise wurde der Warenhandel mit dem Geldgeschäft gekoppelt. "Ein Banker leiht dir einen Regenschirm, wenn die Sonne scheint, will ihn aber sofort wiederhaben, wenn es anfängt zu regnen", Mark Twain.

- In der Globalisierung sind die Volkswirtschaften der Weltwirtschaft zunehmend miteinander verflochten und gegenseitig abhängig. Die Globalisierung hat den Grad der gegenseitigen Abhängigkeit der monetären und realen Welt drastisch erhöht und wesentlich mehr Unsicherheit mit sich gebracht. Koordinierungsversagen wirtschaftlicher Akteure hat immer schlimmere Folgen (weltweite Finanzkrise 2008/2009). Es wird immer schwieriger, Lieferketten stabil zu halten. Zu den wichtigsten Elementen gehören der internationale Handel und Wettbewerb, die internationalen Finanzmärkte und die Veränderungen der Umwelt. Durch internationalen Handel kann es jedem besser gehen (Adam Smith), viele werden auch ausgebeutet. Multinationale Unternehmen, die unabhängig von Nationen agieren,  haben an Bedeutung gewonnen. Das Thema "Global Government" wird immer wichtiger, um Marktdefizite auszugleichen (siehe oben, vor allem Bereich "Umwelt"). Die Schwellenländer tragen einen großen Teil der Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft; viel hängt davon ab, wann sie das technologische Niveau der führenden Industrieländer (IL) erreichen. Dies ist eine Schicksalsfrage für das Wohlstandsniveau der IL. Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft wird sich zunehmend nach Asien (China, Indien; im Jahre 1850 schon mal 50% der Weltwirtschaft) verlagern. Die aufstrebende, kaufkräftige Mittelschicht der Schwellenländer wird zunehmend zur Zielgruppe von Unternehmen der IL. Verteilungsprobleme nehmen überall auf der Welt zu (Arbeit gibt es reichlich in der Welt, Ressourcen werden immer knapper). In der Politik und Wahlen geht es immer mehr darum, wie die Verteilungsgerechtigkeit in den Gesellschaften erhöht werden kann (auch zwischen junger und älterer Generation). Die Verlierer der Globalisierung können in Wahlen dafür sorgen, dass Protektionismus wieder mehr Raum bekommt (Beispiel Wahlsieg von Trump in den USA; Brexit in GB).

Die Corona-Krise 2020 verstärkt eine globale Entwicklung, die man Decoupling (auch Deglobalisierung) nennt: Die Nationen verstärken ihre eignen Kräfte und ziehen sich auf kleinere Regionen zurück (Wandel der Lieferketten). Die Rückkehr des "kalten Krieges" durch den Ukraine-Krieg 2022 verstärkt die Blockbildung in der Welt wieder. China und die USA stolpern von einer Krise in die nächste und buhlen um die anderen Staaten in der Welt. Die meisten Länder sind noch an den USA orientiert. Der größte Teil der Menschheit hat allerdings eine eher neutrale Haltung (z. B. Indien, Pakistan, Brasilien, Süd-Afrika u. a.). China hat einige Staaten klar auf seiner Seite (Russland, Iran, Nordkorea, Vietnam, Mali, Nicaragua, Äthiopien, Syrien). Die Front zwischen China und den USA verläuft militärisch, ökonomisch und technologisch (Chips, KI). China wird auf der Weltbühne immer starker und sieht sich als Sprecher des "globalen Südens". Es versucht, seine Machtposition mit der "Neuen Seidenstraße" auszubauen und will 2049 (100 Jahre Volksrepublik) die Führungsposition in der Welt innehaben und mit Taiwan vereint sein.  Deutschland, Europa und die EU müssen ihre Rolle zwischen den Blöcken finden. Es wird immer deutlicher, wie wichtig die EU für unseren Wohlstand ist. Der Ostrand (Osteuropa) wird aber in den nächsten Jahren instabil sein, weil Russland immer wieder destabilisieren wird. Es muss auch erst seine neue Rolle zwischen EU und China finden. Die Kriegswirtschaft funktioniert halbwegs, aber was kommt danach, wenn das fossile Zeitalter dem Ende entgegengeht.

"Die ganze Börse hängt davon ab, ob es mehr Aktien gibt als Idioten und mehr Idioten als Aktien", Andre Kostolany.

 

 

  Ho Chi Minh-Mausoleum in Hanoi/ Vietnam 2019. Ho Chi Minh hat als Führer Vietnam in zwei Kriegen gegen Frankreich und die USA die Vereinigung und Unabhängigkeit gebracht. Der Marxismus-Kommunismus wurde nur als Ideologie aufgestülpt. "Onkel Ho" wurde auf einer französischen Schule ausgebildet und lebte eine zeitlang in Frankreich (wo er den Marxismus studierte), der UdSSR und  anderen Ländern. Er nahm diese Ideologie, weil er die Erfolge in Russland und China gesehen hatte. In Wirklichkeit ist das Land äußerst pragmatisch  in Wirtschaftsfragen (offiziell: Sozialistische Marktwirtschaft seit 1987), ähnlich wie China. Die Ideologie dient mehr der Rechtfertigung der Kommunistischen Partei und des Herrschaftssystems. Sozialistische Marktwirtschaften scheinen in vielen Aspekten kapitalistischer zu sein als der der Kapitalismus selbst. Ursprung ist eine gewisse Basarökonomie, die in der Kultur und Tradition der Länder verwurzelt ist. Pragmatismus hat auch schon immer die US-Wirtschaft ausgezeichnet. Auch hier werden Wertesysteme oft nur aufgestülpt und die ökonomische Praxis ist eine andere.

Ideologien (Ideensysteme) und Wirtschaft (Realität):

"Die Ökonomen machen es sich zu leicht, wenn sie uns in stürmischen Zeiten nur sagen können, dass, nachdem der Sturm lang vorüber ist, der Ozean wieder ruhig ist", J. M. Keynes, in: Tract on Monetary Reform, 1923.

"Ideologie ist Ordnung auf Kosten des Weiterdenkens", Friedrich Dürrenmatt, Schweizer Schriftsteller, 1921 - 1990.

Kapitalismus: Liberale Wirtschaftsgesinnung mit Anerkennung des Privateigentums mit dem Ziel, den Gewinn zu maximieren. Historisch beschreibt Kapitalismus die Entwicklung der Wirtschaft im 19 Jahrhundert. Heute ist umstritten, ob der Marktzwang notwendigerweise dazugehört. Weitere Fragen sind die nach der Ungleichheit, der Instabilität, der Demokratie, der Moral und dem Menschenbild. Vgl. Sieben Fragen an den Kapitalismus, in: Die Zeit, 35/2009, S. 17ff. Für negative Entwicklungen im Kapitalismus wird häufig der Begriff "Kasino-Kapitalismus" gebraucht. Vor allem die Spaltung der Gesellschaft, die an Dynamik zunimmt,  wird darauf zurückgeführt bzw. damit charakterisiert.. "Gegen die Illusionen der Ideologie gibt es zwei Heilmittel: die Erfahrung und die Notwendigkeit", Friedrich List, 1789-1846 (in Schwellenländern einer der berühmtesten deutschen Ökonomen).

Kommunismus: Vorstellung von einer zukünftigen Gesellschaft, in der das Privateigentum abgeschafft, die Produktionsmittel in Volkseigentum sind und die materiellen und kulturellen Bedürfnisse aller Menschen gleich befriedigt werden (ursprünglich aus dem Lateinischen: der Gemeinschaft gehörend). Karl Marx (1818-1883, deutscher Philosoph und Nationalökonom) hat die Konsequenzen des Kapitalismus präzise beschrieben und auf immanente Fehler hingewiesen. Die Menschen können sich befreien und zu sich selber kommen, wenn die Funktionsweise des Systems (Gesetze der Akkumulation) geändert wird. Die konkreten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen, die sich auf den Kommunismus beriefen (UdSSR, DDR), hatten aber ebenso grundlegende Fehler. In Deutschland ist der Begriff sehr stark mit den negativen Assoziationen dieser realen Regime verbunden. Es sollte aber immer zwischen der Utopie von Marx/Engels und den historischen bzw. realen (Nordkorea, Cuba) kommunistischen Systemen unterschieden werden.  "Die moderne Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor", Karl Marx/ Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Paris 1848.

"Verzeihung, ich bin nach wie vor dialektischer Materialist", Fidel Castro, kubanischer Revolutionsführer, auf die Frage, ob ihn seine Krankheit Gott näher bringe. "Der Kommunismus ist eine großartige Theorie. Das Unglück besteht darin, dass er sich in die Praxis umsetzen lässt", Ephraim Kishon.

In den polaren Denkkategorien von Kommunismus und Kapitalismus sind wirksame Lösungen für ein neues Funktionieren einer optimalen Form zu finden. Zu starke Bindung an diese Extreme kann zu Krisen führen. Moral und Werte müssen in die Organisation der Wirtschaft einfließen. Insofern muss es konkrete staats- und rechtspolitische Konzepte geben. So hat Deutschland eine Soziale Marktwirtschaft (der Begriff soll auf Müller-Armack zurückgehen, die Idee auf Ludwig Erhard). Dieses wirtschaftspolitische Leitbild ist aus dem Neoliberalismus hervorgegangen und verbindet seit 1948 eine Wettbewerbswirtschaft (mit GWB, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) mit der Idee der sozialen Gerechtigkeit. Dabei ist besonders wichtig, dass eine liberale Wirtschaftsordnung nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung bedeutet (Haftung der Akteure für ihr unternehmerisches Handeln). Insofern sollten auch die Verursacher der Finanzkrise 2008/2009 an der Abfederung ihrer sozialen Folgen beteiligt werden. "Ich fand die Gedanken der Ordoliberalen spannend, weil sie ein Kernproblem unserer Zeit beschreiben: die privatwirtschaftliche Machtkonzentration", Sahra Wagenknecht, Linken-Vize-Chefin (Vgl. Handelsblatt, Nr. 32, Februar 2014, S. 56).

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern"; "Alles muss angezweifelt werden", Karl Marx. Er wollte vor allem das erklären, was die Ökonomen seiner Zeit als Gesetz einfach voraussetzten: Trennung von Arbeit und Kapital, das Privateigentum und den Wettbewerb. Vgl. auch Karl Marx. Der Prophet der Krisen, Zeit Geschichte, Hamburg 2009.

 

Wirtschaftspolitische Grundkonzeptionen (Denkschulen, auch Wirtschaftstheorien):

"Mens agitat molem" (Der Geist bewegt die Materie)

"Die Ideen von Ökonomen und politischen Philosophen, seien sie richtig oder falsch, sind mächtiger als üblicherweise angenommen. Tatsächlich wird die Welt von kaum etwas anderem regiert. Praktiker, die von sich glauben, sie unterlägen keinerlei intellektuellen Einflüssen, sind gewöhnlich die Sklaven eines längst verstorbenen Ökonomen." John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, 1936.

Merkantilismus: Ab Ende des 16. Jahrhunderts (teilweise bis 18. Jh., vor allem in Frankreich (Colbert). Er wollte die Staatseinnahmen steigern und den Einfluss des Staates vergrößern (in Deutschland/ Preußen Kameralismus). Der Staat sollte auch Einnahmen aus Staatsbetrieben haben. Wichtig war die Finanzierung der Berufsarmee. Wichtig war dei Kontrolle des Außenhandels durch die Regierung, um für eine positive Handelsbilanz und ausreichende Geldmenge zu sorgen. Heute wird der VR China manchmal Merkantilismus vorgeworfen. Hierzu muss aber der Protektionismus und die staatliche Strategie Chinas sehr differenziert analysiert werden. In neuester Zeit folgt die Handelspolitik von Trump scheinbar auch der Idee des Merkantilismus.

Klassik (Smith, Ricardo, Say, Marshall, Thünen, Pigou): natürlicher Preis als Entgelt für Produktionsfaktoren; Angebot schafft Nachfrage; Geld ist neutral und damit Geldpolitik wirkungslos. Bei flexiblen Preisen und Löhnen findet die Marktwirtschaft ein stabiles Gleichgewicht. Der Markt hat die Fähigkeit, mit wirtschaftliche Erschütterungen fertig zu werden. Es kann keine dauerhafte, unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben. Staat kann keine positive Rolle in der Wirtschaft spielen ("Nachtwächter"). Es gilt das Saysche Theorem, dass jedes Angebot seine eigene Nachfrage schafft. Weiterhin orientiert am Wachstum von Nationen und freien Märkten. Die Verfolgung des Eigeninteresses führt zu wirtschaftlichen Vorteilen für alle. Diese Theorierichtung gerät in der großen Weltwirtschaftskrise 1929 - 1932 in die Kritik ("In the lon run we are all dead, Keynes). "Mitten unter den unaufhörlich wachsenden Geldforderungen der Regierung hat doch dieses Kapital, bloß durch die Sparsamkeit und den klug angewandten Fleiß der Privatleute (...)ihren Zustand zu verbessern, langsam und im Stillen zugenommen", Adam Smith.

Marxismus: Benannt nach Karl Marx (1818 - 1883), obwohl er sich selbst zeitlebens wehrte. Weitere berühmte Vertreter waren Friedrich Engels (1820 - 1895), Ernest Mandel (1923 - 1995) und Antonio Gramsci (1891 - 1937). Nach der Überzeugung des Marxismus führen die Ungleichheiten des Kapitalismus dazu, dass die Arbeiter die Kontrolle übernehmen und eine sozialistische Wirtschaft etablieren. Jede Ware hat einen Gebrauchswert und einen Tauschwert. Der Arbeiter erhält für seinen Gebrauchswert, die Möglichkeit Waren zu produzieren, einen fairen Gegenwert oder Lohn, der seine Lebenshaltungskosten deckt. Wird der Gebrauchswert des Arbeiters mit den Maschinen des Arbeitgebers kombiniert, ist der Wert der produzierten Waren größer als der Tauschwert des Arbeiters. Den dabei erzielten Überschuss, den der Arbeitgeber als Gewinn erhält, bezeichnete Marx als Ausbeutung.  Dieser Gewinn ist einerseits die Grundlage für Wachstum und Expansion des Kapitalismus, während der kontinuierliche Ausbau der Ausbeutung als Motor dient. Vgl. Marron, Donald: Wirtschaft in 30 Sekunden, Kerkdriel 2018, S. 14. Irrtümlichweise wird Marxismus oft mit Kommunismus gleichgesetzt.  "Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt", Karl Marx.

Neoklassik (Gossen, Walras, Pareto, Jevons): Nutzen wird unter gegebenen Nebenbedingungen maximiert; vollkommen flexible Preise und Löhne; Staat hat Nachtwächterfunktion. Die Neuklassik (Barro, Lucas) führt die Theorie rationaler Erwartungen ein. Häufig werden beide zum Neoliberalismus zusammengefasst, dessen Kern im Ideal des eigeninteressierten, möglichst deregulierten Wirtschaftsakteurs besteht. Man setzt sich für Freihandel und stärkere Privatisierung ein. Der Begriff geht auf den deutschen Ökonomen Alexander Rüstow (1885-1963) zurück, der zuletzt in Heidelberg wirkte. Man könnte auch Eucken zu dieser Gruppe rechnen. In eine neue, liberale Wirtschaftstheorie müssten allerdings nach den Erkenntnissen der modernen Verhaltensökonomik auch Gerechtigkeitsfragen integriert werden (Fairness). Auch die Vertragstheorie zeigt die Verhaltenformen, die vom "homo oeconomicus" abweichen( moral hazard, asymmetrische Information).   Es gibt die Klassifizierung in Salzwasserökonomen (Keynesianer: MIT, Harvard, Stanford; Süßwasserökonomen: Neoklassiker und Chicago-Boys vom Lake Michigan; die Brackwasserökonomen, die beides für möglich halten, an beiden Theorien ist was dran).

Österreichische Schule: Vertreter sind Carl Menger (1840 - 1921, Begründer), Eugen Böhm-Bawerk (1851 - 1914), Ludwig von Mises (1881 - 1973) und Friedrich von Hayek (1899 - 1992). Menger und Böhm - Bawerk lehrten an der Uni Wien. Nur ein freier Markt ist in der Lage, die Informationen und Einstellungen jedes Einzelnen in Bezug auf den Wert effizient zu koordinieren - auf diese Weise werden  die Marktpreise gestaltet. Sie wandten sich gegen den Sozialismus. Alle ökonomische Aktivität wird den Entscheidungen des Einzelnen zugeschrieben. Man war gegen Eingriffe von Regierungsseite. "Das wirtschaftliche Problem der Gesellschaft...ist kurz gesagt das Problem der Nutzung des Wissens, das niemand in seiner Ganzheit erhalten hat", Friedrich von Hayek.

Keynesianismus (Keynes, Hicks, Samuelson, Tobin, Robinson): relativ starre Preise und Löhne kurzfristig; Staat muss durch Geld- und Finanzpolitik eingreifen, um über Nachfrageanstieg Rezession zu bekämpfen: Arbeitslosigkeit entsteht nicht nur, wenn Löhne und Preise zu hoch sind. Auch mangelnde Nachfrage kann zur Arbeitslosigkeit und damit zur Rezession führen, aus der die Wirtschaft allein nicht herausfindet. Vorübergehende Staatsschulden müssen in Kauf genommen werden. Keynes spricht von Deficit Spending (Ausweitung der Staatsausgaben durch Kreditaufnahme). Insgesamt soll der Staat vor den Risiken des Kapitalismus schützen. Als heute noch Richtung weisend gilt die neoklassische Synthese von Samuelson: Wenn die Wirtschaft wieder mit vollem Potential arbeitet, besteht die angemessene Rolle des Staates darin, öffentliche Güter bereitzustellen und sich um externe Faktoren zu kümmern. In den 90er Jahren in Japan und 2008 in den USA erlebt der Keynesianismus eine Wiedergeburt. In den  USA soll vor allem mit Steuergeschenken und Steuersenkungen die Nachfrage angeregt werden. In der Weltwirtschaftskrise 2009 verhindert die keynesianische Politik überall in der Welt einen Absturz (die entscheidende Frage ist, ob auf Dauer). Aber schon wieder 2020 in der Corona-Krise müssen die Rezepte von Keynes die Wirtschaft vieler Staaten retten.

Neokeynesianer (Malinvaud, Grossman) und Neukeynesianer (Shapiro, Stiglitz, Blanchard, Jordi Gali´, Mark Gertler) variieren den Ansatz. Vollständig flexible Preise sind ihnen ein Dorn im Auge.  Preise reagieren zeitverzögert auf Veränderungen von Angebot und Nachfrage ("sticky prices", klebrige Preise). Sie nehmen aber die mikrofundierten Modelle (mit rationalen Erwartungen) der alten Keyneskritiker und bauen dort Rigiditäten ein. Schritt für Schritt wird jetzt untersucht, was diese für Arbeitslosigkeit und Inflation bedeuten. Dabei spielt auch die Zentralbank eine wichtige Rolle für die Stabilisierung der Realwirtschaft. Mankiw stellt Informations-Rigiditäten in den Mittelpunkt und bezieht auch ein, wie Unternehmen Preise setzen. Marktwirtschaft tendiert nicht zwangsläufig zu stabilem Gleichgewicht, sondern mehrere Gleichgewichte sind möglich.

Monetarismus (Brunner, Meltzer, Friedman): Aktive staatliche Politik ist überflüssig; Geld ist wichtigster Faktor, auf dessen stetige, gleichmäßige Entwicklung geachtet werden muss. Geldpolitik sollte hauptsächlich Inflation und Inflationserwartungen stabilisieren. Die Supply-Side-Ökonomen (Laffer, Roberts) radikalisieren diesen Ansatz noch (Schmähbegriff: Voodoo Economy). Die Politik des billigen Geldes vor und in der Krise, ausgelöst durch die Zentralbanken, mit ihren Folgen hohe Staatsverschuldung und neue Finanzblasen könnte mittelfristig wieder zu einer Renaissance dieses Ansatzes führen. Gewarnt wird vor allem vor Crowding-Out-Effekten=Verdrängung privater durch staatliche Ausgaben. Mit der massiven Ausweitung der Geldmenge in Japan, in den USA und in der EU nach den großen Wirtschaftskrisen (war gleichzeitig eine der Ursachen der Krisen) sind die Mittel der Geldpolitik ausgereizt. Der Monetarismus hat kaum noch Einfluss.

"Der Wunsch nach Nahrung wird bei jedem Menschen durch die Kapazität des Magens begrenzt, während sein Verlangen nach Annehmlichkeit und Verschönerung von Gebäuden, Kleidung und Hausrat nahezu grenzenlos erscheint", Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, München 2001, S. 143.

 

Geschichte des Geldes und des Kapitals:

"Die Instabilität gehört zum Finanzsystem, seit die alten Mesopotamier den Preis für Getreide danach kalkuliert haben, wie wohl die nächste Ernte ausfallen würde," Niall Ferguson, Historiker, in: Geld! Geschichte, Der Spiegel, Sonderheft, Nr. 4/ 2009, S. 12.

Geld ist untrennbar mit der Entwicklung der Zivilisation verbunden. Geld überwindet Distanzen. Geld hat Europa den Aufbruch in die Neuzeit ermöglicht. Die industrielle Revolution ist ohne eine Revolution des Geldwesens nicht denkbar. Ein Zurück zur Realwirtschaft wird es nicht geben. Vgl. Lotter, Wolf: Was zählt, in: brand eins 06/18, S. 42ff. Auch in früheren Zeiten hat es schon Möglichkeiten gegeben, Geld zu überweisen. die Methoden hatten arabische Händler entwickelt. Sie kamen auch in den Kreuzzügen zum Tragen (vgl. neue Doktorarbeit von zu Guttenberg 2020; siehe unten). Ringe, Spangenbarren und Beilklingen dienten in der Bronzezeit als eine Art Ersatzwährung. Sie wurden im Handel über große Distanzen eingesetzt. Sie auffallend einheitlich gefertigt. Auch Muscheln, Salz und Textilien waren frühe Tauschmittel.

Geld ist die größte Antriebskraft und eine wichtige Quelle allen Fortschritts in der Wirtschaft. Der direkte Handel (Barter Trade) war zu ineffizient, Münzen und Tontafeln (vor 4000 Jahren Babylon) waren zu unbequem. Also entstanden Banknoten (in China, von Quittungen hergeleitet) und der Zahlungsverkehr in den Banken. Geldsysteme entstanden mit der Finanzierung von Kriegszügen, z. B. bei den Römern oder im Mittelalter für die christlichen Kreuzzüge. In Oberitalien entstanden im 12. Jahrhundert die ersten Seehandelskredite, die indisch-arabische Zählweise wurde übernommen und es wurden in Florenz die ersten modernen Banken gegründet. Im 15. Jahrhundert wird dort die doppelte Buchführung eingeführt.  Mit der Entdeckung Amerikas und dem Seeweg nach Indien beginnt ein Aufschwung des Fernhandels und der Kapitalgesellschaften. Edelmetalle, an die das Geld lange Zeit gebunden ist, gelangen in großen Mengen nach Europa. 1531 wird in Antwerpen im heutigen Belgien der erste öffentliche Finanzplatz der Welt eröffnet (Van der Beurze). Im 18. Jahrhundert lösen Aktien von John Law die erste Spekulationsblase aus (Law verkaufte Aktien für die Mississippi Compagnie, aber es gab kein Gold in Louisiana; manche gehen auch vom holländischen Tulpenwahn 1637 aus). Damit gilt John Law als "Erfinder" des modernen Kapitalismus. 1716 erhält er per königlichem Dekret die Erlaubnis, in Paris die Banque Generale zu gründen. Um sich Gold zu beschaffen, beteiligt Law das Volk (er verkauft Aktien). Die erste große Gelddynastie waren die Medici in Florenz. Es folgten die Fugger in Deutschland und die Rothschilds in Frankfurt, Paris, London und New York. Vgl. Sonderheft Nr. 4 des Spiegel: Geld, 2009. Die erste große Krise der Weltwirtschaft in der Neuzeit war 1857. Sie wurde von der Ohio Life Insurance Company ausgelöst. Sie hatte zu viel Geld in spekulative Anleihen für Eisenbahngesellschaften investiert. Diese Krise war allerdings rasch überwunden.

Geld beruht auf zwei universellen Prinzipien: Es ist universell tauschbar. Mit Geld lässt sich fast alles umwandeln bzw. kaufen (Loyalität, Gesundheit, Wissen, Gerechtigkeit). Geld schafft Vertrauen. Geld kann Menschen immer dazu bringen, zusammen zu arbeiten. "Money don´t get everything it´s true/ What it don´t get I can´t use", Berry Gordy/ Janie Bradford: Money (That´s What I Want).

Der Internationale Währungsfonds (IMF) weist zwischen 1970 und 2007  326 Währungskrisen, 124 Bankenkrisen und 64 Staatsschuldenkrisen nach. Es würde sich also lohnen, Innovationen in diesem Bereich durchzuführen. Dazu gehören neue Geldentwürfe (Bildungswährungen, Gesundheitswährungen, globale Referenzwährung und CO2-Währung). Auch über Zinsalternativen (zinsfreie Kredite, Standgebühr) und kleinere Organisationseinheiten (Genossenschaften) sollte nachgedacht werden. Vgl. Margit Kennedy: Occupy Money, Bielefeld 2011. "Unter den unzähligen Übeln, welche den Zerfall ganzer Staaten herbeiführen, sind vier als die vornehmlichsten anzusehen: innere Zwietracht, große Sterblichkeit, Unfruchtbarkeit des Bodens und die Verschlechterung der Münze. Die ersten drei liegen so klar zutage, dass sie schwerlich jemand in Abrede stellen wird. Das vierte Übel jedoch, welches von der Münze ausgeht, wird nur von wenigen beachtet, und nur von solchen, welche ernster nachdenken, weil die Staaten allerdings nicht gleich beim ersten Anlauf, sondern ganz allmählich und gleichsam auf unsichtbare Art und Weise dem Untergang anheim fallen", Nikolaus Kopernikus, 1473-1543, Denkschrift zum Münzwesen, 1526 (er wirkte an der Universität Krakau; ein Besuch dort lohnt sich).

Erst in der Neuzeit hat sich Geld von der materiellen Basis gelöst. Es fing an mit der Aufgabe des Goldstandards und dem Abschied von Bretton Woods (Gold immer noch wichtig, Dollar als Leitwährung mit festen Kursen). Das Geld ist nur noch durch einen Bruchteil von Realwirtschaft abgedeckt. Dies hat den Aufstieg des Finanzkapitalismus erheblich beschleunigt. Direkt mit der Bedeutung des Geldes ist die Gier danach verbunden, aber auch die Angst kein Geld zu haben. Das Vertrauen in die Institutionen, die über das Geld wachen, geht allmählich verloren. Diese psychologischen Komponenten des Geldes sind hervorragend in dem Buch von Günter Schmölders (Psychologie des Geldes) beschrieben. Ursprünglich war auch die Vorstellung, Geld zu verleihen und dafür Zinsen zu nehmen, verpönt. Die großen monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) untersagten es, Zinsen von Glaubensbrüdern zu nehmen. Immer war eine Krise des Geldes mit großen Krisen in anderen Bereichen verbunden (Inflation, Arbeitslosigkeit, extreme Verteilungsungerechtigkeit). Dies macht die Geldkrise so gefährlich für die politischen Regime. In der Frankfurter Judengasse gründete Mayer Amsschel Rothschild im 18. Jahrhundert eine der bedeutendsten und einflussreichsten Bankendynastien der Welt. Als er 1812 starb hatten seine Söhne Niederlassungen in allen wichtigen Finanzzentren gegründet. Deutschlands älteste Börse ist in Hamburg. Heute ist Franfurt der wichtigste Börsenplatz. Aber nur noch 8 Prozent des Börsenhandels werden 2013 klassisch im Saal abgewickelt.

Vielleicht werden in den kommenden Jahren die Karten beim Geld neu gemischt. In fast allen Banken suchen Expertenteams nach neuen Geschäftsmodellen. Sie beschäftigen sich mit Blockchain und wollen Plattform werden, bevor Amazon und Google auch noch die Geldgeschäfte übernehmen. Facebook kommt 2020 mit der digitalen Währung Libra. Sogar die Deutsche Bank sieht in einem digitalen Plattformmodell die Zukunft der Geldinstitute. Automaten ersetzen die Mitarbeiter. Chatbots die Kollegen im Call - Center. Robo-Advisers die Geldanlageberatung. Geld ist immer noch Treibstoff der Wirtschaft, aber die Wirtschaft ändert sich immer schneller. Daten sind das neue Gold, Bitcoin als Krypto - Währung ist eine neue Währung. China bestimmt immer mehr die Regeln, weil es die Führung in der digitalen Welt übernehmen will, die heute noch die USA hat. Vor diesem Hintergrund ist auch der Handelskrieg ab 2018 mit Zöllen und anderen protektionistischen Maßnahmen zu sehen.

Für Karl Marx, der sich in seinem Hauptwerk "Das Kapital" intensiv mit Geld auseinandersetzt, ist es "wahres Gemeinwesen", "Gott der Waren". Er wollte die "Genesis der Geldform", die "Warenzirkulation", das "Geldrätsel" und den "Fetischcharakter" entschlüsseln. Vgl. auch: Mark Schieritz, Mark: Geld her! in: Die Zeit, Nr. 2, 3.1.2020, s. 13ff.

 

Marktbetrachtung (theoretisch hat die Spieltheorie wichtige Beiträge geleistet, z.B. zum Oligopol, auch der Nobelpreis 2007 würdigt dies wieder; der Artikel entstand im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2007/ 2008):

Der Markt besitzt kein Gehirn und kein Herz", Paul Samuelson (er plädiert für den mittleren Weg und für eine Drosselung der Globalisierung; er gilt als Begründer der modernen "Lehrbuchökonomie" mit dem erfolgreichsten Lehrbuch aller Zeiten (über 4 Mio. verkaufte Exemplare, heute von Mankiw abgelöst); von ihm stammt auch der berühmte Spruch:" Gott gab dem Ökonomen zwei Augen, eines für die Angebots- und eines für die Nachfrageseite", Samuelson, starb 2009). Die folgenden Ausführung sind stark durch die aktuellen damaligen Entwicklungen geprägt. Sie wurden nicht mehr überarbeitet, um den tagesaktuellen Eindruck zu belassen (Chronik der Ereignisse).

Der Markt als Lenkungsmechanismus ist das Kernkonzept der Volkswirtschaftslehre. Denn nach dem Zusammenbruch fast aller Planwirtschaften Ende der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gilt die Koordination durch den Markt als der beste Lenkungsmechanismus der Wirtschaft. Die Globalisierung hat jedoch gezeigt, das in zwei zentralen Bereichen der Markt  nicht optimal funktioniert: auf dem Finanzmarkt und in der Umwelt. Insofern ist das Pendel zu stark in Richtung unregulierte Märkte ausgeschlagen (Gesetzgebung in den USA). Auf einem dritten Markt, dem Arbeitsmarkt, wird in allen Ländern im Eigeninteresse stark reguliert, um die größten Nachteile der Globalisierung abzufedern und der Zufall spielt eine große Rolle. Auch in Bezug auf Entwicklungsländer gibt es Verzerrungen und deshalb muss es Modifikationen beim Marktmechanismus geben. Insofern ist der optimistische Glaube, dass Märkte, wenn man sie alleine lässt, alle Probleme lösen werden ("markträumendes Gleichgewicht"), in arge Zweifel geraten. Besonders die Märkte, die in starkem Wandel sind, müssen in ihren Rahmenbedingungen genau analysiert werden. Dazu gehören der Energiemarkt (Verzerrung durch Förderung, internationale Interessen und Komplexität der Ziele), der Medienmarkt (besonderer Einfluss des technischen Fortschritts und der staatlichen Regulierung) und der Gesundheitsmarkt (starker Einfluss der demographischen Entwicklung). Hier kommt man mit starren Prinzipien nicht weiter. Besonderen Regeln folgt der Kunstmarkt seit alters her. Als einer der ersten großen Kritiker des Marktes gilt Martin Luther. Er weist darauf hin, dass der Markt eigenen Gesetzen folgt, bis der Mensch selbst zur Ware wird. Er kritisierte besonders das Kreditwesen. 300 Jahre später kommt die fundamentale Kritik von Karl Marx. Er setzt gezielt an den Schwächen in den Konzeptionen von Adam Smith und David Ricardo an.   "Ich glaube nicht allein an die Selbstheilungskräfte der Märkte", Josef Ackermann, Ex-Deutsche Bank-Chef im März 2008.

Der weltweite Finanzmarkt  (vgl. auch meine Veranstaltung "Finanzierung") ist durch den hohen Anteil von Spekulationen  unberechenbar geworden und die Risiken werden unterschätzt: Hedge-Fonds, Private Equity Companies, Financial Derivatives und Real Estate Investment Trusts (Reits) entziehen sich mit ihren Motiven und Methoden den staatlichen Kontrollgremien und ökonomischen Theorien. Hedge-Fonds sind Investmentgesellschaften, die meist von London oder New York aus operieren,  mit einem enormen Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital, die ihren hohen Gewinn durch risikoreiche Anlagegeschäfte verdienen (2007 ca. 1,6 Bio. $ in 9400 Hedge-Fonds). Sie sind oft in Steueroasen registriert und können durch ihre dominante Stellung, wenn  sie zusammenbrechen, andere Marktteilnehmer in einer Kettenreaktion mit reißen.  Private-Equity-Firmen beteiligen sich am Eigenkapital von Unternehmen oder übernehmen diese ganz, um die Anteile später mit Gewinn zu veräußern. Die Asienkrise hat die ungeheure Relevanz des ersten globalisierten Marktes (auch der Aktien- und Devisenmarkt gehören dazu)  dargelegt. Der Aktienmarkt im Reich der Mitte ist zwar noch verschwindend klein, aber Gerüchte rund um die chinesische Wirtschaft beeinflussen mittlerweile die Welt - Finanzmärkte. Die G 8  wollen Regeln für Hedge-Fonds entwickeln, die Transparenz, Liquidität und Stabilität sichern. Transparenz ist für Investoren, Banken und Aufsichtsbehörden wichtig (z. B. mit Kreditregister). Allerdings wird um den (freiwilligen) Verhaltenskodex gestritten, der eine Selbstregulierung mit sich brächte. Die Bundesregierung erwägt Schutzregeln für Konzerne vor einer Übernahme durch kapitalkräftige staatliche Fonds aus Russland, China und dem Nahen Osten.  Große Angst in  Europa herrscht vor Chinas staatlichen Investmentfonds. Vgl. Marquardt/ Hefeker/ Schnabl/ Hoffmann, Hedge-Fonds: Risiken für die internationalen Finanzmärkte?, in: Wirtschaftsdienst 2007/ 4, S. 211-224.Als das Emirat Dubai Ende November 2009 in Geldnot gerät, zittern wieder die Weltbörsen. In Dubai sind der Staatsfonds Dubai World und dessen Immobilientochter betroffen (seit Beginn der Krise sind die Immobilienpreise um 50% gefallen). Die Schulden betragen 80 Mrd. $. Dubai World ist u. a. an der Deutschen Bank und EADS beteiligt. Auch Kuwait wird durch seine Schulden mitgerissen. Es zeigt sich, wie anfällig die globalen Finanzmärkte sind. Einige Länder planen Ende 2009 eine Sondersteuer auf Boni von Bankmanagern (Frankreich, USA, GB, Deutschland). Die BayernLB muss Ende 2009 die Hypo Group Alpe Adria mit 4 Mrd. € retten. Amerikanische Banken verhindern Ende 2009 eine strenge Kontrolle der Derivate. 1,5 Billionen € haben die die Zentralbanken der Welt seit der Finanzkrise erschaffen. Für 2012 wird auf den US-Finanzmärkten ein neues Beben erwartet (700 Mrd. $ Schrottanleihen, die mit Gewerbeimmobilien besichert sind). Im April 2010 gerät Goldman Sachs unter Betrugsverdacht. Die Griechenland-Krise und die Spekulation gegen den Euro 2010 machen eine Regulierung der internationalen Finanzmärkte dringend notwendig. Der Zusammenbruch einer Sparkasse in Spanien, die schlechten Wirtschaftsdaten in Spanien und der Korea-Konflikt lassen Ende Mai 2010 die Kurse wieder einbrechen. 2010 steigt der Zwang zur Fusion von Landesbanken. WestLB mit BayernLB ist eine Option, eine andere WestLB mit Helaba. Am Ende könnte eine StaatsLB stehen. Die erste große weltweite Finanzkrise war 1857, ausgelöst durch eine Bankenpleite in den USA. Die letzte große war 1987 (Schwarzer Montag, den 19. 10.). Dazwischen war ein großer Einbruch 1929 (Schwarzer Freitag und Beginn der Weltwirtschaftskrise).

Im Sommer 2007 zeigt die Krise auf dem US - amerikanischen Hypothekenkreditmarkt die Relevanz des Themas. Wegen gestiegener Zinsen können viele US-amerikanische Bürger ihre Häuser nicht mehr abbezahlen. In den amerikanischen Hypothekenmarkt haben aber viele internationale Investoren ihr Geld gesteckt. Deshalb wirkt sich die Krise auch auf die Börsen in Frankfurt und Tokio aus. Der Hypothekenmarkt für Risiko-Immobilien nennt sich Subprime-Markt. Mitte der 1990er Jahre entfielen auf ihn 2% aller Hypothekenkredite, heute sind es rund 25%, bei einem Gesamtvolumen von 680 Mrd. $. Subprime-Kredite sind über Umwege auch in anderen Anlageformen enthalten (Anleihen, Hedge-Fonds). Die Finanzinstitute reichen ihre Risiken oft mittels moderner Finanzprodukte an den Kapitalmarkt weiter. Dadurch sind z. B. die französische Großbank BNP Paribas, die englische Hypothekenbank Northern Rock oder die deutschen Banken IKB-Bank, WestLB, SachsenLB und Deutsche Bank  betroffen. Weitere Risiken stecken in den zahlreichen durch Schulden finanzierten Firmenübernahmen (Leveraged Buy - Outs) und in dem Trend, Kreditrisiken an Hedge Fonds weiterzureichen ("Kreditkarusell"). Die amerikanische Notenbank schätzt die Verluste von US-Finanzinstitutionen auf hunderte Milliarden Dollar. In der Folge zeigen sich die Interdependenzen in weltweiten Kurseinbrüchen der Aktien. Hier zeigt sich, wie wichtig Transparenz und eine Kontrolle der amerikanischen Rating - Agenturen wäre. Die Risikoeinschätzung hat sich völlig verändert. Die Bundesregierung will die Finanzaufsicht verbessern. Aber es bedürfte wohl eher einer globalen Aufsicht. Die Staatsfonds aus Arabien und China pumpen mittlerweile viele Milliarden als Beteiligung  in die amerikanischen Großbanken. Trotzdem brechen weltweit am 21. 01. 2008 die Aktienkurse ein (stärkster Rutsch seit 11.09.2001, DAX -7%). Trotz der Leitzinssenkung durch die Fed kurz danach kommt es weltweit zu Turbulenzen an den Aktienmärkten, was die große Unsicherheit zeigt. Erst allmählich beruhigt sich der Markt, hat hat immer mal Ausschläge nach unten (z. B. nach dem Fastzusammenbruch von Bear Stearns oder die Pleite der Hypothekenbank "Indymac"; auch Freddie Mac und Fannie Mae kriseln; sie werden im September 08 unter staatliche Obhut gestellt). Die Notenbank vergibt weiterhin Kredite zu günstigen Konditionen. Die Abschreibungen der Banken werden weltweit auf insgesamt 1,8 Bill. $ geschätzt. Der amerikanische Notenbankchef rechnet infolge dessen noch mit der Pleite einiger Banken. Die Bewertung der internationalen Großbanken an den Börsen sinkt auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren. Bankenexperten rechnen mit einem Andauern der Krise bis 2010. In den USA wackeln immer mehr Finanz - Dienstleister (z. B. AIG, Washington Mutual). Nachdem Fannie und Freddy in den USA unter staatliche Kontrolle gestellt werden, reagieren die Börsen in aller Welt zuerst positiv. Es kommt es zu einer Konsolidierung und damit zu Zusammenschlüssen: Commerzbank mit Dredner, Deutsche Bank mit Postbank; die Bank of America übernimmt Merrill Lynch; Citigroup übernimmt Wachovia. Goldman Sachs und Morgan Stanley werden reguläre Banken. Washington Mutual wird aufgelöst und kommt zu JP Morgan Chase. In Deutschland wird die Real Hypo Estate von einer Bürgschaft von den Banken und dem Bund gestützt. Mit einem Enteignungsgesetz soll 2009 die Kontrolle ganz übernommen werden, was nicht nötig ist, da der Bund die Aktienmehrheit kaufen kann.  Dies scheint notwendig, damit vom Bund nur der Marktpreis an Flowers gezahlt werden muss. Nach der Pleite der Lehman Brothers fallen die Kurse wieder und die größten Geschäftsbanken der Welt bilden einen internationalen Notfonds. Der Zusammenbruch von Lehman wirkt wie ein Dominostein und war wahrscheinlich ein Jahrhundertfehler. Inzwischen werden auch Banken in Russland (russische Finanzministerium gibt 16 Mrd. € an 28 Banken), Belgien/ Holland/Luxemburg (Fortis, Dexia), Schweiz (UBS), Schweden (Roskilde), Island (Glitnir) und Großbritannien (HBOS, B&B) erschüttert und meist durch Verstaatlichung gerettet. Die Börsen der Welt sind auf einer Berg- und Talfahrt. Die amerikanische Notenbank stützt AIG mit 85 Mrd. $ und übernimmt 80%. Außerdem will sie einen Fonds gründen, der die Risiken der Finanzinstitutionen sozialisiert und damit absichert (Einlagensicherung mit 50 Mrd. $ für Geldmarktfonds, insgesamt ca. 700 Mrd. $ für wertlose Hypothekenpapiere durch einen Rettungsfonds, Verbot von ungedeckten Leerverkäufen; Staat ist auch an Gewinnen beteiligt und erstes Zugriffsrecht; mittlerweile durch den Kongress). Die amerikanische Bundespolizei FBI ermittelt in 26 Fällen. Auch 2009 fahren die Banken noch Riesenverluste ein (Bank of America, Citigroup). Zehn der 19 größten US-Banken brauchen 2009 knapp 75 Mrd. $ Zusatzkapital. Ein Stress-Test der Banken zeigt die Lage etwas entspannt (die Zahlen sollen gefälscht sein!). Der US-Staat stützt die Autobank GMAC 2009 mit 7,5 Mrd. $. Sogar 2011 gehen noch zwei Regionalbanken pleite (Legacy, First Commercial). Die BaFin verbietet auch Leerverkäufe (Wetten auf fallende Kurse, auch die Managerhaftung soll modifiziert werden). Führende Köpfe der Kreditwirtschaft drängen auf eine "Bad Bank" für Risikopapiere über 800 Mrd. €. Der Staat übernimmt die Mehrheit an der Commerzbank, im letzten Quartal 2008 macht die Deutsche Bank einen Verlust von fast 5 Mrd. €. Die EU plant auch Reformmaßnahmen (mehr Eigenkapital: 1/4 der Kreditsumme, europäische Aufsichtsbehörde für Extra-EU-Aktivitäten, aber keinen Rettungsfonds). Im November erreicht die Krise weltweit den realen Bereich (USA, Japan, EU, China). Konjunkturprogramme sollen entgegen wirken. Ende 2008 haben ca. ein Drittel der deutschen Industrieunternehmen Probleme, Kredite zu bekommen. Auch die Auftragseingänge brechen ein, auch 2009. 2009 übernimmt der Bund 25% der Commerzbank. 2010 will dies Bank wieder in private Hände zurückgehen durch eine Kapitalerhöhung. Nach Berechnungen des IWF 2009 wird die Bankenrettung Deutschland 77 Mrd. € kosten. Immer mehr geraten auch die Sparkassen in den Strudel der Krise, weil sie die Landesbanken stützen müssen. 2009 will der Bund faule Wertpapiere absichern, indem er dezentrale "Bad Banks" vorsieht (entscheidend: welchen Wert setzt man für die Problempapiere an, die Aktionäre sollen mit ihren Dividenden einstehen). Bad Banks werden bei der WestLB, der NordLB und der HRE eingerichtet. 2009 ist ein Gesetz im Wirtschaftsministerium in Arbeit, das dem Staat Eingriffe in Banken erlauben soll, die von Insolvenz bedroht sind. Die erste Phase der Finanzkrise scheint Mitte 2009 zu Ende zu sein, aber Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten und Kreditausfälle können die Banken noch weiter belasten. Offen ist noch, inwieweit die Kapitalmärkte eine Umlage für die staatlichen Hilfen leisten müssen. Die Bundesregierung führt 2010 eine Bankenabgabe ein, ebenso wird die Bankenaufsicht (Regulierung) reformiert. Im Herbst 2011 steht die Welt vor einer ähnlichen Situation wie 2008. Eigentlich ist die Lage sogar bedrohlicher, weil eine Staatsschuldenkrise dazukommt. Es gibt starke Kurseinbrüche an den Börsen und das Misstrauen zwischen den Banken ist groß. 2011 und 2012 wird in den USA genauer untersucht, wer an den CDOs (Wertpapierverbriefungen, Bündelung vieler Einzelverträge zu CDOs) verloren und verdient hat. Profiteure waren ausgewählte Hedgefonds, die gegen die CDOs gewettet hatten, indem sie Ausfallversicherungen für besonders riskante Tranchen kauften.  "Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer nackt schwimmt", Warren Buffet, reichster Mann der Welt, über die Milliardenverluste mehrerer Großbanken in der internationalen Finanzkrise.

Es zeigt sich, dass Finanzkrisen einem Muster folgen: exzessive Kreditvergabe, Fehlbewertung von Risiken, Verschuldung, unvertretbare Vermögenssteigerungen, Steigerung des Konsums. Dazu kommen jeweils Eigenheiten. So W. White, Chefvolkswirt der BIZ, im Handelsblatt vom 18.02. 08, S. 4. Vgl. auch: C. Reinhart/ K. Rogoff: Is the 2007 U. S. Sub-Prime Financial Crisis So Different? An International Historical Comparison, Paper NBER, January 2008. "Wir brauchen eine konzertierte Aktion von Notenbanken, Anlegern und Regierungen, um  dieses Zusammenschmelzen von Werten endlich zu beenden", Josef Ackermann, Ex-Deutsche Bank - Chef. Der schwache Dollar wird die amerikanischen Exporte stärken. Die USA werden immer weniger konsumieren. Das hat Konsequenzen für die EU und China. Die Weltwirtschaft muss eine neue Balance finden. Märkte mit unvollständiger Information und Asymmetrien brauchen wohl sorgfältige Regulierung, damit sie effizient und stabil sind. "Diese Krise ist anders - ein  Ereignis wie es einmal oder zweimal pro Jahrhundert vorkommt, tief verwurzelt in den Ängsten vor der Insolvenz großer Finanzinstitutionen", Alan Greenspan, ehemaliger US-Notenbankchef.

"Falsche Wirtschaftspolitik und ungenügende Überwachung des Kapitalmarkts in den USA sind die eigentlichen Ursachen der Finanzkrise", Zhang Jianhua, Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der chinesischen Notenbank.

Im Umweltbereich mit den Problemen "Artenschwund, Waldsterben, Überfischung, Sterben der Meereskorallen, Gletscherschmelze, Wasserverknappung, Ressourcenmangel, umweltbedingte Migration, Naturkatastrophen (schwere Stürme, Erdbeben, Überschwemmungen), Ausbreitung der Wüsten und Klimawandel" macht sich besonders negativ bemerkbar, das der Markt global, aber das Umweltrecht weitgehend national ist. Außerdem belohnt der Markt die Geschwindigkeit und die Bedenkenlosigkeit und fördert externe Effekte. Auch die Wohlstands-Disparitäten in der Welt zwischen Industrieländern, Schwellenländern und Entwicklungsländern verhindern globale Lösungen (Energieeffizienz, d. h. Primärenergieverbrauch je 1 Mrd. $ BIP: China 0,83; Russland 1,09; Indien 0,86). Die größten Klimaverschmutzer USA, China, Indien und Australien können sich zu keiner effektiven Reduktion entscheiden. Die Umweltökonomik ist sicher der wichtigste Teil der Volkswirtschaftslehre, da von ihrer Problemlösungskompetenz die Zukunft der Menschheit und das Überleben der Erde abhängt. Die Entwicklung der Zertifikate und ihre weltweite umweltpolitische Umsetzung spricht einerseits für diese Problemlösungskompetenz, andererseits können damit alleine nicht alle Umweltprobleme gelöst werden. Zertifikate (Erlaubnisscheine) sind eine marktwirtschaftliche Vorgehensweise, die aber mit erheblichen institutionellen Problemen verbunden sind.

Moralisch (in der Umweltpolitik ist Moral purer Realismus) und rational sind in beiden Bereichen globale Institutionen notwendig. Vielleicht kann man die Weltbank als multilaterales Kreditinstitut für Entwicklungsländer zurückfahren und ihr mehr Aufgaben in der Umweltpolitik und im Finanzcontrolling geben. Die Wirtschaftswissenschaften und ihre Theorien widmen diesen für die Menschheit zentralen Phänomen viel zu wenig Aufmerksamkeit, weil sie einmal in der Regel fernab der normalen Lehrbuchweisheiten liegen und andererseits ein interdisziplinäres, ethisches Denken erfordern. Die StudentInnen werde ich bei diesen Themen für Abschlussarbeiten, aber auch bei speziellen Wünschen nach Sonderveranstaltungen, nach meinen Kräften unterstützen. "Unser Marktradikalismus war ein unverschämter Ego-Trip", Erhard Eppler.

Anleger können über Aktien, Fonds und Zertifikate für das eigene Vermögen beide Bereiche verbinden: Bioenergie aus nachwachsenden Rohstoffen ist das Potential der Zukunft. In den vergangenen drei Jahren erzielte der Dow Jones Sustainable Total Return Index, der die Entwicklung nachhaltiger Aktien abbildet, eine bessere Wertentwicklung als das Börsenbarometer für internationale Aktien "MSCI". "Bis 2030 sind wir der größte Treibstofflieferant der Welt", L. I. Lula da Silva, brasilianischer Staatspräsident über Ethanol aus Zuckerrohr. Ebenso Chancen bieten Unternehmen, die sich mit Energieeffizienz beschäftigen. 46 Staaten wollen 2007 eine starke UN-Umweltbehörde schaffen (allerdings sind die größten Verschmutzer "USA, Russland, China und Indien" nicht dabei). Über die Finanzmärkte können Bürger vielleicht den größten Einfluss ausüben. Die Aktionäre sollten niedrigere Vorstandsgehälter, weniger Atomstrom und mehr Moral durchsetzen. 2011 betrug das Volumen nachhaltiger Geldanlagen weltweit 11,0 Billionen $ (2006 3,6 Bio.). Die Umweltbranche boomt seit langem in Deutschland und hat sehr viele Arbeitsplätze geschaffen. Ebenso dürfte die Energiewende eine große Chance darstellen (First-mover- advantage). Das Angebot an Nachhaltigkeitsfonds wächst auch 2015. Dabei setzen ihre Manager auf unterschiedliche Konzepte.  "Nachhaltigkeit liegt im Auge des Betrachters, jede Fondsgesellschaft legt dieses Ziel anders aus", Detlev Glow, Lipper, 2015.  

Der Arbeitsmarkt, wird bezogen auf die Karriere genauso wie von Angebot und Nachfrage von Glück und  Pech beeinflusst. Gerade bei Hochschulabsolventen ist die Konjunkturlage bei Start von außerordentlicher Bedeutung. Dies habe ich schon vor  25 Jahren in einer empirischen Untersuchung festgestellt (neuere Untersuchungen liegen von Paul Oyer, Marianne Bertrand, Till von Wachter vor). Man kann auch einen grundlegenden Wandel des weltweiten Arbeitsmarktes durch die Globalisierung beobachten. Die Normalarbeitsverhältnisse gehen zurück, dafür steigen die atypischen Beschäftigungsverhältnisse sehr stark an (geringfügige Beschäftigung, Zeitarbeit, befristete Verträge, Teilzeitarbeit, Solo-Selbständigkeit). Die Kernbelegschaften sinken, die Randbelegschaften nehmen zu. Hierzu habe ich eine Veranstaltung mitgeplant und einen Einführungsvortrag gehalten. Andererseits scheint 2010 ein Kipp-Effekt auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen, d. h. die Lage wird für das Arbeitsangebot, vor allem in bestimmten Segmenten, aufgrund der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung sehr viel besser.

"Sofern wir in die Natur eingreifen, haben wir strengstens auf die Wiederherstellung ihres Gleichgewichts zu achten", Heraklit, griechischer Philosoph, ca. 550-480 v. Chr.

 

Weltwirtschaftskrisen und die Lehren daraus:

Dieser Stein stellte im Römischen Weltreich einst den Mittelpunkt der damaligen Welt dar. Von hier aus waren die Entfernungen zu den Grenzen etwa gleich groß. Er steht im heutigen Istanbul (einst Konstantinopel, Byzanz). Er zeigt, wie relativ Globalisierung und auch Weltwirtschaftskrisen sein können. Zu Zeiten des Römischen Weltreichs waren Amerika und Australien als Erdteile noch nicht entdeckt.

Die im letzten Jahrhundert begann mit dem Absturz der Börse in New York, wo die Kurse am 23.10.1929 um 13% einbrachen; bis zum 29.10.29 waren die Kurse dann insgesamt um 30% gefallen. Dem Einbruch der Börse war aber eine globale Verschlechterung vorausgegangen. Danach brach die Industrieproduktion weltweit ein. In der Folge gaben die Reallöhne erheblich nach, trotzdem stieg die Arbeitslosigkeit stark an. Diese Erfahrungen führten bei Keynes zu seinen Überlegungen in der "Allgemeinen Theorie..." ("In the long run we are all dead"). Anna Schwartz (eine der wenigen, lebenden Ökonomen, die die Krise noch selbst erlebt haben) und Milton Friedman haben haben die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise darauf zurückgeführt, dass die Notenbanken den Geschäftsbanken nicht genug Liquidität zur Verfügung gestellt hatten (Schwartz/ Friedman: A Monetary History of the United States, 1867-1960). Schwartz weist heute auch immer wieder darauf hin, dass die laxe Geldpolitik von A. Greenspan die heutige Weltwirtschaftskrise (2008, 2009, 2010) mit verursacht hat. Hauptursache war eine Immobilienblase in den USA. Billiges Geld führte zu großzügiger Vergabe von Hypothekenkrediten auch an Schuldner mit geringer Bonität. Als die Immobilienpreise fielen, konnten viele Schuldner ihre Kredite nicht mehr bedienen. Eine generelle Ursache war die Deregulierung der US-Finanzmärkte unter Reagan und Clinton (Sparkassen mehr Freiheiten, Darlehen mit variablen Zinsen, Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken aufgehoben). Die heutige Finanz- und Geldpolitik hat die Konzepte von Keynes umgesetzt und damit aus der Krise gelernt: Die Geldpolitik ist expansiv. Die Finanzpolitik brachte sofort Konjunkturpakete.  Zahlungsbilanzdefizite können aufgrund des flexiblen Wechselkurssystems zu Wechselkursanpassungen statt zu Deflation führen. Allerdings sollte auch eine Rückführung der massiven Liquiditätsexpansion durch die Zentralbanken sichergestellt werden. Ebenso müssen die explodierenden Defizite der öffentlichen Haushalte zurückgeführt werden. Der amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke hatte die Weltwirtschaftskrise 1930 intensiv studiert und entsprechende Lehren daraus 2009 angewandt. Die meisten Amerikaner verstehen aber nicht, warum der Staat den Privatbanken so viel Geld zur Verfügung gestellt hat. Vgl. auch: Rogoff, K./Reinhart, C.: Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen, München 2010. Sie zeigen, dass Banken- und Staatsbankrotte immer wieder geschehen - und die Menschen haben nichts daraus gelernt. Die Griechenland-Krise und der Angriff der Spekulanten auf den Euro zeigen, dass es dringend notwendig ist, die Spekulation zu bekämpfen (Verbot bestimmter Finanzprodukte, Finanztransaktionsteuer, bessere Kontrolle der Finanz- und Schuldenpolitik). Die Schulden-Disparitäten in der EU und erste Ansätze zu einer Transferunion könnten die EU in ihrer Existenz gefährden.

2016 besteht die Angst vor der nächsten Krise. Das britische Pfund stürzt ab (nach dem Brexit), die Finanzbranche, allen voran die Deutsche Bank, findet keine Ruhe, Griechenland kriselt weiter. Südeuropa kommt nicht aus der Rezession, die EU streitet sich immer mehr (Flüchtlinge, Schulden, Klimapolitik). Bis 2019 ist die große Krise aber nicht eingetreten. 2020 droht eine weltweite Wirtschaftskrise durch das Corona-Virus. Die ganze Welt hat damit zu kämpfen. Die Pandemie bricht in China (Wuhan/ Hubei) aus und verbreitet sich rasend schnell. Sie legt zunächst Lieferketten lahm, später ganze Branchen und Länder. Durch die Lockdowns brechen Angebot und Nachfrage gleichzeitig ein. Die ökonomischen Ausmaße der Krise dürften die schlimmsten seit dem 2.Weltkrieg sein.

"What can you flood, saturate, peg and open? The market".

 

Ursachen, Folgen und Folgerungen von Finanzkrisen (insbesondere der großen Krise der Weltwirtschaft 2008/2009/2010 und Wahrscheinlichkeit einer neuen Finanzkrise ab 2018 und verstärkt 2023, Crashmodus?):

"Wir müssen die Theorie, dass die Finanzmärkte effizient funktionieren, aufgeben", George Soros 2010.

Die wahrscheinlichste Folge der Finanz- und Weltwirtschaftskrise ist eine Geldwertkrise. Die wichtigsten Staaten dieser Welt sind total überschuldet. Die Staaten verlieren an Vertrauen; die internen Verteilungskonflikte werden zunehmen (in Deutschland z. B. die Finanzprobleme der Kommunen). Die Notenbanken der Welt haben für eine Geldschwemme gesorgt, die die Zinsen noch niedrig hält, um die Rezession zu bekämpfen. Die US-Regierung stemmt sich noch 2010 mit Hilfe einer expansiven Geldpolitik gegen die Krise. Sie hat bereits 1,75 Billionen Dollar in die Wirtschaft gepumpt. Der Inflationsschub wird zu einer Zinserhöhung führen, die auch die Verschuldung verteuert. Die Preise werden auch durch die stark steigenden Ölpreise (Nachfrage in China, Krise in Nordafrika) in die Höhe gehen. Das Internationale Währungssystem wird die Inflation über die Welt verteilen. Hinzu kommt, dass eine Konjunkturerholung die knappen Ressourcen wie Energie und Rohstoffe verteuert, was in Form einer Kosteninflation verstärkend wirkt. Dies kann sich durch eine Euro-Abwertung beschleunigen, weil die Öl- und Rohstoffimporte in Dollar abgerechnet werden. Die Rohstoffpreise steigen Ende 2010 und Anfang 2011 schon stark an, zur Jahreswende lag die Inflationsrate in der EU schon bei 2,4%. Die Europäische Union gerät in eine große Belastungsprobe, weil einige Peripherieländer (z. B. Griechenland, Irland, Portugal) ihre Überschuldung nicht mehr selbst lösen können. Es droht ein "bail- out". Brechen jetzt etwa Konstruktionsmängel der EU auf, brauchen wir vielleicht einen Europäischen Währungsfonds?  Vgl. auch meinen Artikel "Inflation" auf der Seite "Glossar/ Theory". Ein relativ leicht zu lesendes Buch dazu ist: Müller, Hendrik, Sprengsatz Inflation, Frankfurt/ New York 2010 (Campus). 2010 pumpen die USA riesige Geldmengen in die Wirtschaft, um sie anzukurbeln. Das  führt in anderen Ländern zu Kapitalimporten, die zur Aufwertung der Währungen führt (z. B. in der EU). Die Erdbeben- und Tsunamikatastrophe in Japan, die Krisen in Nahost und die weiteren Geldschwemmen durch die großen Notenbanken (allen voran die USA und Japan) treiben die Inflationsraten nach oben. Inflation droht besonders in Asien und Lateinamerika. Etwa Irland ist ganz schlimm betroffen. Die Wirtschaftsleistung ist 2008 und 2009 um 16 Prozent geschrumpft. Das Haushaltsdefizit stieg 2010 auf 32%. Die Gesamtverschuldung stieg von 25 auf 75% (auch durch die staatliche Rettung der Banken). Ägypten, das in den Sog von Unruhen 2011 nach der Algerienkrise gerät, rechnet nicht mehr direkt zu den Schwellenländern wie früher. Das BIP betrug 2009 "nur" 188 Mrd. $. Einigen Ländern droht auch eine Deflation, also eine fatale Abwärtsspirale der Preise, zum Beispiel Japan. Auch 2012 hat die hohe Liquidität noch nicht zur Inflation geführt, weil die Konjunktur noch nicht angezogen ist und die Banken das billige Geld zur Deckung ihrer Unterkapitalisierung verwenden. In vielen Ländern setzt der Inflationsprozess schleichend mit Verzögerung ein. So ist es auch in der EU und Deutschland. Die alternativen Preise wie Immobilien, Gold und Kunst sind schon kräftig gestiegen. Die Überschwemmung der Industriestaaten mit dem Geld der Notenbanken wird unweigerlich zur Inflation und einer Verstärkung der Umverteilung ("Kalte Enteignung") führen. Einschränkend muss man aber dazu sagen, dass man bei Inflation streng analytisch trennen muss zwischen steigenden Güterpreisen und spekulativen Übertreibungen an den Finanzmärkten. Das letztere muss man in den Griff bekommen, so dass auch die folgenden Maßnahmen immer wichtiger werden (Vgl. Mark Schlieritz: Die Inflationslüge, München 2013).  Goldman Sachs half den Griechen, mit raffinierten Währungsgeschäften die Schulden zu verstecken. Sie sind nun wieder engagiert, um aus einer Pleite des Landes Gewinn zu schlagen. Die nebulöse und dubiose Spekulation scheint also weiterzugehen.

Besonders wichtig ist daher eine weltweite Reform der Bankenlandschaft. Durch zuviel Geld können wieder neue Finanzblasen entstehen. Banken müssen ihre Kernaufgaben erfüllen (z. B. Kredite geben). Sie müssen Geld in die richtige Richtung lenken und damit auch Menschen. Die Allgemeinheit darf zukünftig nicht mehr für die Schäden zahlen. Regulierung ist machbar, wenn die Lobby-Macht der Banken gebrochen wird. In jedem Falle muss die Bankenaufsicht wirkungsvoller gestaltet werden (in der EU kommt eine EU-Bankenaufsicht bei der EZB). Die Staaten müssen aktiver werden. Die Notenbanken stellen mit ihrer gefährlichen Liquiditätsschwemme auch eine Gefahr dar. Aber auch viele große Banken sind weiterhin angeschlagen. Trotzdem müsste die Gläubigerhaftung verstärkt werden. 2011 bricht der Bankenindex (DJ-Stoxx-600-Banken) ein. Voran ging der Aktiencrash insgesamt. Bankenpleiten drohen auch weiterhin. Die entscheidende Frage dürfte dann sein. ist dies immer systemrelevant? 2012 geben die Banken die hohe Liquidität nicht immer in Form von Krediten an die Realwirtschaft weiter, weil sie selber unterkapitalisiert sind. Auch dies verhindert vorläufig eine Inflation. Eine Expertenkommission der EU schlägt im Herbst 2012 eine Trennung in den traditionellen Bereich der Banken (Kredite, Sparen) und Investment/ Spekulation vor.  Leider hatte die Bankenwelt aus dem Fall der Barings Bank, der ältesten Investmentbank GB, nicht gelernt. Am 26. Februar 1995 ging die Bank nach 233 Jahren Geschäft in Konkurs. Der Wertpapierhändler Nick Leeson hatte durch Spekulationen an der Internationalen Währungsbörse Singapur 1,4 Mrd. $ verloren. Die Interne Revision und des Risikomanagement der Bank hatten versagt.

Spekulation muss wirkungsvoll bekämpft werden. Eine Finanztransaktionsteuer muss ernsthaft in Betracht gezogen werden, weil sie eine positive Lenkungswirkung haben dürfte. Einige Finanzprodukte - wie die Leerverkäufe - sollten verboten werden. Die Verschuldungsprobleme einiger EU-Länder - wie Griechenland und Portugal - müssen Anlass zu Reformen und Stabilisierungsmechanismen in der EU sein. Die USA blasen mit der Federal Reserve Bank riesige Geldmengen in die Wirtschaft, die neue Blasen der Spekulation und den Währungskrieg anheizen. Der Ökonomie insgesamt fehlt ein neues Weltbild, in das Spekulationen integriert sind. Vgl. N. Roubini/ S. Mihm: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft, Frankfurt 2010. Der spekulative Finanzkapitalismus erhöht drastisch die Volatilität der Finanzmärkte und macht sie noch unberechenbarer.

Immer mehr Fachleute und Menschen zweifeln auch am Wirtschaftswachstum als Wohlstandsformel der Zukunft. Nicht erneuerbare Ressourcen, die Effizienz der Industrieproduktion, Nahrungsmittel und Umweltbelastung sind begrenzt, es wächst nur exponentiell die Weltbevölkerung (Im Jahre 2030 etwa Maximalwert). Wir müssen uns auf eine Welt mit weniger materiellem Luxus einstellen. Diese Tendenzen müssen auch in einer Veränderung der Messindikatoren des BIP zum Ausdruck kommen (so Stiglitz, Sen, SRW in Deutschland und Frankreich, Bundestags-Kommission).  Die zunehmende Energieknappheit könnte dazu führen, dass die Welt wieder kleiner wird, die Uhr der Globalisierung also zurückgedreht wird (steigende Transportkosten könnten die weltweiten Logistik-Netze wieder ändern, aber auch die stark steigenden Produktionskosten). Vgl. Jeff Rubin: Warum die Welt immer kleiner wird, München 2010 (Hanser). Ebenso: Meinhard Miegel, Exit. Wohlstand ohne Wachstum, Berlin/ Propyläen 2010 (Zentrale Thesen: Für die alten Industrieländer geht die Epoche raschen Wachstums zu Ende. Was noch an Wachstum anfällt, wird die Lebensqualität nicht erhöhen). Schon jetzt machen Preissprünge und Engpässe bei der Versorgung mit Rohstoffen der Wirtschaft immer mehr zu schaffen. Da die Lebensweise in den Schwellenländern sich mit steigendem Einkommen stark ändert, hat dies schädlichen Einfluss auf den Klimawandel . Besonders negativ wirkt sich der steigende Fleischkonsum aus (Futtermittel, Treibhausgasausstoß). Sicher müsste eine neue globale Wirtschafts- und Finanzpolitik geschaffen werden (so: J. Stiglitz, Im freien Fall, München 2010). Die Krise - insbesondere die nachfolgende Euro-Krise - schlägt auch auf das Konsumklima und den privaten Konsum durch. Die drohende Rezession in den USA könnte ein  Warnzeichen sein. Zumal die führenden Staaten gegen die Grundlagen der Makroökonomie handeln: bei hoher Arbeitslosigkeit, langsamem Wachstum und Liquiditätsfalle die Staatsausgaben kürzen. Die USA dagegen halten an ihrer Nullzinspolitik und neuen Konjunkturprogrammen fest. Wachstum geht vor Konsolidierung.

Auf betrieblicher Ebene zeigen sich die Folgen insbesondere durch Nachfrageeinbrüche und Finanzierungsprobleme. Dies ist besonders kritisch für mittelständische Unternehmen die permanent Finanzprobleme haben. Hier sollte der Staat für gerechte Rahmenbedingungen sorgen. Hierzu habe ich schon eine Reihe von Spezialveranstaltungen gemacht. Die multinationalen Unternehmen (Multis) sind auf die Expansion in den Schwellenländern vorbereitet. Sie haben ihre Ausgangsbasen, von denen sie die Kontinente beliefern können. Zum Beispiel wartet VW in China, Süd-Afrika und Brasilien/ Mexiko auf das "Erwachen der schlafenden Kontinente". KMU tun sich wesentlich schwerer mit ihren Strategien im Hinblick auf die Schwellenländer.

Auch die Kultur muss überdacht werden: Was angeboten wird, sind nicht die Ideale der Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie, sondern der Wall Street. Die Gesellschaften sind ökonomisiert worden, die Bildung wurde in den Dienst der Wirtschaft gestellt. Alles wird in ökonomischen Erfolgsmaßstäben gesehen. Wünschenswert wäre in der Tat eine "empathische Zivilisation" und ein globales Bewusstsein, wie es Jeremy Rifkin beschreibt (Frankfurt/ New York, Campus, 2010). Andererseits bringt eine Werteorientierung der Unternehmen (CSR) auch ökonomischen Erfolg. Rodrik spricht von einem Trilemma der Weltwirtschaft: Hyperglobalisierung, Nationalstaat ("Goldene Zwangsjacke") und Politische Demokratie (Globalregierung) seien unvereinbar (Rodrik, D. Das Globalisierungsparadox, München (Beck) 2011, S. 261.

Die Gefahr einer neuen Finanzkrise ist höher als normal. Die Staaten der Welt sind relativ hoch verschuldet. Die Geldpolitik schafft zu viel Liquidität. Die Banken sind noch zu schwach kapitalisiert. In den USA droht eine neue Rezession (Arbeitsmarkt kriselt, Stagflation?, Häuserpreise fallen wieder). Der Aktiencrash im August 2011 ist ein Indikator, ein Währungskrieg könnte folgen. So könnte die Schuldenkrise irgendwann wieder außer Kontrolle geraten.  Die Geldmarktfonds sind gegenüber Runs nach wie vor anfällig. Die europäischen Banken hängen für die Finanzierung ihrer US-Dollar-Aktivitäten nach wie vor von den US-Geldmärkten ab. Die Möglichkeit eines Zusammenspiels von Wertpapierkäufen, Kursverlusten und Überschuldungsvermutungen besteht unverändert. Die Verlustbeteiligung der Gläubiger ist immer noch sehr umstritten. Vgl. Martin Hellwig: Was wäre, wenn der Lehmann-Konkurs heute stattfände? in: Wirtschaftsdienst 2018/8, S. 539ff. Auffällig ist im Jahre 2018, dass viele Unternehmen hoch verschuldet sind. Ihre Finanzierungskosten steigen. Aber auch Fusionen werden durch die billigen Kredite angetrieben. Noch steigen die Unternehmensgewinne. Doch was ist, wenn die Zinsen in den USA und in der EU wieder nach oben gehen.

Die Krise ist insgesamt als große ökonomische Fallstudie geeignet: Am Anfang steht eine Immobilienkrise (ab 2007). Dann wird daraus eine Bankenkrise (Höhepunkt Herbst 2008 mit Lehman). Daraus entwickelt sich eine Weltwirtschaftskrise (2009), die die gesamte globale Wirtschaft erreicht. Dann kommen die Staaten mit ihren Staatsschulden in Bedrängnis (2010). Daraus erwächst wieder eine neue Bankenkrise (2011).

Sehr beunruhigend ist die Rolle rückwärts in den USA nach dem Regierungsantritt von Trump. Sein Finanzminister Mnuchin, der von Goldman Sachs kommt, verkündet, man werde Teile der viel zu komplizierten Bankenregulierung wieder rückgängig machen. Das habe oberste Priorität. Das läuft auf eine Sabotage des Dodd-Franc-Act hinaus.

Hinzu kommt noch, dass die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen 2018 sehr ungünstig sind: Handelskrieg von Trump, Italienkrise, Brexit, Argentiniens Dollar-Abhängigkeit, Währungsturbulenzen in der Türkei, Schuldenberg in China. Das Globale Schuldenwachstum seit der Finanzkrise 2008 bis 2018 beträgt +60%. Ende September 2019 zeigen sich auf den US-Geldmärkten wieder Anzeichen, die man von der letzten Krise her kannte: Der Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, schoss plötzlich auf 10%. Ein von der Notenbank kontrollierter kurzfristiger Zins schoss über das von der Fed beabsichtigte Ziel. Die Fed musste über 200 Mrd. $ ins Bankensystem geben und schiebt bis Mitte Oktober noch mal 75 Mrd. täglich nach (so war auch die Situation vor der Lehmann-Pleite). Zu viele Investoren übernehmen zu aggressiv Risiken. Banken lockern ihre Kreditbedingungen wieder. Außerdem gibt es an der Wallstreet mittlerweile eine Reihe von Schattenbanken. Sie werden jetzt gefährlich. Die Krise kommt dann tatsächlich, hat ihren Ursprung aber in der Realwirtschaft. Der Shutdown in fast allen Ländern der Welt löst einen Doppelschock aus: Angebot und Nachfrage brechen gleichzeitig ein. Dies ist den führenden Volkswirtschaften der Welt wie China und USA, aber auch in Japan und der EU. Die Finanzmärkte sind diesmal eher indirekt beteiligt: Die Staaten müssen ihre Finanzpolitik gegen die Corona-Krise einsetzen, weil die Geldpolitik ihre Instrumente weitgehend ausgereizt hat. Die Staaten sind aber jetzt schon hoch verschuldet bzw. überschuldet.

Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung der Finanzkrise 2008 ab 2018 und verstärkt 2023: Die Kollateralschäden der letzten Finanzkrise sind zehn Jahre nach der Krise 2018 immer noch nicht behoben (hohe Staatsverschuldungen, Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa, fragile Banken, Misstrauen gegen und in den Eliten von Wirtschaft und Politik, Misstrauen gegen die Mechanismen der Banken und Märkte). Die Geldmarktfonds sind gegenüber Runs nach wie vor anfällig. Die europäischen Banken hängen für die Finanzierung ihrer US-Dollar-Aktivitäten nach wie vor von den US-Geldmärkten ab. Die Möglichkeit eines Zusammenspiels von Wertpapierkäufen, Kursverlusten und Überschuldungsvermutungen besteht unverändert. Die Verlustbeteiligung der Gläubiger ist immer noch sehr umstritten. Vgl. Martin Hellwig: Was wäre, wenn der Lehmann-Konkurs heute stattfände? in: Wirtschaftsdienst 2018/8, S. 539ff. Auffällig ist im Jahre 2018, dass viele Unternehmen hoch verschuldet sind. Ihre Finanzierungskosten steigen. Aber auch Fusionen werden durch die billigen Kredite angetrieben. Noch steigen die Unternehmensgewinne. Doch was ist, wenn die Zinsen in den USA und in der EU wieder nach oben gehen? "Stupid German money" (Kauf von CDO, CLO, RMBS) ist wie ein Bumerang nach Deutschland zurückgekommen und hat das traditionelle System der Landesbanken und aller Banken schwer erschüttert. Die Deutsche Bank hat sich 2018 noch immer nicht von den Wetten in den USA erholt (Derivategeschäfte). Es hat sich herausgestellt, dass ihre Verantwortung in der Finanzkrise größer war als ursprünglich angenommen. Sie hat die Krise nach Kanada getragen und ihre Verantwortung in Deutschland auf den Staat abgeschoben (IKB-Pleite). Es scheint, dass die Strategie der US-Regierung zur Rettung der Banken besser gewesen ist. Das Handelsblatt nennt im September sieben Gefahrenherde: 1. Ansteckungsgefahr ist noch da. 2. Schattenbanken: Gleiche Risiken, nur am anderen Ort. 3. Lasche Schuldendisziplin bei Staaten und Unternehmen. 4. Passives investieren verstärkt Kursbewegungen. 5. Verwundbare Infrastruktur. 6. Politische Risiken. 7. Verzerrungen an den Märkten durch die Geldpolitik (Quelle: Handelsblatt Nr. 178, 14.09.2018, S. 46ff.). Zusammenfassend könnte man sagen, dass die Ursachen der letzten Finanzkrisen alle geblieben sind. Zu niedrige Zinsen, politisch motivierte staatliche Eingriffe und extreme Schuldenmacherei bei allen Wirtschaftssubjekten haben die Probleme in die Zukunft verschoben. Hinzu kommen Fonds, Versicherungen und Pensionskassen, die immer mehr Anlagen kaufen, die schwer handelbar sind (nicht transparent und nicht liquide). Hinzu kommt noch, dass die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen 2018 sehr ungünstig sind: Handelskrieg von Trump, Italienkrise, Brexit, Argentiniens Dollar-Abhängigkeit, Währungsturbulenzen in der Türkei, Schuldenberg in China. Das Globale Schuldenwachstum seit der Finanzkrise 2008 bis 2018 beträgt +60%. Ende September 2019 zeigen sich auf den US-Geldmärkten wieder Anzeichen, die man von der letzten Krise her kannte: Der Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, schoss plötzlich auf 10%. Ein von der Notenbank kontrollierter kurzfristiger Zins schoss über das von der Fed beabsichtigte Ziel. Die Fed musste über 200 Mrd. $ ins Bankensystem geben und schiebt bis Mitte Oktober noch mal 75 Mrd. täglich nach (so war auch die Situation vor der Lehmann-Pleite). Zu viele Investoren übernehmen zu aggressiv Risiken. Banken lockern ihre Kreditbedingungen wieder. Außerdem gibt es an der Wallstreet mittlerweile eine Reihe von Schattenbanken. Sie werden jetzt gefährlich. Die Schattenwelt ist unberechenbar (Geldmarktinvestoren wie Hedgefonds, Vermögensverwalter, Wertpapierverleiher; Kreditnehmer). Das Grundproblem hat sich seit 2008 nicht verändert: Aus Ramsch wird Qualität gemacht. Pensionskassen und Versicherer haben massiv Kredite hoch verschuldeter Unternehmen aufgekauft. Finanzinvestoren und Banken versprachen höchste Sicherheit. Die Risken wurden raffiniert versteckt. In der Corona-Krise könnte die Täuschung auffliegen. Die Banken der sehr stark betroffenen Länder (Spanien, Italien, Frankreich) haben auch zu viele Staatsanleihen ihrer Heimatländer. In der Pandemie boomen die Finanzmärkte. Ist das eine Blase? Man erwartet danach Wachstum. Solange das nicht zu Inflation und dann steigenden Zinsen führt, ist das nichts schlechtes.  Im Laufe des Jahres 2021 gefährden die globale Ausweitung der Deltavariante des Corona-Virus und die anhaltenden Lieferengpässe (insbesondere Halbleiter, Chips) die Erholung der Konjunktur. Damit sinken die Aussichten für höhere Leitzinsen und die Chancen schwinden, eine neue Finanzkrise zu vermeiden. Vgl. Fischer, Malte: Der infizierte Aufschwung, in: WiWo 32/ 6.8.2021, S. 36f.  Der Ukraine-Krieg schwächt 2022 das Finanzsystem weiter. Die Sorge um die deutschen Banken ist zurück. Weltweit rutschen Volkswirtschaften in die Rezession. Durch steigende Preise und Zinsen geraten die Anleihemärkte ins Trudeln. Die Nervosität an den Börsen wächst, kommt ein neuer Bankencrash. Vgl. Bartz, Tim: Ein Funke genügt, in: Der Spiegel Nr. 42/ 16.10.22, s. 66f. Die Kurse spielen verrückt. Entscheidend dürfte weiterhin der Markt in den USA sein. Wenn der wankt, wankt die ganze Welt. Die Zinsen steigen weiterhin - und damit das Risiko. Vgl. Die Zeit Nr. 44/ 27.10.22, S. 25. 2023 scheinen die Immobilienmärkte als Reaktion auf höhere Leitzinsen erneut in die Knie zu gehen. Steht die Weltwirtschaft vor einer neuen Megakrise. Der US-Start-up-Finanzierer Silicon Valley Bank aus Menlo Park steht vor dem Aus. Er benötigt frisches Kapital. Droht in den USA eine neue Bankenkrise?  Hauptgrund für die Probleme ist die Hauptanlage in US-Staatspapiere. Diese verlieren durch die Zinserhöhungen der Fed an Wert, so dass es beim Verkauf zu Riesenverlusten kommt. Die Bank geht Pleite. Es folgt die Signature Bank in New York (zu viel Geschäfte mit Kryptowährungen) . Die Fed will die Einlagen sichern. Die US-Regierung übernimmt auch kleinere Regionalbanken, will es aber nicht Rettung nennen. Andere Banken von von Großbanken (Konsortium) gerettet. Die Bafin sieht keine Gefahr für deutsche Banken. Trotzdem gehen die Aktien der deutschen Banken im März in den Keller, weil die Schweizer Bank Credit Suisse schwächelt (eine Übernahme durch die UBS ist im Gespräch). Der UK-Pension Fund wackelt auch noch (schon länger, Steuersenkungspläne lässt Staatsanleihen abstürzen, Notenbank revidiert Geldpolitik). Die steigenden Zinsen bringen nicht nur in den USA die Banken in Not. Auch deutsche Institute leiden unter der Zinswende.  2018 gründet sich in Deutschland eine Bürgerbewegung "Finanzwende" (NGO).  Sie will unter anderem: eine Schuldenbremse für Banken, eine unabhängige Finanzberatung, die Offenlegung von Gesetzen, die direkt auf die Finanzlobby zurückgehen. Verschiedene Stiftungen geben eine Anschubfinanzierung. Vgl. auch: Adam Tooze: Chrashed: Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben, 2018 (Siedler). Vgl. auch: Rainer Zitelmann: Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung.

Bankenbeben 2023: Das Ende der Credit Suisse im März 2023 lässt Europas Banken zittern. Ein klassischer Bank Run bringt sie zu Fall (111 Mrd. CHF Kundengeld flossen im letzten Quartal 2022 allein ab). Im März 2023 ging es dann richtig los. Dubiose Investoren, Oligarchen und unfähige Chefs halfen die 167 Jahre alte Bank zugrunde zu richten. Den Ausschlag gab dann die Äußerung des Großaktionärs Saudi National Bank (9,9%), die Bank nicht retten zu wollen. Auf Druck der Politik und der Notenbank erfolgt die schnelle Rettung und Übernahme durch die UBS. Sie legt 3 Mrd. Franken in eigenen Aktien hin. Die Bilanzsumme der Credit Suisse ist doppelt so hoch wie die Wirtschaftsleistung des Landes. Die nächste Krise ist aber nur eine Frage der Zeit - vor allem der gestiegenen Zinsen wegen. Die Banken müssen dringend für mehr Eigenkapital sorgen. Ursprünglich geplante Reformen müssen wieder angegangen werden. Megainstitute dürften immer ein Risiko bleiben ("too big to fail" bzw. eher "too big to save"). Es gibt einen fundamentalen Unterschied zu 2008. Damals ging es um wertlose Finanzprodukte. Sicher erschwert die Bankenkrise die Bekämpfung der Inflation. Die Geldpolitik bzw. Zinspolitik muss moderater werden.   "Wir erkennen gerade wieder, wie fragil unser Finanzsystem is - dass wir immer noch in einem Kartenhaus sitzen", Moritz Schularick, Uni Bonn. Vgl. Coffart, Daniel u. a.: Too big to fail - die neue Staffel, in: WiWo 13/ 24.3.23, S. 14ff. "Das Bankenbeben wird realwirtschaftliche Folgen haben", Clemens Fuest 2023, Vgl. Bartz, Tim u. a.: Raus aus der Krise, rein in die Krise, in: Der Spiegel 13/ 25.3.23, S. 64ff.

 

Ã?hnliches Foto Moskauer Kreml. Gebäudekomplex mit orthodoxen Kirchen und Palästen. Auch Museen für Kunst und russische Staatsgebäude. Russland ist gleichzeitig Transformationsland und Schwellenland. Es ist immer noch das größte Land der Erde vor Kanada und China. Russland ist eines der rohstoffreichsten Länder der Erde und hat in Sibirien die größte Waldfläche der Welt. Durch das Auftauen des Permafrostes werden die Rohstoffen besser zugänglich. 1981 habe ich Moskau noch als Hauptstadt der Sowjetunion (UdSSR) besucht. Von da aus bin in andere Teile des Landes gereist, unter anderem auch nach Sibirien (Tour mit Langlauf-Skiern durch Sibirien). Kulturell ist Russland stark nach Europa ausgerichtet. Es gehört zwei Erdteilen an: Europa und Asien (Eurasien). Die Idee, Eurasien  mehr auszubauen, gewinnt durch die BRI - Konzeption der Chinesen mehr an Gewicht. Russland ist an einem guten Verhältnis zu Europa interessiert, um nicht zu stark von China abhängig zu werden. Im Verhältnis zu Russland sind die Interessen der EU und der USA unterschiedlich. Man sollte die Russische Föderation nicht in die Hände Chinas treiben. Hoffentlich macht die neue Außenministerin Baerbock nicht die Politik, die sie vorher angekündigt hat. Moskau ist argwöhnisch. Der Ukraine-Krieg bringt dann die EU und Russland auseinander. Russland nähert sich China an, die EU wieder mehr der USA (von denen sie sicherheitspolitisch abhängig ist).

Aufstieg der Schwellenländer und ihre Probleme (Änderung der Machtverteilung in der Welt; teilweise auch Abstieg):

Die Schwellenländer sind nicht exakt definiert. Auf jeden Fall dazu gehören die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China. Mit Süd-Afrika spricht man von BRICS. Dann kommen Argentinien, Australien, Indonesien, Süd-Korea (Industrieland, aber nicht G7), Mexiko, Saudi-Arabien und die Türkei. Im Kreise der Next-11 sind besonders wichtig: Chile, Ekuador, Ägypten, Israel, Vietnam, Philippinen, Malaysia, Pakistan. Im Kommen sind auch die "Frontier Markets" (Bangladesch, Sri Lanka, Kuwait, Emirate, Ghana, Kenia, Sambia, Kolumbien, Peru). Hier einige Wachstumsraten der Schwellenländer 2011 in Prozent: Brasilien 3,8; Russland 4,3; Indien 7,8; China 9,5; Südafrika 3,4; Mexiko 3,8; Indonesien 6,4; Australien 1,8; Süd-Korea 4,4 (2012); Türkei 2,2 (2012).  Die wichtigsten Industrieländer wachsen langsamer. So wird in den USA nur mit 1,5% und in Japan mit -0,5% für 2011 gerechnet, in der EU mit -0,4%. Wahrscheinlich wird sich das weltweite Wachstum 2012 auf 3,2% verlangsamen. Mitte 2012 schwächeln auch die größten Schwellenländer (China, Indien). 60% der weltweiten Einkommenszuwächse werden aber mittlerweile von Schwellenländern generiert (interessant sind die Wachstumsraten 2007-2011: Deutschland 7%, China 109%, Brasilien 81%, Indien 49%, Russland 43%; Quelle: Die Zeit 41/2012, S. 34) . 2050 werden China und Indien wahrscheinlich das höchste BIP haben. Brasilien, Mexiko und Indonesien werden Deutschland weiterhin überholt haben. 2022 diskutieren die BRICS - Staaten virtuell über Erweiterung und neue Projekte. Die Präsens Russlands in den BRICS-Ländern nimmt zu. Russland und China wollen ein Gegengewicht zu den westlichen Demokratien aufbauen. Doch Indien trägt den Kurs nicht mit. Vgl. Heide, D.: BRICS, in: HB Nr. 120/ 24.-26. 6. 22, s. 15.

Am schnellsten aus der Krise kommt China, das einen neuen Wachstumsschub erlebt (spätestens 2050 ist China die größte Volkswirtschaft der Welt). Mittlerweile entwickelt sich das Land immer mehr zum Anker der Weltwirtschaft, das langfristig die USA als Leitwirtschaft ablösen kann. China passt nicht in die üblichen Kategorien von Entwicklungs- Schwellen- und Industrieländern. Es hat sich in Krisenzeiten weder an der Banken-, Staatsschulden- und Wachstumskrise der Industrieländer  angesteckt noch ist es vom Kapitalabfluss und der Wachstumsschwäche der Schwellenländer betroffen. Das Land selbst ordnet sich gerne als Entwicklungsland ein, um weiter Unterstützungen zu bekommen. China ist aber stärker als die Schwellenländer (2016 dürfte das BIP der EU überholt werden; 2017 das BIP der USA). Einige Ökonomen bezeichnen das Land als "hybride Leitwirtschaft". Die Schwerpunktverlagerung der Weltwirtschaft nach Ostasien beschleunigt sich durch die Krise (vgl. Globalisierung auf der Ostasienseite). Auch andere Schwellenländer wie Brasilien, Indien und Russland werden an Gewicht zunehmen (alle vier zusammen werden als BRIC bezeichnet, mit Südafrika spricht man von BRICS). Im März 2013 findet erstmals ein Treffen der Schwellenländer in Südafrika (Durban) statt. Die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts wird vom Aufstieg einer konsumhungrigen Mittelschicht in den Schwellenländern geprägt. Mittlerweile haben in China 500 Mio. den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft (kleiner Wohlstand). In den BRICS-Staaten werden in Zukunft z. B. die meisten Autos verkauft werden (ähnlich ist es bei Handys und Sportartikeln). 27 % der weltweiten Produktion wird 2020 in den BRIC - Ländern stattfinden, mehr als in den USA und Japan zusammen. Die wachsenden Kundenzahlen rufen in diesen Ländern aber auch zunehmende Konkurrenz hervor: SAIC, BAIC, Chery und Geely aus China, Tata aus Indien und Hyundai-Kia aus Südkorea. Mittlerweile kommen 120 Multinationale Unternehmen aus Schwellenländern (ca. 400 aus Industrieländern).  Wegen der positiven Wirtschaftsentwicklung 2010 haben sich in vielen Schwellenländern die Defizite verringert (die Schwellenländer wachsen bis 2014 um 4,7%, die IL um 2,4%, Weltbank). Für die deutschen Exporteure setzen sich die "goldenen Jahre" fort. Die Schwellenländer steigern weiter ihre Infrastrukturinvestitionen. Allein China plant für die nächsten fünf Jahre seine Importe zu verdoppeln (Nationaler Volkskongress). 2016 dürfte das Land die USA überholen. Zu China habe ich einen Vortrag gehalten. Doch in China droht ein überhitzter Immobiliensektor zusammenzubrechen (spätestens 2012?, trägt 20% zum BIP bei); auch die stark steigenden Nahrungsmittelpreise sind bedrohlich (Jasmin-Revolution?). Brasilien und Deutschland ergänzen sich ideal: Brasilien hat sehr viele Rohstoffe, Deutschland kann Know-how liefern. Teilweise exportieren die Schwellenländer ihre Inflation auch in die Industrieländer. Der stärkere Verfall des Dollar gegenüber vielen Währungen bedeutet, dass auch der Rembimbi gefallen ist. Der handelsgewichtete Gesamtwert des Remimbi hat erheblich abgenommen, vor allem im Verhältnis zu den Währungen der Schwellenländer, mit denen China konkurriert. Durch die anhaltende Niedrigzinspolitik in den Industrieländern entsteht ein Kapitalfluss in die aufstrebenden Schwellenländer, was zu Vermögensblasen dort führen kann (IIF). Zweimal schon hat Brasilien die Steuern auf Auslandskapital erhöht. Brasilien setzt außerdem zunehmend wieder hohe Zölle ein (z. B. hohe Zölle auf Importautos um sich gegen die Folgen des hohen Realkurses zu schützen). Auch Südkorea erhebt eine Steuer auf Kapitalzuflüsse.  Andere Staaten in  Südostasien wehren sich mit einer Quellensteuer. Indien führt noch keine Kapitalverkehrskontrollen durch. Chile interveniert am Devisenmarkt, um eine Aufwertung der eigenen Währung zu verhindern. Argentinien kann eine zu starke Aufwertung des Peso mit einer geschickten Geldpolitik vermeiden (wichtig für Exportboom, vor allem bei Weizen und Soja). Venezuela hat die zweithöchste Inflationsrate der Welt (2011 27,6%, importierte Inflation, Kapitalimporte, zweithöchsten Erdölvorkommen). Natürlich leiden auch die Währungen vieler Industrieländer wie Japan und die Schweiz (Franken ist Fluchtwährung). Aber die expansive Geldpolitik in den USA, Japan und der EU provoziert Gegenreaktionen der Schwellenländer. Der Wechselkurs wird politisiert. Wenn diese Blasen platzen, könnte eine Kettenreaktion ausgelöst werden (der Finanzsektor ist weiterhin sehr instabil).  Viele andere Staaten stehen vor ungelösten Problemen, was ihre Schulden angeht. So stehen Staatspleiten weiterhin im Raum.

Vieles in den Schwellenländern hängt von der Wirtschaft in den USA ab. Wie wird sich die lahme Wirtschaft entwickeln und wie kann der riesige Schuldenberg abgetragen werden? Aufgrund der Schuldenkrise in Europa hat eine Flucht der Investoren in die Schwellenländer eingesetzt. In China und anderen asiatischen Boomstaaten boomen Immobilienpreise, Aktienkurse und Wohlstandsversprechen. Welche Auswirkungen haben diese Blasen? Wie wird sich der Rohstoffboom in den Schwellenländern entwickeln? Dies sind viele offene Fragen.

Der rasche Aufstieg der Schwellenländer wird auch durch die Staats-Schuldenkrise der Industrieländer und die Euro-Krise begünstigt. Beinahe jedes westliche Industrieland muss um sein Rating fürchten, während die Schwellenländer ihre Kreditwürdigkeit weiter verbessern. Es wird zu gravierenden Machtverschiebungen in der Welt kommen, wobei Asien die Führung übernehmen wird (insbesondere China, Indien). Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten beiden Länder schon 50 Prozent des Welt - BIP. China will seine Währung freigeben. Der Renminbi, die chinesische Währung, ist auf dem Weg zur Weltleitwährung (10 Jahre?). Die Schwellenländer sind immer wieder im Mittelpunkt von Veranstaltungen (WS 11/12 in IBM(EA) (Internationale Finanzmärkte) und IHRM (Arbeitsmarkt, Personalwirtschaft). Die Schwellenländer werden immer mehr zur Lösung gravierender globaler Probleme eingesetzt. Ein wichtiges Forum sind hier die G20. China, Indien, Brasilien, Russland und Süd-Afrika kaufen (bzw. beabsichtigen dies) europäische Staatsanleihen, um den Euro zu stützen. Die Zentralbanken der Schwellenländer kaufen auch immer mehr Gold. Die Weltwirtschaft dürfte 2012 an Fahrt verlieren, so dass die Bedeutung der Schwellenländer weiter relativ zunehmen dürfte, da ihr Wachstum immer noch größer ist (vgl. ersten Absatz dieses Artikels). Wenn die Schwellenländer immer wettbewerbsfähiger werden, verlagern Unternehmen (auch aus Deutschland) immer mehr Produktion, Verwaltung und Forschung in diese Länder. Nach einer Studie des DIHK fördert die Produktion in anderen Ländern die Einstellung von Personal am Standort "Deutschland". Darauf hatte der SRW schon vorher hingewiesen (Exportfunktion!). 2013 machen die Exporte in Schwellenländer aus Deutschland heraus 16% aus. 2012 und 2013 sind die Geschäftsaussichten in den BRIC - Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) besonders gut. Der russische Gesamtexportwert betrug 2011 522 Mrd. $. Davon sind 70% Öl, Gas und Kohle. Der Anteil der Maschinen und Ausrüstungen liegt bei nur 5%.

Die Schwellenländer haben in der Regel gemeinsame Stärken und Schwächen. Zu den Stärken gehören der Rohstoffreichtum. Als Beispiel sei hier Indonesien genannt, das weltweit führender Produzent von Palmöl ist. Zudem werden dort Kohle, Kupfer, Erdgas und Eisenerz gefördert und exportiert. Als zweites Beispiel soll Mexiko genannt werden, das Öl, Gold und Silber exportieren kann. Eine andere Stärke ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit ein Handelsbilanzüberschuss. Dies trifft auf Südkorea zu: das Land ist der größte Hersteller von Frachtschiffen, Speicherchips und Flüssigkristallbildschirmen. Es gibt aber auch Länder, die große Schwächen in der Produktivität der Industrie haben, wie etwa Brasilien. Zu den weiteren Schwächen gehört meist die Infrastruktur. Doch hier wird stark aufgeholt. Als Beispiel seien Indien und die Türkei genannt. Bedrohlich ist, dass mit dem Wachstum auch die Ungleichheit in den Schwellenländern zunimmt. Die wachsende Mittelschicht fordert ihr Mitspracherecht ein (Dauerunruhen in Brasilien und Türkei).

Auf ihrem vierten Treffen 2012 im indischen New Delhi beschließen die BRIC-Staaten eine eigene Entwicklungsbank und internationale Börsenlistings und das Handelsvolumen in drei Jahren zu verdoppeln. Die deutschen Exporte in die BRIC-Staaten sind mittlerweile höher als in die USA. Aber Mitte 2012 scheint sich das Turbo-Wachstum der vier Schwellenländer zu verlangsamen, so dass sich auch deutsche Exporteure darauf einstellen müssen (die meisten Exporte gehen nach China vor Russland; Brasilien und Indien liegen weit dahinter). Gemessen an den Spitzenwerten des Wachstums wird es sich 2013 halbieren (China, von 14,2% auf 7,8%; Indien von 11,2 auf 5,6%), in Brasilien auf ein Fünftel (2,5%), in Russland auf ein Siebentel zurückfallen. Der lahmende Welthandel liefert nicht mehr genug Nachfrage für die Exporte. Die Schwellenländer stoßen mit ihren Wachstumsmodell des Basis-Effektes an ihre Grenzen (Unterkonsum, Überinvestition, Unterbewertung der Währung, hoher Exportanteil). Sogar die Währungen brechen 2013 ein. 2013 hat der brasilianische Real im Verhältnis zum Dollar um gut 20% abgewertet. Die näher rückende Verringerung der Geldmenge in den USA durch die Fed wirft ihre Schatten voraus. Hinzu kommt eine ausgeprägte Wachstumsschwäche, die auch China (7,5%) und Indien 2013 erfasst hat . Der chinesische Staatskapitalismus könnt trotzdem vielen Schellenländern oder angehenden Schwellenländern wie Peru, Vietnam oder Sambia als Modell dienen. Generell gilt für die Schwellenländer die Faustregel 6% Wachstum, um die Armut weiter zu reduzieren.

Der IMF senkt im Herbst 2013 zum sechsten Mal in Folge die Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft aufgrund der schlechteren Entwicklung in den Schwellenländern. 2014 wird deutlich, dass die Notenbanken, insbesondere die Fed, eine gewaltige Kreditblase in den Emerging Markets befeuert haben. Der Boom geht dem Ende entgegen, die Blase könnte platzen. Die Schwellenländer, die die Weltwirtschaft fünf Jahre gezogen haben, wanken. Solange nur die Türkei, Brasilien und Indien am stärksten betroffen sind, ist das Risiko für die Weltwirtschaft zu Beginn 2014 noch begrenzt. Diese Länder leiden darunter, dass die Aussicht auf höhere Zinsen in den USA die Investoren ihr Geld dort anlegen lässt. Kapitalverkehrskontrollen werden immer mehr in Betracht gezogen. Sogar die Währungen im Osten geraten 2014 mit in den Strudel. Vor allem der Rubel und der kasachische Tenge sind betroffen. Von einem weiteren Abstieg der Schwellenländer wäre auch Deutschland betroffen. Die deutschen Exporte in diese Länder machen 11,1% vom BIP 2013 aus (IWF). Vgl. auch meinen Artikel zum Abwertungswettlauf der Währungen, der genauere Daten über die Schwellenländer enthält.

Zu Beginn 2015 zeichnet sich eine globale Spaltung bei den Schwellenländern ab. Die großen Verlierer sind Russland und Brasilien. Russland wird von den Rating-Agenturen auf Ramschstatus heruntergestuft; der Rubel ist im freien Fall. Weil der Anteil der Rohstoffe an den Gesamtexporten 77% beträgt, leidet das Land besonders durch den Verfall des Erdöl- und Erdgaspreises. Davon ist auch Brasilien betroffen, bei dem 62% der Exporte Rohstoffe sind (die Automobilindustrie in Brasilien bricht auch ein). Spitzenreiter der Schwellenländer sind China, Indonesien, Nigeria, Indien. Mit Abstand folgen Mexiko und die Türkei. China entwickelt systematisch Parallelstrukturen gegenüber den globalen Einrichtungen (z. B. mit der NDB gegenüber der Weltbank). Das macht aber auch die Schwellenländer misstrauisch. Im August 2015 brechen die Frühindikatoren in China ein (z. B. Aktienkurs in Shanghai). Auch die Frühindikatoren der anderen führenden Wirtschaftsmächte brechen ein (USA, Deutschland, Japan). Die Währung in China wird drei Tage hintereinander abgewertet, um die Exportchancen zu verbessern. Am 25.08.15 senkt die Notenbank den Leitzins auf 4,6%. Daraufhin steigen die Aktienkurse wieder, Für Deutschland werden die Schwellenländer immer wichtiger. 40% der deutschen Exporte gehen in die Schwellenländer. 12 Jahre nach dem berühmten Report von Goldman Sachs mit dem Titel "Dreaming with BRICS" 2013 sieht die Zukunft der Schwellenländer wieder düsterer aus. Das wird aber auch irgendwann die Industrieländer treffen: 65% des Weltwirtschaftswachstums gehen auf die Schwellenländer zurück.

Die Automatisierung stellt die Schwellenländer vor enorme Herausforderungen. Es könnte zu einer Migrationswelle aus den Ländern heraus kommen (2016 Warnung des leitenden Weltbank-Ökonomin Inhira Santos). Im Mai 2016 gibt Foxconn in China bekannt, dass in nächster Zeit 60.000 Arbeitsplätze wegfallen. Die Löhne sind schnell angestiegen (Aufbau eines Sozialversicherungssystems). Gleichzeitig sind in den Schwellenländern die Staatskassen leer, sogar die Betroffenen nicht auf staatliche Unterstützung hoffen können. Der Staat müsste sich in den Schwellenländern auch mehr auf die Nicht-Industriebereiche konzentrieren. Die Landwirtschaft bietet große Potentiale durch Bewässerungssysteme und hochwertige Pflanzen. Die Menschen müssen besser für Jobs ausgebildet werden, die nicht durch Technologie ersetzbar sind.

Geschäftsmodell der Schwellenländer am Ende: Das Geschäftsmodell der Schwellenländer und ihr Erfolg beruhte vor allem auf niedrigen Löhnen. Dadurch kamen Direktinvestitionen in diese Länder, vor allem im arbeitsintensiveren Bereich. Viele Produktionsprozesse werden durch die Digitalisierung aber weniger arbeitsintensiv. Dadurch fällt der Standortfaktor Arbeitskosten bei ausländischen Direktinvestitionen nicht mehr so stark ins Gewicht. Der rapide technologische Wandel verändert Produkt- und Innovationszyklen rasant. Betriebe können ihre Produktion zurückholen. Bildung gewinnt wieder immer mehr an Bedeutung. Die ist aber in der Regel im Heimatland der Unternehmen besser. Im produzierenden Gewerbe kann Arbeit auch am leichtesten substituiert werden durch Roboter, Drucker und KI. Im Dienstleistungsgewerbe geht dies weniger schnell. Die Handelspolitik von Trump ab 2018 lässt auch die Direktinvestitionen in den USA ansteigen, so dass sie nicht in Schwellenländern getätigt werden können.

Aktuell 2016 ist die Lage der Schwellenländer sehr unterschiedlich. Politikverlierer wie die Türkei, Brasilien und Russland darben. Andere wie Indonesien, Philippinen, Indien und Mexiko boomen.  2015/2016 kommt es zu einer "Massenmigration" der Pensionskassen und Staatsfonds aus den Nullzinsnationen in die Emerging Markets. Staatsanleihen in lokaler Währung versprechen dort rund 6 Prozent Rendite pro Jahr. Attraktiv sind Mexiko (abzuwarten ist hier, wie sich der Wahlsieg von Trump auswirkt), Indonesien, Philippinen und Indien. 73% des Gesamtwachstums der BRICS-Gruppe dürften immer noch auf China entfallen, das das mit Abstand wichtigste Schwellenland bleibt. Insofern braucht die Welt auch ein starkes China. Der Zollstreit mit den USA, der mittlerweile zu einem Wirtschaftskrieg gekommen ist, dürfte China vorläufig etwas bremsen. Im Jahre 2017 droht einigen Schwellenländern eine Schuldenkrise. Der starke Dollar erhöht automatisch die Auslandsschulden (bei Mexiko kommen noch andere Gründe dazu). 2018 entwickeln sich die Schwellenländer mit Rückenwind: ein schwacher US-Dollar, starke Konjunkturdaten und gute Gewinnerwartungen stützen insgesamt die positiven Aussichten. Die Türkeikrise verunsichert dann aber Wirtschaft und Finanzmärkte. Die Probleme vieler anderer Schwellenländer verstärken sich: Russland wird abhängiger von Rohstoffen, China verliert durch den Handelskrieg mit den USA an Schwung, Indien leidet unter dem steigenden Ölpreis und der maroden Infrastruktur, Südafrika leidet unter Korruption, Argentinien hat eine hohe Inflation (auch Arbeitslosigkeit und Armut; Probleme der KMU; 300 Mrd. € Staatsverschuldung; Verfall des Peso), Brasilien leidet unter der hohen Staatsverschuldung und einer Staatskrise. Das Kapital fängt an, die Schwellenländer zu verlassen (nach der Finanzkrise war es gekommen, um den Zinssenkungen in den USA und der EU zu entfliehen). Ein Höhenflug des Dollars und Kursverfall der eigenen Währung verschärft die Verschuldungsproblematik der Schwellenländer. Auf dem Gipfel in Brasilia im November 2019 raufen sich die BRICS - Länder wieder zusammen. Brasilien und Indien wollen  höchstwahrscheinlich Huawei für ihre neuen G5-Netze einsetzen. Dafür verspricht China weitere Finanzhilfen. Brasilien leidet 2020 besonders unter dem schwachen Wechselkurs gegenüber dem Dollar (80,2 Real gegenüber 113,1 am 1. Februar 2019). Ebenso leidet die Türkei an einem Verfall ihres Wechselkurses gegenüber dem Dollar (87,7 Lira Mai 2020 gegenüber 110,8 Lira 2019). Ein Grund des Währungsverfalls ist, dass Investoren ihr Geld abziehen (100 Mrd. Dollar wurden 2020 abgezogen). Dann kommt es wieder mal zum Fluch der Dollar-Schulden. Darunter leiden auch andere Schwellenländer wie Südafrika, Mexiko und Argentinien. Aktuell betragen 2020 die Schulden der Schwellenländer 220 Prozent ihres BIP. Es droht ein Teufelskreis aus Abwertung, Kreditausfällen und Kapitalflucht. Die Zentralbanken in den Schwellenländern versuchen, den Wertverfall ihrer Währungen durch Interventionen am Devisenmarkt zu stoppen. Diese Situation verschärft sich 2022. Stark betroffen sind Brasilien, die Türkei und Nigeria. Die betroffenen Länder haben zwei gemeinsame Merkmale: hohe Bevölkerungszahl, geringes verfügbares Kapital für Investitionen. Hinzu kommen hoher Schuldenstand des Staates und der privaten Haushalte. Die Wirtschaft lief in Zeiten niedriger globaler Zinsen und stabiler Wechselkurse (Eldorado-Situation"). Das ändert sich durch Corona, den Ukraine-Krieg und die steigenden Leitzinsen. Die Zentralbanken versuchen weiterhin, den Devisenkurs gegen den steigenden US-$ zu halten. Vgl. Yalcin, Erdal: Schwellen- und Entwicklungsländer: Steigende Leitzinsen als Gefahr, in: Wirtschaftsdienst, h. 9/ 2022, S. 663.

Neue Märkte schaffen (in unterentwickelten Volkswirtschaften von Schwellenländern): Einige Länder sind derart unterentwickelt, dass dort keine verbraucherorientierten Unternehmen erfolgreich sein können. Gründer, die auf diesen Märkten Erfolg haben, konzentrieren sich auf marktbildende Innovationen. Sie erkennen Probleme, für die es bislang keine Produkte und Dienstleistungen gibt, schaffen regionale Arbeitsplätze und expandieren rasch. Dann gibt es auch einen sozialen Gewinn: Grenzmärkte leiden oft unter Korruption, schlechten Straßen, mangelnder Stromversorgung et cetera. Die wichtigsten Entwicklungsschritte lassen sich jedoch von marktbildenden Innovationen in Gang setzen - und mit der Zeit ziehen Regierungen und Finanzinstitute nach und bieten ihre Unterstützung an. Quelle: Christensen, C. M./ O Jomo, E./ Dillon, K.: Neue Märkte schaffen, in: HBM Juli 2019, S. 54ff. 2020 legt das ZEW in Mannheim eine Studie über die Attraktivität von Schwellenländern für Familienunternehmen vor: Am attraktivsten sind Russland, die Türkei und China (in dieser Reihenfolge). Schlusslicht ist Brasilien.

Abstieg der Schwellenländer ab 2020?: Die Corona-Krise bringt fast alle Schwellenländer in Schwierigkeiten. Die Niedrigzinsen haben auch dazu geführt, dass die Industriestaaten in Schwellenländer investiert haben. In Anbetracht der Probleme fließen Finanzen zurück. Von den BRICS - Staaten bleibt nur noch China übrig. Die Türkei und Süd-Afrika kränkeln. Indien hat kaum noch finanziellen Spielraum und wird zum Problemfall. Brasilien ist von der Pandemie überfordert. Wenn sich Schwellenländer Geld borgen, ist das sehr teuer. Die Lockdowns dünnen die Staatseinnahmen aus. Die Armut breitet sich weiter aus. Wann werden sich die Schwellenländer von diesem Einbruch erholen? Der starke Dollar und der Anstieg der Anleiherenditen setzt Länder wie Brasilien, der Türkei und Südafrika weiter zu. Es droht 2021 ein abrupter Abzug von Kapital. Die Währungen werden unter Druck geraten. hinzu kommt, dass sich die globale Arbeitsteilung wandelt: Die Erfahrung von Versorgungsengpässen in der Corona-Pandemie und sinkende Kapitalkosten verändern die globale Arbeitsteilung. Automatisierung und 3-D-Druck könnten nach Corona verstärkt an die Stelle unsicherer Lieferketten treten. Das wiederum könnte zum Problem der Entwicklungsländer und Schwellenländer werden. Sie brauchten ein neues Geschäftsmodell. Vgl. Losse, Bert: Roboter bekommen kein Corona, in: WiWo 23/ 4.6.21, S. 36f.

Zwischen Vision und Hybris (die Zukunft): Vor 20 Jahren 2001 prognostizierte der britische Ökonom Jim O `Neill (damals Chefvolkswirt von Goldman Sachs, er erfand der Begriff "BRIC") , dass Brasilien, Russland , Indien und China zügig zu den Industrieländern (G7) aufschließen würden. "Zügig" ist bis 2021 (nach 20 Jahren) nicht eingetroffen. China hat alle Erwartungen übererfüllt ("eigene Liga"). Indien könnte immer noch bis 2050 die Nummer 3 in der Welt werden. Brasilien hat ein verlorenes Jahrzehnt hinter sich. Die "Farm der Welt" ist zu abhängig von Agrarprodukten (Soja, Rindfleisch, Zucker, Kaffee, über 70% des Exportes) und schwierig einzuschätzen. Russland kommt trotz Rohstoffreichtums so recht nicht in Fahrt. Die Abhängigkeit von den Rohstoffen scheint sogar ein Fluch zu sein ("Holländische Krankheit"). Vgl. HB 30.11.21, S. 14ff.

Global Gateway der EU (gegen den Expansionskurs Chinas/ Seidenstraße): Im November 2021 entwickelt die EU einen 300-Milliarden-Plan (Global Gateway). Sie will das Geld investieren, um Infrastrukturprojekte weltweit 8in Entwicklungs- und Schwellenländern) zu fördern. Es ist Europas Antwort auf Chinas Seidenstraßeninitiative. Die EU will zu einem geopolitischen Akteur werden. 147 Mrd. € sollen von Europäischen Entwicklungsorganisationen wie der KfW kommen. Europa ärgert es besonders, dass bei den Ausschreibungen der "Belt and Road" - Initiative der Chinesen europäische Unternehmen so gut wie keine Chancen haben. Die USA sind mit ihrer Gegen-Strategie allerdings voraus ("Leuchtturmprojekte" beginnen schon Januar 22; "Build back better World"). Auch Japan will agieren. Im Rahmen der G7 sollen die Projekte verzahnt werden.  Vgl. HB 30.11.21, S. 1. Der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine könnte die Neue Seidenstraße massiv behindern. Diese Strategie setzt auf eine Konzeption von Eurasien. Wenn Russland isoliert ist und Länder in Osteuropa und Südeuropa von der EU nicht mehr abzuspalten sind (der Krieg eint die EU) wackelt die Konzeption. Vgl. Klein, Martin: Krieg in der Ukraine, in: Wirtschaftsdienst H. 3/ 2022, S. 157. Im April 2022 wird das Global Gateway-Projekt wieder belebt. Mit ihm will die EU ihren Einfluss in der Welt ausbauen (Entwicklungspolitik). Die stärkere internationale Vernetzung soll die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken. Es sollen auch demokratische Werte und Standards gefördert werden. Europa will China also Konkurrenz machen. Das ist eine Neuausrichtung der europäischen Entwicklungspolitik. Entwicklungshilfe soll mit politischem Nutzen verbunden werden.

Wo geht der Weg hin? Die BRICS - Länder waren mal die Hoffnung der Weltwirtschaft. 2023 ist eine genaue Entwicklung noch nicht absehbar. Russland führt Krieg in der Ukraine. China hält an der strategischen Allianz der Freundschaft mit Russland fest, möchte aber den technologischen Anschluss nicht verpassen und sich deshalb es sich nicht ganz mit dem Westen verderben. Man braucht den Westen für steigenden Wohlstand, ein Versprechen der KPCh. Brasilien und Indien taxieren selbstbewusst ihre Vorteile in einer neuen Weltordnung. Besonders Indien ist begehrter Handelspartner, um das Risiko in China (Angriff auf Taiwan) zu minimieren. Süd-Afrika macht gemeinsame Manöver mit China und Russland im indischen Ozean und lässt sich damit nicht mehr so einfach dem Westen zuordnen. Vgl. Haerder, Max u. a.: Vier zerrinnt, in: WiWo 9/ 24.2.23, S. 26ff. BRICS Plus heißt die Gruppe neu, die sich ab 2024 bildet (+ Iran, Saudi-Arabien, VAE, Ägypten, Argentinien, Äthiopien). Argentinien lässt selbst seine Mitgliedschaft erst mal ruhen.

 

Neue Ökonomie der Nachhaltigkeit ("Green Economy", Wachstum 2.0; vgl. auch economics/ special/ Umweltökonomik): In neuerer Zeit bevorzugt man den Begriff "Climate Economics" (so das Leitthema auf der VfS-Jahrestagung 2021).

Landwirtschaft am Li-Fluss im Süden Chinas bei Yangsuo (eine der schönsten und berühmtesten Landschaften Chinas; wird oft mit der Schweiz verglichen; Guilin mit dem Elefantenrüsselberg als Wahrzeichen ist  nächste Großstadt, subtropische Klimaverhältnisse). China ist auch heute noch in erster Linie Agrarland (am Li-Fluss wird Reis, Baumwolle, Tee, Obst und Gemüse angebaut; die Felder werden meist noch mit Wasserbüffeln bearbeitet). Aber die Agrarfläche geht in China  laufend durch das Vordringen der Wüste Gobi, durch Industrieflächen und Naturkatastrophen zurück. Schon kauft China Agrarflächen im Ausland, vor allem in Afrika und Südamerika. Die Kehrseite ist noch bedrohlicher: Wie soll die Erde eine KFZ - Dichte in China vergleichbar der Europas oder der USA bei heutiger Technologie aushalten? Die E-Autos mit weniger CO2-Ausstoß sind Notwendigkeit. Die Verschwendung von Natur durch die Industrie ist bedrohlich, wobei noch nicht die Umweltverschmutzung durch die Industrialisierung betrachtet wird. In den Großstädten geht mittlerweile die Angst um. Im November, Dezember und Januar nimmt die Luftverschmutzung dramatische Ausmaße an. In Peking z. B. liegen die Werte manchmal 40 Mal über dem Normalwert, so dass der dichte Smog die Gesundheit bedroht (Anstieg von Lungenkrankheiten und Allergien). Die Geldschwemme hat viele Landbewohner auch zum Bauen angeregt; viele scheitern, was der hohe Leerstand zeigt (verschandelt die Landschaft). In Guilin und in der Umgebung leben auch eine Reihe Minderheitenvölker, wie die Yao, die Miao und die Dong. Das ist ein Vorzeigeprojekt der Regierung für den Umgang mit Minderheiten (wird gerne Touristen vorgeführt, Probleme in anderen Minderheiten-Regionen werden verschwiegen).

"Wer Bäume setzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen", Rabindranath Tagore.

Nach 2010 treten immer massiver Anzeichen für den von Menschen verursachten Klimawandel auf. Die Menschen merken persönlich die Erderwärmung, sie erleben die zunehmenden Naturkatastrophen. Mit dem Pariser Klimaabkommen 2015 versucht die Welt dagegenzuhalten. Trotzdem gibt es noch Politiker und Länder, die den Klimawandel bestreiten (Trump, USA). Seit mehr als 35 Jahren trägt der Weltklimarat (IPCC) den Stand der Forschung zum Klimawandel zusammen (er hat Schwächen, neigt zum Aktivismus).

Kern des Klimawandels ist die CO2-Bilanz, Unsere Luft besteht aus Stickstoff, Sauerstoff und CO2. Normalerweise sollte der Anteil von CO2 (Treibhausgas) bei 0,04% liegen. Es wird also eine bestimmte Menge an Treibhausgasen benötigt. Allerdings steigt der Anteil beständig an und kumuliert sich. Dieser Anstieg beträgt etwa 37 Gt CO2/ pro Jahr weltweit. Der Mensch ist Hauptverursacher. Die Erde verkraftet aber nur einen bestimmten Anstieg (2 W/qm), um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad C zu begrenzen. Dieses Ziel ist im Pariser Klimaabkommen festgelegt. Wenn man nicht jetzt gegensteuert, werden die Kosten später sehr viel höher sein. Wenn die Erde sich stärker erwärmt, schauleön sich die extremwerte der planetaren Wellen auf (meandrieren). Die Omega-Wetterlagen häufen sich (Hochs und Tiefs bleiben länger an einer Stelle). Die Folge sind Naturkatastrophen in Form von Dürre, Starkregen und Orkanen.

2017 sah der deutsche Energiebedarf wie folgt aus: Mineralöl 34,1%, Erdgas 23,5%, Steinkohle 10,8%, Braunkohle 10,9%, Kernenergie 6,8%, erneuerbare Energien 12%. Der Energiefluss besteht aus vier Sektoren: Industrie, Verkehr, Haushalte und Handel/ Dienstleistungen. Der größte Hebel besteht bei der Wärme in diesen Sektoren. Deutschland will seinen Energiebedarf stärker auf Erneuerbare Energien umstellen. Quellen sind vor allem Wind und Sonne. Windräder kann es offshore und onshore gaben. Probleme bereiten Naturschutz, alternative Nutzung (Agrarflächen) und Lärmbelästigung. Sonne (Photo-Voltaik, PV) kann auf Dächern oder in Freiflächen wirken (Solaranlagen). Das größte Problem besteht aber in der Speicherung. Während früher die Kurzzeitänderungen im Mittelpunkt standen, geht es heute um einen längerfristigen zeitlichen und räumlichen Ausgleich (z. B. Elektrolyseure). Dazu müssen die Investitionen stark erhöht werden. 

Woher soll das Geld bzw. die Finanzierung dafür kommen? Einmal müssen die vier großen Oligopolisten EnBw, Eon, RWE und Vattenfall mitmachen, die auch über die Netze verfügen. Es müssen aber auch neue Akteure auftreten (Genossenschaften). Die Bundesregierung will auch Öko-Anleihen auflegen. Entscheidende Anteile an der Finanzierung dürften aber auch eine CO2-Steuer oder Zertifikate haben. Die Steuer wirkt nur national und Wettbewerbsverzerrungen müssten durch Klimazölle ausgeglichen werden. außerdem müsste es einen sozialen Ausgleich geben. Zertifikate wirken brauchen oft zu lange, um ihre Wirkung zu entfalten. Außerdem sind sie schwieriger zu kontrollieren.

Wichtig ist immer eine globale Ausdehnung der Instrumente. Beim Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 führen die USA. Deutschland liegt auf Platz 6; hat aber insgesamt weltweit einen Anteil von 2%. Beim Gesamtausstoß führen die USA, China und Indien. Also funktioniert die Rettung der Welt nur über diese Staaten.

Nachhaltigkeit (Sustainability): im Kern die schonende Nutzung der Produkte eines regenerierbaren natürlichen Systems in einer Weise, dass dieses im Wesentlichen erhalten bleibt und sein Bestand nachwachsen kann. Die Idee ist ca. 300 Jahre alt und wurde erstmals von Carl von Carlowitz (1645-1714) in seinem Werk "Sylvicultura oeconomica" (1713) formuliert. Er ist der Vater der Forstwirtschaftslehre und lebte in Freiberg, Sachsen. Danach wird ein Wald nachhaltig genutzt, wenn nur so viel Holz eingeschlagen wird, wie nachwächst. Bereits im 15. Jahrhundert findet sich der Begriff in Forstordnungen (Speyer 1442). Heute ist der Begriff ein Modewort, der auf viele Bereiche angewandt wird.

Mittlerweile hat die Konzeption der Nachhaltigkeit auch Einzug gefunden in viele Spezialgebiete der Ökonomie: In der Volkswirtschaftslehre geht es einmal um die Modifikation der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Das Bruttonationaleinkommen eignet sich nur bedingt als Indikator für Wohlstand. Die Haushaltsproduktion, ökologische und soziale Aspekte, Ehrenamt, Arbeit für die Familie und Schwarzarbeit finden keine Berücksichtigung. Die Siglitz - Kommission (mit Sen) hat 2009 Empfehlungen gemacht, wie Wohlstand und Lebensqualität besser zu ermitteln sind. Diese Vorschläge greifen Ende 2010 die Wirtschaftsweisen in Deutschland und Frankreich auf. Sie schlagen keine weichen Faktoren wie "Happiness", aber die Aufnahme von "Lebensqualität" und "Nachhaltigkeit" vor. Im Januar 2011 nimmt eine Bundestagskommission zur Wohlstandsmessung ihre Arbeit auf. Sie ist mit 17 Abgeordneten und 17 Wissenschaftlern besetzt. Zum anderen ist Nachhaltigkeit der Kernbegriff der Umweltökonomik. Im Zusammenhang mit knappen Ressourcen, insbesondere Energie, lenkt der Begriff hin auf eine Diskussion über neue Wirtschaftsformen. Nicht erneuerbare Ressourcen, die Effizienz der Industrieproduktion, Nahrungsmittel und Umweltbelastung sind begrenzt, es wächst nur exponentiell die Weltbevölkerung (Im Jahre 2030 etwa Maximalwert). Also geht es um ein "Wachsen ohne Wachstum" (vgl. gleichnamiges Buch von Willi Fuchs, München 2011). Über Innovationsdruck und Markteinführungshilfen sollten weiterhin die "grünen" Produktionsbereiche ausgebaut werden. Die kapitalistische Wirtschaft soll zu einer nachhaltigen Wirtschaft transformiert werden (ökologische Grenzen aufzeigen, wachstumstreibende Institutionen umbauen, Politik anpassen). Die wirtschaftliche Dynamik soll soziale und ökologische Gerechtigkeit zusammenführen. Zum Dritten steht Nachhaltigkeit  in diesem Sinne für Zielharmonie. Z.B. wird häufig die gleichberechtigte Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Belange als "nachhaltig" bezeichnet (im engeren Sinne "Green Economy").

In der Betriebswirtschaftslehre wird auf die langfristige Orientierung ökonomischer Entscheidungen (Langzeitökonomie) hingewiesen im Unterschied zu der Quartalsorientierung vieler Unternehmen ("shareholder value"). Zurzeit kommt der Druck auch von den Kapitalgebern auf die Unternehmen, Nachhaltigkeit als Maßstab (natürlich auch ökologisch) zu setzen. So wird es als Wert und als Maßstab für Erfolg etabliert. Weiterhin zwingt die Ressourcenknappheit (s. o.) dazu, die Lebensdauer von Gütern zu verlängern bzw. zu verdoppeln. Also sind Produktion und Marketing zu einer Umkehr gezwungen. Weltunternehmen wie Panasonic in Japan und Bosch in Deutschland generieren mittlerweile schon 40 Prozent ihres Umsatzes mit "grünen" Produkten (Energieeffizienz, erneuerbare Energie, Green- and Cleantech). Aber auch erfolgreiche mittelständische Unternehmen wie Stiebel-Eltron oder Vaillant profitieren erheblich. "Es gibt keine bewerte Skala zur Messung des sozialen Bewusstseins von Konsumenten", Ingo Balderjahn, Uni Potsdam.

Eine besondere Rolle spielt der Begriff "Nachhaltigkeit" in mittelständischen Unternehmen. Hier wird er oft im Zusammenhang mit Familienunternehmen gebraucht. Im engeren Sinne wird der Begriff häufig auf die Nachfolge zugespitzt. Er kann aber auch umfassender im Mittelstand strategisch und ökologisch verwendet werden oder die gleichzeitige Berücksichtigung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten meinen. So wird nach der Finanz- und Weltwirtschaftskrise darauf verwiesen, dass der Mittelstand mit seiner Nachhaltigkeit für den schnellen Wiederaufstieg Deutschlands entscheidend verantwortlich sei. Nachhaltigkeit kann speziell sozial sein (social compliance - Erhalt langfristiger Beziehungen) oder auch finanziell (Erhöhung des Eigenkapitals, um die Abhängigkeit von Krediten zu verringern, Lösen von den Banken) sowie technologisch (optimale Anpassung an die Digitalisierung).

Die  Naturkatastrophe in Japan 2011 mit Erdbeben, Tsunami und Explosion von Atomkraftwerken hat die Diskussion über Nachhaltigkeit weltweit verstärkt (160.000 Menschen wurden evakuiert; der Ort bleibt hoch verstrahlt). Viele technische Risiken sind doch nicht beherrschbar. Die Atomkraft scheint gescheitert zu sein ("Brückentechnologie" wie lange?). Die Endlagerung des Atommülls erfolgt auch auf Kosten nachfolgender Generationen und nimmt ihnen Lebenschancen. Für die Nachhaltigkeit der Atomkraftwerke sprechen ökonomische Kriterien (hängt aber von den Bewertungskriterien ab: Bewertung der Risiken! Versicherungen finden sich nicht) und Klimagründe. Mittlerweile (ab 2018) bietet der Betreiber in Japan (Tepco) eine virtuelle Tour durch die Atomkatastrophe an. Es ist eine Mischung zwischen Eigenwerbung, Information und Voyeurismus.

Die damalige Ausgangsposition: Die Katastrophe wird sich auf die Weltwirtschaft auswirken: Entscheidend ist der weitere Verlauf, d.h. ob die Wolke nach Tokio zieht (dann würde die Wirtschaft lange stillstehen). Japan könnte aus USA-Staatsanleihen rausgehen ( in der EU auch 800 Mrd. $) und das Geld im Land verwenden. Die Notenbank soll bereits 200 Mrd. € in die Märkte gepumpt haben (insgesamt sollen die Kosten bei 400 Mrd. Euro liegen). Dies würde zu einer Aufwertung des Yen führen und die USA wären betroffen. Die Aufwertung des Yen wird durch Spekulationen verstärkt. Die führenden Notenbanken (G7) wollen auf eine Abwertung des Yen hinwirken, damit japanische Exporte erleichtert werden. Die Konjunktur in China könnte stark in Mitleidenschaft gezogen werden, weil viele Zulieferteile aus Japan kommen (Chips, Silizium, Displays, Autolacke). Insgesamt dürften weltweite Wertschöpfungsketten Lücken bekommen. Japan wird einen Rückgang des BIP erleben (1. Quartal 2011 -0,9%). Die Stromausfälle und Lieferunterbrechungen führen zu einer Rezession.  Im Sommer 2011 könnten sich die Stromengpässe verstärken (Klimaanlagen, Einspargesetz). Insbesondere die Automobilindustrie ist betroffen. Toyota wird 2011 seine Weltmarktführerschaft verlieren (Produktion in Japan -60%). Es wird eine Verschärfung an den Rohstoff- und Energiemärkten eintreten. Natürlich gehen zuerst die Aktien- und Rohstoffkurse in aller Welt nach unten und zeigen Konjunkturängste (an den zehn größten Börsen sofort -440 Mrd. € Kapital). Wahrscheinlich wird es weltwirtschaftlich eine leichte Wachstumsverlangsamung geben (0,8%?). An allen deutschen Exporten hat Japan einen Anteil von 1,4% (deutsche Importe aus Japan 2,8%). Nur 0,1% aller Nahrungsmittel in Deutschland sind Importe aus Japan. Je länger die Produktion in der Region Fukushima stockt, desto mehr wird sich auch die Wettbewerbsposition der Unternehmen dort verschlechtern (neue Sublieferanten). Japans Fischer, Bauern und Hersteller von Lebensmitteln bangen um ihre Existenz. Auch der Reiseverkehr nach Japan bricht dramatisch ein. Der damalige Premierminister aus Japan, der über die Katastrophe später ein Buch geschrieben hat, führt darin eindrucksvoll aus, wie nah Japan damals am Rande einer Katastrophe war. Er schilderte das auch bei einem Besuch im Ostasieninstitut der Hochschule Ludwigshafen. Acht Jahre nach der Katastrophe 2019 machen sich die Menschen Sorgen, welches Gemüse essbar ist. Wie hoch sind die Krebsrisiken? Menschen haben ein eigenes Testlabor eingerichtet. Denn der Regierung glauben sie nicht (Pilze sind aus jeder Küche verbannt, Kaori). Vor allem Schwangere haben Angst.  "In Japan gibt es eine Art Konsens, dass wir unsere Abhängigkeit von Nuklearenergie verringern wollen", Goshi Hosono, Energieminister Japans 2011.

Insgesamt sollten auch in der ökonomischen Theorie Nachhaltigkeitskonzepte eine größere Rolle spielen. Immer mehr Ökonomen wollen von Biologen lernen, wie komplexe Netzwerke in der Natur, so genannte Ökosysteme (Bienenstöcke, Ameisenhaufen),  funktionieren. Die meisten bestehenden Theorien sind zu sehr auf Optimierung ausgerichtet (z. B. Spieltheorie). Die Harmonie zwischen Ökonomie und Ökologie wird neuerdings wieder in Frage gestellt. Viele sehen die Gefahr, dass diese Formel gebraucht wird, um die Dauerpriorisierung der Wachstumsziele zu zementieren (vgl. Schluss mit der Harmonie, in: Die Zeit, Nr.5, 26.01.2012, S. 27). 

Eine neue, ökologische Ökonomie müsste folgende Kriterien erfüllen: 1. Die ökonomischen Ziele als solches müssen in Frage gestellt werden (insbesondere Wachstum). 2. Die Messkonzepte müssen verändert werden (bis heute misst die Weltbank Naturkapital nicht in Hektar, Biodiversität, Sauberkeit, sondern in Form von Einnahmen aus ihrer Nutzung). 3. Ein konsequentes Bezahlen für Umweltverbrauch muss gewährleistet sein. 4. Die Integrationsformel für Umwelt und seine Fassung im Drei-Säulen-Modell haben die Kernprobleme verschleiert. 5. Lebensqualität muss stärker einfließen. 6. Die Grenzen sind erreicht, so dass einen neue Utopie der Ökonomie gebraucht wird. Vgl. Maja Göpel: Das Ende des Homo oeconomicus, in: Futur zwei, Nr. 5/ 2018, S. 14ff. Frau Göpel ist Mitglied des Club of Rome (vgl. auch: Dies.: The Great Mindshift, 2016/Springer). Es muss auch konsequent definiert werden, welche Natur geschützt werden soll. Es muss ein ökologisch definierter Rahmen des volkswirtschaftlichen Strukturwandels geschaffen werden. Degrowth und freiheitliches Wirtschaften gehen nicht zusammen. Vgl. Michael Hüther: Marktwirtschaft + Öko, in: Futur zwei, 5/ 2018, S. 30f.

In der Politik in Deutschland gibt es in den letzten Jahren einen Trend zu den Grünen hin. Bei der Europawahl 2019 erzielen die Grünen ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl und sie werden zweitstärkste Kraft in Deutschland (20,7%) vor der SPD und nach der CDU/CSU.  Im Europaparlament büßen Konservative und Sozialdemokraten ihre Mehrheit ein. Auch bei den Kommunalwahlen in einigen Bundesländern (unter anderem RLP und B. - W.) erobern die Grünen viele Großstädte und Kommunalparlamente. Der Klimawandel ist zu einem dominierenden gesellschaftlichen Thema geworden, auch durch die heißen Sommer und die Jugendproteste ("Friday for Future"). Bei der jungen Generation (Generation Z) steht in vielen Ländern der Klimawandel im Mittelpunkt. Die Bundesregierung schnürt im Oktober 2019 ihr Klimapaket, um die Ziele des Pariser Klimabkommens von 2015 bis 2030 zu erfüllen. Experten kritisieren den angesetzten CO2-Preis für die Zertifikate als viel zu niedrig ein.

Der Klimawandel kann nur durch internationale Kooperation gestoppt werden. Insofern kommt dem Pariser Abkommen entscheidende Bedeutung zu. Implikationen von Paris für die Klimapolitik: Auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 wurde beschlossen, in der zweiten Hälfte des 21. J. das Stadium der Klimaneutralität zu erreichen. Das schafft man aber nur, wenn die Maßnahmen des Klimaschutz nicht auf einzelne Länder konzentriert bleibt,. Als ein solch globales Element bietet sich der Emissionshandel an als effizientes Instrument. Dazu müsste der CO2-Preis global vereinheitlicht werden, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen und Verlagerungen von CO2-emissionen (Carbon Leakage) kommt. In diesem Zusammenhang wird auch die Einführung einer CO2 - Steuer gefordert. China ratifiziert das Abkommen im September 2016 (20% aller Umweltverschmutzung). Ebenso die USA (17,9%). Damit steigt im September 2016 die Zahl der beigetretenen Länder auf 26. Mindestens 55 Länder müssen zum Inkrafttreten dabei sein. Sie müssen zusammen mindestens 55 Prozent der weltweiten Treibhausgase produzieren. Die EU wird gemeinsam ratifizieren. Das kann dauern. Man muss sich noch über die Verteilung einigen. Die EU-Umweltminister einigen sich aber am 30.09.16 über einen Weg. Daraufhin stimmt das EU-Parlament für die Ratifizierung. 7 Länder folgen China und den USA. Auf der UN-Vollversammlung am 21.09.16 folgen weitere 31 Länder. Der Bundestag ratifiziert am 22.09.16. Die bis September 2016 beigetretenen Länder decken 48% der weltweiten Emissionen ab. Am 25.09.16 gibt Indien (drittgrößter CO2-Emittent) bekannt, das Abkommen zu unterzeichnen. Damit könnte der Klimavertrag relativ früh in Kraft treten. Unter Trump treten die USA wieder aus.  Biden tritt nach Amtsantritt sofort wieder ein.

Die logische Struktur einer erfolgreichen Klimapolitik zur Rettung der Erde lässt sich aufzeichnen. Vgl. zu Beispiel die gute Darstellung in folgendem Buch: Bill Gates: Wie wir die Klimakatastrophe verhindern. Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind, München (Piper) 2021. Um die globale Erwärmung zu stoppen und den Klimawandel zu verhindern, müssen die Menschen aufhören, der Atmosphäre Treibhausgase zuzuführen. Gates beschreibt konkret die Werkzeuge, die wir heute dazu nutzen können: Stromerzeugung, Industrieproduktion, Landwirtschaft, Transport und Verkehr, Kühlen und Heizen. Er hat auch einen Plan zur Dekarbonisierung. Er geht auch auf fünf konkrete Fragen ein: 1. Um welchen Anteil dieser 51 Mrd. Tonnen geht es? 2. Welchen Plan haben wir für Zement? 3. Von wie viel Leistung reden wir? 4. Wie viel Platz braucht das? 5. Wie viel wird das kosten? Doch auch hier bleibt die Lücke einer internationalen Umsetzung und Kontrolle.

Die Corona-Krise 2020/ 2021 und der Ukraine-Krieg mit seinem Wandel der Energiepolitik, aber auch die steigenden Naturkatastrophen und Hitze- bzw. Dürreperioden, verstärken 2022 das Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Europa ist auf dem Weg in die Klimaneutralität bis 2050 (USA auch, China 2060). Die Klimapolitik der Gemeinden ist im Brennglas (Ausgleichszahlungen für Flugreisen, Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden,  Umstellung der Fahrzeugflotte auf  Elektrofahrzeuge, Radschellwege). Bund und EU wollen schneller Solar- und Windenergie ausbauen. Der Kohleausstieg soll 2030 kommen (wegen der Energiekrise verschoben). Deutschland ist auf dem Wege in die sozial-ökologische Marktwirtschaft. Vgl. Wambach, Achim: Klima muss sich lohnen, Freiburg/ Basel/ Wien 2022

Grundstruktur des Klimaproblems: Klimawandel zeigt sich in Kipppunkten, Rückkopplungen und der Erderwärmung. Hauptursache ist Kohlenstoff (CO2). Daneben spielt auch die Bevölkerungsentwicklung eine Rolle. Nahrung und Rohstoffe werden knapp. Der zunehmende Konsum gefährdet zusätzlich. Folgen zeigen sich in der Atmosphäre (Stürme, Ozonloch), an Land (Artensterben, Feuergefahr), in Ozeanen (versinkende Inseln, bedrohte Riffe, Überfischung). Umweltverschmutzung hat seinen Preis. Es gibt umfangreiche Lösungen, die oft zu wenig ergriffen werden (saubere Technologien, alternative Energien). Ohne Änderung des individuellen Verhaltens  geht nichts (global denken, lokal handeln; grün essen, Verkehrswende). Vgl. Gifford, C./ Hooke, D./ Levy, A./ Berhout, F.: Simply Klimawandel, München 2023.

 "Das Bedürfnis nach einer neuen Form ökonomischen Denkens ist drängender denn je", Joseph Stiglitz 2011 (zitiert nach Handelsblatt vom 22.0811, S. 20).

 

Analyse von Wirtschaftsordnungen (Modelle und Realität heute: Markt- und/oder Staatskapitalismus; Nordamerika/ Europa vs. China):

Chinesisches Haus (Teehaus) im Schlosspark Oranienbaum bei Dessau/ Wörlitz (vielleicht das erste derartige Haus im deutschsprachigen Raum; im Schloss Wörlitz gibt es auch ein chinesisches Zimmer). Der Englisch-Chinesische Garten in dieser Geschlossenheit ist nur selten in Mitteleuropa anzutreffen. Im anliegenden Schloss  lebte eine Oranier-Prinzessin, die Ende des 17. Jh. in die Fürstenfamilie Anhalt - Dessau einheiratete. In den darauf folgenden zwei Jahrhunderten hatte China in der Realität den Anschluss an die Weltwirtschaft verpasst und wurde von Europa dominiert (teilweise Kolonien). So wurden in dieser Zeit auch ökonomische Ordnungs- und Lenkungselemente aus Europa übernommen. Erst mit Mao änderte sich die Ausrichtung der Wirtschaftsordnung zur zentralen Planwirtschaft mit dem Ziel Autarkie (Marxismus in der Praxis wurde von Russland übernommen; ursprünglich wegen der Agrarausrichtung Chinas für nicht relevant gehalten).

"Solange du dem anderen sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist du weitab vom Weg der Weisheit", aus China.

Für die ökonomische Betrachtung von Ländern wie China und Japan ist der Umgang mit Wirtschaftsordnungen fundamental. "Die Wirtschaftsordnung stellt das längerfristig stabile Rahmenwerk dar, innerhalb dessen private Haushalte und Unternehmen ebenso wie staatliche Stellen wirtschaftliche und die Wirtschaft steuernde Entscheidungen treffen" (Dr. R. Osterkamp, Ifo-Institut, München).  Merkmale sind Normen, gesetzliche Tradition, Unternehmensumfeld, Produktmarktregulierung, Soziale Sicherung, Arbeitsmarkt, Öffentlicher Sektor. Problematisch ist die Beurteilung des Erfolgs. Die Operationalisierung von Erfolg und Erfolgsdeterminanten  hängt stark mit den Ergebnissen zusammen und ist auch von Maßstäben abhängig (Lebensstandard, Glücksforschung). Damit sind Systemmodelle und Systemvergleiche immer problematisch. Beispiele: Bildung ist sehr wichtig, kann aber auch privat finanziert werden. Wirtschaftswachstum, z. B. in China, hat starke Basiseffekte. Ungleichheit ist extrem schwer zu messen. Ungeklärt ist auch, ob typische Probleme immer notwendigerweise mit einem System verbunden sind. Ein gutes Beispiel ist die Planwirtschaft mit ihren Engpässen. Lässt sich das immanente Problem, dass Unternehmen das Gesetz brechen können, dass die Einnahmen die Kosten nicht decken müssen (weil der Staat schützt), lösen? Die Kosten müssen also nicht an Output und Nachfrage angepasst werden.

 Als Vergleichsmaßstab ("Benchmark") werden oft die eigene Volkswirtschaft als Modell oder Pauschalmodelle wie das "angelsächsische" (geringe Staatsquote, geringe Steuerbelastung) oder "skandinavische" (hohe Staatsquote, hohe Steuerlast) genommen. Eine Langzeitstudie zeigt 2010, dass stattliche Eingriffe in Wirtschaft und Arbeitsmarkt (Sozialstaat) mehr bringt als bislang gedacht (Survey of Health, Ageing and Retirement, Share; seit 2004 in 13 europäischen Ländern). Hinzunehmen könnte man noch die theokratisch dominierten Volkswirtschaften (z. B. islamische Länder).

Als Beurteilungsraster für Wirtschaftsordnungen dient in der Regel folgende Aufteilung: Lenkungssystem (dezentral, zentral), Eigentumsordnung (Volkseigentum, Privateigentum, Genossenschaftseigentum), betriebliche Ergebnisrechnung (Gewinn, Planerfüllung), Preisbildung (Markt, staatliche Preisfestsetzung bzw. Preispolitik).

Die Wirtschaftsordnungen von China und Japan sind kurz auf der Ostasienseite dargestellt (Links: Wirtschaftsordnung China, Japan). Eine der letzten Planwirtschaften, Cuba (auch noch Nord-Korea), stellt sein System durch Reformen um: es soll eine gemischte Ökonomie mit mehr Privatinitiative entstehen. Alle vorhandenen Wirtschaftsordnungen sind aber Mischsysteme, die dynamisch sind. Der Systemwettbewerb geht weiter. Die finanzkapitalistische Marktwirtschaft angelsächsischer Prägung konkurriert mit den sozialen Marktwirtschaften in Europa und Japan. Alle müssen das Erfolgsmodell VR China im Auge behalten, wo ökonomisch erfolgreich ein kapitalistisches Wirtschaftssystem mit einer kommunistischen Diktatur kombiniert wird (könnte 2012 die USA im BIP nach Kaufkraftparität überholen, ist auch international immer expansiver, z. B. in Südamerika und Afrika). Vieles ist an China auch untypisch: laut IWF liegen die Staatsausgaben bei rund 23% des BIP (Platz 147 von 183 Ländern, Deutschland 48%). Manchmal wird in der Fachliteratur auch allgemein vom asiatischen Modell gesprochen. Da oft auch die Wirtschaftskraft eines Landes, also das Bruttoinlandsprodukt, als Erfolgsindikator des Systems gesehen wird. macht sich die Eindimensionalität dieses Indikators besonders bemerkbar. Insofern müsste man Menschenrechte, Glück, Lebensqualität u. a. aufnehmen, wie es eine UN-Kommission (Sen, Stiglitz) auch vorgeschlagen hat. Entscheidend für die Beurteilung der Wirtschaftsordnung dürfte aber die gerechte Verteilung des geschaffenen Wohlstands sein (hier scheint der Staatskapitalismus immer mehr aufzuholen). Zunehmend werden auch Faktoren wie "Rohstoffe", "Menge an qualifizierter Arbeit" und "Infrastruktur" in die Betrachtung einbezogen. Ein Klassiker auf dem Gebiet der Wirtschaftsordnung ist das Buch "Ludwig von Mises, Die Gemeinwirtschaft: Untersuchungen über den Sozialismus, 1922". In diesem Buch rechnet von Mises mit der Planwirtschaft ab. Der Sozialismus müsse scheitern, weil die Preise von staatlichen Instanzen gesetzt werden und nicht die tatsächlichen Knappheiten widerspiegeln.

Aktuell wird die Diskussion um Wirtschaftsordnungen durch die Frage nach den Rahmenbedingungen für die Wirtschaft eines Landes verdrängt. 2011 geht es beim Munich Economic Summit um dieses Thema. Während die USA wieder mehr Aufgaben auf den Staat verlagern wollen, fordern Länder in Europa den schlanken Staat. In die Diskussion mischt sich auch die "Occupy Wall Street" - Bewegung ein. Graeber, einer der führenden Köpfe, spricht von Kamikaze-Kapitalismus und versucht das Bild einer anderen menschlichen Gemeinschaft zu entwerfen (Mischung von Kommunismus und Marktwirtschaft; Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus, München 2012). Die Fraser Institute messen die wirtschaftliche Freiheit in der Wirtschaftsordnung empirisch. 2013 liegt Hongkong an der Spitze vor Singapur und Neuseeland.  Deutschland liegt auf Platz 19. Der Grad der ökonomischen Freiheit wird vor allem in folgenden Kategorien gemessen (10 Punkte= höchste Freiheitsstufe): Umfang der Staatstätigkeit, Arbeitsmarktregulierung, Unternehmensregulierung. "Wie wollen eine qualitative Veränderung der Wirtschaftsordnung erzeugen", Giorgos Kallis, Autonome Uni Barcelona.

Als Schöpfer der Wirtschaftsordnung in Deutschland gilt Ludwig Erhard (1897-1977). Erdacht hat er das Konzept nicht, aber er setzte es um. Der Staat muss dafür sorgen, dass Monopolisten den Wettbewerb nicht kaputt machen und Jeder in der Lage ist, seinen eigenen Wohlstand zu erwirtschaften. Ohne den ordnenden Staat funktioniert eine Wirtschaftsordnung nicht. "Demokratie und Freie Marktwirtschaft gehören ebenso zusammen wie Diktatur und Staatswirtschaft", Ludwig Erhard. Schon als Wirtschaftsverwalter der westlichen Besatzungszonen 1948 ließ er im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Währung fast alle Preisvorschriften streichen. Als erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik wachte er über das Wirtschaftswunder.

Als genialer mathematischer Nachweis, dass die Überlegungen von Adam Smith über die unsichtbare Hand tatsächlich korrekt waren, gelten die Arbeiten von Kenneth Arrow und Gerard Debreu. Seit dieser Beweis in den 1950er Jahren veröffentlicht wurde, diente er dazu, die Behauptungen totalitärer Regimes zu widerlegen, dass Zentralverwaltungswirtschaften produktiver und effizienter als Marktwirtschaften arbeiten würden. Es gibt aber auch andere grundlegende Arbeiten zur sozialistischen Wirtschaft. Kritisch und andere eher wohlwollend. Vgl. Kornai, Janos: Economics of Shortage, 2 Bd. , Amsterdam 1980. Mises, Ludwig von: Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Genf 1940.

Das China-Modell als Beweis für die Überlegenheit das Staatskapitalismus?  China besitzt ein Mischsystem der Wirtschaftsordnung; ein Teil ist privat- bzw. marktwirtschaftlich organisiert, ein Teil besteht aus Staatsunternehmen, die von der KPC gelenkt werden. Insgesamt gibt es ein Zusammenspiel von starker Zentralregierung, mächtigen Staatsunternehmen und weitsichtiger Industriepolitik. Viele machen dieses Modell für das rasante Wachstum in den letzten 40 Jahren verantwortlich. Es gibt auch auch Kritiker dieser Analyse. Der renommierte Ökonom Zhang Weiying (Ökonom des Jahres 2002, Peking Uni) kommt zu dem Schluss, dass ,wo der Staat sich zurückzieht und Privatunternehmen vorangehen, die Wirtschaft schneller wächst (vgl. Zhang Weiying: Die Mär vom China-Modell, in: Die Zeit 15. November 2018, S. 26; der Originalartikel auf der Homepage der Uni wurde gelöscht). Heute ist im Systemwettbewerb die Angst vor China normal. Die Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland und Europa als Variante existierte, gilt nicht mehr als unschlagbar. Vor allem die großen Internetgiganten aus China dängen sich immer mehr in den Vordergrund (Alibaba, Tencent, Baidu). Digitale Güter können, einmal produziert, in unendlicher Zahl und weltweit an alle Menschen verkauft werden (Plattformkapitalismus). Ungeheuer hohe Summen an Wagniskapital werden in China und den USA (130 Mrd. Dollar 2018 in den USA)  eingesetzt, in Deutschland waren es nur fünf Mrd. Ein neutraler Rechtsstaat als Hüter der Marktwirtschaft gilt nicht mehr unbedingt als die beste Lösung. Industriepolitische Strategien gewinnen die Oberhand. So stellt sich immer mehr die Frage, ob Marktwirtschaft und Demokratie im Systemwettbewerb mit der staatlich gelenkten Kontrollwirtschaft mithalten können. Viele sprechen sogar von einer Art "Sputnik-Schock" und nennen ihn "Xi-Jinping-Schock". Als immer anfälliger erweist sich in den Demokratien der Wahlzyklus, weil er auch noch leicht zu manipulieren ist (Beispiel Brexit). Der Staatskapitalismus hat drei wichtige Vorteile: Er ist strategischer (nach innen mit "Social Scoring", nach außen mit dem Seidenstraßenprojekt). Er verbindet und löst alle Gegensätze zwischen Wirtschaft, Staat und Politik mit der KPC als "Krake" auf. Er sorgt für ein in sich geschlossenes Werte und Ideensystem aus einer Verbindung von Konfuzianismus und Marxismus. "Planung und Marktkräfte sind nicht der wesentliche Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Planwirtschaft ist nicht die Definition von Sozialismus, da es Planungen auch im Kapitalismus gibt. Marktwirtschaft findet auch im Sozialismus statt. Planung und Marktkräfte sind Wege zur Kontrolle der Wirtschaftstätigkeit", Deng Xiaoping. Die Idee war nicht neu: Theoretische Vorläufer waren Enrico Barone (1859 - 1924) und Oskar R. Lange (1904 - 1965).

Was ist Staat und was ist Kapitalismus? "Kampf zweier Linien", Mao Tse-tung. Ein Arbeitspapier des World Economic Forum 2019 prüft die Rolle des Privaten Sektors beim Aufstieg des Landes "China":  Der private Sektor trägt 60% zum chinesischen BIP bei, 70% zu den Innovationen, 80% zur Beschäftigung in den Städten und 90% für neue Jobs. Es bleibt offen, welche Methode hinter dieser Analyse steckt bei der Intransparenz der chinesischen Statistik. Daraus wird dann die These abgeleitet, dass der Kapitalismus dominierend sei. Er habe den größten Anteil an der erfolgreichen Armutsbekämpfung und der vorbildlichen Infrastruktur. Bei einem Mischsystem dürfte immer offen bleiben, welcher Teil welchen Anteil hat. Eine genaue Zuordnung ist aber nicht möglich. Die Diskussion wird aber immer mal wieder aufkommen. Es gibt auch Wissenschaftler, die der Ansicht sind, dass sich der Wettbewerb der politischen und wirtschaftlichen Systeme (Demokratie versus Autokratie, Planwirtschaft versus Marktwirtschaft) dereinst in den Daten auflöst. Regieren also bald die Zahlen (Kommandowirtschaft 2.0). Vgl. Adrian Lobe: Speichern und Strafen. Die Gesellschaft im Datengefängnis, München (Beck) 2019. Sicher ist, dass der  Glaubenssatz von einem unauflösbaren Zusammenhang von Kapitalismus und Freiheit sich als Irrtum erwiesen hat. Damit hat der Westen immer noch zu kämpfen. Noch 1989 hatte Francis Fukuyama das "Ende der Geschichte" versprochen und einen Siegeszug der liberalen Demokratie und der Marktwirtschaft angekündigt. Er hat seinen Irrtum eingestanden und sagt: "Der Westen muss eine Antwort auf China finden". Vgl. WiWo 53, 20.12.2019, S. 37.

Technokratie und Pragmatismus: Die große Gefahr besteht darin, dass westliche Länder einen Kampf der Werte oder Wertesysteme sehen, Länder in Asien, allen voran China, aber im Grunde genommen Technokratien darstellen (Vorbild Singapur), die extrem pragmatisch vorgehen. Sie praktizieren eine Art neo-merkantilistische Industriepolitik. In Asien gibt es ein Grundvertrauen in die Exekutive (pragmatische Regierungen). Entscheidend sind die Ergebnisse. Deshalb könnte Asien in Zukunft den Westen prägen, zumal die großen westlichen  Demokratien in einer Krise stecken (USA, Indien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland). Vgl. Paraq Khanna, In Asien zählen Ergebnisse, in: WiWo 3, 10.1.2020, S. 36ff. Auch sein Buch "The future is Asian, 2020. Zwei wissenschaftliche Thesen zum Verhältnis der Wirtschaftsformen kann man zu den Akten legen: Die Konvergenz-These, dass China sich an den Westen angleicht. Ebenso wie die Komplementaritäts -These, dass China und Deutschland nicht in direkter Konkurrenz zueinander stehen und sich mit ihren jeweiligen Stärken nur ergänzen. Daraus muss die EU Konsequenzen ziehen und einen eigenen Weg gehen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht im wirtschaftlichen Aufstieg Chinas eine Herausforderung für die freiheitlichen Demokratien in der Welt. Den Beweis für seine Überlegenheit habe das freiheitliche System bisher nicht erbringen können, sagte Merkel in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (Wochenendausgabe, 27./28.06.20) und weiteren europäischen Medien. Die Kanzlerin pochte auch auf die Einhaltung demokratischer Prinzipien und von Rechtsstaatlichkeit in der EU. "Wenn Europa gehört werden will, muss es ein gutes Beispiel abgeben", betonte Merkel mit Blick auf die Rechtsstaatsdebatte in der EU.

Exkurs: Johan Nylander: The Epic Split (September 2020). Nylander ist schwedischer Journalist in Hongkong. Er entwickelt in seinem Buch die These, das eine Koexistenz zwischen Liberalismus und Autoritarismus nicht endlos möglich ist. Irgendwann muss es zu einem Crash kommen. Vor einem besonderen Balanceakt stehen Staaten, die demokratisch und liberal sind, aber wirtschaftlich auch von China abhängig sind: Südkorea, Japan und Deutschland. Untertitel des Reports: "Made in China" is going out of style.

Corona-Krise und Effizienz: 2020 erfasst die Corona-Pandemie die ganze Welt. Sie nährt auch eine neue Systemdebatte. Hat der Kapitalismus ausgedient? Der Staat muss in allen Ländern Unternehmen retten und dafür sorgen, dass ein Lockdown nicht zum Untergang der Wirtschaft führt. Doch der Markt hat ja gar nicht versagt, ist hier also nicht das Problem. Und der Staat ist an sich nicht die Lösung. Einige sprechen von einem Kredit basierten Geldsozialismus, der die Wirtschaftsordnung verändert. Vgl. Fischer, M. u. a.: Marx hilft? Hilfe! in: WiWo 16, 09.04.2020, S. 14ff. Doch zur Anhebung der Staatsquote in einer solchen Krise gibt es keine Alternative. Ein gutes Beispiel ist in Deutschland die Lufthansa: Ohne Staatshilfe wäre eine Pleite unabwendbar, weil Fliegen nicht geht (die Staatsunterstützung für die Fluggesellschaften ist in Frankreich und Italien absolut und relativ noch wesentlich höher).

Die Rolle des Staates wird nach der Krise eine andere sein. Er rückt in den Mittelpunkt und übernimmt gegenüber dem Markt/ Privat wesentlich mehr Verantwortung. Man wird mehr Vergleiche zwischen den Staaten anstellen: Warum hat Deutschland eine so geringe Sterberate? Warum ist der Arbeitsmarkt hier so flexibel? Warum kann Deutschland so schnell so viel Finanzmittel bewegen? Man redet von Slack (Reserven). Das sind in diesem Falle finanzielle Reserven (geringe Staatsverschuldung). Als Gegenmodell zu Deutschland kann die USA gelten. Das kommerzialisierte Gesundheitswesen, der rigide Arbeitsmarkt (hire and fire) und die hohe Staatsverschuldung zeigen dem System die Grenzen auf. Auch die Diskussion um einen schlanken Staat wird sich mehr Richtung Gemeinwohl bewegen. Der Wahlkampf in der Präsidentenwahl der USA, das antiquierte Wahlsystem, aber auch das undemokratische Verhalten von Trump führen zu einer Demokratiediskussion.

Die Corona-Krise sollte aber dazu führen, grundsätzlich über die Funktionsweise des Kapitalismus nachzudenken. Große Krisen und Kriege haben bisher immer zu grundlegenden Reformen geführt. Das Unternehmensfinanzsystem sollte überarbeitet werden.  Kapitalgesellschaften sollten vom "shareholder value" zum "stakeholder value" gehen müssen. Das langfristige Wachstum und Überleben der Firmen muss wieder im Mittelpunkt stehen, nicht ihr kurzfristiger finanzieller Erfolg. Drei große Krisen bedrohen das kapitalistische System: Gesundheit, Stabilität von Wirtschaft/Finanzen, Klima. Der Staat ist bei keiner der Krisen der Sündenbock. Er hilft mit Riesen-Konjunkturpaketen und Beteiligungen den Unternehmen aus der Patsche. Dafür muss er auch die Richtung vorgeben können: mehr Innovationen, mehr erneuerbare Energie, öffentliche Investitionen machen und im Wert herausstellen. Wir brauchen eine Debatte über einen "neuen Kapitalismus". So auch: Mazzucato, Marianna: Wie kommt der Nutzen in die Welt? Von Schöpfern und Abschöpfern, Frankfurt/ Campus Verlag, 2019. Das Mischsystem in China scheint relative Vorteile gegenüber der eher freien Marktwirtschaft in den USA zu haben (schneller, strategischer, sozialer, nachhaltiger). Vgl. auch: Reierman, Christian: Nicht kaputt zu kriegen, in: Der Spiegel Nr. 24/ 6.6.20, S., 78f. Auch die sozialen Marktwirtschaften in der EU werden wesentlich besser mit den sozialen und ökonomischen Folgen der Krise fertig als die freien, angelsächsischen Wirtschaftssysteme in den USA und GB. Vgl. auch: Celine, Li: Der Triumph des Staatskapitalismus? in: WiWo 41/ 2.10.2020, S. 40f. Die Systemkonkurrenz zwischen "liberalem Kapitalismus" (USA, EU) und "politischem Kapitalismus" (China, Vietnam, Malaysia, Singapur, Indien) wird in eine nächste Phase eintreten. Der Erfolgsdruck ist im "politischen Kapitalismus" höher, weil die Legitimation vom Erfolg abhängt und nicht so von der politischen Freiheit.

Am Ende der Krise 2021 zeigt sich, dass das System der USA (vor allem seit dem Amtsantritt von Biden) bei Innovationen Europa voraus ist. Dafür funktionieren in der EU die Sozial- und Gesundheitssysteme besser. Der chinesische Staatskapitalismus, der Zensur praktiziert und Selbstzensur fördert,  stößt an die Grenzen. Wäre das nicht so, hätte man die Pandemie bei größerer Transparenz Ende 2019 verhindern können. Vgl. Aghion, Philippe: Neue schöpferische Zerstörung, in: WiWo 16, Heft 4/ 16.4.21, S. 36f.

2020 erscheint ein Buch von Branko Milanovic (Ausbildung in Belgrad/ Serbien, heute als US-Staatsbürger an der City Uni in N. Y., auch Weltbank). Der Titel de Buches lautet: Kapitalismus global, Berlin  (Suhrkamp, Originaltitel "Capitalism Alone"). Seine Grundthese ist: Die westlichen Mittelschichten stehen gleich von zwei Seiten unter Druck. Von der durch die Globalisierung geschürten Konkurrenz in Asien und von den Reichen im eigenen Land. Die Pandemie 2020 hat diese Trends verschärft. Die Mittelschicht der reicheren Länder hat den Kürzeren gezogen. Die Enttäuschung darüber habe zum Aufstieg "populistischer" Parteien und Führer im Westen geführt. Die "Gelbwesten in Frankreich und die Trump - Wähler in den USA hätten den gleichen Ursprung. Die sinkende soziale Mobilität zwischen den Generationen und die zunehmende soziale Polarisierung komme hinzu. Die Einkommenszuwächse verschieben sich vom Einkommen des Faktors Arbeit zu den Kapitalbesitzern. Milanovic sieht große Schwächen im liberalen Kapitalismus der USA und im politischen Kapitalismus Chinas. Seine zentrale Frage ist, ob der Kapitalismus trotz der sozialen Zerreißprobe überleben kann. Er macht auch konkrete Vorschläge, um den Kapitalismus zu retten: Erneuerung des kapitalistischen Bewusstseins, höhere Steuern auf Vermögen und Erbschaften, mehr öffentliche Investitionen, Verbot privater Wahlkampffinanzierung, Verhinderung wirtschaftlicher Konzentration, Wiederbelebung des moralischen Imperativs des "Ehrbaren Kaufmanns".

Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaften: Viele Experten sehen die Diskussion mittlerweile in diese pragmatische Richtung. Indikatoren: 1. Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (hier führen die USA). 2. Einkommensverteilung (Gini, geringster Wert wichtig, Schweden vorne). 3. Arbeitsproduktivität (BIP je Beschäftigten in Dollar, es führt Schweden). 4. Erfindergeist (Internationale Patentanmeldungen, China vorne). 5. Wettbewerbsfähigkeit (WEF, es führen die USA vor Japan). Hochschulabschluss (es führt Großbritannien). Vgl. Pennekamp, J.: Soziale Marktwirtschaft in der Zange, in: FAZ Nr. 92, 21. April 2021, S. 19.

"Sobald der Wagen sich dem Berg nähert, wird sich ein Weg auftun", chinesisches Sprichwort.

 

Exportorientierung und internationale Wettbewerbskraft (Deutschland in der weltweiten Kritik, insbesondere von Frankreich und den USA, wegen des Handelsbilanzüberschusses):

"Auf Reisen in fremde Länder lernt man nicht das Land kennen, sondern sich selbst", aus Tibet. Auf dem Foto ist der berühmte Geiranger - Fjord in Norwegen  abgebildet. Norwegen ist nach dem Pro-Kopf-Einkommen eines der reichsten Länder der Erde (Platz 2 hinter Luxemburg, nach Kaufkraftparität Rang 1, Rang 1 beim Human Development Index). Der Reichtum kam mit den Öl- und Gasfunden im Meer seit 1966. Stavanger ist die reichste Stadt Europas. Schon zur Zeit der Hanse waren die Städte sehr reich und wichtig, wie etwa Bergen (die Seefahrer - Tradition geht auf die Wikinger zurück, die zuerst nach Amerika segelten). Norwegen hat auch eine der höchsten Frauenerwerbsquoten der Welt und die höchsten Sozialausgaben pro Kopf in Europa. Das Renteneintrittsalter liegt mit 67 Jahren relativ hoch. Das Land ist Mitglied der EFTA, aber nicht der EU. Währung ist die Norwegische Krone (NOK, etwa 8 Kronen = 1€). Im weltweiten Ranking der UN ist Norwegen das Land mit dem höchsten Wohlstandsniveau in Europa. 2017 wird zum ersten Mal seit 1985 eine Rechtsregierung wieder gewählt (die "Eiserne Erna" Solberg). Im Brexit strebt die Regierung in GB in etwa einen Status wie Norwegen im Außenhandel an. Deshalb wird auch mehr über die Rolle Norwegens im Verhältnis zur EU diskutiert. Bisher war das Verhältnis immer relativ problemlos. Norwegen ist Vorreiter in Sachen Elektromobilität: Mehr als dei Hälfte der neue angemeldeten Autos fahren mit Strom (2020). Bei den E-Lade-Stationen liegt das Land auf Platz zwei hinter den Niederlanden.

Jahrelang war Deutschland Exportweltmeister (höchster Exportwert in der Welt). 2009 ging der Titel an China verloren, die deutschen Exporte brachen um fast 20% ein (man muss natürlich die Relationen bei der Bevölkerung sehen: D 80 Mio., China 1,4 Mrd.). 2010 überholen auch die USA Deutschland (Exporte: China 1578 Mrd. US-$; USA 1278 $,; Deutschland 1269 Mrd. $, Japan 770 Mrd. $). 2011 könnte der Export Deutschlands erstmals eine Billion Euro erreichen und damit höher als 2008 sein (Prognose für Handelsbilanzüberschuss 143 Mrd. €.). Damit baut Deutschland seinen Weltmarktanteil auf 9,5% aus. Die Exportquote Deutschlands lag 2012 bei 41,5% (Exportwerte durch BIP mal 100). Wichtig ist, dass Deutschland seine internationale Wettbewerbsfähigkeit behält. Diese beruht auf technologischem Vorsprung, einer effizienten Ausstattung und einem effizienten Einsatz der Produktionsfaktoren, einem ausreichenden Markt, Attraktivität für Direktinvestitionen und einer optimalen Infrastruktur (Standortfaktoren, Kultur). Immer wichtiger wird eine effiziente Industriepolitik, die in der EU abgestimmt werden muss. Die Entwicklung der Terms of Trade gibt wichtige Anhaltspunkte. Indices von BERI oder IMD sind nicht valide und zuverlässig. Insbesondere Frankreichs ehemalige Finanzministerin Lagarde (jetzt Chefin des IWF) hat folgende Fragen aufgeworfen: Schadet unser Export anderen Ländern? Verschaffen wir uns mit Billiglöhnen Vorteile? Würden höhere Löhne die Binnenwirtschaft stärken? Was steckt hinter der deutschen Exportstärke? Die Internationale Arbeitsagentur haut 2012 in die gleiche Kerbe. Doch die hiesige Exportkraft beruht gar nicht auf niedrigen Löhnen. Einige Experten vertreten die Ansicht, dass die Nachfrage nach deutschen Gütern im Ausland bald wieder das alte Niveau erreicht. Andere meinen, andere Länder wie die USA, Großbritannien und Spanien seien gezwungen, ihre Leistungsbilanzdefizite - also Importüberschüsse - abzubauen. Wichtiger als den Export zu stützen, sei es, in Zukunft den deutschen Binnenmarkt zu stärken. Es geht auch um den Stellenwert der Einkommensungleichheit in den einzelnen Ländern. Unbestritten ist, dass eine Exportorientierung der beste Garant für Innovation ist. Andererseits haben die Exportüberschüsse Deutschlands ihren Ursprung auch in zu geringen Investitionen. Immer wichtiger wird die richtige und zukunftsweisende Ausrichtung der außenwirtschaftlichen Aktivitäten. Große Unternehmen, die nur in Europa und Amerika engagiert sind erleiden Verluste. Wer sich in Asien engagiert, meldet Supergewinne (Handelsblatt, 07.05.2010, S. 1). Im November 2013 kritisiert das US-Finanzministerium die deutschen Handelsbilanzüberschüsse. Sie würden die Stabilisierung sowohl in Europa als auch der Weltwirtschaft behindern. Kritik kam vorher schon vom IWF. Auch die EU (Olli Rehn im Herbstgutachten) kritisiert, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss seit 2007 über dem Referenzwert liegt. Die EU-Kommission leitet eine Prüfung ein. Die  Argumentation der Kritiker ist angreifbar: Der Anteil der Vorleistungen an den deutschen Exporten ist zwischen 1995 und 2008 von 13,5% auf 20% gestiegen. Dies ist überproportional, wovon ausländische Wettbewerber erheblich profitieren, vor allen Länder aus Mittel- und Osteuropa (Quelle: Ifo-Institut, München). Außerdem ist der deutsche Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den Partnerländern der Euro-Zone von 2007 bis 2012 halbiert worden (von 4,4% auf 2,2%, Quelle: BMF, Berlin). Natürlich entscheiden Unternehmen selbst über ihre Exporte. Ebenso ist die Struktur der Wirtschaft zu beachten. Im Moment sind deutsche Investitionsgüter in den Schwellenländern sehr gefragt. Das Hauptproblem für die Krisenländer der EU bei den Leistungsbilanzungleichgewichten ist auch China.

Exkurs: Geschichte der Exportorientierung Deutschlands: Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Weichen gestellt. Eine Schicksalsstunde der deutschen Handelspolitik war Gustav Stresemann mit der "kleinen Zollnovelle". Der Neomerkantilismus des Kaiserreichs wurde zur nationalsozialistischen Autarkiepolitik überführt. Nach dem Krieg kam die Rückkehr zum Weltmarkt mit starker Exportförderung. Die Währungskrise führt dann zu einer Umorientierung zu Direktinvestitionen im Ausland. Vgl. Hesse, Jan-Otmar: Exportweltmeister. Geschichte einer deutschen Obsession, Berlin (Suhrkamp) 2023,

Die Länder mit der stärksten weltwirtschaftlichen Verflechtung (Außenhandel, ausländische Direktinvestitionen u. a.) sind die Niederlande, Singapur, Irland und die Schweiz (DHL Global Connectedness Index 2011). 20 Prozent der weltweiten Produktion geht in den Export (überwiegend in Nachbarländer). Daneben gibt es eine ganze Reihe von Indikatoren zur Messung der Wettbewerbsfähigkeit von Staaten. Vgl. dazu Messung der Wettbewerbsfähigkeit auf der Methodenseite. Die größte Volkswirtschaft der Welt, die USA, ist eher eine Binnenwirtschaft. Weniger als 10 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung geht in den Export.

Eine Studie des Weltwirtschaftsforums 2010 sieht bei Deutschland in der Wettbewerbsfähigkeit einen Aufstieg von sieben auf Platz fünf. Infrastruktur, Innovationsstärke und Geschäftskultur werden als herausragend gesehen. Hintere Plätze belegt Deutschland bei der Effizienz des Arbeitsmarktes und den staatlichen Bürokratielasten.  Auch Paul Krugman kritisiert im Herbst 2010 in der New York Times Deutschland, weil es zu egoistisch sei wie China. Der Sparkurs sei eine Belastung für die Weltwirtschaft. Die Konsumentennachfrage im Inland werde vernachlässigt. Krugman scheint völlig zu übersehen, dass die lockere Geldpolitik in den USA den Dollar in den Keller treibt. Dadurch werden die Konkurrenzwährungen (Euro, Yen, Yuan) aufgewertet und die Exporte dieser Länder verteuern sich. Die Weltwirtschaft 2010 und 2011 befindet sich in einer Art Währungskrieg. Dieser könnte in einer Inflation münden. Wenn die US-Wirtschaft zu stark lahmt, könnte es infolge globaler Abhängigkeiten auch zu einem Einbruch in Deutschland kommen: Die USA fragen weniger Konsumgüter aus China nach. China bremst seine Nachfrage nach deutschen Investitionsgütern daraufhin. Der deutsche Exportboom lässt nach und damit auch das BIP. "Unserer Wettbewerbsvorteil ist nicht in Stein gemeißelt. Wir müssen aufpassen, dass wir das Rennen nicht verlieren", Ulrich Grillo, Präsident des BDI.

Die Technologieunternehmen der Schwellenländer werden allerdings auch immer mehr zu ernstzunehmenden Konkurrenten entsprechender Unternehmen in Industrieländern. Den Märkten in Asien hatten die führenden deutschen Technologieunternehmen (Siemens, Bosch) es zu verdanken, dass sie die Finanzkrise so gut überstanden. Doch Unternehmen aus China (Huawei, ZTE, Shanghai Electric) und Indien (Tata) holen in den oberen Kundensegmenten auf. Mittlerweile bieten auch sie komplexe Dienstleistungen an, deren wichtigstes Merkmal die Einheit von Produktion und Vertrieb ist. Die führenden Unternehmen aus den Industrieländern haben Mühe, ihre Positionen zu verteidigen (ZTE lag 2010 mit 1863 Patentanmeldungen vor den deutschen Spitzenreitern). Noch können allerdings die deutschen Vorzeigebranchen Elektroindustrie, Maschinenbau und Automobilbranche der Krise auch dank einer stark mittelständischen Struktur und hohen Wettbewerbsfähigkeit trotzen.

Gegen die hohe Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wird immer wieder die deutsche Investitionsschwäche angeführt. Sie wird auf schwache Profitabilität von Unternehmensinvestitionen zurückgeführt. Allerdings könnte sich empirisch dahinter auch ein Bias verbergen, der durch schwache Investitionstätigkeit der öffentlichen Haushalte und beim Wohnungsbau begründbar wäre. Die Länder der EU fordern, dass Deutschlands weniger spart und mehr investiert. Mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit konkurrieren auch die Länder der EU. Die Peripherieländer (Griechenland, Italien, Spanien, Portugal) fallen weiter zurück. Zum Beispiel haben in den letzten drei Jahren 1800 griechische Unternehmen ihre Heimat verlassen nach Zypern, in die Türkei und Bulgarien (vor allem wegen der geringeren Ertragssteuern, 10% statt 20%). Zu einem immer wichtigern Faktor werden die Strom- und Energiepreise. Während in den USA aufgrund von Fracking die Energiepreise einen Preissturz erleben, steigen sie in Deutschland stark, auch aufgrund des EEG. So könnte es zu Produktionsverlagerungen in die USA im energieintensiven Bereich kommen (BASF - Chef Bock warnt im Herbst 2013).

Insgesamt schwindet aber der Einfluss der USA. Nur noch 6,7% der deutschen Exporte gingen 2009 in die USA (2016 ist China wichtigster Handelspartner, s. u.). Die Tendenz ist sinkend. Deutschland ist in der neuen globalen Welt (Beginn etwa 1990 mit dem Zusammenbruch des "Eisernen Vorhangs" und dem Aufstieg Chinas) eine Art "Free-Rider" (Trittbrettfahrer): wir verkaufen den Schwellenländern auf der einen Seite die Maschinen zur Produktion und auf der anderen Seite die Luxusgüter für die Neureichen. Prognosen für 2015 besagen, dass China dann einen Anteil von 12,8% am Weltexport hält, die USA 9%, Deutschland 7,5% (Schätzung EIU). Nach und nach dürfte auch der Yuan (Währung heißt Renminbi, Yuan ist Einheit) freigegeben werden (spätestens in 5 Jahren, Zeitplan ist noch unklar). China will sein Wachstumsmodell (basiert wie bei uns stark auf Außenhandel) nach und nach ändern: Der Binnenmarkt soll an Bedeutung gewinnen, die Industrien sollen höherwertiger werden, der Kapitalmarkt weiter geöffnet werden, die Korruption soll bekämpft werden.  Durch die dramatische Staatsschuldensituation und die Abstufung in der Kreditwürdigkeit durch S&P in den USA kommt die Weltleitwährung Dollar immer mehr unter Druck (Inflation steigt im Herbst 2011 auf 3,8%). In 10 Jahren dürfte der Renminbi Weltleitwährung sein. Wirtschaftliche Dominanz ergibt sich durch die Größe der Wirtschaft, die Finanzmacht und das Handelsgewicht. Die protektionistischen Konzepte des US-Präsidenten Trump entflammen die Diskussion neu 2017. Deutschland wird Ausbeutung vorgeworfen (von USA und Polen). Anlass sind die neuen Rekorde in der Außenwirtschaft (Außenhandelsüberschuss 2016 252,9 Mrd. €, fast 9% des BIP). Doch kurzfristig hat eine Regierung so gut wie keine Mittel (zu Steuersenkungen siehe unten). Außenhandel findet zwischen Unternehmen statt. Vor der Austausch von Vorleistungen im Rahmen neuer Wertschöpfungsprozesse (supply-chains) dürfte kaum umzukehren sein. 2017 ermahnt auch die EU-Kommission wieder Deutschland wegen der hohen Exportüberschüsse. EU-Kommissar Pierre Moscovici fordert mehr öffentliche Investitionen in Deutschland ,um die Binnenkonjunktur zu stärken. Der Handelskrieg mit der USA und zwischen der USA und China könnte automatisch zu einem Rückgang der deutschen Exporte führen. "Foreign trade takes place between firms, not between countries", Kindleberger, schwedischer Ökonom.

Globale Ungleichgewichte zwischen Volkswirtschaften sind von der Theorie her nützlich. Es bringt Profit für die Überschuss- und die Defizitländer der Leistungsbilanz. Die internationale Arbeitsteilung ist als Tauschwirtschaft angelegt. So kann der Ausgleich auch intertemporal erfolgen. Entscheidend ist, dass das Kapital "in die richtige Richtung" fließt.  Im Moment wird der Aufschwung der Schwellenländer finanziert, der uns vielleicht in Zukunft vor den Risiken einer alternden Bevölkerung schützt (vgl. Renate Ohr: Globales Wechselspiel, in: Wirtschaftswoche, Nr. 48, 29.11.10, S. 44). In diesem Zusammenhang ist das Faktorpreisausgleichstheorem von Bedeutung. Es stammt von A. P. Lerner und P. A. Samuelson und besagt, dass der internationale Warenaustausch nicht nur zu einer Angleichung der Preise für handelbare Güter, sondern auch zu einer Annäherung der Preise für die Faktoren führt (insbesondere für die Löhne). So könnten auch Löhne auf national geschützten Arbeitsmärkten durch den Handel mit Niedriglohnländern (z. B. China) unter Druck gesetzt werden. Marcel Fratzscher, Chef des DIW in Berlin, weist Anfang 2017 darauf hin, dass von dem deutschen Exportmodell nur ein Teil der Wirtschaft profitiert. Für die Volkswirtschaft als Ganzes seien die Überschüsse schädlich. Das Problem seien die zu geringen Importe, weil die Investitionen zu gering seien. Im Dienstleistungsbereich, der stark reguliert sei, hätten ausländische Unternehmen nur eine geringe Chance. In der Steuerpolitik hätten KMU das Nachsehen. Er empfiehlt, stärkere öffentliche Investitionen durchzuführen (vgl. Handelsblatt Nr. 31, 13. Februar 2017, S. 48). Eine Gegenthese lässt sich aus dem Wachstumsmodell von R. F. Harrod ableiten (das bespreche ich auch in meinen Veranstaltungen). Es geht um Exportüberschuss und Wachstum: Das Wachstumsmodell von R. F. Harrod zeigt, dass ein Exportüberschuss Produktivitätskapazitäten beansprucht, die für wachstumsrelevante Investitionen nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit zunehmender Kapazitätsauslastung könnte der Exportboom dämpfende Wirkungen auf das Inlandsprodukt haben. Sollte man mit einer Ausdehnung der öffentlichen und privaten Binnennachfrage gegensteuern? Man könnte auch die mit dem Exportüberschuss verbundenen Kapitalabflüsse umlenken und durch günstige Standortbedingen im Inland mindern. Vgl. Konrad, Anton: Exportüberschuss und Wachstum, in: Wirtschaftsdienst 2018/12, S. 900ff.

Die Exporte in der Welt werden allerdings immer mehr durch protektionistische Maßnahmen behindert. Vor allem die Schwellenländer behindern den Welthandel durch Schutzzölle, Exportquoten, Lizenzauflagen und weitere nichttarifäre Handelshemmnisse. Besonders hervor tun sich hierbei Brasilien (Zölle), China (Exportzölle, öffentliche Aufträge an Inlandsunternehmen), Indien (keine Lizenzen für Ausländer im Einzelhandel, Zölle) und Russland (Importzölle). Die EU arbeitet stark mit Subventionen, die USA bevorzugen Staatsaufträge. Abzuwarten bleibt, wie stark Trump seine protektionistischen Pläne in die Tat umsetzt (Schutzzölle, Kündigen von Wirtschaftsintegrationen, Setzen auf bilaterale Vereinbarungen). Schon 2016 ist China wieder der größte Handelspartner Deutschlands (Wert der Importe mit 93,8 Mrd. € deutlich höher als Exporte mit 76,1 Mrd. €).

Interessant ist eine Prognose der Exportüberschüsse. Die demographische Entwicklung könnte die Leistungsbilanzüberschüsse schrumpfen lassen. Experten rechnen mit einem Rückgang auf 7% des BIP im Jahre 2020 (von 9% als Rekordwert). Weitere Faktoren, die die Absenkung beeinflussen sind: der Immobilienboom und die Rekordzuwanderung. Eine Möglichkeit der Bundesregierung, den internationalen Forderungen nach einem Senken des Exportüberschusses entgegenzukommen, wäre, Steuersenkungen zu machen. Das würde die Inlandsnachfrage weiter ankurbeln. Auch die Importe würden zulegen. Dem sind aber durch die Schuldenbremse in Deutschland Grenzen gesetzt. Eine zweite Möglichkeit wären Lohnerhöhungen in Deutschland. Sie würden den Export deutscher Firmen verteuern und die Inlandsnachfrage ankurbeln. Doch wegen der Tarifautonomie hat die Regierung kaum einen Einfluss auf die Löhne. Externe Einflüsse haben einen zunehmenden Einfluss auf die deutsche Handelsbilanz (niedrige Preise bei Rohstoffen, die wir importieren, niedrige Zinsen stimulieren die Industrie, günstiger Wechselkurs bei starkem Dollar, Erholung der Schwellenländer). 2018 könnte trotzdem das fünfte Rekordjahr in Folge werden. Handelskonflikte und der Brexit geben trotzdem Anlass zur Sorge. 2018 stiegen die Ausfuhren das fünfte Jahr in Folge auf einen Rekordwert (1317,9 Mrd. Euro), das Wachstumstempo verlangsamte sich aber deutlich (3% 2018, 6,2% 2017). Die Importe steigen 2018 auf 1090 Mrd. Euro (+5,7%). Der Handelsbilanzüberschuss betrug 2018 227,8 Mrd. €. Wichtigster Einzelmarkt war die USA. 2019 gibt es wieder einen Rekordüberschuss.

Der zu starke Globalisierungsschub von 1990 bis 2008  und der politische Populismus mit Bevorzugung des Heimatmarktes führen zu einer Globalisierungspause. Außerdem beginnt ab 2018 eine Phase der Desintegration des globalen Handels:  Die Welt zerfällt zusehends in die regionalen Blöcke Nordamerika, Asien und Europa. Die Lohnunterschiede zwischen Industrie- und Schwellenländern treiben die Globalisierung nicht mehr an. Neue Technologien ermöglichen den Industrieländern , die Produktion zu Hause zu machen. Weitere Treiber sind der Protektionismus der USA unter Trump und die Klimabewegung bzw. der Druck des Klimawandels. Dadurch könnte aber das globale System instabiler werden, weil die gegenseitige Abhängigkeit sinkt. Dadurch ist das deutsche Exportmodell direkt betroffen. Der Export könnte in den nächsten Jahren massiv zurückgehen, so dass sich die Diskussion erledigt. Dagegen spricht ein globaler Umbruch bei den Direktinvestitionen : Sie brachen 2018 um 27 Prozent ein. Das hat verschiedene Gründe: 1. Die Handelspolitik von Donald Trump in den USA. Das "tariff jumping " führte teilweise aber auch zu mehr Direktinvestitionen in den USA bzw. zum Ausbau. 2. Einmaleffekt der Unternehmenssteuerreform in den USA (US-Körperschaftssteuer von 35 auf 21%). Unternehmen repatriierten, etwa durch den Verkauf von Beteiligungen im Ausland. 3. Zyklisch: Unternehmen, die im Aufschwung Teile der Wertschöpfung in andere Weltregionen verlagern, holen diese in der "Normalphase" zurück bzw. lösen DI auf. 4. Politischer Faktor: Geopolitische Spannungen führen zu Verunsicherungen. Der Brexit führt in GB zum Rückzug. 5. Strukturelle Faktor: Technischer Fortschritt (Digitalisierung, 3-D-Drucker, Roboter) relativieren den Kostenvorteil von Niedriglohnländern. 6. Sicherheit. Im Heimaltland ist Know-how am sichersten. Dieser letzte Faktor wiederum könnte die Exporte stabilisieren.

Neuere Analysen: Eine neuere Studie empfiehlt eine Trendumkehr durch folgende Maßnahmen zu erreichen. Umkehrung folgender Prozesse:  des Entstaatlichungsprozesses, des Einbruchs der Löhne und des Anstiegs der Ungleichheit. Vgl. Behringer, Jan/ Truger, Achim/ van Treek, Till: Das deutsche Modell: Wie kann der Leistungsbilanzüberschuss abgesenkt werden, in: Wirtschaftsdienst 10/2020, S. 753-757.

Nölke, Andres: Exportismus. Die Deutsche Droge. Eine Entzugsstrategie für gesundes Wachstum, Frankfurt/ Westend Verlag 2021. Der Autor analysiert die Ursachen und Folgen der deutschen Exportabhängigkeit. Er liefert gleichzeitig ein Plädoyer für ein neues Wirtschaftsmodell, das nachhaltiger, stabiler und im globalen Kontext balanciert ist. Er hält ein radikales Umdenken für notwendig: Löhne rauf, Exporte runter. In der Corona-Krise sieht er eine Chance für die Neuorganisation der deutschen Wirtschaft. Die Exportabhängigkeit Deutschland sieht der Autor als ineffizient an: Er bemängelt die magere Lohentwicklung, die Spaltung de Arbeitsmarktes in Insider und Outsider, die Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme, den Zwangsverzicht vieler Haushalte  auf eine eigen Immobilie, schlechte staatliche Dienstleistungen und verfall der Infrastruktur, eine Investitions- und Innovationsbremse im Privatsektor. zunehmende Konkurrenz durch Dumping, stark zunehmende Vermögensungleichheit, steigende Ungleichheit als Wachstumsbremse, Verschenkte Überschüsse, Vergebliches Ansparen für schlechte Zeiten, Deformierung des deutschen Finanzsektors, Niedrigzinsen durch Vermögensüberhang (Vgl. S. 63ff.). Diese Analyse ist im Großen und Ganzen richtig. Nur wird nicht schlüssig, wie eine Ausbalancierung in der Praxis umgesetzt werden kann (vgl. S. 100ff.). die behandelten Punkte scheinen mir bei weitem nicht ausreichend.

Zukunft des Export orientierten deutschen Geschäftsmodells nach den geopolitischen Konflikten: Der Einmarsch Russlands in der Ukraine verändert die heile deutsche Welt. Das deutsche Geschäftsmodell steht auf dem Spiel. Die Vorstände der großen deutschen Unternehmen müssen auch umdenken. Die großen Player Russland und China stellen den Freihandel grundsätzlich in Frage. Sie sind aber gleichzeitig große Rohstoffförderer und Rohstoffveredler. Vgl. Book, Simon u. a.: Wirtschaft als Waffe, in: Der Spiegel Nr. 9/ 26.2.2022, S. 80ff. Dazu habe ich einen eigenen Artikel verfasst: deutsches Wirtschaftsmodell. Der Gaza-Krieg 2023 verstärkt die Teilung der Welt in einen neuen Kalten Krieg. Es tauchen auch Bücher auf, die auf eine Versessenheit hinweisen, die Land und Leute ärmer macht. Vgl. Hesse, Jan-Otmar: "Exportweltmeister - Geschichte einer deutschen Obsession", Berlin (Suhrkamp) 2024. Er beantwortet folgende Fragen: Wie ist der Aufstieg Deutschlands zur Exportnation zur erklären? Wann entstand die Hinwendung zu den globalen Märkten als wirtschaftspolitische Strategie? Vgl. zum Buch auch Anfang dieses Artikels.

"Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird", Christian Morgenstern.

 

Bevölkerungsentwicklung und Folgen (Krise der demographischen Entwicklung; zur globalen Bevölkerungsentwicklung vgl. Economics/special, Arbeitsökonomik, Demographie):

  Kitzbüheler Horn, Kitzbühel/ Österreich. Hier ist eines der Paradiese für reiche Ältere. Verteilungskonflikte zwischen reichen Älteren und Jüngeren ohne Perspektive werden zunehmen (in vielen Ländern Europas und auch in Asien). Die weltweite Bevölkerungsentwicklung verläuft sehr unterschiedlich: In Afrika und Asien gibt es starke Zuwächse (Ausnahmen: Japan, Südkorea), in Europa Rückgänge, aber viel Wohlstand.. Das beeinflusst auch Migrationsströme. Ab 2020 entsteht nahe Kitzbühel ein Öko-Luxusressort. Einen E - Porsche gibt es für Chaletkäufer gratis dazu. Doch so umweltfreundlich ist das Projekt nicht. Im Bundesland Tirol bricht 2020 Covid-19 aus. Ischgl wird zur Virenschleuder für ganz Europa. Auf das Land Tirol kommen Schadensersatzklagen zu.

Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftswachstum über die Altersgruppen, die am Arbeitsprozess beteiligt sind. Außerdem ist die Frage wichtig, wie bildungsbereit die Jungen und wie weiterbildungsbereit die Alten sind. Weil die europäischen Gesellschaften in allen 25 Mitgliedsstaaten der EU strukturell immer älter werden, müssen wir uns auf ein Sinken des Wirtschaftswachstums einstellen (soziale und wirtschaftliche Probleme). Die sozialen Gegensätze werden sich zuspitzen. Die arbeitende Bevölkerung in Deutschland wird ohne Zuwanderung bis 2020 um 7% zurückgehen. Im Jahre 2010 ist schon jeder fünfte Deutsche im Rentenalter. Im Jahre 2060 wird es fast ein Fünftel weniger Deutsche geben. 14% werden dann über 80 Jahre sein. Bis 2030 schrumpft die deutsche Bevölkerung um drei Millionen, die Weltbevölkerung soll um 40% steigen. Die Schülerzahl wird dramatisch sinken: bis 2025 um 18,9%. Umso wichtiger werden in Zukunft Lebenslanges Lernen und die Steigerung der Arbeitsproduktivität sein. Die Zuwanderung ist schwierig einzuschätzen: weltweit gibt es 200 Mio. Migranten. Ab 2015 schrumpft die Bevölkerung in der EU insgesamt. Bis 2060 soll die Erwerbstätigenzahl um 19 Millionen sinken (2015: 43 Mio., 2020: 41, 2025: 38). Weltweit sinkt die Fertilität in den Industrieländern, in denen heute bereits 22% der Menschen älter als 60 Jahre sind. Der Alterungseffekt ist mit zeitlicher Verzögerung auch in den Entwicklungsländern zu beobachten.  

Infolge der Bevölkerungsentwicklung fehlen in vielen westlichen Industriestaaten in den nächsten Jahren Fachkräfte. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) prognostiziert für 2020 in Deutschland eine Lücke von bis zu 425.000 Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Bis 2014 sollen schon 220.000 fehlen. 2010 sollen schon bis zu 400.000 Fachkräfte einschließlich Facharbeiter fehlen. Damit ist es 2010 erstmals zu einem Kipp-Effekt gekommen: die demographische Entwicklung überlagert die konjunkturelle. In den USA ergibt sich die Lücke durch eine Änderung im Studienverhalten: immer mehr Ausländer und immer weniger Amerikaner studieren technische Fächer. Eine vorausschauende Personalpolitik wäre also sehr sinnvoll. Schon 2009 konnten in Deutschland nicht mehr alle Lehrstellen besetzt werden (100.000 weniger Bewerber als 2008, es fehlt den Bewerbern auch an Wissen und Interesse). 61.000 Stellen in naturwissenschaftlichen Bereichen konnten 2009 nicht besetzt werden. Über 100.000 offene Stellen gab es in der Zeitarbeit. Mittlerweile werden auf zahlreichen Internet-Plattformen ausländische Facharbeiter umworben. Die Arbeitsministerien wollen eher mit regionalen Lösungen arbeiten. 2011 macht die Wirtschaft Druck bei der Zuwanderung und fordert eine am Bedarf orientierte Zuwanderung. Logisch gesehen müsste die Fachkräftelücke von Frauen (höhere Erwerbsquote), von Älteren (längere Lebensarbeitszeit) und Zuwanderern (Hochqualifizierte) gedeckt werden. 2011 ist der Ingenieurmangel auf einem Zehn-Jahres-Hoch (es fehlen allein 31.000 Maschinenbauingenieure). Jeder Vierte bricht das Studium ab. Man sollte darüber nachdenken, Absolventen deutscher Hochschulen automatisch ein Bleiberecht zu geben. 2011 werden die arbeitsrechtlichen Hürden für bestimmte Gruppen von Arbeitskräften gelockert (Ingenieure, Ärzte). Außerdem wird die Einkommensgrenze für die Aufenthaltserlaubnis gesenkt (und in den ersten drei Jahren nicht Hartz IV). Es wird auch die Einführung einer "Blue-Card" beschlossen (Einreise von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern, Hochschulabschluss, 44.000 € Jahresgehalt). Immer mehr Unternehmen setzen auch auf flexiblere Arbeitszeiten mit Arbeitszeitkonten. Fachkräfte haben eine große Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, das Potential sollte nachhaltig entwickelt werden. Dies gilt besonders für Ingenieure. Nach einer Prognose des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) gibt es 2013 zu viele Akademiker in Deutschland und zu wenige Facharbeiter. Im Juni 2012 macht die Bundesregierung einen Fachkräftegipfel. Bei einer deutsch-spanischen Ausbildungskonferenz wird eine Zusammenarbeit vereinbart: spanische Jugendliche werden in deutschen Unternehmen in Spanien oder in Deutschland ausgebildet.

Das Arbeitskräftepotential wird bis 2025 um 6,5 Mio. auf ca. 38 Mio. Beschäftigte absinken. 2030 soll es eine Lücke von über 5 Mio. Fachkräften geben. Gleichzeitig steigen die Krankheitszahlen an (Burn Out!).

Die Gesellschaft in Deutschland und den anderen Industrieländern, aber auch in vielen Schwellenländern, wird immer älter. Die Beschäftigungsquote bei den 60- bis 64-jährigen ist aber auf 23,4% im Jahre 2009 in Deutschland gestiegen. Die Beschäftigungsquote der über 55-jährigen beträgt 56%. In der gleichen Zeit sind aber 145.00 ältere Menschen arbeitslos gemeldet. Die älteren Menschen - auch "Silver Hairs" genannt - spielen als Kunden eine immer größere Rolle. Allerdings herrscht ein Statistik-Wirrwarr: Die Zahlen von Statistischem Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit, Eurostat der EU und Familienministerium stimmen nicht überein. Andererseits ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen 2010 in Deutschland mit 16,5% am niedrigsten in Europa. Seit 2000 ist die Zahl der Kinder um 2,1 Mio. gesunken. Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (gehört zum StBA) 2012 zeigt, dass das Kinderkriegen in Deutschland immer unattraktiver wird. Hauptursache dafür ist die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf (auch subjektive Fragen). Vor allem höher qualifizierte Frauen sind betroffen. Nach dem IAB hat sich die Erwerbsquote der von 60- bis 64-jährigen seit 1991 bis 2011 verdoppelt. Deutschland hat nach Japan 2010 die älteste Bevölkerung der Welt: Jeder fünfte Deutsche ist über 65 Jahre alt (StBA). Am 25.04.2012 legte die Bundesregierung eine Demographiestrategie vor ("Jedes Alter zählt"). Themenschwerpunkte sind die Familie als Gemeinschaft, Gesundheit, Selbstbestimmtes Leben im Altert, Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik, Nachhaltiges Wachstum, Handlungsfähigkeit des Staates erhalten.

Ältere Menschen auf der Erde: Das Durchschnittsalter der Weltbevölkerung liegt 2011 bei 28 Jahren. Im Jahr 2050 wird es vermutlich bei 38 Jahren liegen. Japan und Deutschland besitzen die älteste Bevölkerung mit durchschnittlich 44 Jahren. Uganda und Niger haben die jüngste Bevölkerung mit 15 Jahren.  Das Rentenproblem ist nicht das einzige. Bleiben wir auch länger gesund, so dass die Menschen länger arbeiten können? Die sozialen Probleme werden zunehmen. Insbesondere drohen Verteilungskämpfe in den wohlhabenden Ländern (siehe oben Kitzbühel). In der EU hat mittlerweile (2014, Office for National Statistics) Großbritannien die zweithöchste Bevölkerungszahl mit 64,1 Mio. nach Deutschland und vor Frankreich 63,6 Mio.  Hält der Trend an, hat das Vereinigte Königreich 2050 die Spitze in der EU. Die Geburtenrate liegt bei 1,98 und die Zuwanderung ist hoch. Parallel zur Bevölkerungsentwicklung nimmt auch die Ungleichheit in der Welt zu. Immer weniger Menschen haben einen immer größeren Reichtum. Die Zahl der Armen wächst und die Mittelschicht wird weniger. Dahinter stecken Fehlentwicklungen der Marktwirtschaft, Fehler der Politik und die Globalisierung. Die Verbindung zwischen weltweiter Bevölkerungsentwicklung und zunehmender Ungleichheit muss im Auge behalten werden. Vgl. auch Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht, München 2012 (Siedler). 2013 leben laut der UN 7,16 Mrd. Menschen auf der Erde (44% unter 25 Jahren, 1,4 Mrd. hungern). mittlerweile gibt es auch eine Stiftung Weltbevölkerung in Hannover. Viel hängt in der Prognose der Bevölkerung von den Ländern Afrikas südlich der Sahara ab. Mit 4,7 Kindern bringen Frauen dort doppelt so viel Nachwuchs zur Welt wie in anderen Regionen (am geringsten ist die Geburtenrate 2019 in Südkorea mit unter 1). Investitionen in Bildung könnten dort das Bevölkerungswachstum verlangsamen. Im November 2019 findet eine Bevölkerungskonferenz der UN in Nairobi/ Kenia statt. Vorgeschlagene Maßnahmen zum Eindämmen des Bevölkerungswachstums stoßen auf Widerstand (USA, Weißrussland, afrikanische Länder). Besonders umstritten sind Verhütungsmaßnahmen, Abtreibungen und Homosexualität.

Hinzu kommt der Trend zur Urbanisierung der Weltbevölkerung. Seit dem Jahr 2008 leben erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Für die deutsche Industrie sind die Mega-Städte allerdings eine große Chance. Deutsche Unternehmen können Techniken gegen Verkehrschaos, U-Bahnen u. a. zur Verfügung stellen. Insgesamt leben im Jahre 2011  6.973.762.000 Menschen auf der Erde. Die Weltbevölkerung wächst jährlich um die deutsche Größe (80 Mio.). In den kommenden 40 Jahren wächst sie wahrscheinlich auf 8 Mrd. an, wobei das Wachstum fast ausschließlich in den Entwicklungsländern ist. Bezieht man sich auf Erdteile, wächst die Bevölkerung in Afrika, Asien und Nordamerika. Nur in Europa geht sie zurück. In Deutschland zeigt der Prognos - Zukunftsatlas, dass  in der Mehrzahl der Städte und Kreise die Einwohnerzahl schrumpft.

Konzentriert man das Thema insgesamt auf Deutschland, ist bei der Ungleichheit zu bedenken, dass Armut und Reichtum sehr relative Größen in Wohlstandsgesellschaften sind (Schwierigkeiten der Definition). Außerdem sind große sozialstrukturelle Veränderungen zu berücksichtigen, die auch Einfluss auf die Bevölkerungsstruktur haben: Zwischen 1990 und 2011 ist die Anzahl von Einpersonenhaushalten von 35 auf über 40% gestiegen. Die Alleinerziehenden sind von 14 auf 20% gewachsen, die Älteren von 21 auf 27%. Hinzu kommt, dass die ehemaligen DDR-Bürger (16 Mio.) und neu aus dem Ausland Hinzugezogene (ungefähr 20 Mio.) - materiell - integriert werden mussten. Die Letzteren kamen aus Ländern, in denen überwiegend bittere Armut herrscht. Eine detaillierte Analyse der Bevölkerungssituation in Deutschland liefert auch der Familienreport des Bundesfamilienministeriums.  Im Bericht 2013 wird eine Trendwende bei der Geburtenrate gesehen. Bei Akademikerinnen sei der jahrelange Anstieg der Kinderlosigkeit gestoppt. Drei Viertel der Kinder wachsen bei Eltern mit Trauschein auf. Die Zahl der Scheidungen sei seit 15 Jahren konstant.

Die Lasten der alternden Gesellschaft in Deutschland lassen sich mit Zahlen belegen: 25.000 € pro Kopf betragen die Staatsschulden im Herbst 2012; es werden immer mehr für die folgenden Generationen.  Drei Erwerbstätige kommen heute auf einen Rentner, 2060 stehen zwei Rentner gegenüber. Heute beträgt die Lebenserwartung eines Mädchens 83 Jahre, 2060 rund 90 Jahre. Von der Bevölkerungsentwicklung werden die Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland sehr unterschiedlich getroffen. Bis 2025 werden die Regionen Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern mehr als 10 Prozent schrumpfen. Stark wachsen wird die Bevölkerung nahe München, in Hamburg und Berlin (mehr als +10%). s. FAZ, Montag 05.11.12, S. 5.

Exkurs: Überalterung in China und die Folgen: Der demographische Wandel macht den Wirtschaftsplanern große Sorgen. Besonders besorgniserregend ist die geringe Geburtenrate: 2020 12 Mio. Kinder, 18% weniger als 2019 (nur 1961 weniger; 4. Jahr in Folge Rückgang; Geburtenrate 1,3).  Daran hat auch die Lockerung der Ein-Kind-Regel nichts geändert. Die zunehmend urbane Bevölkerung kann sich aufgrund der Immobilien- und Bildungskosten nicht mehr als ein Kind - wenn überhaupt - leisten (es soll bald Fördergelder für Kinder geben). Bald könnten in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde auch einmal Arbeitskräfte fehlen, weil die Zahl der Erwerbspersonen sinkt (. So setzt man Hoffnungen auf die Automatisierung und KI. Die demographische Zeitbombe könnte den Aufstieg des Landes behindern. Die Daten der jüngsten Volkszählung von 2020 werden zunächst geheim gehalten, dann im Mai 21 veröffentlicht. Aber ab 2023 (Höhepunkt der Bevölkerung 2022) dürfte die Einwohnerzahl schrumpfen. In den letzten 10 Jahren von 2010 bis 2020 ist die Bevölkerung nur um +5,4% gewachsen (auf 1,412 Mrd.). Jeder fünfte Einwohner (18%) soll über 60 Jahre sein (wahrscheinlich ist die Zahl noch höher, sagen Experten). 2030 soll ihr Anteil auf 30% steigen. Die traditionellen Medien propagieren zunehmend konfuzianische Familienwerte und preisen die Mutterrolle der Frauen. Die Zahl der erlaubten Kinder von 2 soll erhöht werden.  Das Rentenalter (Männer 60.Frauen 55) soll angehoben werden. Eventuell sollen auch die Hürden für Einwanderung gesenkt werden (Ausländeranteil 0,06%). Am 24.05.21 beschloss das Politbüro eine "Optimierung der Geburtenpolitik". Diese solle helfen, die Bevölkerungsstruktur zu verbessern. Die Zwei-Kind-Politik (seit 2015) wird durch eine Drei-Kind-Politik ersetzt. Neben der Beschränkung der Kinderzahl gibt es weitere Gründe für das Schrumpfen der Bevölkerung: hohe Kosten für Wohnen, Ausbildung und Gesundheit. Auch hier müsste man ansetzen. Quelle: Nachrichtenagentur Xinhua. Der staatliche Zensurapparat verhin dert eine Diskussion über die moralische Schuld der Ein-Kind-Politik (1980). Nach einer Umfrage können sich 90% keine drei Kinder vorstellen (Ergebnis wurde später gelöscht).

Das größte Folgeproblem in Deutschland ist die Altersarmut. Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsformen, aber auch die Umstellung der Rentenformel, werden zu Versorgungsproblemen im Alter führen. 51% beträgt das Rentenniveau heute, 2030 sinkt es auf 43%. Heute gelten 14% der Senioren als armutsgefährdet. Bei Alleinerziehenden sind es 37%. Die Bundesregierung will mit einer Zuschussrente den langjährig Versicherten mit Niedrigeinkommen eine Rente von 850 € garantieren. Wer bei der Rente mit 67 früher aussteigt, muss Abschläge bis zu 18 Prozent in Kauf nehmen. Dies kann zu einer spürbaren Rentenkürzung führen. Es soll ein Konzept zur Bekämpfung der Altersarmut entwickelt werden (Gesetz). Darin enthalten ist eine Zuschussrente für Geringverdiener und höhere Zusatzverdienste für Frührentner. Die Bundesregierung beschließt im November 2012 eine Lösung (Lebensleistungsrente; Finanzierung aus Steuermitteln, nur ca. 2% werden Anspruch haben).  Schon 2012 wird deutlich, dass ca. 400.000 Senioren sich kein Altenheim mehr in Deutschland leisten können. Das durchschnittliche Arbeitsleben in der EU dauert 35 Jahre. Am längsten sind die Schweden in Arbeit mit 40 Jahren. In Deutschland sind die Erwerbstätigen 37 Jahre aktiv.  2030 wird der Höhepunkt des Bevölkerungsproblems in Deutschland erreicht: Dann wird der Jahrgang, der sich aus der Arbeit verabschiedet doppelt so groß sein wie jener, der von unten ins Erwerbsleben hineinwächst. In Bezug auf Afrika gibt es auch einen großen Irrtum: Heute sind die Menschen oft so arm, dass sie sich Flucht nicht leisten können. Bekommen die Menschen mehr Bildung, steigt die Abwanderungsbereitschaft. Also wird sich das Migrationsproblem verstärken. Wachsender Wohlstand, bessere Lebensperspektiven  und mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen führen zu sinkenden Kinderzahlen, was die Lösung sein muss. Am 18. Oktober 2012 fand im Pfalzbau Ludwigshafen ein Demographie-Kongress statt (Regionalstrategie Demographischer Wandel).

Alterung und Arbeitsmarkt: Die alternde Gesellschaft wird den Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren prägen. Der Gesundheits- und Sozialbereich wird vom Jahr 2040 an der größte Wirtschaftsbereich in Deutschland sein. Dann werden 7 Mio. Menschen in diesem Sektor arbeiten. In den nächsten 20 Jahren (ab 2020) erhöht sich die Anzahl der Beschäftigten in diesem Bereich um 660.000. im Verarbeitenden Gewerbe wird die Anzahl der Erwerbstätigen abnehmen (auf 6,4 Mio.). Die Zahl der Erwerbstätigen wird insgesamt zurückgehen, vor allem in Ostdeutschland. Quelle: Prognose des IAB, Nürnberg 2021.

2022 zeichnet sich klar eine Trendwende in der Bevölkerungsentwicklung ab. Die Bevölkerung wird schrumpfen. In Deutschland, in Europa und bald auf der ganzen Welt. Sinkt mit ihr auch der Wohlstand? Droht eine jahrzehntelange Rezession, gar ein Jahrhundert des Rückschritts. Deutschland braucht qualifizierte Einwanderer, Investition in Innovation, Bildung (gleiche Chancen für alle Kinder), mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und sollte unproduktive Arbeit den Robotern überlassen. Wir wissen aber nicht, wie sich wichtige Einflussfaktoren entwickeln (American Dream, China weiter auf der Überholspur?, Einheit Europas, Armutsfalle in Afrika und Südamerika). Vgl. Dettmers, Sebastian: Die große Arbeiterlosigkeit, München (FBV) 2022. "Wir alle kennen Arbeitslosigkeit - die neue Herausforderung ist die Arbeiterlosigkeit", siehe ebenda, Umschlagtext Rückseite.

Altersdiskriminierung (Ageism, modische englische Fachbegriff): Die Generation der über 60-jährigen hat auf der einen Seite eine enorme wirtschaftliche, politische und demografische Macht in Deutschland. Auf der anderen Seite wird sie diskriminiert - mal subtil, mal brutal. Viele ältere Menschen fühlen sich aussortiert, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Das ist auch erforscht. Ältere Kolleginnen und Kollegen werden nicht mehr für Fortbildungen eingeteilt, sie bekommen kompliziertere Aufgaben nicht mehr, Verträge werden nicht verlängert. "Age doesn´t define you", WHO 2021. Vgl. Becker, Tobias u. a.: "Zwischen Revolte und Resignation", in: Der Spiegel 13/ 25.3.23, S. 8ff.

"Über Vergangenes mache dir keine Gedanken, dem Kommenden wende dich zu", Tseng Kuang.

 

Symbol des Euro, der Währung der EU (in Euroland). Crux der EU ist, das eine gemeinsame Währung möglich ist, aber Finanzpolitik, Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik u. a. national sind. Dieses Grundproblem zerreißt immer wieder die EU. Die schwächeren  Südländer - wie z. B. Italien - leiden darunter, dass sie nicht mehr abwerten können. Corona-Bonds werden durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.05.20 erschwert. Trotzdem weitet auch die EZB die Geldmenge aus und macht mehr Anleihekäufe.

Abwertungswettlauf von Währungen ("Währungskrieg" in der Welt, Rolle der Währung und Abwertung in der Außenwirtschaftspolitik, digitale Währungen):

"Der moderne Mensch hat nur ein neues LASTER erfunden: die Schnelligkeit", Aldous Huxley.

Währungen (Geld bezogen auf Geld in einem anderen Land) beeinflussen Kaufkraft und Preise. Sie spielen eine große Rolle im Kampf um eine bessere Wettbewerbsfähigkeit zwischen Ländern. Die Beziehung zwischen zwei Währungen nennt man Wechselkurs (bzw. Devisenkurs).

Schwachwährungsländer können ihre Probleme in der Regel durch Abwertung lösen. Dadurch werden die eigenen Waren, die man exportieren will, billiger. In der EU wurde durch den Euro dieses Währungsventil geschlossen. Damit hängen die Probleme der Peripherieländer der EU (Griechenland, Italien, Spanien, Portugal) zusammen. Die eigene Wettbewerbskraft kann jetzt nicht mehr künstlich auf Kosten der Nachbarländer gestärkt werden. Der Vertrag von Maastricht verbietet ein Helfen bei Haushaltsproblemen (bail-out). Deshalb wird die Einführung eines Europäischen Währungsfonds erwogen. Die Abwertung kann wegen der Unabhängigkeit der Notenbank in vielen Ländern nicht direkt vorgenommen werden. So erfolgt sie indirekt: Wenn z. B. die Notenbanken in den USA und in Großbritannien in großem Ausmaß Staatsanleihen kaufen, um das Schuldenmachen der Regierung zu erleichtern, schwemmt dies Geld in den Markt. In der Folge sinkt dadurch der Wert von Dollar und Pfund (Weichwährungen, "billiges Geld für niedrige Wechselkurse und schnelleres Wachstum"). Bei einem G20-Treffen im Februar 2013 einigt man sich darauf, wenigstens Wechselkurse nicht direkt an Wettbewerbsgesichtspunkten auszurichten. Gewisse Zielwerte können dagegen verfolgt werden. In einen Abwertungswettlauf ("Währungskrieg") will man nicht eintreten.

Eine Ab- oder Aufwertung ist auch häufig Gegenstand von Spekulationen. Historisch am meisten wurde mit dem britischen Pfund verdient (Soros). Aber auch Peso, Rubel, Yen, Euro und Dollar waren schon das Ziel. Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Wechselkurs und Wahlen (z. B. Wahl in Italien). Die Abwertung des Euro 2010 hat die konjunkturelle Entwicklung in Europa gestärkt (Schätzung für Deutschland 2010 5 Mrd. €, 80.000 Arbeitsplätze). Daran waren vor allem die Produkte Autos, Elektrotechnik und chemische Erzeugnisse beteiligt. Dafür wurden Öl und Rohstoffe teurer. Die Abwertung des Euro allein 2010 ist z. B. verbunden mit einer Aufwertung des Yuan um 6% (feste Bindung an den Dollar). Im Juni 2010 wird der Yuan wieder durch eine Bindung an einen Währungskorb flexibilisiert (wie von 2005 - 2008), was nicht notwendigerweise zu einer Aufwertung des Yuan führen muss. Vielleicht wird die Währung in einigen Jahren (2014 oder 2015?) freigegeben. 2013 vollzieht die chinesische Zentralbank einen Kurswechsel. Das Geld wird drastisch verknappt, um die Spekulationsblasen zu bekämpfen (Zinsen im Interbankenmarkt vorübergehend bei 14%, Leitzins schon lange bei 6%). Im Herbst 2013 wird ein Experiment in Shanghai gestartet, wo ein freier Wechselkurs regional ausprobiert wird. Während Japan den Yen so stark abwertet (in den letzten Monaten um 30% gegenüber dem Dollar) hat China leicht um 2% aufgewertet (die Stückkosten sind massiv gestiegen). 2011 befindet sich der Euro gegenüber dem Dollar wieder in einem Aufwertungsprozess, 2013 in einer Abwertungsphase. Dies setzt sich mit der Senkung des Leitzinses auf 0,25% fort (siehe unten). Abwertungsprozesse haben großen Einfluss auf den Wert der Staatsanleihen. Würde z. B. der Dollar um 20% abgewertet, verlöre die chinesische Zentralbank ca. 400 Mrd. Dollar. "Gönne dir einen Augenblick der Ruhe und du begreifst, wie närrisch du herumgehastet bist", Laotse.

Nach der Abwertung des Yen durch die Geldschwemme 2013 in Japan (Hedgefonds machen Milliardengewinne mit ihrer Wette auf die Abwertung; Japan spricht von Selbstverteidigung gegen die amerikanische Geldpolitik; auch Abenomics genannt; genauer: Baustein 1 radikale Geldpolitik, um künstlich Inflation und Abwertung herbeizuführen; Baustein 2 schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme; Baustein 3 strukturelle Reformprogramme zur Erhöhung der Steuereinnahmen und Deregulierung des Arbeitsmarktes) befürchten Experten einen Abwertungswettlauf. Der Leitzins liegt fast bei Null und kann nicht weiter gesenkt werden. Deshalb kauft die Notenbank Staatsanleihen und andere Wertpapiere (die Gesamtverschuldung liegt im Mai 2013 bei 237%!). Die Geschäftsbanken horten eher das Geld und es kommt nicht in die Wirtschaft (deshalb keine Inflation). Andererseits sind Japans Banken die größten Kreditgeber im Ausland. Die japanische Wirtschaft leidet an einem Nachfragemangel und Strukturproblemen. Der Nikkei-Index steigt (seit Jahresbeginn 2013 bis Anfang Mai um 25%). Im ersten Quartal 2013 kletterte das BIP um 3,5% (die Stagnation scheint überwunden). Schwachstelle bleiben die Investitionen. Bisher investiert hauptsächlich der Staat. Importe wie Öl und Gas werden aber erheblich teurer. Japanische Anleger könnten ihr Geld ins Ausland verlagern. Insgesamt muss sich Abenomics nicht nur in der Geldpolitik, sondern auch in der Finanz- und Strukturpolitik bewähren (Sanierung des Staatshaushalts, Vertrauen ausländischer Investoren, Naivität der Sparer). Eine zu starke Abwertung birgt hohe Risiken. Es könnte ein "Sell Japan"-Effekt (gleichzeitiger Verkauf von Yen, Aktien und Anleihen) ausgelöst werden. Als kritische Grenze gilt 107 Yen.  Betroffen von den Folgen einer Yen-Abwertung sind vor allem die Schwellenländer. Extrem volatil sind der Südkoreanische Won, der Brasilianische Real, der Südafrikanische Rand und der Australische Dollar. Teilweise sind in diesen Ländern die Zinsen noch akzeptabel, wodurch Anleger angelockt werden. Die Länder werden zu Gegenmaßnahmen gezwungen (Kapitalverkehrskontrollen, Zollerhöhungen, Importverbote, vgl. auch Außenwirtschaft/Monetäre Außenwirtschaftstheorie über den Link "Monetäre Außenwirtschaftstheorie"). 2014 stürzt Argentiniens Währung Peso so stark ab wie seit zehn Jahren nicht mehr. Investoren befürchten eine Finanz- und Wirtschaftskrise. In Europa  müssen einige Länder dem Pfund folgen und auch abwerten (Dänemark, Norwegen). Ein wirksame Waffe in "Währungskriegen" ist eine expansive Geldpolitik. Das ist auch ein Grund für die weltweite Geldschwemme. Die angekündigte Verringerung der Geldmenge in den USA durch die Fed lässt 2013 die Währungen der Schwellenländer wieder schwächer werden. Der brasilianische Real verliert im ersten Halbjahr 2013 20% gegenüber dem Dollar. Jetzt legt Brasilien ein Interventionsprogramm auf (45 Mio. €, Tauschgeschäfte in $/ Swaps und Fremdwährungsgeschäfte). Aber auch 2014 verliert der Real weiter an Wert. Die indische Rupie hat noch stärker verloren (innerhalb von zwei Jahren mehr als 40%).  Verloren hat 2013 auch die indonesische Rupiah. Schwächer wurde auch 2013 die Währung der Türkei (2014 setzt sich die rasante Talfahrt fort, Leitzinserhöhung?). Der Leitzins wird Ende Januar 2014 auf 12% erhöht (von 7,75%).  Relativ stark bleibt 2013 der mexikanische Peso (der Leitzins konnte  auf 3,75% gesenkt werden). Südafrika erhöht den Leitzins Ende Januar 2014 auf 5,5%. Aber der Kapitalabfluss wird nicht aufgehalten. 2014 sind auch die Währungen im Osten, vor allem der Rubel, im freien Fall. Aber auch der kasachische Tenge ist betrofffen. Die Aussicht auf eine Zinserhöhung in den USA beeinflusst Investoren ihr Kapital abzuziehen und in die USA zu bringen. Immer mehr Länder erwägen, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. Die Beibehaltung der lockeren Geldpolitik der Fed im Herbst 2013 verschafft den Schwellenländern zunächst Zeit (Währungen werten wieder auf). Im Januar drosselt die Fed ihre lockere Geldpolitik. Die EU verfehlt ihr Inflationsziel von 2% 2013. Aktuell ist die Inflationsrate bei 1,2% (in der Eurozone bei 0,7%, Oktober 13). Die Furcht vor Deflation geht um. Fallende Preise führen zu steigendem realen Wert der Schulden. Das kann insbesondere den kriselnden Staaten des Südens schaden. So könnte es sein, dass die EZB die Zinsen weiter senkt; auch um den Euro abzuwerten. Davon profitierten vor allem die Exporteure in Europas Süden. Dies geschieht dann auch am 07.11.13 von 0,5% auf 0,25%. Sofort verliert der Euro an Wert und der Aktienkurs legt zu. Die Frage ist, ob der Konsum angeregt wird (Binnenkonsum). Es könnte auch Inflationsgefahr drohen. Die Frage ist auch, ob die Banken das Geld weitergeben oder horten. "Es gibt eine Zeit zum Fisch und eine Zeit zum Netzetrocknen", aus Neuseeland.

Die weltweite Liquiditätsschwemme lässt das Vertrauen in Papiergeld schwinden. Alternative Werte wie Gold (Preis bricht zwischenzeitlich ein) und Immobilien werden wichtiger. Im Mai 2013 senkt die EZB den Leitzins für den Euroraum um 25 Basispunkte auf das historisch niedrige Niveau von 0,50%. Dies geschieht in der Hoffnung, dass die Banken niedrige Kreditzinsen an die Wirtschaft weitergeben, um die Konjunktur anzuregen (allerdings fraglich bei der schlechten Lage der Banken in den Krisenländern). In Griechenland, wo der Markt für Mittelstandskredite 2013 fast zusammengebrochen ist, soll die Europäische Investitionsbank helfen. Prognosen - auch die der EU-Kommission - sehen eine negative Entwicklung des BIP in Europa (2013 -0,4%). Auch Deutschland wird in den Sog nach unten mitgezogen (viele große Unternehmen aus dem DAX bauen Stellen ab). Die Liquidität wächst natürlich weiter (Euro könnte in der Folge abgewertet werden, was zunächst auch passiert). Es könnten auch falsche Signale verstärkt werden. Dies könnte dazu führen, dass die Akteure wieder höhere Risiken eingehen (dann Blasenbildung, vor allem auf dem Immobilienmarkt, der sowieso der Fluchtmarkt ist). Diese Entwicklung zeigt sich schon in den USA. Die expansive Geldpolitik der US-Notenbank lässt die Preise am Immobilienmarkt 2013 kräftig anziehen. Die großen staatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac unterstützen dies. Hier könnte sich die nächste Blase aufbauen. Für die Sparer ist diese Entwicklung eine Katastrophe. Die versprochenen Renditen für die private Altersvorsorge lösen sich in Luft auf. Würde die Krise aber weiter eskalieren, müssten die Sparer noch mehr um ihr Geld bangen. Im Grunde befinden sich die drei großen Wirtschaftsräume USA, EU und Japan in einer geldpolitischen Experimentierphase. Sie haben vor allem versäumt, ihren Bankensektor zu bereinigen. So werden zu unrecht weiter Krisenbanken unterstützt (weil sie schwer identifizierbar sind). Störungen bei der Giralgeld - Schöpfung der Banken konnten neutralisiert werden, aber das Verhalten von privaten Haushalten und Unternehmen wurde verunsichert (obwohl hier eigentlich die Geldmenge nicht außergewöhnlich aufgebläht wurde). Die Börsen honorieren die Geldpolitik zunächst. Die Frage ist, ob und wann die Realwirtschaft wieder florieren wird. Die großen Unternehmen profitieren. Im Jahre 2012 haben sie durch Anleihen, die niedriger verzinst sind als im Krisenjahr 2007, 580 Mio. € an Zinszahlungen eingespart (Quelle: CBP, Uni Saarbrücken). Die Nachfrage aus den Schwellenländern sinkt (hängen stark an der Geldpolitik der Fed), wovon auch Deutschland betroffen ist (Exporte in diese Länder machen 11,1% des BIP aus, IWF). Nur China erscheint als Hort der Stabilität. Weder bricht die Währung ein, noch fliehen Investoren (Finanzsektor von den großen Staatsbanken geprägt).

Insgesamt hat die Notenbankpolitik in den USA und der Abwertungswettlauf der Währungen zu einem Sinkflug der Schwellenländer geführt. 2014 ist das Wachstum wichtiger Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien, Türkei, Russland und Indien eingebrochen. Der Verlust der jeweiligen Landeswährung zum Dollar ist immens (Anfang 2011 bis Anfang 2014):  Argentinien -49,4%; Brasilien -30,3; Türkei -30,5; Russland -12,1; Indien -28,2. Auch die Aktienmärkte brechen ein, außer in Argentinien. Am 22.01.15 gibt die EZB den Kauf von Staatsanleihen von Banken im großen Rahmen bekannt. Dadurch soll Geld in neue Anlagen fließen, vor allem in den südlichen Krisenländern (monetäres Konjunkturprogramm). Die Wirtschaft soll schneller wachsen. Die Steuerzahler stehen dafür im Risiko (zusätzlich bekommen sie fürs Sparen dauerhaft keinen Zins mehr und können für das Alter nicht mehr vorsorgen). Am 22.0102015 gibt die EZB den Kauf von Staatsanleihen in großem Umfang bekannt. Monatlich werden für 60 Mrd. Euro Staatsanleihen von Banken aufgekauft (von März 2015 bis September 2016. Die Summe beträgt insgesamt 1140 Mrd. €). Die Staatsanleihen werden nach dem Anteil der Mitgliedsländer an der Notenbank gekauft, also am meisten Papiere von den Deutschen (trotzdem ist es eine Art Vergemeinschaftung der Haftung für Staatsschulden). Es gibt keine Eingrenzung bei den Laufzeiten. Die Frage ist, ob die Krisenländer jetzt trotzdem weiter Reformen durchführen und ihre Haushalte konsolidieren. Offen bleibt auch, ob die Preissteigerung tatsächlich angehoben werden kann. Ein schwächerer Euro ist sicher auch für die Exportwirtschaft erwünscht, insofern ist dies ein Element im Währungskrieg  

Aktuell: Die EZB (oder vorher die Fed) "produziert" neues Geld, indem sie Staatsanleihen auf dem Markt von den Banken kauft. Das Geld soll über die Banken in den realen Markt einsickern. Das Ziel ist, die Konjunktur anzukurbeln und die Inflation zu erhöhen (im Januar 2015 erstmals Preisrückgang). Der Euro-Kurs wird nebenbei gegenüber Dollar und Yen gedrückt, was die Exportchancen verbessert. Die Staaten können sich billiger verschulden (was sie hoffentlich nicht von Strukturreformen abhält; erst einmal hat man Zeit gewonnen). Die Steuerzahler zahlen die Zeche (als Sparer und Rentner). Die Vermögenswerte steigen (Aktien, Häuser). Insgesamt gesehen wirken die Anleihekäufe also über drei Kanäle: Kredite, Vermögen und Wechselkurs. Man kann die Wirkung aber nicht gleichsetzen in den großen Industrieländern (in Großbritannien und USA positiv, in Japan negativ). So funktionieren die Kapitalmärkte in den USA anders (mehr auch auf Immobilien und Unternehmensanleihen bezogen). Die Geldflut könnte das reale Bild über die ökonomischen Fähigkeiten verzerren. Am 14.12.16 erhöht die Fed den Leitzins in den USA leicht auf 0,5 bis 0,75%. Dadurch steigen in der Regel die Schulden der Schwellenländer, die überwiegend in Dollar bestehen. Am 15.03.17 erfolgt eine weitere Leitzinserhöhung auf die Spanne von 0,75 bis 1,0 %. 2020 kommen Leitzinserhöhungen in den USA in der Corona-Krise.   "Ich verstehe nicht, warum Länder ihre Währung abwerten, um den Export zu fördern, und dann andere Länder zwingen wollen, ihre Währung aufzuwerten", Wen Jiabao, ehemaliger Ministerpräsident Chinas vor dem Nationalen Volkskongress im März 2010.

Die Diskussion über Abwertungen und eine "angemessene" Bewertung von Währungen wird nie enden. Erstens ist die Wirtschaftsdynamik und die Krisenanfälligkeit in der Welt so hoch, dass Erwartungssprünge immer für Unsicherheiten und Volatilitäten sorgen werden. Zweitens gibt keine Einigkeit über das "richtige" Wechselkursniveau. Allein der Hauptindikator "Big Mac-Index" für die Beurteilung von Über- oder Unterbewertungen zeugt davon, wie wenig Möglichkeiten die Wissenschaft mit ihren Modellen hat. Drittens wird durch den Mechanismus, dass die Abwertung des einen Landes automatisch zur Aufwertung in einem anderen Land führt eine Art "Perpetuum Mobile" in Gang gesetzt.  Insofern steht der nächste Abwertungswettlauf immer bevor. Letzter Auslöser war ein Abwertungsprozess im August 2015 in der VR China drei Tage hintereinander. 2016 stürzt das britische Pfund ab nach der Brexit -Entscheidung. 2017 erstarkt der Dollar nach der politischen Wende in den USA. 2018 schmiert die türkische Lira ab (verliert 2018 die Hälfte ihres Wertes) wegen der Wirtschaftskrise (Arbeitslosigkeit, Inflation, Verschuldung) und den 50%-Strafzöllen der USA auf Stahl (Nichtfreilassung eines US-Pastors). Neben der Abwertung rückt mit dem Ausbreiten eines Handelskrieges auch immer mehr die globale Rolle der Währung in den Mittelpunkt. Stärkung der Rolle des Euro in der Welt: Mehr Verwendung des Euro im internationalen Handel. Vor allem der Energiesektor (Energieimporte) wird zu stark in Dollar gehandelt (Öl, Gas). Die internationalen Kontakte nach Südamerika, Afrika und Asien sollten stärker für den Euro genutzt werden. Finanzinfrastrukturen sind in einem starken Wandel. Zahlungen werden auf immer neuen Wegen abgewickelt. Der Euro sollte das als Chance nutzen. Eine Kapitalmarktunion mit stärker integrierten Märkten könnte weiter helfen. Ein Sieg der neuen digitalen Währung "Libra" könnte die Gesamtsituation verändern, weil sie sich auf ein eignes Bewertungsmodell gründet. Auch china versucht, über den Aufbau eines digitalen Renminbi die Weltleitwährung "Dollar" angreifen zu können. 2020 deutet die starke Abwertung des US-Dollars in der Corona-Krise auf den Start einer nächsten Etappe des Abwertungswettlaufs hin.

 

Soziale Gerechtigkeit und Arbeit (Begriff und Problem, philosophische Grundlagen, Messung, Ungleichheit in der Welt, Ursachen, Eigentumsordnung, Folgen, Armut, Politischer Grundwert, Prognose, Abstieg der Mittelschicht; Themen; vgl. auch die  Seiten "Economics/ special"/ Arbeitsökonomik, "Methode/Econometrics" und "Ostasien/global")

Die Wieskirche in Oberbayern bei Steingaden. Sie gilt als Bayerns schönster Rokoko-Bau und ist seit 1983 Weltkulturerbe. Die katholische Kirche und  die evangelische Kirche sehen soziale Gerechtigkeit als einen ihrer wichtigsten Werte an (verbunden mit Barmherzigkeit). Gerechtigkeit ist der Kern religiöser Existenz.  Schon der Prophet Amos in der Bibel sieht durch wirtschaftliche Blüte die Gefahr wachsender Ungleichheit und fordert Gerechtigkeit ein (Recht wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein Bach). Ebenso stellen alle politischen Parteien die soziale Gerechtigkeit als ein Ziel heraus. So anerkannt Gerechtigkeit als Wertvorstellung ist, so umstritten ist die konkrete Definition und die praktische Umsetzung in der ökonomischen Realität. Durch das Vordringen von Marktgesellschaft und Marktgläubigkeit ist die Soziale Gerechtigkeit in den Hintergrund getreten. In China dürfte sich die Existenz der KPCh und damit des Systems  an der Gerechtigkeitsfrage entscheiden. Es gibt eine Reihe von Vorzeigeprojekte, die die Armut bekämpfen.

"Ich für meinen Teil glaube, dass es eine soziale und psychologische Rechtfertigung für eine signifikante Ungleichverteilung von Einkommen und Wohlstand gibt - allerdings nicht für derart große Missverhältnisse, wie sie heute existieren", John Maynard Keynes.

Begriff und Problem: Ursprünglich bedeutete Gerechtigkeit nur die Durchsetzung geltenden Rechts und die Rechtsgleichheit aller vor dem Gesetz. Man unterscheidet heute bei der Gerechtigkeit Leistungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit (im Rahmen eines Gesellschaftsvertrags eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens) und Ergebnisgerechtigkeit (im Sinne von soziale Gleichheit). Daneben werden oft noch Familiengerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit genannt. Es ist ein Dauerthema der politischen Diskussion (vgl. unten), wenn effiziente Marktergebnisse als ungerecht empfunden werden. Nach Umfragen ist die gefühlte Ungerechtigkeit seit den 80er Jahren stetig gewachsen, seit 2008 sprunghaft. Viele glauben, dass Leistung nicht mehr gerecht gemessen wird. Auch Bildung kann Aufstieg nicht mehr garantieren. Es gibt nicht mehr genug Arbeit für alle, die arbeiten wollen. Viele Menschen kommen aus der prekären Beschäftigung nicht mehr heraus (vgl. M. Breitscheidel: Arm durch Arbeit, Berlin 2010). Das ist besonders kritisch in modernen Gesellschaften, in denen sich normalerweise der Mensch über die Arbeit definiert. Damit hängt auch das Glück von der Arbeit ab (vgl. Arbeit. Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht, Bauer, Joachim, München (Blessing) 2013. An die Arbeit gebunden sind auch Gesundheit und Rente. Fast ein Fünftel aller Jugendlichen findet keine richtige Arbeit (20% der Fünfzehnjährigen können nur auf Grundschulniveau rechnen, lesen und schreiben, Vgl. Die Zeit Nr.40, 26. Sep. 2013, S. 25f.). Die Generationengerechtigkeit ist in Deutschland und vielen anderen Ländern darüber hinaus durch die dramatische demographische Entwicklung gefährdet. Die Menschen leben sehr lange, es gibt zu wenige Kinder, die die vielen Älteren finanzieren können (Sozialversicherung). In der Demokratie und Marktwirtschaft sehen viele Experten den Kern in der Chancengerechtigkeit. Diese kann durch wachsende Ungleichheit, die durch die Wirtschaftskrisen beschleunigt wurde, stark gefährdet sein. Die Verhaltensökonomie liefert ständig neue Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass den Menschen Gerechtigkeitsfragen mindestens genauso wichtig sind wie ihr eigener Vorteil. Meiner Meinung nach können wichtige und grundlegende ökonomische Fragen nicht ohne Rekurs auf Fragen der Gerechtigkeit entschieden werden. Reine und unkritische Marktgläubigkeit in der Ökonomie führen auch zu Politikverdrossenheit, Desinteresse, Egoismus und Frustration. "Je mehr einer für andere tut, desto mehr besitzt er. Je mehr er anderen gibt, desto mehr hat er", Laotse.

Philosophische Grundlagen: John Rawls (Theory of Justice, 1921 bis 2002): Nicht alle sind gleich, also sollen auch nicht alle gleich behandelt werden. Im Zweifel sollen die Schwächsten bevorzugt werden. "Jeder Mensch besitzt eine aus der Gerechtigkeit entspringende Unverletzlichkeit, die aus dem Namen des Wohls der ganzen Gesellschaft nicht aufgehoben werden kann. Daher lässt es die Gerechtigkeit nicht zu, dass der Verlust der Freiheit bei einigen durch ein größeres Wohl für andere wettgemacht wird", John Rawls. Alle großen Ökonomen haben sich mit der Frage der ökonomischen Gerechtigkeit beschäftigt. Schon der Begründer der Ökonomie Adam Smith ging darauf ein. Er definierte eine Art Minimum - Gerechtigkeit (vom Ertrag der Arbeit leben können, Fairness). Gustav von Schmoller (1838-1917) wies auf das selbständige Denken und Handeln der Menschen ("Selbsthilfe") hin. Ludwig Ehrhard, der Begründer der Sozialen Marktwirtschaft (1897-1977), wollte den Kampf um Distribution vermeiden (also Umverteilung), damit das Wachstum des BIP im Mittelpunkt steht. Friedrich August von Hayek will keine Verteilungsgerechtigkeit, sondern Regelgerechtigkeit (Ders., Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, 1976). Milton Friedman propagierte "The business of business is business" (die Wirtschaft soll nicht über gerecht oder ungerecht diskutieren). Als einer der ersten großen Denker machte Aristoteles (384-322 v. Chr.) die Gerechtigkeit zum Thema. Er glaubt nicht, dass Gerechtigkeit neutral sein kann. Sie ist einmal teleologisch (man muss Zweck und Ziel der Natur kennen) und hat zum anderen mit Ehre zu tun. Die Menschen sollen das bekommen, was sie verdienen. Charakterbildung ist aber nur im Austausch von Argumenten möglich. Die Soziale Gerechtigkeit steht im Zentrum des Marxismus (Karl Marx, 1818-1883; Hauptwerk "Das Kapital", 1867-1894, 3 Bände): Die Produktionsmittel sind im Eigentum einer Minderheit. Diese beutet die Arbeit der Mehrheit aus. Die Arbeiter werden gebildeter  und schütteln die Unterdrückung ab (kommunistische Revolution). Auch viele Schriftsteller und Dichter haben sich des Themas angenommen (z. B. Georg Büchner, Berthold Brecht). "Lieber die Hütte, wo man fröhlich ist, als der Palast, wo man weint", aus China. "Unsere Wohlstandskultur vermindert offenbar unser Gespür für unsere gegenseitige Verantwortlichkeit", Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln. Drum machte er lieber Investments als den Bedürftigen zu helfen. Vgl. Die Zeit, Nr. 8, 13. Februar 2014, S.17ff.

Vergleiche zum Thema Philosophie der Gerechtigkeit aktuell die Analyse von Michael J. Sandel: Gerechtigkeit. Wie wir das Richtige tun, Berlin 2013 (Originalausgabe mit dem Titel "Justice", New York 2009). Er beschreibt auch die vier grundlegenden Theorien der Verteilungsgerechtigkeit: 1. Feudal- und Kastensystem. 2. Libertarianisch: freier Markt mit formaler Chancengleichheit. 3. Meritokratie: freier Markt mit fairer Chancengleichheit. 4. Egalitär: Rawls´Unterschiedsprinzip. Sandel prägt mit seinem Harvard-Kurs-Hit "Gerechtigkeit" auch die Moralvorstellungen der ökonomischen Elite von morgen. Weil die Nachfrage so gewaltig war, wurde die Vorlesung ins Internet gestellt ( www.justiceharvard.org ). Er sieht insgesamt drei philosophische Traditionen bei dem Gerechtigkeitskonzept: Utilitarismus (J. S. Mill; Maximierung von Glück und Wohlstand), Immanuel Kant (Gerechtigkeit als Respekt vor individueller Freiheit und persönlicher Würde), Aristoteles (Gerechtigkeit als Ziel eines gelingenden Lebens und Zusammenlebens, Kultivierung der Tugenden). Aus seiner Sicht spricht viele für den Gerechtigkeitsbegriff von Aristoteles. Vgl. Das Marktdenken hat uns im Griff, Interview mit Michael Sandel in der Wirtschaftswoche, Nr. 45, 4.11.2013, S. 26f. "Nichts verhindert den rechten Genuss so wie der Überfluss", Michael de Montaigne.

Messung und Ergebnisse (Transparenz): International vergleicht man empirisch (Statistik) normalerweise beim Einkommen den Gini-Koeffizienten (Vgl. auch Methoden, Alternativen: Herfindahl, relative und absolute Konzentration, Anteile am Medianeinkommen, Mittelwerte, Lorenzkurve, Pro-Kopf-Einkommen u. a.). Der Wert eins bei Gini definiert totale Ungleichheit (einer hat alles und alle anderen nichts). Bei null besteht völlige Gleichheit. Graphisch kann dies an der Lorenz-Kurve dargestellt werden. Der Gini-Koeffizient ist nach einem italienischen Statistiker benannt und berechnet mathematisch die Fläche zwischen Diagonale und den Seiten in einem Rechteck. Über die mathematischen Methoden und deren Vor- und Nachteile herrscht Klarheit. Das Problem sind die zugrunde liegenden amtlichen Statistiken. Sie sind verzerrt, mit Lücken behaftet und veraltet. Auch die Zuordnung statistischer Daten zu der Formel ist umstritten. Die statistische Grundlage der sozialen Gerechtigkeit ist also sehr unbefriedigend. Deutschland liegt beim Einkommen bei 0,3 (gleicher als USA, Japan, China, Großbritannien). Die USA liegen bei 0,38, Japan bei 0,33. Dänemark hat einen Wert von 0,25 (OECD). Man kann den Gini-Koeffzienten vor und nach der staatlichen Umverteilung berechnen (vgl. zu mehr das Gebiet "Arbeitsökonomik"). Betrachtet man Verteilungsmaße im zeitlichen Ablauf sollten immer auch sozialstrukturelle Veränderungen berücksichtigt werden. Für die Bekämpfung relativer Ungerechtigkeit (bei Löhnen) sind in den europäischen Staaten eigentlich die Gewerkschaften zuständig. National werden Einkommens- und Vermögensverteilung betrachtet.  "Wer sich darauf versteht, das Leben zu genießen, muss keine Reichtümer anhäufen", aus China.

Historische Entwicklung: Diese wird sehr plastisch und umfassend in dem Werk von Oded Galor "The Journey of Humanity. Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende. Über die Entstehung von Wohlstand und Ungleichheit" dargelegt. Die Masse der Menschheit lebte bis Ende des 18 Jahrhunderts in Armut. Weil alle arm waren, war auch das Pro-Kopf-Einkommen in den verschiedenen Weltregionen relativ gleich.

Beim Vermögen 2008 hatte in Deutschland das reichste Zehntel der Bevölkerung 52,9% des Nettovermögens. 1,2% des Vermögens sind im Besitz der ärmeren Hälfte der Haushalte (Quelle: EVS 2008; 4. Armuts- und Reichtumsbericht; Der Spiegel 7/2013, S. 40). 2010 gegenüber 2000 hatte das unterste Zehntel  der Haushalte bezogen auf das verfügbare Einkommen einen Rückgang von -10,3% zu verzeichnen. Das oberste Zehntel einen Zuwachs im gleichen Zeitraum von 15,5% (Quelle: SOEP, DIW Berlin). Es gibt große statistische Defizite. Das Statistische Bundesamt kann über Vermögen über 2 Millionen Euro kaum Angaben machen. Völlig unzureichend sind die Informationen über die Verteilung des Produktivvermögens. Immer wieder umstritten ist auch die Armutsgrenze (klar ist, dass sie relativ ist). Hier sind die Statistiken bei Auswertung immer schon einige Jahre alt (5 Jahre). Der Gini-Koeffizient wird auch in Deutschland beim Netto-Vermögen errechnet. 2008 war der Wert 0,75. Das reine Geldvermögen ist 2012 in Deutschland so hoch wie nie zuvor. Es liegt auf der Rekordhöhe von 4939 Mrd. Euro.  Allerdings liegt auch die Verschuldung der privaten Haushalte relativ hoch (1566 Mrd. €). Das Nettovermögen pro Haushalt ist in Deutschland im europäischen Vergleich eher niedrig (51.400€, Angaben der EZB). In Frankreich, Italien und Spanien ist es viel höher. Es ist ein interessantes Phänomen, dass die deutsche Volkswirtschaft insgesamt sehr viel mehr produziert als sie verbraucht (Exportüberschuss!), davon aber im Vergleich wenig beim Bürger zur Vermögensbildung bleibt. Das liegt daran, dass die gesamtwirtschaftliche Ersparnis schlecht angelegt wird und dass die Sparleistung (Vermögensbildung) sehr ungleich verteilt ist (vgl. Gros, D./ Mayer, T.: Ein Vermögensbildungsfonds für Deutschland, in: FAZ, Nr. 22, 22.11.13, S. 12). Auch die Wohnungseigentümerquote ist in Deutschland lediglich bei 45,7%. Der europäische Schnitt liegt bei 70 Prozent.  "Genug zu haben ist Glück, mehr als genug zu haben ist unheilvoll. Das gilt vor allen Dingen, aber besonders vom Geld", Laotse. Der reichste Deutsche war Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht, der 2014 starb (März 2014 Vermögen auf 18 Mrd. Euro geschätzt).

Global (transnational): Ungerechte Arbeitsbedingungen im Ausland werden auch oft angeprangert (Lohnsklaverei, Interdependenzen zu uns! Konsumethik). Die Ungleichheit in den meisten Ländern der Welt nimmt zu. Immer weniger Menschen haben immer mehr Reichtum (Luxus). Die Mittelschicht wird ausgedünnt und die Zahl der Armen nimmt drastisch zu. Ursachen (vgl. auch weiter unten genauer) sind Konstruktionsfehler der Marktwirtschaft, falsche Politik, technischer Fortschritt (stärkere Lohnunterschiede) sowie die Globalisierung. Insbesondere die Fortschritte in der Informationstechnologie führen zu immer größeren Ungleichheiten in den Industriegesellschaften (sie ersetzen das Gehirn und machen die Arbeit von vielen Menschen überflüssig). Produktivitätsgewinne verteilen sich immer mehr zu Gunsten der oberen Klassen (in US-Unternehmen ist dieser Effekt am stärksten, weil sie mehr aus der IT-Technologie herausholen). Vgl. Robert Shiller, Irrational Exuberance, Princeton 2000 (Nobelpreisträger 2013). In der Entwicklung der Ungleichheit liegen große Risiken. Vgl. Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht, München 2012. "Im Jahr 2007, dem Jahr vor der Krise, verfügten die obersten 0,1 Prozent der amerikanischen Haushalte über ein 220 Mal höheres Einkommen als der Durchschnitt der unteren 90 Prozent", Ebenda S. 30. In den USA formiert sich 2014 eine neue Bürger-Bewegung, die gegen die soziale Spaltung und für einen Mindestlohn von 15 Dollar kämpft.  Stiglitz erläutert eindringlich die Funktionsweise von "Rent-Seeking". Er führt weiterhin aus, wie Ungleichheit die Chancengerechtigkeit einschränkt und Politik und Justiz korrumpiert. Mehr Ungleichheit ist ein langfristiger globaler Trend, unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Systemen bzw. Konjunkturzyklen. Dadurch könnte das Wachstum und die soziale Stabilität bedroht sein. In keiner großen Volkswirtschaft ist der Unterschied zwischen Arm und Reich  so groß wie im kommunistischen China. Es gibt dort 315 Milliardäre und 2,8 Mio. Millionäre (das Vermögen der fünf Reichsten hat sich innerhalb eines Jahres um 80% vermehrt). Die Verbindungen zwischen den Superreichen und der Politik ist sehr eng (Quelle: Hurun-Report 2013). Obwohl China sich als sozialistische Marktwirtschaft definiert, ist es extrem elitär und ungleich in den Lebenschancen (Gini 2012= 0,42). Große Ungleichheit tritt in allen Schwellenländern zutage. In den USA als führendem Industrieland erzielen 10% der Menschen 2007 49,7% des Gesamteinkommens (2012 bezogen die obersten 10 Prozent sogar 50,4% aller Einkommen), also nahezu die Hälfte (ebenso geringe soziale Mobilität, teure Ausbildungssystem als Ursache?). Die Wirtschaftskrise von 2009 bis 2012 hat bei den Spitzenverdienern keine Negativfolgen hinterlassen (Emmanuel Saez, Uni Berkeley). In Japan wird die soziale Differenzierung von der materiellen Situation dominiert (Gisela Trommsdorf, Soziale Ungleichheit in Japan..., in: KZfSS 39/1987, S, 496-515).  39% des weltweiten Vermögens soll sich in den Händen von lediglich 0,9% der Weltbevölkerung befinden (Quelle: Boston Consulting Group: Shaping a New Tomorrow, How to Capitalize on the Momentum of Change, Global Wealth Report 2011, S. 7). Mittlerweile gehört nach Ansicht des Weltwirtschaftsforums (WEF) die Kluft zwischen Arm und Reich zu den größten Risiken der Weltwirtschaft (neben Ungleichgewichten in den Staatshaushalten). Es folgen der Ausfall des internationalen Finanzsystems und die Trinkwasserknappheit. Vergleiche auch A. V. Banerjee/ E. Duflo: Poor Economics, Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut, München 2012. Sie zeigen auf, warum die Armen so anders leben und wirtschaften. Sie eröffnen eine eigne Perspektive für wirtschaftliches Denken (Homepage: http://pooreconomics.com ). Die Zahl der bekannten und unbekannten Milliardäre ist in der Welt drastisch angestiegen. Es ist eine neue globale Klasse mit gigantischem Vermögen entstanden (vor allem in Schwellenländern wie China, Indien u. a.). Die globalen Eliten entziehen sich der Kontrolle einzelner Staaten und bedrohen als Plutokratie viele Demokratien (z. B. in Griechenland). Vgl. Chrystia Freeland: Die Superreichen. Aufstieg und Fall einer neuen globalen Geldelite, Frankfurt/Main (Westend) 2013. Der Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen (aus Indien stammend, lehrt in den USA) zeigt Wege auf, wie soziale Gerechtigkeit international hergestellt werden kann (Ders., Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, München 1999). Man könnte von einem Befähigungsansatz sprechen. Die Freiheit des einzelnen soll soziale Verpflichtung für soziale Gerechtigkeit sein. Natürlich kann man die Diskussion um globale soziale Ungerechtigkeit auch umfassender anlegen (25% der Erdbevölkerung lebt in Industrieländern, die über 50% des Wohlstands und über 75% des Welthandels verfügen; Terms of Trade als Nullsummenspiel!; Ausbeutung der globalen Ressourcen durch die Industrieländer).  Der erste Milliardär war John D. Rockefeller (1916-1937). Als er starb, betrug sein Vermögen 1,4 Mrd. US-Dollar. Dies entsprach 1,53% des BIP der USA. Wahrscheinlich war er damals der reichste Mann der USA und der Welt. Heute ist der Mexikaner Carlos Slim (laut Forbes) der reichste Mann der Welt. Sein Anteil am mexikanischen BIP dürfte ähnlich hoch sein (genauso ungewöhnlich ist es, dass Mexiko-Stadt einen Anteil von ca. 50% hat am mexikanischen BIP).

Ursachen (vgl. auch in Global): Wodurch entsteht nun die große Ungleichheit in der heutigen Welt? Warum sind einige Länder arm und andere reich? Wie soll man Ungleichheit entgegentreten? Institutionen haben eine große Bedeutung, die im Sinne der Bürger funktionieren. Sie sorgen dafür, dass sich Nationen  mit gleichen Voraussetzungen wirtschaftlich und politisch unterschiedlich entwickeln. Eliten können mittels repressiver Institutionen die Regeln zu ihren Gunsten manipulieren. "Extraktive Institutionen kommen in der Geschichte so häufig vor, weil ihnen eine machtvolle Logik innewohnt: Sie können einen begrenzten Wohlstand hervorbringen und ihn einer kleinen Elite zuführen", Acemoglu/ Robinson, S. 193.  Vgl. Daron Acemoglu/ James A. Robinson: Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut, Frankfurt a. M. (S. Fischer; amerikanische Originalausgabe mit folgendem Titel: Why Nations Fail. The Origins of Power, Prosperity, and Poverty, (Crown) New York 2012). "Das vorliegende Buch erläutert, wie inklusive und extraktive Institutionen funktionieren, welche Auswirkungen sie auf die wirtschaftlichen Ergebnisse haben und wie sie sich im Lauf der Zeit entwickeln, in ihrem Zustand verharren oder sich ändern", Acemoglu/ Robinson, ebenda, S. 15f. In einer Marktwirtschaft - wie in Deutschland - werden Einkommen und Erträge aus der Arbeit und dem Handel nur nach Leistung verteilt. Wer viel arbeitet und im Besitz eines knappen Gutes ist und das anbietet, was viele wollen, bekommt viel. Wer nichts anzubieten hat, bekommt auch nichts. Dies ist die Logik des Wettbewerbs. Nur wer aufgrund eines Handicaps am Markt nicht bestehen kann, bekommt Transferzahlungen (Umverteilung in der Sozialen Marktwirtschaft). Den größten Einfluss auf die Ungleichverteilung hat die Institution "Eigentumsordnung". Man unterscheidet drei Vermögensarten: Grund und Boden, mit den dazugehörigen Immobilien; Produktivvermögen (Eigentum an Unternehmen mit Aktien) und Geldvermögen. Die Ungleichverteilung dieser Vermögensarten, die legal ist, hat in jeder Gesellschaft die immanente Tendenz zu immer stärkerer Ungleichverteilung.  Dies kann bis zu exponentiellen Entwicklungen gehen, wobei die illegalen Trends des Steuerbetrugs und der Steueroasen noch nicht mitgerechnet sind. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die auch die Eigentumsordnung prägen, haben durch Senkung der Transferzahlungen, Privatisierung und Deregulierung die Ungleichheit verstärkt. Eine wichtige Determinante der Ungleichheit ist die Kultur und ihre historische Entwicklung. Der Konfuzianismus (wird auch heute noch in China und Japan als Rechtfertigung für Ungleichheit instrumentalisiert)  und Hinduismus in Asien, der Katholizismus in Europa haben Ungleichheiten gefördert und legitimiert. Einen großen Einfluss auf die Ungleichheit hat auch das kulturelle Element "geändertes Heiratsverhalten" von Akademikern: Diese heiraten immer später und auch Akademiker.  Diese Entwicklung hat einen Nebeneffekt für die Gesellschaft: Der soziale Aufstieg durch Heirat wird immer schwieriger - und das verringert die Aufstiegschancen generell. Sogar die steigende Einkommensungleichheit in westlichen Gesellschaften lässt sich zum Teil mit den veränderten Heiratsverhalten erklären. "The more you get, the more you want", Proverb, über 650 Jahre alt. Ebenso: "Much would have more"; Wer viel hat, will noch mehr.

Folgen:  Für Wachstum: Alle Gesellschaften sind ungleich verteilt. Wer kein akkumuliertes Kapital besitzt, ist unzufrieden. Es entsteht Druck auf die Politik, eine Umverteilung einzuleiten. Die Umverteilung wird durch höhere Steuern auf akkumuliertes Kapital finanziert. Höhere Steuern können das Wirtschaftswachstum verlangsamen (Quelle: Alberto Alesina, Dani Rodrik, Distributive Politics and Economic Growth, 1994; vgl. Das Wirtschaftsbuch, München 2013, S. 326, 327). "Je ungleicher der Wohlstand verteilt ist, desto höher sind die Steuern und desto niedriger ist das Wachstum", Alesina/ Rodrik, ebenda. Die Ungleichheit nimmt in Zeiten der Finanzkrise und des Abwertungswettlauf von Währungen zu (Entwicklung). Die Ärmeren sparen überwiegend in Geldvermögen (niedrig verzinsliche Bankeinlagen), das besonders durch Entwertung und Inflation geschädigt wird (Berechnungen der Allianz 2013: 5,8 Mrd. € Verlust durch Niedrigzinspolitik). Reichere profitieren mit ihren Kapital- und Immobilienvermögen. Der britische Sozialforscher Roger Wilkinson behauptet: Je ungleicher eine Gesellschaft, desto größer ihre sozialen Probleme. Insofern ist der wachsende Abstand zwischen Arm und Reich schlecht für alle (Derselbe zusammen mit Kate Picket: Gleichheit ist Glück, 2010). Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Selbstüberschätzung: Diese Korrelation scheint stark kulturabhängig zu sein. In Ländern mit einer hohen Neigung zur Selbstüberschätzung ist auch die Einkommensungerechtigkeit in der Bevölkerung sehr stark ausgeprägt. Deutschland hat im internationalen Vergleich bei beiden geringere Werte (anders als in Südafrika, Peru oder Venezuela). Vgl. Robert Trivers: Betrug und Selbstbetrug, Berlin 2013. "What you see is what you get" für Deutschland, Trivers (Der Spiegel, 22/ 2013, S. 139).

Entscheidend bei der Analyse der Armut ist die Definition und Operationalisierung, die für Deutschland und international erheblich abweichen dürfte. In Deutschland sind zwei Gruppen besonders betroffen: ältere Menschen (Altersarmut, vor allem Frauen) und Kinder. Wegen der starken Zunahme der geringfügigen Beschäftigung wird auch die Altersarmut zunehmen. Für die Bekämpfung echter Armut ist der Staat zuständig (geltende Gesetze durchsetzen, neue Gesetze machen). In diesem Zusammenhang wird über eine Sockelrente (Mindestrente) bzw. eine Rente nach dem Grundeinkommen diskutiert. Es stellt sich die Frage, ob unser Sozialstaat noch effektiv die Armut verringern kann. Sehr kompliziert sind die Statistiken über Armut. Es muss unterschieden werden zwischen Armut und Ungleichheit (in ärmeren Ländern ist die Armutsgrenze kleiner als in reichen). Die Frage ist auch, wo die "Armutsgefährdeten" einzuordnen sind (weniger als einen bestimmten Prozentsatz zum mittleren Einkommen). Zu eindimensional ist auch die Fixierung der Armut am Einkommen und die Vernachlässigung des Vermögens. Die meisten Armutsanalysen lassen das individuelle Vermögen außen vor (dadurch wird das Problem überzeichnet). Zum Vermögen  gehört ebenso das Humankapital. Die Berechnung des Einkommens ist teilweise sehr umstritten (mit Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung?, Einkommen aus Schattenwirtschaft und Haushaltsproduktion?, Bedarf eines Single-Haushalts). Über das Leben armer Menschen ist relativ wenig bekannt. Es gibt wenig Sozialreportagen in der Presse und den Medien. Eine rühmliche Ausnahme stellt folgendes Buch dar: Stefan Selke, Schamland. Die Armut mitten unter uns, Berlin (Econ) 2013. Im Jahre 2013 werden in Deutschland ca. 1,5 Mio. Menschen durch 917 Tafeln unterstützt (1993 eine Mio. Menschen). Viele Anbieter müssen sich von ihrer Gratisstrategie verabschieden. 2010 war das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung. Der Rot-Kreuz-Bericht (IFRC) 2013 zeigt auf, dass 43 Mio. Europäer (in 22 Staaten einschließlich Türkei) ihr Essen nicht bezahlen können. 120 Mio. Europäer sind armutsgefährdet. Besonders in Italien hat sich die Lage in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Auch Frankreich hat viele Probleme. Symptomatisch ist die Situation in Europas Kulturhauptstadt 2013 Marseille. 40 Prozent Arbeitslose und viele Drogenabhängige in den armen Stadtteilen im Norden. Hinzu kommt, dass rund 880.000 Menschen in der EU als Sklavenarbeiter (einschließlich Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung) gelten (Quelle: CRIM - Komitee des Europäischen Parlaments 2013). Folglich dreht sich die Diskussion um soziale Gerechtigkeit in Deutschland und Europa immer mehr um die "Ränder" der Gesellschaft. Dabei handelt es sich insbesondere um die Problemgruppen ältere Menschen (vor allem Frauen), Kinder, Jugendliche, prekär Beschäftigte, Asylbewerber und illegal Eingewanderte. "Denke nicht so oft an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast", Marc Aurel (römischer Kaiser und Feldherr, auch Philosoph).

Der Ruf nach "Sozialer Gerechtigkeit" bestimmte den Wahlkampf 2013 in Deutschland wie viele andere Wahlkämpfe auch (Grundwert der Politik und von Parteien). Es geht um die Armut der Unterschicht, den Luxus der Reichen und um die umworbene Mittelschicht, die aber eigentlich ziemlich ignoriert wird. Konkret zeigt sich die Verteilungspolitik in der Einkommenssteuer (auch Ehegatten-Splitting, "kalte Progression", Spitzensteuersatz, Reichensteuer?), der Familienpolitik, der Unternehmensbesteuerung, der Besteuerung von Vermögen, Geringverdienern und Erben. Ein Großteil der Nichtwähler dürften mittlerweile die Menschen ausmachen, die durch Arbeit keine Chance mehr in der Gesellschaft sehen. Der 20. Februar ist der Tag der Sozialen Gerechtigkeit (seit 2009). "Hypererfolgreiches Re-Branding. Da der Neid seit jeher eine biblische Todsünde war und also mindestens als anrüchig galt, nannte man das Habenwollen ohne Leistenmüssen irgendwann soziale Gerechtigkeit. Durch den direkten Bezug des neuen Begriffs auf die anerkannte Tugend der Gerechtigkeit gilt seither praktisch jede gesetzgeberisch gedeckte Form der wirtschaftspolitischen Hehlerei im Namen der finanziellen Redistribution als moralisch wertvoll", Carlos A. Gebauer in Wirtschaftswoche Nr. 41/2013, S. 12. Gutes Beispiel, wenn man Zynismus erklären will!

Eine Prognose der Ungleichheit ist äußerst schwierig. Die Eurokrise ist aber längst nicht vorbei und wird weitere Einschnitte bringen. Die finanzielle Repression (niedriger Leitzins) dient ja als Instrument zur Bewältigung der Krisenfolgen. Da die Neuordnung der Finanzmärkte nicht spürbar vorankommt, ist die nächste Weltfinanzkrise und Weltwirtschaftskrise wahrscheinlich. Diese sind immer mit Spekulationsblasen verbunden, die im Zuge von Akkumulationsprozessen die Ungleichverteilung und ökonomische Machtkonzentration erhöhen. Opfer dieser Krisen sind aber immer die Ärmeren einer Gesellschaft (siehe oben). Dies zeigt sich auch deutlich in den Südländern der Europäischen Union (die Reichen bringen ihr Vermögen ins Ausland, die Armen zahlen die Zeche). Die Grundaxiome der Mainstream-Ökonomie dürften auf absehbare Zeit erhalten bleiben (wichtig für bedingte Prognose) : Unbegrenztes Vermögen ist gut und richtig. Zinseszins ist sinnvoll und nützlich. Wachstum (und die zugrunde liegenden Motive wie z. B. Gier) ist notwendig. Vergleiche Christian Kreiß, Profitwahn. Warum sich eine menschengerechte Wirtschaft lohnt, Marburg/Tectum 2013, S. 191ff. und S. 112. Die atypischen Beschäftigungsformen dürften sich weltweit weiter ausbreiten (in Deutschland sinkt sie allerdings, StBA). So wird es immer mehr Menschen geben, die von ihrer Arbeit nicht leben können und auch mit ihrer Rente nicht versorgt sind. Unklar ist auch, inwieweit die Staaten die finanzielle Repression verstärken werden. Hier sind noch viele Instrumente im Köcher: Negativzins, Vermögensabgabe, Zwangsanleihe, neue Steuern (z. B. Transaktionssteuer auf Aktien), Steuererhöhung (z. B. Grund- und Grunderwerbsteuer), Verbote (Goldbesitz nur bis zu einer Höchstgrenze). Die Digitalisierung scheint die soziale Ungleichheit zu verschärfen. Einfachere Arbeiten werden ganz durch Roboter abgelöst (das könnte dramatische Auswirkungen in Schwellenländern haben). Die Anforderungen an digitale Qualifikationen steigen. Für den Zusammenhang zwischen Nettoeinkommen und Vermögen gibt es immer stärkere Belege. Es gilt die Hypothese:  Je höher das Einkommen, desto höher das Vermögen. Vgl. Grabko, M./ Halbmeier: Datenreport 2021, Kapitel 6.4.   "Gott schließt nie eine Tür, ohne eine andere zu öffnen", aus Irland.

Aus dem Themenbereich "soziale Gerechtigkeit" können Themen für Seminararbeiten  übernommen werden: Zum Beispiel globale Geldelite/ Plutokratie, Poor Economics, globale Lohnsklaverei, Zwangs- und Kinderarbeit, Compliance, atypische Beschäftigung, Jugendarbeitslosigkeit, Steuern (Einkommensteuer, Reichensteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer), Familienpolitik, Chancengerechtigkeit (Bildung, Arbeiterkinder), gerechte Löhne (Mindestlohn, Grundeinkommen, Managergehälter, Rente, Gesundheit), Einkommens- und Vermögensverteilung (einschließlich Messung; zeitliche Entwicklung; international), Erklärung der Ungleichheit (Politik, Globalisierung, Informationstechnologie, technischer Fortschritt), Bedeutung der Ungleichheit (Instabilität der Gesellschaft, Disparitäten), sozialökonomische Erkenntnisse zur Bedeutung der Gerechtigkeit für Menschen, Wohlstandsgefälle (Armut) und Migration (Afrika, Lampedusa, EU)  usw.  Eigene Themenformulierung bzw. Konkretisierung ist nach Absprache und Abstimmung möglich. Hierbei kann der Bezug zum jeweiligen Studiengangschwerpunkt vertieft werden (Personalmanagement, Marketing, China/ Japan/ Asien, Europäische Union/ Euro). "Wenn du erkennst, dass es dir an nichts fehlt, gehört dir die ganze Welt", Laotse.

2014 erscheint ein Buch des französischen Ökonomen Thomas Piketty über die Ungleichheit im Kapitalismus (Capital in the Twenty-First Century, Harvard University Press, Englisch; 2014 auch in Deutsch, 2013 in Französisch: Le capital au XXI siecle, Paris). Seine Grundthese lautet: Der Kapitalismus schädigt die Demokratie. Leistung lohnt sich doch nicht. Es gibt eine wachsende Konzentration des Vermögens auf der Welt. Kapitalistische Systeme neigen zu wachsender Ungleichheit und zur Bereicherung Weniger. Das Buch erzielt in den USA große Aufmerksamkeit, viel mehr als in Frankreich. Kapitalrendite ist größer als das Wachstum (r > g): Das ist die mathematische Zusammenfassung des Buches von Thomas Piketty (Das Kapital des 21. Jahrhunderts, 2013). Als Slogan: Wer erbt, verdient mehr, als derjenige, der arbeitet. Das bezeichnet Piketty als den "zentralen Widerspruch des Kapitalismus". Die Ungleichheit wächst im Kapitalismus ständig an. Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich immer weiter öffnen. Piketty beweist diese These mit großen Datenmengen im Computer. Ebenfalls neu ist von Walter Scheidel (Stanfort University): Nach dem Krieg sind alle gleich. Eine Geschichte der Ungleichheit, 2018 (Theis). Seine Grundthese ist, dass Kriege nivellieren. Die Frage sei: wie gelingt friedliche Gleichmacherei? Die These von Piketty wird immer wieder angegriffen und kritisiert. So will eine IWF-studie beweisen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Ungleichheit einerseits und der Differenz zwischen Kapitalrendite (r) und Wachstumsrate (g) andererseits gibt. Es handelt sich um eine statistische regression zwischen der Kennzahl für Ungleichheit und einer für r-g. Dafür scheinen aber nicht adäquate Daten benutzt worden zu sein. Vgl. Thomas Piketty: Der Sozialismus der Zukunft, München 2021, S. 36. 2022 kommt von Piketty mit einem Gesamtwerk über Gleichheit und Ungleichheit heraus. Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit, München (C. H. Beck) 2022. Er möchte eine neue Wirtschafts- und Sozialgeschichte aufstellen. Er beginnt mit der Dekonzentration von Macht und Eigentum seit dem 18. Jahrhundert. Nach Sklaverei und Kolonialismus behandelt er die große Umverteilung 1914 bis 1980. Er zeigt Auswege aus dem Neokolonialismus auf. Im letzten Kapitel setzt er sich für einen demokratischen, ökologischen sowie ethnisch und kulturell diversen Sozialismus ein. Die FAZ spricht sogar überschwänglich von Karl Marx des 21. Jahrhunderts, das Handelsblatt von Provokation für die ordnungspolitische Debatte. Das scheint mir beides doch zu hoch gegriffen: Das Neue hält sich sehr in Grenzen; es ist Piketty für Anfänger mit dem ganzen Sammelsurium seiner Thesen.

2019 formiert sich weltweit eine Bewegung, die die Macht des Kapitals begrenzen will. Sie streben an, die Ungleichheit in der Welt zu verringern. Diese treten auch sehr massiv beim World Economic Forum in Davos auf. Dazu gehören Guy Standing von der University of London, Rutger Bregman aus den Niederlanden (Historiker). Aber auch Marianna Mazzucato aus Italien (lehrt in London). In den USA fordert man einen "fair share". In GB will Labour-Chef Jeremy Corbyn Eisenbahn, Post und Trinkwasserversorgung verstaatlichen. Viele linke Politiker fordern, die Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende zu erhöhen. (in den USA haben 1 Prozent der reichsten Haushalte 38,6% des Vermögens). Eine Berliner Initiative will Wohnungen großer Konzerne "vergemeinschaften". Sogar in den USA werden die massiven Aktienrückkäufe der Konzerne kritisiert (1,1 Billionen 2018). Vgl. auch: Heuser, J.: Auf der Kippe, in: Die Zeit, Nr. 10, 28.02.2019, S. 19ff. Bei der Diskussion um Vermögensungerechtigkeiten wird häufig übersehen, dass die lange Niedrigzinsphase (mit Negativzinsen) eine Umverteilung zugunsten der Reichen eingeleitet hat. Reiche legen ihr Geld in Immobilien, Gold und Aktien an und sind so weniger betroffen. Vgl. als guten aktuellen Gesamtüberblick Rudzio, Kolja: Verschärft sich die Ungleichheit? in: Die Zeit, Nr. 43, 17.10.19, S. 24f.

2020 erscheint ein Buch von Branko Milanovic (Ausbildung in Belgrad/ Serbien, heute als US-Staatsbürger an der City Uni in N. Y., auch Weltbank, frühe rChefökonom). Der Titel de Buches lautet: Kapitalismus global, Berlin  (Suhrkamp, Originaltitel "Capitalism Alone"). Seine Grundthese ist: Die westlichen Mittelschichten stehen gleich von zwei Seiten unter Druck. Von der durch die Globalisierung geschürten Konkurrenz in Asien und von den Reichen im eigenen Land. Die Pandemie 2020 hat diese Trends verschärft. Die Mittelschicht der reicheren Länder hat den Kürzeren gezogen. Die Enttäuschung darüber habe zum Aufstieg "populistischer" Parteien und Führer im Westen geführt. Die "Gelbwesten in Frankreich und die Trump - Wähler in den USA hätten den gleichen Ursprung. Die sinkende soziale Mobilität zwischen den Generationen und die zunehmende soziale Polarisierung komme hinzu. Die Einkommenszuwächse verschieben sich vom Einkommen des Faktors Arbeit zu den Kapitalbesitzern. Milanovic sieht große Schwächen im liberalen Kapitalismus der USA und im politischen Kapitalismus Chinas. Seine zentrale Frage ist, ob der Kapitalismus trotz der sozialen Zerreißprobe überleben kann. Er macht auch konkrete Vorschläge, um den Kapitalismus zu retten: Erneuerung des kapitalistischen Bewusstseins, höhere Steuern auf Vermögen und Erbschaften, mehr öffentliche Investitionen, Verbot privater Wahlkampffinanzierung, Verhinderung wirtschaftlicher Konzentration, Wiederbelebung des moralischen Imperativs des "Ehrbaren Kaufmanns". 2023 erscheint das Buch "Visions of Ineqality: From the French Revolution to the End of the Cold War", Harvard University Press. Er geht vom vorläufigen Ende seiner Elefantenkurve aus. "die Einkommen der Armen sind 2008 bis 2028 prozentual stärker gestiegen als die aller anderen", siehe Ders.: Ungleichheit muss kein Problem sein, in: WiWo 44/ S. 38ff. (Der Volkswirt).

"Die Armen fühlen, dass die Wohltätigkeit eine lächerlich ungenügende Art der Rückerstattung ist oder eine gefühlvolle Spende, die gewöhnlich von einem unverschämten Versuch des Gefühlvollen begleitet ist, in ihr Privatleben einzugreifen. Warum sollten sie für die Brosamen dankbar sein, die vom Tische des reichen Mannes fallen? Sie sollten mit an der Tafel sitzen und fangen an, es zu wissen", Oscar Wilde.

"Ein Mann ist reich im Verhältnis zur Zahl der Dinge, auf die er verzichten kann", Henry David Thoreau.

 

Krise der Europäischen Union (EU) und die Zukunft der EU (Eurokrise, Flüchtlinge, Austritt/ Brexit, Schuldenkrise in Italien, Wirtschaftskrise Frankreich; Annäherung an Russland? Neuer kalter Krieg in Europa mit dem Ukraine-Krieg  Vgl. auch EU bei Außenwirtschaft):

Der Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main (von der Eisenbahnbrücke aus gesehen; provisorisch war die EZB einige Jahre in der Kaiserstraße untergebracht). Bei der Entscheidung der EU für die Zentralbank in Frankfurt hat sicher eine große Rolle gespielt, dass Großbritannien mit London an der Landeswährung "Pfund" festhielt. London ist der umsatzstärkste Devisenmarkt der Welt vor New York und Frankfurt. Ein Brexit könnte die Position von Frankfurt als Bankenstandort in der EU erheblich stärken. Die Baulandpreise in Frankfurt und Umgebung ziehen deutlich an. Die EZB - wie alle Notenbanken der Welt - beeinflusst stark mit ihrer Geldpolitik (Niedrigzinspolitik seit vielen Jahren) die Entwicklung in der EU und in einzelnen Ländern. Mit der Form der "kalten Enteignung" greift sie sogar in die Sozialpolitik ein.

Banken gehen nach wie vor Risiken ein, und wenn es schief geht, reichen sie die an den Staat weiter. Die einzige Art, damit umzugehen, ist, den Bankern zu sagen: Nein, Jungs, ihr seid die Risiken eingegangen, dann kümmert euch drum!", Jeroen Dijsselbloem, ehemaliger Vorsitzender der Euro-Gruppe in der EU 2013.

"Deutschland wird es nur gut gehen, wenn es auch den anderen Staaten in Europa gut geht", Wolfgang Schäuble (Quelle: bdvb aktuell 154, Oktober 2021, S. 11)

Aktuell: 2013 und Anfang 2014 steckt Europa fest. Das Thema wurde aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten. Die EU-Kommission wehrt sich gegen Machtverlust (der IWF hat z. B. beim Rettungsfonds mit das Kommando). Die Mitgliedsstaaten wollen den Nationalstaat wieder mehr herausstellen; der Rat der Staats- und Regierungschefs soll entscheiden. Gleichzeitig stört viele Mitgliedsländer die deutsche Dominanz (George Soros sieht uns als Hegemon; Marshall-Plan für Südeuropa). Dies drückt sich auch in der Kritik an den deutschen Außenhandelsüberschüssen aus. Die Euro- und Europaskeptiker scheinen stärker geworden zu sein. Auch beim Beitritt des 18. Mitglieds zur Währungsunion Lettland 2014 ist die Mehrheit der Bürger in diesem Land dagegen (die Hauptstadt Riga ist europäische Kulturhauptstadt 2014). 2014 beginnen die Beitrittsgespräche Serbiens mit der EU. Vor 2020 dürfte ein Beitritt nicht realistisch sein. Reichere Staaten befürchten ab 2014, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Rumänen und Bulgaren gilt, eine Armutszuwanderung ("Sozialtourismus"). Im Mai 2014 fand die Europawahl statt (100 Jahre nach dem Beginn des ersten Weltkrieges, 75 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg). Juncker wird EU-Kommissionspräsident (vom Parlament durchgesetzt gegen britischen Widerstand). Griechenland übernimmt ab 2014 den Vorsitz im Rat (die aktuellen Daten 2013 sind durchwachsen: Haushaltsdefizit 2,0%; Arbeitslosenquote im November 13 bei 28%/ Jugend 61,4%; Geburtenrate geht zurück; Auswanderung steigt stark an; immer wieder Diskussion um Schuldenschnitt; erstmals seit 1948 im Jahre 2013 Überschuss in der Leistungsbilanz). Die Griechen verhandeln 2014 auch wieder mit der Türkei, um eine Vereinigung von Zypern zu erreichen. Die Folgen der Schuldenkrise für die Bürger und das schwindende Vertrauen in die EU könnten rechten, populistischen Parteien Zulauf bescheren. 2014 wird nach Angaben der EU-Kommission Wachstum in folgenden Ländern erwartet: Deutschland (1,7%), Irland (1,7), Frankreich (0,9), Portugal (0,8), Italien (0,7), Griechenland (0,6), Spanien (0,5). 2014 wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm ( Karlsruher Richter sagen im März 14 ja) und den Ankäufen von Staatsanleihen durch die EZB erwartet (verspätet im Frühjahr oder Sommer). Fällt das Urteil negativ aus, könnten die Finanzmärkte in Aufregung versetzt werden. Bei den Anleihekäufen gibt das Verfassungsgericht erstmals die Entscheidung an den EuGH ab (angekündigter uneingeschränkter Kauf von Anleihen durch die EZB Eingriff in die Finanzautonomie der Länder vereinbar mit EU-Recht? entweder EuGH stoppt EZB oder Verfassungsgericht selbst). Von besonderer Bedeutung sind die Beschlüsse zum OMT-Programm (Outright-Monetary-Transactions-Programm, Bereitschaft der EZB zum unbegrenzten Ankauf von Staatsschulden). Auch eine Entscheidung zu Hartz-IV für EU-Ausländer liegt beim EuGH; mit einem Urteil wird 2015 gerechnet. Aktuell besonders wichtig für die Zukunft des Euro und der EU dürfte die weitere Entwicklung in Frankreich sein (zu hohe Arbeitskosten, zu hohe Staatsquote; Arbeitslosigkeit im Januar 2014 auf neuem Höchststand mit 3,31 Mio.; starke Zunahme der rechten Front National in den Kommunalwahlen Ende März 2014). Frankreich kommt auch 2014 wirtschaftlich nicht auf die Beine.  Die Proteste im Land mehren sich. Es könnte eine neue Finanzkrise drohen. Frankreich und Deutschland planen im Oktober 2014 Projekte für mehr öffentliche und private Investitionen, um das Wachstum anzukurbeln. Die EU-Kommission verzichtet auf ein sofortiges Veto gegen defizitären Haushaltsentwurf. Frankreich wird immer wieder in Konflikte in Afrika verwickelt. Anfang 2014 schickt die EU Soldaten nach Zentralafrika (Racheakte zwischen Christen und Muslimen). In Griechenland gibt es am 25. Januar 2015 Parlamentswahlen. Die oppositionelle Syriza-Partei holt einen Sieg bei der vorgezogenen Wahl: 35,4%, zwei Sitze zur absoluten Mehrheit fehlten. Sie denkt über ein Ende stattlicher Zinszahlungen an Gläubiger nach. Wenn die EU auf Vertragstreue pocht und die EZB keine Euros mehr liefert, könnte dies zu einem Austritt Griechenlands aus dem Euro führen. Die Bundesregierung hält das Ausscheiden verschuldeter Länder inzwischen für verkraftbar. Griechische Sparer plündern schon ihre Konten. Die Finanzmärkte in Griechenland brechen ein. Die neue Griechische Regierung verweigert die Umsetzung der Reformen und Sparmaßnahmen und kündigt die Zusammenarbeit mit der Troika auf. Auf der anderen Seite könnte ein Verbleiben mit Schuldenerlass zu einem Modell für andere "schwächelnde" Länder werden (Spanien, Italien Frankreich). Der Euro wäre dann eine Überlebensgarantie auf Kosten der Kreditgeber. Die Volksabstimmung in Großbritannien für den Brexit schafft eine neue Situation für die EU (vgl. Brexit auf der Seite "special"). Schottland will in der EU bleiben und bereitet wieder ein Referendum vor. Das Referendum in Italien für eine Verfassungsreform scheitert im Dezember 2016: Renzi tritt zurück. In Österreich gewinnt der Grüne Van der Bellen endgültig die Präsidentschaftswahlen. Die englische Premierministerin May hat mit Zustimmung des Parlaments eine neue Wahl für Juni 2017 angesetzt. Dann dürfte es noch mal zu einer Entscheidung über den Brexit kommen. Bei der Wahl verlieren die Konservativen die absolute Mehrheit. Vielleicht kommt es dadurch zu einem Exit vom Brexit. Der mögliche Wahlsieg der rechtsextremen Front National in Frankreich beunruhigt Europas Politiker. Erleichterung tritt ein, als Ende April Emmanuel Macron (europafreundlich, 39 Jahre, ohne Partei; Ex-Wirtschaftsminister; Philosoph, Ena) die erste Runde der Präsidentschaftswahl vor Le Pen gewinnt (24% zu 21,3%). Zwischen den beiden Kandidaten findet eine Stichwahl statt. Favorit ist Macron (Prognose: über 60%). Er erreicht dann am 07.05.17 66,1% der Wahlstimmen. Bei den Parlamentswahlen am 11.06.17 erreicht er für seine Bewegung eine große Mehrheit (Macron kann die Nationalversammlung dominieren). Im zweiten Wahldurchgang erreicht seine Bewegung eine absolute Mehrheit (bei Rekord-Negativwahlbeteiligung). Macron will zuerst Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht reformieren. Italien wird ab 2018 seit dem Wahlsieg der Bewegung Fünf Sterne und der Lega von einer Koalition der Populisten regiert. In Schweden legen die Rechtspopulisten im September 2018 zu. Die Sozialdemokraten bleiben aber stärkste Kraft. Rot-Grün ist knapp der stärkste Block. Ein europaweiter Trend setzt sich fort: Die großen Volksparteien finden beim Wähler immer weniger Gehör. Dem Trend folgt nicht Spanien. hier bleiben die Sozialisten bei der Wahl im April 2019 stärkste Fraktion. Bei der Europawahl im Mai 2019 gibt es in Deutschland schwere Verluste für Union und SPD. Die Grünen überholen die SPD (sie haben die Mehrheiten in vielen Metropolen und bei den unter 25 jährigen Wählern). Die hohe Wahlbeteiligung verhindert, dass die rechten Parteien zu stark werden (sie gewinnen aber in Frankreich, Italien, Polen, Ungarn und Großbritannien). Konservative und Sozialdemokraten büßen ihre Mehrheit im Europaparlament ein. Es wird schwierig für Koalitionen und den neuen Kommissionspräsidenten. Macron ist zusammen mit anderen Staatschefs dagegen, einen Spitzenkandidaten der Europawahl zum Präsidenten zu machen (weil die EU-Wahl national ist). In Dänemark gewinnen bei den Wahlen die Sozialdemokraten (linke Sozialpolitik, restriktive Migrationspolitik). Auf dem G20-Gipfel einigen sich die anwesenden Regierungschefs der EU darauf, dass Weber aus dem Rennen ist. Er soll Präsident des Europa-Parlaments werden nach zwei Jahren. Zuerst soll ein Sozialdemokrat gewählt werden. EU-Kommissionspräsidentin wird Ursula von der Leyen, noch Bundesverteidigungsministerin. Sie muss allerdings vom EU-Parlament gewählt werden (die Wahl ist am 16.07.19; sie wird knapp mit 9 Stimmen über der Grenze gewählt). EZB-Präsidentin wird IWF-Chefin Christine Lagarde. EU-Außenbeauftragter wird der spanische Außenminister Josep Borrell. EU - Ratspräsident wird der Belgier Charles Michel. Boris Johnson wird britischer Premierminister. Er will auf jeden Fall die "Backstop-Lösung" kippen oder einen harten Brexit durchführen. Mehrmals bekommt er im Kabinett keine Mehrheit. Das oberste Gericht kippt die Zwangspause des Parlaments. Am 10.09.19 stellt von der Leyen ihre EU-Kommission vor. Schwerpunkt sollen inhaltlich Klimapolitik (Frans Timmermans, Vizepräsident) und Digitalisierung (Margarethe Vestager, auch Wettbewerb, Vizepräsidentin) sein. Die Französin Sylvie Goulard wird Binnenmarkt-Kommissarin. Das EU-Parlament lässt einige Kandidaten durchfallen, dazu gehört auch Goulard. Neuer Binnenmarkt-Kommissar wird Thierry Breton. Er hat eine Managerkarriere hinter sich und hat mit dem Verkauf von Aktien über 40 Mio. € verdient. Die Konservativen gewinnen die Wahlen mit absoluter Mehrheit. Damit kommt der Brexit zum 31.01.20. Mit einem Gesetz will Johnson auch verhindern, dass über einen Handelsvertrag länger als bis Ende 2020 verhandelt wird (damit ist ein harter Brexit nicht vom Tisch). Kurz vor Ablauf der Frist schließt man doch ein Abkommen. Allerdings bleiben viele Punkte offen (Dienstleistungen). GB verlässt zum 01.01.2021 die EU. Im Januar kommt es zu einem diplomatischen Affront gegen die EU: Die EU-Delegation wird im Status herabgestuft. Die EU fürchtet, dass der Londoner Schritt Schule machen könnte.  2023 steckt die EU in einem Dilemma: Sie muss neue Mitglieder aufnehmen - und riskiert daran zu zerbrechen. Folgende Länder wollen in die EU:  Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Albanien, Ukraine, Moldau, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Kosovo, Türkei.   Karl der Große schuf das erste vereinte Europa. Er begann mit der Kultur. Er hatte auch eine gemeinsame Währung für die Wirtschaft. Die Verwaltung war hoch effizient (ca. 100 Pfalzen; Pfalzgrafen waren zugleich Gerichtsherren; es gab schon eine Art Change-Management). Gegner wie die Sachsen wurden aber grausam unterdrückt.

Grundzüge: Die EU hat 28 Mitgliedsstaaten (mit GB), über 500 Mio. Einwohner, 1952 Gründung, seit 1993 EU (der Brexit würde die EU auf 27 verkleinern). Der größte Nachteil der EU ist die Währungsunion ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik (eher disparate Politik: z. B. ungleiches Renteneintrittsalter, Mindestlöhne, billige Immobilienkredite) und ohne wirkliche Konvergenz. So ist auch die eigentliche Ursache der Krise 2011 (Schulden usw.) der große Unterschied zwischen den Euro-Ländern. Dies war bei Aufnahme dieser Länder bekannt (aber die Finanzkrisen waren nicht vorhersehbar). Besonders kritische Differenzen gibt es bei der Staatsverschuldung (siehe unten), beim Wirtschaftswachstum (ganz hinten Portugal, Griechenland, Italien, Irland) und in der Industrieproduktion (hohe Rückgänge in Luxemburg, Italien, Griechenland und Spanien). Die Nordländer Luxemburg, Niederlande, Österreich, Finnland und Deutschland stehen in der Regel am besten da (BIP je Einwohner, Jahresnettoeinkommen je Haushalt, Schulden je Einwohner). Der große Vorteil für Deutschland liegt in der Vergrößerung des deutschen Binnenmarktes. Der Euro könnte an den Widersprüchen zerbrechen: 2010 liegen alle Euro-Länder beim Haushaltsdefizit über 3,0% (am stärksten drüber Irland, Griechenland, Spanien, Portugal und die Slowakei). Mittlerweile wird die Haushaltsdisziplin besser überwacht. Das wichtigste Argument für die Einführung des Euro war die Senkung der Transaktionskosten, insbesondere für mittelständische Unternehmen (Umtauschkosten fallen weg, Preistransparenz steigt). Sicher hat der Euro in den letzten zehn Jahren die deutsche Exportwirtschaft insgesamt beflügelt (Schutz vor Wechselkursschwankungen). Die Probleme 2010 nach der Finanzkrise sind ursprünglich von Ökonomen vorhergesehen worden. Vier Maßnahmen können zur Rettung des Euro beitragen: Eurobonds, Umschuldung, Anleihekäufe und eine Vergrößerung des Rettungsschirms. Vgl. allgemein zur Eurokrise: Schuppan, Norbert, Die Euro-Krise, München 2014. "Von dem, was wir nicht wirklich brauchen, können wir nie genug bekommen", U2, Stuck in a Moment.

Vier Euro-Länder sind unter den Rettungsschirm (ESM) geschlüpft. Gegen Reformauflagen bekommen die Länder günstigere Kredite. Irland und Spanien wollen sich ab 2013 wieder selbst finanzieren. Griechenland und Portugal (will sich im Sommer 2014 wieder den Finanzmärkten stellen) bleiben Problemfälle. Mit dem Beitritt zum Euro (auch schon Jahre vorher als der Beitritt klar war) konnten sich die Länder zu günstigen Zinsen auf den globalen Kapitalmärkten finanzieren. Nach Einschätzung der EU-Kommission hat dies in den Folgejahren zu der Illusion geführt, relativen Wohlstand erreichen zu können, ohne die Rahmenbedingungen anzupassen. Traditionelle Industriezweige verloren an Wettbewerbsfähigkeit oder konnten mit wettbewerbsfähigeren Ländern nicht mehr mithalten. Um den Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten, wurde der Dienstleistungssektor einschließlich öffentlicher Dienst aufgebläht. Nach der Finanzkrise 2008 waren die bereits angeschlagenen Länder auf den Finanzmärkten nicht mehr kreditwürdig. Staat und Banken bekamen nur noch gegen hohe Risikoaufschläge frisches Geld. 2010 und 2011 beantragten die Länder Hilfen, Sie bekamen sie von der EU, den Euroländern und dem Internationalen Währungsfonds. Die Hilfspakete wurden gegen Reformauflagen für eine bestimmte Dauer zur Verfügung gestellt (vgl. Economics/ special, Außenwirtschaft, Europäische Union). Zunehmend Probleme mit einer abnehmenden Kreditwürdigkeit haben auch Finnland und Belgien. Aus dem Schneider sind ebenfalls nicht Italien und Frankreich. 2018 wird er ESM in Teilen reformiert.  "Fuck the EU", Victoria Nuland, wichtigste Europaberaterin von US-Präsident Barack Obama, 2014 in einem Telefongespräch.

Südeuropa in der Rezession: Griechenland, Italien, Spanien und Portugal sind 2012 in der Rezession. Dies zeigt sich am Schrumpfen der BIP 2012 (Prognosen: Griechenland -4,3, Italien -1,3, Spanien -1,0, Portugal -3,3). Dies ist vor allem eine Folge ihrer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. Mittlerweile gibt es Auswirkungen auf die Nordländer, vor allem deren Unternehmen. Die Märkte für Kleinwagen verschlechtern sich. Die Versicherer haben kräftige Abschreibungen. Die Banken leiden unter den schlechteren Bonitätsnoten und Abschreibungen. Der Rüstungsindustrie brechen gute Kunden weg. Der Maschinenbau verliert wichtige Märkte. Außerdem verfügt Deutschland über hohe Direktinvestitionen in den südeuropäischen Ländern (Bestand 2012). Am höchsten sind sie in Italien mit 36,8 Mrd. €. Dann folgen Spanien (27 Mrd. €), Portugal (5 Mrd. €) und Griechenland (3,5 Mrd. €). Die Südländer müssten durch Preis- und Lohnsenkungen wettbewerbsfähiger werden. Am einfachsten ginge dies durch einen Ausstieg aus dem Euro. Dieser könnte bei Griechenland vielleicht noch kommen. Das erste Rettungspaket der Euro-Zone und des IWF für Griechenland umfasste 73 Mrd. €. Das zweite Paket betrug 163,7 Mrd. €. ausgezahlt wurden bis Februar 2014 142,0 Mrd. €. Mitte 2015 droht der Staatsbankrott in Griechenland, weil es nicht mehr seine Schulden zurückzahlen will oder kann. Der plötzliche und unausweichliche Austritt aus dem Euro wird "Grexit" genannt. Die linke Regierung lässt ein Referendum über den Verbleib im Euro durchführen. Es geht gegen die Reform- und Sparpolitik aus und damit gegen die Konditionalität (Geld nur gegen Reformen). Die Griechenlandkrise wird in den USA, China, Indien und der ganzen Welt aufmerksam verfolgt und mit dem Schicksal Europas verknüpft. Die Südländer fordern immer wieder, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln (EU-Gipfel Mitte März 2013). Einen Wachstumspakt mit 120 Mrd. € gibt es bereits. Uneins ist man über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Sparkurs soll durchgehalten werden, eventuell kommt dabei etwas mehr Flexibilität. Die Anpassungsprozesse in den Krisenländern treiben die Arbeitslosigkeit aber weiter in die Höhe. Allein Wettbewerbsfähigkeit dürfte der ökonomische Schlüssel zum Erfolg sein. Dazu brauchen diese Länder ein Geschäftsmodell bzw. eine Idee. In der EU beträgt der Anteil des Produzierenden Gewerbes an der Gesamtwertschöpfung 2012 nur noch 15,2% (gegenüber 2000 -3,3%; IW). Somit hängt die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der EU auch mit der De- Industrialisierung in vielen Ländern zusammen. Die soziale Gerechtigkeit in den Ländern selbst müsste verbessert werden. 2014 befürwortet der ehemalige IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff eine nationale Reichensteuer in den Krisenländern der EU. Ähnlich fordert die Bundesbank eine einmalige Vermögensabgabe. Das Risiko für Unruhen ist durch die hohe Arbeitslosigkeit gestiegen (26 Mio. 2013 in der EU, insbesondere Folge der Sparpolitik). Am höchsten ist die Arbeitslosigkeit in Griechenland mit einer Quote von 22,5%. Besonders bedrohlich ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit (in Griechenland und Spanien über 50%). Das Duale System Deutschlands sollte vielleicht auf die EU ausgedehnt werden. Jungen Arbeitslosen will die Bundesregierung auch mit bilateralen Programmen helfen. Letztlich können Unternehmen nicht gezwungen werden, mehr in den Südländern zu investieren. Zu hohe Lohnkosten und zu niedrige Produktivität laden im Süden aber nicht dazu ein. In den letzten Jahren sind die Lohnstückkosten in den Südländern allerdings gesunken (seit Beginn der Krise 2009 um 8,5%). Letztlich wird der Lebensstandard sinken müssen (keine rein ökonomische Frage). Auch die Leitzinssenkung der EZB im Mai 2013 soll Südeuropa zugute kommen. Es ist allerdings fraglich, dass die erhofften Impulse dort ankommen. Gerade die Banken in Spanien und Italien haben große Probleme mit der Bewältigung ihrer Krise und nehmen höhere Kreditzinsen. Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen in den Krisenländern haben Schwierigkeiten, an günstige Kredite zu kommen. Die Prognose der EU-Kommission für 2014 beim Wachstum des BIP sieht Estland und Malta an der Spitze; ganz hinten liegen Griechenland und Zypern. Immer mehr Menschen und Parteien in den Südländern fordern ein Ende des Sparkurses, für den sie zum großen Teil die deutsche Bundesregierung verantwortlich machen. Griechenland fällt auch durch Steuersenkungen und Rentenerhöhungen wieder weiter zurück. Man sollte auch bedenken, dass einige Staaten noch stärker als die Südländer der EU von der Eurokrise betroffen sind. Dazu gehören Albanien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien/ Herzegowina. Gegen die Ukraine will die EU Finanzsanktionen für die Elite verhängen. Die neue Regierung und die Einheit sollen unterstützt werden (es fehlen mindestens 25 Mrd. € um den Staatsbankrott abzuwenden). Das Land tritt in einen Krieg mit den Separatisten (von Russland unterstützt) in der Ostukraine. Im September 2014 schließt die EU ein Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine ab. Der Start der Freihandelszone wird jedoch auf Ende 2015 verschoben. Die Instabilität der Regierungsbildung und die Überschuldung Italiens treibt 2018 die Indikatoren der Finanzmärkte der EU in den Keller. Macron, der französische Staatspräsident, versucht mit seinen  Reformvorschlägen, die Schulden Südeuropas zu "Vergemeinschaften". Durch die Demos der "Gelbwesten Ende 2018 steht er aber im eigenen Land erheblich unter Druck. Der Brand im nationalen Symbol Notre-Dame in Paris führt vorübergehend zu einer Welle der Einigkeit (Milliardäre bringen die Kosten der Restauration auf). Im Juni 2019 schlägt die EU-Kommission ein Defizit-Verfahren für Italien vor. Die Regierung verstößt bewusst gegen alle Kriterien (Gesamtverschuldung über 132%).   "Die gesunkenen Risikoprämien für Staatsanleihen sind durch die Wirklichkeit der Krisenländer nicht gedeckt", Barry Eichengreen, US-Ökonom, 2014. Nach der Finanzkrise droht der EU eine soziale Spaltung: Die Bertelsmann-Stiftung hat einen EU-Gerechtigkeitsindex konstruiert: Danach hat sich das Gefälle zwischen den Staaten Nordeuropas und Südeuropas vergrößert. Deutschland liegt auf Platz sieben. Dänemark und die Niederlande an der Spitze. Auf dem letzten Platz liegt Griechenland.

Die Krise ist auch eine Bankenkrise. Im Oktober 2011 legt die EU-Kommission einen  Bankenrettungsplan vor: vorübergehend höhere Kapitalquote. Die großen Banken müssen ihr Eigenkapital erhöhen (bis Juni 2012 auf 9%). Die gesamte Rekapitalisierungsquote liegt bei 106 Mrd. €.  Im Notfall soll der Euro-Rettungsschirm einspringen.  Der EU-Gipfel Mitte 2012 beschließt die Bankenkapitalisierung. Eine Expertengruppe um den Finnen Liikanen entwirft einen Bankenplan. Danach sollen bei großen Banken in der EU die beiden Bereiche "Traditionell (Privatkunden)" (Sparen, Kredite) und "Spekulation" (Investment, Hedge-Fonds) organisatorisch getrennt werden. Die Krise der Banken dürfte noch auf Jahre anhalten: bei niedrigen Zinsen nahe Null ist es schwierig Gewinne zu erzielen. Zudem halten sich Kunden mit der Geldanlage zurück. Es gibt auch strukturelle Probleme (starker Wettbewerb, erschwerter Aufbau von Eigenkapital). Wenn den Banken von der EU geholfen wird, fehlt das Geld für die hilfsbedürftigen Staaten (der Risikoverbund zwischen Banken und Staaten ist grundsätzlich nicht optimal). 2013 einigt man sich in der EU darauf, dass Banken direkt Mittel aus dem ESM erhalten können (nicht mehr über Staaten). Die Eigentümer der Banken (Aktionäre, Großanleger, Kunden über 100.000€ Konto u. a.) sollen zukünftig (ab 2015, ab 2018 volle Wirkung) als erste für die Risiken gerade stehen ("Teufelskreis zwischen Banken und Staaten" wird durchbrochen; weitere Verluste werden auf die Finanzbranche umgelegt). In einer Studie 2014 warnt allerdings das Institut der Wirtschaft vor weiterer Haftung der Steuerzahler, weil es noch Problemkredite in Höhe von 900 Mrd. € in den Bankenbilanzen gibt. Die Fragmentierung im europäischen Finanzsystem ist noch zu stark. 2014 stehen erstmals EU-weite Banken-Stresstests an (etwa 130 Banken; bei der Deutschen Bank Sonderprüfung des Devisenhandels; zuerst Bestandsaufnahme bis Juni 14, dann Durchführung bis Oktober 14, November 14 Ergebnisse). Diese könnte neue Löcher in den Kapitaldecken sichtbar machen (faule Kredite). 24 Banken fallen beim Stresstest durch (zu wenig Eigenkapital, schlechte Bilanz). Darunter ist mit der Münchener Hypothekenbank eine deutsche; 4 italienische Banken sind betroffen. Das Reformpaket "Basel III" tritt 2014 ebenfalls in Kraft. 2014 wird auch das Gesetzespaket "Mifid" vom europäischen Parlament beschlossen (gegen Finanz-Zockerei). Es tritt ab 2017 in Kraft. Kernstück ist die Schaffung einer neuen Marktform an den Finanzmärkten. Die krasse Trennung zwischen Börsengeschäften (Aktien, Wertpapiere) und Trading floors (Termingeschäfte, Handel zwischen Finanzhäusern) soll aufgehoben werden. Es soll normale Informations- und Transparenzpflicht gelten. Über Risiko und Kundeneignung muss genau informiert werden. Vgl. das Sonderheft 2014 "Europa: Eindämmung der Krise, und dann?", Wirtschaftsdienst. Die Eckpunkte für eine europäische Bankenunion wurden Ende 2013 festgelegt: Finanzmarktaufsicht bei der EZB; Sanierung und Abwicklung von Banken im Krisenfall nach einheitlichem Abwicklungsmechanismus. Der Abwicklungsfonds muss von den Kreditinstituten binnen acht Jahren gefüllt werden (steht ab 2016 bereit). Ein Stresstest der griechischen Banken von Blackrock Ende 2013 lässt nichts Gutes erwarten. Die Notenbank hat die Kapitallücke bewusst niedrig angesetzt, damit die Regierung den Rest des Bankenfonds einsetzt. Südeuropäische Banken haben auch die Geldspritze durch die EZB vor Jahren zum Kauf heimischer Staatsanleihen genutzt und nicht die Realwirtschaft angeregt mit günstigeren Krediten. Das Risiko muss nun die Bankenunion tragen. Die Rettung von Banken, ohne das das die ärmere Bevölkerung eine Verbesserung ihres Lebensstandards erfährt, löst viel Kritik aus. Mitte 2014 wanken Privatbanken in Bulgarien. Die Zentralbank soll helfen. Die EU gibt einen Notkredit. Im Juli 2014 gibt es Turbolenzen im portugiesischen Bankensektor (Spekulationen um Zahlungsprobleme der Familie Santo). Griechenland kommt auch nicht zur Ruhe: Im Sommer 2017 sind Kredite in Höhe von 7 Mrd. € fällig. Die Euroländer und der IWF streiten über die Lasten. Die Gelder in Höhe von 8,5 Mrd. € werden ausgezahlt (IWF nur noch symbolisch, nicht mehr mit Geld dabei). Die Europäischen Banken und Notenbanken warnen vor einer Deregulierung von Finanzinstituten in den USA durch Trump. Eine andere Entwicklung aus den USA macht aber den Banken genauso zu schaffen: Sie haben zunehmend mit der Konkurrenz von Plattformen und Netzwerken (Blockchain) zu kämpfen. Die Krise der Türkei 2018 (Arbeitslosigkeit, Inflation, Verschuldung, Strafzölle der USA) macht den EU-Banken stark zu schaffen, am meisten den spanischen Banken. "Rühre an das Leere in deinem Leben und dort werden Blumen blühen", Zen-Weisheit. "Ich wäre nicht überrascht, wenn der Start der einheitlichen Bankenaufsicht in Europa der Anfang einer Periode der Restrukturierung wäre", Vito Constancio, EZB-Vize. Die ersten Banken in Europa entstanden weit vor Christi Geburt im alten Griechenland (ca. 600 v. Chr.) in Delphi. Wenn das Orakel befragt wurde, musste es vorher durch Geschenke und Gaben wohlgesinnt gestimmt werden. Die Priester legten das in Geld an und gründeten Banken, die auch Geld an Geschäftsleute und die Stadtstaaten verliehen.

Die privaten Haushalte in der EU sind wegen ihrer Schulden besorgt und sind mit Konsum vorsichtig. Sparen ist weiterhin notwendig, um die Risiken im Alter abzudecken. Die besonders großzügigen Rentensysteme, wie z. B. das in Frankreich oder Griechenland, werden nicht zu halten sein. Auch die meisten Regierungen sparen und investieren zu wenig. Die finanziell gebeutelten EU-Mitglieder sind sogar so erfinderisch, dass sie Staatsbürgerschaften verkaufen (Pass ab 50.000 €). Das Wachstum in der EU wird eher bescheiden bleiben. Auswege wären höhere Löhne und noch höhere Schulden. Aber die Erhöhung der Verschuldung in Deutschland würde den Krisenländern nicht helfen. Eine 100 Prozent-Rückzahlung der Schulden wird es nicht geben. Dazu ist die Schuldenlast in den Peripherieländern zu hoch. Im Moment wird noch indirekt agiert über Verlängerung von Fristen und die Herabsetzung von Zinssätzen. Vielleicht kommt irgendwann der Schuldenschnitt für Griechenland (Gesamtverschuldung 2014 176% des BIP), Portugal, Spanien und vielleicht für Irland und Italien. Vgl. Kenneth Rogoff, Die Notenbanken sind überfordert, in: Handelsblatt Nr. 232, Mo. 02.12.2013, S. 30. Im Jahr 2013 betrug die Neuverschuldung aller 18 Eurostaaten zusammen exakt drei Prozent der Wirtschaftsleistung (Maximalwert; im Krisenjahr 2010 6,2%). Zehn Staaten liegen höher als 3,0%: Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Kroatien, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien, Zypern. Es herrscht höchste Alarmstufe in der EZB , weil ein weiterer Preisverfall (Deflation) eine Gefahr für die hoch verschuldeten Krisenstaaten in der EU darstellt. Die abwertenden Schwellenländer verbilligen ihre Exporte nach Europa. Das drückt die Inflationsraten weiter nach unten. Zu Teil rührt die geringe Preissteigerungsrate auch von Preisanpassungen in den südlichen Krisenländern. Im März 2014 sinkt die Inflationsrate sogar auf 0,5% (tiefster Stand seit vier Jahren). Ein konjunktureller Rückschlag würde die Deflation vielleicht herbeiführen. Viele Experten raten, dafür zu sorgen, dass die Inflationsraten steigen (Geld drucken). Die Leitzinsen könnten weiter gegen Null gehen, aber das Ende 0 ist abzusehen. Tatsächlich senkt die EZB den Leitzins im September 2014 fast auf Null (0,05%). Jetzt bleibt nur der Ankauf deutscher Staatsanleihen und der Aufkauf von Bankkrediten, um die Banken für weitere Kredite zu entlasten. So werden Vorbereitungen getroffen, dass die EZB ABS ankaufen kann (Kreditverbriefungen, um die Bilanzen der Banken zu entlasten). Für 2014 erwartet die EZB eine Preissteigerung von 1,1%. Die europäischen Staaten sind kaum bereit nationale Souveränität in der Finanzpolitik aufzugeben, so dass die fiskalpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten und ihrer privaten Gläubiger weiter gestärkt werden sollte.  "Das wird es nicht noch einmal geben", Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über den Schuldenschnitt für Griechenland; im Februar 2014 bei G. Jauch.

Die Notenbanken in aller Welt pumpen Milliarden in die Wirtschaft (Niedrigzinspolitik, Wertpapierkäufe). Das Wachstum soll angekurbelt werden, auch um die Verteilungsprobleme zu übertünchen. So senkt die Europäische Zentralbank im Herbst 2013 den Leitzins wie in den USA und Japan auf 0,25% (der Bundesbankpräsident Weidmann ist eher isoliert). Im Juni 2014 senkt die EZB den Leitzins sogar auf 0,15% (negativer Einlagen-Zins). Im September 2014 folgt eine Senkung auf 0,05%. Dadurch werden aber vor allem die Preise an Immobilien- und Aktienmärkten angekurbelt. Vor allem in Ländern wie Großbritannien und Deutschland setzen Anleger auf Immobilien in den Ballungszentren (weltweit laufen die Immobilienpreise heiß, vor allem in Brasilien, Russland, Indien und China). Besonders die Aktien mittelgroßer Unternehmen schnellen nach oben. Der Boom am US-Aktienmarkt ist besorgniserregend. Je mehr Geld in den Kreislauf fließt, desto besser können sich Spekulationsblasen ausbreiten. Die Frage ist, wenn der Einbruch kommt und die Blase platzt. Vgl. Wetten auf den Crash, in: Der Spiegel, 49/2013, S. 64-72. Dringend notwendig wären Strukturreformen. Diese müssten Pläne zum Sparen bei den Regierungen, Senkung von Steuersätzen und ein gerechteres Steuersystem enthalten. Gerade die Harmonisierung der Steuersysteme und die gegenseitige Transparenz bei der Steuererhebung wären eigentlich in einer EWWU selbstverständlich. Steuerhinterziehungsmöglichkeiten innerhalb der EU oder mit ihr kooperierender Länder (z. B. Schweiz) gehen gar nicht. Verbesserungen könnte ein Beschluss der OECD-Länder 2014 bringen. Staatsanleihen sollten nicht weiter von der Notenbank gekauft werden, um die Konjunktur anzukurbeln. Es könnten dadurch eher außenwirtschaftliche Ungleichgewichte in der Euro-Zone verstärkt werden. Vgl. Belke/ Gros: Kontraproduktive Geldpolitik, in: Wirtschaftswoche, Nr. 15, 07-04.14, S. 42.  Am 04.09.14 senkt der Gouverneursrat der EZB den Leitzins im Euroraum um 0,1 Prozentpunkte auf 0,05%, einhistorisches Tief. Der Euro geht auf Talfahrt (Goldman Sachs erwartet die Parität zum Dollar bis Ende 2017). Die Konjunktur soll gestützt (mehr Investitionen, höhere Exporte) und die Inflation angekurbelt werden (Verteuerung der Importe). Die Ersparnisse der Bürger werden weiter entwertet und der Reformdruck auf die Regierungen sinkt. Die Banken selbst wollen das Billiggeld gar nicht.  Noch im Oktober 2014 will die EZB weitere Risiko-Anleihen (Pfandbriefe, ABS-Papiere) aufkaufen, um neues Geld in den europäischen Finanzmarkt zu spülen und die Konjunktur zu beleben. Der Europäische Gerichtshof verhandelt im Herbst 2014 über die Ankündigung der EZB, unbegrenzt Anleihen zu kaufen.  Eine gewisse Renationalisierung der Risiken wird empfohlen. Am 22.01.2015 gibt die EZB den Kauf von Staatsanleihen in großem Umfang bekannt. Monatlich werden für 60 Mrd. Euro Staatsanleihen von Banken aufgekauft (von März 2015 bis September 2016. Die Summe beträgt insgesamt 1140 Mrd. €; dann folgt eine Verlängerung um ein Jahr). Die Staatsanleihen werden nach dem Anteil der Mitgliedsländer an der Notenbank gekauft, also am meisten die Deutschen. Es gibt keine Eingrenzung bei den Laufzeiten. Die Leitzinsen bleiben unverändert (sehr wahrscheinlich bis Mitte 2017 und länger). Die Notenbanken verlieren aber auch zunehmend die Kontrolle über das Geld (Krypto - Währungen, E-Payment). Das Bundesverfassungsgericht erklärt am 05.05.20 die Staatsanleihenkäufe der EZB in Teilen für verfassungswidrig.    "Die Europäische Zentralbank hat noch immer die große Bazooka und jede Menge Munition", Olli Rehn, EU-Wirtschaftskommissar, zum Kampf gegen die Schuldenkrise.  

Die Krise in der EU und um den Euro führt mittlerweile dazu, dass in einigen Mitgliedsstaaten die Demokratie in Gefahr ist. Einmal geht eine Gefahr von den postsozialistischen Staaten aus. Die politischen Institutionen haben nicht mit dem Aufbau des Binnenmarktes dort Schritt gehalten. In erster Linie sind hier Rumänien, Bulgarien und Ungarn betroffen. Das Democracy Barometer (DB, Wissenschaftszentrum Berlin) zeigt Defizite auf dem Sektor "Medien- und Informationsfreiheit" auch in Österreich, Frankreich, Griechenland und Italien. In Italien und Griechenland sind Justiz und Verwaltung stark politisiert. Sogar in Dänemark, Schweden und Finnland haben "Rechtspopulisten" deutlichen Zulauf. Demokratiedefizite müssten stärker sanktioniert werden (vgl. Timm Beichelt: Von Steinen und Glashäusern, in: FAZ, Nr. 302, Mo. 30.12.13, S. 7). Insgesamt scheint der eher technokratische Weg der EU (Macht der EU-Bürokratie) an sein Ende gelangt zu sein. Dringend notwendig wären Elemente einer Bürgerbeteiligung.  Die schwerwiegenden ökonomischen Probleme in den Süd- und Ostländern (vor allem Jugendarbeitslosigkeit) dürften die demokratische Unterstützung nicht wachsen lassen. Es gibt sogar Ökonomen, die empfehlen, Europa wieder in möglichst viele Kleinstaaten zu zerlegen, um die Freiheit zu maximieren (vgl. Hans-Hermann Hoppe, in: Wirtschaftswoche Nr. 1/2, 6.1.2014, S. 36ff.). So gesehen wird die Nation als Garant für Demokratie gesehen. Die politischen Systeme in den einzelnen Ländern richten sich aber immer mehr an den Interessen der Reichen aus. Denn diese finanzieren die Wahlkämpfe und die Parteien. Damit wird aber die soziale Ungleichheit in den einzelnen Ländern weiter verschärft (vgl. Der Spiegel, 5/ 2014, Jeffrey Sachs, S. 67). Sicher ist auch die Frage zu stellen, was die EU zusammenhält. Reichen Interessen aus? Oder ist mehr die Kultur/ Religion/ Werte bzw. das Ethos zu berücksichtigen? Weiterhin muss transparent debattiert und  entschieden werden, was die EU regeln soll und was nicht. Gerade das Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz 2014 (Kontingente für Einwanderer, Vorrang für Schweizer auf dem Arbeitsmarkt) zeigt, dass Angstmache ein wichtiger Faktor in der europäischen Politik geworden ist (so wollen auch Briten, Franzosen und Italiener die Zuwanderung begrenzen). Dabei kann man nachweisen, dass Freizügigkeit immer den Wohlstand in einem Gebiet steigert (Menschen wandern dorthin, wo Arbeitskräfte fehlen und sie höhere Löhne bekommen). Allerdings gibt es immer Grenzen für Zuwanderung. Experten empfehlen ein Punktesystem. Man findet in der EU auch 2015 keine faire Lösung für die Verteilung der Flüchtlinge (Quotenlösung). Die Hauptlast tragen aufgrund ihrer Lage nach wie vor Italien und Griechenland. In den anderen Ländern nehmen auch immer mehr gemäßigte Parteien Anleihen am rechten Rand. So bei Dänemarks Sozialdemokraten 2019. Die Demokratie muss auch die digitale Revolution in den Griff bekommen. Es muss ein offener, vernetzter Kontinent geschaffen werden (digitale Infrastruktur und ausreichender Schutz). Die Europäer haben viel Gutes an der Europäischen Union: dauerhafter Frieden, Erleichterungen für die Bürger, mehr Gewicht in der Welt. Das wird ökonomisch viel zu gering gerechnet.    "Man sollte keine Illusionen haben: Wie werden nicht über das Prinzip der Freizügigkeit verhandeln. Darüber kann man nicht verhandeln", Jose Manuel Barroso, EU-Kommissionspräsident 2014. Die Demokratie entstand im alten Griechenland im Stadtstaat Athen ca. 600 v. Chr., weil man die gesamte Bevölkerung einbeziehen musste, um Kriege gegen äußere Bedrohungen (Persien, Ägypten) gewinnen zu können.

Langfristig dürfte die EU nur als Politische Union (Euro-Politikunion) erfolgreich sein. Nur sie kann zuverlässig die Stabilität und Vorteile des Euro absichern. Kein Land allein, auch Deutschland nicht, kann in der Globalisierung und beim herausragenden Aufstieg Chinas zur führenden Wirtschafts- und Weltmacht seine Ziele durchsetzen. Die Vereinigten Staaten von Europa würden nicht so leicht abgehängt und könnten vielleicht ein eigenes Wettbewerbsmodell aufbauen. Darin dürften die Sozialpolitik und die Gründungsförderung Säulen sein. Allerdings wird dies nicht klappen, wenn immer mehr Europa mit immer weniger Rückhalt der Europäer verbunden ist. Leider genießt die EU in den USA oder China mehr Aufmerksamkeit als in der EU selbst. Bei der Europa-Wahl am 25.05.2014 haben die Europa-Gegner in Großbritannien (UKIP), Dänemark (Dänische Volkspartei) und Frankreich (Front National/Le Pen gewinnt sogar die Wahl) sehr starke Zuwächse (stark werden auch die Gegner in Irland, Italien, Griechenland, Ungarn und Österreich). In Schottland wird am 18. September 2014 über die Unabhängigkeit von Großbritannien abgestimmt. Ein positives Votum für die Unabhängigkeit könnte auch andere Regionen in Europa ermuntern (Katalonien, Baskenland, Korsika, Padanien, Flandern). Drei Fragen ergeben sich: Welche Währung?; Verbleib in der EU?; was passiert mit den Schulden? Die Schotten stimmen gegen die Unabhängigkeit.  In Deutschland kommt die AfD auf fast 7%. Insgesamt sind die Europa-Gegner auf dem Vormarsch. Für den Kommissionschef haben weder die Konservativen noch die Sozialdemokraten die Mehrheit. Merkel votiert für Juncker, den einige Staats- und Regierungschefs ablehnen. Juncker wird im Juli als Kommissionspräsident vom Parlament gewählt und damit durchgesetzt. Er will ein Wachstumspaket in Höhe von 300 Mrd. € auflegen (Investitionen). EU-Schlüsselressorts fallen Großbritannien (Regulierung der Finanzmärkte) und Frankreich (Währungskommissar) zu. Im Oktober 2014 will die EU 2,1 Mrd. € von Großbritannien. Die Forderung leitet sich aus der Wirtschaftsleistung Großbritanniens ab. Eine Umfrage des Instituts "Opinion Way" für die französische Zeitung "Le Figaro" bringt folgende Ergebnisse Ende 2014: Die Briten sind mehrheitlich klar für den Austritt aus der EU. Eine knappe Mehrheit für den Austritt gibt es auch in den Niederlanden. Den möglichen Austritt Großbritanniens bezeichnet man als Brexit. die Verhandlungen darüber beginnen im März 2017 und können 2 Jahre dauern. Am 31. März 2019 endet die Mitgliedschaft GB. Man findet keine Lösung für den Austritt; der mit der EU ausgehandelte Brexit-Vertrag findet keine Mehrheit im Parlament. Es droht ein so genannter  "harter Brexit". Nach langem hin und her wird die Frist für den Brexit von der EU auf den 31.10.2019 verlängert. In den Niederlanden, die im großen Wahljahr 2017 als erste wählen,  gewinnen zum Glück eher die gemäßigten Parteien.

Die EU müsste dringend reformiert werden. Die Euro-Krise, die Flüchtlingswellen, der Brexit, die wirtschaftliche Lage Süd-Europas, das Referendum in Italien, die Wahlen in Deutschland und Frankreich 2017, die mögliche Änderung der Position der USA durch den Wahlsieg Trumps bauen ordentlich Druck auf. In seinem neuen Buch entwirft Hans-Werner Sinn fünfzehn Reformvorschläge (Der Schwarze Juni, Freiburg 2016): Diese Vorschläge sind in drei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe betrifft den Euro (Konkursordnung für Staaten, Tilgung der Target - Verbindlichkeiten, EZB-Stimmrechte nach Größe). Dann geht es um die Steuerung der Migration (Heimatlandprinzip, Grenzsicherung, Punktesystem). Schließlich kommen noch einige hinzu (europäischer Subsidiaritätsgerichtshof, gemeinsame Armee). Vgl. die Seiten 281ff. Die Wirtschafts-Politik von Trump in den USA ab 2017 wird von vielen Experten inzwischen eher positiv für die EU gesehen (ZEW/ Mannheim-Umfrage 2017). Auch ein Brexit könnte die übrigen Länder näher zusammenbringen. Einige Experten raten Osteuropa, dem Brexit zu folgen. Bei Amtsantritt macht der französische Präsident Macron Reformvorschläge. Wegen der schleppenden Regierungsbildung in Deutschland können die lange nicht beantwortet werden. Deutschland und Frankreich schließen am 22.01.2019 einen neuen Freundschaftsvertrag in Aachen (Kooperation auf vielen Gebieten). Das britische Parlament lehnt im Januar 2019 den Austrittsvertrag ab. Plan B sieht Nachverhandlungen vor, insbesondere zu der Grenze nach Nord-Irland. Im Februar 2019 schließen GB und die Schweiz einen Handelsvertrag für die Zeit nach dem Brexit ab. Er könnte als Blaupause dienen.

Systemwettbewerb der EU mit den USA und China bzw. Russland: Die EU muss künftig als Weltmacht auftreten, wenn sie ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen will. Das größte Problem sind 2019 die Populisten, die in die Entscheidungsprozesse eingreifen wollen. Sie werden direkt von Russland gefördert und indirekt auch von den USA und China. Die Großmächte versuchen alles, um die EU zu spalten und damit in ihrer Position zu schwächen (in Osteuropa, in Südeuropa). Die EU muss ihren unumkehrbaren Niedergang verhindern. Sie muss erfolgreiche Strategien dafür entwickeln: 1. Starke Währung. 2. Konsistente EU-Außenpolitik. 3. China-Strategie. 4. Energiewende. 5. Binnenmarkt. Vgl. Wettach, Silke: Der verhinderte Riese, in: WiWo 22, 24.5.19, S. 14ff. Sie muss vor allem eine effektive Kommission und Rat bekommen. Das Postengeschacher nach der Europawahl zerschlägt viel Porzellan. Das Flüchtlingsproblem bleibt ungelöst. Erdogan versucht, die EU zu erpressen, indem er die Grenze zur Türkei für Flüchtlinge öffnet. Er will mehr Geld. Die EU kann sich aber nach wie vor nicht über die Aufnahme von Flüchtlingen (Verteilungsschlüssel) einigen. Griechenland und Ungarn setzen das Asylrecht aus. 2020 kommt eine neue Herausforderung für den Euro. Die Corona-Krise trifft schwächere Länder in der EU besonders heftig (Italien, Spanien). Die Banken dieser Länder müssen die Krisenbranchen und die ganze Wirtschaft am Laufen halten. Das geht nur mit Solidarität aus Brüssel (ESM). Sonst könnte am Ende der Euro gefährdet sein. Man setzt den ESM als Rettungsschirm ein wie in der Finanzkrise 2008/ 2009. Die EZB erhöht ihre Anleihekäufe. Die EU setzt Hilfsprogramme für Unternehmen ein. Nach der großen  Finanzkrise 2009 wurde das "Europäische Semester" 2010 eingeführt: Bevor die nationalen Parlamente die Etats beschließen, werden sie von der EU-Kommission überprüft. Sie spricht dann Empfehlungen aus. Dabei hat die Kommission mehrere Ziele. Die Volkswirtschaften sollen sich annähern, die Haushalte solide finanziert, das Wirtschaftswachstum angekurbelt, die ökonomischen Ungleichgewichte abgebaut und Reformen angepackt werden. Im Idealfall richten die nationalen Gesetzgeber dann ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik an diesen Empfehlungen aus. Die deutsche Haushalts- und Finanzpolitik bekommt 2019 schlechte Noten. Dei Bundesregierung erwirtschafte zwar Überschüsse, Aber die Zukunftsvorsorge sei zu schwach.

Exkurs: Rahim Taghizadegan, Europa auf der Intensivstation. Heilung oder wirtschaftlicher Niedergang, Leykam Verlag 2020. Er kommt zu dem Schluss, dass die EU den Anschluss im Systemwettbewerb verliert. Der Kontinent "Europa" verspiele sein Kapital. Eliten könnten noch vom Vertrauen der Bevölkerung zehren. Aber sie bauten kein neues Kapital auf. Europa könne nicht mehr Schritt halten mit der Welt.

Neue Eurokrise durch die Corona-Krise? Die Gefahr einer neuen Eurokrise wächst im Jahre 2020. Schwache Mitgliedsländer, die stark von Corona betroffen sind, brauchen dringend Hilfe. Sie befinden sich im Lockdown. Sie bangen, wie sie finanziell überleben sollen. Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland und Portugal haben schon 2019 eine hohe Staatsverschuldung in Prozent des BIP (Italien 186, Frankreich 99, Spanien 97, Griechenland 175, Portugal 120). Vor der EZB-Ankündigung des Notkaufprogramms für Anleihen waren die Risikoausschläge für zehnjährige Staatsanleihen immens gegenüber den deutschen Bundesanleihen (Italien 1,59; Spanien 0,93; Frankreich 0,45).

Da die Geldpolitik in der EU und vielen anderen Ländern so gut wie keinen Spielraum mehr hat, muss die Finanzpolitik mit Konjunkturprogrammen kommen. Die EU macht ein Notfallprogramm in Höhe von 700 Mio. €. Entscheidend ist aber die Zeit, die hier extrem schwierig einzuschätzen ist. Der ESM, der für die Finanzkrise entwickelt wurde, soll in der EU einspringen. Der ESM verfügt über 410 Mrd. €. Einzelne EU-Staaten können bis zu 2% ihrer Wirtschaftsleistung aus dem ESM bekommen. Die Länder können ihre Hilfspakete komplett über den ESM finanzieren. Der ESM ist für Staaten. 200 Mrd. € sollen eingesetzt werden. Die Staats- und Regierungschefs müssen dem noch zustimmen, was geschieht. Gegen Eurobonds (Coronabonds) sprechen sich einige Länder aus (auch Deutschland, Finnland, Niederlande). Über weitere Hilfen für weniger finanzkräftige Länder soll noch beraten werden. Die Kommissionspräsidentin von der Leyen spricht von einem speziellen Corona-Haushalt. Einige bedürftige Länder schätzen am ESM nicht, dass er an Bedingungen geknüpft ist.

Die Europäische Investitionsbank könnte Liquiditätshilfen nationaler Banken durch Garantien absichern. Das wird auch eingerichtet. Über die EIB werden Unternehmen gefördert. Trotzdem kann es dabei nicht bleiben. Die Krise wirkt wie ein großer Krieg, wie der 2. Weltkrieg. Also wird man auch ähnliche Folgemaßnahmen angehen müssen in der EU: Lastenausgleich, ERP-Programme ("Marshallhilfe") und ähnliches. Das soll später hinzu gefügt werden. Es soll ein EU-Kurzarbeitergeld geben, das kommen wird. Es wird dann noch eine Rückversicherung für die Arbeitslosenversicherungen eingerichtet. Die Solidarität wächst. Corona-Bonds wären europäische Staatsanleihen, die zeitlich begrenzt und am einen bestimmten Zweck gebunden sind. Sie wären ein Signal (an die Menschen und an die Finanzmärkte) und wahrscheinlich auch eine gute Geldanlage. 13 Länder sind dafür, 5 dagegen. Man wird um eine solche Institution nicht herum kommen, wenn man die EU retten will. Der Hauptunterschied zwischen der ESM- und der Bonds - Lösung liegt in der Haftung und den Bedingungen. Die EU-Außenminister können sich am 07.04.20 nicht auf eine Lösung einigen, aber zumindest auf den Begriff "Finanzinstrument" Es geht um die kurzfristigen Hilfen. Vor Ostern muss man unbedingt zu einer Einigung kommen (Euro-Gruppen-Chef Centeno sucht danach).  Diese Einigung kommt auch am 10.04. zustande und entspricht der obigen Konzeption. Die Bonds - Lösung wird erstmal vertagt.

Die Verteilung der EU-Gelder wird von der Komitologie geregelt. Es handelt sich um ein Geflecht aus Verwaltungs- und Expertenausschüssen. Es ist Europas mächtigste Blackbox, wo kaum noch einer durchblickt. Eine alternative steht 2020 noch nicht bereit.

Die Südländer der EU werden 2020 stärker von der Corona-Krise getroffen. Das gilt besonders für Italien (Oberitalien), Spanien und Frankreich. Die Gesundheitssysteme der Länder waren aufgrund von Sparmaßnahmen auch nicht die stärksten. Deshalb zählt man hohe Todesraten. Umstritten sind EU-Hilfen kurzfristiger Art. Die Länder sind schon hoch verschuldet. Man diskutiert Euro- (Corona-) Bonds und eine ESM - Lösung. Letztere lässt die Haftung bei den Ländern und ist an Bedingungen gebunden. Die Verteilung wäre: ESM 200 Mrd. €, EIB 200 Mrd. €, EU-Kommission 100 Mrd. €. Die Staats- und Regierungschefs einigen sich am 23.04.20 auf das Paket. Ein Wiederaufbau-Programm soll zusätzlich kommen. Die EU-Kommission erhält einen Arbeitsauftrag dafür. Deutschland und Frankreich vereinbaren am 18.05.20 einen Wiederaufbaufonds (Recovery, Europa-Fonds). Er soll einen Umfang von 500 Mrd. € haben. Er soll als Zuwendung kommen, nicht als Kredit. Die EU soll sich verschulden können, zurückgezahlt werden die Gelder von allen EU-Mitgliedern nach einem Schlüssel. Alle EU-Länder müssen zustimmen. Die Frage ist, ob sich die "nördlichen Geizkragen" und die "südlichen Geldausgeber" einig werden.  Vier nördliche Sparländer (Österreich, Schweden, Dänemark, Niederlande) machen einen Gegenentwurf (Sparsame Vier): Wiederaufbaufonds ja, Schuldenerlaubnis für EU ja. Aber mehr Kredite und kürzere Laufzeiten. Die entscheidende Frage dürfte demnach das Verhältnis von Krediten und Zuwendungen sein. Die EU-Kommission stockt das Programm dann noch auf auf 750 Mrd. €. Das ist deutlich mehr Geld. Italien (173 Mrd. €) und Spanien (140 Mrd. €) sollen den Großteil der Hilfen bekommen. 500 nicht rückzahlbare Zuwendungen, 250 Kredite. Das Programm soll von 2021 bis 2027 laufen. Für Deutschland sind 29 Milliarden reserviert. Die Schulden würden dann zwischen 2028 und 2058 über den EU-Haushalt getilgt. Das Geld soll in Investitionen für die Zukunft fließen. Hoffentlich entwickelt man auch eine Strategie: Zum Beispiel sollte man die 5-G-Technik von Nokia und Erikson kaufen, um eine Abhängigkeit von China und den USA zu vermeiden. Macron und Merkel einigen sich bei einem Treffen auf Schloss Meseburg, dass der EU-Wiederaufbau bis Juli 2020 geregelt wird. In Frankreich tritt die Regierung zurück. Jean Castex wird neuer Premierminister. Für den Wiederaufbaufonds können zur Finanzierung Schulden aufgenommen werden. Da ist ein Tabubruch und ein Schritt Richtung politische Union. Eigentlich müssten dann auch mehr Kompetenzen auf dei europäische Ebene übertragen werden. Vgl. Das ist ein Tabubruch, Interview mit Otmar Issing, Die Zeit 30, 16.7.20, S. 21. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten treffen sich am 17.7.20 in Brüssel. Es geht um den Wiederaufbau nach Corona. Der Gipfel könnte bis Sonntag dauern. Man will auch die EU-Staatsanwaltschaft ausbauen, um missbrauch zu bekämpfen. Mitnahmeeffekte im Haushalt werden aber kaum zu verhindern sein. Ratspräsident Michel legt auf der Sitzung einen Kompromiss-Vorschlag vor: 300 Mrd. € Kredite, 450 Mrd. € Zuschüsse. Sparländer bekommen Rabatte. Länder bekommen mehr Zoll-Anteile. Blockaden möglich. Man spricht von Super-Notbremse, einem neuen Mechanismus zur Kontrolle der Auszahlung. Die Mittel für Ost-Europa sollen gekürzt werden (Veto Ungarn? auch bei fehlender Rechtsstaatlichkeit). Es wird auch der EU-Finanzrahmen für 2021 bis 2027 verhandelt. Erst am Montag zeichnet sich ein Rahmen ab: 360 Mrd. € Kredite, 390 Mrd. € Zuschüsse. Die Sparländer (Österreich, Dänemark, Schweden, Niederlande, Finnland) sollen bei den Beitragszahlungen Rabatte bekommen. Die Hilfsfonds sollen an Bedingungen gekoppelt werden. Rechtsstaatlichkeit soll Voraussetzung für Zahlungsempfang sein. Es ist der längste Gipfel der EU-Geschichte. Am 21.7.20 einigt man sich. Der EU-Haushalt soll gekürzt werden (Gesundheit, Migration, Forschung, Klima). Deutschland muss jährlich 10 Mrd. € mehr in den EU Haushalt einzahlen: künftig sind es 40 Mrd. €. Nicht dabei eingerechnet ist das Geld, das an Deutschland zurückfließt. Das EU-Parlament droht damit, den Haushaltskürzungen nicht zuzustimmen. Es dürfte Nachverhandlungen geben. Dabei geht es insbesondere um Klima und Digitalisierung. Den stärksten Konjunktureinbruch in Europa meldet Spanien: im 2. Quartal -18,5%. Frankreich -13,8%. Italien -12,4%. 

Die Ratspräsidentschaft Deutschlands endet im Dezember 2020 mit der Lösung wichtiger Fragen: Klimaschutz (Verschärfung des Ziels für 2030), EU-Haushalt, Rechtsstaatlichkeit, Corona-Hilfen, keine harten Sanktionen gegen die Türkei. Noch offen bleibt der Brexit. Ende 2020 kommt ein Brexit-Pakt zustande. Die 27 EU-Staaten und GB stimmen zu. Wichtige Fragen (Dienstleistungen) werden in die Zukunft verschoben.

Zukunft der EU: Nach dem Amtsantritt von Biden in den USA mit einem Neustart und der glänzenden Position von China nach der Corona-Krise, aber auch nach dem Brexit, stellt sich die Frage, wohin geht die EU? Allen Krisen zum Trotz hat die EU immer eine Lösung gefunden. Kann man sie vielleicht sogar als Modell betrachten für andere Regionen in der Welt? 2019 hatte die EU noch einen Anteil am Welthandel von 16% (ohne Intra-Handel, mit GB) vor den USA mit 11%. Nur China war mit 18% leicht stärker. Die EU ist der größte Handelspartner Afrikas, nicht China. Die Marktmacht Europas kommt nicht nur von der Zahl der Kunden, sondern auch durch die Kaufkraft. Der Spiegel spricht von einer "sanften Macht". Vgl. Fichner, Ullrich: Die Sanfte Macht, in: Der Spiegel Nr. 4, 23.1.21, S. 17ff. Die großen Konkurrenten versuchen immer wieder, die EU zu spalten. Die USA ziehen bei Nord Stream einige Länder auf ihre Seite. Die russische Föderation lockt mit Anreizen und Impfstoff. China spricht einige Länder besonders an (Neue Seidenstraße, Impfstoffe). Der ungarische Regierungschef lässt mit dem chinesischen Impfstoff von Sinopharm behandeln. Viele Experten sehen in der Zukunft eine tripolare Welt, in der Europa und Deutschland zwischen die Fronten der Supermächte geraten können. Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich haben eine überragende Bedeutung für die EU: Gewinnt LePen in Frankreich, dürfte es wieder reine Wirtschaftsgemeinschaft gehen. Zum Glück für die EU gewinnt Macron die Wahl. Der Ukraine-Krieg eint die EU vorübergehend. Die Baltischen Staaten und die osteuropäischen Staaten haben Angst vor einem Einmarsch Russlands. Finnland und Schweden wollen auch in die Nato und treten auch bei. Doch einige osteuropäische Staaten (Serbien, Ungarn) pendeln weiter zwischen den Fronten. Der Wahlsieg der Rechtsradikalen in Italien löst einen Schock aus (Euro fällt auf Rekordtief). Wahlsiegerin mit über 40% ist Frau Meloni mit den Brüdern Italiens. Sie wird Italiens erste Ministerpräsidentin.  Das dürfte der EU noch große Probleme bereiten. Sie ist aber (bzw. muss) überraschend kooperativ. Der Ukraine-Krieg, der 2022 ausbricht, führt zu steigender Instabilität an der Ostgrenze der EU (Beitrittsgesuche von Moldawien und Georgien, die auch Russland beansprucht). Das wird auf Jahre ein Unruheherd bleiben. Der Finanzbedarf der Ukraine für den Krieg und für den Wiederaufbau ist riesig. eine Aufnahme in die EU würde den Binnenmarkt durcheinander wirbeln (vor allem den Agrarmarkt). Wichtige Industriezonen gehen wahrscheinlich an Russland.

"Jeder, der glaubt, dass er mit einer fortgesetzten Periode des billigen Geldes Probleme löst, dem ist nicht zu helfen", Jürgen Fitschen, einer der beiden ehemaligen Vorstandschefs der Deutschen Bank 2013 zur Niedrigzinspolitik der EZB (heute ist die Zusammensetzung des Vorstands eine andere).

 

 

  Drachendarstellung als Brunnen in Hoi An/ Vietnam (Weltkulturerbe der UNESCO seit 1999). Diese Stadt war eine der wichtigsten Stationen der maritimen Seidenstraße, die von China zu seiner Blütezeit betrieben wurde (hieß damals noch Hai Pho: Stadt am Meer). Es gab eigene chinesische Pagoden und Stadtteile in Hoi An (Bild aus der Pagode von Funan; die zweite ganz wichtige war die von Kanton). Der Drachen gilt in allen daoistisch geprägten Ländern Asiens als Symbol der Macht und des Kaisers bzw. des Herrschaftssystems. Er hat eine große mythologische Bedeutung (wie auch in anderen Kulturen, etwa Nibelungenlied in Deutschland oder Wappentier der Waliser).

"Wenn der Drache lahmt": Die Bedeutung Chinas für die deutsche Wirtschaft, die EU und die Weltwirtschaft und der Wert des Staatskapitalismus (Aufstieg Chinas, Konflikt mit USA). Das Thema wird immer mal wieder relevant in der ein oder anderen Form (vgl. z. B. meinen Vortrag von 2010 beim Landesinstitut für politische Bildung  B. - W.  in Freiburg, gefördert von der Ludwig-Ehrhard-Stiftung, Bonn "China -  Anker der Weltwirtschaft?"). Auch das Jahr 2019 mit einer möglichen Rezession macht das Thema wieder aktuell: Vgl. Das China-Dilemma. Wie die Volksrepublik zur Falle für deutsche Konzerne wird, in: Handelsblatt Nr. 13, 2019 (18.19.20. Januar), S. 42ff. China selbst hat 2018 zu einer neuen Bescheidenheit zurückgefunden  (Armut, Arbeitslosigkeit, Immobilienblase, Schulden, Handelsstreit mit den USA, schwächelnde Konjunktur). Das Wirtschaftswachstum ist mit 6,4% bzw. 6,6% das geringste seit 1949; die Geburtenrate ist trotz Wechsel in der Bevölkerungspolitik (2 Kinder) gesunken. Als Folgen müssen die deutschen Auto- und Maschinenbauer Absatzrückgänge wegstecken. 2020 kommt das Corona-Virus aus China (Wuhan). Wieder stellt sich die Frage erneut. China überwindet dann die Corona-Krise besser als viele andere Länder und könnte zum Antreiber werden. Tatsächlich ziehen die Exporte, auch in Deutschland, an und leiten eine Phase der Erholung ein. Der Spiegel spricht in seiner Ausgabe vom 23.1.21 schon vom "Siegeszug des Drachen". Der Focus hat 2021 einen Artikel über das Chinesische Jahrhundert. 27/2021, S. 36ff.  Vielleicht kommt noch der Aufstieg anderer Länder dazu (Indien, Indonesien). "China wird in den nächsten Jahren alleine so viel zum weltweiten Wachstum beitragen, wie alle OECD-Länder zusammen. Wir können unseren Aktionären nicht erklären, dass wir absichtlich nicht in so einem starken Markt vertreten sind, der boomt. Die Abhängigkeit von China wird weiter steigen", Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer (ich konnte ihn zweimal in Peking sprechen, tritt 2024 ab Quelle hier: Interview, WiWo 18/ 30.4.21, S. 30).

"China ist ein schlafender Drache, lasst ihn schlafen, denn wenn er sich erhebt, erzittert die Welt", Napoleon Bonaparte. (auf Sankt Helena, Aufzeichnungen des Leibarztes; was von ihm bis heute geblieben ist, ist der Code Napoleon: noch heute zwei Drittel des französischen Rechts). Das Tier ist ein schlangenartiges Mischwesen der Mythologie. Der Drache symbolisiert die Macht, den göttlichen Beistand und den Reichtum Chinas (er spielt überall auf der Welt in Sagen eine Rolle, so auch in Wales und Deutschland). Der gelbe Drache stand ursprünglich für die Macht der chinesischen Kaiser. Das letzte Jahr des Drachen in China war 2012. In einem solchen Jahr werden traditionell mehr Kinder geboren als üblich. Der neu gestaltete Flughafen in Peking zu den Olympischen Spielen 2008 hat die Form eines Drachens. Er ist noch der modernste der Welt (der größte ist Atlanta/ USA), bis 2018 im Süden Pekings ein neuer Flughafen entsteht.

"China kann nicht 30 Jahre ohne Rückschlag wachsen", Kenneth Rogoff, Uni Harvard; ehemaliger IWF-Chefökonom (zitiert nach Wirtschaftswoche, 37, 4.9.15, S. 27. Dagegen Chinas Parteichef und Präsident Xi Jinping auf dem Volkskongress 2017: "Unsere chinesische Zivilisation erstrahlt in dauerhafter Pracht und Herrlichkeit" (zitiert nach Der Spiegel 46/2017, S. 15).

0. Chinas traditionell dominiernde wirtschaftsgeschichtliche Rolle in der Welt. Das einheitliche, kaiserliche China wurde im Jahr 221 v. Chr. vom ersten Kaiser Qin Shi Huangdi gegründet (nach der Zeit der "Streitenden Reiche"; von Qin kommt der Name China in Deutschland, "Tchin" ausgesprochen; heute sind die sieben ständigen Mitglieder des Politbüros der KPCh die neue Dynastie). Über große Teile seiner zweitausend Jahre war das Land immer das bevölkerungsreichste Land und die größte Volkswirtschaft der Erde (1820 noch 33% Anteil an der Weltwirtschaft) und auch die fortschrittlichste Zivilisation (höchster technischer Fortschritt, vor allem um 800 n. Chr. bis 1000 n. Chr.), Drehscheibe des Handels in Asien (im späten Mittelalter hatte China die größte Flotte der Welt und hätte Eroberungen machen können). In der ganzen Zeit hatten China und Indien 50% der Weltwirtschaft inne (zu Zeiten von Christi Geburt vielleicht sogar 70%; aber Messungen gab es noch nicht). Noch im 17. Jahrhundert kamen bis zu 40% der weltweit produzierten Güter aus China. Dieses Selbstverständnis drückt sich in der Bezeichnung "Zhonguo" aus, was bedeutet "Reich der Mitte", also Land im Zentrum der Welt und Kultur. Das China-Bild in Europa und das Bild Europas in China wurde maßgeblich von Jesuiten geprägt ebenso wie der wissenschaftliche Austausch (das Bild wird durch große Philosophen wie z. B. Kant und Leibnitz multipliziert). Inwieweit Marco Polo dabei eine Rolle gespielt hat, ist bis heute umstritten. Vor der industriellen Revolution wurde dem sino-zentrischen Weltbild jäh ein Ende gesetzt. Mitte des 19. Jahrhunderts zwangen erst die Briten in zwei Opium-Kriegen China, sich dem Handel zu öffnen (Deutschland war zum Glück für das heutige Verhältnis zu China nur am Rande beteiligt mit zwei kleinen Kolonien: "Germans to the Front"). Später wurde das Land 1937 und 1945 von japanischen Angriffen in die Knie gezwungen. China war ein Spielball der Mächte und spielte weltpolitisch keine Rolle mehr. Diese Demütigungen  haben ein Trauma ausgelöst und erklären viele heutige politische Positionen des Landes. Mittlerweile ist die VR China wieder die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde (natürlich nicht pro Kopf; wichtig ist auch die Bewertungseinheit "PPP"), was das Ausgangsthema legitim macht. Grundsätzlich ist "luan" die Grundangst der Chinesen. "Luan" bedeutet Chaos. Man will alles tun, damit das Land politisch und wirtschaftlich stabil bleibt (damit nützt die wirtschaftliche Stabilität des Landes heute auch der ganzen Welt). Eine wichtige Rolle spielen dabei Riten (Li). Sie sind wichtiger als Gesetze (anderes Rechtsverständnis, was zu vielen Missverständnissen führt). Am ehesten kann man wirtschaftliche Stabilität heute erreichen, indem man die großen sozialen Unterschiede im Land bekämpft (der Lebensstandard hat sich aber insgesamt erhöht) und sich nicht zu Export abhängig vom Ausland macht (das ist die ökonomische Grund-Position der KPCh). Es ist aber ein statistisches Faktum, dass China heute für die Welt immer wichtiger wird: 2008 in der großen Finanzkrise betrug der Anteil Chinas am globalen Bruttoinlandsprodukt etwa 13%. Im Jahre 2019 liegt dieser Anteil bei ungefähr 18%. 2021 soll der Anteil auf 21,5% steigen (Prognose; USA: 29,6; EU 17,9 ohne GB). Noch höher ist der Anteil des Landes an der globalen Produktion (etwa 29%, "Werkbank der Welt"). Neuere Prognosen gehen davon aus, dass China schon 2024 bzw. 2025 die USA als größte Volkswirtschaft der Welt ablösen wird (Quelle: Worldbank, IWF; Auslaufen des "Masterplans China 2025"). Die Rangordnung ändert sich auf jeden Fall. Ende 2020 wird die Prognose für die Spitzenstellung Chinas beim BIP auf 2028 revidiert. Technologieentzug wird den Aufstieg Chinas sicher nicht wesentlich bremsen. Um das Überholen durch China zu verhindern oder hinauszuzögern müssten die USA und Europa das Humankapital ihrer Volkswirtschaften erheblich erhöhen. Die USA wollen nicht mehr Hüter der Weltordnung sein. China hat eher regionale Interessen. 2024 werden aber die Prognosen wieder pessimistischer (Führung vielleicht doch erst 2049, 100 Jahre VR, Vgl. Petring, J.: Der Zweikampf, in: WiWo 1/2 2024, 5.1.24, S. 40f.)  2019 gab es noch folgende Rangfolge beim BIP: USA 21,5 Billionen US-$; EU 15,6; China 14,3. 2030 wird mit folgender Rangfolge gerechnet: China 33,7; USA 30,5; EU 21,5. Quelle: Weltbank, CEBR. Im Jahre 1980, als die ökonomische Öffnung des Landes quasi begann, hatte China ein BIP von 0,2 Billionen US-$ (EU 3,3; USA 2,9).  Vgl. Daron Acemoglu/ James A. Robinson: Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut, Frankfurt 2021 (7. Auflage, erschienen in Deutsch 2014, Original in englisch 2012: Why Nations fail), S. 515ff.

Exkurs: Querdenker der Geschichtsschreibung in China:  Die Geschichtsschreibung ist in China Staatsmonopol. Deshalb ist Misstrauen immer geboten. Vgl. zu mehr Inhalt: Geschichte Chinas. Auch in China gibt es Querdenker, die gegen den Mainstream anrennen. Man könnte sie Revisionisten der Weltgeschichte nennen. Unklar ist, inwieweit sie im impliziten Auftrag der kommunistischen Führung handeln. Ihre Grundthese ist, dass der ganze Westen eine  missratene Kopie Chinas sei. Herausragende Vertreter sind Dong Bingsheng mit seinen Büchern "Fiktive antike griechische Geschichte" (2015) und "Fiktive Geschichte der westlichen Zivilisation"  (2017). Das alte Rom seien nur Geschichten. Noch weiter geht Xuanshi in seinem Buch "Die fiktive Geschichte der westlichen Kultur" (2017). Die modernen  und postmoderne Wissenschaft habe ihren Ursprung nicht in Europa, sondern in China (Menzius, 372 - 289 v. Chr.). Diese These baut Du Gangjian in seinem Buch "Der Ursprung der Zivilisation und die Welt der großen Harmonie" noch aus (2018). Man vermutet, dass sich der historische Verdacht gegen die These richtet, China habe nur vom Westen gelernt und erfolgreich kopiert. Auf der anderen Seite gab es auch Vertreter in China, die die 5000 jährige Geschichte anzweifelten und auf  2000 Jahre reduzierten (Gushi bian 1926). Die neue sonderbare Art der Geschichtsschreibung passt zum Symptom des erstarkten Selbstbewusstseins Chinas. Vgl. Siemons, Mark: Das historische Komplott, in:  FAZ Nr. 54, 5.3.2021, S. 9. China muss aber seine Geschichtsschreibung erneuern: Die maoistische Erzählung vom Kampf der Bauern und die Umzingelung der Reichen durch die Armen zieht nicht mehr. Weil die wohlhabende Mittelschicht (ca. 300 Mio., Städter) der Träger der ökonomischen Entwicklung, ist auch die Grundidee des Kommunismus löchrig geworden.

1. China als größter Markt der Welt für die wirtschaftliche Nachfrage (Importe aus dem Ausland): Die chinesische Schwäche belastet Deutschland. Für Deutschland steht China 2014 für die Exporte auf Rang vier gleichauf mit den Niederlanden, hinter Frankreich, den USA (im ersten Halbjahr 2015 Spitzenreiter) und Großbritannien. 2016 steigt China zum wichtigsten Handelspartner für Deutschland auf. Am wichtigsten ist China für die deutsche Automobilbranche (für 2015 wird die Absatzprognose zurückgeschraubt; zum Jahreswechsel 2016 bricht vor allem Porsche ein), dann folgen als Branchen Chemie (die BASF senkt im Oktober 2015 ihre Ziele und drosselt die Produktion) und Maschinenbau. Die 30 DAX-Unternehmen machen 2018 15% ihres Umsatzes in China, hauptsächlich mit rund 700 Tochtergesellschaften.  5.200 deutsche Unternehmen sind in China aktiv und haben 1,1 Mio. Arbeitsplätze geschaffen. In den letzten 20 Jahren (1998 - 2018) stiegen die deutschen Exporte nach China um 1500%. Im Jahr 2018 handelten Deutschland und China Waren im Wert von fast 200 Mrd. € (Quelle: Deutsche Handelskammer). Der Gesundheitssektor in China dürfte für die Zukunft eine große Chance sein (bei Fresenius schon 3% Umsatzanteil). Dabei ist auch zu bedenken, dass ausländische Firmen bei Schlüsselindustrien in China ausgeschlossen sind (Telekommunikation, Luftfahrt, Energie). Die deutsche Industrie spürt aber im Juli und August 2015 die nachlassende Nachfrage aus China, die sich insgesamt in einem Rückgang der Aufträge niederschlägt (die höchsten Umsatzanteile im Ausland haben Linde, Heidelberg Cement, Bayer und Adidas). Besser läuft das Geschäft für die deutsche Konsumgüterwirtschaft. Die Kauffreude haben die Chinesen nicht verloren. Davon profitiert z. B. Adidas (China mit 15% Umsatzanteil). Wichtiger noch ist die Nachfrage aus China für die USA, das gleichzeitig auch das größte Importland der Welt ist. Die aufstrebende Mittelschicht kauft zunehmend amerikanische Konsumgüter (Apple, Google).  Apple merkt 2015 und 2016 deutlich die abgekühlte Konjunktur in China (erstmals seit 13 Jahren Umsatzrückgang). Die Nachfrage der Mittelschicht muss weiter wachsen, damit die Exportabhängigkeit des Landes nachlässt. Besonders wichtig ist die Nachfrage aus China auch für einige asiatische "Tigerländer": Singapur (15,4% Anteil der Exporte nach China am BIP), Südkorea (9,7% Anteil der Chinaexporte am BIP), Malaysia (7,3%), Australien (4,8%). Selbst Japan hat einen Anteil der Chinaexporte am BIP von 2,5% (im Vergleich dazu Deutschland 2,0%). Nicht so wichtig ist der Handel mit China für Indien. Deshalb könnte Indien 2015 sogar ein Wachstum von 7,5% erzielen (Prognose IWF). Im September 2015 brechen die chinesischen Importe insgesamt um 20% ein. Die Schwellenländer sonst  schwächeln insgesamt (Brasilien, Russland, Mexiko, Indonesien, Türkei, Süd-Afrika; vgl. Schütte, C. u. a.: Die Neue Weltordnung, in: Capital 10/2015, S. 28ff.). Zum Glück exportiert die deutsche Wirtschaft nur rund 25% in die wichtigsten Schwellenländer (Abgrenzung und damit Messung schwierig). "17,3 Prozent des weltweiten BIPs entfallen auf die chinesische Volkswirtschaft", Stephen Roach, Wirtschaftsprofessor in Yale (2016 im Handelsblatt, 31.10.16, S. 56).

Für einzelne deutsche Firmen hat China allerdings eine sehr große Bedeutung: Bei VW hat China einen Umsatzanteil von 39,9% (2018; 2019 schon 42%). Bei Infineon sind es 34,2%. Es folgen Daimler (26,4%; 2019 über 30%), BMW (24,1%; 2019 gegen 30%), Covestro (21,7%), Adidas (17,9%), Continental (13,0%), BASF (11,3%), Merck (10,3%) und Siemens (9,8%). Alle Zahlen sind für 2018. Quelle: Handelsblatt Nr.13, 18./19./20. Januar 2019, S. 46. Heute schon hat China einen Anteil von 40% des Weltchemiemarktes. 2030 wachst der Anteil auf 50%, also soviel wie der Rest der Welt. Das sagt einiges über die Bedeutung des Landes für die großen deutschen Chemieunternehmen (BASF). Die Abhängigkeit bestimmter Branchen von China wächst. Das kann ein Problem werden, wenn man sich im Handelskrieg zwischen China und den USA für eine Seite entscheiden muss. Letztendlich bleibt dann nur eine Unternehmensteilung. Die Welt entwickelt sich 2022 Richtung Systemkonflikt (Russland und China auf einer Seite; der Westen mit der Führungsmacht USA auf der anderen Seite). Deutschland darf nicht zwischen die Fronten von Ost und West geraten.  2018 hatte ein Marketing-Mitarbeiter von Daimler auf Instagram eine Werbung von Daimler mit einem Dalai-Lama-Zitat geschmückt: "Betrachte die Situation von allen Seiten, und du wirst offener". Binnen Stunden tobte ein Shitstorm und die Volkszeitung erklärte Daimler zum Volksfeind. Dieter Zetsche musste sich entschuldigen.

Im September 2019 lagen die Importe Chinas 8% unter dem Vorjahresniveau. Die Importe Chinas aus dem Ausland hängen stark von  drei Faktoren ab, die relativ schlecht berechenbar sind: 1. Die Führung Chinas tut alles - auch unter Einsatz protektionistischer Methoden -, um Produktionsstätten (Direktinvestitionen) ins eigene Land zu bekommen (dadurch kann der Binnenkonsum und die Beschäftigung angehoben werden; der Binnenkonsum kann aber noch nicht die Rückgänge beim Export auffangen). 2. Abwertungen der eigenen Währung senken die Kaufkraft der Bevölkerung für importierte Güter.  3. Aufgrund großer Disparitäten zwischen Provinzen und großer sozialer Unterschiede in der Bevölkerung sind Prognosen zur Kaufkraft in China fast unmöglich (wir haben das mal in einem Projekt versucht). 2019 geht der Konsum in China etwas zurück, was auch nicht ohne Auswirkungen auf die Importe bleibt.  "Ich glaube, wir sollten ganz besonnen die Wellenbewegungen in China abwarten", Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender von Audi im September 2015. 

Exkurs 1: Die drei größten Handelsriesen der Welt im Vergleich: Die Anteile am globalen Bruttoinlandsprodukt 2018 in 1000 Mrd. Euro: USA 17, EU 15, China 10, Japan 4, Rest der Welt 24. China exportiert in die EU Waren im Werte von 394,6 Mrd. Dollar (2018). Von der EU importierte China Waren im Werte von 209,8 Mrd. Dollar (2018). Die USA importierten von der EU Waren für 407 Mrd. Dollar. Sie exportierten in die EU Waren für 268,1 Mrd. Dollar. China exportierte in die USA Waren für 539,7 Mrd. Dollar. China importierte für 120,1 Mrd. Dollar aus den USA. Quelle: U.S. Census, Eurostat.

Exkurs 2: Der chinesische Schweinemarkt als Beispiel (Indikator für globale Märkte). In China bricht ab 2018 die Afrikanische Schweinegrippe aus. Eine Ursache ist mangelndes Hygienewissen. Sie treibt viele chinesische Kleinbauern in den Ruin. Weltweit steigt der Schweinepreis (2020 über 2 € pro Kilo). Zu den großen Profiteuren gehören die deutschen Groß-Schlachter (z. B. Tönnies). Sie exportieren 2019 50% mehr Schweinefleisch nach China (387.000 Tonnen). Gleichzeitig investieren sie in China. China taut auch Fleischreserven auf. In China werden die Schweine oft in eigenen Hochhäusern gehalten. Im September 2020 erlässt China ein Importverbot für deutsche Schweine. Grund ist die Entdeckung der Schweinepest bei einem Wildschwein in Brandenburg. Der Schweinepreis in Deutschland fällt daraufhin drastisch. Auch die Schließung vieler Schlachthöfe wegen Corona drückt den Schweinepreis weiter. Die Schweinezüchter können ihre Produktionskosten bei Weitem nicht mehr decken. Am Stichtag 3. November 2021 liegt der Schweinebestand in Deutschland bei 23,6 Mio. Das ist das niedrigste Niveau seit dem Jahr 1996. Grund sind die zurückgehende Nachfrage (Konsum - Änderung) und der Schweinefleischpreis. Weltweit geht der Konsum an Schweinefleisch aber nach oben. Das liegt daran dass die Mittelschichten, denen es besser geht, endlich mehr Fleisch essen wollen. Das ist in China meistens ebenso wie in Südafrika zum Beispiel. In China vermehren sich dei Schweine nicht schnell genug. Deshalb werden sie nun von KI-Robotern geklont.

Exkurs 3: Bedeutung Chinas für den deutschen Außenhandel und die deutsche Wirtschaft: Im Jahre 2019 hatte China bei den deutschen Exporten einen Anteil von 7,23 %. Bei den Importen nach Deutschland betrug der Anteil aus China 9,95 %. Der chinesische Anteil an der gesamtwirtschaftlichen deutschen Wertschöpfung liegt bei 2,8% 2015 (EU 2,0; USA 1,2). An der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung Chinas hat Deutschland 2015 einen Anteil von 0,6% (USA 4,2%). Die Abhängigkeit Deutschlands von China ist also stärker als umgekehrt. China ist Deutschlands Geschäftspartner Nummer eins. Trotzdem braucht China auch Deutschland und die EU. Es braucht Zugang zu Technologie und Innovationen, es muss seine Produktivität verbessern. China selbst geht von "tianxia" aus, eine Art Angebot für einen weltpolitischen Masterplan. Ein "konfuzianisches Optimum" (Win-win für Handel, Frieden und Klima, Schicksalsgemeinschaft der Menschheit). Vgl. Becker, B. u. a.: Business as unusual, in: WiWo 32/ 31.7.2020, S. 15ff. Die Abhängigkeit der DAX-Konzerne von China ist groß. Die größten Umsatzanteile hat der chinesische Markt für: Infineon 62,6%; Merck 34,6%; Daimler 25,7%; BASF 25,4%; Continental 24,2%; Siemens 23,2%; Bayer 21,3%; Linde 20,4%; Adidas 19,8%; Volkswagen 19,3%.  China zwingt 2021 immer mehr Wertschöpfung ins Land. Der Fokus liegt nun auf Autarkie und nationaler Sicherheit. In jüngster Zeit nimmt die Bedeutung Chinas ab. Die Exporte aus Deutschland von 2018 bis 2022 sanken preisbereinigt um -7,5%. Im ersten Halbjahr 2023 betrug der Anteil Chinas nur noch 6,2% an den deutschen Exporten (2020 7,9%). Dafür gab es zwei Gründe: 1. Zunahme der Produktion deutscher Unternehmen in China. 2. Generelle Abnahme der chinesischen Importe. Quelle: IfW/ Kiel 2023.  "Es gibt besorgniserregende Anzeichen dafür, dass China sich zunehmend nach innen wendet", Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer 2021, Quelle: Pettring, Jörg u. a.: In der Falle, in:  WiWo 42, 15.10.21, S.14ff.

Exkurs. Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW, Alexander Sandkamp), Kiel, 2023: Vereinzelt bestehe eine große Abhängigkeit von China. Das gilt nur für einzelne Produkte (Rohstoffe, Elektronik, Laptops). Das könnte aber kurzfristig von den Importen her ersetzt werden. Bei den Vorleistungen sei die Abhängigkeit erfreulich gering (nur 0,6% der direkten Vorleistungen kommen aus China).

Exkurs. Studie von Bertelsmann Stiftung, IW, Merics und BDI 2023: Der chinesische Markt hat in den kommenden Jahren eine sinkende Bedeutung für deutsche Exporte. Zunehmend könnte die Produktion vor Ort ersetzen. Die zunehmende Systemrivalität erfordert eine neue China-Strategie. China sei 2022 als Investitions- und Produktionsstandort für deutsche Firmen zwar wichtiger geworden, es gebe aber keine volkswirtschaftliche Abhängigkeit von Direktinvestitionen (DI) in China (ca. 7% aller deutschen DI im Ausland). Es flossen jährlich Gewinne aus DI in China nach Deutschland in Höhe von 7 bis 11 Mrd. €.

Exkurs. Studie des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Wien (Wifo) 2023: Eine wirtschaftliche Entkopplung von China (Decoupling) würde Deutschland etwa 2% des Wachstums kosten (etwa -60 Mrd. €). Besonders groß wären die Einbußen in Norddeutschland und in den Großstädten. .

2020 ist China stolz die USA als Handelsnation überholt zu haben: 128 von 190 Ländern der Welt treiben mehr Handel mit China als mit der USA. Quelle: WTO. Auch als Zielland für ausländische Direktinvestitionen führt 2020 China: 212 Mrd. US-$, USA 177 Mrd. US-$. Die nächsten zehn Jahre (von 2021 an) wird China der am schnellsten wachsende Markt der Welt sein. Vgl. "Wir sind in der Klemme", Interview mit Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, in: Die Zeit Nr. 52, 16.12.21, S. 29. Für Deutschland liegt China bei den Importen an erster Stelle (Importe nach Deutschland, 142 Mrd. Euro 2021), bei den deutschen Exporte an zweiter Stelle hinter den USA (104 Mrd. € nach China).

Exkurs: 20 Jahre WTO-Beitritt 2021. Wandel durch Handel? 2020 hat China mit seinen Exporten einen Anteil von 3,5% am weltweiten Bruttoinlandsprodukt. Bei den Importen sind es 1,8%. China ist in dieser Zeit vom Hoffnungsträger (Wandel durch Handel) eher zum bösen Buben geworden. Der Unmut kommt vor allem aus den USA. Der US-Ökonom David Autor vom MIT spricht von einem "China-Schock". Die USA haben vor allem in den traditionellen Industriebranchen nach dem Beitritt Chinas 2,5 Mio. Jobs verloren. Auch die EU ist enttäuscht: Nach der Finanzkrise 2008 ließ der Reformeifer in China nach. Man erwartet auch keine große Öffnung für die Zukunft. Beklagt werden Subventionen chinesischer Unternehmen und Wettbewerbsverzerrungen. Zu den größten Problemen zähle der erzwungene Technologietransfer. Chinas Wirtschaft hat sich seit 2001 verzehnfacht und ist zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. 2028 könnte China die USA überholen. Das Beispiel Litauen, gegen das China einen Handelsboykott erließ wegen Taiwan, könnte auch andere EU-Staaten ereilen. Vgl. Heide, Dana/ Riecke, T.: Lauter enttäuschte Erwartungen, in: HB Nr. 240; 10./ 11./ 12. 12. 21, S. 15.

Exkurs: Handelsoffenheit. Der Zenit wird in China 2006 erreicht. Zu dem Zeitpunkt war China offener als die USA und fast so offen wie Deutschland. Danach hat sich das Land immer mehr abgeschottet. Die Frage ist, wie weit die Binnenmarktstrategie noch geht. Vgl. Our World in Data, Weltbank, OECD, BEA.

Exkurs. Wendepunkt: 1990 bricht der Warschauer Pakt zusammen und die Deutsche Einheit kommt. Die Globalisierung der Neuzeit explodiert noch mal. Das Pro-Kopf-BIP ist seit dem um das 30-Fache in China gestiegen. Es gab die letzten 40 Jahre Rekordwachstum. 2022 ist die Volksrepublik am Wendepunkt. Der Traum vom Aufstieg zur führenden ökonomischen Macht könnte platzen. Bricht das System zusammen, wenn es nicht mehr wächst? Darauf muss auch Deutschland reagieren. Vgl. Mühling, Jens/ Ziesemer, B.: Chinas neue Grenzen, in: Stern 2.2.23, S. 22ff.

Exkurs. Handelsmacht China: China hat sich bis 2022 als die Handelsmacht der Welt etabliert. Ohne China geht nichts mehr. Die folgenden Daten geben das Handelsvolumen Chinas mit Staaten in der Welt wieder nach der Rangfolge (in Mrd. US-$): EU 847; USA 760; Südkorea 362; Japan 357; Taiwan 320;  Hongkong 305; Vietnam 235; Malaysia 203; Australien 221; Russland 190; Brasilien 172; Indonesien 149; Indien 136; Thailand 135;  Singapur 115; GB 103; Kanada 96; Philippinen 88; Mexiko 61. Siehe Die Zeit 14/ 303.23, S. 26.

2. China als Konkurrent auf der Angebotsseite (Abwertung des Renminbi und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Exporte): Nach einer Prognose des Ifo-Instituts in München im September 2015 wird der Leistungsbilanzüberschuss 2015 in China bei einer Rekordhöhe liegen und erstmals  höher sein als in Deutschland mit 250 Mrd. Euro (aber im September 2015 sinken die Exporte um 3,7%). Im Januar 2016 brechen die Exporte im Vergleich zum Vorjahresmonat um 11,2% ein. Durch die dreimalige Abwertung des Yuan  im August 2015 sollten eigentlich die Exportchancen erhöht werden. Die Abwertung hängt auch mit einer Veränderung des Wechselkursregimes zusammen: Das tägliche Fixing orientiert sich stärker am Schlusskurs des Marktes vom Vortag (neue Bezugswerte). So wird die Dollarbindung immer mehr durch einen Währungskorb ersetzt (China Foreign Exchange Trade System). Außerdem verkauft die Zentralbank Dollar und Euro (Anleihen-Verkauf). Kurzfristig verbessern Abwertungen Wachstum und Beschäftigung, langfristig müssen "Leistungen" billiger getauscht werden (Wer verzichtet gern auf höhere Löhne?). Nach den Aktienstürzen ab 04.01.16 wird die Währung acht Tage hintereinander abgewertet (auf zuletzt 6,5032 Yuan zu einem Dollar). Am 08.01.16 erfolgt dann wieder eine Aufwertung. Die Regierung will den Kurs stabil halten. Im Februar 2016 macht die Notenbank Stützungskäufe mit dem Ziel, eine deutliche Abwertung des Yuan zu verhindern (Währungsreserven sinken um 99,5 Mrd. Dollar auf 3230 Milliarden Dollar). Der wichtigste Grund für die Abwertungstendenz sind Kapitalexporte chinesischer Unternehmen und Privatpersonen, die eine Abwertung ihrer Heimatwährung fürchten. Vielleicht kommen bald schärfere Kapitalverkehrskontrollen. Die Währung Chinas heißt eigentlich Renminbi, Yuan ist nur eine Zahlungseinheit und heißt "das Runde".  Durch die Abwertung sind die direkten Konkurrenten unter den Schwellenländern besonders betroffen: Indien, Brasilien und Russland. Chinesische Importe werden billiger, auch in den USA (die Export-Güter Chinas sind stark preiselastisch). Es könnte ein Abwertungswettlauf zumindest mit den südostasiatischen Nachbarländern drohen. Die chinesische Lohnexplosion (schneller als Produktivität; auch verursacht durch den Aufbau eines Sozialversicherungssystems) lässt die Preise aber nur bedingt sinken (Kostenvorteil liegt 2015 im Durchschnitt noch bei etwa 15%). Viele Staatsfirmen erreichen nur noch gute  Bilanzen durch versteckte Subventionen und  günstige Kredite von Staatsbanken. Das Verhältnis von Staat zu Markt muss generell neu geordnet werden. Die drei aktuellen, ökonomischen Hauptprobleme Chinas Überalterung (die 1-Kind-Politik der vergangenen Jahre belastet den Arbeitsmarkt, 2050 steigt der Anteil der über 60-jährigen an der Gesamtbevölkerung auf 34,5%), ungleiche Verteilung und steigende Lohnkosten (Produktionsstandort verteuert sich) können durch die Währungspolitik nicht gelöst werden. Gerade die Staatskonzerne kämpfen mit erheblichen Überkapazitäten.

Laut Beitrittsprotokoll zur WTO wird China normalerweise nach 15 Jahren zur Marktwirtschaft erklärt. Das wäre also 2016. Die USA und Kanada sträuben sich. Die EU prüft noch. Vom Status der Marktwirtschaft international hängt sehr stark die Exportkraft Chinas ab. Die Handelspartner weisen auf den sehr starken staatlichen Einfluss auf die Unternehmen hin. Sie bemängeln zügellose und intransparente Subventionspolitik. 2016 übernimmt China die G20-Präsidentschaft. Vielleicht kommt es dann zu einer Kehrtwende und einer handelspolitischen Liberalisierung. China versucht auch, handelspolitische Alternativen in Form von Wirtschaftsintegrationen aufzubauen (APEC, FTAAP). Die Dominanz des Landes in der weltweiten Produktion (Experten schätzen, dass 2019 ein Drittel der Industrieproduktion in China liegt, die Zahl ist umstritten) ist aber ein entscheidender Vorteil.

Massiv bemüht sich das Land auch um die Öffnung seines Devisenmarktes: Mit 39 Staaten in der Welt hat die Volksrepublik so genannte Swap-Abkommen.  Einmal gibt es seit einpaar Jahren Renminbi-Handelszentren (das europäische ist in Frankfurt; Clearingbanken). Zweitens gibt es seit dem 08.10.15 das internationale Zahlungsverkehrssystem "Cips". Das inländische Zahlungssystem "Cnaps" unterstützt nur chinesische Schriftzeichen und akzeptiert keine internationalen Überweisungen. Es ist auch nicht mit dem internationalen System "Swift" vereinbar. Cips soll Swift und Cnaps verbinden. Ab Dezember 2015 erklärt der IWF den Renminbi zur Welt-Reservewährung.

Bitcoin - Schürfer und China: Große Server, die man für Bitcoin benötigt,  werden dort aufgestellt, wo die Strompreise günstig und die Behördenkontrollen lax sind. Das war bisher am Fuße des Himalayas der Fall (Provinzen Guizhou, Innere Mongolei, Xinjiang, Sichuan/ 10%). Man spricht von Bitcoin - Farmen.  Sie waren der Regierung in China immer ein Dorn im Auge: Sie stören die staatliche Finanzordnung und die staatliche Digitalwährung. Die Regierung gibt im Sommer 2021 ein zeitliches Ablaufdatum. Das treibt den Kurs des Bitcoin kurzfristig in den Keller, langfristig könnte es aber stabilisierend sein. Sie ist aber vorsichtig, weil sie die Wut der eigenen Bürger befürchtet, die mit Bitcoin Geld verdienen. Das Bitcoiun -Netzwerk wird zu 65% von chinesischen Surfern betrieben. Vgl. auch: Xifan Yang: Die Angst der Schürfer, in: Die Zeit Nr. 26, 24. juni 2021, S. 24.

3. China als Nachfrager und Anbieter auf den Rohstoffmärkten und Investor (mit Direktinvestitionen der Unternehmen): Bei lahmender Konjunktur braucht China weniger Rohstoffe. Davon sind stark Nigeria (Öl) und Südafrika in Afrika (Eisenerz), Venezuela, Chile (Kupfer), Peru (Silber) und Brasilien in Südamerika betroffen. Die abnehmende Nachfrage nach Rohöl dürfte zusammen mit dem hohen Angebot aus Saudi-Arabien und dem Iran den Ölpreis länger stabil halten bzw. zum Fallen bringen. 2016 könnte es wieder erste Anstiege des Ölpreises geben, weil die US-Ölindustrie schwächelt. Die Stahl-Konzerne aus dem Reich der Mitte drücken ihre gewaltigen Überkapazitäten auf den Weltmarkt (keine Produktionsvorteile, einige Länder erwägen Anti-Dumping-Strafzölle). Die Preise einiger Sorten geraten unter Druck. Überkapazitäten gibt es auch bei Zement und anderen Grundstoffen (teilweise hängen die Überkapazitäten auch mit staatlichen Konjunkturprogrammen nach der großen Krise 2009 zusammen). Landwirtschaftliche Importe stammen in immer höherem Maße aus eigenen Agrarinvestitionen im Ausland ("Strategic Cropping Land": Z. B. in Äthiopien, Brasilien, Indonesien). Dort werden mittlerweile die früheren Eigentümer diskriminiert und ausgebeutet. China lässt insgesamt die Preise auf den Weltmärkten verrückt spielen: Das gilt einmal für den Ölpreis (das Land ist der weltgrößte Importeur). Das gilt auch für den Kohlepreis (2008 bis 2013 Verdreifachung der Importe). Auch der Zementpreis wird stark von China beeinflusst (in drei Jahren mehr Zement verbraucht als die USA im 20. Jahrhundert). Die Baubranche ist 2014 für fast ein Drittel des BIP verantwortlich. Der Eisenerzpreis befindet sich in einem Siebenjahrestief.

China ist bei Seltenen Erden der wichtigste Anbieter. 2019 setzt China Seltene Erden im Handelsstreit mit den USA ein: Etwa 70% der Seltenen Erden, die 2019 in der Produktion eingesetzt werden, kommen aus China. Das Land erwägt einen Exportstopp bzw. eine Reduktion. 80% der exportierten Mengen gehen in die USA. Außerdem beherrschen mittlerweile chinesische Firmen den Abbau im Kongo (Kobalt). Der Kongo verfügt über die höchsten Reserven (60%; dreimal mehr als Australien, das weltweit an zweiter Stelle liegt). Sie sind auch am Abbau in Australien beteiligt. Yttrium, Dysprosium, Terbium: Besonders wichtige seltene Erden. Sie spielen im gesamten Bereich der Magnet- und Batterieherstellung bis zu den Laptops eine wichtige Rolle. 80% der weltweiten Förderung lag 2016 in China.  In den Salzseen Boliviens lagern riesige Mengen. Lithium: Es gibt auch hohe Vorkommen in Chile und Argentinien. Weitere Minen gibt es in Australien. Chinesische Batterie- und Autohersteller sichern sich langfristige Lieferverträge und Joint Ventures mit den Minen. China beherrscht mittlerweile so auch den Lithium-Markt (China kontrolliert 60%; Förderung von 95.000 2018). China hat sich zu einer Supermacht der Rohstoffe entwickelt, was die digitale Wirtschaft der Zukunft angeht. 2020 steigt der Marktanteil bei Seltenen Erden sogar noch auf 89%. Besonders hoch sind dei Anteile  auch bei Gallium (82%, brauch man für Dünnschicht - Voltaik) und bei Germanium (72%, Glasfaserkabel, Optik). Bei wolram hat China einen Anteil von 81%, bei Grafit 70%. Quelle: Deutsche Rohstoffagentur. Das könnte das Wachstumspotential der Welt und auch den "Green Deal" der EU gefährden.

2021 nach der Corona-Krise zeigt sich, welch große Bedeutung China mittlerweile für die Rohstoffversorgung der Welt hat. Es herrscht zum einen Magnesiummangel. China muss seine Produktion runter fahren, weil die Energieversorgung der Bevölkerung vorgeht. Kohlekraftwerke haben Probleme, weil der Kohlepreis staatlich festgelegt ist. Also muss Strom abgeschaltet werden. 87% des Rohstoffes kommen 2021 aus China. Das kann auch die deutsche Industrie behindern. Magnesium braucht man zum anderen auch für die Herstellung von Aluminium. Auch hier ist China 2021 der Hauptlieferant. Bis Oktober 2021 ist der Preis schon um 60% gestiegen. Es gibt erhebliche Produktionsausfälle in aller Welt (Autos, Fahrräder u. a.). Die hohen Rohstoffpreise 2021 machen aber auch der eigenen Volkswirtschaft zu schaffen. Chinas Wachstumsmotor stottert deshalb. Vom zweiten auf das dritte Quartal wuchs die Wirtschaft in China mit einem Plus von 0,2% kaum.

Die Rohstoffmärkte waren in den vergangenen zwei Jahren durch Produktionsausfälle, unterbrochene Lieferketten, hohe Frachtraten und drastisch gestiegene Rohstoffpreise gekennzeichnet. Bei der Analyse der Preistreiber fällt auf, dass bestimmte Akteure eine besondere Rolle bei der Entwicklung der Rohstoffpreise spielten. Die dominierende Rolle fällt dabei China zu. So wurden die internationalen Lieferketten insbesondere durch Lockdown-Maßnahmen und Hafenschließungen in China nachhaltig gestört, was zu anhaltenden Versorgungsengpässen auf den Märkten für Industriemetalle führte. Die Industriemetallnachfrage wurde durch die rasante Erholung der chinesischen Wirtschaft schon frühzeitig gesteigert. So stiegen bereits im Frühjahr 2020 die Preise für Industriemetalle stark an, obwohl sich die westlichen Industriestaaten noch in einer Rezession befanden. China hat 2021 weltweit die höchsten Anteile sowohl bei der Produktion als auch beim Verbrauch von Metalle. Im einzelnen sieht das wie folgt aus (P: Produktion raffiniert; V: Verbrauch raffiniert): Aluminium P 55%, V 56%; Kupfer P 40%, V 53%; Blei P 48%, V 45%; Nickel P 35%, V 55%; Zinn P 50%, V 48%; Zink P 35%, V 48%. Vgl. Wellenreuther, Claudia: Chinas Rolle auf den Industriemetallmärkten, in: Wirtschaftsdienst Heft 2/ 2022, s. 151-152. World Bank Group: Commodity Markets Outlook: Causes and Consequences of Metal Price Shocks, April 2021.

Die ungeheure Höhe der Investitionen wird China nicht mehr aufrechterhalten können (1980 bis 2010  50% der Wirtschaftsleistung; Entwicklung erklärbar mit dem Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag). Der Gewinn in der chinesischen Industrie bricht im August 2015 um 8,8% ein (Statistikbüro, Peking; stärkste Abwärtsbewegung seit Datenerhebung ab 2011). Der Einkaufsindex für September 2015 ist auf 47 Punkte gefallen. Für den Wandel von der Schwerindustrie zur High-Techindustrie sind aber weiterhin hohe Investitionen erforderlich.

Die chinesischen Staatsunternehmen haben sehr hohe Schulden. In der Vergangenheit, vor allem nach der Finanzkrise 2008, wurden exzessiv Kredite vergeben (aus einem staatlichen Konjunkturpaket, 400 Mrd. €). Die Unternehmen investierten gerne in unrentable Infrastrukturprojekte. Die Schulden sollen in Höhe von 240 % des BIP liegen. Die Firmen können jetzt die Schulden nicht mehr zurück zahlen. Bei den Banken türmen sich Schulden und Risiken. Nach außen dringt dies bei Sinosteel, eines der größten Stahlunternehmen der Welt. Am höchsten verschuldet ist China Railway (173 Mrd. €; Zinsen für Anleihen können nicht mehr aus dem erwirtschafteten Geld bezahlt werden). Auch Petrochina und State Grid China sind hoch verschuldet. Rund ein Fünftel aller börsennotierten staatlichen Unternehmen sollen Minus machen (Ausgleich durch Schulden). In den ersten drei Quartalen 2015 nahmen zehn Staatsunternehmen zwei Milliarden Euro an neuen Krediten auf (die Schuldenquote bei staatlichen Unternehmen ist doppelt so hoch wie bei privaten).  Einige Unternehmen kaufen im Ausland zu, am bekanntesten ist das Beispiel Chem China, das 2016 Kraus Maffei in München für 925 Mio. Euro kauft. KMU haben dagegen Probleme, von Banken Geld zu bekommen. Es gibt keine Schufa, so dass jeder seine Kreditwürdigkeit selbst nachweisen muss. Online-Kreditportale stoßen gezielt in diese Lücke. Aufgrund der strengen Kapitalverkehrskontrollen landen die im Export erzielten Devisen immer noch nicht auf den eigenen Konten der Firmen, sondern bei der Zentralbank. Die nimmt dann den Tausch in Renminbi vor zu einem festgelegten Wert.  Die Firmenschulden fallen insgesamt mit 163% der Wirtschaftsleistung höher als in der Eurozone (103%) und in den USA (73%) aus.

Aber nicht nur Unternehmen, sondern auch die anderen Institutionen sind relativ hoch verschuldet: Privathaushalte (38% des BIP), Finanzinstitute (125% des BIP), Staat (55% des BIP).

Strategie bei den Direktinvestitionen: Das Münchener Ifo-Institut hat die Direktinvestitionen empirisch analysiert (2019). Sie untersuchten mehr als 70.000 Firmenkäufe in 92 Ländern von 2002 bis 2018.  Bei 1900 Übernahmen kamen die Käufer aus China. In 171 Fällen wurden deutsche Unternehmen übernommen. Die chinesischen Investoren werden nicht per se mit Staatsgeldern unterstützt. So können sie auch nicht jeden Wettbewerber überbieten. Sie konzentrieren sich auf Firmen, die sie billig kaufen können (nicht so rentabel, die Verschuldungsquote bei den Übernahmefirmen  liegt mit 6,5% über dem Durchschnitt). Die durchschnittliche Profitabilität der Zielunternehmen war gering. Die Größe lag meist über dem Durchschnitt. Es werden von Seiten der chinesischen Staatsunternehmen Unternehmen aus der Rohstoffgewinnungs- und der Agrarbranche bevorzugt. Private Unternehmen präferieren Elektro-, Maschinenbau- und Fahrzeugindustriefirmen. Damit scheint China einen langfristigen Plan zu haben, der zum "Neuen Seidenstraßenprojekt" und zu "Made in China 2025" passt. Nach der Corona-Pandemie steigen 2021 wieder die Beteiligungen bzw. Käufe chinesischer Unternehmen an europäischen Unternehmen: 2020 132; 2021 155. In Deutschland gab es 2021 35 Einkäufe von Chinesen in deutsche Unternehmen. Quelle: Studie von EY, März 2022.

China liegt ganz hinten beim FDI Restrictiveness Index der OECD (Stand 2017; 0=offen, 1=geschlossen).  China hat einen Wert von 0,317. Ganz vorne liegen Deutschland (0,023) und Großbritannien (0,040). Dahinter Frankreich, Japan, USA, Russland, Indien, China. 2021 könnte die Handelsgroßmacht aggressiver werden. Mit der EU kann ein Investitionsabkommen geschlossen werden (liegt dann auf Eis). Die USA brechen ein. Metallische Substanzen, bei denen China Champion ist, werden immer wichtiger. Drei Viertel aller Produktionskapazitäten für Lithium-Ionen-Batterien kontrolliert China. Bei Gas wird China zum Teil in die Lücke springen, die Deutschland hinterlässt (Wirtschaftssanktionen wegen des Angriffskriegs von Putin). Bis 2030 sollen 600 Gigawatt an neuen Fotovoltaikkraftwerken in der EU ans Netz gehen. Das schafft eine Energieabhängigkeit von China. Dessen Solarindustrie beherrscht fast alle Fertigungsschritte, fast 80% des Weltmarktes. Fast die Hälfte des wichtigen Solarzellenrohstoffs Polysilizium kommt aus der chinesischen Region Xinjiang (die EU hat hier Handelsrestriktionen wegen Menschenrechtsverletzungen). Vgl. WiWo 30/ 22.7.22, S. 8.

Besonders in einigen Branchen und Wertschöpfungsprozessen ist die Abhängigkeit der EU von China groß: Elektromotoren (65%), Windturbinen (54%), Fotovoltaik (53%). Vgl. Lau, Jörg u. a.: An der goldenen Kette, in: Die Zeit Nr. 33, 11. August 2022, S. 21.

Exportbeschränkungen von Rohstoffen 2023: Das eigentliche Ziel sind die USA. Doch auch Europa wird getroffen. Das Handelsministerium in Peking kündigt ab August 2023 die Ausfuhr von Gallium- und Germanium-Produkten zu beschränken. Zukünftig müssen Unternehmen entsprechende Lizenzen beantragen. Es scheint eine Gegenreaktion auf den Ausschluss bei komplexen Computerchips bei den USA, Taiwan und Süd-Korea zu sein. Bei Gallium beträgt der chinesische Anteil am Weltmarkt 90%, bei Germanium 80%.

Resümee:  China fährt energietechnisch mehrgleisig. Das ist konträr zu der Strategie in Deutschland. Man baut massiv die erneuerbaren Energien aus (Strom, Wind). Man passt sie ideal der Umgebung an (Solarenergie Wüste Gobi; Windenergie Himalaja). Dennoch setzt das Reich der Mitte weiterhin auf Kohle, Atomkraft und Gas. Die Gelegenheit des Ukraine-Krieges (westliche Sanktionen) wird genutzt, um fossile Energie billig aus Russland zu importieren. Bei grüner Energie bzw. Rohstoffen ist China in vielen Bereichen weltweit an der Spitze (Seltene Erden, Raffinierung Seltener Erden, Fertigung von Solarpanelen, Kobalt-Raffinierung, Grafit, Fertigung von Batteriebauteilen, Polysilizium).

4. Globale Relevanz der Umwelt- und Energiepolitik Chinas (für den Klimawandel): China (und auch die USA sowie Japan) werden wahrscheinlich beim Nachfolgeprotokoll von Kyoto in Paris dabei sein. Das ist die wichtigste Determinante. Durch den hohen Kohleanteil der Kraftwerke beeinflusst das Land das Weltklima durch den CO2-Ausstoß (höchste CO2-Emissionen der Welt, 27% an den Weltemissionen/ 2018; pro Kopf allerdings USA)  negativ. China und die USA haben zusammen fast 50% der Kohlendioxid-Emissionen. Die starke Nachfrage nach Öl beeinflusst den Preis. Bei der Atomkraft hat China ehrgeizige Zukunftspläne und sorgt somit für die weitere Verbreitung neuer Atomkraftwerke in aller Welt. Durch ein Green-GDP und konkrete Pläne für die starke Ausbreitung alternativer Energien versucht China, auch hier Vorreiter zu sein (zu konkreten Daten vgl. die Seite "Ostasien/ Makroökonomische Grunddaten" oder einen Vortrag von mir zum gleichen Thema: Energiepolitik). Wirtschaftskrisen in China verlangsamen voraussichtlich die Energiewende. Umweltverschmutzung und Energieverbrauch gehen dadurch aber zurück. Im Oktober 2015 lässt die chinesische Regierung die umweltbedingten Produktionseinschränkungen fallen. Im Großraum Peking verschlechtert sich die Luft schlagartig. Das wird Anfang Dezember 2015 so schlimm, dass wieder ca. 2000 Firmen ihre Produktion zurückfahren müssen und Autobahnen gesperrt werden (Smog-Alarm; Feinstaub 20x höher als Norm; Ursachen: Wetterlage, CO2 in Peking, Kohlekraftwerke im Süden Pekings). Der Smog-Alarm wiederholt sich mehrmals. Die chinesische Hauptstadt plant eine "Stau-Abgabe" (5,6 Mio. Fahrzeuge sind registriert). Die chinesische Regierung will Autos mit kleineren Motoren fördern. Im Jahre 2016 sollen allein 2500 Firmen geschlossen werden (KMU: Hotels, Werkstätten, Restaurants; evtl. nur Vorwand für Stadtplanungsmaßnahmen; 2017 sollen weitere folgen). Außerdem will China 4300 kleine Kohlebergwerke schließen (ab 2016 in drei Jahren). Ende 2015 waren 11.000 Kohlebergwerke in Betrieb.

Hochleistungsmagnete: China produziert über 95% aller Hochleistungsmagnete. Bayan Obo in der Inneren Mongolei ist die größte Seltenen Erden-Mine der Welt. Der Hochleistungsindustrie in den führenden Industriestaaten fehlen die notwenigen Rohstoffe. Man braucht diese Magnete für Elektroautos und Windkraftanlagen. Platz zwei und drei haben die USA und Australien. Man hofft in Europa auf Recycling.

Auf dem Weltklimagipfel in Paris im Dezember 2015 übernimmt China eine wichtige Funktion. Einmal aufgrund seiner Führungsrolle beim CO2-Ausstoß. Zum anderen als Vorbild für viele andere Länder, vor allem Entwicklungsländer. Indien folgt in der Regel immer der Position Chinas. China lehnt den ersten Entwurf eines Klimavertrags ab (wegen "High Ambition Coalition", Finanzierung, Dekarbonisierung, Kontrolle). Die Türkei passt sich der chinesischen Position an, und verweist auf eine Sonderrolle aufgrund des wirtschaftlichen Rückstandes. China setzt auf eine spätere zeitliche Ausdehnung (Kohlekraftwerke u. a.) und stimmt dem Vertrag schließlich zu (Absichtserklärungen überwiegen; Sanktionen und Kontrollen sind sowieso unzureichend).  Auch nach dem Ausstieg der USA unter Trump will China im Abkommen bleiben. Das dürfte aber nicht einfach werden, weil die USA mit der Begründung ausgestiegen sind, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Am 18.4.21 treffen sich eine chinesische (Leiter Xie Zhenhua) und eine US-amerikanische Delegation in Shanghai. Man beschließt und trifft eine Vereinbarung, dass beide Länder bei der Klima- und Umweltpolitik kooperieren wollen. Sie sind die beiden größten CO2-Emitenten dieser Welt. In fast allen anderen Politikbereichen hat sich seit dem Amtsantritt von Biden das Verhältnis beider Länder eher abgekühlt bzw. ist eher konfliktträchtig. Die US-Delegation wird vom Klimabeauftragten der USA John Kerry geleitet. Beide Länder bereiten sich damit auf die virtuelle Klimakonferenz vor, die 2021 von den USA ausgerichtet wird (Vorbereitung). Im November 2021 soll in Glasgow/ Schottland dann die nächste reale Weltklima-Konferenz stattfinden. 

2019 übersteigt Chinas jährlicher Ausstoß von Treibhausgasen erstmals dei Emissionen aller entwickelten Länder zusammen. Nach einer Schätzung hat China 2019 27% aller Emissionen an CO2-Äquivalenten ausgestoßen (USA 11%). Pro Kopf lagen Chinas Emissionen bei 10,1 Tonnen (OECD-Durchschnitt 10,5; USA 17,6 t). Quelle: Rhodium Group, Denkfabrik USA. Deshalb sollte man die Zahlen mit Vorsicht gebrauchen.

Klimawandel und besondere Verantwortung Chinas: China und die USA sind die größten Produzenten von schädlichen Klimagasen. China führt beim Ausstoß von CO2 insgesamt. Die USA liegen beim Pro - Kopf - Ausstoß vorne. Insofern spielen die beiden größten Volkswirtschaften der Welt auch eine besondere Rolle beim Kampf gegen die globale Erderwärmung. Beide Länder haben das Klimaabkommen von Paris mittlerweile unterschrieben (die USA mit Verzögerung nach der Ära Trump). China versucht, die USA unter Druck zu setzen. Der Klimabeauftragte der USA Kerry hält sich im September 2021 schon zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten in China auf. Chinas Forderung: Die amerikanische Seite solle aufhören, China als Bedrohung und Rivalen abzustempeln. Das heißt, die Chinesen fahren eine Strategie, in der sie Wirtschaft/ Handel und Umwelt verknüpfen wollen.

Im Oktober 2021 ordnet die Nationale Energiekommission eine Liberalisierung des Kohlemarktes an. Kohle wird im Land knapp. Es soll wieder mehr Strom in Kohlekraftwerken hergestellt werden. Hinderlich dafür ist die staatliche Festlegung des Kohlepreises. Der Strom muss schon in vielen Regionen für einige Tage abgestellt werden. Damit wird aber das Erreichen der Klimaziele schwieriger. Xi Jinping will nicht persönlich bei der Weltklimakonferenz in Glasgow dabei sein. Das sorgt für Verwunderung und regt zur Interpretation an. China ist für ca. 27% des weltweiten CO2-Austoßes verantwortlich (zusammen mit USA 40%). Es kommt sogar in vielen Regionen zur weiteren Abschaltung von Strom. Betroffen sind besonders energieintensive Bereiche: Stahl-, Aluminium-, Glas-, Zementindustrie. Vgl. auch: Gern, Klaus-Jürgen/ Reents, Jan: Konjunktur in China unter Druck, in: Wirtschaftsdienst Heft1/ 2022, S. 67-68.

Erst einmal dürfte auch nach der Weltklimakonferenz 21 in Glasgow der CO2-Ausstoß in China noch steigen. Das Land unternimmt aber gewaltige Gegenmaßnahmen, die mittelfristig wirken dürften: 1. Riesige Investitionssummen in Energiewende (im Pandemiejahr 20 mehr Windkraftanlagen als der Rest der Welt gebaut). 2. Wende von Verbrennungsmotoren zu E-Autos. 3. Schadstoffneutralität bis 2030. 4. Höhepunkt von CO2-Ausstoß 2030. 5. 2021 Einführung von nationalem Emissionsmarkt. 6. Keine Kohlekraftwerke mehr im Ausland. 7. Klimaneutralität bis 2060  (nationales Papier dazu Ende Oktober 21, erst Technologien zum Senken perfektionieren). Vgl. Rheinpfalz 3.11.21, S. 2.  Auf der Konferenz in Glasgow macht China in einer Initiative mit: Bei der Rettung der Wälder. Bei der Methan-Initiative ist man nicht dabei. Xi Jinping nimmt nicht an der Konferenz teil. Die Klimapolitik Chinas ist in die Wirtschaftsstrategie der KPCh eingebettet (schlechte Luft in den Städten im Winter verbessern, nicht von Energieimporten aus dem Ausland abhängig werden,  Exportmodell durch Binnenmarktmodell ersetzen, auf jeden Fall politische Stabilität wahren). Vg. Ankenbrand, Hendrik: China am Pranger, in: FAZ Nr. 260, 8.11.21, S. 1. Im Abschlussdokument der Konferenz schwächen Indien und China den Ausstieg aus der Kohle ab.

China ist faktisch der Hauptverantwortliche bei der Klimarettung. Das Land erzeugt 2021 ein Drittel aller anthropogenen Treibhausgase. Also wird in Peking über die Zukunft des Weltklimas entschieden. Vgl. Christian Geinitz: Die Grenzen von Glasgow, in: FAZ Nr. 266, 15.11.21, S. 17. Russland wird in Anbetracht der Sanktionen des Westens (EU, USA, G7) gegen das Land versuchen, in China einen Abnehmer für seine Gasexporte zu finden. Aber China wird auch Russland sicher seine Marktmacht spüren lassen. China hat 2022 einen Anteil von 30,6% an den weltweitem CO2-Emissionen vor USA (13,5%), Indien (7,0%), Russland (4,5%) und Japan (3,0%). 2022 kommt es nach Lockdowns, Immobilienkrise zu einer Hitze bedingten Energieknappheit. Weil der Jangtse so wenig Wasser führt, können die Wasserkraftwerke nicht arbeiten. Besonders betroffen ist dei Provinz Sichuan. Fast 55% der Energie kommen 2021 in China noch aus Kohle, 19,4% Erdöl, 8,6% Erdgas, 2,3% Kernenergie. Die erneuerbaren bringen 15,0%. Vgl. Gusbeth, Sabine: Gefährlicher Abgrund, in: HB Nr. 165,/ 26., 27., 28. August 2022, S. 14f.

UN - Biodiversitätskonferenz (COP15) in Montreal/ Kanada im Dezember 2022: Die Konferenz findet ab 7. Dezember 2022 statt. Es nehmen fast 200 Länder teil. Die Konferenz findet nur in Kanada statt, weil es in China wegen Covid nicht ging. China hatte aber den Vorsitz. Thema ist die biologische Vielfalt. Die EU will sich für den weltweiten Schutz von mindestens 30 Prozent aller Land- und Meeresflächen einsetzen (das wird auch durchgesetzt). Das soll zu den Zielen bis 2030 der UN hinzugefügt werden. Man will das Sterben von Lebewesen und Ökosystemen (Massensterben, globale Ökokrise) aufhalten. Berühmte und bedrohte Ökosysteme sind der peruanische Regenwald und die Galapagos-Inseln. Es werden über20 Ziele verhandelt.  Vgl. Habekuss, Fritz: Ode an die Fliege, in: Die Zeit 51/ 8.12.22, S. 1. Am 19.12.22 endet die Konferenz. Sie hat viel guten Willen gezeigt, es fehlen Finanzen (ärmere Länder bis 2025 20 Mrd. $; bis 2030 30 Mrd. $).  Deutschland war Vorreiter, die USA waren kaum vertreten. starke Kritik kam vom Kongo und von Uganda.112.000 Tierarten sind weltweit gefährdet, 32.000 stehen unmittelbar vor dem aussterben. Drei Viertel aller weltweiter Naturgebiete sind aus dem Gleichgewicht. Die Hälfte aller Korallenriffe abgestorben.

Exkurs. Monopolisierung der Solarstrommodule durch China: Solarstrommodule aus China dominieren den Weltmarkt. Die Preise liegen inzwischen unter den Herstellungskosten. Auf diese Weise konnten chinesische Unternehmen ihren Marktanteil auf 80% erhöhen. Sie beherrschen 87% des Weltmarktes. . Sie wurden stark von den staatlichen Banken unterstützt. Dies trifft insbesondere deutsche Firmen, die reihenweise Pleite gehen (z. B. Qcells, aber auch wegen der sinkenden Förderung in Deutschland, Conergy, Solar Millenium). Ca. 30.000 Jobs gingen 2012 verloren. Die EU-Kartellbehörde eröffnet im Herbst 2012 ein Verfahren gegen die chinesische Solarindustrie, wegen Dumping-Preisen. Die EU und China verhandeln. Ziel dürfte es sein, einen Mindestpreis für chinesische Module zu finden. Ende Jlui 2013 einigt man sich auf einen Kompromiss. Damit ist das Problem aber nicht vom Tisch. Es besteht darin, dass China die Produktion und die EU die Nachfrage subventioniert. 2023 rächt sich die Abhängigkeit der Branche von China. Peking droht implizit mit Exportbeschränkungen. Das ist eine neue Stufe im geopolitischen Kräftemessen und eine akute Gefahr für die deutsche Energiewende. Chinas Weltmarktanteil sieht wie folgt aus: Module 74,7%, Zellen 85,1%, Wafer 96,8%. Vgl. auch: Giesen, Christoph/ Hecking, Claus: Sonnenfinsternis, in: Der Spiegel 8/ 18.2.23, S. 62f. Von den 10 größten Herstellern von Solarzellen haben 7 ihren Sitz in China. Vgl. WiWo 10/ 1.3.24, S. 10.  Concentrated Solar Power CSP): Solarstrom hat eine Schwäche. Er ist nicht verfügbar, wenn die Sonne nicht scheint. Die CSP - Technologie soll dieses Problem lösen. Weltweit gibt es schon Anlagen (China, USA, Europa, Südafrika). China ist weltweit führend und verfolgt ambitionierte Pläne. Es gibt zwei Verfahrensweisen: 1. Solarturm mit Receiver und Heliostaten. 2. Parabolrinnen: Reflektoren mit Absorberröhren. Vgl. HB 13.2.24, S. 28f.

Resümee: China wird 2023 immer mehr zum entscheidenden Land in der Klimapolitik. Einerseits stehen viele Länder bei China in der Kreide. Bei der Entschuldung ist das Land bisher sehr zurückhaltend. Chinas Emissionen selbst sind gewaltig, inzwischen auch historisch betrachtet. Sie haben großen Wohlstand aufgebaut, aber auch große Verantwortung. Peking müsste zukünftig in multilaterale Fonds einzahlen. Es müsst sich also auch um Klimafinanzierung kümmern. Vgl. auch Jennifer Morgan, Staatssekretärin für Klima - Außenpolitik, in: FAZ 29.3.23, S. 18. Im Juli 2023 reist Klima-Diplomat Kerry nach Peking. Er soll für einen Neustart beim Klimaschutz sorgen. Die weltgrößten Verursacher von Treibhausgasen müssen sich bewegen.

Exkurs. Chinesische Hochseefischerei: Man nennt sie auch "Schattenflotte". 2023 werden katastrophale Zustände aufgedeckt. Man entdeckt Sklavenhalterschiffe und Zwangsarbeitsbetriebe. Das ist durchaus relevant, weil deren Fang auch in deutschen Supermärkten landet. Das Outlaw Ocean Project deckt dies auf (Kooperation mit US-Küstenwache). Vgl. Rohwetter, Marcus: In der Tinte, in: Die Zeit Nr. 47/ 9.11.23, S. 26. Die Flotte bzw. Teile von ihr haben auch eine gewisse militärische Bedeutung. China setzt sie, insbesondere im südchinesischen Meer, auch für paramilitärische Zwecke ein. Sie sind gut bewaffnet, arbeiten außerdem mit Laser und Sonar. Sie rammen Forschungsschiffe, andere Fischerboote und sorgen für Unruhe.

Exkurs. Atomkraft: 2014 schloss GB ein Abkommen mit China zum Bau eines Atomkraftwerkes. Doch fertig ist Hinkley Point C 2024 immer noch nicht. Der französische Betreiber EDF räumt ein, das statt 24 Mrd. Pfund, nicht 32 Mrd. Pfund, oder 46 Mrd. Pfund, sondern 2024 54 Mrd. Pfund veranschlagt sind. Spannungen zwischen der britischen Regierung und dem chinesischen Staatskonzern CGN verzögerten das Projekt wohl bis 2031, wenn es je fertig wird. Der britische Staat springt nicht ein, sondern kritisiert China wegen Hongkong und der Ukraine.

Exkurs. Öko-Dumping von China:  Nickel wird für chinesische E-Auto-Batterien gebraucht. Sie sind technologisch führend und konkurrenzlos billig. Das Problem: Was Kunden sparen, bezahlen Arbeiter und Umwelt in Indonesien. Indonesien steigert den Nickelabbau seit Jahren (2022  1.600.000 Tonnen). Damit liegt Indonesien an der Spitze vor Australien, Brasilien und Russland. 77% der indonesischen Minen sind in der Hand Chinas. Allein 14 Mrd. US$ hat China in Schmelzhütten in Morowali investiert. Es entstehen riesige Mülldeponien. Die Abwässer färben die Flüsse und das Meer rotbraun. Fischerei und Muskatanbau werden ruiniert. Die Gehälter sind extrem niedrig. Vgl. Mattheis, P.: Schürfwunden, in: Wiwo 6/ 2.2.24, S. 58ff.

Exkurs. Bohranlage Shenditake 1: Sie liegt in der Taklamakan-Wüste im Tarim-Becken. Dort stellt China einen Rekord auf. Die Bohranlage hat sich bis in eine Tiefe von 10.000 Metern vorgearbeitet. am Ende sollen es 11.100 werden.  Mit der Bohrung wird der Untergrund erforscht, aber auch Öl- und Gasvorkommen sollen erschlossen werden. Dei Arbeitsbedingungen sind nicht angenehm: Tagsüber kann es bis zu 60 Grad Celsius heiß werden, nachts auf minus 10 Grad abkühlen. Vgl. Der Spiegel 11/ 9.3.24, S. 90.

5. Finanzmärkte in China und Auswirkungen: Die Finanzmärkte in China sind noch reguliert und fehlgesteuert. Wegen der drohenden importierten Inflation waren die Kapitalmarktgrößen Leitzins und Mindestreserve lange restriktiv gesetzt. Erst die sich 2015 anbahnende Konjunkturflaute lässt die Notenbank auf expansivere Geldpolitik umschalten (mehrmalige Senkung des Leitzinses). Am 23.10.15 wird der Leitzins zuletzt um 0,25 Prozentpunkte auf 4,35% gesenkt. Der Aktienmarkt ist heute schon nach den USA der zweitgrößte der Welt (Börsen in Hongkong, in Shanghai mit Shenzhen und in Tianjin). Die drei Unternehmen China Mobile, China Petroleum und Petrochina sind alleine so groß wie die 30 DAX-Unternehmen zusammen. Der Aktienmarkt in Shanghai ist hoch volatil (viele Chinesen kaufen mangels Alternativen inzwischen Aktien, auch Spieltrieb und Manipulation der Händler). 2016 wirkt ein Gesetz, dass der Aktienhandel automatisch ausgesetzt wird, wenn die Einbrüche stärker als 5% sind (soll wieder abgeschafft werden). Außerdem dürfen Anteilseigner, die mehr als 5% der Aktien eines Unternehmens besitzen, die Aktien nicht verkaufen. Mitte September 2015 gibt es wieder Einbrüche. Weitere Stürze kommen ab 04.01.2016 (Einbrüche um 7%). Ursache  ist der starke Rückgang der chinesischen Industrieaktivitäten (Einkaufsindex, auch Rückgang der Erzeugerpreise). Der Shanghai Component Index beeinflusst inzwischen als Frühindikator stark den Nikkei in Japan und die Börsen der Nachbarländer. Auch der Dow Jones in den USA und der DAX in Deutschland schließen sich dem jeweiligen Trend an (Anfang 2016 rutscht der DAX deshalb unter 10.000). Die Börse in Hongkong mit dem Hang Seng wirkt noch ausgleichend (gilt auch als seriöser Maßstab). Starke Argumente für die Stabilität der Finanzmärkte und Chinas insgesamt sind die gewaltigen Devisenreserven (rund 3,33 Billionen Dollar; sie sind deutlich zurückgegangen wegen der Interventionen auf dem Devisenmarkt 2015 und 2016; -513 Mrd. $), die hohe Sparquote der Bevölkerung, der Fleiß und Geschäftssinn der Menschen und das besonnene Management bzw. die Machtposition der Führungsspitze. Argumente dagegen sind die enorm hohe Verschuldung (Staat, Unternehmen, Banken) und politische Probleme (z. B. Demokratie, Verteilung, Umwelt). Der Schuldenberg des Landes hat sich seit 2007 (Jahr vor der Finanzkrise) bis Mitte 2015 vervierfacht. Der Anteil an faulen Krediten ist dramatisch gestiegen (den höchsten Anteil hat traditionell die Agricultural Bank of China wegen der Naturkatastrophen-Risiken mit fast 2% vor der China Construction Bank mit ca. 1,5%; es folgen die Bank of China mit 1,41% und die Industrial and Commercial Bank of China mit 1,4%). Andererseits ist das Bankgeschäft im Vergleich zum Westen noch sehr traditionell (Differenz zwischen Spar- und Kreditzins als Hauptgewinnquelle). Regionalregierungen verschulden sich jedoch zunehmend bei Schattenbanken. Wichtig wird sein, wie China seine Banken in Zukunft schützt. Wählt sie die Methode der USA, gewährt die Zentralbank den Banken Zinsen, wenn sie Reserven dort parken. In diesem Falle subventioniert die Notenbank die Finanzindustrie. Die Frage ist, ob die chinesischen Steuerzahler das  tolerieren, wenn sie es merken. Alternativ kann die Zentralbank auf die riesigen Devisenreserven zurückgreifen. Kein Land der Welt hat auch die letzte Finanzkrise von 2008 so schnell hinter sich gelassen. Mitte Januar 2016 fließen wieder 7,7 Mrd. Euro von der Notenbank ins Bankensystem. Grund ist die Furcht vor einem Konjunktureinbruch. Umgerechnet 500 Mrd. Euro haben Notenbank und Regierung in die Wirtschaft gepumpt. "Die Ökonomie hat noch nicht die Konsequenzen aus dem Versagen der Finanzkrise gezogen... Eine wichtige Ursache der Finanzkrise war Unsicherheit", Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, auf der Jahrestagung des Vereins für Sozialpolitik, Anfang September 2015.

Sieben Jahre nach dem Lehmann-Crash und der großen Finanzkrise 2008 scheint eine neue Ära zu beginnen. Das Kapital flieht aus den Schwellenländern, die US-Notenbank will die Geldschwemme bremsen und die Zinsen erhöhen (bei der letzten Zinserhöhung gab es noch kein Smart-Phone). Das geschieht auch im Dezember 2015. Investoren ziehen ihr Geld aus China ab. 2015 flossen 676 Mrd. $ Kapital aus dem Land (Quelle: IIF). 2016 soll der Kapitalabfluss bei 552 Mrd. $ liegen. China zeigt sich erstmals seit vielen Jahren als schwächelndes Land, das aber mittlerweile die Finanzmärkte anderer führender Länder der Welt beeinflussen  und sogar erschüttern kann.

2020 dehnen die USA massiv ihre Strategie der Deglobalisierung (Entflechtung der Märkte) auf die Finanzmärkte aus. China will das aber auch. Ein gutes Beispiel ist der Börsengang von Ant Financial noch im Oktober 2020. Mit einem anvisierten Börsenvolumen von 30 Mrd. Dollar ist er der größte der Welt vor Saudi Aramco. China lässt das Megaereignis nicht an der Wall Street, sondern in Hongkong und Shanghai stattfinden. Zumindest sind noch führende US-Banken bei der Platzierung  beteiligt (Goldman Sachs, Citigroup, Morgan Stanley). In den letzten drei Jahren (ab 2020 rückwärts) sind die chinesischen Direktinvestitionen in den USA von 46,5 Mrd. $ auf 4,8 Mrd. $ gefallen.

Bisher floss viel Geld aus den USA in die technologische Entwicklung Chinas:  In den letzten 20 Jahren flossen 54 Mrd. $ an Wagniskapital in chinesische Technologieunternehmen. Die Marktkapitalisierung chinesischer Unternehmen an der Wall Street beläuft sich 2020 auf 1800 Mrd. $. Seit 2020 können ausländische Investoren erstmals Mehrheitsbeteiligungen an Joint Ventures erwerben. Der chinesische Finanzmarkt wird auf 47 Billionen Dollar geschätzt. Trump macht Druck auf US-Pensionsfonds: Sie sollen kein Geld mehr in China anlegen. Außerdem will er chinesischen Unternehmen die US-Börsenlizenz entziehen, falls sie ihre Bücher nicht für US-Prüfbehörden öffnen. Vgl. Fischer, Malte: Scheiden tut weh, in: WiWo 43, 16.10.20, S. 36f.

Aktienhandel als Volkssport: China hat 2021 186 Mio. Privatanleger am Aktienmarkt. Sie sorgen für 80 Prozent der Marktbewegungen (Schätzung von Experten). Die Privaten Direktanleger in Aktien machen in China 15,5% aus (in Deutschland zum Vergleich 7,5%). Die Struktur der Aktienleger in der Bevölkerung ist breit gestreut: aus allen Altersgruppen und über alle Geschlechter hinweg. Die Chinesen sehen die Anlage mehr als Spiel. Die Regierung warnt die Anleger beständig vor Risiken. Vgl. Dana Heide/ Yukun Zhang: Herr Suo und die Aktien, in: HB Nr. 98, 25. Mai 2021, S, 32f.

Regeln für Börsengänge chinesischer Firmen im Ausland: 2021 werden die Regeln verschärft. Nach Angaben der Chinese Administration of Cyberspace (CAC) werden Unternehmen mit Daten von mehr als einer Million Nutzern künftig gesondert auf Sicherheit geprüft, bevor sie an einer ausländischen Börse Aktien ausgeben dürfen. Als erstes Unternehmen ist der Fahrdienstleister Didi betroffen. Der Vertrieb der App wurde verboten. Daraufhin brach die Aktie ein. Linkdoc verschiebt den Börsengang. Auch bei der Marktregulierung wird China restriktiver: Die Marktregulierungsbehörde State Administration for Market Regulation (SAMR) verbietet Tencent die Zusammenlegung mit den Videodiensten Huya und Douyu.  Die USA verhängen ihrerseits neue Sanktionen. Unternehmen aus Xinjiang werden auf eine schwarze Liste gesetzt.

China sieht sich genau die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland wegen des Ukraine-Angriffskrieges an (ab 24.2.22). Sie werden alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um sich unabhängiger vom westlichen Finanzsystem zu machen. Allerdings ist es außerordentlich schwierig bis unmöglich, Vermögenswerte außerhalb des westlichen Finanzsystems zu parken. Auswege böten Kryptowährungen. Vgl. Rogoff, Kenneth: Interview im HB, 11./12./13. März 2022, S. 14f. Der Schulterschluss zwischen China und Russland vertreibt westliche Anleger. Die Kapitalabflüsse treffen sowohl Aktien als auch festverzinsliche Wertpapiere wie chinesische Staatsanleihen. Der Rückzug internationaler Investoren hat ein noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht. Es vermischen sich geopolitische Verwerfungen mit hausgemachten wirtschaftlichen Problemen. Quelle: Institute of International Finance 2022.

Start einer neuen Börse für kleine Unternehmen. Sie heißt Beijing Stock Exchange (BSE). Der Handelsplatz soll Firmen mit Finanzierungsbedarf eine Alternative zur Kapitalbeschaffung über US-Börsen bieten. 81 Unternehmen gaben 2021 an der neuen Börse in Peking ihr Debüt und emittierten Aktien im Wert von gut 2,4 Mrd. €. Die feierliche Eröffnung am 15.11.21 machten Parteisekretär Cai Qi und Yi Huiman (Chef der chinesischen Börsenaufsicht). Als Alternative gibt es noch den STAR Market in Shanghai. Die Anforderungen in Peking sind niedriger. Vgl. Heide, Dana: In Peking startet eine neue Börse für kleine Unternehmen, in: HB Nr. 222, 16.11.21, S. 34f.

 China hat einen Weg entdeckt, an der globalen Dominanz seiner Währung mit Rohstoffgeschäften zu arbeiten. Das führt zu einem heimlichen Aufstieg des Yuan.  Man spricht vom Petro-Yuan, der den Petro-Dollar bedroht. Vgl. Lang, Joachim: Der heimliche Aufstieg des Petro-Yuan, in: WiWo 15/ 6.4.23, S. 10. 

Im Sommer 2ß23 stehen die chinesischen Aktienmärkte unter Druck. Ende August 2023 stehen der CSI 300 bei 3.753 Pkt. und der Shanghai Composite Aktienindex bei 3.099 Pkt. Besonders die Immobilienunternehmen schwächeln (allen voran Evergrande). Darin drückt sich ein tiefer Fall aus. Das Vertrauen der Kapitalmarkte hat gelitten. Aber auch die Unternehmensgewinne fallen stark. Die Regierung leitet Gegenmaßnahmen ein: Die Stempelsteuer auf den Aktienhandel wird halbiert (zuletzt Senkung 2008 in der Finanzkrise). Konkret werden die Gebühren für den Handel mit Aktien von 0,1% auf 0,05% gesenkt. Die Wertpapieraufsicht deutet auch an, dass weniger neue Unternehmen an die Börse sollen.

Im September 2023 gibt Turbulenzen auf dem Devisenmarkt. Die Währung bricht ein. Der Yuan fällt auf ein 16-Jahrestief (7,32 pro US-$; -6% seit Jahresanfang).

Börsenkrise: Ende 2023 und Anfang 2024 ziehen internationale Anleger Kapital ab. Über das ganze Jahr 2023 haben Auslandsinvestoren Geld aus China abgezogen. Das führt zu massiven Kursverlusten. Experten erwarten weitere Turbulenzen. ausländische Investoren wenden sich ab. Chinas Anleger investieren im Ausland. Auch die schwache Konjunktur schreckt ab. Der Staat gibt ein beschränkt handlungsfähiges Bild ab. Vgl. Gusbeth, Sabine u. a.: Chinas Börsenkrise, in: HB 16/ 23.01,24, S. 4f.

Exkurs. Der chinesische Aktienmarkt: Es gibt bei chinesischen Aktien verschiedene Varianten, die sich durch Handelsplatz, Zugang  und die Währung unterscheiden. Das sind A-, B- und H-Aktien. A-Aktien werden ausschließlich auf dem chinesischen Festland gehandelt, in Shanghai, Shenzhen und Tianchin. Sie sind in chinesischer Landeswährung Renminbi notiert und für für chinesische Anleger zugänglich (auch für institutionelle ausländische Anleger, die bestimmte Kriterien erfüllen). B-Aktien werden auch in Hongkong gehandelt, sind speziell für Ausländer und werden in US-Dollar oder Hongkong-Dollar notiert. Die dritte Möglichkeit sind H-Aktien. Sie werden in Hongkong in Hongkong-Dollar gehandelt. Sie sind für alle Anleger. Viertens kann man American Despositpory Receipts kaufen (ADRs).  Das sind Hinterlegungsscheine für Aktien, die an US-Börsen gehandelt werden. Der chinesische Aktienmarkt hat starke Schwankungen, birgt ein höheres Risiko und regulatorische Unsicherheit. 

2024 kommt ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong. Es ist eine schwammig formulierte Vorlage, die von den Abgeordneten im Eiltempo durchs Parlament gepeitscht wird. Vor allem Hongkongs Finanzbranche zittert vor dem Gesetz. Kritische Analysen etwa zur Bonität von chinesischen Staatsunternehmen könnten im Zweifel juristische Folgen haben. Zugriff auf Daten ist möglich wie auch lebenslange Haft. Gerade die Finanzbranche in Hongkong mit dem Hang Seng -Index galt noch als seriös. Doch Sicherheit scheint wie in ganz China vor Wachstum zu gehen. Es zeigt sich ein eigenwilliges Verständnis. Vgl. NZZ 18.3.24, S. 16.

6. China als größter Gläubiger der Welt (Kredite als Machtmittel, Geldpolitik): China sichert sich mit seinen Krediten Rohstoffe und Einfluss. Die größten Schuldner sind Länder in Afrika (am höchsten Niger und Republik Kongo, Dschibuti, Angola, Elfenbeinküste), Südamerika (am höchsten Ecuador, Venezuela) und Asien (am höchsten Laos, Sri Lanka, Pakistan). Vgl. Horn, Sebastian/ Reinhart, Carmen/ Trebesch, Christoph: Analyse der chinesischen Auslandskredite, 2019. Die Kredite laufen in der Regel über die China Development Bank (CDB, Chinas Superbank, Bilanzsumme 2,4 Billionen Dollar). Vgl. HB 29.8.23, S. 26f.

Die USA haben allerdings in den letzten Jahren ihre finanzielle Abhängigkeit von China reduziert. China ist zwar weiterhin größter Gläubiger, aber der Anteil der ausstehenden US-Staatsanleihen im chinesischen Besitz ist von 15% (2010, nach der Finanzkrise) auf knapp 8,5% Ende 2018 nahezu halbiert. Amerikanische Staatspapiere werden heute zu 60% von Inländern gehalten.

2020 beläuft sich der Bestand amerikanischer Staatsanleihen im Besitz China sauf 1100 Milliarden Dollar. 2021 sinkt der Bestand rapide auf 1000 Milliarden US-Dollar. Nach Japan ist China immer noch der zweitgrößte Gläubiger. China ist auch ein wichtiger Kapitalgeber für US-Unternehmen (200 Mrd. $ 2020 an Aktien und Beteiligungen).

Auf der anderen Seite steigt die eigene Verschuldung ständig. Die Außenstände von Haushalten, Unternehmen und öffentlicher Hand belaufen sich auf ungefähr 250% des BIP (statistische Informationslücke). Das Gros der Schulden entfällt auf Unternehmen, viele im Staatsbesitz ("faule" Kredite, auch der Banken). 2020 steigt Der Wert nach der Corona-Krise stark an: 280% des BIP (Unternehmen 162, Staat 59, private Haushalte 59). Quelle: BIZ 2020, Stand 2. Quartal 2020. Die chinesische Notenbank gibt 66,8% Verschuldung des Staates für 2020 an (Anteil am BIP).

Viele Entwicklungsländer haben Kredite aus China erhalten. Die Höhe ist unbekannt (Transparenz gibt es nur bei Weltbank und IWF). Das ist ein Risiko. Niemand kann die Schuldentragfähigkeit der Länder noch überprüfen. China hat viele Darlehen mit Sicherheiten versehen. Das gilt für allem für Kredite im Rahmen der "Neuen Seidenstraße". Die Infrastruktur fällt dann in das Eigentum Chinas, wenn der Schuldendienst zusammenbricht.

2022 gehen die Bestände an US-Schatzpapieren stark zurück. Sie sinken um -11% auf 934 Mrd. $. Das gilt aber auch für japanische Schatzpapiere (2022 -15% auf 1120 Mrd. $). Gleichzeitig sinken die Währungsreserven von China 2022 um -6% auf 3052 Mrd. $.

Im Ausland kann China ab 2023 nicht mehr mit Geld um sich werfen. Viel Kapital wurde in die Neue Seidenstraße gesteckt. Aber viele dieser Zielländer sind hoch verschuldet. In China gehören die hohen Wachstumszahlen von 5% plus x der Vergangenheit an. Die Bevölkerung altert (Ein-Kind-Politik). Es gibt zu wenig junge Leute, um den Wohlstand zu sicher. Um die Inflation im Schach zu halten, sind Zinserhöhungen und ein geringeres Kreditwachstum notwendig. China weiß selbst nicht genau, wie viel Geld verliehen wurde.  Eine Studie von 2021 kommt zu dem Schluss, dass es mindestens 840 Mrd. $ sind. Davon sind rund 385 Mrd. $ versteckte Schulden. Vgl. Mattheis, Philipp: Die dreckige Seidenstraße, München 2023, S. 233ff.

Im August 2023 senkt dei PBoC den Referenzzinssatz für einjährige Kredite. Davon hängen die Kredite der Banken am meisten ab. Die Banken senken daraufhin ihre Zinssätze für Kredite, um die Konjunktur anzukurbeln. Überraschend bleibt der Referenzzinssatz für fünfjährige Kredite unverändert. Vgl. HB 22.8.23, S. 27.

7. Immobilienmarkt: Der Immobilienmarkt hat eine Blase. Aber des Ende des Baubooms ist abzusehen. Halbfertige Immobilienvorhaben liegen brach. Die Kommunen als Eigentümer von Grund und Boden ("Volkseigentum"; käuflich ist ein Recht, vergleichbar unserer Erbpacht), hatten in der Vergangenheit großes  Interesse, Land zu verpachten. Das brachte Geld in die kommunalen Kassen. Die Preise wurden nach oben getrieben. Um Immobilienprojekte und Bauten zu finanzieren, sprangen manchmal Sparer ein, weil die Banken traditionell Staatsunternehmen bevorzugen wegen der Sicherheit. Das wurde häufig mit Bürgschaften verknüpft. Mit dem Einbrauch der Verkaufpreise der Immobilien sehen die Sparer ihr Geld nicht mehr und die Bürgen werden belastet. Das stürzt viele Familien ins Elend. Auf der anderen Seite haben viele Bürger ihre Immobilien auch mit den Krediten von Banken bezahlt. Es gibt also auch ganz normale Finanzierung. Über die Häufigkeitsverteilung wissen wir kaum was, so das die Verhältnisse intransparent sind (das gilt auch für andere Bereiche wie etwa die Privatisierung staatseigener Unternehmen). Die fortschreitende Urbanisierung ist ein Projekt der Regierung und der kommunistischen Partei. Also werden die Städte weiter wachsen, die Dörfer zurückgehen und die Immobilienpreise in den Ballungsgebieten weiter steigen. 2019 gilt jede fünfte Wohnung als unbewohnt (Schätzungen, es gibt keine genauen Statistiken). Der Leerstand bei Büroimmobilien hat 2019 einen Höchststand erreicht. Das verstärkt sich noch in der Corona-Krise durch Homeoffice. Das kann noch dramatische Folgen haben, denn Immobilien sind in China die häufigste Form der Besicherung von Krediten.

Exkurs. Bauboom in China: Im Jahre 20210 verbrauchte China vierzig Prozent der Welzproduktion an Stahl und Zement. In den drei Jahren nach dem Konjunkturpaket 2009 verbrauchte es mehr Zement als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. In China gab es 221 Großstädte mit mehr als einer Million Einwohnern, und alle waren auf sämtliche Errungenschaften der Moderne erpicht: Einkaufszentren, Kinos und Luxushotels. Das Geld für die Bauten stammte von den Banken, aber auch aus Landverkäufen. Lokale Verwaltungen verkauften zu lukrativen Preisen Land  an Bauherren und verwendeten die Einnahmen für den Ausbau der Infrastruktur. Die chinesischen Bauern verloren durch Beschlagnahmungen seit 1978 5,4 Milliarden Dollar. Es kam zu einem Vermögenstransfer vom Land in die Stadt. Vgl. Dikötter, Frank: China nach Mao, Stuttgart 2023, S. 348ff. In Nordchina sieht man heute die schlimmen Folgen am deutlichsten. In Shenyang gibt es verwaiste Rohbauten am laufenden Band. Vgl. Die Zeit 49/ 23.11.23, S. 25.

Doch die Immobilienpreise steigen 2021 rasant weiter. Sie sind in den Jahren zwischen 2010 und 2020 um 100% gestiegen (Megastädte, Großstädte etwas weniger, Quelle: Economist). Die Regierung hat die Gefahren dieser Entwicklung erkannt (Ende 2020 waren 26% aller Kredite Immobilienkredite). Sie versucht, Spekulationsgeschäften entgegenzuwirken. Sie schaut Immobilienentwicklern und Banken stärker auf die Finger. Die Finanzierung soll gedeckelt werden. Besondere Probleme bestehen in den Städten . Vgl. Y. Zhang: Das Dilemma der chinesischen Regierung, in: HB Nr. 74, 19.4.21, S. 30f.

Evergrande Real Estate Group, Guangzhou: ewig groß, Immobilienriese, Verkauf und Entwicklung von Wohnungen, 1996 von Xu Jiayin gegründet,  kollabiert im September 2021, auf dem Immobilienmarkt droht zunehmend Panikstimmung, die Schulden waren so hoch wie die von Griechenland, es gab ein großes Minus beim Vermieten. Gibt es ein neues Lehman Brothers, hat der Staat sogar den Todesstoß versetzt? Einige Manager ließen sich Anlagesummen vorzeitig auszahlen. Der Konzern will das Geld zurückfordern. Evergrande versucht, Firmenteile und Immobilien zu verkaufen. Viele Investoren fürchten eine Pleite.  An der Hongkonger Börse kommt es zu einem Absturz für Immobilientiteln (Henderson Land, New World Development). Der Wirtschaftszweig Immobilien macht in China ca. ein Viertel des BIP aus. Am 20.9.2 stürzt der Kurs von Evergrande noch mal um 17% ab. Der Hang Seng in Hongkong verliert auch am Montag -4%. Als der Verkauf der Konzerntochter Hopson Ende Oktober 21 scheitert, stürzt der Aktienkurs noch mal um 10% ein.

Exkurs  Xu Jiayin: Der hat einen großen Aufstiegswillen mit Hang zum Größenwahn. Wahrscheinlich ist er der reichste Mann Chinas. Er hat immer mit allen Mitteln gearbeitet. Mit Schlitzohrigkeit,  Wein und Frauen hat er die Politiker bei Laune gehalten. Seinen Reichtum hat er gerne zur Schau gestellt. Berühmt ist seine Rede 2018 vor dem Nationalen Volkskongress, als er einen goldenen  Hermesgürtel um die Hüfte trug. Xu ist 2021 62 Jahre alt. 1958 wurde er in der Provinz Henan geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Seine Mutter starb früh. Ein Studium absolvierte er in Wuhan nach der Kulturrevolution. In über 280 Städten laufen seine Immobilienprojekte. Er beschäftigt direkt 200.000 Mitarbeiter, indirekt 4 Mio. Seine Frau Ding Yumei ist die Tochter eines hohen Parteisekretärs. In dem Buch Red Roulette (siehe Buchbesprechung auf der Asienseite) spielt Xu eine Rolle. In einem Privatclub auf hoher See wollte er wichtige Politiker versorgen. Xu mischt heute praktisch in fast allen Branchen mit (Fußball, E-Autos, Versicherungen u. a.). Er scheint 2021 die Gunst von Xi Jinping verloren zu haben. Quellen: Fabian Kretschmer: Der 300-Milliarden-Schulden-Mann, in: Die Rheinpfalz. Nr. 226, 29.9.21. Red Roulette, 2021 (kommt bald auch in Deutsch).

Die drohende Riesenpleite am Immobilienmarkt führt weltweit zu Kursrutschen an den Börsen. Es entsteht Angst, ob das chinesische Wirtschaftswunder vorbei sein könnte. 70% des chinesischen Privatvermögens sind in Gebäuden und Wohnungen angelegt (deshalb ist die Pleite von Evergrande so gefährlich). Die Bau- und Immobilienbranche hat in China einen Anteil von 15% am BIP (größer ist nur das Verarbeitende Gewerbe mit 26%). Damit verbunden sind aber Finanzinvestoren, Stahlwerkbetreiber und Rohstofflieferanten. So könnte in Dominoeffekt entstehen. Vgl. Fischermann, Thomas/ Yang, Xifan: Wie stabil ist Chinas Wirtschaft? in: Die Zeit 39, 23.9.21, S. 26f. Der Chinesische Staat gibt am 23.9.21 bekannt, dass er das Unternehmen nicht mit Staatsgeld retten wird. Er warnt die lokalen Behörden. Die Japanische Zentralbank geht nicht von einer globalen Auswirkung der Pleite aus, sondern von einer Beschränkung auf China. Das könnte aber Folgen für die gesamte chinesische Wirtschaft haben.  Die Bafin in Deutschland schließt sich diesem Urteil an. Diese Einschätzung könnte sich ändern, wenn die ganze Immobilienbranche in China zum Problem wird. Die chinesische Notenbank  speist umgerechnet 14,5 Mrd. € in den Geldkreislauf ein.

Bei der Immobilienkrise in China muss man die Rahmenbedingungen im Hintergrund beachten. Auslöser ist die kommunistische Führung. Sie hat neue Regeln zur Verschuldung - auch dieses Sektors -  aufgestellt. Auch die Emissionen sollen und müssen drastisch reduziert werden. Dafür verlangt die Führung von den Lokalregierungen, Energie zu sparen. Der Bausektor und die Energieknappheit führen zu einer Katerstimmung. Vgl. Petring, Jörn: Peking reguliert mit der Brechstange, in: WiWo 40, 1.10.21, S. 11.

Weitere Immobilienunternehmen werden mit nach unten gezogen: Fantasia Holdings lässt die Frist für Zinszahlungen verstreichen. Der Immobilienentwickler Sinic Holdings wird von einer Rating-Agentur herab gestuft (Fitch). Liquidität fehlt. Ein Kredit in Höhe von 216 Mrd. € kann nicht zurückgezahlt werden.  Immobilienfirmen bekommen keine Kredite mehr. Dann gerät Anfang November 2021 Kaisa in den Strudel. Der Immobilienentwickler, der in Hongkong seinen Sitz hat und auch dort gehandelt wird, verliert -14% an einem Tag. Er hat eine Zahlungsfrist verstreichen lassen. Die Schuldenlast ist hoch. Die Rating-Agenturen stufen runter.

Anfang Dezember 21 warnt Evergrande vor Zahlungsschwierigkeiten (gravierende Warnung!). Die Regierung der Provinz Guandong, wo Evergrande liegt, entsendet eine Arbeitsgruppe in den Konzern. Sie soll auch mit dem Chef  sprechen. Chinas Börsenaufsicht versucht, die Angst zu zerstreuen. Trotzdem geht der Aktienkurs weiter in den Keller. Am 9.12. kommt es zu einem Zahlungsausfall. Die Rating - Agentur Fitch stuft den Immobilienkonzern weiter herab, auch Kaisa. Die Regierung in Peking bekräftigt, dass es keine staatliche Rettung geben werde. Auf der Insel Hainan muss  Evergrande 2022 39 Immobilien innerhalb von zehn Tagen abreißen, weil Baugenehmigungen fehlen. Trotzdem scheint sich eine Rettung abzuzeichnen (Finanzgeber sammeln sich).

Der Immobiliensektor macht etwa ein Viertel des chinesischen BIP aus. Er war in der Vergangenheit verantwortlich für ein Großteil des Wachstums. Schon Anfang 2021 hatte die Regierung eine Obergrenze für Immobilienkredite eingeführt. Ende 2021 fielen die Immobilienpreise schon deutlich. Das gilt vor allem für zweit- und drittrangige Städte. Vgl. Rogoff, K./ Yang, Y.: Has China`s Housing Production Peaked? China and the World Economy, 21 (1) 2021, S. 1-31.

Im laufenden Jahr 2022 steckt der wichtige Markt für Eigenheime weiter in Schwierigkeiten. Dadurch geraten Immobilienabwickler unter Druck. Fusionen und Übernahmen können folgen. 2021 sind folgende Unternehmen auf dem absteigenden Ast: Evergrande (in der Rangfolge Platz 5), Greenland (11), Shimao Group (10), Zhongnan Land (17), Yango Group (19). Die Spitze halten folgende Unternehmen: Country Garden, Vanke, Sunac, Poly Real Estate. Quelle: China Real Estate Information Corporation.

Im Mai 2022 senkt die Zentralbank weiter die Zinsen: Die Zinsen für Kredite mit fünfjähriger Laufzeit wird auf 4,45 % gesenkt (um 15 Basispunkte). Sie will den Immobilienmarkt stabilisieren. Doch der Immobilienmarkt kommt nicht recht auf die Füße. Dem nächsten Bauträger droht die Insolvenz: Shimao (2001 von Milliardär Hui Wing gegründet) . Einmal traf die Null-Covid-Strategie den Häusermarkt. Zum anderen führte die Goldgräberstimmung zu immer mehr Gier und Größenwahn. Mittlerweile brechen die Immobilienpreise ein (mehr Eigenheimverkäufe in den Metropolen, noch nicht in der Provinz).  Vgl. Kretschmer, Fabian: Von einer Krise zur nächsten, in:  die Rheinpfalz Nr. 154/ 6.7.22. 

Die Effekte sinkender Immobilienpreise könnten in China noch gravierender sein als in den USA. Wohnimmobilien machen fast 70% des Vermögens privater Haushalte aus. Ein anhaltender Preisrückgang würde die inländische Nachfrage in China spürbar senken. Es gibt keine politische Strategie, die Immobilienpreise zu stabilisieren. Erschwerend kommt die demographische Entwicklung dazu. Vgl. Dieter, H.: Die doppelte Krise der chinesischen Planwirtschaft, in: WiWo 5/27.1.23, S. 41. Auch im Sommer 23 werden immer weniger Wohnungen verkauft. Die Immobilienkrise geht weiter (der Immobilienmarkt macht - wie schon erwähnt - ca. 30% des BIP aus). Die Krise verschärft sich im August 23: Evergrande beantragt in den USA Gläubigerschutz. Dem Bauentwickler County Garden, der vor noch nicht allzu langer Zeit als solide galt, könnte die Pleite drohen. Die Aktie stürzt ab. Die Immobilienkrise verschärft auch die Wirtschaftskrise: Tagelöhner finden keine Arbeit mehr, Wohnungskäufer könnten ein Vermögen verlieren. Vgl. Fahrion, Georg/ Giesen, Christoph: Das Betonproblem, in: Der Spiegel 35/ 26.8.23, S. 76ff. Im August kann Evergrande wieder an der Börse gehandelt werden nach eineinhalb Jahren Pause. Es kommt zu einem Rekordeinruch von -87%. Die Aktie ist nur noch 0,22 Hongkong-$ wert, so billig wie nie. Der Börsenwert beträgt nur noch 342 Mio. € (Stand 28.8.23; Börsenwert 2017 50 Mrd. €).

2023 stürzt eine  Schattenbank ein und scheitert an ihren Immobilienverbindungen. Zhongzhi Enterprise Group/ ZEG Co., Peking/ Shanghai (Finanzkonglomerat, auch Schattenbank, 1990er-Jahre Beginn mit Holz- und Grundstücksgeschäften, Insolvenz 2023, 56 Mrd. € könnte der Gesamtschaden für die Anleger betragen, hängt zu stark mit den maroden Immobilienfirmen zusammen).

Im Januar 2024 ordnet ein Gericht in Hongkong (Richterin Linda Chan) an, dass der größte Baukonzern Chinas Evergrande abgewickelt werden soll und zerschlagen wird. Ziel des Verfahrens war es, den Gläubigern des Unternehmens zumindest einen Teil ihres Geldes wiederzubeschaffen. Ein Großteil des Vermögens besteht im Festland - China. Für ausländische Gläubiger dürfte kaum etwas zu holen sein. Es bleibt auch abzuwarten, wie die Regierung in Peking und die KPCh damit umgeht. Gegen sie dürfte nichts laufen. Nach dem Gerichtsurteil stürzten die Aktien weiter in den Keller. Evergrande-Chef Shawn bedauerte die Entscheidung. Ausländische Investoren dürften in Zukunft fern bleiben. Es bleibt also offen, ob die Gerichtsorder auch auf dem Festland umgesetzt wird. Das langsamere Wachstum des Sektors gilt als gewollt (25% des BIP).  Xi sprach von "fiktivem Wachstum".

8. Arbeitsmarkt und Kaufkraft/ Wohlstand (Ungleichheit): In China wird der Arbeitsmarkt statistisch nicht korrekt erfasst. Gezählt wird die Arbeitslosigkeit der städtischen Bevölkerung. Das liegt an Chinas Einwohnermeldesystem (Hukou). Wer in einer Stadt geboren ist, wird automatisch als Arbeiter registriert, wer auf dem Lande geboren ist, als Bauer. Also tauchen die Bauern, die als Wanderarbeiter ihre Heimat verlassen, nicht in der Statistik auf. Sie stellen aber sicher den höchsten Anteil bei den Arbeitslosen. Das Niveau der Arbeitslosenversicherung ist auch noch gering, so dass Beiträge und Leistungen von Provinz zu Provinz variieren.

Viele Anzeichen sprechen aber dafür, dass die Arbeitslosigkeit in China gestiegen ist (etwa 5,2% 2019 bei städtischer AL gegenüber 4,8% 2018). Das zeigen Befragungen in den Großstädten oder Daten des Jobportals Zhaopin. Die Unternehmen halten sich im Handelsstreit mit den USA mit der Arbeitsnachfrage zurück. Die Staatsfirmen lassen sich nur noch bedingt dazu anhalten, Arbeiter nicht zu entlassen. Die Digitalisierung dürfte auch zu Arbeitsplatzverlusten führen, weil China nicht mehr länger die Werkbank der Welt ist (Regionalisierung der Lieferketten, höhere Lohnkosten)). Der Dienstleistungsbereich kann nicht genügend ausgleichen. Entlastung bringt etwas die Demographie. Vgl. Asia und China (Makroökonomische Daten/ Arbeitsmarkt, Erwerbstätigkeit) und Petring, Jörn: Das chinesische Arbeitsmarkträtsel, in: Wirtschaftswoche 16, 12.4.2019, S. 38ff. 

Wenn die Arbeitslosenzahlen stark steigen fällt der Wohlstand und die Kaufkraft. 3,1% der Bürger gelten 2018 in China als arm. 2010 waren es noch 17,2%. 8826 Dollar pro Kopf betrug Chinas BIP pro Kopf 2018 (andere Zahlen liegen bei etwa 16.000$). Das deutsche lag bei 44.470 Dollar. Durch die Corona-Krise werden auch die Menschen arbeitslos, die aus der Statistik ganz raus fallen, die Millionen von Wanderarbeitern. Sie müssen oft wieder in ihre Ursprungsberufe zurück (meist Reisbauern) und können gerade noch überleben, wenn sie Glück haben.

Die Regierung fährt eine Reihe von Armutsprogrammen, die oft mit Umsiedlung von Kleinbauern verbunden sind. Das stößt nicht nur auf Begeisterung. Die Bekämpfung der Armut soll auch die Strategie des Binnenkonsums der Regierung flankieren. Außerdem sollen die drastischen Disparitäten reduziert werden (Küste-Hinterland; Stadt - Land). Man will in Anbetracht des US-Protektionismus die Exportabhängigkeit runterfahren.

In der Corona-Krise ist das verfügbare Einkommen langsamer angezogen als das Gesamtwachstum. Die Einkommensschere zwischen Stadt- und Landbevölkerung ist weiter auseinander gegangen. 2020 ist das Einkommen der Städte etwa dreimal so hoch. Genaue Daten müssen noch ermittelt werden. Die Ungleichheit ist in China wie in den USA (den wirtschaftsstärksten Mächten) das gleiche Grundproblem und sie wächst in beiden Ländern. Die Digitalisierung verstärkt diesen Trend. Man darf gespannt sein, wie die beiden Länder in den nächsten Jahren das Problem angehen.

Allerdings ist China noch auf einer geringeren Basis: 2019 betrug das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung (BIP) 16.700 $ (Kaufkraft bereinigt). In den USA betrug der Wert 65.300 $, in der EU-28 46.600 $. Quelle: IWF 2020. Die Sparquote der privaten Haushalte lag 2020 bei etwa 40% (in der EU-Euro-19 bei 19, USA 16).  Quelle: Oxford Economics 21. Kein Land der Welt hat aber eine so dynamische Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens: Seit 1990 bis 2019 um das 30-fache (vor Polen und Indonesien).

Die Regierung will ab 2021 den Raubtierkapitalismus bändigen. Bei den Top 1% sind die Einkommen von 1978 bis 2015 um +8,6% gestiegen, bei den unteren 50% um 4,5% (Quelle: Piketty, Yang und Zucman 2019; Daten aber mit Vorsicht zu genießen, da schwache Quellenlage). Die Macht der Konzerne soll gebrochen werden und es soll wieder mehr Sozialismus kommen. Instrumente dafür sind mehr staatliche Kontrolle, mehr Konformität und mehr soziale Sicherheit. Manche sprechen auch von einer zweiten Konterrevolution. Vgl. Fahrion, Georg: Chinas zweite Konterrevolution, in: Der Spiegel Nr. 39, 25.9.21, S. 66ff.

Exkurs: Soziale Ungleichheit in China: Der Anteil der ärmsten 50% am chinesischen Volkseinkommen zwischen 1978 und 2015 sank von 28 auf 15%. Gleichzeitig wuchs der Anteil der reichsten 10% von 26 auf 41%. Damit liegt die Ungleichheit über europäischem Niveau und nähert sich der Situation in den USA an. Vgl. Thomas Piketty: Der Sozialismus der Zukunft, München 2021, S. 78.

Exkurs. Bedeutung der Arbeit in China: Sie wandelt sich permanent. Im Kommunismus war die Arbeit für alle gleich wie auch die Löhne. In der sozialistischen Marktwirtschaft ab 1989 setzte sich immer mehr das Leistungsprinzip durch. Das geht soweit, dass es in vielen Teilen der Welt ausgiebigere Ferienansprüche und Löhne gibt. Das bleibt im Zeitalter der Globalisierung und sozialen Medien nicht verborgen. Die urbane Jugend findet durchaus Gefallen an einer anderen World-Life-Balance. Besonders am Tag der Arbeit, am 1. Mai, staut sich Wut auf. Viele Chinesen wollen auf Reisen gehen, aber Flug- und Zugtickets sind ausverkauft. Die Übernachtungspreise gehen dann überall rapide in die Höhe. Das verbittert die Menschen, weil sie nur wenig freie Tage haben. Vgl. Kretschmer, Fabian: Ein schlechtes Tauschgeschäft, in: Rheinpfalz 29.4.23, S. 1. 

Digitalisierungsauswirkungen auf die Arbeit in China: Auch in China gibt es viele Missstände. 2021 regt sich Protest gegen Lieferfirmen, die ihre Mitarbeiter mithilfe von Algorithmen durch die Gegend hetzen und sie dabei ausbeuten. so geraten zunehmend Essensboten mit ihren Arbeitgebern aneinander. Diese verhängen Geldstrafen bei verspäteter Lieferung oder bei schlechter Bewertung im Internet.  Zu den Arbeitgebern gehören Liefer-Apps wie Meituan oder Ele.me. Das Ministerium für Personalmanagement und soziale Sicherheit bestellt öfter beide Seiten ein. Es gibt auch Beschäftigte, die die schlechten Arbeitsbedingungen ins Netz stellen (Menzhu wird verhaftet dafür). andere geben tipps, wie man Regeln verletzen kann, um die Zeit einzuhalten. Das Essen bestellt die chinesische Mittelschicht, so dass hier auch soziale Konflikte liegen. Die Arbeitsverhältnisse sind unterbezahlt und schlecht reguliert. Die Verhältnisse gleichen sich scheinbar immer mehr auf der Welt an.  Vgl. Tai, Katharina: "Verspätung: Zwei Sekunden". in: Die Zeit Nr. 45, 4.11.21, S. 33.

Arbeitsproduktivität und Rückgang der Erwerbsbevölkerung:  Das bisherige Modell bis 2021 war durch hohe Investitionen, steigender Erwerbstätigkeit und vergleichsweise geringen Arbeitsproduktivität gekennzeichnet. 2011 errechte die Zahl der Erwerbspersonen mit 940,5 Mio. ihren Höchststand. Vier Jahre später waren es nur noch 911 Mio. 230 sollen es nur 830 Mio. sein , 2050 700 Mio. (Ministerium für Humankapital und soziale Angelegenheiten). Das ist das Ergebnis der Ein-Kind-Politik. Das könnte die Steigerung des Lebensstandrads erschweren. Chinas Geburtenrate liegt 2022 bei 1,6 Kindern (3 sind seit 2021 erlaubt). Die Industrieproduktion müsste auf Roboter umgestellt werden. Dafür läuft eine Kampagne. Chinas dürfte als Standort für Produktion seine Attraktivität verlieren. Vgl. Dieter, Heribert: China muss zum Land der Roboter werden, in: WiWo 5/ 28.1.22, S. 41.

Jugendarbeitslosigkeit: Sie ist 2022 relativ hoch mit 18,4% (ungenaue Messung!). Das ist ein Rekordwert. Bis zum Sommer 22 wird mit 23% gerechnet. Das ist sozialer Sprengstoff und eine tickende Zeitbombe. Da Aufstiegsversprechen der Partei steht auf der Kippe. Der Frust lässt sich nur schwer messen. 10,7 Mio. Universitätsabsolventen strömen allen 2022 auf den Arbeitsmarkt. Dei regelmäßigen Lockdowns verschlingen immense Kosten, die die Lokalregierungen wegen ihrer Schulden nicht mehr leisten können. Allein in den ersten fünf Monaten 2022 ist das Staatsdefizit in China auf 2,9 Billionen Yuan (140 Mrd. €) gestiegen.  Über alle Branchen hinweg werden die Löhne gekürzt, die Tech - Unternehmen bieten weniger Jobs an. Vgl. Kretschmer, Fabian: Jugendarbeitslosigkeit als sozialer Sprengstoff, in: Die Rheinpfalz Nr. 140, 20.6.22.

Die Unterstützung der Position Russlands im Ukraine-Krieg könnte China langfristig schaden. Viele Handelspartner haben Angst für einem chinesischen Angriff auf Taiwan und nachfolgenden Wirtschaftssanktionen. Sie diversifizieren ihren Handel und ihre Lieferketten. Das bedroht das chinesische Wohlstandsversrechen an die Bevölkerung. China stellt sich darauf ein und ersetzt das Wohlstandsversprechen durch einen neuen Nationalismus. Das könnte aber eine Gefahr für das System sein. Vgl. Interview mit Australiens Ex-Premierminister Kevin Rudd, in: Die Zeit Nr. 22/ 25. Mai 2022, S. 8.

Exkurs: Kritische Bevölkerungsentwicklung in China: Das Volk altert zur Zeit relativ schnell. In den nächsten 30 Jahren wird das Land 200 Mio. Arbeitskräfte verlieren. Am Ende des Jahrhunderts werden 700 Mio. weniger Menschen in China leben. Also nur die Hälfte von heute. Mit der "Werkbank der Welt" ist es dann endgültig vorbei. 2023 ist die chinesische Bevölkerung auf 1,14 Mrd. Menschen geschrumpft. Die Anzahl der Neugeborenen um 500.000 zurückgegangen. Das Reich der Mitte droht alt zu werden, bevor es wirklich wohlhabend geworden ist. Die Geschwindigkeit des Bevölkerungsrückgangs ist im internationalen Vergleich atemberaubend. Die statistische Fertilitätsrate zählt mit etwas über 1,0 zu den niedrigsten der Welt (Deutschland 1,5). Die chinesische Regierung versucht mit allen Mittel den Trend umzukehren.

Der Abschuss eines chinesischen Spionageballons im Februar 2023 vor der Küste South Carolinas vergiftet die Beziehungen zum Westen weiter. Peking richtet den Blick mehr nach Innen (die Binnenmarktstrategie ist schon älter). Man setzt in der Not auf den Konsum im Inland. Es ist aber fraglich, ob man damit großen Erfolg hat, weil die Kaufkraft fehlt. Die Demografie ist sicher eine Wachstumsbremse (siehe oben), auch der Vertrauensverlust im Technologiesektor (politische Regulierung). Hinzu kommen bleibende Schäden durch die Corona-Pandemie und die Null - Covid - Strategie. Vgl. Petring, Jörn: Kalter Krieg, heiße Konjunktur, in: Wiwo 7/ 10.2.23, S. 38f.

 Im Mai 2023 steigt die Jugendarbeitslosigkeit auf einen Negativ-Rekordwert. Sie liegt über 20% (21,3%) und dürfte im Sommer noch weiter steigen. Im Juni 2023 liegt sie auch bei 21,3%. Die junge Generation ist nicht mehr mit Hunger und Zwangsarbeit groß geworden. Sie ist auch nicht mehr bereit, große Opfer zu bringen. Es herrscht große Unsicherheit unter den jungen Chinesen. China veröffentlicht mittlerweile keine Zahlen mehr zur Jugendarbeitslosigkeit (ab August 23). Es gibt mittlerweile auch staatliche Maulkörbe für Wirtschaftsexperten. Xi scheut generell Vergleiche mit dem Erzfeind USA. Vgl. Kretschmer, Fabian: Die schöne neue Welt des Xi Jinping, in: Die Rheinpfalz 16.8.23.

9. Bevölkerung und China als Zielland für Flüchtlinge und Migranten und Herkunftsland für Auswanderer (Rolle in der Weltflüchtlingsproblematik): In China sitzt das Misstrauen gegen einwandernde Menschen tief. Minderheiten im Land werden zwar besonders geschützt, aber gleichzeitig auch diskriminiert. 2014 gehörte China trotzdem zu den zehn Hauptaufnahmeländern von Flüchtlingen (10. Platz; 301.052 aufgenommene Flüchtlinge; vor allem aus Myanmar, Afghanistan, Pakistan, Kasachstan, Mongolei, Nord-Korea; Quelle: Flüchtlingsbericht 2015 des UNHCR). 2015 gibt es eine merkliche Zuwanderung von qualifizierten Menschen aus der Ukraine (durch den Krieg dort bedingt). Für die ärmere Bevölkerung der Nachbarländer ist China wegen des unterentwickelten Transfersystems noch kein Anreiz zur Arbeitsmigration (außerdem findet eine restriktive Regulierung statt). Auf dem chinesischen Arbeitsmarkt kommt nicht einmal die eigene Bevölkerung unter (hoher Anteil von Wanderarbeitern, die in die Städte strömen; die Infrastruktur in den Ballungsgebieten fehlt dafür). Migranten aus China in die Nachbarländer gibt es nennenswert in Richtung russische Grenzgebiete. Die eingewanderten Chinesen dominieren in der Regel den Handel und die Geschäftswelt. Ähnlich sieht es mit der chinesisch stämmigen Bevölkerung in Malaysia aus.

Die chinesische Regierung betreibt eine Umsiedlungspolitik im eigenen Land. 300 Mio. Menschen sollen bis 2030 vom Land in die Städte ziehen (Urbanisierung).  Insbesondere in den Randregionen, wo man sich vor den Minderheiten, vor allem vor dem Islam,  fürchtet, wird die Stammbevölkerungsgruppe "Han-Chinesen" hingesiedelt (so auch stärker in Tibet). Zusätzlich gibt es eine höhere Zahl von Binnenflüchtlingen (0,1-0,5 Mio.; UNHCR), die hauptsächlich vor Naturkatastrophen (Erdbeben, Taifun, Überschwemmungen) fliehen Es gibt auch eine nennenswerte Re-Migration von Exil-Chinesen, die während der Wirren (z. B. Kulturrevolution) geflohen waren, und kontinuierlich zurückgekommen sind. Insgesamt verhindern das starke Familienbewusstsein (jia=Familie; danwei=Einheit), das Hukou-System (Wohnsitz-Melderegister mit allen sozialen Ansprüchen) und der große Nationalstolz zu große Auswanderungen. Dafür hat sich der Binnentourismus sehr stark entwickelt. Der Auslandstourismus der Chinesen ist bereits in einigen Sehenswürdigkeiten der Welt ein Problem (z. B. Florenz, Paris, Tokyo).

Der demographische Wandel macht den Wirtschaftsplanern große Sorgen. Besonders besorgniserregend ist die geringe Geburtenrate: 2020 12 Mio. Kinder, 18% weniger als 2019 (nur 1961 weniger; 4. Jahr in Folge Rückgang; Geburtenrate 1,3).  Daran hat auch die Lockerung der Ein-Kind-Regel nichts geändert. Die zunehmend urbane Bevölkerung kann sich aufgrund der Immobilien- und Bildungskosten nicht mehr als ein Kind - wenn überhaupt - leisten (es soll bald Fördergelder für Kinder geben). Bald könnten in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde auch einmal Arbeitskräfte fehlen, weil die Zahl der Erwerbspersonen sinkt (. So setzt man Hoffnungen auf die Automatisierung und KI. Die demographische Zeitbombe könnte den Aufstieg des Landes behindern. Die Daten der jüngsten Volkszählung von 2020 werden zunächst geheim gehalten, dann im Mai 21 veröffentlicht. Aber ab 2023 (Höhepunkt der Bevölkerung 2022) dürfte die Einwohnerzahl schrumpfen. In den letzten 10 Jahren von 2010 bis 2020 ist die Bevölkerung nur um +5,4% gewachsen (auf 1,412 Mrd.). Jeder fünfte Einwohner (18%) soll über 60 Jahre sein (wahrscheinlich ist die Zahl noch höher, sagen Experten). 2030 soll ihr Anteil auf 30% steigen. Die traditionellen Medien propagieren zunehmend konfuzianische Familienwerte und preisen die Mutterrolle der Frauen. Die Zahl der erlaubten Kinder von 2 soll erhöht werden.  Das Rentenalter (Männer 60. Frauen 55) soll angehoben werden. Eventuell sollen auch die Hürden für Einwanderung gesenkt werden (Ausländeranteil 2020 0,06%). Am 24.05.21 beschloss das Politbüro eine "Optimierung der Geburtenpolitik". Diese solle helfen, die Bevölkerungsstruktur zu verbessern. Die Zwei-Kind-Politik (seit 2015) wird durch eine Drei-Kind-Politik ersetzt. Neben der Beschränkung der Kinderzahl gibt es weitere Gründe für das Schrumpfen der Bevölkerung: hohe Kosten für Wohnen, Ausbildung und Gesundheit. Auch hier müsste man ansetzen. Quelle: Nachrichtenagentur Xinhua. Der staatliche Zensurapparat verhindert eine Diskussion über die moralische Schuld der Ein-Kind-Politik (1980). Nach einer Umfrage können sich 90% keine drei Kinder vorstellen (Ergebnis wurde später gelöscht).

"Multipliziert man ein Problem mit der Bevölkerungszahl Chinas, ist es ein sehr großes Problem. Aber wenn man es durch dei Bevölkerung Chinas teilt, wird es sehr klein", Wen Jiabao, Ministerpräsident 2003 (in Harvard).

10. China als Teilnehmer am "Global Government": Das Land strebt ein multipolares Government in der Welt an. Möglichst viele Staaten sollen über die Spielregeln der Weltwirtschaft entscheiden. China sieht sich selbst als Sprachrohr der Entwicklungsländer in Afrika, Südamerika und Asien. Die Volksrepublik versucht die bestehenden Global Government - Institutionen zu erodieren, weil sie von den USA dominiert sind. China geht es aber immer vorrangig um die Sicherung der eigenen Einflusszonen in Afrika, Zentral und Südostasien sowie Südamerika. Die Rolle des Weltpolizisten ist China zu teuer. Bereits jetzt baut China mit anderen Schwellenländern zusammen eine Alternative zum IWF auf (alternativer Währungsfonds und Weltbank 2). 2015 möchte China mit dem Renminbi in den Währungskorb des IWF aufgenommen werden (spätestens 2016; Liste von Reformen: konvertierbar, keine Kapitalverkehrskontrollen, Börsen vollständig öffnen, Umtausch der Währung für Kapitalmarkttransaktionen). Das gelingt auch Ende 2015. Bis dahin hatten nur vier Länder bzw. Regionen  Sonderziehungsrechte (künstliche Reservewährung): USA, Euroland, GB, Japan. Ab Dezember 2015 ist der Renminbi dann Welt-Reservewährung (siehe oben). Damit wickelt der IWF seine internen Transaktionen ab. Das wird ganz sicher die Akzeptanz der chinesischen Währung stärken (Welthandel, internationaler Zahlungsverkehr). Gegenwärtig (2015) hat der Renminbi nur einen Anteil von 2% am Welthandel (Quelle: Swift Watch).  China strebt an, den Renminbi durch Gold zu decken und den Umtausch zu garantieren. Deshalb hat die Zentralbank systematisch Gold gekauft (Stand: mehr als 1600 Tonnen Mitte 2015). Vielleicht kann die Währung so den Dollar als Leitwährung in ferner  Zukunft ablösen oder vielleicht sogar einen "Globo" bzw. "Mundo" als einheitliche Weltwährung  schaffen. Zuerst aber muss die Regierung die Kontrolle über die eigene Wirtschaft wiedergewinnen. China sitzt im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen un dist mittlerweile der zweitgrößte Beitragszahler.  2021 zahlt das Land 381 Mio. US-$ zum Haushalt der UN. Die USA zahlen 699 Mio. $. (Deutschland 193 Mio. $, Japan 272 Mio. $).

In der Entwicklungspolitik werden am stärksten die Entwicklungsländer in Afrika unterstützt. Es ist ein Geschäft auf Beiderseitigkeit. China interessieren die Rohstoffe (sie werden in der Regel mit chinesischen Beschäftigten abgebaut). Dafür gibt China Unterstützung und baut Infrastruktur. Ende 2015 sagt der Präsident Xi Jinping Afrika 60 Mrd. Dollar an Hilfen zu. Die meisten werden für zinsfreie Kredite vergeben. Damit sollen unzureichende Infrastruktur verbessert und der Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften beseitigt werden. Viele Staaten Afrikas werden von der Wirtschaftskrise in China sehr hart getroffen. Zunächst werden die Investitionen in Afrika gekürzt. Weiterhin leiden die afrikanischen Staaten besonders unter der Schwäche der Rohstoffpreise (bei den China eine Ursache ist, siehe oben; Sambia, Angola, Nigeria, Südafrika). Mittlerweile (2016) stürzen die Währungen in den Keller; Rand, Naira, Kwacha. Die Billigexporte der Chinesen zerstören eigene Industrien (z. B. Schuh- und Textilindustrie).

Exkurs: Modell der Armutsbekämpfung für die Welt? Auf dem Nationalen Volkskongress 2021 zählt Xi Jinping als einen von drei Erfolgen die Überwindung der extremen Armut auf. In letzten zehn Jahren wurden 99 Mio. Menschen über eine Armutsschwelle von 2,30 Dollar pro Tag gehoben (1980 noch ca. 90% unter 1,90 Dollar/Tag, fast 100% unter 3,20 Dollar/Tag, Quellen: IWF, Weltbank). Das wirft jedoch einige Fragen auf: 1. Wie aussagekräftig ist die Armutsgrenze? 2. Wie nachhaltig ist das Programm? 3. Inwieweit kann man Chinas Methoden übertragen? Zu 1.: Das enorme Wachstum ermöglichte den Sieg bei einer zu niedrigen Grenze. Verantwortlich für die Armut war wohl Mao. Zu 2.: In dem Programm waren massive Umsiedlungen. Es wurden Arbeitsplätze durch Subventionen geschaffen. Viele lokale Regierungen nutzten das, um sich die Landflächen. anzueignen. Zu 3.: Man kann nicht vergleichen. Immerhin war China bis ins 19. Jahrhundert eines der reichsten Länder der Erde. Vgl. Böge, Friederike: Vermeintlich überwunden, in: FAZ 6. März 2021, S. 6. Auf der anderen Seite hat das Land mittlerweile sehr viele Milliardäre: Es gibt 922 (USA 696, Hurun-Liste). Die Verteilung ist wahrscheinlich das zentrale Problem des Landes. Vgl. auch: Fahrion, Georg: Rückzug in die Blase, in: Der Spiegel Nr. 6/5.2.22, S. 8ff. Die Frage ist, on China sein Verteilungsproblem noch über Wachstum lösen kann. Im Moment nach Corona stehen die Zeichen eher für Stagnation. Diese Schwäche versucht das Land durch zunehmende Aggressionen nach außen auszugleichen.

Exkurs. Lebensmittel: Der Ukraine-Krieg stellt auch die Lebensverhältnisse in China auf den Kopf. In China ist immer noch die zentrale Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere Getreide, das Thema. Am Anfang des Ukraine-Krieges waren die weltweiten Getreidevorräte auf dem Tiefsstand.  China strebt bei Nahrungsmitteln eine Unabhängigkeit an, denn eine Hungersnot wie zu Maos Zeiten ist ein Horrorszenario. 2022 haben die Chinesen alles an Weizen aufgekauft, was sie kriegen konnten. Schlechte Ernten, hohe Preise und mangelnde Versorgung können in ärmeren Ländern - auch noch in China - zu Aufständen führen. China ist der größte Importeur von Weizen aus der Ukraine. Es ist also stark betroffen von einem Scheitern des Getreideabkommens von Ukraine und Russland. Vgl. BayWa-Chef Klaus Peter Lutz in Der Spiegel 14/ 1.4.23, S. 56ff.

Mit Donald Trump könnte die Vorherrschaft der USA enden. In die Position könnte China schlüpfen. Es könnte jetzt wirklich ein chinesisches Jahrhundert beginnen. Das Projekt "Neue Seidenstraße" (BRI) symbolisiert den Anspruch des Landes auf eine führende globale Rolle. Dahinter stecken geostrategische Interessen. Bisher ist Zentralasien, Afrika, Europa und der mittlere Osten einbezogen ("Chinas Griff nach Westen"). Jetzt soll auch Südamerika dazu gehören. Es soll auch eine "polare Seidenstraße" durch die Arktis geben. Die Initiative trägt den Namen "Ein Gürtel, eine Straße" (One Belt, One Road). Die Projekte werden zu 805 von chinesischen Unternehmen geplant. Nur wenige lokale Firmen sind beteiligt. Die "maritime Seidenstraße" dient unter anderem der Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung. 2019 wächst der chinesische Druck auf Italien. Es soll sich der chinesischen Initiative zum Bau der "Neuen Seidenstraße" anschließen. Ende März 2019 kommt Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping nach Italien. Dann könnte eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet werden. Italien wäre dann als bisher größte Volkswirtschaft und Mitglied der G7 dabei. China lockt mit großen Investitionen. Es fordert auch "Respekt vor Kerninteressen". Damit sind die Ansprüche im Ost- und Südchinesischen Meer gemeint. Deutschland übt scharfe Kritik an der geplanten Kooperation zwischen China und Italien. China als als Einfallstor in Italien den Hafen Triest im Nordosten Italiens gewählt.  Andere EU-Länder wie Griechenland, Portugal und Ungarn haben entsprechende Vereinbarungen schon unterschrieben. Vgl. Peter Frankopan: Die Neuen Seidenstrassen. Gegenwart und Zukunft unserer Welt, Berlin 2019.Ende April 2019 (Eröffnung 26.04.) findet ein weiterer Gipfel zur "Neuen Seidenstraße" in Peking statt. Aus Deutschland ist Wirtschaftsminister Altmaier dabei. Xi Jinping gibt bekannt, dass bereits Infrastruktur-Verträge in Höhe von 64 Milliarden Dollar abgeschlossen wurden. Laut Außenminister Wang haben 126 Länder und 29 internationale Organisationen Verträge abgeschlossen. Seit 2013 wurden Kredite in Höhe von 265 Milliarden Euro von verschiedenen Banken vergeben. "Die Chinesen nutzen skrupellos ihre Wirtschaftskraft, um politischen Einfluss zu nehmen", Jörg Wuttke, 2019, Präsident der Europäischen Handelskammer und für die BASF seit 22 Jahren in China aktiv

Trump verschärft den Handelskrieg (vgl. Abschnitt 11) mit China auch, um den Vorsprung der USA in der Welt zu konservieren. Der Schuss könnte aber nach hinten losgehen. China forciert als Gegenschlag seine technologische und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die Entglobalisierung könnte so den Abstieg der USA beschleunigen und erhöht gleichzeitig das Risiko militärischer Konflikte. So wird der Wohlstand der ganzen Welt gefährdet. Demonstrationen in Hongkong finden 2019 immer wieder statt. Sie treten für Freiheit und Demokratie ein. Hongkong ist eine chinesische Sonderverwaltungszone. Auslöser der Proteste waren die Versuche Chinas, Sonderrechte der Bewohner in der Sonderverwaltungszone einzuschränken (Daten nicht an die VR China). Der Erfolg des "Trumpismus" in den USA verstärkt aber die Schwächen Europas und hilft indirekt China den Weg zu ebnen. Die Europäer und auch die Kanadier müssen ihre neue Rolle erst wieder finden. Es gibt noch keine Antwort auf die Krise der Demokratie.

China unterstützt seine Strategie im Global Government auch durch eine sehr effektive Informationspolitik. Diese ist im eigenen Land so erfolgreich, dass außerhalb der Ballungsgebiete die Menschen mittlerweile tatsächlich glauben, der Corona-Virus komme aus den USA. Nach außen hat China Maskenlieferungen und Lieferungen von Schutzkleidung gegen Covis-19 nach Italien, Serbien und Ungarn und in andere Länder, die von der EU finanziert wurden, als chinesische Spenden deklariert und war damit sehr überzeugend. Die Corona-Krise wurde auch für die Propaganda im Systemwettbewerb benutzt: Immer wieder wurde herausgestellt, dass China die Krise besser bewältigt habe als die USA. Hongkong, das für China keine große ökonomische Bedeutung mehr hat und gegenüber Shenzhen immer mehr zurückfällt, wird als Testfall für Taiwan missbraucht. Man testet aus, wie weit man gehen kann und wie man mit Sanktionen fertig werden kann.  Die KPCh wird durch die Corona-Krise legitimiert, ihre Kontrolle über die Bevölkerung mit einer anderen Begründung auszubauen. In der WHO und anderen Organisationen schlüpft China in die Lücke, die die USA hinterlässt, und dominiert vor allem die Informationspolitik (Covid-19 wurde zu lange verharmlost). Die Informationspolitik (negativ Propaganda) ist für das Regime von systemrelevanter Bedeutung: Es geht letztendlich darum, das Aufstiegs- und Wohlstandsversprechen (analog dem "American Dream") gegenüber der Bevölkerung zu retten. Davon hängt die Existenz der KPCh ab. Der deutsche Virologe Kekule (Uni Halle), der öfter in Talkshows in Deutschland auftritt, wird geschickt missbraucht. Eine Äußerung von ihm über die Ausbreitung des Corona-Virus wird passend zurecht gestutzt: Danach ist die weltweite Pandemie in Oberitalien ausgebrochen, weil erst der Typ W des Virus die Pandemie verursacht habe.

China baut systematisch sein eigenes Netzwerk auf. Es wurden und werden neue multilaterale Institutionen aufgebaut: Asian Development Bank, Asian Infrastructure Investment Bank, Shanghai Cooperation Organisation. Sie bilden ein Gegengewicht zum "Washington Consenus" (IWF, Weltbank). Mehr als 100 Staaten unterstützen die diplomatische Großoffensive im Zusammenhang mit der "Neuen Seidenstraße" (siehe ganz oben). Die "neue Seidenstraße" als Projekt ist sehr komplex: Es sind chinesische Direktinvestitionen, Kredite, Infrastruktur, Militärstützpunkte und wichtige Verkehrswege. Hauptprofiteure sind Pakistan, Russland, Indonesien, Kasachstan, Vietnam. Manche  Stränge laufen im Hintergrund, wie der gute Draht zur Militärjunta in Myanmar. Hier sieht man eine perfekte Verbindung von Macht und Korruption. Man geht auch gezielt in Konfliktzonen. So kann man im März 2021 einen Pakt mit dem Iran schließen. Auch zum IWF baut man ein Gegensystem auf. Chinas Gegensystem zum IWF: Es ist für Länder des globalen Südens gedacht. Seit der Jahrtausendwende wurden 104 Mrd. $ an EL an Kredite vergeben. Das ist etwa 40% der Kreditvergabe des IWF. Hinzu kommen 240 Mrd. $ an Liquiditätshilfen und Notkrediten an über 20 Länder, davon allein 185 Mrd. von 2016 bis 2021. Der Zins lag mit 5% höher als beim IWF mit Durchschnitt 2%. Vieles hängt mit der Neuen Seidenstraße zusammen. Die chinesische Zentralbank hat auch gigantische Währungstauschgeschäfte gemacht. Ein großer Teil der Notkredite lief über SWAP-Abkommen. Vgl. Studie des IfW, Kiel 2023. Auch FAZ 29.3.23, S. 19.

Gegenbewegung: Die Strategie Chinas bleibt nicht verborgen.  Die USA organisieren in Asien ein Bündnis gegen China. Sie schmieden eine Allianz, die man "Quad" nennt. Ihr gehören neben der USA Indien, Australien und Japan an. Die USA bemühen sich noch um Indonesien, Sri Lanka und die Malediven (latent auch Neuseeland und Kanada). Peking sieht die Gruppe als asiatische Nato, deren Ziel die Eindämmung Chinas ist. Auf jeden Fall sucht man gemeinsam auf eine Antwort auf Chinas Machzuwachs. Der Widerstand in der Welt gegen China wächst. Am 12.3.21 halten die Staatschefs von USA, Japan, Indien und Australien einen virtuellen Indopazifik - Gipfel ab: Ihr Treffen soll ein Signal an Peking sein. Die EU (Konferenz der Außenminister am 16.3.21) verhängt erstmals seit 1989 wieder Sanktionen gegen China: Einreiseverbote und Konteneinfrierung. Grund sind die Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren in der Provinz Xinjiang. Großbritannien macht 2021 einen "Schwenk nach Asien". Man will sich stärker auf die Bedrohung durch China konzentrieren. Das Atomarsenal soll vergrößert werden. China verhängt Sanktionen gegen Deutsche (EU-Politiker, Mercator-Institute for China Studies). Es werden auch Sanktionen gegen die USA und Kanada verhängt. Die Sanktionen sind beiderseitig eher symbolisch (wie auch die Uiguren nur vorgeschoben sind). Aber im Hintergrund geht es um strategisches Ringen in der Weltpolitik. China fühlt sich nach seinem Wirtschaftsaufstieg in der Position, dem Westen die Stirn zu bieten. China, die USA und die EU sind ökonomisch in der Globalisierung stark vernetzt, so dass ein Handelskrieg alle treffen würde. Das größte Risiko hat die EU, vor allem Deutschland. Immer öfter wird eine klare Position gefragt sein, wie bei Russland, Nord Stream 2 und anderem.

Der harte Kurs der USA unter Trump hat China eindrücklich klargemacht, dass es sich bei Wertschöpfungs- und Handelsketten unabhängiger machen muss. China macht sich deshalb bei Vorleistungen zukünftig autarker. Umgekehrt macht es andere Länder stärker von sich abhängig. China betreibt global eine knallharte Machpolitik (Realpolitik). Beim Verhältnis zu Deutschland setzt Xi auf Scholz. In einem Telefonat mit Scholz am 21.12.21 warb er für eine Entwicklung der Beziehungen "auf Kurs". Xi hofft dass der Kanzler den Kurs bestimmt und nicht die Außenministerin. Im Ukraine-Krieg steht China fest an der Seite Russlands. Damit zeichnet sich eine neue Weltordnung mit zwei Blöcken ab. Das Schweigen in Peking zu dem Krieg kostet China viele Sympathien in der Welt. China läuft Russland aber nicht hinterher, versteht aber seine Sicherheitsinteressen (wie Indien auch). Man kann nicht von einer strategischen Allianz sprechen. China braucht eine stabile Weltordnung für die weitere Modernisierung in Wohlstand.

Exkurs: Olympische Winterspiele 2022 in China (Zusage 2015 vergeben; 4. bis 20 Februar 2022): Man wird die Winterspiele sicher im Westen und in einigen anderen Ländern benutzen, um Menschenrechte in China einzufordern. Der neue US-Präsident Biden erwägt sogar einen Boykott un dfühlt in westlichen Hauptstädten vor. Frankreich ist dagegen, weil Olympia 2024 in Paris ist. Auch Großsponsoren aus den USA wie Airbnb, coca Cola, Dow Chemical. Auch die Allianz aus Deutschland sponsert. Diese Kritik ist immer scheinheilig. Zuerst sollte man mal den Vergabeprozess unter die Lupe nehmen. Warum bekommt ein Land ohne Wintersport - Tradition die Spiele? Weil es sonst niemand mehr finanzieren will (ähnlich die Fußball-WM in Katar,  damit geht es noch nicht um Korruption der Vergabe selbst). Menschenrechte sollte man beim Bau und bei der Austragung  beachten. Beim Bau der Sportstätten 2008 und vorher in Peking wurde massiv Zwangsarbeit eingesetzt und es wurde nachts gearbeitet (weil tagsüber die Lastwagen wegen des Verkehrs nicht fahren konnten). Das hat niemand interessiert; stattdessen wurde über Tibet diskutiert. Es wäre meiner Ansicht nach fairer, Menschenrechte und Sport direkt zusammenzubringen. Die Spiele sollen vom 4. Februar bis 20 Februar 2022 ausgetragen werden. Das wären die ersten direkt hintereinander (Japan, China) in Asien ausgetragenen Olympischen Spiele. Hauptaustragungsort ist das Nationalstadion in Peking. Dort finden 15 Disziplinen statt. Weitere Austragungsorte sind  Zhanjiakou (dort hatte das OAI früher eine Partneruni; die Stadt war eine reine Garnisonsstadt ohne Ausländer) und Yanqing. Für das Land ist da sein wichtiges Statussymbol. Hauptzweck dürfte aber ein geplanter Boom sein: man will den milliardenschweren Wirtschaftszweig Wintersport erschließen. Man schreibt ein Playbook. Dieses enthält genaue Regeln für die Spiele, um Corona zu verhindern. Es sind auch drastische Strafen vorgesehen. Der Club der Auslandskorrespondenten (FCCC) beschwert sich immer wieder über eingeschränkte Pressefreiheit (keine Unterstützung, Argwohn, Einschränkungen). Die USA verkünden Anfang Dezember 2021 einen Diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele. Es werden keine Diplomaten und Regierungsvertreter entsandt. Als Grund geben die USA Menschenrechtsverletzungen an. Dieser Position folgen GB, Neuseeland und Australien. Gegen die Spiele gibt es diesmal keine Proteste in Tibet oder Dharamsala/ Indien. Die Repressionen haben sich durchgesetzt. Außerdem ist viel Infrastruktur in Tibet gebaut worden, von denen allerdings hauptsächlich Han - Chinesen profitieren. China hat die Kommunikation mit Dharamsala unterbunden, so weit es geht. Die Kritik an den Olympischen Spielen kommt diesmal von Klimaschützern und Umweltaktivisten. Die Skipisten liegen zwar in hohen und kalten Regionen in der Nähe von Peking, aber wegen des Wassermangels und der Wüstenbildung gibt es keinen Schnee. Alles muss mit Kunstschnee aufgebaut werden. Das Wasser wird von weit hergeholt. Das Umweltproblem dürfte heute aber bei allen Winterspielen relevant sein. Die Olympischen Spiele erhöhen den Druck auf China, Corona in allen Mutanten im Zaum zu halten. Die Null - Covid -Strategie wird immer härter umgesetzt. Sie führt in den betroffenen Regionen zu Versorgungsengpässen, Hunger und großer Unzufriedenheit. Die chinesen haben große Angst vor der Ausbreitung des Coronavirus. 243 NGOs fordern im Januar 2022 einen diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele. An der Spitze steht Human Rights Watsch. Aber auch die Athleten sind nervös: Sie fürchten unfaire Wettbewerbsbedingungen, verseuchte Lebensmittel und Spionage (App). Die ausländischen Gäste werden vom Rest der Bevölkerung getrennt. Die strenge Abschirmung erzählt viel darüber, wie sich das Land seit den Sommerspielen 2008 verändert hat (nicht nur Corona-Gründe). Die Eröffnung ist am 4.2.22. Deutsche Fahnenträger sind Claudia Pechstein und Francesco Friedrich. Die Olympische Flagge wird von der uigurischen Ski-Langläuferin Dinigeer Yilamujiang entzündet, was auch wieder viele als Provokation empfinden. Maskottchen der Spiele ist Bing Dwen Dwen. Es ist einem Panda-Bär nachempfunden.

Spaltung der Weltwirtschaft nach dem Ukraine-Krieg: Russland und China werden ihre Lehre aus den Wirtschaftssanktionen des Westens ziehen. 1. Zahlungssysteme: Die Sanktionen zwingen Banker aus Sankt Petersburg und Moskau sich in China umzuschauen. Chinas Konzerne bieten Alternativen. UnionPay und das Zahlungssystem Cips freuen sich. 2. Rohstoffe: Die Staatswirtschaften akzeptieren den Weltmarkt nicht. Sie schließen mit wichtigen Ländern Lieferverträge (Saudi-Arabien, Venezuela). Sie bieten Gegenleistungen wie Schutz, Diplomatie und Waffen. 3. Industrie-Inputs: Vorleistungen werden vorgeschrieben. Russland verwendet eigene Chips wie Baikal oder Ebrus. Bisher werden die Chips in Taiwan gefertigt. Künftig sollen chinesische Firmen das machen. Vgl. Nass, Matthias: Sie planen die Spaltung, in: Die Zeit Nr. 14/ 31.3.22, S. 24. 4. Währung: Der Renminbi ist noch nicht frei handelbar und als Weltwährung zu schwach. Die Frage ist, inwieweit eine Digitalwährung in die Lücke springen kann.

Annäherung der beiden Supermächte auf dem G20-Gipfel in Bali: Bei diesem Gipfel kommt es zum ersten persönlichen Zusammentreffen zwischen den Staatschefs von den USA und China seit 5 Jahren. Das Treffen verläuft wesentlich freundlicher als erwartet. Auf beiden Seiten ist der deutliche Wille zu erkennen, die desaströsen Beziehungen beider Länder zu verbessern. Man spricht über rote Linien. Beide Länder verurteilen Atomkriege und die Drohung damit, auch in der Abschlusserklärung. Damit ist Russland diplomatisch isoliert (Putin ist gar nicht erst erschienen). Beide Länder haben Interesse an einer positiven Entwicklung der Weltwirtschaft.

Weltwirtschaftsgipfel in Davos 2023: Xi schickt den stellvertretenden Ministerpräsidenten Liu He, seinen Vertrauten für Wirtschaft. Der kündigt eine positive Entwicklung an. Ein Gesetz für finanzielle Stabilität sei in Arbeit (vor allem Immobilienbranche). China müsse das Gleichgewicht nach Corona wieder finden wie die USA und die ganze Welt. Das Wachstum werden wieder auf ein normales Niveau kommen (2022 nur 3%). In der sozialistischen Marktwirtschaft spielten Markt und Staat eine wichtige Rolle. Die Rechtsstaatlichkeit sei gesichert. Vgl. FAZ 18.1.23, S. 17.

Chinas Zwölf-Punkte-Plan für die Beendigung des Ukraine-Krieges: Er wird im Februar 2022 vorlegt. Beide Seiten werden zu Verhandlungen aufgerufen. Er pocht auf Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität. Er fordert den Verzicht auf Einsatz von Atomwaffen. Später bringt Der Spiegel ans Licht, dass Verhandlungen zwischen Russland und China über die Lieferung von Kampf-Drohnen  an Russland für den Ukraine-Krieg laufen. Das würde vieles verändern. Wenn Xi 2023 Russland besucht, will er mit Putin nach Lösungen suchen. Er strebt auch Gespräche mit der Ukraine an (Selenski). In dem Papier fordert China auch Erleichterungen von Getreideexporten und Stabilisierung von Lieferketten. Das ist für die Länder des globalen Südens wichtiger als der Grenzverlauf zwischen Russland und der Ukraine. China signalisiert damit dem globalen Süden, ein Advokat seiner Sorgen und Nöte zu sein; Xi hat zunehmend Einfluss in der Welt. Ende April 2023 telefoniert Xi mit dem Präsidenten der Ukraine Selenskyj über den Krieg. China entsendet einen Sondergesandten in das Krisengebiet.

Russland-Reise im März 2023: Am 20.3.23 kommt Xi zu einem Staatsbesuch nach Russland. Er bleibt drei Tage. Im Kern geht es um die neue Weltordnung. Nach der Vermittlung zwischen Iran und Saudi-Arabien spürt Xi Aufwind und wird auch versuchen, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Doch im Zentrum steht die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Russland und China (mehr Öl- und Gasimporte von China, mehr Technologieexporte von China, militärische Kooperation). Es wird ein Abkommen unterzeichnet für den Ausbau der strategischen Partnerschaft bis 2030.

Neue Weltordnung: Xi propagiert 2023 auf dem Volkskongress und später eine neue Weltordnung. Sie verfängt vor allem im globalen Süden. Die Jahrzehnte, in denen sich die USA als Weltpolizei aufspielten, haben zu Animositäten geführt. Die Europäer stehen wegen ihres kolonialen Erbes in vielen Ländern am Pranger. China steht hingegen für Pragmatismus. Es bietet ein Wirtschaftsmodell an, das Hunderte Millionen Menschen aus Armut geführt hat. Es propagiert keine Werte wie die Menschenrechte. Vgl. Kretschmer, Fabian: China erwacht, in: Die Rheinpfalz 27.3.23, S. 2. Regionale Interessen stehen aber bei China im Vordergrund. Man will nicht Weltpolizist werden. Im April 2023 erregt eine Äußerung des chinesischen Botschafters in Frankreich Aufsehen. Lu Shaye weist darauf hin, dass die heutigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion nicht notwendigerweise souverän seien. Die Staaten hätten keinen effektiven Status im Völkerrecht. Der Außenminister Qin Gang wird im Juli 2023 abgesetzt (vorher verschwindet er wochenlang von der Bildfläche). Nachfolger wird sein Vorgänger Wang Yi. Es gibt viele Gerüchte zu der Ablösung.

Beschlüsse zu China auf dem G7-Gipfel in Hiroshima im Mai 2023 und BRICS-Erweiterung: Im Mai 2023 findet in Japan/ Hiroshima ein G7-Gipfel statt. Anwesend sind auf Einladung auch weitere wichtige Länder: Indien, Brasilien, Indonesien. Es werden auch Beschlüsse zu China gefasst. Der wirtschaftliche Aufschwung dort sei gewollt uns solle nicht behindert werden. Aber die Gangart soll härter werden. Es sollen Lieferketten breiter werden und das Risiko minimiert werden. Ein Outbound - Investment - Screening wird eingeführt. Es soll ungewollte Technologietransfers verhindern. China drückt sein "starke Unzufriedenheit" über die Beschlüsse aus.  Deutschland mahnt zur Zurückhaltung. Auf dem BRICS-Treffen in Johannesburg in Südafrika nimmt BRICS sechs zusätzliche Länder auf und wird zu BRICS plus. China versucht den Pakt, gegen den Westen zu positionieren. Einige Länder scheinen aber da nicht mitzuspielen (Indien, Südafrika, Brasilien, Argentinien)

Exkurs. Tourismus: Von 120 auf 200 Mio. war die Zahl chinesischer Reisepässe zwischen 2016 und 2020 gestiegen. Corona hat dann zum Zusammenbruch des Tourismus geführt. Das war eine Ära des "social distancing", die den Abstand zum Westen vergrößerte. 2023 kann sich der Abstand vielleicht wieder verringern, denn die Menschen reisen wieder. Das ist gut. Denn viele Chinesen haben dunkle Ideen über die westliche Welt entwickelt, ganz im Sinne der Regierung. Das nennt man auch "Wahrnehmungskluft". Wenn die Jungen und Gebildeten wieder reisen, können sie das Ausland mit eigenen Augen sehen. Vgl. Zand, Berhard: Die Chinesen kommen - gut so! in: Der Spiegel 6/ 4.2.2023, S. 82f. Auf der Sitzung des Volkskongresses im März 2023 wird bekannt gegeben, dass sich das Land wieder ganz dem Tourismus öffnet. Auf der anderen Seite ziehen die Chinesen seit Neuestem Urlaubstage im eigenen Land den Reisen in ferne Gegenden vor. Reisen wird insofern auch als patriotische Tat definiert. Nur noch ein Bruchteil der Chinesen reist ins Ausland. Das hängt auch mit der Wirtschaftslage zusammen. Sowohl in den sozialen Medien als auch in den traditionellen Papierzeitungen häufen sich die Negativschlagzeilen übers Ausland. Gegen Japan läuft eine Desinformationskampagne wegen dem Kühlwasser in Fukushima. Vgl. Kretschmer, Fabian: Reisen als patriotische Tat, in: Die Rheinpfalz 2.10.23, S. 1. Wer aus Deutschland zwei Wochen nach China reisen will, braucht bald kein Visum mehr. Das ist ein eindeutiges Signal, vor allem für Wirtschaftsvertreter.

Exkurs. Zibo: Zibo ist 2023 eine 4,5 Millionen-Stadt in der Provinz Shandong, wo auch Qindao liegt. Neuerdings gibt es einen wundersamen Tourismusboom. Besuchermassen tauchen auf. Zuerst vermutet man, dass es mit dem ehemaligen Fifa-Präsident Sepp Blatter zu tun hat. Er hatte die Stadt 2004 zum Geburtsort des Fußballs erklärt. Vor 2000 Jahren sei hier ein Sport namens Cufu (Tretball) erfunden worden. Mittlerweile glaubt man, dass Influencer den Boom ausgelöst haben. Zuerst kamen Studenten, jetzt Touristen aus ganz China. Vgl. Süddeutsche Zeitung 10.5.23, S. 13.

Die USA haben ein Interesse daran, dass China seinen Einfluss auf Länder wie Iran nutzt. Xi hat ein Interesse daran, das internationale System im chinesischen Interesse umzubauen, um den Einfluss der USA zu schwächen. ende November 23 treffen sich Xi und biden am Rande des Apex-Gipfels.

Bündnisse gegen die USA: China hat eine Strategie entwickelt, wie man die Kriege in der Welt für sich nutzen kann. Schon zu Beginn des Ukraine-Krieges praktizierte China "pro-russsiche Neutralität". Es gab eine Schlagseite zu Russland hin. Handelspolitisch holte man das beste für sich heraus und sprang zum eigenen Vorteil in die Lücke, die der Westen hinterließ. Gleichzeitig versucht man möglichste viele Länder aus dem Block des Westens herauszulösen. Die gleiche Strategie fährt China im Gaza-Krieg. Der Terroranschlag der Hamas wird ignoriert und man betreibt jetzt eine "pro-palästinensische Neutralität". Man will den arabischen Block hinter sich versammeln und die Dominanz des Westens unter Führung der USA durchbrechen. Man braucht die Araber auch, um gegen die Uiguren Ruhe zu haben.

Langfristziel und Strategie: China hat ein großes Ziel, was es kontinuierlich anstrebt und worauf es seine Grundstrategie abstellt. Man spricht auch von einem 100-Jahre-Plan. 2049 will das Land mit den USA auf Augenhöhe sein. Das gilt militärisch, wirtschaftlich und geopolitisch. Die Geoökonomie steht nach außen im Vordergrund. Man beobachtet noch nicht Missionierung (obwohl man auf Autokratie und asiatische Menschenrechtserklärung setzt). China war in Afrika deshalb so erfolgreich, weil es alle politischen Systeme dort toleriert hat. Das Angebot an die ärmeren Länder ändert sich aber: Mehr Message, wenige rGeld. Nach außen spricht man von Multipolarität, meint aber wohl eher Bipolarität (mit den USA). Insofern verhandelt man über die großen Probleme am liebsten mit den USA (Deutschland und die EU wird an der langen Leine gesehen). Gegenwärtig noch wird der Satz von Biden akzeptiert: Die Welt ist groß genug für uns beide. Ein Angriff auf Taiwan ist deshalb noch unwahrscheinlich, weil China pragmatisch ist. Eine komplette Abriegelung ("Stiller Tod") würde die Welt schon so in Chaos stürzen (Zusammenbruch der Lieferketten). Asien kann China allein schon durch seine Staudämme und seine finanziellen Ressourcen ("Neue Seidenstraße") unter Kontrolle halten (Tibet, alle große Flüsse Asiens). China wird insgesamt Harmonie predigen und die Spaltung der Welt rigoros ausnutzen.

11. Handelskrieg mit den USA ab 2018 und Auswirkungen: 2018 häufen sich Probleme in der Ökonomie des Landes. Seit Januar sind die Kurse an den chinesischen Aktienmärkten im Schnitt um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Das Wachstum hat sich auf 6,7% verringert (teilweise, weil die Staatsinvestitionen  zurückgefahren wurden). Die Schuldenberge der öffentlichen Haushalte sollen abgetragen werden. Die Technologiebranche kämpft mit Rückschlägen. Xiaomi erzielt beim Börsendebut in Hongkong nur die Hälfte der anvisierten 100 Mrd. Dollar. In diese Bedingungen kommt der Handelsstreit mit den USA. Trump droht sogar damit, alle chinesischen Waren zu belegen. Doch welche Möglichkeiten hat China? Dienstleistungen in den USA könnten mit Zöllen belegt werden. Das wäre aber eine Katastrophe für die vielen Familien und Freunden in den USA, ganz zu Schweigen von den notwendigen Wirtschaftsprüfungsfirmen (Aktienrecht von USA abgeschrieben). Ein Verkauf der hohen Dollarreserven würde den Zinsdruck in den USA verstärken, aber der Anteil Chinas liegt bei nur 7%. Seltene erden könnten verknappt werden (China fördert mehr als 80%). Beim Boykot amerikanischer Waren wären stark US-Firmen in China betroffen (Apple, McDonald´s). Eine Erschwerung der Bürokratie in China würde den Ruf des Landes im Ausland schädigen. Ein Währungskrieg (Abwertung de Yuan) könnte die Exporte erhöhen, aber die Importe würden teurer (Verleistungen für viele Exportprodukte). Die Gefahr einer Asienkrise wäre groß (vgl. auch Xifan Yang: Angst in China, in: Die Zeit, Nr. 31, S. 19. Im Juni (29 Mrd. $) und Juli (28 Mrd. $; Exporte +12,2%) 2018 werden Rekordüberschüsse im Handel mit den USA erzielt. Es könnten Vorwegnahmen sein, aber auch die Abwertung des Yuan wirkt. Am 23. August 2018 treten weitere Strafzölle der USA in Kraft: 279 Waren im Werte von 16 Mrd. $ (Metalle, Chemikalien, Elektronik). Chinas Wettbewerbsfähigkeit könnte gestärkt werden. China antwortet sofort mit Retorsionszöllen.  Dann einigt man sich beim G20-Treffen in Buenes Aires auf eine Aussetzung der Zölle bis Ende März 2019. Der Handelskrieg ist nur eine Dimension des Kampfes zwischen den beiden Weltmächten um die politische und militärische Vorherrschaft in der Welt. Hoffentlich geraten die USA nicht in die berühmte Falle des Thukydides. Der Dichter sah im Aufstieg Athens den Grund für den peloponesischen Krieg zwischen Sparta und Athen im 5. Jahrhundert vor Christus: "Den wahrsten Grund sehe ich im Wachstum Athens, das die erschreckten Spartaner zum Kriege zwang". "Du führst deinen Krieg, ich führe meinen", Mao Zedong. Vgl. auch: Bernhard Zand: Messer am Hals, in: Der Spiegel, Nr. 1; 29.12.2018; S. 12ff.

Der Protektionismus der USA kann aber den Aufstieg Chinas nicht verhindern, nur verlangsamen (dies würde auch für einen erschwerten Technologietransfer gelten). China sollte in das internationale System mehr eingebunden und dann auch sanktioniert werden. So auch der US-Ökonom P. Krugman: Wir sind nicht vorbereitet, in: Der Spiegel 2/2019, 5.1., S. 69. "Ein voller Handelskrieg triebe den jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden Chinas auf 30 Mrd. $", Gabriel Felbermayr, Ifo-Institut, bald Institut für Weltwirtschaft Kiel; Quelle: China, wir und die neue Aufteilung der Welt, in: Focus 5/2019, S. 52.

Manche sprechen mittlerweile von einem Art Kalten Krieg 2.0. China ist den USA zu gefährlich geworden. Der kalte Wirtschaftskrieg wird um Hochtechnologie, Rohstoffe und Finanzmacht geführt. Kurz bevor sie ökonomisch überholt werden, brechen die USA in eine Torschlusspanik aus. Auf allen Kontinenten haben sich die Chinesen eingekauft. Sie sichern sich Lebensmittel, Rohstoffe und Macht. Immer öfter stößt man auch direkt aufeinander wie in Venezuela 2019: China stützt Maduro, die USA Guaido. Huawei wird Spionage und Betrug vorgeworfen, obwohl das nicht belegt werden kann. Auch Iran-Sanktionen sollen verletzt worden sein. Mit dem Sanktionsmechanismus wird Politik gemacht. Die USA versuchen, eine Anti-China-Allianz aufzubauen. Für Unternehmen die nicht einem der beiden Länder angehören, wird das zunehmend zu einem Risiko. Vgl. Wirtschaftswoche, Ausgabe 6, 02.02.2019, S. 59ff. und Sieren, F.: Zukunft? China! , München 2018, S. 265ff. Der Kampf der beiden Supermächte China und USA betrifft in starkem Maße die EU, dei ökonomisch etwa gleich stark ist. Beide Länder versuchen mit allen Mitteln die EU zu spalten (China über die "Neue Seidenstraße", die USA über Militärprojekte mit Osteuropa und über GB). Lightnizer, der Handelsbeauftragte, kündigt im Mai 2019 eine Ausweitung der US-Zölle auf die Höhe von 25% auf alle verbliebenen Importe aus China an. Das beträfe Waren im Wert von 300 Mrd. $. Er setzt eine Frist von drei Monaten für ein Abkommen. China ist in der schwächeren Position, weil es nur noch die Zölle erhöhen kann. Im Mai 2019 setzen die USA Huawei auf eine "schwarze Liste". Daraufhin will Google das Unternehmen nicht mehr mit dem Betriebssystem "Android" versorgen. Das könnte Huawei schwer schaden. Dann werden die Strafmaßnahmen gegen Huawei wieder etwas gelockert (zunächst für drei Monate; Software wird geliefert). Damit erreichen die Sanktionen eine neue Dimension. China antwortet mit einer Androhung eines Exportstopps beziehungsweise einer Exportbeschränkung bei Seltenen Erden (China liegt weit vor Australien, den USA und Sonstigen). Diese werden für die Handy-Produktion benötigt. 2019 ist China der Rohstoffproduzent für 70% der Seltenen Erden. 80% davon werden in die USA exportiert. Ebenso macht China eine Liste mit "unzuverlässigen" ausländischen Firmen. Mittlerweile hat China die USA bei Patentanträgen überholt (2017: 1,3 Mio. gegenüber 525476 aus den USA). Die Devisenreserven lagen 2018 noch immer in China über 3 Billionen Dollar gegenüber 0,2 in den USA (ohne Goldreserven). Es geht um die Weltherrschaft. Ab 1.6.19 treten chinesische Zölle in Höhe von 53,8 Mrd. Dollar auf Importe aus den USA in Kraft. Abgaben in Höhe von 5 bis 25% werden erhoben (5400 Produkte: Kosmetika, Kaffeemaschinen, Musikinstrumente, Sportartikel, Kondome, Diamanten, Wein). Am 01.08.19 verhängen die USA neue Strafzölle gegen China: Es handelt sich Produkte im Wert von rund 300 Milliarden Dollar. Die Strafzölle gelten ab September 2019 und haben die Höhe von 10%. Die Handelsgespräche wurden vorerst ohne sichtbare Fortschritte beendet. Sie sollen im September 2019 fortgesetzt werden.  Betroffen sind besonders wichtige Produkte für China wie Handys, Laptops, Textilien und Spielzeug. Die Produkte werden in den USA teurer. Die USA scheinen die Veränderung von Lieferketten zu beabsichtigen. Als Retourkutsche werten die Chinesen ihre Währung ab. Vorübergehend rutscht der Renminbi unter 7 (die chinesische Zentralbank, die nicht unabhängig ist, hat den größten Einfluss). Die USA sprechen von Währungsmanipulationen. Die USA verschieben die jüngsten Zollerhöhungen von 10% gegen China auf Anfang Dezember 2019 (wegen Weihnachtsgeschäft in den USA). Im August 2019 verkündet Trump die Einfuhrzölle gegen China, die es schon gibt, auf 30% zu erhöhen. China kündigt sofort ebenfalls eine Erhöhung an. Mitte Oktober 2019 spricht Trump von einem Teilabkommen: Er verzichtet auf weitere Erhöhungen. Einigung bei Geistigen Eigentum, Finanzdienstleistungen und Agrarprodukten (China sagt hier feste Importe zu).  Mehr soll bei einem Treffen von Xi und Trump im November kommen. Anfang November 2019 kommt man zu einer Verständigung, Sonderzölle wieder abzubauen. Es soll schrittweise abgerüstet werden. Im Dezember 2019 (Treffen zwischen Trump und Xi Jinping) soll ein Handelsvertrag abgeschlossen werden. Im November 2019 sind die chinesischen Exporte in die USA um 23% eingebrochen. Mit China spricht man im Dezember 2019 von einem Teilabkommen. Die USA gehen auf China zu. Neue Strafzölle treten nicht in Kraft 15%, Warenwert 160 Mrd. ). Das so genannte Phase-Eins-Abkommen wird am 15.01.2020 unterzeichnet.    "Die reichen Länder von heute setzen fast ausnahmslos Zölle und Subventionen ein (...). Interessanterweise sind Großbritannien und die USA die beiden Länder, die den Gipfel der Weltwirtschaft durch ihre Politik des freien Marktes und des Freihandels erklommen haben wollen, gerade diejenigen, die Zölle und Subventionen am aggressivsten eingesetzt haben", Ha-Joon Chang. Chinas Verhandlungsführer und wichtigster Berater für Xi Jinping ist Liu He. Er sieht sogar einen positiven Effekt für China: mehr Innovationen und mehr Qualität.

Exkurs: Handelskonflikt im Alltag der Chinesen: 19% der Exporte Chinas gingen 2017 in die USA. Damit lebt China stark vom Export, auch wegen der lange Zeit niedrigen Löhne. Der niedrige Kurs des Yuan kann Zölle zum Teil auffangen, weil die chinesischen Produkte gegenüber dem starken Dollar günstiger sind. Wohlhabende Chinesen drücken ihren Pessimismus aus, indem sie Goldbarren in Hongkong bunkern oder Barreserven in US- oder australischen Dollar horten. Es wächst die Sorge vor Arbeitslosigkeit und Inflation. Die Preise für Obst und Lebensmittel sind schon stark gestiegen (was nur bedingt von den Zöllen der USA abhängt). Die Staatsmedien schweigen eher, Unzufriedene melden sich in Online-Foren. China hat nicht mehr viele Möglichkeiten für Zugeständnisse an die USA. Die Regierung spricht von einem "Langen Marsch" (angelehnt an Maos Kommunisten-Armee).

Zum Präsidentenwechsel Ende 2020 in den USA schaffen es die Chinesen nach acht Jahren Verhandlung, eine eigene Wirtschaftsintegration zu vereinbaren: RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership): Das Freihandelsabkommen kommt im November 2020 zustande. Es ist die größte Freihandelszone der Welt (größer als EU und Nafta).  Es hat 2,2 Mrd. Verbraucher. Es umfasst ca. ein Drittel des Welthandels. 15 Staaten machen mit. Es sind die 11 Asean - Staaten (China, Thailand, Laos, Malaysia, Singapur, Kambodscha, Vietnam, Burma, Indonesien, Philippinen, Brunei)  + Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland. Chinas Position verstärkt sich in der Welt: China ist das Zentrum der Zone und füllt das Vakuum aus, das die USA hinterlassen. Die USA hatten sich zurückgezogen. Zölle werden gesenkt  innerhalb von 15 Jahren, Investitionen vereinbart, es gibt neue Regelungen für den Handel. Die Dienstleistungen sind mit einbezogen (auch Online-Handel). "Meilenstein der ostasiatischen Zusammenarbeit", Le Keqiang, Ministerpräsident Chinas, November 2020.

Resümee: Bis Juni 2019 haben die USA die Zölle auf chinesische Produkte in vier Stufen bis zuletzt im August 2019 erhöht. Insgesamt sind Produkte im Wert von 300  Mrd. Dollar betroffen. Die Chinesen haben Strafzölle ebenfalls in vier Stufen für einen Wert von  insgesamt 75 Mrd. Dollar erhoben (Quelle: US-Kongress; Der Spiegel Nr. 51, 14.12.19). Bis 2018 exportierte China Waren im Werte von 539,7 Mrd. Dollar und importierte Waren im Werte von 120,1 Mrd. Dollar. Mitte 2019 setzt der Handelskrieg China kräftig zu: Im Juni geht der Außenhandel um -4% zurück; insgesamt sank der Außenhandel zwischen den Ländern seit Ausbruch des Konfliktes um -13%. Das verlangsamt auch das chinesische Wachstum (nur noch 6,2% im 2. Quartal 19). Ab Mai 2019 steigen die Exporte wieder kontinuierlich an (aber die Ausfuhren der USA sinken). Vgl. auch: Erber, Georg: Handelsstreit zwischen den USA und China, in: Wirtschaftsdienst 2019/8, S. 588ff. Trump scheint auf Zeit zu spielen. Er spielt die Bedeutung einer raschen Einigung herunter. Er will sich bis Wahl nicht zu sehr mit China anlegen (umfassendes Abkommen später). China dürfte aber sowieso nicht mehr zu stoppen sein. Der Versuch des technologischen Ausschlusses kommt viel zu spät. Im Dezember 2019 kommt es zu einem Teilabkommen; noch geplante Zollerhöhungen treten nicht mehr in Kraft. Die Regierung Biden hält aber an den Handelsbeschränkungen fest. Auf dem G20-Gipfel Ende Oktober 2021 in Rom geben die USA bekannt, dass die Strafzölle auf Stahl und Aluminium wegfallen sollen. Das soll nur für nachhaltige Produktion gelten, wobei China als umweltschädlich definiert wird.

China und die USA kontrollieren zusammen 2021 etwa 42% der Weltwirtschaft. Die restlichen Prozent verteilen sich auf 190 Länder. Die EU hat sich durch den Austritt GB entscheidend geschwächt. Im Oktober 2021 nehmen die Unterhändler beider Länder nach längerer Pause wieder die Gespräche zur Lösung des Handelskonflikts auf. Hauptpersonen sind die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai und Chinas Vizepremier Liu He. Trotzdem dürfte die Schubumkehr im Welthandel Bestand haben und sich fortsetzen: Im Jahre 2000 trieben 80% aller Länder mehr Handel mit den USA als mit China. Heute (2019) haben über zwei Drittel aller Staaten ein größeres Handelsvolumen mit China, auch Deutschland. Im Taiwan-Konflikt 2022 (Besuch von Nancy Pelosi) in Taipeh Anfang August 2022) kommen neue Handelssanktionen von China (gegen Taiwan und die USA). Die Exporte in die USA waren im Juli 2022 noch um 11% gestiegen, während die Importe um -4,5% zurückgingen.

Der neue Premier Li Qiang (ab März 2023) schlägt moderate Töne gegenüber den USA an. Er versucht, Investoren zu beruhigen. Xi schließt eine militärische Bedrohung Taiwans aus, verbietet sich aber ausländische Einmischung. Aber China richtet seine Handelspolitik zunehmend nach geopolitischen Verschiebungen (sicherheitspolitische Kriterien) aus. Der Westen geht auf Distanz (-12% Handelsvolumen mit Deutschland, USA -7,2%, EU -6,4% im Jahr 2023) und Russland springt in die Bresche.

Exkurs Diplomatische Öffnung Chinas und Pingpong-Diplomatie: 1971 treffen sich die Tischtennisspieler Glenn Cowan (USA) und Zhuang Zedong (China) bei der Tischtennis-WM im japanischen Nagoya. Seit der Machtübernahme Maos 1949 ist China diplomatisch völlig isoliert. Die Begegnung der Sportler mit Austausch privater Geschenke geht durch ein Pressefoto um die Welt. Die Kulturrevolution stellt ab 1966 in China alles auf den Kopf. Die US-Tischtennisspieler werden kurz nach der WM nach China eingeladen und kommen in die Große Halle des Volkes. Im gleichen Jahr 1971 gibt es eine heimliche Reise des damaligen nationalen Sicherheitsberaters Henry Kissinger nach Peking., der den Besuch von US-Präsident Nixon vorbereiten soll. Im Februar 1972 reist Nixon nach China ("die Woche, die die Welt veränderte"). Die Isolation des Reiches der Mitte ist bald beendet. Danach nehmen 100 Länder diplomatische Beziehungen zu China auf (vorher nur 32). Vgl. Müller, Stephan M.: Pingpong-Diplomatie, in: Rheinpfalz am Sonntag, 14.3.21, S. 25. "Only Nixon could go to China". Geflügeltes Wort. Es steht dafür, dass nur derjenige unpopuläre Dinge tun kann, der unverdächtig ist, sie heimlich immer schon geplant zu haben. Im Juli 2023 reist Henry Kissinger als Hundertjähriger nach Peking. Er wird von Xi Jinping im selben Gästehaus empfangen wie 1971. Kissinger hatte 1971 eine Geheimreise in die Volksrepublik gemacht. Er hatte damit die ersten Schritte zur Normalisierung der Beziehungen zwischen USA und China eingeleitet. Als Personen besiegelten Le Duc Tho für Vietnam und Henry Kissinger für die USA auch den Vertrag für Frieden in Vietnam zur Beendigung des Krieges. Viele sagen, der Vertrag hätte Jahre früher kommen können, um viele Menschenleben zu retten. Trotzdem erhält Kissinger den Friedensnobelpreis. Kissinger wurde 1923 in Fürth/ Franken geboren. Als Jude musste er 1939 mit seiner Familie in die USA fliehen. Er sprach fließend Deutsch und war Anhänger des Fußballvereins Greuther Fürth.

12. Konfliktzonen zwischen China und den USA: Kampf um die Weltherrschaft (Kalter Krieg 2.0? Das Megathema der Zukunft) manche verwenden diesen Begriff wie hier, andere nur für den Kampf der digitalen Weltunternehmen bzw. der digitalen Wirtschaft; Vgl. Teilung der digitalen Welt): Taiwan wird von vielen multinationalen Unternehmen zu "Greater China" gerechnet. Seit 1992 besteht ein Konsens, dass es nur ein China gibt, allerdings mit zwei politischen Systemen. 2008 gibt es eine Annäherung durch ein erstes Treffen der Parteichefs nach 60 Jahren (Vereinbarung direkter Flugverbindungen). Im Februar 2014 gibt es erstmals seit 1949 Gespräche auf Regierungsebene zwischen China und Taiwan. 2018 verstärkt China den Druck auf Fluggesellschaften: Sie müssen den Anspruch Chinas  auf Taiwan bestätigen. Sie dürfen Taiwan nicht mehr als Land benennen. Außenpolitisch unterhält China in Rivalität zu Indien besonders enge Beziehungen zu Pakistan und Burma. China fürchtet eine Einkreisung durch Indien, Russland, Südkorea und Japan. China kauft sich daher immer mehr in Pakistan ein (Milliardeninvestitionen). China plagt die Sorge, das sich Taliban- und IS-Terror via Pakistan auf die muslimische Provinz Xinjiang im Westen Chinas ausdehnen könnte. Zum anderen geht es um einen die Arabische See und den Indischen Ozean beherrschenden Seekorridor vom südpakistanischen Hafen Gwadar aus. Ein Zubringer von der nördlichen Seidenstraße aus wird errichtet.

Im südchinesischen Meer gibt es auch Auseinandersetzungen um Inseln mit Malaysia und den Philippinen. Vor der philippinischen Küste haben die Chinesen künstliche Riffe geschaffen. Die USA schaltet sich immer wieder in den Schlagabtausch ein. Der Nationalismus in China selbst könnte irgendwann außer Kontrolle geraten. Das Land beruft sich auf seine lange Tradition, in der es Jahrhunderte lang die Nachbarländer dominierte. Die USA und China kämpfen um die Vorherrschaft im Pazifik. Umstritten sind die Seegebiete, die China kontrollieren will (das Land wird vom internationalen Gerichtshof in Den Haag verurteilt). China will sich Taiwan einverleiben, auch wenn man dort von Wiedervereinigung gar nichts hält. Die USA verfügen über eine Reihe von Marinestützpunkte in dem Bereich (Südkorea, Japan, Guam, Darwin, Diego Garcia, Britischer Militärstützpunkt). Immer wieder kommt es zu Konfrontationen in der Region. Westliche Staaten entsenden Schiffe in internationale Hoheitsgewässer, wie z. B. GB den Flugzeugträger HMS Queen Elisabeth (Flaggschiff der britischen Marine). So sollen z. B. die Philippinen unterstützt werden. In der Regel fährt man im Verbund mit US-Kriegsschiffen un d Schiffen anderer Nationen (Niederlande, Japan, Deutschland). China fühlt sich provoziert und sendet eine Warnung aus: "Einen hinrichten als Warnung an hundert". Auch Deutschland beteiligt sich ab Sommer 2021 an der Mission. Man schickt die Fregatte "Bayern". Bei den Operationen fahren  Kriegsschiffe gezielt durch von China beanspruchte Gewässer.

Militärisch sind die USA 2020 noch überlegen. 2020 investieren die USA 778 Mrd. US-$ in Rüstung. China liegt bei 252 Mrd. US-$ (aber seit 2004 vervierfacht). Aber ein Krieg hätte desaströse Folgen , auch für die ganze Welt. China füllt systematisch die Leere, die die USA hinterlassen ("America First"). Die USA rüsten ihre Verbündeten in Asien auf. 2020 werden Boden-Luft-Raketen (Marschflugkörper, Raketenwerfer) an Taiwan geliefert im Wert von 1 Mrd. $. Peking droht mit Vergeltung. Wenn die Wirtschaft Chinas in Zukunft die der USA überholt, wird auch das Militär früher oder später dominieren. Das war immer so in der Geschichte. Dann könnte der Punkt gekommen sein, dass China seine nationalen Interessen durchsetzt, ohne dass der Westen eingreift. China wird einen militärischen Konflikt aber kaum provozieren, da die Zeit für das Land spricht. China sieht keinen Sinn in bilateralen Abrüstungsverhandlungen oder in Dialogen. Vgl. den Militärexperten Tang Zhao vom Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy, Quelle: Interview in der Rheinpfalz  vom 7.7.2021, S. 3.  "Die US-Chinesische Beziehung ist die wichtigste politische Aufgabe dieses Jahrhunderts", Torrey Taussig, Harvard Kennedy School 2021.

Weil die USA Rüstungsgüter an Taiwan liefern, verhängt China im Oktober 2020 Sanktionen gegen US-Konzerne. Es trifft mehrere US-Waffenhersteller: Lockheed Martin, Boing Defense, Raytheon und noch weitere Unternehmen. Sie haben Waffen im Wert von 1,5 Mrd. € an Taiwan geliefert. Die US-Regierung erwägt Sanktionen gegen 89 chinesische Unternehmen (Lieferung amerikanischer Technologie verboten). Grund seien Beziehungen zur chinesischen Armee. Der Präsident der tibetischen Exil-Regierung wird im Weißen Haus empfangen. Ein ranghoher Vertreter der US-Armee reist zu Gesprächen nach Taiwan. Die USA steigern auch die Zahl ihrer Kriegsschiffe. und der Durchfahrten. Asien ist nicht nur China, auch Australien, Japan, Südkorea, Indien, Neuseeland, Singapur. Man sollte von der EU aus mehr eine Balance der Interessen herstellen.

Die Volksrepublik will in den nächsten Jahren (ab 2020) mehr auf sich selbst setzen (eigene Kräfte nutzen). Die Kommunistische Partei entwirft 2020 einen neuen Fünfjahresplan, in dem man sich international stärker entkoppeln will. Ab 26.10.20 finden viertägige Beratungen in Peking statt (Plenum des ZK). Die Tagung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eine stärkere Selbständigkeit Chinas wird angestrebt. Hintergrund sind die Corona-Pandemie und der Konflikt mit den USA. Die USA seien misstrauisch, weil China zu schnell wachse (Vizeaußenminister Qin Gang). Die Exportabhängigkeit soll reduziert und der Binnenkonsum gestärkt werden (Fortsetzung der Strategie). Präsident Xi spricht von einem "neuen offenen Wirtschaftssystem". Ausländische Direktinvestitionen und Kapital sind erwünscht. Gleichzeitig wendet er sich gegen den Trend der Anti-Globalisierung. Der Wissenschaftler Xeuwu Gu (Uni Bonn) plädiert für eine amerikanisch-chinesisch-europäische Führungsrolle in der Weltpolitik, eine "G3-Weltordnung". Vgl. Xeuwu Gu: Die Stunde Europa, in: Handelsblatt Nr. 15. 22./23./24. Januar, S. 64.

Die USA "gehen Klinkenputzen" gegen den Einfluss Chinas. Sie schmieden eine Allianz, die man "Quad" nennt. Ihr gehören neben der USA Indien, Australien und Japan an. Die USA bemühen sich noch um Indonesien, Sri Lanka und die Malediven. Peking sieht die Gruppe als asiatische Nato, deren Ziel die Eindämmung Chinas ist. Auf jeden Fall sucht man gemeinsam auf eine Antwort auf Chinas Machzuwachs. Der Widerstand in der Welt gegen China wächst. Am 12.3.21 halten die Staatschefs von USA, Japan, Indien und Australien einen virtuellen Indopazifik - Gipfel ab: Ihr Treffen soll ein Signal an Peking sein.

1979 machte Biden schon seine erste Chinareise als junger Senator. Es kam zu einem Treffen mit Deng Xiaoping. Joe Biden und Xi Jinping kennen sich schon aus der Zeit als beide noch Vize-Präsidenten waren. Sie trafen sich 2011 in der Provinz Sichuan. Letztes Mal begegneten sich beide 2013. Biden kippte damals ein Überflugverbot Chinas über das Ostchinesische Meer. Biden befürwortete einst den Beitritt Chinas zur WTO. Vgl. Zand, Bernhard: Im Höhenrausch, in: Der Spiegel Nr. 4, 23.1.21, S. 9.  2021 feiert die Kommunistische Partei ihren 100. Gründungstag. 2049 ist das 100. Gründungsjahr der Volksrepublik. Dann soll China ein "starkes, demokratisches, zivilisiertes, harmonisches und modernes sozialistisches Land" (KPCh) sein.

Biden will einen "globalen Gipfel der Demokratie" einberufen. Er hat vor, eine breite Koalition gegen China zu schaffen. Das dürfte schwierig werden. Das wirtschaftliche Kräfteverhältnis verlagert sich unweigerlich nach Asien (2022 sind es schon über 50%. Anteil am Welt - BIP). Die Strategie von Trump ist krachend gescheitert: Handelsdefizit der USA 2020 so groß wie nie (900 Mrd. $, mit China alleine 308 $). Es geht bei dem Konflikt zwischen beiden Weltmächten erst mal  um die wirtschaftliche Kontrolle. China will die Führung spätestens 2049 (100 Jahre Volksrepublik, siehe oben) übernehmen. Dieses Ziel wird voraussichtlich viel früher erreicht. Sofort nach dem Amtsantritt von Biden geht das Geplänkel los: Chinesische Flugzeuge verletzen den Luftraum Taiwans. Die USA entsenden den Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt in das südchinesische Meer. Die bloße Existenz von Taiwan ist Peking ein Dorn im Auge (demokratischer und innovativer Staat). Das Engagement der USA dürfte sich verstärken. Am 24.01.21 beginnt das diesjährige Weltwirtschafts-Forum von Davos, das virtuell startet. Im Mittelpunkt steht 2021 Asien. Xi Jinping hält eine digital übertragene Ansprache. Darin warnt er vor einem "Kalten Krieg". Er sieht China als Verteidiger des Multilateralismus und der Globalisierung.

Am 11.2.21 findet ein erstes Telefongespräch zwischen Präsident Biden und Präsident Xi statt. Der US-Präsident lässt einen unverändert harten Kurs erkennen. Die Gegensätze zwischen beiden Ländern prallen aufeinander. Biden brachte seine grundlegenden Sorgen zum Ausdruck: unfaire wirtschaftliche Praktiken, Repression in Hongkong, Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, provozierende Aktionen gegen Taiwan. Xi warnte vor einer Konfrontation, die definitiv katastrophal für die beiden Länder und die Welt sei. Einig waren sie sich über die Eindämmung von Covid-19 und den Klimawandel. Grundsätzlich setzt Biden weiter auf eine Allianz mit den Verbündeten, was den Spielraum der Europäer einschränken dürfte.

Der Konflikt wird die kommenden Dekaden bestimmen (China and USA first?). Biden setzt mehr auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, China auf Nichteinmischung. Die zentrale Frage bleibt:  "Wie kann man in einem globalen System agieren, in dem die nationalen Systeme sich so stark unterscheiden?" Siehe Joseph Stiglitz, "Die Inflations - Warner liegen völlig daneben", in: HB 5./6./7. 3.2021, S. 10f. Am 7.3.21 fordert der chinesische Außenminister Wang Yi die USA auf, zum Ein - China - Prinzip zurückzukehren. Diese "rote Linie" sei überschritten worden.  Er sagt dies in einer Rede vor dem Volkskongress in Peking. Weiterhin sagt er: China habe allgemein mit "Hegemonie, Überheblichkeit und Schikane" sowie "unverblümter Einmischung" zu kämpfen. Biden versammelt eine Reihe von Berater um sich, die man als Falken bezeichnen kann. Es sind Peking skeptische Top-Berater. Dazu gehören Ely Ratner (Pentagon, neue Strategie im Umgang mit China), Laura Rosenberger (Nationaler Sicherheitsrat), Michael S Chase Pentagon, Denkfabriken), Rush Doshi (Denkfabrik Brookings, Chinas Willen zur Weltmacht). Vgl. Heissler, Julian: Über Peking kreisen die Falken, in: WiWo 30/ 23.7.21, S. 32.

Am Ende des einwöchigen Volkskongresses am 10.3.21 ruft  Xi das Militär zu ständiger Bereitschaft auf. Der Volkskongress hatte vorher eine Steigerung der Militärausgaben von 6,8% beschlossen. Der für den Asien-Pazifikraum zuständige US-Admiral Davidson sagte dazu, dass die USA damit rechneten, dass China bis 2027 versuchen werde, die Inselrepublik Taiwan zu besetzen. Die USA und China sprechen über ein Spitzentreffen in Anchorage im US-Bundesstaat Alaska. Dieses Treffen kommt am 19.3.21 zustande. Es kommt dort zu einem Eklat zwischen den Delegationen (mit den beiden Außenministern: Blinken, Wang Yi, auch Sicherheitsberater Sullivan). Die Fronten zwischen den Ländern verhärten sich. Zumindest wird geredet (Strafzölle, Industrie-Spionage, Zukunft Hongkongs, Taiwans, Pekings Machtansprüche im südchinesischen Meer). Der US-Admiral James G. Stavridis hat einen Thriller über den nächsten großen Krieg zwischen China und den USA  geschrieben. Er war schon Nato-Oberkommandierender und Chef der Fletcher School. Der Roman heißt "2034. A Novel of the Next World War" und ist 2021 auf Platz 6 der US - Bestenliste der New York Times. Das Buch ist Fiktion, aber gleichzeitig realistisch (Meeresgebiete, die China beansprucht; Cyberkrieg).

In Asien belebt Biden alte Allianzen neu. Als erstes ausländisches Staatsoberhaupt besucht der japanische Premierminister Suga das Land Es geht vor allem um die aggressive Politik Chinas im südchinesischen und ostchinesischen Meer.  Bald wird auch der Ministerpräsident Südkoreas in den USA erwartet. Neben Quad will Biden auch die G7 wieder als Allianz gegen die autoritären Regime in China und Russland wieder beleben.  Auf seiner strengen Linie liegen Großbritannien, Kanada und Japan. Es wird eine Initiative für Infrastrukturprojekte gestartet (G7-Gipfel in Cornwall). Der Infrastrukturplan ist für ärmere und aufstrebende Länder. Es ist ein Gegenprojekt zur Neuen Seidenstraße Chinas. Biden möchte auch die Nato gegen China in Position bringen. Viele Mitgliedsländer in Europa sind dagegen. Die USA, Großbritannien und Australien schließen eine neue Sicherheitspartnerschaft gegen China ab: AUKUS wird im September 2021 gegründet. China wird zwar nicht erwähnt, fühlt sich aber unmittelbar bedroht. Daneben gibt es noch das ANZUS - Abkommen der USA mit Australien und Neuseeland. In diesem Abkommen sichern sich die Staaten gegenseitige militärische  Unterstützung zu. Australien storniert sogar einen U-Boot-Auftrag an Frankreich und kauft die U-Boote in den USA (der französische Botschafter wird daraufhin aus den USA abberufen). Es gibt auch eine "Five-Eyes"-Partnerschaft der Geheimdienste von USA, Australien, Neuseeland, Kanada und Großbritannien. Der US-Bestsellerautor Ken Follet bringt 2021 den Thriller "Never". In dem gehen die Atommächte China und USA aufeinander los. Das Szenario ist fürchterlich plausibel.

Im Juli 2021 ist ein Besuch der US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman in der nordchinesischen Stadt Tianjin. Sie trifft sich dort mit Chinas Vize-Außenminister Xie Feng.  China wirft den USA eine hochgradig fehlgeleitete China-Politik vor. Die bilateralen Beziehungen steckten in einer Sackgasse. Sherman soll Konfliktthemen ansprechen.  Es geht auch um die Vorbereitung eines Gipfeltreffens von Joe Biden und Xi Jinping. Biden spricht im September 2021 vor den Vereinten Nationen. Er betont, dass die USA keinen neuen Kalten Krieg wollen. Er weist aber eindeutig darauf hin, dass die USA zukünftig den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in Asien sehen.  "Wir müssen um jeden Preis einen kalten Krieg verhindern", Antonio Guterres, UN-Generalsekretär, im September 2021 vor der UN. Die Gefahr eines neuen Kalten Krieges sieht auch der australische Ex-Premier und Asienkenner Kevin Rudd. Er vergleicht die Situation mit jener vor dem 1. Weltkrieg. Vgl. "Ein neuer Kalter Krieg ist wahrscheinlich", in: Der Spiegel 39, 25.9.21, S. 74f.

Am 16.11.21 telefonieren Biden und Xi drei Stunden miteinander. Es wird als virtueller Gipfel tituliert. Das Lächeln der beiden Führer wirkte herzlich. Doch bei den zentralen Streitthemen kommen sie nicht auf einen Nenner. Es ging um Menschenrechte (Xinjiang, Tibet, Hongkong), Taiwan, Klimawandel und Corona. Taiwan ist das heikelste Thema. Beide Länder haben ihre Militärpräsenz in der Region stark erhöht. Beim Klimawandel und Corona gibt es die größte Schnittmenge. Vgl. auch: Kretschmer, Fabian: Unüberwindbare Gräben, in: Rheinpfalz Nr. 267, 17.11.21, S. 2.

"Der Osten steigt auf, der Westen steigt ab", He Yiting, Vizepräsident der Zentralen Parteischule und auch im Kabinett, 2020 in der 2. Welle der Corona-Krise im Westen (USA, Europa). Der Westen taumelt von einem Lockdown zum nächsten, während China dem Zentrum der Welt noch nie so nahe war. Vgl. auch: Alexander Graf Lambsdorff: Wenn Elefanten kämpfen, Propyläen - Verlag 2021. Er spricht davon, dass der globale Westen neu gedacht werden muss. Ebenso als Überblick: Matthias Naß: Drachentanz, München 2021, S. 215ff. (XI. Rivalität mit Amerika).

Exkurs: Qin Gang: 2021 wird der Karrierediplomat Chinas neuer Botschafter in den USA. Er ist 55 Jahre alt und war auch schon Sprecher des Außenministeriums. Seine große Stärke ist der kurze Draht zu Xi Jinping. die Ernennung ist eine Überraschung, weil er nicht in der Gerüchteküche auftauchte. Er wurde 1966 in Tianjin geboren. Er studierte an der Uni für  internationale Beziehungen in Peking. 2008 wurde er bekannt, als er in die Kontroverse um das Album von Guns n`Roses "Chinese Democracy" eingriff. Er sagte: "viele Leute mögen diese Art von Musik nicht". Sie sei laut und lärmend. Vgl. Kretschmer, Fabian: Karrierediplomat mit Streitlust, in: Die Rheinpfalz, Nr. 175, 31.7.21, S. 3.

Exkurs: Konsumboykott als Machtmittel. Im Jahre 2021 werden westliche Firmen Zielscheiben staatlich gesteuerter Boykott-Aktionen. Es trifft besonders H&M, Nike und adidas. Sie haben sich gegen Zwangsarbeit der Uiguren in Xinjiang auf den Baumwollfeldern  ausgesprochen. Einige Online-Händler in China (Taobao, Tmall) nehmen die Produkte aus dem Sortiment. Schon vorher traf es australische Winzer und Rindfleischproduzenten, als Australien China kritisiert hatte. Die Kampagnen der Regierung werden von den regulierten Sozialen Medien unterstützt (Weibo). Die westlichen Firmen geraten in ein Dilemma (Wahl zwischen Werten und Geschäft). Die aktuelle Boykott-Kampagne der Regierung ist gezielt gegen die Menschenrechtskampagne der USA unter Biden gerichtet. Vgl. Kretschmer, Fabian: Chinas Zorn, in: Rheinpfalz am Sonntag, 28. März 2021, S. 6. Ende 2021 kommt es zu einem Boykottaufruf gegen Tesla. Jeder vierte Tesla wird in China verkauft. Die Raumfahrtfirma SpaceX von Elon Musk, dem Eigner von Tesla,  hatte zwei Satelliten im All, die die Umlaufbahn der chinesischen Raumstation "Tiangong" (Himmlischer Palast)  kreuzte. Diese musste zweimal ihre Umlaufbahn ändern. Es kommt immer wieder zu Konsumboykotten. Ein berühmter war 2021 gegen die schwedische Modefirma H & M gerichtet. Diese hatte aus Bedenken gegen die Zwangsarbeit in der Provinz Xinjiang auf Baumwolle aus dieser Region verzichtet. Die kommunistische Jugendliga rief zum Boykott auf. Innerhalb kurzer Zeit sprang die Textilfirma Anta Sports ein. Gleiches könnte bei Apple kommen. Siehe nachfolgenden Artikel.

Exkurs. Huawei und Apple: Die Smartphone-Giganten liefern sich einen Kampf. In China scheint Huawei Apple bald zu überholen. 2023 im September kommt das iPhone 15 in China auf den Markt. Wenige Tage vorher bringt Huawei das Mate 60 auf den Markt. Es ist ein 5-G-kompatibles Smartphone. Der Chip wurde von HiSilicon entwickelt.  Mit sieben Nanometern hat es noch nicht ganz das Apple-Niveau. Aber es ist zum politischen Statement geworden. Noch ist Apple in China mit 67 % Marktanteil vorne. Huawei liegt mit 15,6% an zweiter Stelle. Beamte der Zentralregierung in China haben ihre Mitarbeiter angewiesen, künftig keine Apple-Produkte auf der Arbeit mehr zu verwenden. Staatsunternehmen scheinen zu folgen. Das könnte einen Trend zu heimischen Produkten in China auslösen. Vgl. Kretschmer, Fabian: Der Kampf der Smartphone-Giganten, in: Die Rheinpfalz 18.9.23, S. 1.

China dürfte den Ukraine-Krieg nutzen, um der Weltmacht ein Stück näher zu kommen. Offiziell ruft man die Kriegsparteien zwar zum Dialog auf, aber man versucht auch, den Konflikt für seine eigenen Interessen zu nutzen. Erstens geht es um die Erhaltung des autokratischen Systems mit gemeinsamer Legitimation (Marxismus-Leninismus/ Maoismus, "grenzenlose Freundschaft"). Zweitens bestehen Rohstoffinteressen. so dass gerne Lücken gestopft werden, die die Sanktionen des Westens hinterlassen. Drittens nutzt China den Krieg, um antiwestliche Ressentiments zu schüren. Die Militärkooperation wird weiter gestärkt. Regelmäßig werden gemeinsame Manöver abgehalten (zuletzt im August 2021). Die Aufrüstung Chinas geht rasant weiter (2021 272 Nuklearsprengköpfe, 2050 Raketen). Viertens zwingt die Ukraine-Krise die USA, sich in Europa zu engagieren (anders als geplant). China wittert die Chance, seinen Einfluss andernorts auszudehnen. Fünftens kann China seine Währung Renminbi  stärken und vielleicht seine Währung global etablieren (vielleicht nur Yuan-Rubel-Block). Das gleiche versucht Indien mit Russland. Man lässt den Dollar außen vor. Vgl. Becker, B. u. a.: Pekings Drang zur Weltmacht, in: Stern 31.3.2022, S. 26ff. (Titel).

Ende Juli telefonieren Xi und Biden lange miteinander. Xi stellt sich gegen die Einmischung externer Kräfte in Taiwan (geplanter Besuch von Pelosi). Biden bemüht sich angesichts der hohen Inflation und der drohenden Rezession um bessere Handelsbeziehungen mit China. Es geht auch um die wachsenden Spannungen im südchinesischen Meer. Am 02.08.22 besucht Nancy Pelosi den Inselstaat Taiwan. Sie ist die dritthöchste Repräsentantin der USA. Sie versichert der taiwanesischen Regierung den Rückhalt der USA. Peking spricht von Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten. China macht Manöver um Taiwan (Kriegsschiffen, Flugzeuge).  Beide Seiten haben es nun schwer, eine gesichtswahrende Lösung zu finden. In Taiwan fürchtet man eine Seeblockade durch das Manöver. Es gibt auch Wirtschaftssanktionen (keine Lebensmittel aus Taiwan). Eine Woche fährt China Kampfjets und Schiffe vor Taiwan auf. Für Staatschef Xi ist die Angelegenheit persönlich und emotional (er hat sich in seinen Reden  immer wieder für die Vereinigung geäußert). China kappt alle Gespräche mit den USA. Das betrifft den Dialog über Klimaschutz, Militärfragen und Kooperationen im Kampf gegen das Verbrechen. Die Militärmanöver, die ursprünglich nur eine Woche dauern sollten, werden auf unbestimmte Zeit verlängert. Auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit Mitte September 2022 in Samarkand/ Usbekistan treffen Putin und Xi aufeinander. Sie üben den Schulterschluss. Xi braucht einen Partner, um eine Front gegen die USA aufzubauen für eine neue Weltordnung (Vision einer alternativen Staatengemeinschaft).

Anfang Februar 2023 fliegt ein chinesischer Spionage-Ballon über die USA. Das sorgt für eine diplomatische Verstimmung. Außenminister Blinken verschiebt seine China-Reise, die kurz bevor steht (außerdem wird der chinesische Botschafter einbestellt). Über dem Meer vor South Carolina wird er Ballon von der US-Luftwaffe abgeschossen. Er wird geborgen und soll untersucht werden. Peking schlägt verbal zurück. Ein weiterer Ballon flog über Südamerika (Kolumbien, Costa Rica). China spricht bei den Ballonfahrten von unabsichtlichen Unfällen aufgrund höherer Gewalt.

Exkurs. Thukydides-Falle:  Das Bild geht auf folgendes Buch zurück: Graham Allison (2017)  „Destined for War: Can America and China Escape the Thucydides’s Trap?“ "Der Begriff Thukydides-Falle verweist auf den klassischen Konflikt zwischen aufsteigender und etablierter Macht, der fast nie vermieden werden konnte. Hintergrund ist der fast 30-jährige Peloponnesische Krieg (431-404 v. Chr.) zwischen der etablierten Macht Sparta und dem aufstrebenden Athen, den der griechische Historiker Thukydides kriegsbegleitend dokumentierte (Thukydides, 431-404 v. Chr.). Der Hintergrund des Konflikts zwischen Sparta und Athen lag in fundamentalen kulturellen und staatsphilosophischen sowie machtpolitischen Divergenzen. In dem Konflikt siegte zwar Sparta durch Allianzen, unter anderem mit Persien, konnte dauerhaft aber keine Dominanz entfalten, weil es durch den Krieg ausgezehrt und von den Bündnispartnern abhängig war. Lachende Dritte waren schließlich Phillip II. von Mazedonien (359-336 v. Chr.) und Alexander der Große (356-323 v. Chr.), die diese Schwäche hegemonial nutzten. Athen blieb die kulturelle Blüte in der Hellenistischen Zeit." Siehe Blum, Ulrich: Chinas und Amerikas geopolitische Rivalität: Gibt es die Gefahr einer Thukydides - Falle, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2023, s. 170-173. Vgl. auch: Stephen S. Roach: Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives, Yale University Press 2022. Seine Grundthese: Biden und Xi seinen jeweils Gefangene innenpolitischer Zwänge. Er appelliert für einen neuen Umgang miteinander. Vgl. auch: Roubini, Nouriel: Ein Krieg zwischen den USA und China droht - und ist doch leicht vermeidbar, in: WiWo 38/ 15.9.23, S. 42f. Er rät beiden Seiten strategisch klug Zurückhaltung. "Womöglich haben die USA den potentiellen Aufstieg Chinas unterschätzt - und ihren Vorsprung in vielen Zukunftstechnologien zugleich unterschätzt." Ebenda.

In der US-Regierung gibt es 2023 vier Lager, die um die beste Strategie mit China ringen: 1.Bidens China-Architekt und Falke: Sicherheitsberater Jake Sullivan. 2. Die Pragmatikerin: Finanzministerin Janet Yellen. 3. Hart in Sachen Halbleiter: Wirtschaftsministerin Gina Raimondo und Handelsbeauftragte Katherine Tai. 4. Die geopolitischen Manager: Lloyd Austin und Außenminister Antony Blinken. Vgl. HB 2.5.23, S. 8f. Das Zusammenwachsen der USA und Chinas, das jahrzehntelang dauerte, ist auf jeden Fall zu Ende. Ein neuer kalter Krieg droht. Supermacht steht gegen Supermacht. Vgl. Kohleberg, Kerstin/ Yang, Xifan: Supermacht gegen Supermacht, in: Die Zeit 21/ 17.5.23, S. 13ff. Am 20.6.23 besucht erstmals nach fünf Jahren wieder ein US-Außenminister Peking. Blinken wird sogar von Xi Jinping empfangen. Taiwan bleibt der Knackpunkt. Mitte Juli 2023 besucht Finanzministerin Janet Yellen vier Tage China. Sie spricht mit ihrem Kollegen und dem Ministerpräsidenten.  Offenbar wird wieder intensiver miteinander geredet.

Im August 23 schränkt die US-Regierung Investitionen in China ein. Es geht um die Zukunftsbereiche Halbleiter und KI. Man will mit diesem Mittel militärische Modernisierungen verhindern. US-Präsident Biden nennt bei einer Rede zu einer Spendenveranstaltung in Utah im August 23 China "eine tickende Zeitbombe". Das asiatische Land sei in Schwierigkeiten. Dies sei ein Grund zur Sorge, denn "wenn schlechte Menschen Probleme haben, tun sie schlechte Dinge". Vgl. zur Problematik auch aktuell: Naß, Matthias: Kollision. China und die USA und der Kampf um die weltpolitische Vorherrschaft im Indopazifik, München (Beck) 2023. Am Rande des Apec-Gipfels in San Francisco noch 2023 wollen sich Biden und Xi treffen. Die sehr schlechten Beziehungen sollen verbessert werden. Es wird um Rüstungskontrolle, Taiwan u. a. gehen. Biden und Xi haben in einigen Punkten gemeinsame Interessen. Beide Seiten müssten Wege finden, miteinander auszukommen. Das Gespräch findet am 15.11.23 auf dem Landsitz Filoli in der Nähe von San Francisco statt. Es dauert mehrere Stunden (4 Stunden, "der Wettbewerb darf nicht in einen Konflikt ausarten", die beiden Mächte dürfen sich nicht "den Rücken zukehren", "ja, er ist ein Diktator", Biden). China blickt aber auf die Präsidentschaftswahl 2024, die alles wieder verändern kann. Beide bemühen sich demonstrativ um eine Annäherung. Beim Kampf gegen Drogen vereinbaren sie eine Zusammenarbeit. Die direkte Kommunikation der Streitkräfte wird wieder aufgenommen.

Das China-Bashing bestimmt 2024 den US-Wahlkampf. Republikaner und Demokraten sind sich fast nie einig - außer in ihrer beißenden Kritik an China. Der Ton gegenüber Peking wird immer rauer. China wird den erbitterten Wahlkampf nutzen, um die amerikanische Demokratie zu kritisieren. Billiganbieter darf China sein. Strategischer Konkurrent soll es nicht sein. Aus dem Dilemma kommt man schwer raus. Vgl. HB 16/ 23.01.24, S. 14f.

Finanzsanktionen sind effektiver als Handelssanktionen. China beobachtet die Russlandsanktionen sehr genau. Wenn man wirklich eine Militäraktion gegen Taiwan anstrebt, wird man erst im Vorfeld alles tun, um China vor westlichen Sanktionen zu schützen. Die Währungsreserven würden umgeschichtet, weg vom Dollar und Euro. Jetzt schon arbeitet China im Bankenbereich am Aufbau seines alternativen Transfersystems CIPS. Es könnte noch bis ca. 2040 dauern, bis das System vollständig steht und funktioniert (rechtzeitig vor 2049). Jede neue Sanktion gibt dem System einen Schub. Vgl. Hufbauer, Gary: "Sanktionen, solange Putin lebt", in: WiWo 23.2.24, S. 36f.

13. Chinesische Industriepolitik und Standort Deutschland (auch Interessen deutscher Konzerne): China betreibt eine umfassende und aktive Industriepolitik. Dabei wird der staatliche Sektor (Staatsunternehmen) mehr gefördert als die privaten Unternehmen. Ein Paradebeispiel ist die E-Mobilität in China. So erhielt z. B. FAW, der größte chinesische Autohersteller, 2018 einen Kredit in Höhe von 129 Millionen Euro. Zwischen 2009 und 2017 soll China insgesamt 50 Milliarden Euro in diese Industrie investiert haben (Beispiele: Kaufprämien, Ladeinfrastruktur, Forschung; das Vorgehen ähnelt der Förderung der Solar-Branche). Quelle: Center for Strategic and International Studies Washington 2018. Die Verkäufe der Autofirmen wurden also stark durch Staatsausgaben angeregt. BYD machte aber 2017 nur Gewinne aus dem Verkauf traditioneller benzingetriebener Autos. Wenn die Gewinnsituation für die Branche in China so kritisch bleibt, könnte man versuchen, die Autos zu stark reduzierten Preisen am Weltmarkt los zu werden. Also ist die Erfolgsbilanz der Industriepolitik sehr umstritten, in China selbst und im Ausland. Vgl. Mühlhahn, Claus: Licht und Schatten der chinesischen Industriepolitik, in: bdvb aktuell, Nr. 145, 2019, S 12ff.

Chinesische Unternehmen haben ein hohes Interesse an Deutschland. als Standort. Spätestens seit den Brexit - Überlegungen wird Deutschland bei Niederlassungen häufig als EU-Hauptsitz gesehen. 2018 sind 2000 chinesische Unternehmen in Deutschland aktiv. Sie beschäftigen über 80% lokale Mitarbeiter. Immer mehr chinesische Unternehmen richten auch Forschungs- und Entwicklungszentren in Deutschland ein. Vgl. Duan Wei: Standort Deutschland: eine chinesische Perspektive, in: bdvb aktuell Nr. 145, 2019, S. 16f. Noch 2019 kauf die chinesische Hotelkette Huazhu mit Sitz Shanghai die deutsche Steigenberger-Hotelkette (außer Frankfurt und Davos).

Auf der anderen Seite gerät Deutschland bei der US-Handelspolitik immer mehr in eine Sandwich-Position zwischen den USA und China. Immer öfter müssen sich die deutschen Unternehmen entscheiden ("zwischen den Fronten"). Vor dieser Entscheidung stehen vor allem vier Großunternehmen (Multis): VW, Daimler, Siemens, BASF.

Teile der Industriepolitik haben auch protektionistische Züge, wie in vielen Ländern der Welt. Nur bei China fällt es stark auf, weil es in der Regel der größte Markt der Welt ist. Die staatliche Industriepolitik hat schon immer vorrangig mit drei Instrumenten gearbeitet, die eindeutig protektionistisch sind: 1. Erzwungener Technologietransfer. Deutsche Firmen können in China nur agieren, wenn sie bereit sind, sich technologisch "in die Karten sehen zu lassen (Beispiel Siemens, Konkurrenz CRRC; die Chinesen erkennen die deutsche Leistung an, z. B. beim Zug von Peking nach Tianjin, aber sind stolz, wenn  sie es endlich selbst können; eigenes Erleben!). 2. Einschränkungen bei der Zulassung. Für andere Produkte gibt solche Einschränkungen. Diese gehören zu den nicht-tarifären Hindernissen. Sie gelten besonders im Konsumgüterbereich, um Marken zu schlagen (die Chinesen sind besonders Status orientiert. Deshalb bevorzugen sie europäische Marken. Ein gutes Beispiel ist Beiersdorf/ Nivea im Bezug zu Perfect Diary aus China). 3. Staatliche Subventionen (Sie verzerren massiv die Preisrelationen. Ein gutes Beispiel ist Infineon im Vergleich zur chinesischen Firma Tsinghua Unigroup). Vgl. Widmann, Marc: Wie fair ist China? in: Die Zeit Nr. 35, 20. August 2020, S. 19.

"Es gibt deutliche Anhaltspunkte dafür, dass Unternehmensübernahmen durch chinesische Investoren in Deutschland und Europa auch auf einen Technologietransfer abzielen und Teil der industriepolitischen Aufholstrategie Chinas sind. Zudem führen Wettbewerbsverzerrungen durch den chinesischen Staatskapitalismus auf dem Weltmarkt zu zunehmenden Problemen und scheinen kaum durch eine Änderung der internationalen Handelsregeln änderbar zu sein, weil dies durch China blockiert wird. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik aus Vorsicht die mögliche Gefahr im Blick haben, dass ein schnelles Aufholen Chinas, das durch den Technologietransfer begünstigt wird, in den Industrieländern zu Wohlstandsverlusten führen könnte, auch wenn dies theoretisch und empirisch derzeit nicht eindeutig zu belegen ist." Siehe Matthes, Jürgen: Technologietransfer durch Unternehmensübernahmen chinesischer Investoren, in: Wirtschaftsdienst, August 2020 (online).

Für viele große Konzerne in Deutschland ist China der wichtigste Markt. Die Leiter dieser Unternehmen haben großen Einfluss auf die deutsche Regierung. Sie reisen in der Regel auch mit der Bundeskanzlerin nach China. Dazu gehören Volkswagen (Ertrag in China 4,2 Mrd. €); Adidas (Umsatz in China 5,4 Mrd. €); BASF (Umsatz in China 7,3 Mrd. €); Infineon (Umsatz in China 2,17 Mrd. €); Siemens (Umsatz in China 8 Mrd. €); MTU (Umsatz in China 1,3 Mrd. €). Deutsche Bank (Ertrag in China 200 Mio. €); Henkel (Umsatz in China wird verschwiegen). Schon lange sprechen die Unternehmen von "Greater China" und blenden so elegant Taiwan und Tibet als Problemzonen aus. Diese Konzerne haben auch großen Einfluss auf die jeweiligen Landesregierungen in jeder Hinsicht (in RLP die BASF und Daimler durch Wörth, die auch die Bildungspolitik beeinflussen). Vgl. Tatje, Claas: Profit oder Menschenrechte? Wie halten sie es mit China? in: Die Zeit Nr. 39, 17.9.20, S. 21. Gerade die deutschen Autobauer sind immer mehr von China abhängig. Anlässlich der Internationalen Automobilausstellung Ende September 2020 wird  deutlich, dass China als erster Markt 2020 und 2021 wieder starke Zuwachsraten hat. Die deutschen Auto-Firmen haben zum Teil über 40% ihres Marktanteils in China. Deutschland braucht China, weshalb die Geschäfte oft vorgehen. Am liebsten würde man politisch  weiter an der Seite der USA stehen und trotzdem mit China Geschäfte machen (Pragmatismus). Die Regierungskonsultation findet am 28.4.21 zum zehnten Mal statt (Merkel, Le Keqiang, Kabinette). Sie ist virtuell, Gastgeber ist China. Sie bei den Geschäften erfolgreicher als bei den Menschenrechten. Themen sind außer Menschenrechten die Zusammenarbeit der Wirtschaft bei Klimaschutz und Gesundheit. Die Beratungen finden alle zwei Jahre statt. Der ehemalige Außenminister Gabriel spricht 2021 von der Beziehung  Deutschland zu China von Friendemy (aus Friend und Enemy). 2022 wird man vorsichtiger angesichts des Einmarsches der Russen in die Ukraine mit chinesischer Billigung. 2021 wurden 7% der deutschen Auslandsinvestitionen in China getätigt (2000 1%).

Seit 2015 schon ist China das Land, aus dem die meisten Importe nach Deutschland kommen. Die Importe stiegen 2020 trotz Corona noch um 3,0% auf 116,3 Mrd. €. Der Export ging leicht um minus 0,3% zurück auf 95,9 Mrd. €. Mit 212,1 Mrd. € ist China der wichtigste Handelspartner für Deutschland. Der wichtigste Abnehmer für deutsche Exporte bleiben 2020 die USA mit 103,8 Mrd. € (aber 2020 -12,5%). Quelle: Statistisches Bundesamt. Deutschland hat etwa ein Drittel des EU - Chinahandels. 2020 betrug das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und China 212 Mrd. €. Vgl. auch: Richenhagen, Martin: "Der Amerika-Flüsterer". Mein Weg vom deutschen Religionslehrer zum US-Topmanager, Edel Books 2021. Im Juni 2021 explodieren die deutschen Exporte und Importe mit China. Exporte +28,6%, Importe +26,9%.

Selektives Decoupling: So viel Handel wie nötig, so viel Abschottung wie nötig. Neue Außenwirtschaftsstrategie Chinas nach Trump. Verbindung von Fortschrittlichkeit und Autarkie. China soll Marktführer in den Schlüsselbranchen der Zukunft werden. und unabhängig von Importen. Es gibt außenpolitische Einflusszonen und er Wohlstand der Bevölkerung soll weiter verbessert werden. Deutsche Unternehmen haben von der Einbindung Chinas in die Globalisierung extrem profitiert. Sie müssen eine Antwort auf die neue Strategie finden. Vgl. Koch, Moritz: Chinas Selbstentkopplung, in: HB Nr. 131, Mo. 12. Juli 2021, S. 16.  Die Abhängigkeit der DAX-Konzerne von China ist groß. Die Unternehmen müssen eine Antwort finden, wenn China immer mehr Wertschöpfung ins Land zwingt.

Eine spezielle Strategie Chinas besteht darin, den Datentransfer ins Ausland zu erschweren. Das trifft besonders hart die Digitalwirtschaft. Das zwingt ausländische und deutsche Unternehmen immer größere Teile ihrer Aktivitäten nach China zu verlagern. Damit wird das Export orientierte Geschäftsmodell Deutschlands bedroht.

Im Koalitionspapier der Ampel deuten sich andere Akzente in der Chinapolitik an. Die Menschenrechtsverletzungen sollen mehr angesprochen werden. Es ist auch von "systemischer Rivalität" die Rede. Man plädiert auch für faire Regeln im zunehmenden Wettbewerb. Man will auch eher eine gemeinsame EU-Strategie (China bevorzugt die bilaterale Ebene). Baerbock als Außenministerin dürfte versuchen, die kritischeren Töne gegenüber China umzusetzen. Es gibt mittlerweile drei verschiedene globale Infrastrukturprogramme, die sich der Neuen Seidenstraße entgegenstellen: "Build Back Better World" der USA, "Clean Green"- Initiative GB, "Global Gateway" der EU. Die Bundesrepublik geht bisher ihren eigenen Weg. Vgl. Sebastian Biba,: Plädoyer für eine neue China-Politik, in: HB Nr. 2, 4.1.22, S. 48.    "China ist bereit, das gegenseitige Vertrauen zu festigen und zu vertiefen, und den Austausch und die Zusammenarbeit mit Deutschland in verschiedenen Bereichen auszubauen", Xi Jinping als erste Grußbotschaft an dei neue Regierung am 8.12.21.

Exkurs: Deutsche Handelspolitik gegenüber China in der Wende? Wegen Xinjian ist es immer wieder zu Scharmützeln gekommen. Als die EU wegen der Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang Sanktionen gegen wenige niedrige Funktionäre erließ, antwortete China mit Einreiseverbote gegen EU-Abgeordnete. Das deutsche  Außenwirtschaftsgesetz wurde verschärft (Ausländer in Schlüsselindustrie genehmigungspflichtig). Man steht mit China im Austausch für weitere Marktöffnungen und fairen Wettbewerb. Die Abhängigkeit soll aber vermindert werden. Das Zusammenbrechen globaler Lieferketten in Corona-Zeiten soll zum Anlass genommen werden, einen Gegenentwurf der EU zur Seidenstraße aufzubauen.  2022 (aber aus älteren Jahren die Daten) ist die Abhängigkeit deutscher DAX-Konzerne von China aber immer noch sehr groß: Im Schnitt erzielen sie 16% ihres Umsatzes in China (1% Russland). An der Spitze liegt Infineon (37,9%) vor Volkswagen (37,2) und Daimler (32,2). Bei den M - Dax -Unternehmen  führt Aixtron (64,8%) vor Siltronic (35,3) und Schaeffler (23,8). Quelle: HB Nr. 55, 18./ 19./ 20.3.2022, S. 46f. 2019 gibt es hierfür auch andere  Zahlen (Anteil des chinesischen Marktes am Umsatz): Puma 28%, Infineon 27%, VW 21%, Airbus 19%, BASF 12%, Trumpf 11%, Siemens 10%. Quelle: Lau, Jörn: An der goldenen Kette, in: Die Zeit Nr. 33/ 11. August 2022, S. 21. In der Summe hängen in Deutschland 1,1 Mio. Arbeitsplätze vom Endverbrauch in China ab. 2,7% der Wertschöpfung und 2,4% der Gesamtbeschäftigen sind von Export nach China abhängig. Quellen: IW Köln, HB 20.3.23, S. 9. Im Jahre 2022 erreichen die deutschen Direktinvestitionen in China einen neuen Rekord mit 11,5 Mrd. €. Die Unternehmen folgen nicht der Politik. Die größten Investoren waren 2021 (nach der Rangfolge): Volkswagen, BASF, BMW, Veolia, Crystek Pharma. Vgl. HB 67/ 4.4.23, S. 10f. Für China ist die Entkopplung eine Bedrohung. Wenn die chinesische Wirtschaft nicht mehr massenweise exportieren kann, was ist dann die Alternative? Das Bauen als Alternative fällt weg (Wohnungen, Infrastruktur). Es bleibt dann noch der Binnenkonsum. Dazu gibt es zwar eine Strategie. Aber die Mittelschicht mit Kaufkraft ist extrem verunsichert. Also wird China weiter produzieren und exportieren, so weit man es lässt. Vgl. Fischermann, Thomas: Wächst da noch was? in: Die Zeit 8/ 15.2.24, S. 24.

Eine "moralisierende" deutsche Außenpolitik, die dazu auch noch öffentlich kommuniziert wird, ist unklug und kann keinen Erfolg haben. Man muss China zugestehen, dass der Ausstieg aus der Armut  erst mal Vorrang vor Werten hat, zumal die chinesische Kultur viele Werte aus ihrer Tradition heraus teilweise anders sieht. Sanktionen und Druck werden ins Gegenteil umschlagen. Deutschland hat durch herausragende Persönlichkeiten (Hegel, Marx u. a.) und seine Geschichte ein sehr gutes Image und einen relativen Vorteil in China. Ein Abwenden von der Ein - China - Politik wäre ökonomischer Selbstmord für Deutschland (Litauen ist von der EU-Linie abgewichen). Vgl. zu einer Gegenposition dazu: Ohlberg, Mareike: Gute Mienen zu bösen Spielen, in: WiWo 6/ 4.2.22, S. 44f. Natürlich muss man China warnen, dass man eine gewaltsame Übernahme Taiwans durch einen Angriffskrieg nicht akzeptieren kann.

Reisebeschränkung/ Sonderegeln bei Corona: China zeigt sich im Februar 2021 offen dafür, Erleichterungen für Geschäftsleute zuzulassen ("Fast Track" für Geschäftsleute). 2020 sind 2600 Deutsche nach China eingereist, aber das war eine Einbahnstraße. Deutschland erwägt für Chinesen Sonderegeln für getestete oder geimpfte Personen. Ein Drittel der in China tätigen deutschen Firmen können seit März 2020 dringende Geschäfte und Serviceleistungen nicht erbringen (Quelle: Deutsche Außenhandelskammer in China). Die Volksrepublik reagiert mit rigorosen Lockdowns auf Covid - Ausbrüche (Shenzhen, Shanghai). Die Angst vor Zwangsquarantänen geht um. Die Nahrungsmittelversorgung ist angespannt. Arbeiter müssen wochenlang in Fabriken hausen. Unter europäischen Unternehmen in China kippt die Stimmung. Immer weniger ausländische Fachkräfte wollen ins Reich der Mitte.

Verhaltenskodex für deutsche Firmen in China: Er stammt von der deutschen Handelskammer in China. Er wird den Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Ausgangspunkt ist das neue Lieferkettengesetz. Es ist ein Leitfaden/ Werkzeug für die Umsetzung. Es gilt für Unternehmen ab 3000 Beschäftigten ab 2023. Die Wirtschaft bekennt sich zu nachhaltigen Lieferketten und will ihre soziale und ökologische Verantwortung wahrnehmen. Folgende Kriterien sollen auch gewährleistet werden: Nicht-Diskriminierung, Vereinigungsfreiheit, Tarifverhandlungen und "freiwillige" Mitarbeiter. Kinderarbeit wird abgelehnt. Einmal im Jahr soll eine Risikoanalyse bei den Zulieferern und im eigenen Unternehmen durchgeführt werden. Auch indirekte Lieferanten sollen einbezogen werden. Auch der Umgang mit dem Anti-Auslands-Sanktionsgesetz soll noch ergänzt werden. Es soll Unternehmen bestrafen, die sich Sanktionen gegen China anschließen (vom Volkskongress/ Ständiger Ausschuss im Juni 21 beschlossen). Vgl. Heide, Dana: Verhaltenskodex für deutsche Firmen in China, in: HB Nr. 111, 14. Juni 2021, S. 10.

Anti-Spionage-Gesetz 2023: Ein neues Gesetz kann praktisch jedes Unternehmen unter Spionageverdacht stellen. Es tritt am 1. Juli 2023 in Kraft. Westliche Manager sind alarmiert. Sind sie der Willkür der Behörden komplett ausgeliefert?. auf jeden Fall  herrscht Rechtsunsicherheit. Es gibt vage Formulierungen in Gesetzen und Regularien. Vor allem, wenn Infos über Landesgrenzen gehen, ist vieles offen. Im chinesischen Verständnis ist das Recht oft ein politisches Werkzeug. Die Führung steht über dem Gesetz ("Rule by Law"). Es kann für nicht chinesische Firmen immer schwieriger werden, im Wettbewerb zu bestehen.  Vgl. Giese, Christoph/ Hage, Simon: Rechtsfreier Raum, in: Der Spiegel 20/ 13.5.23, S. 68f. "Es muss dringend geklärt werden, welche Informationen sensibel sind und welche nicht", Jörg Wuttke, Präsident, EU-Handelskammer, 2023.

Abhängigkeit der deutschen Industrie von China: Die deutschen Unternehmen investieren immer höhere Beträge in ihre Präsenz in China. Das gilt vor allem für die Automobilindustrie. Stark vertreten sind auch Maschinenbau und Chemie. Diese Brachen transferieren auch immer mehr Technologie und Wissen nach China. 2019 flossen 7 Prozent der gesamten Auslandsinvestitionen nach China, also rund 89 Mrd. €. Im Jahre 2000 lag der China-Anteil bei den Direktinvestitionen nur bei 2 Prozent. Zuletzt waren es 14%. Für Umsatzwachstum und für die Gewinne ist das China-Geschäft in vielen Branchen zum entscheidenden Treiber geworden.  Vgl. Studie des IfW, Kiel, 2022.

Mittlerweile haben Vorleistungen aus China einen hohen Anteil in den einzelnen Branchen in Deutschland: Automobilindustrie 75,8%; Datenverarbeitungsgeräte 71,6%; elektronische Ausrüstung 70,6%; Bekleidung 64,8%; Möbel 64%; Maschinenbau 55,2%; pharmazeutische Industrie 51,8%; chemische Industrie (41,4%); Gummi- und Kunststoffwaren 38,4%; Metallerzeugung und -bearbeitung (37,4%); Glaswaren, Keramik 24,8%; Nahrungs- und Futtermittel 18,7%); Druckerzeugnisse (18,6%); Papier, Pappe 17,5%. Vgl. Focus 21/2022, S. 59. Unternehmen wollen ihre Importe aus China aber reduzieren. Gründe sind: Diversifizierung, gestiegene Frachtkosten, Störanfälligkeit des Transports, politische Unsicherheit, gestiegene Herstellerpreise, mangelnde Qualität.

Im Sommer 2022 arbeitet die Bundesregierung an einer neuen China-Strategie. Sie will raus aus der Abhängigkeitsfalle. Man will Russland und China aber nicht in einen Topf schmeißen. Aber das völlig apolitische Exportmodell dürfte auch vorbei sein. Vor allem die USA drängen auf einen harten Umgang mit China. Analog zu Unternehmen planen auch deutsche Hochschulen ein Decoupling. Vgl. Heide, Dana/ Stiens, T.: Raus aus der Abhängigkeitsfalle, in: HB Nr. 120, 24./25./26.6.22, S. 10f. Kooperationsvorhaben dürften auf den Prüfstand kommen. Man wird grundsätzlich stärker auf die Reziprozität setzen. Vgl. dazu auch: Andreas Fulda: The Struggle for Democracy in Mainland China, Taiwan und Hongkong. Sharp Power and its Discontents, Routledge Verlag 2020. An der neuen deutschen China-Strategie arbeiten das Außenministerium, das Wirtschaftsministerium und das Bundeskanzleramt zusammen. Federführend ist die Asien- und Pazifik-Abteilung im Auswärtigen Amt. Man arbeitet mit Szenarien, also mit mehren Plänen.

Im August 2022 legt das Ifo-Institut aus München eine Studie vor. Es versucht zu berechnen, was eine Entkopplung von China für die deutsche Wirtschaft für Folgen hätte. Die kompakteste Zahl ist der Rückgang des deutschen BIP in diesem Falle. 46% aller deutschen Unternehmen sind von Vorprodukten aus China abhängig. China wird mittlerweile als Klumpenrisiko gesehen. Wirtschaft und Regierung spielen den Exit durch. Das Risiko in China dabei zu sein scheint mittlerweile höher als nicht dabei zu sein.  Vgl. Haerder, Max u. a.: Ausgang ungewiss, in: WiWo 35/ 26.8.2022, S. 14ff. Das Wirtschaftsministerium plant eine Verschärfung der milliardenschweren Investitionsgarantien. Das hätte erhebliche Folgen. Vgl. Greive, M. u. a. :Kurswechsel in der China-Politik, in: HB Nr. 165/ 26., 27., 28. August 2022, S. 1.

Die deutsche Regierung erlaubt im Oktober eine Beteiligung von Cosco am Hamburger Hafen (24,9%). Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen in Deutschland.  Am 03.11.22 startet Bundeskanzler Scholz zu einer Chinareise. Die Außenministerin Baerbock, die auch Asien bereist, pocht auf eine andere China-Politik (Menschenrechte und fairen Wettbewerb). Es ist ein Besuch mit Signalwirkung (historische Dimension). Scholz ist der erste westliche Politiker der seit der Corona-Pandemie und dem Parteikongress China besucht (Kurzbesuch, 12 Stunden wegen Covid). Er reist mit einer Wirtschaftsdelegation (u. a. VW, Deutsche Bank, BASF, BMW, Siemens, BionTech). Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang weist China schon im Vorfeld zurück. Beide Seiten sprechen sich für eine rasche Beendigung des Ukraine-Krieges und gegen den Einsatz von Atomwaffen aus. Der BionTech - Impfstoff soll in China zugelassen werden. 745 Mio. € umfassten 2022 die Garantien, die die Bundesregierung deutschen Unternehmen für ihre Direktinvestitionen in China gewährt hat. 2021 betrug das Volumen noch 2 Mrd. €. Quelle: BMWi 2023.

Am 13./ 14. April 2023 besucht die deutsche Außenministerin Baerbock China. Sie trifft auch Xi Jinping. Themen sind die Ukraine, Taiwan und Menschenrechte. Der Hamburger Hafen wurde inzwischen vom Wirtschaftsministerium als kritische Infrastruktur eingestuft. Das könnte zu Misstönen führen. Das wichtigste Ergebnis der Reise ist: China sagt zu, keine Waffen an Russland zu liefern. Auch Güter mit doppeltem Verwendungszweck sollen kontrolliert werden. Qin Gang, der chinesische Außenminister, sagte dabei zu den Menschenrechten: "Jedes Land hat eine andere nationale Situation, eine andere Geschichte und Kultur, und für die Menschenrechte gibt es keine allgemein gültige Norm".

2023 im Juni finden die Regierungskonsultationen wieder persönlich statt, diesmal in Berlin. Es kommt Ministerpräsident Li Qiang mit einer Delegation. Gleichzeitig trifft US-Außenminister Blinken seine  chinesischen Kollegen und Xi in Peking. Li betont, China wolle die Beziehungen zu Deutschland auf ein höheres Niveau bringen. Vgl. Haerder, Max u. a.: Dieses Mal ist alles anders, in: WiWo 25/ 16.6.23, S. 27ff.

Deutschland und Europa sollten gezielt schauen, wie und wo man von China profitieren kann. Das gilt etwa für Überkapazitäten, die in einer Staatswirtschaft fast normal sind (Solarpanels, Windräder). Wir könnten China für unsere Energiewende nutzen und lieber andere Sparten subventionieren (KI). Beeinflussen können China nur noch die USA. Ansonsten folgt es seiner Strategie. Vgl. Interview mit Jörg Wuttke, in: Die Zeit Nr. 49/ 23.11.23, S. 25.

Auch im Jahr 2023 bleibt China Deutschlands größter Handelspartner vor den USA und den Niederlanden. Allerdings gehen die deutsche Exporte nach China um -15% zurück. Die Exporte nach den USA sind gestiegen. 2024 könnte China seinen Spitzenplatz verlieren.

Exkurs. Studie von Bertelsmann Stiftung, IW, Merics und BDI 2023: Der chinesische Markt hat in den kommenden Jahren eine sinkende Bedeutung für deutsche Exporte. Zunehmend könnte die Produktion vor Ort ersetzen. Die zunehmende Systemrivalität erfordert eine neue China-Strategie. China sei 2022 als Investitions- und Produktionsstandort für deutsche Firmen zwar wichtiger geworden, es gebe aber keine volkswirtschaftliche Abhängigkeit von Direktinvestitionen (DI) in China (ca. 7% aller deutschen DI im Ausland). Es flossen jährlich Gewinne aus DI in China nach Deutschland in Höhe von 7 bis 11 Mrd. €.

Exkurs. Soll der deutsche Staat die Industrie vor Konkurrenz aus China schützen? Die Entwicklung der Solarbranche wird auf der einen Seite als warnendes Beispiel gesehen. Weil sie zu wenig Subventionen bekam, wanderte sie aus Deutschland ab bzw. die chinesischen Subventionen waren zu hoch. Bei der Automobilindustrie sollte sich das nicht wiederholen. Wenn der chinesische Markteintritt gelingt, geht es den etablierten Firmen Daimler, BMW, VW an den Kragen.  Auf der anderen Seite wird vor einem Subventionswettbewerb gewarnt. Deutsche unternehmen würden den Staat einspannen. Man könne fremde Subventionen auch ausbeuten. Daraus können eigene Produkte integriert werden un d attraktive Angebote für den Weltmarkt gemacht werden. Vgl. WiWo 46/ 2023, S. 37.

"Wer mir Milch gibt, darf meine Mutter sein", chinesisches Sprichwort.

14. Handelsabkommen mit der EU und Auswirkungen von RCEP auf Europa, Neustart bei CAI 2023: Investitionsabkommen zwischen der EU und China (Comprehensive Agreement on Investment, CAI; Unterhändler: Dombrovskis, Liu He): Die EU und China planen seit längerem ein Investitionsabkommen. Endziel ist aber ein Handelsabkommen. CAI ist die Voraussetzung. Im Sommer 2020 will Angela Merkel mit Spitzenvertretern der EU nach Peking reisen. Das Verhältnis zu China ist Anfang 2020 angespannt. Das Abkommen soll im Herbst 2020 fertig sein. Experten rechnen aber mit einer Verschlechterung der Beziehungen im Laufe des Jahres, so dass es länger dauern dürfte. End e2020 dringt Deutschland in der EU auf ein Abkommen. Einige Staaten haben aber Zweifel (Irland, Niederlande, Italien). Das Abkommen soll vor dem Amtsantritt der neuen US-Regierung am 20.01.21 fertig sein (das wollen beide Seiten). Die Arbeitnehmerrechte sind am umstrittensten (ILO, Zwangsarbeit, Umerziehungslager). 2021 könnte China als Handelsgroßmacht aggressiver auftreten, man hat die USA bei der Größe der Volkswirtschaft bald erreicht. Die Einigung über den Vertrag wird am 30.12.20 erzielt. Kernpunkt ist der verbesserte Marktzugang in China. Damit sollen neue Geschäftsmöglichkeiten geschaffen werden. Davon profitiert insbesondere in Europa Deutschland. Es könnte aber zu Konflikten mit den USA führen. So richtet sich die Kritik an dem Abkommen auf zwei Punkte: Verrat an den Menschenrechten, stößt die US-Regierung unter Biden vor den Kopf. Der genaue Wortlaut ist unter Verschluss. Besonders interessant dürften die Nebendeals sein.  100 Mrd. € ist der Wert der Waren, die Deutschland 2020 nach China exportiert.

Auswirkungen von RCEP auf die EU: "Auch europäische Unternehmen, die in der Region tätig sind, profitieren von resilienteren Lieferketten. Des Weiteren ist mit einer Harmonisierung von Standards über alle 15 RCEP-Mitgliedsländer hinweg zu rechnen. Diese Vereinheitlichung erleichtert europäischen Exporteuren die Geschäfte mit Asien. Dennoch wird Europa durch Handelsumlenkungseffekte, die durch den neuen Mega-Deal entstehen, insgesamt verlieren: Wenn der Handel zwischen den asiatischen Ländern ansteigt, fällt die Nachfrage nach Waren aus dem Westen. Das RCEP-Abkommen ist die chinesische Antwort auf das gescheiterte TPP (Trans-Pacific Partnership). China nutzte die Chance und stieß in das entstandene Machtvakuum." Siehe Flach, L./ Teti, F.: RCEP-Abkommen: Versteckte Auswirkungen, in: Wirtschaftsdienst 12/ 2020, S. 904. Solche indirekten Wirkungen sind schwer zu analysieren und zu prognostizieren. Deshalb bin ich froh, dass ich hier mal zitieren kann.

China hat schon zwischen 2000 und 2019 sehr stark in der EU investiert. Spitzenreiter ist Großbritannien (GB) mit 50,3 Mrd. € Der Brexit dürfte gerade hier dem Land schwer schaden. Viele Länder haben GB als Tor in die EU genommen. An zweiter Stelle liegt Deutschland mit 22,7 Mrd. €. Dann folgen Italien (15,9), Frankreich (14,4) und Finnland (12,0). In den letzten Jahren geht China bevorzugt nach Osteuropa. Hier sieht die Reihenfolge im gleichen Zeitraum (2000 bis 2019) wie folgt aus: Ungarn (2,4), Polen (1,4), Rumänien (1,2), Tschech. Rep. (1,0), Bulgarien (0,4). Die Vereinigung für wirtschaftspolitische Kooperation 16 + 1 wurde 2012 gegründet. 2029 trat Griechenland noch bei, dass man von 17 + 1 spricht (1 ist China). 2020 fiel eine Konferenz im April wegen Corona aus. Eine Videoschaltung soll am 09.02.21 stattfinden. Viel Vakzin von China soll die Vereinigung retten. China investiert auch in Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kroatien. Hier erreichen die Investitionen ein Sechstel oder Siebtel des BIP. Diese Länder sind für China interessant, weil sie sich noch nicht an Vorgaben der EU halten müssen. Quelle: Mihm, Andreas: China Charme Offensive im Osten, in: FAZ Nr. 32, 8.2.21, S. 19. Große Aufmerksamkeit erregt die chinesische Autobahn in Montenegro. Sie wird mit viel Geld und Arbeitern aus China gebaut. Das Land ist ein Beitrittskandidat der EU  und hat hohe Schulden in China gemacht. Gleichzeitig setzt China auf eine Strategie der Zersetzung der EU. Das Veto Ungarns gegen die China-Politik der EU (Sanktionen wegen Hongkong) ist ein erster Erfolg.

Im Jahre 2020 überholt China die USA erstmals als wichtigster Handelspartner der EU. Das Handelsvolumen mit der Volksrepublik betrug 586 Mrd. €. Mit den USA waren es 555 Mrd. €. Die Exporte der EU nach China stiegen um 2,2% auf 202,5 Mrd. €. Die Importe erhöhten sich um 5,6% auf 383,5 Mrd. €. Die Exporte in die USA fielen um 8,2%, die Importe gingen um 13,2% zurück (Corona-Krise). China erholte sich schneller als die USA, aber auch Handelsrestriktionen. Die EU muss eine Handelsstrategie gegenüber China entwickeln. Der Handelskommissar Dombrovskis ist 2021 damit beauftragt. Vgl. zu einer Einschätzung: M. Naß, Drachentanz, München 2021, S. 183ff. (IX. Europa: Das Ende der Naivität). Die EU verhängen Sanktionen gegen China gegen Verantwortliche für die Unterdrückung der Uiguren: Vermögenswerte natürlicher und juristischer Personen). Erstmals seit 30 Jahren Sanktionen der EU gegen China. China verhängt Sanktionen gegen Deutsche (Politiker, Mercator-Institute for China Studies). Das könnt das Investitionsabkommen noch gefährden: Die Zustimmung des EU-Parlaments ist notwenig. Firmen, die die Zwangsarbeit der Uiguren kritisieren, werden mit dem Kaufboykott der Bevölkerung belegt (H&M, Arbeit auf Baumwollplantagen).

Exkurs: China und Europa: Im späten Mittelalter war in Europa Venedig eine Weltmacht im globalen Handel und hatte nahezu ein Monopol im Handel mit China ("Europas Tür zur Welt"; La Serenissima"). Aus China importiert wurde Seide, Tee und Porzellan. Nach China exportiert wurden Textilien, Schmuck, Gewürze, Lederwaren, edle Hölzer, Pelze. Die Polos hatten auch Kontore am Ural. Sie betrieben Handel über die Seidenstraße zur Zeit der "Goldenen Horden" der Familie Khan. Die Strecke ging von Venedig über Istanbul durch den Kaukasus bis China. Marco Polo soll Kublai Khan, den Enkel von Dschingis Khan, in Dunhuang oder Shangdu getroffen haben. Der machte ihn zu seinem Präfekten. Khan hatte Cambaluc, das heutige Peking, zur Hauptstadt gemacht (er stammte aus Karakorum in der Mongolei). Er ließ die ersten Geldscheine machen (Rinde aus Maulbeerbäumen, mit einem roten Siegel). Er förderte den internationalen Handel, die Bauern und die Handwerker.  Marco Polos Lieblingsstadt in China soll Hangzhou gewesen sein. Auf dem Seeweg reiste Polo zurück (von Quanzhou aus, der Partnerstadt von Neustadt Weinstraße).  Marco Polo (1271-1295; in genuesischer Gefangenschaft schrieb er seine Erlebnisse auf; das Erfolgsbuch prägte vor den Jesuiten das Chinabild der Europäer) Er reiste, berichtete und brachte viele Produkte und  Erfindungen aus China, das zu der Zeit die technologische Führungsmacht der Welt war, nach Europa. An den Erzählungen Marco Polos zweifelten schon die Zeitgenossen. 17 Jahre will er das Land bereist haben. Beim Schreiben half ihm der Mitgefangene Rustichello da Pisa. Das Buch heißt "Il Milione". Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Es gibt heute noch viele handschriftliche Exemplare. Am erfolgreichsten in der Verbreitung war die lateinische Version. Heute gibt es umgekehrt eine Invasion von Chinesen in Venedig. Sie betreiben Geschäfte, Bars und Restaurants. Einige führen auch illegale Imitate ein. Im Jahre 1697 gründete Gottfried Wilhelm Leibnitz in Hannover das "Bureau d`adresse pour la Chine" Er hatte über 1100 Korrespondenzpartner. Er schrieb das Buch "Novissima Sinica". Er pries ein ebenbürtiges China als "Europa des Ostens". Leibnitz schrieb weiter, den Chinesen gebühre der "goldene Apfel" für "Vortrefflichkeit der Völker". In der Phantasie der europäischen Fürsten spielte China eine große Rolle.  Im 18. Jh. sorgten europäische  Missionare für einen stetigen Fluss von Informationen aus China für Europa (vgl. Friedhof der europäischen Jesuiten in Peking). Sie machten auch Meister Kong zu Konfuzius (latinisiert). Es entstand eine Begeisterung für China. Porzellan, Pavillons, Lackmöbel, Schattenspiele, Tee kamen in Mode. Für Immanuel Kant war China "das kultivierteste Reich der Welt". Voltaire hielt der katholischen Kirche die überlegene Sittlichkeit der Chinesen vor. Quesnay lobte die chinesische Philosophie über die griechische. Im 19. Jh. änderte sich das Bild als die beiden Weltmächte China und England aneinander gerieten (vgl. Opium weiter unten).  Vgl. Vogelsang, Kai: Geschichte Chinas, Stuttgart 2019, S. 434ff. Die heutige Invasion von Chinesen in Venetien und Oberitalien begünstigte bzw. verursachte den massiven Corona-Ausbruch 2020 dort.

Exkurs. Hafen von Piräus: Er wird in Brüssel auch "Kopf des Drachen" genannt. 2016 war Griechenland pleite. Die EU gab vor, Staatsfirmen zu verkaufen. Da es in Europa niemand wollte, schlug China zu mit COSCO. COSCO hat noch weitere Beteiligungen in der EU: Seebrügge/ Belgien (90%), Antwerpen/ Belgien (20%), Bilbao/ Spanien (40%), Rotterdam/ Niederland (30%), Hamburg/ Deutschland (24,9%).

Nach der Xinjiang-Eskalation (mit Sanktionen der EU und Gegensanktionen) ist mit einer Ratifizierung  erst mal nicht zu rechnen. Die stärkeren Sanktionen Chinas deuten darauf hin, dass man die EU nicht ganz so ernst nimmt (eine Klasse mit Australien, Kanada).

Die EU kann viel von China lernen. Sie muss entschlossener, klarer, pragmatischer  besser organisiert und egoistischer werden. "America first" wird bleiben. Man kann nicht mehr bedingungslos auf die USA setzen. Man braucht auch in Asien Käufer von Staatsanleihen und Exporten. Die EU muss eine Strategie entwickeln, wie sie China schon hat. Auf Dauer wird die deutsche Strategie nicht funktionieren: Werte predigen und Autos verkaufen. Bisher ist die EU-Strategie zu allgemein: China als Partner, Wettbewerber und Systemrivale. Vgl. Middelaar, Luuk van: Macht unter Mächten, in: Die Zeit Nr. 17, 22. April 2021, S. 9. Auch: Flach, Lisandra: Die EU braucht eine klare USA - China - Strategie, in: Wirtschaftsdienst, H. 4; 2021, S. 238f. Im schlimmsten Falle könnte die EU zwischen die Fronten der Supermächte geraten ("tripolare Welt").

2021 hat die EU schon eine große Abhängigkeit von China. Wenn man globale Lieferketten betrachtet und die Herkunft von 137 sensiblen wirtschaftlichen Ökosystemen ergibt sich folgende Abhängigkeiten (in Prozent des importierten Warenwertes): China 52%; Vietnam 11%), Brasilien (5%), Südkorea (4%), Singapur (4%), USA (3%), GB (3%), Japan (3%), Russland (3%), Hongkong (1%), Restliche Welt (11%). Quellen: HB Nr. 84, 3. Mai 2021, S. 13. EU-Kommission. Die Exporte der EU nach chin asteigen im Juni 2021 um 34,1%.

Im September 2021 gibt die EU bekannt, dass sie die Handelsverbindungen zu Taiwan vertiefen will (Freihandelsabkommen). Da könnte Ärger mit China drohen. China hat aber selbst ein Freihandelsabkommen mit Taiwan. Die EU will ein positives Signal an Taiwan senden, weil dort mit TSMC der größte Chip-Hersteller sitzt.

Im November 2021 entwickelt die EU einen 300-Milliarden-Plan (Global Gateway). Sie will das Geld investieren, um Infrastrukturprojekte weltweit zu fördern. Es ist Europas Antwort auf Chinas Seidenstraßeninitiative. Die EU will zu einem geopolitischen Akteur werden. 147 Mrd. € sollen von Europäischen Entwicklungsorganisationen wie der KfW kommen. Europa ärgert es besonders, dass bei den Ausschreibungen der "Belt and Road" - Initiative der Chinesen europäische Unternehmen so gut wie keine Chancen haben. Die USA sind mit ihrer Gegen-Strategie allerdings voraus ("Leuchtturmprojekte" beginnen schon Januar 22; "Build back better World"). Auch Japan will agieren. Im Rahmen der G7 sollen die Projekte verzahnt werden.  Vgl. HB 30.11.21, S. 1.

Im Januar 2022 startet die EU ein WTO-Verfahren gegen China: Man springt Litauen im Handelsstreit mit Peking bei.  China will Litauen abstrafen und setzt dafür auch deutsche Firmen unter Druck (bilaterale Beziehungen Litauens zu Taiwan, Vertretung). Die Beziehungen zwischen der EU und China sind auf Talfahrt. Daran ändert auch ein virtueller Gipfel nach zwei Jahren am 1. April 2022 nichts. China ist stiller Nutznießer des Ukraine-Krieges. Es schließt neue Energieabkommen mit Russland (springt in die Lücke, die die EU hinterlässt) und liefert Waren gegen Devisen (unterläuft damit die Wirtschaftssanktionen). Die EU zieht eine rote Linie bei der Lieferung von Militärgütern von China an Russland.

Am 14.2.23 startet Außenminister Wang Yi eine Europa-Reise. Man spricht von Charmeoffensive. Er besucht Frankreich, Italien, Ungarn, die Münchener Sicherheitskonferenz und Russland. Es geht auch um die Vorbereitung von Staatsbesuchen (Macron in China, Xi in Russland). Gleichzeitig reist der Gouverneur von Xinjiang Erkin Tuniyaz nach London, Paris und Brüssel. Wahrscheinlich geht es auch um die Sanktionen der EU gegen Verantwortliche in Xinjiang. Als Gegenmaßnahme hatte China das EU - China-Abkommen auf Eis gelegt.

Im März 2023 einigen sich das Europaparlament und der Ministerrat auf ein neues Handelsinstrument gegen Erpressung. Es ist insbesondere gegen China entwickelt worden. Es soll ein Schutzinstrument sein, dass verhindert, dass Drittstaaten Handel als politische Waffe einsetzen. Ausgangspunkt war die Blockade Chinas für Litauen bei Eröffnung eines Büros von Taiwan. Gegenmaßnahmen der EU sind Zölle, Einfuhrbegrenzungen, Zugang zum EU-Binnenmarkt, Beteiligung bei öffentlichen Ausschreibungen. Die EU soll zunächst direkt mit dem betroffenen Drittstaat verhandeln. Bei Nichtzurücknahme soll gehandelt werden. Vgl. FAZ 29.3.23, S. 19.

Im April 2023 soll das CAI (Comprehensive Agreement on Investment) wieder belebt werden. Macron (französischer Präsident) und Ursula von der Leyen (EU-Kommissionschefin) reisen nach Peking. Das Abkommen würde Europäern in China Minderheitsbeteiligungen ermöglichen, in Bereichen, in denen bisher kein Zugang erlaubt war: bei Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Krankenhäusern, Immobilien, Luftfahrt und Cloud-Diensten. China steht unter Druck. Es gibt einen gigantischen Kapitalabfluss (für 2023 erwartet der IWF 5,5%). Hinzu kommt, dass dei US-Regierung an einem Screening - Mechanismus arbeitet, um DI  für bestimmte High-Tech-Branchen in China zu überwachen und zu erschweren. Die EU-Kommission könnte ähnliches machen. Vielleicht will China auch erreichen, dass die EU die Sanktionen wegen der Uiguren aufhebt. Vgl. Wettlach, Silke: Wie CAI aus der Kiste, in: WiWo 14/ 31.3.23, S. 28f.

China-Abkommen von Italien und anderen EU-Staaten: Im Rahmen der Neuen Seidenstraßeninitiative gibt es 14 Abkommen mit EU-Staaten. In Italien schielt man vor allem auf Häfen und Bauaufträge. die USA und die G7 sind dagegen. Italien steckt in einem Dilemma: China ist einer der wichtigsten Handelspartner (9% der Importe, 2,7% der Exporte). Auf der anderen Seite hat man Angst vor feindlichen Übernahmen. Ein Kompromiss könnte wie folgt aussehen: Abkommen ratifizieren, aber sensible Bereiche ausnehmen (Energie, Telekommunikation). Vgl. HB 16.5.23, S. 12.

Gegenmaßnahmen der EU in internationalen Handelskonflikten: Im Oktober 2023 kommt ein entsprechendes rechtliches Instrument. Hintergrund waren die Handelsbeschränkungen Chinas gegen Litauen. Künftig kann die EU den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen für Firmen der betreffenden Länder beschränken oder den Vertrieb bestimmter Produkte aus Europa blockieren.

Die EU-Kommission will künftig Investitionen aus China und in der Volksrepublik stärker überwachen. Im einzelnen geht es um folgende Maßnahmen: 1. Verordnung zum Screening ausländischer Direktinvestitionen  (FDI) wird verschärft. Kritische Technologiebereiche müssen geprüft erden. 2. Im Outbound Investment Screening sollen die Regierungen erst mal Daten sammeln.  3. Die nationalen Exportkontrollen sollen verbessert werden. 4. Universitäten sollen bei der Zusammenarbeit stärker auf Sicherheit achten. 5. "Dual - Use"- Technologie soll eventuell besser gefördert werden. Vgl. HB 16/ 23.01.24, S. 6f. "Wir können nicht chinesischer sein als die Chinesen", EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager, im Januar 2024, siehe WiWo 5/ 26.01.24, S. 28.

"Die Politisierung von Wirtschafts- und Handelsfragen verzerrt die Prinzipien der Marktwirtschaft", Wu Ken, Botschafter Chinas in Berlin, 2023 (HB 9.1.23, S. 5).

15. De - Risking als neue Strategie in Deutschland ab 2023: Es geht um die Reduzierung der Abhängigkeit von China. Es soll einen Mittelweg geben. Die Frage ist, inwieweit die Unternehmen bereit sind, ihn umzusetzen.

2022 waren die deutschen Direktinvestitionen (DI) in China noch mal gestiegen auf 11,5 Mrd. € (2020 2,1 ; 2021 10,0). Das ist das Gegenteil von Abkopplung. Hinzu kommt die große Abhängigkeit bei Rohstoffen. Bei folgenden Rohstoffen beträgt der Import aus China einen besonders hohen Teil: Scandium 92%, Yttrium 92, Bismut 87, Antimon 87, Carbon 73, Magnesium 73. Quelle: WiWo 17/ 21.4.23, S. 19 (Haerder, Max u. a.: Alarmstufe Rot). 

Die Bundesregierung will in der neuen Chinastrategie weniger China wagen. Die deutschen Unternehmen folgen dieser Strategie noch nicht. Deutschland ist im europäischen Vergleich immer noch der größte Investor in China (Anteil von 43%; Ergebnis der Beratungsfirma Rhodum)). Die Abhängigkeit von Peking bleibt eine Schicksalsfrage. "Peking verfügt in zahlreichen Märkten und Technologien über eine Art Monopolmacht", Gabriel Felbermayr, Chef des  Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Wien 2023.

Exkurs. China-Strategie Deutschlands 2023: Nach längeren Diskussion und auch Konflikten zwischen Außenministerium und Bundeskanzleramt wird Mitte 2023 (13.7.23) die neue China-Strategie Deutschlands in einem Paper schriftlich festgelegt (ca. 60 Seiten, Neuausrichtung des Umgangs mit China, Mittelweg zwischen Kritik und Pragmatismus): China wird als Partner, Wettbewerber und Systemrivale gesehen. Die Strategie besitzt keine Gesetzeskraft, soll aber Orientierung darstellen. Das Papier spricht Streitthemen wie Menschenrechte, Rechtsstattlichkeit und fairen Wettbewerb an. Als ausdrücklich negativ wird hervorgehoben, das China seinen Weltmachtanspruch zunehmend offensiv vertritt; das es handelspolitisch den Marktzugang für ausländische Unternehmen erschwert und das es in der Innenpolitik zunehmend repressiv gegenüber der eigenen Bevölkerung auftritt. Dei Wirtschaft wird zudem stärker in die Pflicht genommen, Unternehmen müssen Risiken in China verstärkt selbst tragen. De - Risking ist wohl das Schlüsselwort. Deutschland muss sich besser aufstellen, diversifizieren, Lieferketten streuen. Unternehmen treffen aber die Investitionsentscheidungen, sie müssen dabei selbst mehr Risiken tragen. Der Bericht wurde ausgerechnet beim Berliner Merics-Institut vorgestellt, dessen Forscher Einreiseverbot in China haben. China ist Deutschland wichtigster Handelspartner.

Im Juni 2023 sind die chinesischen Exporte nach Deutschland eingebrochen. Die ausländischen Direktinvestitionen betrugen 2023 lediglich 20 Mrd. $, 2022 waren sie noch fünfmal so hoch. Das scheint auf ein Ende der China-Romanze als Goldgrube hinzudeuten. Das Pflaster wird härter. Kern des Problems: Das wirtschaftliche Umfeld wird immer stärker ideologisch geprägt. Vgl. Kretschmer, Fabian: Das Ende der China Romanze, in: die Rheinpfalz 21.9.23. Seit 2003 hat sich die Importquote Chinas auf nun 15% halbiert. Weil der komparative Vorteil Deutschland bei Kapitalgütern nicht mehr dem chinesischen Bedarf entspricht, muss sich Deutschland neue Wachstumsmärkte suchen. Vgl. Studie des IfW Kiel 2023.

Exkurs. Chinas Autoindustrie auf dem Weg an die Spitze: China braucht nur 20 Jahre, um die Autoindustrie zur weltweiten Bedeutung aufzumotzen. Schon 2022 beherrscht die chinesische Autoindustrie den globalen Markt bei E-Autos: Der Anteil liegt bei 59%. Dann kommen Europa mit 26% und Nordamerika mit 11%. Das ist eine Vorschau auf die zukunft. 2022 hat China einen weltweiten Anteil bei der Herstellung in der Autoproduktion von 32,6%. Es folgen Japan (9,1), Indien (6,0), Deutschland (4,8), Südkorea (4,8), Mexiko (4,8). China hat auch den mit Abstand größten Automarkt der Welt mit 23,2 Mio. Neu-Zulassungen 2022 (vor USA 13,7 und Europa 11,3). Noch liegen die Autokonzerne aus China hinten bei Umsatz (SAIC 9. Stelle mit 121 Mrd. US-$) und Börsenwert (Polestar Platz 8, Geely Platz 12, Nio Platz 20, BYD Platz 91, alle Juli 2023 in US-$). BYD hat 2022 1,9 Mio. E-Autos produziert, ein Plus von 211% gegenüber 2021. Damit wurde auch Tesla überholt (1,3 Mio.). Die E-Mobilität ordnet die Welt neu bei Autos. Kann Deutschland dem noch was entgegensetzen. wie gefährdet ist unser Wohlstand? Vgl. Steinkircher, Peter/ Teryoshin, Nikita: Chinas lange Fahrt, in: Focus 36/ 2023, S. 90ff.  Im September 2023 kritisiert die EU, dass China Elektroautos künstlich  verbillige. Die chinesischen Hersteller bekämen Subventionen. Deutschland und Frankreich applaudieren. Am 26.9.23 besucht EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis China. Die EU erwägt Importzölle für chinesische E-Autos. Die könnten über 25% liegen (vergleichbar den Importzöllen der USA). Dann würde China einen Retorsionszoll erheben. Man verhandelt. Die Chinesen profitieren von drei Faktoren: Erstens sind die Lieferketten in der Welt extrem unbeständig (Suez u. a.). Zweitens fehlt eine klare politische Flankierung (das Aus des Verbrenners in der EU war ein großer Fehler, China forscht intensiv daran). Drittens sind die USA und China in ihrer merkantilistischen Industrie-Politik mit hohen Subventionen nicht zu schlagen. Für Deutschland kann das dramatisch werden, da die Zukunft der Autobranche mit der Zukunft des Standortes zusammenhängt.

16. Der Wert des Staatskapitalismus (die bessere Wirtschaftsordnung?): Sozialistische Marktwirtschaft: Mischsystem, d. h. Volkseigentum und starker Plan- bzw. Staatsanteil verbunden mit Marktpreisbildung und Gewinnergebnisrechung bei Betrieben. Planwirtschaftliche Methoden spielen noch eine Rolle, vor allem über die KP-Kader (Partei hat ca. 90 Mio. Mitglieder mit strengen Aufnahmekriterien; sie bilden eine Klammer bis in die Regionen, "Rotchina AG"; der Parteitag trifft sich alle 5 Jahre in Peking; die 2213 Delegierte wählen die 350 ZK-Mitglieder). Man spricht von Staatskapitalismus. Der Anteil der Privatwirtschaft liegt mittlerweile über 50% (abhängig von der Zuordnung der Rechtsformen, den Anteilen und dem Einfluss des Staates). Die Staatsunternehmen, noch ca. 35% aller Unternehmen (ca. 150.000 größere Unternehmen  2003),  haben in der Wertschöpfung einen Anteil von 42%. 2011 gibt es noch 144.700 Staatsunternehmen mit einem Nettogewinn von 322 Mrd. Euro. Man spricht auch vom "China-Modell". Typisch sind auch stark informelle Strukturen wie das Kultur geprägte "Family Business Network". Ein neues Eigentumsrecht soll das Privateigentum gesetzlich schützen (Nutzungsrecht vergleichbar der Erbpacht). Im August 2007 wird ein Anti-Monopolgesetz verabschiedet: Preisabsprachen werden verboten und Fusionen sind genehmigungspflichtig.  Für ausländische Investoren wird bei Zusammenschlüssen "die nationale Sicherheit" überprüft (wegen der Schwammigkeit sehr umstritten!). Nach dem internationalen Business-Monitor von Handelsblatt ist China 2008 das wettbewerbsfähigste Land der Erde (vor Deutschland und der Schweiz). China wird von der EU noch nicht als Marktwirtschaft anerkannt (non-market economy), was Antidumping -  Maßnahmen erleichtert. Umgekehrt sind die Märkte in China noch nicht vollständig geöffnet, wodurch viele ausländische Firmen von lukrativen Aufträgen ausgeschlossen sind. In der Weltwirtschaftskrise 2009 verstärkt China die staatliche Lenkung seiner Wirtschaft wieder (der Umweltschutz wird gelockert). Rund 6,5 Mrd. € will China von 2010 bis ca. 2013 in "Auslandspropaganda" investieren, um sein Image in der Welt zu verbessern. China baut seine Wirtschaft konsequent von einer Export- zu einer Binnenwirtschaft um. Nach jüngsten Prognosen wird China 2028 die USA als führende Wirtschaftsnation ablösen (Heuser, J./ Yang, X.: Der Markt macht`s, in: Die Zeit, 15.11.2018, S. 25 und Zhang Weiying: Die Mär vom China-Modell, in: Die Zeit 15.11.18, S. 26). "Planung und Marktkräfte sind nicht der wesentliche Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Planwirtschaft ist nicht die Definition von Sozialismus, da es Planungen auch im Kapitalismus gibt. Marktwirtschaft findet auch im Sozialismus statt. Planung und Marktkräfte sind Wege zur Kontrolle der Wirtschaftstätigkeit", Deng Xiaoping. Die Idee war nicht neu: Theoretische Vorläufer waren Enrico Barone (1859 - 1924) und Oskar R. Lange (1904 - 1965).

Am Ende der Corona-Krise 2021 zeigt sich, dass das System der USA (vor allem seit dem Amtsantritt von Biden) bei Innovationen Europa und auch vielleicht China voraus ist. Dafür funktionieren in der EU die Sozial- und Gesundheitssysteme besser, da hat auch China Nachholbedarf. Der chinesische Staatskapitalismus, der Zensur praktiziert und Selbstzensur fördert,  stößt an die Grenzen. Wäre das nicht so, hätte man die Pandemie bei größerer Transparenz Ende 2019 verhindern können. Vgl. Aghion, Philippe: Neue schöpferische Zerstörung, in: WiWo 16, Heft 4/ 16.4.21, S. 36f.

Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaften: Indikatoren: 1. Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (hier führen die USA, China ganz hinten). 2. Einkommensverteilung (Gini, geringster Wert wichtig, Schweden vorne, China schlecht, direkt hinter USA). 3. Arbeitsproduktivität (BIP je Beschäftigten in Dollar, es führt Schweden, China hinten). 4. Erfindergeist (Internationale Patentanmeldungen, China vorne). 5. Wettbewerbsfähigkeit (WEF, es führen die USA vor Japan, China hinten). Hochschulabschluss (es führt Großbritannien, China hinten). Vgl. Pennekamp, J.: Soziale Marktwirtschaft in der Zange, in: FAZ Nr. 92, 21. April 2021, S. 19.

Die Beteiligung des Staates am Kapital des Landes (Immobilien, Unternehmen, Boden, Infrastruktur, technische Anlagen) liegt seit 2006 etwa bei 30% (1978 70%). Vgl. Thomas Piketty: Der Sozialismus der Zukunft, München 2021, S. 77ff. So gesehen steht der Staat in China besser da als in den meisten anderen Ländern. Dort ist in der Regel das gesamte staatliche Kapital in den Händen von Privateigentümern, weil die Schulden höher sind als die Vermögensbestände (auch in Japan).

Exkurs: Legitimitätsglaube in China.  Die Chinesen haben einen hohen Grad an Vertrauen in die Regierung. Sie glauben, dass das System ihr Leben verbessert und ihr Schicksal zum Positiven verändert. Sie haben auch großen Stolz auf ihr Land. Xi spricht sogar von der besseren Demokratie mit mehr Menschenrechten. Meinungsumfragen in China sind nicht üblich, die das bestätigen. Es handelt sich um Einschätzungen von Experten, die China im Blick haben. Vgl. Fahrion, Georg: Rückzug in die Blase, in: Der Spiegel Nr. 6/ 2022, S. 8ff. Xi Jinping hat auch systematisch den Nationalismus in seinem Land aufgebaut. Dazu gehört auch das Versprechen, dass in seiner Amtszeit noch Taiwan ins "Reich heimgeholt" wird. Damit hat er sich erheblich unter Druck gesetzt. Der Legitimitätsglaube ist aber eng mit dem Wohlstandsversprechen, d. h. dem Aufstieg,  verknüpft. Xi denkt in 100-Jahresepochen: 100 Jahre KPCh (2021) haben China von Armut in mehr Wohlstand geführt. 100 Jahre VR China 2049 machen China zur führenden ökonomischen und militärischen Macht in der Welt. Somit hat China als einziges Land der Welt ein klares strategisches Ziel. Die kommunistische Führung kann nicht machen. was sie will. Als die Null-Covid-Strategie zu Demos führt, ändert sie sofort die Strategie um 180 Grad. Die VR China hat auch einen klaren Überbau. Der Marxismus legitimiert das Wirtschaftssystem. Der Konfuzianismus stützt das kommunistische Herrschaftssystem. Der Daoismus steht für Lebensqualität (Glück, Gesundheit, Jenseits). Die Chinesen sind auf der anderen Seite aber sehr gut darin, sich der staatlichen Kontrolle zu entziehen. Die Stagnation in aktueller Zeit löst so etwas wie einen kollektiven Schock aus. Vgl. Biao, Xiang, Interview, in: HB 14.11.23, S. 12. Ende 2023 scheint die Stimmung eher schlecht zu sein, die Kritik an der Führung scheint groß.

Kontrolle scheint mittlerweile (2021) China wichtiger zu sein als Wachstum. Die Staatsführung (Politbüro der KP) reguliert ganze Wirtschaftszweige. Gleichzeitig gibt es immer wieder Stromausfälle und Lieferengpässe. Der Handelsstreit mit Australien führt zu einem Mangel an Kohle.  In Covid-Fällen greift man knallhart durch (zuletzt in Dailan bei Studenten). Die Staatsmedien fangen schon an, "barbarisches Wachstum" zu geißeln. Vgl. Felix Lee: Kontrolle ist China wichtiger als Wachstum, in: Rheinpfalz Nr. 267, 17.11.21. China stärkt systematisch den eigenen Binnenmarkt. Man will auch technologisch unabhängiger von den USA werden. Total abschotten ist aber auch nicht erwünscht. Angesichts der Zerfallstendenzen in den USA (Spaltung) und der EU (Brexit, Osteuropa) sieht man sich im Wettbewerb der Systeme mittlerweile im Vorteil.

Doch mittlerweile 2022 häufen sich auch Analysen, die darauf hinweisen, dass China den Zenit überschritten habe. Man spricht von einer Weltmachtblase. Folgende Punkte werden aufgeführt: 1. Die autokratische Effizienz ist eine Mär. 2. Die strategische Weitsicht hält sich in Grenzen. 3. Die Ideologie ist dem Pragmatismus unterlegen. 4. Die Jugend ist ohne Hoffnung. 5. Der Nationalismus ist hohl. Vgl. Yang, Xifan: Die Weltmachtblase, in: Die Zeit Nr. 25/ 15. Juni 2022, S. 10. China kann sein Verteilungsproblem nicht mehr über das Wachstum lösen. Die Stagnation führt dazu, dass im Inneren die Kontrolle verstärkt wird (nutzen der Digitalisierung) und nach außen der aggressive Auftritt wächst (Flotte und paramilitärische Fangschiffe im südchinesischen Meer u. a.).

Exkurs: Geschichte der Sozialistischen Marktwirtschaft, anhand von vier entscheidenden Kriterien: 1. Unternehmen: Ab 1979 mit dem Beginn der Wirtschaftsreformen entwickelte sich privates Unternehmertum. Es entstanden Handelsgeschäfte, Werkstätten, erste kleine Fabriken. Ihre Besitzer durften Gewinne machen und diese auch behalten.  Parallel dazu bekamen Staatsbetriebe größere Freiheiten. Wenn sie ihre Plan-Ziele überschritten, durften sie die Mehreinnahmen frei verwenden.  2. Arbeitsmarkt. Schon 1979, gleich am Anfang der Reformen, wurde für die Arbeiter ein Bonussystem eingeführt. Das alte, anreizlose System (egalitäre Bezahlung) wurde sukzessive zurückgefahren. Die Arbeiter konnten selbst bestimmen, wie sie die Boni untereinander aufteilten. Mitte der 1980er Jahre kam dann eine weitere Reform: die Einführung von Arbeitsverträgen. 3. Landwirtschaft. Hier fing die Marktwirtschaft an. Bauern bekamen zunächst kleine Flächen (wie Gärten) zugewiesen, auf denen sie anbauen und anpflanzen konnten, was sie wollten. Die Ernte durften sie dann auf Märkten zu Marktpreisen verkaufen. Sukzessive wurde so die kollektivistische Landwirtschaft privatisiert. Das nützte Bauern und Verbrauchern. Im Großraum Shenzhen durften Bauern später ihr Nutzungsrecht verkaufen und wurden dadurch zu Millionären (hierzu gibt es legendäre Geschichten über das Nachtleben in Shenzhen). Es gibt aber auch viele Berichte über Landraub (Enteignung; das gilt auch für das kommunistische Bruderland Vietnam)  4. Preise. Es war eine wichtige Frage. Unter Mao wurden die Preise staatlich festgelegt, egal ob Gemüse, Kleidung oder Maschinen. Guangdong im Süden Chinas durfte als erste Stadt Stück für Stück Preiskontrollen reduzieren, besonders für Agrarprodukte. Die Preise für Konsumgüter wurden schneller freigegeben als für Industriegüter. 1988 hatte Guangong fast keine regulierten Preise mehr (in der Anfangsphase holte man sich Beratung in Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, was die Preismessung anging; das Staatliche Preisamt wurde immer mehr reduziert und letztendlich in die Statistik eingegliedert).

"Der chinesische Staat hat keine Ideologie, keine Religion, keine moralischen Prinzipien. China ist eine Diktatur geworden, die den Staatskapitalismus praktiziert", Ai Weiwei, Chinesischer Künstler und Menschenrechtsaktivist, Quelle: Der Focus 36/2020, S. 41. Es gibt in Deutschland auch Deutsche, die eine große Skepsis gegenüber China haben. so etwa Reinhard Bütigkofer, der für die Grünen im Europaparlament sitzt. China hat über ihn ein Einreiseverbot verhängt.

17. Der "kleine Kaiser" Xi Jinping und seine Ziele (er lässt sich lieber "guter Kaiser" nennen): 2017 ist Xi Jinping Teil der Verfassung geworden - das hat es seit Mao nicht gegeben (einmalig in der "Mao-Dynastie"). Die Person wird damit den Takt und auch den Ton der Weltpolitik für Jahrzehnte vorgeben. China ist vielleicht das derzeit mächtigste Land der Welt (in Anbetracht der Schwächen und Wankelmütigkeit der USA unter Trump; vielleicht bringt Biden hier Besserung). Seine Industrie untermauert die Weltwirtschaft, sein Militär wächst schneller als das jeder andern Nation. Also ist es von immenser Bedeutung, wie dieser Mann tickt. Xi wurde 1953 geboren, als Sohn von Xi Zhongxun, einem Militärführer und Verbündeten Mao Zedongs. Zwei Jahrzehnte war der Vater ein Opfer der Kulturrevolution (der Absturz kam 1962). Xi war der zweitälteste Sohn von sieben Kindern. 1966 war er auf einer Eliteschule nahe des Regierungsviertels und wohnte in der Verbotenen Stadt. Er lernte die Mao-Bibel auswendig. Dann kam er in der Kulturrevolution in die Provinz Shaanxi, wo er mit Bauern lebte. Mit 15 Jahren musste er Fronarbeit verrichten und wurde gedemütigt (7 Jahre; seine älteste Schwester begeht wegen der Demütigungen der Familie wahrscheinlich Selbstmord)). Experten vergleichen sein Schicksal mit dem Stockholm-Syndrom. Mitte der Siebzigerjahre studierte Xi an der Pekinger Universität Tsinghua Ingenieurwissenschaften (mit 22 Jahren trat er wieder in die Partei ein mit gefälschten Dokumenten). Eine Zeit lang lebte Xi auch in den USA in Iowa (ursprünglich wollte er vom US-Modell lernen; bei einem erneuten Besuch sah er klar die Schwächen). Von 1978 bis 1982 arbeitete er als Sekretär Geng Biaos, Mitglied des ZK und eine militärische Schlüsselfigur (auch Verteidigungsminister). 1982 ging er wieder in die Provinz, 1985 ging er nach Fujian (Partner-Provinz von RLP). Er blieb 16 Jahre dort. Wichtig ist seine zweite Frau Peng, die als bekannte Schauspielerin und Sängerin in Ansehen und Bekanntheit über ihm stand. Sie schult ihn in Öffentlichkeitsarbeit. Von 2000 bis 2002 war er Gouverneur in Fujian. Dann ging er in die Küstenprovinz Zhejiang, wo er fünf Jahre in höchster Parteiposition tätig war. Er lernte dort Jack Ma, den Begründer von Alibaba, kennen. Ein wichtiger Konkurrent um die Führung der Partei Bo Xiling musste 2011 aufgeben bzw. wurde von ihm ausgeschaltet. Xi verschwand dann eine Zeitlang 2011 (niemand weiß bis heute, wo er war). Es fand wohl im Politbüro ein Machtkampf statt, bei dem er sich als Kompromisskandidat durchsetzte. Man hatte in dieser Zeit Mühe mit Kontakten zu führenden Kollegen an den Hochschulen (an den führenden Hochschulen sind die Mitglieder des Politbüros in der Leitung). Xi hatte sich bei der Organisation der Olympischen Spiele 2008 bewährt. Ende des Jahres bzw. 2012 konnte er sich dann als Führer durchsetzen (erst in der Partei, 2013 als Präsident). Wie stark die innere Opposition gegen Xi ist, bleibt Journalisten und Wissenschaftlern verborgen. Ebenso wie die tatsächlichen Machtverhältnisse und Entscheidungsmechanismen sind. Was sind nun Xi´s Ideen? 1. Er will massiv die Korruption bekämpfen (die VBA wird "gesäubert"). 2. Die Partei soll zum Diener der wachsenden Mittelschicht werden. 3. Wohlstand und Innovation sollen stark ausgedehnt werden (China 2025; mehr Verteilungsgerechtigkeit). 4. Formulierung eines Wertekanons (Konfuzianismus, Revival des Marxismus, Harmonie; er baute die Marxismus-Kurse an den Universitäten aus). 5. Wirtschaft zuerst. Sozialer und politischer Fortschritt kann warten. 6. Globale Führungsmacht bis 2050 (2049 100 Jahre Volksrepublik). Man bezeichnet die Ziele zusammen als "China Dream". Vgl. Kerry Brown: Die Welt des Xi Jinping. Alles, was man über das neue China wissen muss, S. Fischer, Frankfurt 2018. Die KPCh hat 2018 90 Mio. Mitglieder, mehr als Deutschland Einwohner hat. Sein engster Berater ist Wang Xining. Er verfügt über eine immense Erfahrung in der Partei. 11,2 Mio. Parteimitglieder wurden bis 2018 in Haft gesetzt in der Antikorruptionskampagne, die ein Machtinstrument ist. Allerdings hat seine Familie (vor allem seine Schwester) auch Vermögen im Ausland gebunckert. Als Bloomberg das raus brachte, wurde der Sender in China verboten bis heute. Xi Jinping hat 2012 bei seinem Amtsantritt das Dokument Nr. 9 eingeführt. In ihm warnt er vor demokratischen Kräften, die Pressefreiheit, Demokratie und Menschenrechte wollen. Die vorsichtige Trennung von Partei und Staat, die Deng Xiaoping eingeleitet hatte, wird vollkommen zurückgedreht. Der Macht der Kommunistischen Partei hat sich alles andere unterzuordnen (Staat, Wirtschaft, Unternehmen, Wissenschaft).  Außenpolitisch strebt Xi Eurasien an, das Rückgrat ist die "Neue Seidenstraße". Bei Nachbarländern traut er sich auch politisch ran, wie bei Australien und Neuseeland. Politiker wurden bestochen. Australien verbietet daraufhin ausländische Spenden. In Djibuti wurde der erste Militärstützpunkt in Afrika errichtet. China dominiert mittlerweile in Afrika mit dem Motto " Recht auf wirtschaftliche Entwicklung". In Europa wird eher gekauft (Piräus, Toulouse, Budapest, Hahn). Die Invasion Chinas in Europa verläuft schleichend aber wirkungsvoll. "Wirft man Eisen 100 mal ins Feuer, dann wird es zu Stahl". "Wer Europa besitzt, dem gehört die Welt". Beide Sprüche hat er im Hinterkopf. Er hat eine große Angst vor dem Zerfall des Landes. Er hat immer wieder Russland-Experten nach der Zerfall der Sowjetunion befragt. Auch der Arabische Frühling hat ihn alarmiert. 2021 erscheint eine weitere Biographie über Xi Jinping. Stefan Aust/ Adrian Geiges: Xi Jinping. Der mächtigste Mann der Welt, München 2021. Die Autoren wollen Xi aufgrund von Reden, verfügbaren Quellen, eigenen Interviews und Reportagen darstellen. Das Buch enthält keine Geheimnisse oder Skandale. Trotzdem verhindert man in Deutschland über die Konfuzius-Institute (Hannover, Duisburg-Essen) eine Diskussion darüber.  2023 erscheint ein weiteres Buch, dass Infos über Xi enthält: Frank Dikötter: China nach Mao. Der Aufstieg zur Supermacht, Stuttgart/ Klett-Cotta 2023.

Exkurs: Am 1. Juli 2021 (wurde später festgelegt, es gab mehrtätige Beratungen) feiert die Partei (KPCh) ihr 100. Gründungsjubiläum. Unter der Führung von Staatspräsident Xi Jinping hat sie die Kontrolle auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft ausgedehnt. Sie hat im Jubiläumsjahr 92 Mio. Mitglieder. Die Phase der Öffnung ist vorerst beendet. Kritik an der Partei darf nur anonym oder verhalten geäußert werden. In die subtropische Bergregion der Provinz Jiangxi zog sich Mao einst mit seinen Getreuen zurück, bevor er 1934 zum Langen Marsch aufbrach. Die Kaderschmiede Jinggangshan erinnert noch heute daran. Sie bereitet die Elite auf eine politische Laufbahn vor. 1949 erobern die Kommunisten die Macht und gründen die Volksrepublik. 2008 war ich ein Semester im Zentrum der Macht an der Hochschule der KPCh in Peking und habe dort und anderswo  Vorlesungen gehalten und Forschungen gemacht, Die Welt war damals eine andere. Andere Symbole der Partei, wie die Gründungstätte im französischen Kolonial - Viertel von Shanghai, werden eher runtergespielt, weil sie nicht ins nationalistische Geschichtsbild passen. Es findet eine Zeremonie auf dem Platz des Himmlischen Friedens statt. In seiner Rede droht Xi dem Ausland; doch es ist auch Verunsicherung zu spüren. Peking steht an dem Tag still.  Es gibt auch "Roten Tourismus": Chinesen pilgern an die wichtigsten Stätten der Parteigeschichte. Eine neue Stätte ist das Parteimuseum in Peking (150.000 Quadratmeter). Wichtigstes Versprechen für die Bevölkerung sind heute Wohlstand und nationale Größe. Schwesterparteien gibt es noch in Kuba, Vietnam, Laos und Nordkorea.

Am 08.11.21 tritt das Zentralkomitee von Chinas KP zusammen. Xi Jinping wird die Gelegenheit nutzen, seine persönliche Rolle in den Geschichtsbüchern zu verewigen. Es gibt zwei große Linien: Der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft bis 2049 (100 Jahre VR China). Der Wiederaufstieg der chinesischen Nation nach dem so genannten "Jahrhundert der Schande" (1840-1949). Die Parteigeschichte soll in drei Abschnitte unterteilt werden: Unter Mao sei China auferstanden, unter Deng Xiaoping sei es reich geworden, und unter Xi Jinping werde es stark werden. Drei Siege werden Xi zugeschrieben: Niederschlagung der Demokratiebewegung Hongkong 2019, Sieg über extreme Armut, Sieg über das Coronavirus. Vgl. Böge, Friederike: Auf Maos Pfaden, in: FAZ Nr. 260, 08.11.21, S. 2.  Xi legt immer größeren Wert auf das philosophische Fundament (Marxismus, Daoismus, Konfuzianismus). Man bezeichnen ihn schon als "Philosophenkönig". Im Herbst 2022 ist der 20. Parteikongress der KP, die wahrscheinlich wichtigste Polit-Veranstaltung für Xi Jinping. Er will seine dritte Amtszeit ausrufen. Gleichzeitig kriselt es in China (Null-Covid-Strategie, Lockdowns, Massenentlassungen). Hoffentlich muss Xi das nicht durch zunehmenden Nationalismus ausgleichen (Verschärfung der Taiwan-Krise). Als die WHO die Corona-Varianten durchnummeriert werden nach der Omikron-Variante (aus Südafrika) 2 griechische Buchstaben übersprungen: "Ny" klinge zu ähnlich dem Englischen "New". "Xi" sei ein weit verbreiteter Nachname. Pikant dabei ist, dass der chinesische Parteichef und Staatspräsident so heißt.

Am 16.Oktober beginnt der Kongress der Kommunistischen Partei (20., alle 5 Jahre, 5 Tage Dauer, 2341 Delegierte) in Peking. Dort soll eine dritte Amtszeit von Xi beschlossen werden bzw. seine lebenslange Regentschaft, was wohl nur Formsache ist. Seine Macht ist gefestigt (über 100.000 Regierungsbeamte wurden im Zuge der Anti-Korruptionskampagne hinter Gittern gesteckt). Er hat sein Land umgekrempelt. Den Zenit dürfte er aber überschritten haben. Wahrscheinlich hat er zu viele Fehler gemacht. Man spricht von vier Kardinalfehlern: 1. Die Null - Covid - Strategie hat das Land in eine Sackgasse geführt, einschließlich Wirtschaftskrise. 2. Die gesellschaftliche Überwachung hat zu viel Frust geführt, Covid wird instrumentalisiert (perfekter Überwachungsstaat). 3. Die führenden Tech - Konzerne wurden an die Leine gelegt und damit ihrer Innovationskraft beraubt. 4. Die Unterstützung der Position Putins im Ukraine-Krieg hat das Ziel einer neuen Weltordnung offen gelegt (er scheint den Rest der Welt von sich abhängig machen zu wollen). Vgl. Kretschmer, Fabian: Fehlentscheidungen holen Xi ein, in: Die Rheinpfalz 15.10.22. Xi tritt als Ideologe auf. Seit 2017 verschiebt er die Wirtschaftspolitik in Richtung marxistische Linke. Er misstraut dem privaten Sektor. Er hat Parteikomitees geschaffen, die Personalberufungen in privaten Firmen überwachen. In Hongkong hat Xi ein drakonisches Sicherheitsgesetz eingeführt, das alle Proteste erstickt hat.  Vgl. Fahrion, Georg/ Giesen, Christoph: Der Allmächtige, in: Der Spiegel Nr. 42/ 15.10.22, S. 10ff. Xi hält auf dem 20. Parteikongress eine zweistündige Grundsatzrede, in der er die Ziele seiner neuen Amtszeit erläutert ("Chaos" in Hongkong beseitigt, Aufrüstung, Null-Covid bleibt, Wiedervereinigung mit Taiwan - notfalls mit Gewalt, Ausklammerung von Ukraine und Xinjiang, Betonung des Umweltschutzes). Die Jugendarbeitslosigkeit in China beunruhigt die Partei. Xi warnt vor "gefährlichen Stürmen". Vgl. Gusbeth, Sabine: Xi Jinping warnt vor "gefährlichen Stürmen", in: HB Nr. 200/ 17.10.22, S. 10. Selbstkritik ist nicht zugelassen. Das Ausland wird mit "Wolfskrieger-Diplomatie" bekämpft: Verschwörungstheorien und Beschimpfen des Westens. Vgl. Kretschmer, Fabian: Pekinger Paralleluniversum, in: Die Rheinpfalz Nr. 245/ 21.10.22, S. 3. Xi Jinping wird für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der KPCh gewählt (damit kann er 2023 auch zum dritten Mal als Staatspräsident gewählt werden). Auf der Abschlusszeremonie des Kongresses wird der ehemalige Staatspräsident (von 2003 bis 2013)  Hu Jintao von Saaldienern aus dem Raum geleitet (Verhaftung oder gesundheitliche Probleme?). Xi lässt seine loyalen Anhänger in den Ständigen Ausschuss des Politbüros wählen. Direkt hinter ihm folgt der Technokrat Li Qiang (kümmert sich um die Wirtschaft und die führenden Unternehmen), der damit auch Premierminister werden dürfte. Man rechnet damit, dass Xi rational und zuverlässig bleiben wird. Vgl. Kretschmer, Fabian: Xi und seine Ja-Sager, in: Die Rheinpfalz 24.10.22, S. 2. Wichtig für uns ist weiterhin: Wirtschaftswachstum in China wird an Bedeutung verlieren. China forciert die weitere technologische und wirtschaftliche Abkopplung. Für die chinesische Staatsführung ist die Ideologie wichtiger als die Wirtschaft. Vgl. HB Nr. 205/ 24.10.22, S. 6f.

Exkurs: Zentralkomitee von Chinas KP: Es sind die knapp 380 mächtigsten Frauen (30) und Männer (350) des Landes (Stand 2021). Sie halten alle Macht in den Händen. Es sind Minister, Militärführer, Gouverneure, die Parteichefs der Provinzen, die Vorsitzenden der wichtigsten Parteiorgane, die Leiter der wichtigsten Hochschulen. Aktuell läuft wieder eine Säuberungskampagne: Der frühere Chef des Geheimdienstes wird verhaftet (Sun Lijun, Illoyalität). Es gibt sogar die Hypothese, Xi reise nicht zum G20-Gipfel und zur Weltklimakonferenz in Glasgow, um seinen Gegnern keine Chance zu geben. Vgl. Böge, Frederike: Auf Maos Pfaden, in: FAZ Nr. 260, 08.11.21, S. 2

Am 07.2.23 hält Xi seine erste Grundsatzrede im neuen Jahr. Er skizziert seine politische Kursrichtung. Eine "Verwestlichung" lehnt Chinas Staatschef ab, über allem steht die Kommunistische Partei. Die Rede ist einen Monat vor Beginn des Nationalen Volkskongresses, bei dem seine dritte Amtszeit beginnt. Er hielt seine Rede vor den führenden Kadern in der Parteischule des Zentralkomitees (hier habe ich mal ein Semester unterrichtet). "China habe den Mythos entlarvt, dass Modernisierung gleich Verwestlichung bedeute". "Der chinesische Weg diene den Entwicklungsländern des globalen Südens als Vorbild". China versucht schon länger, sein autokratisches Regierungsmodell ins Ausland zu exportieren. China sei die "bessere Demokratie und fördere die Menschenrechte stärker als die USA". Kein anderes Land als China habe in solch kurzer Zeit so viele Menschen aus der Armut gehoben, was das Verdienst der KPCh sei (die ersten 100 Jahre von 1921 bis 2021). Die zweiten 100 Jahre (1949-2049) sollen China in jeder Hinsicht an die Weltspitze bringen.  Vgl. auch: Kretschmer, Fabian: China: Xi sieht sein Land als die bessere Demokratie, in: Die Rheinpfalz Nr. 34/ 9.2.23.  Bei der Sitzung des Volkskongresses 2023 im März kommen ein neuer Premierminister (Li Qiang) und ein neuer Außenminister (Qin Gang). Beide sind Vertraute von Xi. Xi selbst wird für eine dritte Amtszeit als Staatspräsident gewählt. Er hat die drei wichtigsten Ämter inne (Präsident, Chef der KPCh, oberster Militär). Xi nennt zwei wichtige Ziele: 1. Wirtschaft (Wachstum mindestens 5%).2. Militär (höchste Ausgaben). Li Qiang (an 2. Stelle im ständigen Ausschuss des Politbüros) beruhigt internationale Investoren.  In China gibt es eine Xi Jinping-App. Sie soll adäquat zur ehemaligen Mao-Bibel sein. Sie enthält kluge Sprüche von Xi und zeigt sein Weltbild. Wenn man die App anklickt, erhält man Social Scoring-Punkte. Abends gibt es mehr Punkte als morgens.

Xi scheint 2023 und wohl auch 2024 fest im Sattel zu sitzen. Wahrscheinlich kommen weitere Details über Qin und Li ans Licht. Doch die Berichte dürften geschönt sein, denn der Eindruck, Xi habe bei der Ernennung Fehler gemacht, ist zu vermeiden. Xi hat immer noch keinen designierten Nachfolger. Es könnten Spannungen kommen, wenn Möchtegern-Kandidaten um seine Aufmerksamkeit buhlen. Zu den Anwärtern gehört sicher Cai Qi, der im März 23 zu Xis Stabschef ernannt wurde. Im ständigen Ausschuss des Politbüros (7 Köpfe) steht er an fünfter Strelle. Er war immer nahe bei Xi (in Fujian, in Zhejiang). er ist für Xis persönliche Sicherheit und für die Propaganda/ Ideologie der KPCh zuständig. Xi muss sein persönliches Image aufpolieren. Die Wirtschaftsmisere und der  chaotische Ausstieg aus der strikten Pandmiepolitik dürften ihm geschadet haben. Hinzu kommen die gespannten Beziehungen zum Westen. Vgl. James Miles: Xi und die Ja-Sager, in: The Economist, 2023 (Die Welt in 2024).

18. Militärpolitik Chinas: Aufrüstung/ Militär: Xi Jinping rüstet die Volksbefreiungsarmee sehr erfolgreich auf. Er galt von Anfang an als Mann der Volksbefreiungsarmee (enge Beziehungen) Traumatisch war die Niederlage 1979 gegen Vietnam bei einem Einmarsch. Er macht eine Wehrstrukturreform. Elementar sind Flugzeugträger, U-Boote, Satellitenaufklärung und Raketenabwehr. Alles Voraussetzungen für eine Weltmachtrolle. China hat nach den USA die zweithöchsten Militärausgaben der Welt (vor Saudi-Arabien und Russland sowie Indien). Korruption im Militär wird bekämpft. Die Seemacht wird massiv ausgebaut. Vgl. Sommer, Theo: China First, München 2019, S. 250ff.  Die USA machen im Sommer 2019 ein Waffengeschäft mit Taiwan. Sie liefern 66 Kampfflugzeuge vom Typ F-16. China droht mit Strafmaßnahmen. China hat mittlerweile nuklear bestückbare Interkontinentalraketen, die bis zu 15.000 km weit fliegen und erstmals das gesamte Territorium der USA ereichen können. Mittlerweile verfügt das Land auch über Hyperschall-Raketen. Auf der Militärparade zum 70. Geburtstag präsentierte China einen Hyperschall-Gleiter. Seitdem sind Militärstrategen rund um den Globus alarmiert. Es gibt noch keine Verteidigung gegen sie. Chinas Flotte könnte in zehn Jahren (2030) der der USA fast ebenbürtig sein. China plant, 2049 (dann wird die Volksrepublik 100 Jahre alt, in allen Feldern (ökonomisch, militärisch, geopolitisch) die globale Führung zu übernehmen. Dann hätten wir eine von China dominierte Weltordnung. Die Strategie des Westens "Wandel durch Annäherung" ist krachend gescheitert. Wenn man die weltweiten  Militärausgaben 2020 (Corona-Jahr) bündelt, sind sie auf fast 2 Billionen $ gestiegen (+2,6% gegenüber dem Vorjahr). 62% der Summe entfallen auf die USA, China, Indien, Russland und GB. Die höchsten Militärausgaben mit 778 Mrd. $ entfallen auf die USA.  Chinas Militärausgaben lagen 2020 bei 252 Mrd. $ (Schätzung). Die Zahlen stammen von Sipri/ Friedensforschung, Stockholm/ Schweden. 2022 beginnt ein nukleares Modernisierungsprogramm in China. Das ist kein gutes Zeichen für die Welt. Im Rüstungsprogramm liegt auch die tiefere Ursache des Konflikts mit den USA. US-Geheimdienst fanden in chinesischen Raketen amerikanische Computerchips. Sofort verhängten die USA ein Chip-Embargo gegen China. Gleichzeitig soll möglichst viel Produktion aus Taiwan in die USA (Arizona) und Deutschland (Dresden) geholt werden. Im Herbst 2023 erreicht Xi Jinpings Säuberungswelle das Militär. Erst werden zwei hochrangige Generäle entlassen (bei den Racketenstreikräften, die besonders wichtig sind). Dann wurde der Verteidigungsminister Li Shangfu zwei Wochen nicht gesehen (schon der Außenminister verschwand spurlos). Eine mögliche Erklärung bietet Korruption. Es ist aber auch ein Indikator dafür, dass Xi fürchtet, die Kontrolle über die eigene Armee zu verlieren. Die Korruption in der Armee ist für uns völlig intransparent. Ihre Ursachen liegen in der Bezahlung der Soldaten und ihrer Qualifikation (in der Armee sind sicher nicht die Besten). "Jede Kriegsführung gründet auf Täuschung. Wenn wir also fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen; wenn wir unsere Streitkräfte einsetzen, müssen wir inaktiv erscheinen; wenn wir nahe sind, müssen wir den Feind glauben machen, dass wir weit entfernt sind; wenn wir weit entfernt sind, müssen wir ihn glauben machen, dass wir nah sind", Sun Tsu: Die Kunst des Krieges (zweieinhalbtausend Jahre alt). Berühmt ist auch der Spruch von Deng Xiaoping: "Verbirg deine Stärke, und warte ab".

Hainan: Hainan ist eine Insel im Süden Chinas Sie ist die zweitgrößte Insel nach Taiwan. Sie hat ca. 9 Mio. Einwohner. Sie wird oft das Hawaii Chinas genannt. Es ist ein Urlaubsschwerpunkt der Chinesen (manche Reiche aus dem Norden haben dort einen Zweitwohnsitz). Gleichzeitig ist Hainan ein wichtiger Militärstützpunkt des Landes. Man spricht von einer "schwimmenden Festung". Unterirdische Raketen sollen dort ruhen (Flotte der Atom-U-Boote). Ein Netz von paramilitärischen Fischerbooten soll die Insel sichern helfen, aber auch die normale Flotte ist präsent. Es ist der wichtigste Militärstandort für Aufklärung, auch für die Raumfahrt. Die Insel ist der militärische Ausgangspunkt für das südchinesische Meer, für den Griff nach Taiwan und für den Ausbau und die Inbesitznahme vieler kleiner Inseln (werden zu Festungen umgebaut). Taiwan empfindet China auch als Provokation, weil das demokratische System ökonomischen Erfolg hat. Haikou ist die Hauptstadt der Inselprovinz (wurde 1988 in den Rang einer Provinz erhoben). Sie hat 2020 zwei Millionen Einwohner. Im Süden der Insel gibt es auch ein  großes Kreuzfahrtterminal. Die ganze Insel ist eine Freihandelszone (erst seit 2020, die Insel ist extrem hoch verschuldet). Auf der Insel gibt es einen Nationalpark. Berühmt ist die seltene Variante des Gibbon-Affen, die es nur auf der Insel gibt. Im südschinesischen Meer gibt es paramilitärische Fischereischiffe, die stark bewaffnet sind (Maschinengewehre, Laser, Sonar). Sie rammen und provozieren. Sie haben ihren Sitz in der Regel auf Hainan.

2021 beginnt man auf der Insel mit dem Bau einer eigenen Raumfahrtstation. Der Raumfahrtbahnhof heißt Wenchang. Von hier sollen die Starts zu der ständigen Raumfahrtsstation "Tiangong" (Himmelspalast) stattfinden. Die Trägerraketen heißen in der Regel "Langer Marsch". Das Hauptmodul wird meist "Tianhe" (Himmlische Harmonie) genannt. In Hainan starten in der Regel auch die Spionage-Ballons. Einer dieser Ballons flog über Nordamerika und wurde von den USA über South-Carolina abgeschossen.

Im Konflikt mit Japan 1933 bis 1945 haben 230.000 Chinesen durch den Einsatz biologischer Waffen ihr Leben verloren. Daraus hat China gelernt und betreibt "defensive" biologische Waffenforschung. Es scheint mittlerweile die Sowjetunion als größte biologische Supermacht abzulösen. Seit 1984 ist China Mitglied der Biowaffekonvention der UN und bestreitet die Existenz biologischer Offensivwaffen. Die Geheimdienste aus Taiwan und Südkorea haben immer auf die Möglichkeit solcher Waffen hingewiesen. Deshalb waren diese Länder auch wesentlich besser auf Sars-CoV-2 vorbereitet. Erst recht China selbst, das schon seit April 2020 in der Testphase von Impfstoffen ist. Das Wuhan Center for Desease Control und ein anderes biologisches  Forschungszentrum in Wuhan stehen unter der Kontrolle des Militärs. Das heißt nicht, dass es Beweise für ein absichtliches oder versehentliches Freisetzen des Virus in  Wuhan gibt. eher sprechen virologische Forschungsergebnisse gegen entsprechende Anschuldigungen von Trump. Aber die Welt muss auf den Einsatz biologischer Kampfstoffe vorbereitet sein. Sie sind in einer globalisierten Welt wesentlich effektiver als die klassischen militärischen Mittel (Quelle: Hans Rühle: Der Wahrheit zu nahe gekommen, in: Der Focus, 20/2020, S. 40).

2020 sind die USA militärisch China noch überlegen. Aber ein Krieg hätte schon desaströse Folgen, auch für die Welt. China füllt systematisch die Leere, die die USA durch ihren Rückzug hinterlassen. In den internationalen Organisation werden Chinesen in einflussreiche Positionen gebracht (UN, WHO, WTO; IWF u. a.). Dabei helfen finanzielle Anreize, Investitionsversprechungen und massives Lobbying. Vgl. Reichart, Thomas: Das Feuer des Drachen, München 2020, S. 241ff. Bis 2049 (100 Jahre Volksrepublik) will China spätestens die dominierende Militärmacht der Welt werden. Weil die USA dicht machen, hält man verstärkt in anderen Ländern nach Rüstungstechnik Ausschau. Besonders begehrt sind deutsche Deep-High-Tech Start-ups. Sie verfügen oft über Dual-Use-Produkte. Die Produkte sind auch militärisch nutzbar. Solche Firmen sind z. B. Mynaric, Alcan Systems, Black Semiconductor, Hyperganic. Vgl. Stözel, T./ Petring, J.: Im Visier der Wettrüster, in: WiWo 39, 18.9.20, S. 64ff. Vgl. auch das neue Buch von Ex-BND-Chef Schinder über die Sicherheitspolitik. Er sagt, dass die Gefahr Chinas unterschätzt wird. Am Ende des einwöchigen Volkskongresses am 10.3.21 ruft  Xi das Militär zu ständiger Bereitschaft auf. Der Volkskongress hatte vorher eine Steigerung der Militärausgaben von 6,8% beschlossen. Der für den Asien-Pazifikraum zuständige US-Admiral Davidson sagte dazu, dass die USA damit rechneten, dass China bis 2027 versuchen werde, die Inselrepublik Taiwan zu besetzen. Die USA und China sprechen über ein Spitzentreffen in Anchorage im US-Bundesstaat Alaska. Das findet auch statt mit unüberbrückbaren Differenzen. 2021 fängt China an, die USA militärisch zu überholen. Es finden sich immer mehr Staaten, die mit den USA in Asien kooperieren wollen: Kanada, Sri Lanka, auch Deutschland. Man will noch 2021 eine Fregatte in die Region entsenden. Vgl. Busse, Nikolas: Chinas neue Muskeln, in: FAZ 12.4.21, S. 8. Zahlenmäßig ist die chinesische Flotte heute schon die größte der Welt. Sie ist noch nicht so effektiv wie die der USA. Sie wächst jährlich in der Bestandsgröße der deutschen Flotte (Aussage eines deutschen Flottengenerals, der dann schweigen muss).   Pensionierte Piloten der Bundeswehr bilden chinesische Kampfpiloten aus. Es taucht der Verdacht auf, dass sie militärische Geheimnisse verraten könnten. Verteidigungsminister Pistorius will das ab 2023 mit allen Mitteln verhindern.

Wenn die Wirtschaft Chinas in Zukunft die der USA überholt, wird auch das Militär früher oder später dominieren. Das war immer so in der Geschichte. Dann könnte der Punkt gekommen sein, dass China seine nationalen Interessen durchsetzt, ohne dass der Westen eingreift. China wird einen militärischen Konflikt aber kaum provozieren, da die Zeit für das Land spricht. China sieht keinen Sinn in bilateralen Abrüstungsverhandlungen oder in Dialogen. Vgl. den Militärexperten Tang Zhao vom Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy, Quelle: Interview in der Rheinpfalz  vom 7.7.2021, S. 3. Das Pentagon bestätigt im Oktober 21 Chinas Hyperschallwaffentest. Das ist "sehr nah am Sputnik-Moment". Das amerikanische Abwehrsystem kann damit übergangen werden. Vgl. FAZ 29.10.21, S. 5. Immer wieder kommt es zu Konfrontationen in der Region. Westliche Staaten entsenden Schiffe in internationale Hoheitsgewässer, wie z. B. GB den Flugzeugträger HMS Queen Elisabeth (Flaggschiff der britischen Marine). So sollen z. B. die Philippinen unterstützt werden. In der Regel fährt man im Verbund mit US-Kriegsschiffen un d Schiffen anderer Nationen (Niederlande, Japan, Deutschland). China fühlt sich provoziert und sendet eine Warnung aus: "Einen hinrichten als Warnung an hundert". Auch Deutschland beteiligt sich ab Sommer 2021 an der Mission. Man schickt die Fregatte "Bayern". Bei den Operationen fahren  Kriegsschiffe gezielt durch von China beanspruchte Gewässer.

China baut Nachbildungen von US-Kriegsschiffen. Diese sollen als Angriffsziele für Militärübungen gelten. China entwickelt Raketen, die gezielt Kriegsschiffe ins Visier nehmen sollen. Die Flugzeugträgerverbände zählen zu den mächtigsten Militärgeräten im Waffenarsenal der USA. Ein Flottenverband der USA ist im Pazifik stationiert, um strategisch wichtige Gebiete wie Taiwan und das Südchinesische Meer zu überwachen. Pekings Gebietsansprüche werden als illegal angesehen.  Neuer Verteidigungsminister wird der bisherige Marinechef Dong Ju.

2024 rüstet China militärisch stark auf. Es scheint auch Hightech aus Deutschland im Spiel zu sein. Der Ampel scheint es an einer Strategie zu fehlen. Notwendig wäre auch eine gemeinsame EU-Sicherheitspolitik, die dann die Exportkontrolle vereinheitlichen könnte. Vgl.Wettlach, Silke: Der Kontrollverlust, in: WiWo 5/ 26.01.24 , S. 30ff.

19. Hongkong: Geschichte: "Eine öde Insel mit kaum einem Haus drauf", nannte Lord Palmerton Hongkong 1841 (Quelle: Vogelsang, Kai: Geschichte Chinas, Stuttgart 2019). Etwa 5000 bis 6000 Einwohner lebten auf der Insel. 1842 im Vertrag von Nanjing musste die Qing-Dynastie  Hongkong den Engländern überlassen.  1898 zwangen die Engländer die Qing, ihnen auch die "New Territories" (nördlich der Stadt und viele Inseln) für 99 Jahre zu verpachten. Von Anfang an war Hongkong auch ein Refugium für Flüchtlinge aus Südchina.   

Ein Land, zwei Systeme. 1997 übernahm China Hongkong wieder von den Briten. Die Stadt hat eine eigene Währung und ein eigenes Rechtssystem. Auch der Aktienmarkt (Hang Seng) ist eigenständig. Auch die Presse- und Versammlungsfreiheit sind garantiert. 2020 sind freie Parlamentswahlen verabredet. 2017 soll erstmals der Regierungschef gewählt werden. Die Situation der Pressefreiheit hat sich zunehmend verschlechtert. Unter einer Brücke im Zentrum von Hongkong verdient eine Handvoll Frauen ihr Geld damit, andere Menschen zu verfluchen. Fünf Euro bezahlen, den Namen des persönlichen Plagegeistes notieren, verfluchen lassen - fertig. Man nennt sie die "Fluchfrauen". Es ist eine Dienstleistung, die immer Konjunktur hat.

Viele deutsche Konzerne setzen auf Hongkong als Standort für die
Asien-Zentrale (600 Unternehmen; 97 Unternehmen mit deutscher Mutter). Ca. 400 Mitglieder hat die deutsche Außenhandelskammer. Wichtig ist dabei die Offenheit und Unabhängigkeit der Metropole (weniger wichtig sind die Steueranreize). Ökonomisch stärker ist mittlerweile Shanghai. China zieht die Schlinge in Hongkong aber immer mehr zu. Der Sonderstatus ist allerdings eines der attraktivsten Merkmale. China will die südchinesische Stadt Shenzhen zur Finanzmetropole ausbauen, um Hongkong "das Wasser abzugraben". Außerdem sollen nach der "Greater-Bay-Area" - Strategie, die China im Süden des Landes verfolgt, Hongkong, Macau und die Provinz Guangdong stärker vernetzt werden. Mittlerweile geht die Regierung in China dazu über, ausländische Unternehmen gegen Hongkong zu nutzen. Wer sich den Pekinger Vorgaben nicht beugt, muss mit Einbußen rechnen. (Airline Cathay Pacific, Finnair, PwC, KPMG, EY, HSBC). Vgl. Sauga, Michael: Ewiger Kniefall, in: Der Spiegel, Nr. 35, 24.8.2019, S. 60ff.

China versucht immer mehr, Hongkong zu politischem Wohlverhalten zu zwingen. Die Lehrpläne in Schulen wurden geändert, es gibt mehr chinesische Geschichte, Demonstrationen werden bekämpft. Die Politiker werden immer mehr eingeschränkt und eingeschüchtert. Jack Ma, der Besitzer von Alibaba hat die renommierte englischsprachige "South China Morning Post" gekauft. Sie soll Chinas Geschichte gut erzählen. Vgl. Petra Kolonko: Die Schlinge in Hongkong zieht sich zu, in: FAZ , Nr. 289, 13. Dez. 2017, S. 5. Auch während der Corona-Krise gibt es Schläge gegen Regimekritiker. Der Volkskongress, der 2020 wegen Corona erst am 22.05. beginnt, beschließt ein Nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong (es soll Separatismus und "Aufruhr" in Hongkong verbieten; der Start ist noch ungewiss). Es soll gegen subversive, separatistische oder terroristische Aktivitäten vorgehen. Es gibt chinas Staatssicherheit weitreichende Vollmachten.   Der Hang-Seng fällt um -5%. Eigene Sicherheitsgesetze für Hongkong gefährden die Autonomie (sind aber rechtlich zulässig). Es kommt wieder zu Zusammenstößen. Es gibt wieder pro-demokratische Demos. Entscheidend dürfte für Hongkong sein, ob es den amerikanischen Sonderstatus behält. Die für China verhängten Strafzölle gelten bisher nicht für Hongkong. Deshalb hat die Stadt Vorteile als Wirtschafts- und Finanzstandort. Hongkong ist ein wichtiges Tor für China. Mögliche Sanktionen der USA oder anderer Staaten könnten diese Rolle verändern. so kommt es auch: Die USA wollen die Vorteile für Hongkong aufheben, auch GB plant dies. Die EU plant keine Sanktionen gegen China. Die USA planen, den Sonderstatus von Hongkong in ökonomischen Fragen zu beenden. China droht mit Vergeltung. Ein großer Teil der Aktion ist auch Wahlkampf von Trump. Er will China für die Corona-Katastrophe in den USA verantwortlich machen. Die USA schicken auch Flugzeugträger ins südchinesische Meer. Die EU wird immer mehr gezwungen, sich für eine Seite zu entscheiden. Der Herausgeber von "Apple Day" Jimmy Lai wird im August 2020 verhaftet. Er ist einer der führenden Peking-Kritiker.  Im Oktober 2018 wird die längste Brücke der Welt nach fast neunjähriger Bauzeit fertig. Sie verbindet über das Delta des Perlflusses die beiden Sonderverwaltungszonen Macau und Hongkong. Die 55 km lange Brücke enthält auch einen 6,7 Kilometer langen Wassertunnel. Die Kosten liegen bei 15 Mrd. Euro. Umweltschützer kritisieren, dass der Lebensraum der seltenen weißen Delphine weiter eingeschränkt wird. Ende  2018 stehen Demokratieaktivisten in Hongkong vor Gericht wegen "Verschwörung". Pekings langer Arm reicht sicher bis Hongkong. Der Prozess wird zeigen, wie unabhängig die Justiz ist. Im Juni 2019 gibt es große Demonstrationen in Hongkong mit über eine Million Teilnehmern. Die Menschen demonstrieren gegen ein Auslieferungsgesetz, das Auslieferungen von Hongkong in die VR China erleichtern soll. Nachdem die Demonstrationen nicht abreißen, verschiebt die Vorsitzende des Parlamentsrates von Hongkong kurz die Abstimmung über das Abschiebegesetz. Die Proteste eskalieren. Sicherheitskräfte gehen mit Tränengas, Pfefferspray, Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen Demonstranten vor. Die EU streitet mit China wegen Hongkong. Peking verbittet sich "Einmischung" in innere Angelegenheiten. Schließlich wird das Gesetz auf Eis gelegt. Die Demonstranten fordern, dass Regierungschefin Carrie Lam zurücktritt. Am Jahrestag der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China sind die Proteste eskaliert. Hunderte Protestierende besetzen am 01.07.19 das Parlament. Die Polizei räumt das Gebäude. Danach finden noch viele Proteste statt. Am 05.09. 2019 kommt es zu einem Generalstreik. Am 12.08.19 legen Demonstranten den Flughafen lahm. Die chinesischen Polizisten gehen immer brutaler vor. China zieht Militär an der Stadtgrenze zusammen (konzentriert bei Shenzhen). Es ist allerdings unwahrscheinlich, das es den letzten Schritt wagt. Im September 2019 besucht einer der führenden Aktivisten von Hongkong Joshua Wong Deutschland. Er trifft auch Außenminister Maas. Der chinesische Botschafter in Deutschland gibt erstmals eine Pressekonferenz und verurteilt das Treffen. Der Rückgriff auf koloniales Notstandsrecht und Vermummungsverbot in Hongkong bringt neue Proteste und Chaos mit sich. Die Demonstrationen hören nicht auf; im November 2019 werden sogar zwei deutsche Studenten in Hongkong festgenommen. Die Polizei umkesselt Aktivisten in der besetzten Polytechnischen Universität Hongkongs. Diese harren lange aus. Wegen der Eskalation stehen auch die geplanten Kommunalwahlen auf dem Spiel. Sie finden dann doch statt und die Demokratiebewegung gewinnt in den Bezirkswahlen. Sie holt 388 der 452 Sitze in den 18 Bezirksräten, 263 mehr als in den Wahlen 2015. Die Bezirksräte haben kaum politischen Einfluss (Busstrecken, Müllabfuhr). Die Netzwerke sperren Nutzerkonten. Die USA erlassen im November 2019 ein Hongkong-Gesetz: Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzer. Die Chinesen reagieren mit Gegen-Sanktionen: US-Kriegsschiffe dürfen in Hongkong nicht mehr Station machen. Im Januar 2020 tauscht Peking seinen wichtigsten Vertreter in Hongkong aus: Der Leiter des Verbindungsbüros Wang Zhimin wird abgesetzt. Er wird durch den ehemaligen Provinzgouverneur Luo Huining ersetzt. Gründe werden nicht genannt. Australien setzt sein Auslieferungsabkommen mit China aus, ebenso Kanada. Deutschland bestellt den chinesischen Botschafter zum Gespräch. Grund ist das Sicherheitsgesetz, das das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" aushöhlt. Man erwägt einige konkrete Gegenmaßnahmen (Einreise für Hongkong-Chinesen, Exportstopp für bestimmte Rüstungsgüter, Stipendienprogramme für bedrohte Wissenschaftler, Künstler oder Journalisten). In dieser Hinsicht ringt sich die EU dann zu gemeinsamen Maßnahmen durch. Demonstranten aus dem demokratischen Lager sollen nicht zur Wahl zugelassen werden. Führende Aktivisten werden im November 2020 verhaftet. Unter ihnen ist auch Joshua Wong. Anfang Januar 2021 werden noch 50 Personen verhaftet.  "Hongkong ist nicht eine Sache, die Eurer Sorge bedarf", aus einem Brief des chinesischen Außenministeriums an die USA.

China selbst baut Shenzhen systematisch als Ersatz für Hongkong auf. Die Industriemetropole übernimmt nach und nach die Rolle von Hongkong. Fraglich ist, ob das Ausland da mitzieht. Wahrscheinlicher ist es, das ausländische Banken und Unternehmen Singapur als Standort wählen. Singapur ist aber auch eine Diktatur.  Weitere Städte bieten ihre Dienste an: Taipeh, die Hauptstadt von Taiwan. Seoul in Südkorea.  Kuala Lumpur in Malaysia. Nach der Installation des Sicherheitsgesetzes macht Peking ernst: Hongkonger Abgeordneten wird willkürlich ihr Mandat entzogen. Das pro-demokratische Lager will geschlossen zurücktreten. Die Opposition ist damit eher Geschichte. Immer wieder werden 2020 in Hongkong Menschen verhaftet, was im Westen schon gar nicht mehr registriert wird. so werden im Dezember zehn Hongkonger wegen ihres Fluchtversuchs nach Taiwan zu Haftstrafen verurteilt.

Hongkong wird aber noch auf Jahre eine "Frontstadt der Freiheit" sein. Es hat insofern die Rolle von Berlin übernommen. Es ist Symbol und Schauplatz eines Systemwettbewerbs. Die USA und China kämpfen um die Vorherrschaft in der Welt. Europa und Deutschland sind eher Zuschauer und engagieren sich nicht. Hier ist der Brexit eine Hilfe, denn Großbritannien (GB) hat eine historische Aufgabe in Bezug auf Hongkong. Vgl. Lill, Felix: Frontstadt der Freiheit, in: Rheinpfalz am Sonntag, 24.01.21, S. 3.  Im Januar 2021 werden die Einreisebedingungen für Bürger aus Hongkong nach GB erleichtert. Im Februar 2021 kommen 47 Anklagen wegen Staatsgefährdung in Hongkong (nach dem neuen Sicherheitsgesetz).

Der Volkskongress beschließt auf seiner Sitzung Anfang März 2021  eine Wahlrechtsreform für Hongkong.  Damit will man die Opposition noch besser in den Griff bekommen. Die Reputation als Finanzmetropole hat schon gelitten. Bei der Parlamentswahl in Hongkong im Dezember 2021 ist die Beteiligung auf einem Rekordtief (30%). Das wird als Boykott der Bevölkerung angesehen. Das Online-Magazin Stand News wird verboten, Journalisten verhaftet. Im April 2022 tritt Carrie Lam als Regierungschefin ab. Unter ihr verlor Hongkong seine Autonomie. Nach ihr dürfte der Peking - treue Kurs noch verschärft werden. Als Nachfolger wird John Lee benannt. Er gilt als Hardliner. Vgl. Görlach, Alexander: Alarmstufe Rot, Hamburg 2022, S. 72ff. Zum 25. Jahrestag der Vereinigung Chinas mit Hongkong kommt Xi in die Stadt. In Hongkong ist die Freiheit nicht nur aufgrund der autoritären Eingriffe Chinas in Gefahr, sondern auch, weil hausgemachte politische und wirtschaftliche Defizite die ehemalige Kronkolonie destabilisieren. Arbeitslosigkeit, Einkommensunterschiede, sinkende Gehälter haben tiefe Gräben in der Gesellschaft hinterlassen. die zersplitterte Parteienlandschaft und die Polarisierung des Parlaments höhlen demokratische Institutionen aus. Jüngere haben sich radikalisiert und halten Gewalt für legitim. Vgl. Julia Haes: Hongkong: Umkämpfte Metropole, Herder Verlag 2022 und zusammen mit Mühlhahn, Klaus: "Das Festland hat ein leichtes Spiel", in: Focus 26/ 2022, S. 38f.

2024 kommt ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong. Es ist eine schwammig formulierte Vorlage, die von den Abgeordneten im Eiltempo durchs Parlament gepeitscht wird. Vor allem Hongkongs Finanzbranche zittert vor dem Gesetz. Kritische Analysen etwa zur Bonität von chinesischen Staatsunternehmen könnten im Zweifel juristische folgen haben. Zugriff auf Daten ist möglich wie auch lebenslange Haft. Gerade die Finanzbranche in Hongkong mit dem Hang Seng -Index galt noch als seriös. Doch Sicherheit scheint wie in ganz China vor Wachstum zu gehen. Es zeigt sich ein eigenwilliges Verständnis. Vgl. NZZ 18.3.24, S. 16.

20. Taiwan: Taiwan wird von vielen multinationalen Unternehmen zu "Greater China" gerechnet. Seit 1992 besteht ein Konsens, dass es nur ein China gibt, allerdings mit zwei politischen Systemen (One - China - Prinzip). 2008 gibt es eine Annäherung durch ein erstes Treffen der Parteichefs nach 60 Jahren (Vereinbarung direkter Flugverbindungen). Im Februar 2014 gibt es erstmals seit 1949 Gespräche auf Regierungsebene zwischen China und Taiwan. 2018 verstärkt China den Druck auf Fluggesellschaften: Sie müssen den Anspruch auf Taiwan bestätigen. Sie dürfen Taiwan nicht mehr als Land benennen. Außenpolitisch unterhält China in Rivalität zu Indien besonders enge Beziehungen zu Pakistan und Burma. China fürchtet eine Einkreisung durch Indien, Russland, Südkorea und Japan. China kauft sich daher immer mehr in Pakistan ein (Milliardeninvestitionen). China plagt die Sorge, das sich Taliban- und IS-Terror via Pakistan auf die muslimische Provinz Xinjiang im Westen Chinas ausdehnen könnten. Zum anderen geht es um einen die Arabische See und den Indischen Ozean beherrschenden Seekorridor vom südpakistanischen Hafen Gwadar aus. Ein Zubringer von der nördlichen Seidenstraße aus wird errichtet. Im Finanzmarktbereich scheint es mittlerweile eine Zusammenarbeit mit Japan zu geben. Die tibetisch-nepalesische Grenze wird seit 2007 stark überwacht. Die Flucht von Tibetern soll verhindert werden. Zu Füßen des Cho Oyu wird vor allem der Nangpa La - Pass kontrolliert. China vorgelagert ist eine Inselkette, die von der Koreanischen Halbinsel über Japan, Taiwan, die Philippinen bis nach Indonesien reicht. Alle diese Staaten sind mit den USA durch Militärabkommen oder Sicherheitsgarantien verbunden ("umgekehrte Große Mauer"). Streit gibt es mit Vietnam um die Paracel- und Spratly-Inseln. Erstmals bringen die Chinesen 2018 Raketen auf den Spratly-Inseln in Stellung. An ihnen vorbei führt eine der weltweit wichtigsten Handelsrouten. Mit Japan gibt es Konflikte um die Senkaku-Inseln. Das ist die japanische Bezeichnung; die Chinesen sprechen von Diaoynu-Inseln. Dieses Problem kann Weltmächte gegeneinander aufbringen. An der Seite Japans stehen die USA. Die Inseln sind strategisch sehr wichtig: Wer sie hat, kann die Seewege in der Region besser kontrollieren. China macht Ende Januar 2021 ein neues Gesetz, das der chinesischen Küstenwache weitgehende Hoheitsrechte einräumt. Chinas Küstenwache - einst Seenothilfe - besteht teils aus umgebauten Marinefregatten. Im südchinesischen Meer gibt es auch Auseinandersetzungen um Inseln mit Malaysia und den Philippinen. Vor der philippinischen Küste haben die Chinesen künstliche Riffe geschaffen. Die USA schaltet sich immer wieder in den Schlagabtausch ein. Der Nationalismus in China selbst könnte irgendwann außer Kontrolle geraten. Das Land beruft sich auf seine lange Tradition, in der es Jahrhunderte lang die Nachbarländer dominierte. Die USA und China kämpfen um die Vorherrschaft im Pazifik. Umstritten sind die Seegebiete, die China kontrollieren will (das Land wird vom internationalen Gerichtshof in Den Haag verurteilt). China will sich Taiwan einverleiben, auch wenn man dort von Wiedervereinigung gar nichts hält. Die USA verfügen über eine Reihe von Marinestützpunkte in dem Bereich. Die USA rüsten ihre Verbündeten in Asien auf. 2020 werden Boden-Luft-Raketen (Marschflugkörper, Raketenwerfer) an Taiwan geliefert im Wert von 1 Mrd. $. Peking droht mit Vergeltung. Heute sieht sich das Land als "Daguo" (die Großmacht), das groß sein will, aber frei von imperialen Zielen. Vgl. zu gegenteiliger Auffassung: Graham Allison: Destined for War: Can America and China Escape Thucydides´s Trap, Houghton Mifflin 2017.  2020 baut China einen riesigen Fischereihafen auf Papua-Neuginea. Gut 200 Mio. Dollar sind dafür veranschlagt. Es ist ein "multi-funktionaler Fischerei-Industriepark" geplant. Die USA und Australien (100 Kilometer vor der Küste) befürchten einen Militärstützpunkt. Der Projektrahmen ist auch die "Neue Seidenstraße". Bislang hatte Taiwan keine offiziellen Alliierten. Doch die USA und ihre pazifischen Verbündeten signalisieren militärischen Beistand im Falle eines chinesischen Angriffs. Japan wäre wohl automatisch Teil des Kriegsgeschehens. Deshalb plant man die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen, Luft- und Schiffsabwehrraketen auf japanischen Inseln im Westen Taiwans, um China von einer Invasion abzuschrecken. Vgl. Kölling, M./ Peer, M./ Riecke, T.: Warnung vor der Invasion, in: HB Nr. 241, 13.12.21, S. 16f.  China verfolgt in Bezug auf Taiwan eine langfristige Strategie. Man denkt in erster Linie an die Wirtschaft. Chinas Wirtschaft ist zentral für die Stabilität der politischen Führung. Man beobachtet die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland genau. Man kann geduldig sein und auch auf den politischen Verfall der USA setzen. Am 02.08.22 besucht Nancy Pelosi den Inselstaat Taiwan. Sie ist die dritthöchste Repräsentantin der USA. Sie versichert der taiwanesischen Regierung den Rückhalt der USA. Peking spricht von Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten. China macht Manöver um Taiwan (Kriegsschiffen, Flugzeuge). Die USA und China geben gegenseitig die Schuld für die wachsenden Spannungen im Taiwan-Konflikt. Es ist noch unklar, wem Pelosis umstrittener Besuch nützt. Xi verbittet sich ausländische Einmischung in Taiwan, schließt aber eine militärische Lösung aus. So auf der Sitzung des Volkskongresses im März 2023. Aber Xi beschwört dort die neue Größe des Landes. Vgl. Kretschmer, Fabian: Paukenschlag aus Peking, in: Die Rheinpfalz 14.3.23.   "Das Vaterland muss wiedervereinigt werden, und es wird wiedervereinigt werden", Xi Jinping zu Jahresbeginn 2019 in einer Rede. ("Wenn es um Taiwan geht, ist Xi ein Mann in Eile", Kevin Rudd, China-Kenner).

Die Chipindustrie in Taiwan hat einen Anteil von 77,3% weltweit (TSCM 55%). Eine Seeblockade durch China oder eine militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und China würde Deutschland stark treffen. Sie scheint aber wahrscheinlicher als ein militärischer Angriff. Eine komplette Abriegelung ("stiller Tod") könnte sehr effektiv sein. Im Januar 2024 in der Präsidentenwahl wird erst mal über den zukünftigen Kurs des Landes entschieden (China freundlich oder kritisch). Je nach Ausgang könnten dei Spannungen zwischen der demokratischen Insel und der kommunistischen Volksrepublik auf dem Festland hoch kochen.

21. Xinjiang (Uiguren): Xinjiang ist Chinas westlichste Provinz (grenzt an Mongolei, Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Pakistan). Sie wurde 1949 als Ost - Turkestan von China annektiert. Sie macht  mit 1,66 Millionen Quadratkilometern rund ein Sechstel der Fläche der Volksrepublik aus. Es ist die Heimat der Uiguren, die muslimisch geprägt sind und sich nie mit der Einverleibung in das Riesenreich abgefunden haben. 2020 hat die Provinz etwa 24 Mio. Einwohner, davon sind 11 Mio. Uiguren (2% der Gesamtbevölkerung Chinas). Die Uiguren pflegen ihre eigene uralte Tradition und einige Handwerke (z. B. Töpfern von Lehm). Die Provinz ist ökonomisch sehr wichtig für China (große Erdgasvorkommen, Bergbau, Baumwolle, Rüstungsindustrie). VW hat ein Werk in der Hauptstadt der Provinz Ürümqi (deutsch: Urumtschi, 6000 km von der Küste weg; seit 2013). Es ist ein Joint-Venture mit SAIC (Gesamt-Deal im Zusammenhang mit anderen Standorten). 600 Mitarbeiter gibt es dort. Sie produzieren 20.000 Fahrzeuge (4 Mio. in ganz China). "Wir werden zu unserem Engagement in Xinjiang stehen, solange wir glauben, dass es aus wirtschaftlicher Sicht machbar ist", Stephan Wöllenstein, Chinachef von VW, 2021. Auch die BASF hat seit 2016 ein lokales Joint-Venture in der Provinz.  China hat aus viel Misstrauen wegen separatistischer Tendenzen jahrelang Millionen von Han-Chinesen aus den großen Städten des Ostens umgesiedelt. Die Uiguren sind  mittlerweile in der Minderheit. Xinjiang ist eine Art Testlabor für Repressionsmaßnahmen (willkürliche Verhaftungen, ständige Kontrollen, Umerziehungslager u. a.; es soll über 380 Lager geben). Der Repression gingen allerdings einige Anschläge voraus (einer in Peking, einer in der Provinz beim Besuch von Xi Jinping). Die Provinz soll bei der neuen Seidenstraße Verkehrskreuz für Zentralasien werden (Urumqi, Kashgar). Der berühmte Karakorum Highway schlängelt sich von Kahsgar das Pamiergebirge hinauf zum Tashkurgan-Pass, dem mit 4600 Metern höchstgelegenen Grenzübergang der Welt (nach Pakistan und Kirgistan). Wegen ihrer Bedeutung als Drehkreuz der Seidenstraße lebt die Stadt heute schon in totaler Überwachung. Die chinesische Regierung fürchtet eine Welle religiösen Extremismus und Terrorismus. Es wurden auch restriktive Gesetze erlassen (Verbot von Gesichtsschleiern, Fasten - Verbot für Beamte). 2018 kommt heraus, dass die VR China in Xinjiang Umerziehungslager betreibt (die Regierung spricht von "freiwilliger Erziehung", "Weiterbildung"). Bis zu 1 Million Uiguren sollen mittlerweile unfreiwillig in Internierungslagern getrennt von ihren Familien sein (andere Schätzungen sprechen von 1,8 Mio.). In den Lagern werden in Zwangsarbeit auch Produkte hergestellt. Es soll auch Zwangssterilisationen von Frauen durch chemische Mittel geben. Wenn die Eltern im Lager sind, werden die Kinder in staatlichen Heimen untergebracht und umerzogen. Im November 2019 werden Geheimdokumente der KPCh der internationalen Presse zugespielt ("China Cables", Lager und Praktiken werden bestätigt). Auch die Bundesregierung kritisiert diese Praktiken; die chinesische Regierung spricht von Einmischung in innere Angelegenheiten. Es gibt Gerüchte, dass Siemens mit einem chinesischen Kooperationspartner (China Electronics Technology Group Corporation, seit 2014) technische Infrastruktur für die Lager zur Verfügung stellt. Jo Kaeser, der Vorstandsvorsitzende von Siemens,  ist 2019 Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Der Weltrat der Uiguren hat seinen Sitz in München. Die meisten Uiguren im Ausland leben in Deutschland, der Türkei und den USA. Man kann als Ausländer in die Provinz reisen; ich war selbst vor längerer Zeit da (allerdings nur mit einem staatlich verordneten "Kontrolleur" in Begleitung, der nicht alle Orte zulässt; diese Kontrolleure sind in der Regel Ex-Soldaten, die beschäftigt werden müssen). Der US-Kongress unterstützt im Dezember 2019 die Uiguren: Gesetz zum Schutz der Uiguren. Sanktionen gegen chinesische Regierungsvertreter, die an der Unterdrückung beteiligt sind. Es kommen auch Sanktionen gegen Firmen. Am 27.7.20 findet eine große Demo in München statt. Die Europäische Handelskammer empfiehlt, bei Produkte aus China eine Garantie zu verlangen, dass keine Zwangsarbeit eingesetzt wurde. 2021 droht ein Deal zwischen der Türkei und China. China will ein Auslieferungsabkommen. Es liefert seinen Impfstoff gegen Corona an die Türkei. Wegen der Konflikte mit der EU und den USA nähert sich die Türkei in ihrer Wirtschaftskrise immer mehr Russland und China an. Der neue US-Außenminister Blinken wirft China im Januar 2021 Völkermord an den Uiguren vor. Das chinesische Außenministerium weist den Vorwurf zurück (dreimal!). Die Uiguren haben sich in einem Weltkongress organisiert. Dieser betreibt Lobby-Arbeit in einigen Ländern (Deutschland, GB, USA, Türkei). Die chinesische Führung begründet ihren Umgang mit den Uiguren als "Frontlinie im Kampf gegen den Terrorismus" und meint Muslime und Separatismus. Dadurch ist die Provinz faktisch zu einem Polizeistaat geworden. Die EU (Konferenz der Außenminister am 16.3.21) verhängt erstmals seit 1989 wieder Sanktionen gegen China: Einreiseverbote und Konteneinfrierung. Grund sind die Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren in der Provinz Xinjiang. Ende Mai 2022 tauchen Belege für Chinas Unterdrückung der Uiguren auf. Es sind Fotos und Dokumente von 2018, die an Adrian Zens/ Anthropologe geschickt wurden ("Xinjiang Police Files"). Es gibt wohl mehr als 300 Lager mit ca. 1 Mio. Insassen. Die geleakten Polizeiakten belegen erstmals die umfassenden Repressalien. Pünktlich dazu darf erstmals nach 17 Jahren die UN-Menschenrechtskommissarin (Michelle Bachelet) wieder für mehrere Tage das Land besuchen.  Der uigurische Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti (bis 2014 Professor an Pekinger Uni, wollte wahrscheinlich zwischen Han und Uiguren vermitteln), der wegen Separatismus in einem chinesischen Gefängnis sitzt, wird im Dezember 2019 mit dem Sacharow-Preis des Europäischen Parlamentes ausgezeichnet. Seine Tochter nimmt den Preis entgegen. Die Uigurin Gulbahar Haitiwaji ist mit ihrer Familie nach Frankreich ausgewandert. Über ihre Erlebnisse in einem staatlichen Umerziehungslager in China hat sie ein Buch geschrieben: Gulbahar Haitiwaji, Rozenn Morgat: Rescapeé du goulag chinois, Edititions des Equateurs, 244 S. 2021. Die Uiguren haben einen Weltkongress. Präsident ist Dolkun Isa. "China lehnt die Instrumentalisierung der Menschenrechtsfragen zum Zwecke der Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten ab", Chinas Botschafter in Deutschland Wu Ken, 2023 (HB 9.1.23, S. 5).

2023 ändert die Staatsmacht ihre Strategie der Unterdrückung. Sie setzt nicht mehr nur auf Umerziehungslager. Die Provinz soll dem Tourismus als Wunderland präsentiert werden. Diese Strategie war schon im Süden bei Guilin am Li-Fluss und in Tibet recht erfolgreich. Kahgar sowie Korla  sollen für Touristen geöffnet werden. Bei Kashgar befindet sich das Mausoleum von Afak Hodscha und ein weitläufiger Park. Berühmteste Nachfahrin von Hodscha war Xiang Fei, die es als einige Uigurin als "duftende Konkubine" in den Harem von Kaiser Qianlong schaffte. Hotan mit seine Massen-Lagern soll dem Tourismus als "dunkler Ort" verborgen bleiben. Korla ist eine Art Zwischenwelt. Hier soll sich die uigurische Kultur präsentieren dürfen. Vgl. Fahrion, Georg/ Sabrie, Gilles: Drei Welten von Xinjiang, in: Der Spiegel 20/ 12.5.23, S. 82ff.

Im November 2023 gibt es Hinweise auf Zwangsarbeit im Umfeld des BASF Joint-Venture-Partners Markor in Korla. "Menschen sollen durch Arbeit beruhigt werden". Der Konzern will eine weitere Überprüfung durchführen lassen. Allerdings haben sich die Bedingungen für Überprüfungen verschlechtert. Vgl. HB 8.11.23, S. 20f. Bei VW gibt es 2023 ein Fiasko in Xinjiang. Nach Vorwürfen sollte eine unanhängige Untersuchung Klarheit schaffen. Doch sie wirft weitere Fragen auf. Selbst die Prüfer distanzieren sich von dem Bericht. Gibt es wirklich keine Zwangsarbeit? Man spricht von irreführenden PR-Manövern. Die Ergebnisse werden für unglaubwürdig gehalten. Vgl. HB 19.12.23, S. 22. Presserecherchen gehen weiter. VW und die  BASF bleiben in der Kritik. Bei VW rückt auch die Teststrecke in Turpan in den Mittelpunkt. Bei der BASF ist es immer wieder das Joint Venture Markor in Korla. Uiguren sollen ausspioniert worden sein. Vgl. Der Spiegel 6/ 3.2.24, S. 72f. 30 Abgeordnete aus mehreren Ländern verlangen im Februar 24 eine BASF-Rückzug aus Xinjiang. Tatsächlich will die BASF die umstrittenen Beteiligungen in Xinjiang verkaufen: Markor Chemical Manufactorimg, Markor Meiou Chemical, beide in Korla. Das ist vorbehaltlich der Genehmigungen der Behörden. Es gebe Aktivitäten, die mit den Werten der BASF nicht vereinbar seien. VW gerät in den USA unter Druck. Es gibt Importverbote für Autos aus China.

2024 hat China die Umerziehungslager in Xinjiang offiziell geschlossen. Man nannte sie "Berufsbildungszentren". Dafür wurde aber wohl Ersatz geschaffen, nämlich Gefängnisse. Die vielen Gefängnisse sind weiterhin in Betrieb. 10 von 26 Lagern scheinen in Betrieb zu sein (2022 10.000 Uiguren). Die Gefängnisse wurden sogar ausgebaut (Hochsicherheitsgefängnisse). Vgl. NZZ  6. 3.24, S. 6.

22. Gesundheitskrisen (Epidemien mit China als Quelle) und  Globalisierung als Gefahr: Viele Epidemien der letzten Jahrzehnte hatten in China ihren Ursprung. Als Gründe gelten mangelnde Hygiene, das Beharren auf dem Konsum von Frisch- und Wildfleisch (im März 2020 verhängt China einen Einfuhrstopp von Wildfleisch, das hilft Löwen und Nashörnern in Afrika), exzeptionelle Ernährungsgewohnheiten, das enge Zusammenleben von Tier und Mensch. 2002 brach SARS in China aus, eine Viruserkrankung, die 774 Menschenleben forderte. die Krankheit konnte nur gestoppt werden, weil die Menschen konsequent zu Hause blieben. Bei einem neuen Virus der Vogelgrippe 2013 in China fallen die Aktien von globalen Firmen erheblich (z. B. Lufthansa). Vogelgrippe ist eine unter Vögeln hoch ansteckende Krankheit. Eine Calciumschale im Darm sorgt dafür, dass sie Vögel und kaum Menschen bedroht. Die erste globale Krankheit war die Spanische Grippe. Zwischen 1918 und 1920 starben 50 Millionen Menschen weltweit (durch den 1. Weltkrieg begünstigt). Ursprungsort war wahrscheinlich auch China. Mitte 2014 bricht die Pest in Yumen (Provinz Gansu, China) aus. Überträger war wahrscheinlich das Murmeltier, das als Delikatesse gilt. 2020 bricht eine mysteriöse Lungenkrankheit in China aus. Ein neuer Virus-Typ wird ausgemacht (Corona-Virus, Sars-CoV-2, Covid-19). Es gibt Sorgen wegen der anstehenden Reisewelle in China. Die Krankheit ist in der Metropole Wuhan zuerst ausgebrochen. Der Bürgermeister verhindert die Bekanntgabe auf Anweisung von oben um drei Wochen (wahrscheinlich gab es die Seuche aber noch früher, schon im Dezember 19 wurden große Mengen von Vorprodukten für Masken in Troisdorf gekauft). Später müssen die Verantwortlichen für die Verschleppung  zurücktreten (KPC-Partei-Chef in Hubei muss gehen). Die Krankheit breitet sich rasch aus (Mitte Januar 2020 820 Infizierte, 26 Tote; Experten gehen von über 1600 Infizierten aus, da die Krankheit auch in Thailand, Südkorea, den Philippinen, dem Iran (15 Tote) und Japan ausgebrochen ist; am 06.02. schon in über 20 Ländern). In Europa gibt es die ersten Fälle in Frankreich (44 Fälle in Europa; 1 Todesopfer). Dann gibt es viele Infizierte und zwei Todesfälle in Italien (Venetien und Lombardei, Italien schottet 11 Städte ab). Dann folgen Fälle in Norwegen, Griechenland, Österreich und Deutschland. Den ersten Todesfall außerhalb Chinas gibt es auf den Philippinen. Am 5.2.20 wird das Virus auf einem Kreuzfahrtschiff vor Japan gefunden (anfangs 10 Fälle und später mehr Fälle/ über 200, darunter auch Deutsche, sollen zurückgeholt werden; auch ein Kreuzfahrtschiff vor Hongkong ist betroffen). Die Zahl der Infizierten und der Toten steigt rapide an. Vor dem Neujahrsfest wird Wuhan abgeriegelt (Provinz Hubei; Stadt genau in der Mitte Chinas mit 11 Mio. Einwohnern; mit öffentlichem Personenverkehr die Stadt verlassen, ist nicht mehr möglich; Wuhan ist die Partnerstadt von Duisburg, zwischen den beiden Städten gibt es eine Zugverbindung; in Duisburg sind etwa 100 chinesische  Firmen angesiedelt). Weitere 12 Millionen-Städte werden so abgeriegelt. In Wuhan soll innerhalb 6 Tagen ein Spezialkrankenhaus gebaut werden (es dauert 10 Tage bis Patienten aufgenommen werden können: 25.000 Quadratmeter, 1400 Ärzte). Die Lufthansa und andere Fluggesellschaften fliegen China nicht mehr an. Ausländische Firmen schließen Filialen in China (z. B. Ikea, Schaeffler, BMW, KSB, Adidas, Nike). Apple kappt seine Prognose. Auch inländische Unternehmen stellen die Produktion ein (wichtig als Zulieferer). Wuhan ist ein Zentrum der Automobilindustrie. Lieferketten funktionieren nicht mehr.  In Deutschland sind bis 1. Februar 2020  8 Menschen erkrankt, darunter ein Kind (später steigt die Zahl auf 16, wiederum später steigt die Zahl rapide an, 27.02.20; Bayern, NRW, B.-W.). Die Bundeswehr holt Bundesbürger aus China zurück (zwei davon sind erkrankt und werden in der Uni-Klinik Frankfurt behandelt). Die zurückgeholten Deutschen (120) werden in einer Kaserne in Germersheim/ Pfalz in Quarantäne untergebracht (keiner hat die Krankheit). Eine zweite Bundeswehrmaschine holt 24 Deutsche aus Wuhan nach Berlin. In China gibt es bis zu diesem Zeitpunkt 11.791 Erkrankte. Die Zahl der Todesopfer kletterte auf 259 (am 5.2. steigt die Zahl auf über 25.000, die Zahl der Toten auf über 500, der Höhepunkt wird in zwei Wochen erwartet; am 09.02. sind es schon über 40.000 Infizierte, über 500 Tote; am 12.02. über 1000 Tote, über 60.000 Infizierte; am 14.02. über 70.000 Infizierte, 1600 Tote, am 19.02. über 90.000 Infizierte und 2000 Tote; am 24.02. 80.000 Infizierte und 2400 Tote). In China scheinen ab 25.02. die Fallzahlen schon wieder rückläufig zu sein. Am 27.02. sind erstmals außerhalb Chinas mehr Fälle als in China gemeldet (Pakistan, Georgien, Brasilien, USA). Am 28.02.20 gibt es weltweit mehr als 80.000 Infizierte und über 3000 Tote. Das gefährliche und ungewöhnliche an dem Virus (2019-nCoV bzw. Covit-19; chinesische Forscher: Fledermäuse - Schuppentiere/ Pangoline - Fleischverarbeitung auf Wildtiermärkten - Mensch) ist, dass Menschen anstecken können, obwohl sie selbst noch keine oder schwache Symptome zeigen (ansonsten gibt es in den sozialen Netzwerken viele Fehlinformationen; das Virus verbreitet sich auch im Verdauungstrakt; anfangs ähnelt es eher einer harmlosen Erkältung). Das Virus ist hoch ansteckend, weil es zuerst im oberen Rachen sitzt. Das Virus ist unberechenbar, weil es beim neuen Wirt Mensch mutiert. 80% haben nur leichtere Erkältungs-Symptome, 15% erkranken schwer, die Sterberate ist relativ hoch.  Es droht so eine Pandemie. Die Quarantäne-Maßnahmen in China schwächen die Wirtschaft im Land. Die Wanderarbeiter müssen an ihrem Standort bleiben. Die Regierung will über 240 Mrd. Dollar Finanzhilfen geben. Sie spricht von einem "Volkskrieg" gegen den Virus. Sie verstärkte auch die soziale Kontrolle über ihre Bevölkerung mit den Möglichkeiten der digitalen Technik. Normalerweise zeigen sich die Folgen an den Märkten weltweit (Einbruch der Ex- und Importe, des Tourismus, Fallen der Aktien-Indizes, Fallen des Ölpreises). Arzneimittel, die in China produziert werden, könnten in der EU knapp werden. Die Aktienindizes in Shanghai und Shenzhen brechen ein. Ende Februar 20 brechen die Aktienkurse weltweit ein (Dow Jones -7%, auch der DAX -6%7 allein 28.02. -5%, FTSE MIB Italien -9,2%). Es zeigen sich auch Folgen für Industrieproduktion, Schifffahrt und Flugverkehr. Die Schifffahrt stockt, in den Häfen stapeln sich die Container. Man versucht, auf Züge zu wechseln (doppelt so schnell, aber nur 100 Container statt 20.000 auf einem Schiff). Die Messebranche ist gelähmt. Die Logistikbranche ist stark negativ betroffen. Die Exporte aus China brechen ein.  Das BIP-Wachstum in China könnte auf 4% 2020 sinken, mindestens -1% auf ca. 5%; schlimmstenfalls 3%). Im schlimmsten Fall könnte auch ein globaler Abschwung kommen. Der wird schon prognostiziert (Weltbank; auch Baltic Dry Index im freien Fall). Insgesamt spricht man ökonomisch vom Corona-Effekt. Stark betroffen ist die deutsche Industrie, die viele Güter nach China exportiert. Die Nachfrage in China geht stark zurück. Aber auch Lieferketten werden gestört. Am stärksten trifft es die deutsche Automobilindustrie (Rückgang der Autoverkäufe in China im Januar 20 -20%, Februar wahrscheinlich -90%) . Auch die Kommunikation ist gestört:  Bei der Einreise nach China kommen Manager in Quarantäne. Immer mehr Länder schließen ihre Grenzen für Einreisende oder führen scharfe Kontrollen durch. Mitte März 2020 beginnt die Coronawelle in China langsam abzuebben. Die neuen Fälle werden sogar mittlerweile eher aus dem Ausland eingeschleppt. Es sieht so aus, dass es in China wieder aufwärts geht. Trotzdem muss der Absturz (Industrieproduktion Januar/Februar -13,3%, Anlageinvestitionen -24,5%, Einzelhandelsumsätze -20,5%) erst aufgeholt werden. Viele Selbständige und Kleingewerbetreibende dürften nicht mehr weitermachen können. Die Regierung fährt einen Drahtseilakt zwischen Gesundheitsschutz (Einreisebeschränkungen, Quarantäne) und wirtschaftlichen Interessen. Am 19.3. soll es keine Neuansteckungen mehr geben, nur noch importierte Infektionen. . Die Zahlen über die Corona-Epidemie in China sind am Ende auch zu schön, um wahr zu sein. Sie lauten wie folgt: 80.928 Infizierte, 3245 Tote (Stand 20.3.20). Auf dem Kontinent Europa will China sogar im Kampf gegen Corona sein Image aufbessern: Alibaba liefert 2 Mio. Atemmasken. Huawei schickt Hilfspakete für Italien, Polen und Tschechien und plant ein Hilfspaket für die gesamte EU. Die am stärksten betroffene Provinz Hubei, wo alles in Wuhan begonnen hatte, öffnet am 23.3. wieder die Grenzen. Am 26.3. schließt China wieder die Grenzen für fast alle Ausländer, um ein Einschleppen der Seuche zu verhindern.  Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass die Zahlen in China nicht stimmen: Viele nehmen als Schattenzahlen die Urnen bei den Bestattungsunternehmen oder die Schlangen vor den Krematorien. Dann kommen Schätzungen in Wuhan allein auf 26.000 Tote mehr (gegenüber Durchschnitt). Die Führung in China scheint eine Mundtot-Politik zu betreiben bzw. ein großes Interesse daran zu haben, dass die Wirtschaft wieder in den Normalzustand kommt. Der 04.04.20 wird zum nationalen Gedenktag für Corona (Vier ist die Zahl des Todes in China, weil die Aussprache ähnlich klingt). Es ist aber seit über 1000 Jahren sowieso das Toten-Gedenkfest. Am 06.04. soll es erstmals keinen Corona - Toten gegeben haben. Insgesamt hatte China 82.803  Infizierte und 3336 Tote (offiziell). Am 08.04.20 ist Wuhan nicht mehr abgeriegelt. Das hat hohe symbolische Bedeutung (auch gigantische Lichter - Show, war zweieinhalb Monate gesperrt; "Heldenstadt"). Aufgrund eines persönlichen Kontaktes von Merkel zu Xi Jinping liefert ein chinesischer Staatsbetrieb direkt Atemschutzmasken (Millionen) nach Deutschland in mehreren Direktflügen. Es wird eine Luftbrücke zwischen Shanghai und Frankfurt eingerichtet (Bundeswehrmaschinen, in China produzieren etwa 1000 Staatsfirmen Schutzausrüstung). Trump erhebt den Vorwurf, dass der Sars-CoV-2-Virus aus einem Labor in Wuhan stamme (größtes in Asien). Er greift auch die Informationspolitik Chinas an. China muss im Mai 2020 die Millionenmetropole Jilin im Norden in der gleichnamigen Provinz abriegeln. In Wuhan gibt es kaum noch Infizierte (Anfang Juni 2020 stirbt noch mal ein Arzt, der erste offizielle Corona - Tote seit längerem). Am 15.06.20 kommt es zu einem Corona-Ausbruch in Peking auf dem Großmarkt. Dutzende Menschen werden positiv getestet. Teile der Hauptstadt werden abgeriegelt. Man fürchtet eine zweite Welle. Das Virus scheint auch mutiert zu sein. Anfang Januar 2021 kommt eine neue Welle in der Provinz Hebei. Zwei Millionenstädte werden vollkommen abgeriegelt. China lässt Mitte Januar 21 eine Expertenkommission der WHO ins Land, die die Ursachen der Pandemie untersuchen soll. Diese unterstützt die These von der Entstehung auf dem Markt in Wuhan. Biden weist dei Geheimdienste an, die Laborthese weiter zu prüfen. Ende Mai 2021 kommt es zu einem Ausbruch in der Provinz Guandong (27 Neuinfektionen an einem Tag). Vor allem die Provinzhauptstadt Guangzhou ist betroffen (18 infizierte an einem Tag). Im September 2021 müssen Städte in Fujian in den Lockdown.  Die Delta-Variante ist auf dem Vormarsch. Ende 2021 und 2022 kommt die Omikron Variante: Die Millionenstädte Xi`an und Yuzhou in der Provinz Henan müssen in den Lockdown. Wegen der begrenzten Wirksamkeit chinesischer Vakzine gibt es keine Alternative zur Null-Covid-Strategie.  außerdem stehen die Olympischen Winterspiele vor der Tür. Nach dem nationalen Statistikbüro ist im Januar und Februar 2020 die Nachfrage nach Konsumgütern um 20,5% eingebrochen, die Industrieproduktion ist um 13,5% zurückgegangen. Im 1.Quartal 2020 ist das BIP in China um 6,8% eingebrochen.

Im Konflikt mit Japan 1933 bis 1945 haben 230.000 Chinesen durch den Einsatz biologischer Waffen ihr Leben verloren. Daraus hat China gelernt und betreibt "defensive" biologische Waffenforschung. Es scheint mittlerweile die Sowjetunion als größte biologische Supermacht abzulösen. Seit 1984 ist China Mitglied der Biowaffenkonvention der UN und bestreitet die Existenz biologischer Offensivwaffen. Die Geheimdienste aus Taiwan und Südkorea haben immer auf die Möglichkeit solcher Waffen hingewiesen. Deshalb waren diese Länder auch wesentlich besser auf Sars-CoV-2 vorbereitet. Erst recht China selbst, das schon seit April 2020 in der Testphase von Impfstoffen ist. Das Wuhan Center for Desease Control und das Wuhan Institute of Virology (steht unter der Kontrolle des Militärs) liegen in Wuhan. Das heißt nicht, dass es Beweise für ein absichtliches oder versehentliches Freisetzen des Virus in  Wuhan gibt. Eher sprechen virologische Forschungsergebnisse gegen entsprechende Anschuldigungen von Trump. Aber die Welt muss auf den Einsatz biologischer Kampfstoffe vorbereitet sein. Sie sind in einer globalisierten Welt wesentlich effektiver als die klassischen militärischen Mittel (Quelle: Hans Rühle: Der Wahrheit zu nahe gekommen, in: Der Focus, 20/2020, S. 40).

China ist mittlerweile auch mit führend bei der Herstellung von Impfstoffen. China liefert in einige sehr große Länder: Indonesien hat 140,5 Mio. Dosen bestellt, Brasilien (100). Auch viele andere Länder haben Dosen geordert: Chile 60, Türkei 50, Peru 38, Philippinien 25, Malaysia 14, Marokko 10, VAE 3, Thailand 2, Ukraine 1,8, Pakistan 1,3. Quelle: Duke Global Health Innovation Center, Januar 2021. China beherrscht auch die neue Technik (mRNA). Die "Impfstoffdiplomatie" führt dazu, dass China das Impfrennen im Inneren verliert. Erst Ende 2022 sollen alle Chinesen geimpft sein, die wollen (Mitte 2021 sollen schon übe r1 Mrd. Menschen geimpft sein).. Es werden auch systematisch Falschinformationen gestreut, z. B. über Tote durch den Biontech  -Impfstoff. Die Grenzen Chinas könnten also noch lange verschlossen bleiben für Ausländer. Anfang August 2021 kommt es zu einem weiteren großen Ausbruch  durch die Delta-Variante. Ursprung ist der Flughafen von Nanjing. Von da kommt es im Nu zu 400 Infizierten. Es gibt auch 12 Fälle in Peking. Im September 2021 wird ein Ausbruch in der Provinz Fujian beobachtet. Zwei Großstädte kommen in den Lockdown. Im gleichen Monat sind über 1 Mrd. Chinesen zweimal geimpft. Immer wieder müssen auch 2021 noch einzelne Regionen in den Lockdown. Im Oktober 21 werden weite Bereiche der Inneren Mongolei im Norden abgeriegelt. Die Stadt Ruili wurde schon x-mal abgeriegelt. Auch die Provinzhauptstadt von Gansu Lanzhou trifft es immer wieder. Hintergrund ist die Zero-Covid-Strategie.   Auch in der Hauptstadt Peking gibt es immer wieder Beschränkungen (für einzelne Wohnkomplexe). Für die radikale Strategie gibt es auch politische Gründe: Olympische Winterspiele im Februar 2022. Im Herbst 2022 will Xi Jinping als erster Machthaber nach Mao eine dritte Amtsperiode antreten. Am 23.12.21 wird die alte Kaiserstadt Xi ´an abgeriegelt. Sie muss insgesamt in den Lockdown. Betroffen sind 13 Mio. Einwohner. Der Autobauer BYD drosselt die Produktion.  Die Chinesischen Internetnutzer gedenken im Februar 2021 des Arztes Li Wenliang. Er warnte als erster vor dem Coronavirus und starb daran. Es ist ein Jahr nach seinem Tod. Es werden auch Transparente gezeigt. Heute hat man den Arzt zum Helden erklärt (mit vielen Medaillen vom Staat). Er hat noch einen Web - Account auf Weibo. Berühmt der Internetkommentar von vor einem Jahr: "Wir wissen, dass sie lügen. Sie wissen, dass wir wissen, dass sie lügen. Und dennoch lügen sie weiter". In Wuhan wird im November 2021 immer noch eine kritische Journalistin in Haft gehalten. Die EU fordert China zur Freilassung auf.

China steckt Ende 2021 in einem Omikron-Dilemma. Der chinesische Impfstoff wirkt nur unzureichend gegen diese Mutante. Gelten nun 1,4 Mio. Chinesen als ungeimpft? Die Maßnahmen im Rahmen der Null-Covid-Strategie werden immer radikaler und repressiver (z. B. "an den Pranger stellen"). Die ständigen Lockdowns beeinträchtigen die Wirtschaft zunehmend. Allein am 9.1. 22 tauchen folgende Fälle auf: Henan 80, Zhenghou 21, Xuchang 21, Anyang 15, Tianjin 21 (Omikron), Xi`an 15, Shenzhen 1, Summe 157. Aus dem Ausland importierte Fälle: Shanghai 26, Guangdong 8, Yunnan 6, Fujian 5. Quelle: NHC. Die Nervosität vor den Spielen wächst. Die Olympischen Spiele sollen in einer "Blase" ohne Kontakt zum Rest der Hauptstadt stattfinden. In Tianjin werden für Tests Wohnanlagen und Bürotürme dichtgemacht. Vgl. Giesen, Christoph: Die "erste echte Schlacht" gegen Omikron, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 8/ 12.1.22, S. 7. Mitte März 2022 ist Shenzhen betroffen. 17,5 Mio. Menschen sind im Lockdown. Der muss dann noch auf Teile von Shanghai ausgedehnt werden. Das ist das industrielle Zentrum Chinas. Tausende von Mitarbeitern (eventuell Millionen) müssen in den Fabriken schlafen. Die Wohnblocks sind abgeriegelt. Man spricht von Chinas Lockdown-Horror. Die Zensur lässt wenig Infos nach außen zu. Bis Mitte April 2022 gibt es offiziell schon 10 Tote in Shanghai und täglich 20.000 neue Fälle. Die provisorischen Quarantäne-Unterkünfte führen zu Unruhen. Sie sind sehr dreckig. Die Lage wird zur Belastung für Xi und für die Weltwirtschaft. China weigert sich 2022, den Covid-Impfstoff von Biotech zuzulassen. Gründe: Nationalstolz, Propaganda, Vergeltung. Ende April 2022 greift die Panik in Peking um sich: Hamsterkäufe, Massentests und erste Abrieglungen. Der chinesischen Hauptstadt droht der Lockdown. Man sieht lange Warteschlangen. Alle 3,5 Mio. Einwohner des größten Stadtteils Chaoyang müssen sich testen lassen. Die Regierung propagiert sogar traditionelle Medizin bei der Heilung von Covid - Infektionen. Null-Covid ist zu einer neuen Ideologie der Partei geworden. Kritik daran ist nicht erlaubt.

China nutzt die Corona-Maßnahmen auch zur sozialen Überwachung seiner Bürger. Jeder Bürger hat einen Gesundheits-Code bekommen. Dieser muss bei jeder Reise vorgezeigt werden. So können Reisen kontrolliert werden. Es häufen sich Fälle, bei denen Bürger ohne Corona reisen verwehrt werden oder Bankkonten eingefroren werden. Vgl. Kretschmer, Fabian: Big Brother in Reinkultur, in: Die Rheinpfalz Nr. 137/ 15.6.22, S. 1. Immer wieder flackern 2022 Infektionsstränge auf. Laut Staatsmedien und nationaler Gesundheitskommission ist die Lage immer unter Kontrolle. Von den Schattenseiten erfährt die Öffentlichkeit kaum etwas. Ausnahmen sind We-Chat und Weibo. So erfährt man hier, wie katastrophal wohl die Lage in der Kleinstadt Yingtan (1,15 Mio. Einwohner, 2 Wochen Lockdown) ist. Vgl. Kretschmer, Fabian: Eine Stadt schreit nach Hilfe, in: Die Rheinpfalz 26.8.22, S. 1.

Im November 2022 tauchen Gerüchte über ein Ende der Null - Covid - Politik auf. An den Finanzmärkten sorgen die Gerüchte für einen Aufschwung. Vorher gibt es aber einen großen Rückschlag. Im größten Foxconn - Werk in Zhengzhou in der Provinz Henan bricht Covid aus. Es kommt zu einer Massenflucht aus dem Werk. Die lokalen Behörden informieren zu spät und treffen auch zu wenig Vorkehrungen. Mit finanziellen Anreizen versucht man, die Menschen zu halten. Schließlich wird das Industriegebiet unter Quarantäne gestellt. Für Apple ist das eine Katastrophe vor dem Weihnachtsgeschäft. In dem Werk arbeiten 300.000 Beschäftigte. Ende November gibt Demonstrationen gegen die Null-Covid-Strategie, zuerst in Ürümqi in Xinjiang. Bei einem Hochhausbrand kommen mindestens 10 Menschen ums Leben, weil sie wegen der Quarantäne nicht das Haus verlassen können. Es folgen Proteste in Shanghai und Peking (Tschingua) mit Hunderten von Teilnehmern. In Shanghai gibt es viele Festnahmen, in Peking hält man sich zurück. Das könnte das Ende der Null-Covid-Politik eingeläutet haben. Viele ältere Bürger haben noch nicht ausreichend Impfschutz (80 bis 90%).

Am 06.12.22 verkündet der Staatsrat Lockerungsschritte: Es kommt ein 10-Punkte Plan. Erleichterungen für Quarantäne (zu Hause), PCR-Tests, Lockdowns. Bei Reisen ist ein negativer Test nicht mehr notwendig. Das Dilemma bleibt: Wie lässt sich die Null-Covid-Politik beenden ohne dass die Zahl der Toten rapide ansteigt? Die Infektionszahlen steigen dramatisch Ende des Jahres 2022 an. Man schätzt, dass 80-90% der älteren Bevölkerung nicht geimpft sind. Die Kliniken sind heillos überlastet. Offiziell gibt es weiter keine Corona - Toten. In der Hauptstadt Peking laufen die Krematorien aber im Dauerbetrieb und haben längere Wartezeiten.

Der Biontech - Impfstoff, der in China nicht zugelassen ist, darf ab Ende 2022 an Deutsche in China verimpft werden. Das soll in Peking, Schanghai, Guangzhou, Shenyang und Chengdu passieren. Es gibt 11.500 Dosen. In China halten sich noch etwa 20.000 Deutsche auf. Viele fordern einen Stopp der Flüge nach China. Es soll 1 Mio. Covid-19-Infektionen pro Tag geben. Regierungen in aller Welt sorgen sich, dass Peking keinen transparenten Umgang mit den Daten pflegt. Es könnten weitere Virus-Variationen entstehen.

Es bleiben für die Zukunft viele Fragen offen: Öffnet sich China wieder? Werden verlässliche Daten zum Infektionsgeschehen heraus gegeben? Kann eine gefährliche Mutation entstehen? Wie schlimm wird es für unsere Wirtschaft? Könnte BionTech retten? Wird Xi den Tod von Millionen von Menschen überstehen? Vgl. Nass, Matthias: Auf dünnem Eis, in: Die Zeit 1/ 2022, 29.12.22, S. 4. Lauterbach will die Flughäfen engmaschig überwachen für Einreisende Chinesen. Eine Varianten - Monitoring ist wegen Corona geplant (Abwässer der Flugzeuge). PCR-Tests schreiben nur GB, Italien, Frankreich und Spanien vor. Die EU will eine einheitliche Regelung finden. Die sieht so aus, dass Einreisende Tests aus China vorlegen müssen (weniger als 48 Stunden). End e2023 grassiert eine mysteriöse Lungenkrankheit in China. Es sind vor allem Kinder betroffen.

23. Zukünftige Entwicklung und nächste technologische Entwicklungsstufe: Ein wichtigen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung in China dürfte die Straffung der Geldpolitik in den USA haben (allein die Verschiebung der Zinswende in den USA verunsichert weltweit die Finanzmärkte im September 2015). Die Angst vor der Zinswende sorgt für Nervosität bei Anlegern. Am 16.12.2015 kommt es zu der erwarteten Zinswende: Erhöhung der Leitzinsen in den USA auf das Niveau 0,25 bis 0,50%. Auswirkungen der Zinserhöhung könnten sein:  Kapitalabflüsse aus den ohnehin geschwächten Schwellenländern, Stärkung des Dollars und damit Anstieg des Schuldendienstes vieler Länder, Erhöhung des Ölpreises (Öl wird in Dollar gehandelt). Das Wachstumsziel in China wird ab 2015 für die nächsten Jahre auf 6,5% gekappt (2015 werden wohl noch 6,9% erreicht, CASS). Längerfristig für das Wachstum entscheidend dürften die Innovationen im Land sein. Es müssen höherwertige Produkte entwickelt werden. Langfristig bis 2050 könnte Asien wieder seinen ursprünglichen Anteil an der Weltwirtschaft von 50% haben. China allein soll  schon einen 25%-Anteil 2025 in Kaufkraftparitäten erreichen (Prognose der Weltbank). Wenn diese Vorhersagen halbwegs zutreffen, wird die ökonomische Bedeutung der VR China für Deutschland, die EU und die Welt weiter ansteigen. Dann müsste das Land als Leitwirtschaft irgendwann die USA ablösen können. "China ist zum Sorgenkind der Weltwirtschaft geworden., (...) Gerade die deutschen Exporteure von Maschinen, Elektrotechnik und Fahrzeugen spüren eine sich abkühlende Investitionstätigkeit in vielen Auslandsmärkten", Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des DIHK (s. Handelsblatt, Mo. 01.02.2016, S. 4).

Ende Oktober 2015 treffen sich die kommunistischen Spitzenkader (ZK der KPC), um einen neuen Masterplan für die chinesische Wirtschaft zu beraten. Ergebnis wird der 13. Fünfjahresplan sein, ein Grundsatz-Planungsdokument mit Vorhaben bis 2020: 1. Förderprogramme für Elektromobilität, Robotertechnik und Biotechnologie. 2. Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Finanzmärkte. 3. Verdopplung des BIP pro Kopf bis 2020 im Bezug auf 2010. 4. Menschen unter der Armutsgrenze soll es 2020 nicht mehr geben (heute rund 70 Mio.). Der endgültige Plan wird erst auf dem Volkskongress im Frühjahr 2016 beschlossen. Innenpolitisch hat Staatspräsident Xi Jinping die Zügel enger angezogen  (man spricht von Mikro-Management by Angst). Bekämpft wird auch zunehmend die Korruption (Exzesse der Staatswirtschaft). Die Reform des Staatssektors mit zunehmender Privatisierung (Übertragung von Vermögen auf private Haushalte) muss fortgesetzt werden. Die steigende Staatsverschuldung und die Zinswende in den USA drohen eine Flaute zu verursachen. Die Antwort auf die Entwicklung ist Abschottung.  China wird nicht mehr lange die "Werkbank der Welt" sein. Inflationsbereinigt gleichen sich mittlerweile die Stundenlöhne in China und Europa an (Stundenlohn 2016: China 3,6 US-Dollar, Portugal 4,5 US-Dollar). Damit hat China klassische Schwellenländer überholt (Mexiko, Brasilien, Indien, Thailand). Unternehmen aus Niedriglohnsektoren ziehen sich schon zurück. Das frei verfügbare Einkommen der Chinesen hat sich erhöht (meist fast verdoppelt) und damit die Konsum- und Sparquote. China wird mehr für den Binnenmarkt herstellen. "Chinas offene Tür wird sich nicht wieder schließen", Xi Jinping, Staatschef, auf dem Nationalen Volkskongress im März 2017.

China will in den nächsten Jahren seine Kontrolle verschärfen. Bürger werden in Städten mit Gesichtserkennung gescannt. 2029 tritt ein Bewertungssystem in Kraft, das das Verhalten der Bürger beurteilt. Wer seine Schulden nicht zahlt, gegen die Verkehrsordnung verstößt oder seine Eltern nicht besucht, muss mit Nachteilen bei der Kreditvergabe und bei der Verteilung von Schulplätzen rechnen. Virtuelle private Netzwerke sollen verboten werden. Das Verhältnis zur USA könnte sich weiter verschlechtern. Es droht ein neuer Kalter Krieg zwischen den Supermächten. (Corona, Hongkong, Taiwan, Handel). Die USA versuchen, die G7 gegen China einzuspannen. Auf der Linie der USA liegen Kanada, Japan  und Großbritannien. Verbündete sind auch Indien, Südkorea und Australien.  "Ich have seen the future, and it won`t work". Ich habe die Zukunft gesehen, und sie wird nicht funktionieren". Der Nobelpreisträger 2008 für Ökonomie Paul Krugman in der New York Times 2009 in seinem Erfahrungsbericht über eine Studienreise durch China, bei der ihm Li Ping eine Lotosblüte überreicht hatte. Das sagt viel über die Arroganz der USA gegenüber China über viele Jahre und vor allem über die Fehlbarkeit der US - Volkswirtschaftslehre. 

Für 2022 nimmt China viele Probleme mit ins Jahr. Die Immobilienkrise ist noch nicht ausgestanden und bleibt ein großes Risiko (siehe oben eigenen Abschnitt). Die Gewerblichen Verkäufe von Wohnimmobilien sind stark gesunken und auch volatil. Im Konflikt mit den USA ist keine Entspannung in Sicht, eher das Gegenteil (eigener Abschnitt oben). Die ständigen Lockdowns verunsichern die Wirtschaft. Schon seit Monaten ist der Konsum belastet. Insbesondere für das Gaststättengewerbe und den Tourismus haben die Einschränkungen schwerwiegende Folgen. China hat kaum eine Alternative zur Null-Covit-Strategie, weil die eigenen Impfstoffe gegen Omikron kaum wirken. Die Regierung nimmt die Tech - Branche unter Kontrolle, was deren Entwicklung nicht fördert (der Aktienwert ist um 1 Billion $ seit 2020 gesunken). Die sinkenden Wachstumsraten fordern das System heraus (Prognose für 2022 +5,8%). Internationale Unternehmensberatungen rechnen für die nächsten Jahre sogar mit 2 bis 2,5% Wachstum. Vgl. Heide, Dana: Chinas riskanter Weg durch das neue Jahr, in: HB Nr. 2, 4. Januar 2022, S. 14f. Das Land muss auch viel innovativer werden, um seinen Reichtum zu vergrößern. Die geringe Wachstumsrate führt nicht dazu, dass China in den nächsten 30 Jahren zu "einer voll entwickelten und reichen Nation" aufsteigt. Das durchschnittliche Einkommen der Chinesen liegt bei rund 10.000 Dollar, ein Sechstel des Wertes in den USA. Vgl. Ankenbrand, Hendrik: Chinas neues Sorgenjahr, in: FAZ Nr. 3, 5. Januar 2022, S. 15.

China denkt aber desto Trotz in größeren Dimensionen als der durch Aktienkurse gesteuerte Westen (das ist der eigentliche komparative Vorteil des Systems). Die Führung will die Forschungspläne und Produktentwicklungszyklen dieser Unternehmen weit in die Zukunft ausrichten. Sie sollen früher als westliche Konkurrenten die nächste technologische Entwicklungsstufe erreichen. Man will Dominanz in den Bereichen Telekommunikation (Internet aus dem All), Künstliche Intelligenz (Metaverse)und Synthetische Biologie (Genschere, Verschmelzung KI und Biotech) erreichen. Ähnliches hat China vorher mit Wearables, also tragbarer Elektronik, erreicht (Smartwatches, Fitnessarmbänder, digitale Brillen). Vgl. Webb, Amy: Aus dem Chaos entsteht eine neue Welt, in: HB Nr. 7/ 11.1.22, S. 28f.

Man muss eine eine neue Form der Zusammenarbeit finden. Es ist ein Systemrivale da, auf den man sich einstellen muss. Der handelt nach eigenen Kriterien der Rationalität: Die Null-Covid-Strategie schadet der Wirtschaft, der Ukraine-Krieg zerstört die Seidenstraße. Die Behandlung der Uiguren in Xinjiang ist ein Skandal. Trotzdem helfen nur Kontakt und Dialog. "Der Westen wird lernen müssen, mit China als einem Akteur auf Augenhöhe zu leben - unabhängig von allen Differenzen auf der Wertebene", Markus Taube, Mercator School of Management, Uni Duisburg-Essen. Quelle: WiWo 25/ 17.6.22, S. 44f.

Exkurs: Der Aufstieg Chinas wird enden. Diversität und wachstumsfördernde Eigenschaften in der Kultur: These von Oded Galor (The Journey of Humanity, München 2022): Historische Quellen von Wohlstand und Ungleichheit. Die Unterschiede sind weit in der Vergangenheit angelegt. Diverse und pluralistische  Gesellschaften sind stärker als homogene. Andere wichtige Faktoren sind: Qualität und Integrationskraft von Institutionen, ökonomisch günstige Geografie, wachstumsfördernde kulturelle Eigenschaften. Chinas Homogenität sei nur kurzfristig ein Vorteil. Das muss aber nicht für die Zukunft gelten. China dürfte in zehn Jahren die Decke erreichen, wenn es sich nicht reformiert und mehr öffnet. Deshalb werden die USA und Europa an der technologischen Spitze bleiben. Er unterstützt nicht die Abgesänge an den Westen. Vgl. auch: Interview mit ihm in WiWo 28/ 8.7.22, S. 40f.

"Was geht es uns an, wenn in China ein Sack Reis umfällt". Dieses chinesische Sprichwort gilt im übertragenen Sinne für die Wirtschaft ganz sicher nicht mehr: Ca. sieben Billionen Dollar Aktienkapital wurde im Anschluss an die Volatilitäten in China seit Jahresbeginn 2016 im Januar weltweit vernichtet (darunter Dow Jones -9,5%; DAX -12,6%; Shanghai Composite -15,9%).

24. Exkurs: Indikatoren der Wirtschaft in China und Aussagekraft der Statistik (Relativierung): Auch in der Sozialistischen Marktwirtschaft in China ist das BIP der wichtigste Indikator. Experten zweifeln aber diese Zahl an. Es stehen 5,5% Revidierung nach unten im Raum. Folgende Indikatoren sprechen für eine Korrektur nach unten: Energieverbrauch, Wachstumsraten in den Provinzen geschönt, Rückgang der Importe, Dienstleistungssektor schlecht erfasst. Es fehlt auch die Transparenz wie das Statistikbüro genau den Wert des Bruttonationaleinkommens ermittelt. Einen großen Anteil haben Schätzungen. Einige Analysehäuser sehen das Wachstum jeweils um bis zu 5% niedriger. Eine völlig unterschätzte Rolle spielen die Lokalregierungen, die gezielt falsche Zahlen liefern. Das Statistikbüro will die Vorgaben der Regierung erfüllen. "Zombie-Fabriken" (nicht ausgelastet, falsche Zahlen) tragen auch dazu bei. Chinas Wirtschaft wächst seit 1978 ohne Unterbrechung. Der Durchschnitt liegt bei fast 10 Prozent. Erst ab 2018 kommt der Einbruch mit wesentlich geringeren Wachstumsraten. Aus meiner eigenen statistischen Erfahrung und dem engen Kontakt zu chinesischen Kollegen gehe ich davon aus, dass die Statistik relativ genau ist, allerdings unter Berücksichtigung der obigen Rahmenbedingungen. Vgl. Fernald, J./ Hsu, E./ Spiegel, M. M.: Is China Fudging its Figures? Evidence from Trading Partner Data, Federal Reserve Bank of San Francisco, Working Paper, Nr. 2015-12, 2015. Auch: Chen, Z./ Liu, C./ Liu, J.: The Financing of Local Government in China: Stimulus Loans Wane and Shadow Banking Waxes, VoxChina, 9.7.2017.

Es gibt auch mittlerweile eine Reihe alternativer Aktivitätsmaße für die chinesische Wirtschaft. Sie können ergänzungsweise herangezogen werden.. Für China entwickelt wurde der Keqiang-Index. Er wurde nach dem jetzigen Premierminister Chinas Li Keqiang benannt, der in einem Gespräch mit US-Diplomaten die offizielle Statistik des Nationalen Statistikbüros als "menschengemacht und unzuverlässig" abtat. In den Index gehen die wirtschaftliche Aktivität anhand der Variablen Energieverbrauch (Strom), Kreditvergabe und Eisenbahnfrachttonnen (Frachtvolumen) ein. Große Bedeutung hat mittlerweile der Einkaufsmanager-Index (PMI) für die Beurteilung der chinesischen Industrieaktivitäten. Das Wirtschaftsmagazin "Caixin" veröffentlicht ihn regelmäßig. Zu Beginn 2016 führt ein Rückgang von 48,6 auf 48,2 zu Aktieneinbrüchen in Shanghai. Sehr starke Aufmerksamkeit richtet man in China auf die Entwicklung der Erzeugerpreise (Index der Erzeugerpreise). ein deutlicher Rückgang zeigt in der Regel Konjunktureinbrüche an. China Satellite Manufactoring Index: Er überwacht die Industrieproduktion. Per Satellit werden 6000 Industrieregionen beobachtet (Start up Space now).

Eine Konjunkturabschwächung in China ab 2018 ist aber unbestritten. Zahlreiche Indikatoren signalisieren das. Besonders schlecht ist die Stimmung 2019  in kleinen und mittleren Unternehmen (Einkaufsmanagerindex). Sowohl bei Exporten als auch bei Importen haben sich die Zuwächse stark abgeschwächt. Hier wirkt sich die Handelspolitik aus. Vgl. Gern, K. - J. / Hauber, P.: Konjunkturabschwächung in China, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2019, S. 227f.

2023 bricht der Außenhandel ein (Oktober 23 -8%). Es fehlen stark ausländische Investitionen. Das Wachstumsziel von 5% scheint erreicht zu werden: Januar bis September 23 +5,3%.    Aber dei Zahlen sind auch geschönt: Zinssenkung der Zentralbank, verbilligte Kredite, finanzielle Unterstützung.

Aktuelle Chinesische Wachstumszahlen: Beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos im Januar 2024 umgarnt Chinas Premierminister Li Qiang internationale Investoren. Er verkündet die Wachstumszahlen des BIP für 2023: Das BIP-Wachstum liegt bei 5,2%. Im Vorjahr betrug das Wachstum noch 3,0%. Li Qiang teilte die neuen Zahlen stolz mit und sagte "Chinas Markt sei kein Risiko, sondern eine Chance". Bei einer Online-Veranstaltung von Merics/ Berlin zweifelt der EU-Botschafter Jorge Toledo die Zahlen offen an. Er stellte die Glaubwürdigkeit in Frage. Er verwies auf Analysten, die die Schwäche des Immobiliensektors betrachten. Auch der Binnenkonsum habe sich nicht erholt. Man spricht von In-Transparenz der statistischen Zahlen. Internationale Beobachter raten tatsächlich zu Skepsis. Sie stört auch die Ignoranz der Parteiführung gegenüber öffentlichen Missständen. Dagegen Li Qiang in Davos: "China wird an der fundamentalen Politik der Öffnung festhalten und seine Tür zur Welt noch weiter aufmachen". Toledo verweist darauf, dass man mittlerweile sogar für das Betreten eines Universitätscampus eine schriftliche Genehmigung brauche. Vgl. auch: Kretschmer, Fabian: Zweifel an Pekings Statistiken, in: Die Rheinpfalz 19.01.24. Bei der Wachstumsrate von 2023 spielt sicher auch der Basiseffekt eine Rolle. 2022 war die Wirtschaft noch teils lahm gelegt durch Corona.

25. Berücksichtigung der anderen Kultur mit Daoismus und Konfuzianismus (in Teilen auch Buddhismus und Marxismus): Der Gedanke von der Einheit von Mensch und Natur ist Kern der Weltsicht der traditionellen chinesischen Kultur (geprägt von Daoismus und Konfuzianismus). Dadurch entstanden eine Reihe von gedanklichen Gebilden in China, die sich von der westlichen Kultur unterscheiden, diese aber heute erheblich beeinflussen. Generell ist die Welt der Asiaten komplexer (dagegen bei uns mehr in Schubladen). Es gibt weniger einfache Lösungen. Alles hängt mit allem zusammen. Die Gehirne scheinen aufgrund der Kultur anders gepolt. Dies wirkt sich auf Wahrnehmungen aus, die bis in Gehirnstrukturen wirken. Leben Asiaten lange im Westen passen sie ihr Denken an. "Es ist viel Raum in den Hautfalten des Buddha", Chinesisches Sprichwort.

Der Daoismus ist die Naturphilosophie in China und einigen anderen asiatischen Ländern.  Laozi, chinesischer Philosoph, 6. Jh. v. Chr., Begründer des Taoismus bzw. Daoismus. Die Weisheit des Tao Te King, das Buch vom Sinn und Leben. Es gibt zwei Bücher mit 81 Kapiteln. In Lujang sollen sich Laotse und Konfuzius getroffen haben. Laotse half Konfuzius die alten Regeln zu studieren. Sie stammten aus der Bronzezeit. Es waren geschichtliche Riten. Im Mittelpunkt standen Blut/ Fleisch und Wein für die Ahnen. Das war ein religiöser Akt und eine religiöse Erfahrung. Aber es gab keinen Schöpfer. Man spricht auch von Pinyin. Lehre des Weges. Es ist eine Art authentische Religion ("Seele Chinas"). Die Ursprünge reichen bis 1400 v. Chr. Das war auch in der Zeit der Zhou-Dynastie (1040-256 v. Chr.). Die wesentlichen Bausteine wurden 400 v. Chr. niedergeschrieben. Da erreichte die Lehre ihren Höhepunkt. Es ging ursprünglich auch um Unsterblichkeit (auch im übertragenen Sinne). Dazu dienten Qigong, Taijiquan, Imagination, Konzentration  und Atemtechniken. Folgende Elemente gehören dazu: Kosmologische Vorstellungen von Himmel und Erde. Fünf Wandlungen. Lehre vom Qi. Yin und Yang. Yijing ( I Ging). Die größte und älteste Statue des als Gründer des Daoismus verehrten Laozi steht am Fuß des Berges Qingyan bei der Küstenstadt Quanzhou im Südosten Chinas (Partnerstadt von Neustadt an der Weinstraße in Deutschland).

Lehre des Konfuzianismus (Inhalt): Fünf Klassiker: Buch der Wandlungen. Buch der Lieder. Buch der Urkunden. Buch der Riten. Frühlings- und Herbstannalen. Das Lunyu (chinesische Bibel) umfasst vier Grundlagen: Mitmenschlichkeit (Ren; =zwei; bestmögliche Lebensführung; Shu=Empathie, Gegenseitigkeit), Gerechtigkeit, Kindliche Pietät, Riten. Der Studienplan in Qufu umfasst sechs Künste, die man lernen musste: 1. Li (soziales Verhalten, Zeremonie). 2. Riten. 3. Moral. 4. Kaligraphie. 5. Mathematik. 6. Kunst des Streitwagenlenkens.  7. Bogenschießen. Die fünf Klassiker und die Analekten wurden als Text auf Stehlen (189, dauerte vier Jahre) gehauen. Man sieht sie heute im Nationalmuseum in Peking (auch im Konfuziustempel und der kaiserlichen Akademie). Sie waren Grundlage des Examens für den klassischen Staatsdienst. Die Prüfungen waren sehr streng und dauerten 3 Tage (vorher hatte man sich auf regionaler und Provinz-Ebene bewährt). Die Säulen der Gesellschaft waren Familie, Hierarchie und Tradition. In der Unternehmenskultur sind es Bildung, Disziplin, Fleiß. Die Kernpunkte der Kultur waren Aufrichtigkeit, Bescheidenheit und Harmonie. Es gibt ganz konkrete Verhaltensregeln: Rituale des Alltags, Harmonie, korrekte Begrüßung, Beziehungen zwischen Alt und Jung, Ehe, Freunde, Gefühl für einander da zu sein. Im Mittelpunkt steht die Ehrung der Ahnen. Es gibt nicht einen Gott als Schöpfer wie bei den Religionen. Die Schüler von Konfuzius (Kong Qiu) haben die Lehren verbreitet. Einer der wichtigsten war Zeng Shen, der das Xiaoling verfasste.

Xi Jinping steht auch für eine Renaissance des Marxismus.  Er hat den Marxismus als Lehre an den Hochschulen wieder belebt. Interessant ist die Integration des Marxismus in den Konfuzianismus und Daoismus. Darüber habe ich in den letzten Jahren viel geforscht und geschrieben.

Tianxia ((Alles, was unter dem Himmel ist; auch Herrschaftsanspruch des Kaisers): Es ist eine gesellschaftliche Ordnung, die keine Zustimmung verlangt, sondern letztlich die einzelnen Elemente umfasst ("harmonische Gesellschaft"). Die Volksseele repräsentiert die Gesamtheit der Anschauungen (ähnlich dem Begriff "Kollektivbewusstsein" von den französischen Soziologen Durkheim). Es wird das Kriterium der vollständigen Inklusivität erfüllt. Vgl. Zhao, Tinyang: Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung, Berlin 2020. Er wirft dem Christentum universalistischen Anspruch vor. Die Demokratie neige dazu, Populisten ins Amt zu bringen. Sie sei "Publikratie". Zhao ist in China hoch angesehen. Er "zimmert" mit an der weltanschaulichen Grundlage des kommunistischen Regimes. Seine Philosophie ist ein Versuch, dem Westen, der Demokratie, etwas ganz anderes entgegen zusetzen. "Der freiheitlich, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzunge, die er selbst nicht garantieren kann". Er stellt heraus, dass China offenbar effizienter mit Krisen (Covid19) umzugehen weiß. Allerdings blendet Zhao die "Meritokratie" in China aus: Die Besten und Leistungsfähigsten sollen an den Entscheidungsstellen sitzen, dann sind alle Sachprobleme gelöst (Politbüro der KPCh). Bekanntlich hat dieses System auch große Schattenseiten, worüber Zhao nicht schreibt. Zhao ist Professor für Philosophie an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, die dem Staatsrat untersteht. In einem weiteren Essay entfaltet er den Gedanken, dass der Kampf der Kulturen heute den Westen entzweit. Vgl. Zhao Tingyang: Universum ohne Moral, in: Die Zeit Nr. 30/ 13.7.23, S. 46. "Die Moderne ist sicherlich eine große Errungenschaft, doch könnte sie mit der Überheblichkeit des Individuums zerstört werden...", ebenda. ""Man findet eigentlich gar keinen Begriff des Seins in der daoistischen Theorie, denn das Sein ist vollständig durch das Werden ersetzt"... "Sein heißt Werden". Ebenda. ..., damit wir besser mit der Zukunft Schritt halten können, die nicht mehr dem übersichtlichen System der Nationalstaaten, sondern der globalen Macht der Netzwerke gehören wird"... ebenda.

Deutschland wird in China zutiefst respektiert - wie kaum ein anderes Land in der Welt. Das hängt einerseits mit Marx, Hegel, Goethe, Bach und vielen anderen Größen zusammen ("Helden"). Andererseits ist Deutschland für China ein Modell für ein fortgeschrittenes Industrieland, das nach zwei Weltkriegen wieder auferstanden und der Stabilisator der EU ist. Natürlich will China auch einen Keil zwischen die EU und die USA treiben (auch die EU als Wettbewerber spalten). Kritik an Menschenrechtsverletzungen werden angesichts der abscheulichen kolonialen Verbrechen Europas in China und anderswo nicht akzeptiert.

26. Die Haltung der westlichen Kultur gegenüber China: Gefahr oder Erlösung? Seit über einhundert Jahren changiert das Bild, das man sich in der westlichen Welt von dem gewaltigen "Reich der Mitte" macht. Woran liegt es, dass die Perspektiven immer wieder wechseln?

Berühmt wurde 1881 eine Skizze einer neuen Freiheitsstatue für San Francisco. Sie wurde von einem Einwanderer aus Preußen mit Namen Franz Keller angefertigt. Sie zeigt alle anti-chinesischen Stereotype der damaligen Zeit (Kuli, mit Zopf, zerbrochene Ketten der Unterdrückung, zerrissene Kleidung). Man wollte damit gegen die hohen Einwanderungswellen aus China protestieren.

Trump sprach vom China-Virus bei der Corona-Pandemie. Er bediente sich der alten Stereotype. Gegenwärtig kursiert die Angst vor der chinesischen Wirtschaft, die uns überrollen könnte.

Viele Metapher reichen weit in die Geschichte zurück. China war immer Exempel, wenn die Globalisierung und die Rolle Deutschlands und Europas darin diskutiert wurden. So tat sich Kaiser Wilhelm II. hervor, nach dem die Völker Europas die Bedrohung aus China entgegentreten sollten. Berühmt wurde seine "Hunnenrede" ("Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht gemacht"). Im Boxerkrieg (1899-1901) hinterließ man eine Spur der Verwüstung in China. Immer wieder taucht der Ausdruck "Gelbe Gefahr" auf. Vor einer militärischen Intervention hatte vor allem Australien Angst (1888, "Chinese Crisis").

In Deutschland äußerten sich 1890 die bekanntesten Ökonomen (Gustav Schmoller, Adolf Wagner) und warnten vor der neuen Konkurrenz aus China auf dem Weltmarkt. Dann kam die Angst vor der Mobilität. Man fürchtete die Überflutung durch Arbeit von Millionenmassen (heute eher Produkte). Es gibt im 19. Jahrhundert einen Rassismus gegen Chinesen in Europa (auch bei den Klassikern, wie z. B. Herder). Auch die Hoffnung auf den unermesslichen chinesischen Markt gab es damals schon. Eine große Rolle spielten auch Reisebericht berühmter Leute (Lord Macartey 1793: "Garten Eden"; Lord Amherst 1816: "Merkwürdiges, uninteressantes Land"). Das China-Bild hing immer von der eigenen Rolle in der Geopolitik ab. Auch der große deutsche Soziologe Max Weber aus Heidelberg distanzierte sich zu China und traute der Kultur nichts zu (Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus). Vgl. Conrad, Sebastian: Die Gelbe Gefahr 2.0, in: FAZ Nr. 272, 22. November 2021, S. 7.

Das Meinungsforschungsinstitut Kanter ermittelt 2021 im Auftrag der Körber-Stiftung, dass der wachsende Einfluss Chinas in Deutschland negativ gesehen wird. Man sieht China im Vergleich zu Russland als größere Bedrohung für Werte in Deutschland.

27. Wird China das neue Japan? (Die Situation der chinesischen Konzerne; das große Fragezeichen, auch Angst vor Preisverfall 23): Einige Experten gehen davon aus, das im Bezug auf die Zukunft China einen ähnlichen Weg wie Japan gehen könnte. Chinas Konzerne sind stark vom Inlandsgeschäft abhängig. Durch die rapide sinkende Erwerbsbevölkerung wird sich das BIP-Wachstum stark verringern, falls nicht gleichzeitig die Arbeitsproduktivität steigt (was wahrscheinlich nicht passieren wird). Die Entwicklung in Japan ist ein beunruhigender Präzedenzfall für die Folgen solchen demographischen Wandels.

Immer mehr chinesische Unternehmen sind in der Liste der Fortune 500 der umsatzstärksten Weltkonzerne. Es ist aber fraglich, ob sie diesen Platz halten können. Dazu wäre ein Wandel zu einer internationalen Denkweise notwendig: 1. Mehr Respekt zeigen. 2. Ausländer in die Zentrale holen. 3. Entsendungen verbessern. 4. Führungskräfte besser entwickeln. 5. Innovationen im Ausland entwickeln (nicht nur Werte absaugen). 6. Managementstil innovationsfreundlicher machen. 7. Diversität im Management erhöhen. Siehe Black, J. Stewart/ Morrison, Allen J.: China droht Wachstumskrise, in: HBM, Januar 2020, S. 68ff. China verfügt 2019 über die meisten Unicorns ("Einhörner") auf der Welt. Es sind 206, womit die USA überholt werden konnte (203).

Durch die Corona-Krise steigt die Verschuldung, sowohl der Unternehmen als auch des Staates, weiter an. Die KPCh versucht mit allen Mitteln gegen die Krise  vorzugehen. Es soll ein Konjunkturpaket kommen. Aber die Krise ist auch mit einem globalen Gegenwind verbunden (überall auf der Welt geht das BIP zurück, die USA lockern nicht ihre Restriktionen). Auf der anderen Seite setzt man auch bei den Zahlen an (Schönrechnen unproduktiver Wirtschaftstätigkeit; siehe oben bei 19.).  "Wenn in China die Schuldentragfähigkeit überschritten ist, dürfte das Wachstum innerhalb weniger Jahre ebenso stark und unerwartet verlangsamen wie nach 1990 in Japan", Michel Pettis, Professor für Finanzwissenschaft an der Guanghua School of Management der Peking University, Quelle: WiWo 11/ 6.3.2020, S. 26.

Die Unternehmensstruktur in China (und auch auch den USA) fußt auf großen Unternehmen, in China vor allem auf Staatsunternehmen und staatlich kontrollierten Unternehmen (der genaue Einflussbereich der KPCh in den Führungsgremien der Unternehmen ist nicht abgrenzbar). Eine  solche Struktur ist nicht gesund. Sie wird durch ein virtuelles Skelett (wie in den USA) unterfüttert. Die großen Tech - Riesen in China und den USA sollen Defizite in der Wirtschaftsstruktur ausgleichen. Für Europa heißt dies, dass man die bessere Wirtschaftsstruktur hat und sie digital besser unterfüttern muss. Das ist einfacher als umgekehrt. Wir haben zu wenig Daten über die chinesische Unternehmensstruktur. Es spricht aber viel dafür, dass die Lage der Unternehmen nicht so günstig ist, wie sie immer wieder dargestellt wird. Die Staatswirtschaft ist an vielen Stellen anfällig (vgl. die anderen Abschnitte). Manchmal helfen persönliche Netzwerke (z. B. Xi Jinping und Jack Ma). Deshalb könnte es mit der ökonomischen Führungsrolle Chinas und der Neuordnung der Welt doch etwas länger dauern. Viele Probleme schiebt das Land auch vor sich her: ethnische Minderheiten, Umwelt, Verteilung.

2021 warnen Experten sogar vor der nächsten Kulturrevolution in China. Das Land reitet einige Attacken gegen einheimische Konzerne (Alibaba, ByteDance, Evergrande).  Sie sollen mehr dem Gemeinwohl dienen. Peking will den Privatsektor mehr kontrollieren. Das könnte die Innovationslust und Risikobereitschaft im Privatsektor bremsen. Der Zugang chinesischer Unternehmen zu internationalen Märkten könnte ebenso erschwert werden. Vgl. Rajan, Raghuram: Droht in China die nächste Kulturrevolution? in: WiWo 45, 5.11.21, S. 40.

Chinas Wirtschaft wächst nach dem Ende der Corona-Pandemie nur langsam. 2023 könnte sogar eine Deflation drohen. China könnte mit den gleiche Problemen zu kämpfen haben wie Japan in den 1990er-Jahren. Die Preise könnten in den letzten Monaten des Jahres 2023 weiter fallen. Vgl. Petring, Jörn: Die Angst vor dem Preisverfall, in: WiWo 32/ 4.8.23, S. 36f. Im Juli 2023 sind die Preise um -0,3% gefallen. China ist in einer Abwärtsspirale gefangen. Die Immobilienblase ist geplatzt (im Juni 23 Immobilienverkäufe -30%, 50 Mio. Wohnungen finden keine Käufer). Quelle: Chinesisches Statistikamt 2023. Der Immobiliensektor macht fast 25% des BIP aus.

China steckt 2023 in einer Deflation fest. Moody s senkt den Ausblick für die Kreditwürdigkeit. Nominal scheint die Wirtschaft kaum noch zu wachsen. Die Regierung kontrolliert die Notenbank und hängt nicht von Auslandsinvestitionen ab. Aber der private Konsum ist die große Schwäche. Die Regierung kann sich nicht entscheiden zwischen Förderung der Binnenkonjunktur und Investitionen in Infrastruktur und Technologie. Die Deflation hilft den Exporten. Die Subventionen der Firmen (von Staatsbanken oder dem Staat direkt) sorgen auch für Konkurrenzvorteile im Ausland.

China droht eine Kombination aus recht schwachem Wachstum und einer deflationären Spirale.

28. Shenzhen als weltweites Technologie - Zentrum und Modellstadt sowie Smart City (Weltwirtschaft von morgen, die Zukunft): Shenzhen (früher Kanton). Ist eine 12 Millionen-Stadt im Süden Chinas. Sie ist weltweit die erste Stadt, die im Nahverkehr ihre Busflotte komplett auf elektrische Antriebe umgestellt hat. Mehr als 16.000 Busse, vor allem von Byd, fahren durch die Straßen. Die Betriebskosten sollen pro Jahr um etwa 20.000 Euro geringer als bei einem Dieselbus. Als nächstes sollen sämtliche Taxis aus dem Verkehr gezogen werden, die einen Verbrennungsmotor haben. Am Ende der Kaiser-Ära war die Stadt das Tor des Westens nach China. Die Stadt stand unter britischer und französischer Verwaltung. Sie hat 10 Stadtbezirke: Bao`an, Guangmin, Nanshan, Longhua, Futian, Luohu, Longgang, Yantian, Pingshan, Dapeng. Deng Xiaoping war der Wegbereiter des Ausstiegs. Sie soll zur Smart City umgebaut werden. "Die Greater Bay Area wird das Zentrum der globalen Wirtschaft werden", Michael Enright, US-Ökonom. 2020.Shenzhen ist heute die am schnellsten wachsende Metropole der Welt. Sie gilt auch als die offenste, reichste und teuerste Stadt Chinas. Die Chinesen sehen sie als globale Modellstadt, die Hongkong einmal ablösen soll. Shenzhen war die erste Stadt für folgende Entwicklungen: Anfang mit Landversteigerungen, Einführung von Arbeitsverträgen, Privatisierung von Staatsunternehmen, Gründung eines Technologieparks, Public Private Partnership, Genehmigung ausländischer Tochterunternehmen. Hier werden auch die Trends bei wichtigen Zukunftstechnologie gesetzt: Elektromobilität (siehe oben), Gentechnik, Künstliche Intelligenz. Shenzhen wird oft mit dem Silicon Valley verglichen, was zu einseitig ist. Shenzhen ist nicht nur Zentrum der IT - Wirtschaft, sondern hat auch eine große industrielle Basis. Die Region um die Stadt, auch Perlflussdelta genannt, ist darüber hinaus das Zentrum der KMU in China (anderer Begriff: Greater Bay Area). Foxconn ist im Norden von Shenzhen. Weitere Handy und IT-Firmen sind Huawei, ZTE, Oppo, Vivo (jedes vierte Handy weltweit kommt aus der Stadt). Weitere berühmte Konzerne in der Stadt sind Tencent, Ping An. Bei den Städten um Shenzhen herum spricht man von Clusterstädten. Dalang steht für Pullover und Sweatshirts, Humen für Bekleidung, Qiatou für Verpackungen, Qingxi für Computer, Houjie für Möbel und Schuhe. Shenzhen ist auch das Mekka der Start-up-Szene: Eric Pan, David Li, William Bao Bin, Cyril Ebersweiler, Kevin Lau, Chadwick Xu, Liam Casey sind berühmte Gründer. Auch viele ausländische Firmen haben Forschungslabore in Shenzhen: Airbus, Apple u. a.. Vgl. zu Shenzhen: Wolfgang Hirn, Shenzhen. Die Weltwirtschaft von morgen, Frankfurt/ New York (Campus) 2020. Sieren, Frank: Shenzhen - Zukunft Made in China, 2021

Exkurs: Greater Bay Area (GBA): Für China hat jede einzelne Stadt nicht mehr die Bedeutung. Man plant schon lange einen riesigen Wirtschaftsraum im Süden. Bis 2035 w3ar das ursprüngliche Ziel. Dem entgegen stehen unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsräume, die die Integration erschweren.  Man will die bekannten Städte Hongkong und Macao mit der südöstlichen Küstenprovinz Guandong verbinden. 11 Partnerstädte sollen zu einer großen Integration  (unter anderem außer den schon genannten Hongkong, Macao, Shenzhen Guangzhou, Jiangmen, Dongguan, Zhongshan, Zhuhai, Zhaoqinq u. a.). Vgl. Kuhn, Britta: Chinas Greater Bay Area, in: Wirtschaftsdienst 4/2021, S. 311ff.

Exkurs. Shenzhen und autonomes Fahren: Sie ist die erste Stadt weltweit, wo autonomes Fahren nun Alltag wird. China ist mittlerweile das führende Land des autonomen Fahrens. Seit 2020 bieten Pioniere wie AutoX ihren Service in Shenzhen an. Es ist der größte Anbieter von autonom fahrenden Taxis. Er wird von Alibaba mitfinanziert. Bis 2023 werden mit 30 Mio. selbst fahrenden Autos gerechnet. 27 Städt3 und über 70 Unternehmen haben bis 2023 die Erlaubnis für autonomes Fahren erhalten. AutoX testet auch in San Jose/ Kalifornien. Ein Gesetz dazu wurde 2022 verabschiedet. Vgl. Sieren, Frank: China to go, München 2023, S. 55ff.

29. Mögliche betriebswirtschaftliche Gegenstrategien westlicher Unternehmen: Sie kommen relativ spät, weil einige kulturelle Irrtümer bestanden. 1. Wirtschaftliche und politische Liberalisierung bedingen sich. Die Partei glaubt an den überragenden Einfluss der Geschichte und an die marxistische Lehre. 2. Autoritäre politische Systeme können keine Legitimation haben. Für die Bürger ist der Wohlstand entscheidend. Sie denken pragmatisch.  3. Chinesen arbeiten und investieren wie wir im Westen. Während die Regierung eher langfristige und klare Strategien verfolgt, haben die Chinesen kein Vertrauen darin und handeln mehr kurzfristig im Sinne des eigenen Vorteils. Diese Irrtümer können zu fatalen Fehlentscheidungen westlicher Firmen führen. Vgl. Mitter, Rana/ Johnson, Elsbeth: Reich der Irrtümer, in: HBM Oktober 2021, S. 40ff.

Abkopplungsstrategie Chinas und der USA, Gegenstrategie westlicher Firmen: Die chinesische Regierung will die Wirtschaft des Landes vom Ausland unabhängiger machen. Viele global tätige Unternehmen werden davon betroffen sein. Der Zollstreit zwischen den USA und China war nur der Anfang. Die Unternehmen sind gezwungen, Strategien zu entwickeln. Wie können diese aussehen? Ihre Gestaltung hängt von der Platzierung in den Quadranten einer Matrix ab. Die X-Achse misst Chinas Bedeutung als Vermarktungsgebiet, die y-Achse die Bedeutung des Landes als Produktionsstandort. Die Achsen gehen vom Focus auf Upstream-Aktivitäten gering bis hoch und Focus auf Downstream-Aktivitäten gering bis hoch. So ergeben sich vier Situationen: 1. Unternehmen sollten alternative Produktionsstandorte aufbauen (Upstream-Unternehmen). 2. Wenig aktive Unternehmen: Wenn Peking diese Branchen ins Visier nimmt, sollten anderenorts Gegengewichte aufgebaut werden. 3. Unternehmen mit dualer China-Strategie: Unternehmen mit alternativen Märkten oder Produktionsstandorten sollten sollten ihre Unanhängigkeit von China erhöhen als auch die Standorte in China stärken. 4. Unternehmen, die China als Markt nutzen: B2C-unternehmen sollten ihr Geschäft wie gewohnt fortsetzen und ihr Angebot an den lokalen Markt anpassen. Für B2B-Unternehmen zeichnet sich eine in China für China -Strategie ab. Vgl. J. Stewart Black/ Allen J. Morrison: Abschied vom Westen, in: HBM Oktober 2021, S. 48ff.

Chinas Innovationstreiber: Die Menschen in China haben in den vergangenen Jahrzehnten so viel Veränderung erlebt wie wohl nirgendwo sonst auf der Welt. Nicht zuletzt deshalb sind sie Neuerungen aufgeschlossener gegenüber und integrieren Innovationen nahtlos in ihren Alltag. Damit haben chinesische Unternehmen gegenüber ihren Wettbewerbern im Westen einen handfesten Vorteil. Westliche Unternehmen sollten erfolgreiche Ansätze nachahmen und Produkte sowie Dienstleistungen auf ihre Zukunftsfähigkeit hin auf dem chinesischen Markt testen. Vgl. Dychtwald, Zak: Chinas Innovationstreiber, in: HBM Oktober 2021, S. 30ff.

Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen in Deutschland beachtet werden. Deutschland hat keinen Plan für den Umgang mit China. Es muss lernen, seine Interessen besser zu erkennen und durchzusetzen. Wir haben nur die Interessen der USA als die unseren angesehen. Vgl. Interview mit Matthias Platzceck, in: Zeit-Magazin Nr. 45, 4.11.21, S. 75ff. Vgl. auch: Garthe, Michael: Heißer Krieg. Kalter Krieg, in: Die Rheinpfalz am Sonntag, Nr. 30/ 23./24.7.22, S. 1.

30. China als Wackelkandidat für europäische und amerikanische Unternehmen:  2022 sorgen zwei Faktoren für eine Umorientierung vieler Unternehmen im Bezug auf den chinesischen Markt: 1. Die Lockdown - Politik (Null - Covid - Strategie). 2. Der Ukraine-Krieg mit seinen geopolitischen Risiken. Traumatisch war für viele Firmen der Lockdown in Shanghai und Shenzhen. Ebenso die Rechtfertigung des Ukraine-Krieges durch die chinesische Propaganda. Nach einer Blitz-Umfrage der europäischen Handelskammer wollen über 60% der befragten Unternehmen ihre Umsatzprognose für 2022 nach unten korrigieren (teilweise prozentual zweistellig). Die Unternehmen diskutieren auch darüber, wie sie reagieren würden, wenn China Taiwan angreift. Die große Abhängigkeit deutscher Firmen vom chinesischen Markt ist auch auf der Tagesordnung. Vgl. Kretschmer, Fabian: China, der neue Wackelkandidat, in: Rheinpfalz Nr. 105/ 6. Mai 2022.

Die Wirtschaft in China bricht 2022 ein. Die großen Lockdowns führen zu einem massiven Rückgang des Einkaufsmanager-Index im Verarbeitenden Gewerbe. Auch die Investitionen ausländischer Kapitalanleger sacken ein. Vgl. Gusbeth, S. u. a.: "Düsteres Bild" in: HB Nr. 88/ 6.-8. Mai 2022, S, 6. die Stimmung ist auch für deutsche Firmen 2022  auf einem Tiefpunkt. Vgl. Petring, Jörn: Der chinesische Drachentöter, in: WiWo 21/ 20.5.22, s. 36f.

Es tritt auch ein Exodus der Expats ein. Für Ausländer werden Leben und Arbeiten in China zum Härtetest. Viele kehren dem Land für immer den Rücken. Vgl. Gusbeth, S.: Chinas Expat-Exodus, in: HB Nr. 88/ 6.-8. Mai 2022, S. 7. 

Das Ausmaß dieses Einbruchs ist in Europa noch nicht zu spüren, wird aber sicher kommen.

Die Welt entwickelt sich nun mehr in Richtung "Handel ohne Wandel" oder "Freiheit statt Freihandel". Es bilden sich in der neuen Weltwirtschaft nach dem Ukraine-Krieg vier Blöcke heraus: 1. Europa-Block. 2. USA-Block. 3. China-Block mit Russland. 4. Block-freie. Es sind geopolitische Machtblöcke. Vgl. Busch, A. u. a.: Handel ohne Wandel, in: HB Nr. 88/ 6.- 8.5.22. Die Analyse und die Daten wurden von Prognos/ Schweiz zusammengestellt. Allein von dieser neuen Konstellation her, wird vorerst die Bedeutung Chinas zurückgehen.

Hinzu kommt 2022 die Container-Krise durch den Null - Covid - Lockdown der Regierung in Shanghai und anderen Städten (Shenzhen, Tinajin u. a.). Kaum Produktion, geschlossene Läden. Sperrung der Häfen. Das belastet auch deutsche Firmen vor Ort und Firmen in Deutschland durch die hohe Abhängigkeit von Vorleistungen. Damit lähmt China auch die Globalisierung und führt zu Wachstumsverlust der deutschen Wirtschaft. Vgl. Dometeit, Gudrun u. a.: In den Fängen des Drachen: Droht in den Containern nicht nur unsere Ware, sondern auch unser Wohlstand festzustecken? in: Focus 21/ 2022, S. 52ff.

Bei einem Besuch Bidens in Japan Ende Mai 2022 sagt er, dass die USA Taiwan bei einem Angriff Chinas verteidigen würden. Dazu soll auch Quad dienen (USA, Japan, Indien, Australien). Er will auch eine Wirtschaftsinitiative für den Indopazifik aufbauen gegen den wachsenden Einfluss Pekings. Er nennt es IPEF. Das heißt "Indo-Pacific-Economic Framework". Man will in überlappenden Kooperationen zusammenarbeiten.   Eine Wiederbelebung von TPP ist vorerst nicht geplant. Vgl. HB Nr. 100/ 24.5.22, S. 15. Russland und China sehen sich durch die Werte der liberalen Demokratien bedroht. Deutschland kann diesem Konflikt gar nicht ausweichen.

Die Überwachung wird in China systematisch verstärkt. Covid wird dazu benutzt einen Überwachungsstaat aufzubauen. Vgl. dazu: Chin, Josh/ Lin, Liza: Surveillance State, New York 2022. Die Proteste gegen die Null-Covid-Strategie im November und Dezember 2022 werden flexibel bekämpft (Polizeigewalt) und Versprechen, die Strategie zu wandeln.  Schließlich dreht man sich um 180 Grad.

China will seine Abhängigkeit vom Westen minimieren, die Abhängigkeit des Westens von China soll maximiert werden. Das sollten alle Unternehmen im Hinterkopf haben.

2023 kommt es zu einem Streit zwischen Regierungen und Unternehmen über den Umgang mit China. Auch die Bundesregierung blickt immer kritischer auf China. Doch die deutschen Konzerne investieren weiter unverdrossen Milliardenbeträge. De facto scheinen sie auch keine Alternative zu haben. Sie brauchen die Vorleistungen aus China (IT, Textilien, Bekleidung, Möbel, Maschinenbau, Kraftwagen, chemische Erzeugnisse). Sie wollen auch weiter exportieren. Damit braucht auch Deutschland die Exporte für seine Handelsbilanz. Vgl. Fahrion, G. u. a.: Konfrontation mit dem Riesen, in: Der Spiegel 15/ 8.4.23, S. 66ff.

"Mit Blick auf das externe Umfeld warnte Präsident Xi, die vom Westen unter Führung der USA verfolgte „umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas“ stelle China vor nie dagewesene schwere Herausforderungen. Entsprechend führt die Regierung in ihrem Bericht die „Sicherheit der Industrie- und Lieferketten“ als wichtiges Ziel der Politik an. Unzulänglichkeiten und Schwächen in Chinas Industrie- und Lieferketten müssten schnell beseitigt werden. Chinas führende Position in wichtigen Technologiebereichen (New Energy Vehicles, 5G und Photovoltaik) solle gefestigt werden. Und zur Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen sollen sowohl in China als auch im Ausland verstärkte Anstrengungen zur Erkundung und Erschließung mineralischer Rohstoffe unternommen werden." Siehe Bickenbach, Frank/ Wan-Hsin Liu: Wie China internen und externen wirtschaftlichen Herausforderungen begegnen will, in: Wirtschaftsdienst 7/ 2023, S. 484-490.

31. Resümee - VR China als Lokomotive bzw. Anker der Weltwirtschaft?: Die Rettung der Weltwirtschaft darf man von China nicht erwarten, obwohl die Führung weiterhin auf das Wachstumsmodell setzt (in den vergangenen 7 Jahren trug China mit einem Drittel am weltweiten Wirtschaftswachstum bei; 19% der globalen Wirtschaftsleistung). Ein 3%-iger Rückgang des Wirtschaftswachstums in China würde nach ökonometrischen Berechnungen etwa folgende Konsequenzen haben: Deutschland -0,4; Euroraum -0,4; Welt -0,9 (Vgl. Gern, Hauber, Auswirkungen einer harten Landung in China, in: Wirtschaftsdienst 10/2015, S. 719-720). Das Wirtschaftswunder scheint vorerst vorbei zu sein (aber laut Weltbank 2015 voraussichtlich noch 7% BIP-Wachstum; im 3. Quartal 2015 aber Rückgang unter 7%; Ministerpräsident Li Keqiang rückt vom 7%-Ziel ab). Insgesamt erwartet die Weltbank 2016 für die Weltwirtschaft nur noch 2,9% Wirtschaftswachstum (von 3,3% revidiert; das beeinflusst die deutsche Wirtschaft stärker als nur die Entwicklung in China). Vielleicht geht China den gleichen Weg wie die "kleinen Drachen" Taiwan und Südkorea, deren Wachstumsraten inzwischen auch relativ klein sind (2014: Südkorea 2,99%; Taiwan 4,04%). Experten sprechen von der "middle income trap" (steiles Wachstum, Löhne steigen über Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Exporte nehmen ab). Der Übergang von zu hohen Investitionen  (schuldengetrieben) und zu hohen Exporten auf mehr heimischen Konsum (konsum- und dienstleistungsorientierte Wirtschaft) wird eine zeitlang dauern (Umbauprozess; Strukturwandel). Im Jahr 2021 feiert die KPC ihren 100. Geburtstag. Bis dahin will China sein Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zu 2010 verdoppeln. Es gilt aber als fraglich, dass das Land wie bei der letzten Weltwirtschaftskrise 2008/2009 noch einmal die Weltwirtschaft in einer Krise stabilisieren könnte. Die Krise könnte dann sogar mit einem Schock in China beginnen. Die strukturellen Probleme sind offenkundig. Der Modernisierungsprozess stockt (auch wegen US-Handelspolitik). 2018 dürfte die Wirtschaft nur um 6,5% wachsen. Eine Abwertung des Renminbi ist wenig wahrscheinlich, weil sie eine Kapitalflucht verursachen würde.  "Was sich in den vergangenen Wochen erwiesen hat, ist, wie sehr Asien im Zentrum der Weltwirtschaft steht. Wir gehen davon aus, dass das globale Wachstum moderat bleibt", Christine Lagarde, IWF-Chefin, im September 2015. "Mit der Abwertung des Renminbi folgt die chinesische Notenbank dem Druck der Märkte", Zhou Xiaochuan, Notenbankchef Chinas, im August 2015 zu den Abwertungen drei Tage hintereinander.

Wachstumseffekte der Digitalisierung: Nach einer Prognose der Weltbank wird die Digitalisierung das Wirtschaftswachstum beschleunigen. Die etablierten Volkswirtschaften können den Wert ihrer produzierten Güter und Dienstleistungen bis 2030 nur langsam steigern: USA 24%, Deutschland 17%. China dagegen soll auch dank Automatisierung bis 2030 noch einmal um 85% zulegen. Andere Experten sprechen von 25%. Damit hätte das Land dann die größte Volkswirtschaft der Welt. Spätestens aber 2049 (100 Jahre Volksrepublik) dürfte China mit Sicherheit die führende Wirtschaftsmacht der Erde sein und das von China dominierte Asien der wichtigste Erdteil der Welt sein. Die großen Strategien "Made in China 2025" und "Belt and Road"  sind langfristig angelegt. Vgl. auch: Sieren, Frank, Zukunft? China!, München 2018, S. 59ff. Vgl. auch: Meier, Christian: Grüße vom Großen Bruder, in: Welt am Sonntag, Nr. 13, 31. März 2019, S. 14. Sommer, Theo: China First, München 2019, S. 169ff. Die entscheidende Frage ist, sind diese Effekte größer als die Folgenden?

Überkapazitäten in der Schwerindustrie 2019: Massive Überkapazitäten treten in der Grundstoff- und Stahlindustrie auf. Diese überschüssigen Erzeugnisse sollen mit Macht auf die Weltmärkte (direkt über Exporte, indirekt über die Seidenstraße-Initiative). Das geht aber aus den oben genannten Gründen nicht mehr so einfach. Deshalb belasten die Probleme die Verlagerung von Kapital und Arbeitskräften zu neuen Dienstleistungsbranchen (Strukturwandel). Erstens werden im Überlebenskampf Unternehmen (Staatsunternehmen) und Banken (faule Kredite) vom Staat unterstützt. Zweitens verzögert das die China 2025-Strategie. Drittens kann die Regierung nicht mehr so einfach abwerten. Mit Kapitalverkehrskontrollen und Devisenmarktinterventionen stemmt sie sich sogar dagegen. Denn ein schwächerer Renminbi erschwert die Rückzahlung der in ausländischer Währung aufgenommenen Anleiheschulden (die Erträge werden überwiegend in heimischer Währung erzielt). Vgl. Langhammer, Rolf J.: Das wird keine sanfte Landung, in: WiWo 24, 7.5.2019, S. 43. Wenn man diese beiden letzten Abschnitte auf den Punkt bringen will, könnte man Folgendes resümieren: Langfristig wird China nicht aufzuhalten sein und die Führungsrolle in der Welt übernehmen. Kurz- und mittelfristig werden Strukturprobleme und die US-Handelspolitik diese Entwicklung hinauszögern. Sie haben auch Einfluss auf Staaten, die mittlerweile in einem engeren ökonomischen Zusammenhang mit China stehen, so wie Deutschland. Vgl. auch: Reccius, S./ Fischer, M./ Petring, J./ Heissler, J./ Böll, S./ Schnaas, D.: Rote Zone, in: WiWo 45, 25.10.2019, S. 17ff.

Exkurs: Corona und China: Das Volumen des Konjunkturprogramms 2020 ist nur ein Drittel des Programms von 2008. Die privaten Konsumenten dürften eher Zurückhaltung üben (Angst vor Job- und Einkommensverlusten, Niveau der Immobilienschulden beflügeln die Sparneigung). China steht weiterhin unter starkem Druck der USA. Die Bedeutung des Staatssektors wird steigen. Handelspartner  dürften ihre Lieferketten überprüfen und abspringen. Die Renditen der Staatsanleihen (von  westlichen Ländern) sinken, weil die westlichen Zentralbanken ihre Kredite weiter ausdehnen.  Vgl. Langhammer, Rolf: Sechs Gründe, warum China die Weltwirtschaft (diesmal) nicht retten kann, in: WiWo 31/ 24.7.20, S. 41.

Viele Vorprodukte, die deutsche Unternehmen benötigen,  kommen mittlerweile im elektrischen Bereich aus China (Halbleiter, Transistoren, Schaltelemente). Auch der Maschinenbau bezieht viele Vorprodukte aus China. Andererseits ist China ein wichtiger Absatzmarkt. Für die deutsche Automobilindustrie (BMW, Daimler, VW) ist China inzwischen der wichtigste Markt. Sie haben auch Produktionsstandorte dort. China scheint sich schnell zu erholen. Entweder, weil sie die Epidemie besser im Griff haben, oder weil die Regierung der Bevölkerung größere Risiken zumutet (hierzu haben wir nicht genügend Infos). Dies ist für Deutschland von Vorteil. Vgl. Hans-Werner Sinn: Der Corona-Schock. wie die Wirtschaft überlebt, Freiburg, Basel, Wien (Herder) 2020, S. 20

 Im August zeigen sich die wichtigsten chinesischen Einkaufsmanagerindizes erholt (NBS Industrial Production, China Caixin Manufact. PMI; Quelle: National Bureau of Statistics of China). Die Kauflaune kommt langsam zurück. Im 2. Quartal 20 wuchs die Wirtschaft um 3,2% (so wenig wie seit 1976 nicht mehr, aber vermutlich mehr als in jedem anderen Land der Welt). Über das ganze Jahr 2020 wächst das BIP um 2,3% (durch Staat, hohe Neuverschuldung; 4 Quartal +6,5%; Quelle: NBSC).

Das Land wird diesmal wohl als Retter der Weltwirtschaft ausfallen. Hauptschuld daran hat der Konflikt mit den USA im Handel. Hinzu kommen Emissionsauflagen und schwächelnder Binnenkonsum. Außerdem ist heute die Verschuldung höher als bei der letzten Krise und der Bedarf an Investitionen in der Infrastruktur ist nicht mehr so riesig. Vgl. Mattheis, Philipp: Wettet nicht auf China, in: Capital 09/2020, S. 68ff. Nicht nur in den USA hat ein Umdenken eingesetzt (Hongkong, Xinjiang, Taiwan-Politik, Subventionen der Staatsunternehmen, aggressives Auftreten beim Technologietransfer).

Relativ gesehen dürfte China trotzdem aber der Gewinner der Corona-Krise sein: Für 2020 gibt es +2,3% Wachstum des BIP (siehe oben). Die Konkurrenten haben alle Negativwerte: USA -4,3%; Deutschland -5,0%; Euro-Zone -8,3%. Quelle: IWF, SRW. Global sinkt die Wirtschaft um über -4%. Ende 2020 lautet die Prognose für die Ablösung der USA als weltgrößte Volkswirtschaft 2028 (vielleicht schon etwas früher), allerspätestens 2035. Im März 2021 gehen die Exporte sprunghaft nach oben: 30,6% im Vergleich zum Vorjahresmonat (wachsen im achten Monat in Folge). Die Importe wachsen sogar um 38,3%. Deutschland profitiert im Besonderen von dieser Entwicklung.  Im 1. Quartal 2021 steigt das BIP um +18,3% an. Das ist das stärkste Wachstum in einem Quartal seit 30 Jahren. Vor allem der Export explodiert (siehe oben, Waren der Medizintechnik und für Homeoffice). Für 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von +8,4% erwartet (Schätzung Statistikamt). Die USA rechnen mit 6,4%. Vgl. auch: Lantau Group (2021), China watching brief: 2021 Measures to Accelerate and Deepen Power Sector Reforms Announced in China, November 2021. https://www.lantaugroup.com/file/brief_china_power_sector_oct21.pdf (9).

China wird sicher nicht mehr die Rolle halten können, die es drei Jahrzehnte gespielt hat als Treiber der globalen Konjunktur. Es könnte im schlimmsten Falle sogar zu einer Bremse werden (Corona birgt noch viele Risiken). Die Unternehmen müssen sich mit dem Risiko vertraut machen und ihre Strategien darauf abstellen (siehe ausführlich dazu oben). Hinzu kommt, dass langfristige "nationale Interessen" (sprich strategische) immer Vorrang in China haben vor kurzfristigen ökonomischen Profit-Interessen. Vgl. auch Rürup, Bert: Ein Risiko für die Weltwirtschaft, in: HB Nr. 20/ 28.29.30.1.22, S. 12.

China und Russland haben aber gemeinsame Interessen. Sie wollen eine neue Weltordnung. Die jetzige Weltordnung ist vor allem von den USA und dem Westen geprägt (G7, WTO, IWF). Sie sehen den Westen im Niedergang und den Osten im Aufwind. Sie haben auch das gemeinsame Ziel, die USA jeweils zu verdrängen: aus Europa und aus Ostasien/ Westpazifik. Dann können sie vielleicht wieder Eingliederungen vornehmen. die sie in ihren Träumen auf lange Sicht anstreben (Taiwan, Ukraine).  Vgl. Nass, Jörg/ Thumann, Michael: Wem gehört die Zukunft? in: Die Zeit Nr. 6, 3. 2.22, S. 3. Die Expansionspolitik der Nato treibt die beiden Großmächte China und Russland enger zusammen und festigt ihr Zweckbündnis (das kommt auch bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking zum Ausdruck, wo Putin als zweiter Staatschef neben Xi anwesend ist). China billigt den Einmarsch Russlands in die Ukraine und schaut genau auf die Wirkungen der Sanktionen der USA, EU und G7.  Es ist eine ideale Generalprobe für Taiwan. Xi hat mit Putin einen Partner gefunden, der das westliche Bündnis destabilisieren und den strategischen Fokus der USA von China ablenken kann. Vgl. Roach, Stephen: Amerika ist am Lenkrad eingeschlafen, in: WiWo 9/ 25.2.22, S. 41. Wenn Russland und China in Zukunft noch enger zusammenrücken, entsteht eine neue Weltordnung mit wieder zwei Blöcken. China könnte im Wirtschaftsboykott des Westens gegen Russland mit Kapital, Waren und Know-how aushelfen. Die entscheidende Frage ist, ob beide das wirklich wollen. China ist schließlich  der viel stärkere Partner der beiden. Russland müsste gefügig sein und nur noch Rohstoffe und Energie an China liefern (es gibt auch Gebietsansprüche in  Sibirien von China an Russland). Auf dem Nationalen Volkskongress 2022 wird nur noch mit 5,5% Wirtschaftswachstum 2022 gerechnet (die Militärausgaben sollen um 7,1% steigen). Die Welt weiß, dass Xi der Einzige sein dürfte, der Putin stoppen kann. Der Schulterschluss kostet China viele Sympathien in der Welt. China steckt in einem Dilemma: Ökonomisch braucht man die EU dringend, um seinen Wohlstand zu mehren. Politisch ist es wichtig, noch ein totalitäres Regime neben sich zu haben. Die Wachstumsprognosen für 2022 müssen immer weiter nach unten korrigiert werden (unter 5%, allein Shanghai hat 3,8% zum BIP beigetragen 2021, die Lockdowns schaden schwer). Die Auswirkungen der chinesischen Lockdowns wegen Corona werden die Weltwirtschaft auf Monate belasten. Insbesondere, weil der wichtige Hafen in Shanghai so gut wie geschlossen ist. Shanghai ist der größte Container-Hafen der Welt. Der Stau dort setzt sich fort (auch vor allem Zeit versetzt in Hamburg) und treibt die Preise in die Höhe. Die Null-Covid-Strategie ist eine Wachstumsbremse (Einzelhandel und Industrie weit hinter den Erwartungen). Obwohl die Notenbank die Leitzinsen auf 2,75 % im August 2022 senkt, sind die Kapitalkosten nicht das Problem, sondern die Nachfrage (Vorhersagbarkeit, Vertrauen). Im Januar 2023 dreht man die Strategie um 180 Grad. Null-Covid wird aufgegeben, die Infektionszahlen schnellen in die Höhe.

Die alte westliche ökonomische Weltordnung mit G7, IWF und WTO hat an Macht verloren. Asien bildet seine eigenen Integrationen  (Asean, Apec, SCO). Indien, Brasilien, China, Süd-Afrika und Russland haben dazu noch ihre BRICS - Gruppe und nehmen aufeinander Rücksicht. Der Westen sollte offensiv seine Werte vertreten, aber nicht arrogant. Der Aufstieg eint Asien. Der Pragmatismus ist stärker als man bei uns oft vermutet. Kommunismus und Konfuzianismus sind Mittel zum Zweck, wenn sie bei Xi auch klar eine größere Rolle spielen. Wir sollten offener in den Wettstreit gehen und durchaus auch fragen, was wir von China lernen können. China hat sein strategisches Ziel immer offen gelegt: Spätestens im Jahre 2049, wenn die VR 100 Jahre alt wird, will das Land ökonomisch, militärisch und politisch die führende Macht in der Welt sein und auch mit Taiwan vereint sein).  Im ersten Quartal 2023 erholt sich die Wirtschaft überraschend schnell. Das Wachstum liegt bei 4,5%, die Exporte steigen sogar um 14,5%. Doch dann mehren sich dei wirtschaftlichen Krisensignale: Alle Motoren stottern. Zielvorgaben sind gefährdet. Das Wachstum von 5% ist nicht sicher. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht einen Rekord. Vgl. NZZ 19.7.23, S. 18.

2023 kommt ein Konjunkturpaket, das im Umfang und der Wirkung schwer einzuschätzen ist. Ende Juli 23 präsentiert der Staatsrat 20 neue Einzelmaßnahmen. Es ist ein Konsumpaket. Gefördert werden soll der Kauf von Elektroautos, Ausgaben im Tourismussektor, im Wohnungsmarkt. Die Shopping-Infrastruktur soll ausgebaut werden. Experten sind skeptisch.    Es gibt zahlreiche Begrenzungen: qualitatives Wachstum (Unabhängigkeit), nicht unbegrenzte Mittel durch hohe Staatsschulden, Abkehr von der Schwerindustrie. Trotzdem bleibt China in den Jahren 2023 bis 2028 ein Motor der Weltwirtschaft. Der Anteil am Wachstum der Weltwirtschaft dürfte bei 22,6% liegen. Kaufkraft bereinigt hat China 2022 schon den höchsten Anteil am globalen BIP (18,48% vor USA 15,57, Indien 7,25; Quelle: IMF) . Trotzdem dürfte China nicht der Retter sein wie nach der letzten großen Finanzkrise 2009 und 2010. Im Juli 2023 bricht der Export um -14,5% ein (schwache Nachfrage aus den USA und Europa). Auch die Inlandsnachfrage sinkt (Importe -12,4%). Es werden immer weniger Wohnungen verkauft und immer mehr Unternehmen kriseln (2023 Country Garden). Der immobilienmarkt ist ziemlich kaputt. Die Schuldensituation belastet, ebenso wie die Demographieprobleme. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt weiter über 20% (sie darf dann nicht mehr bekannt gegeben werden). Ein Drittel der privaten Unternehmen haben in den ersten Quartalen 23 Verluste gemacht. China verliert an Bedeutung, doch der China-Boom ist noch nicht zu Ende. Aber die fetten Jahre sind eindeutig vorbei. Vgl. auch: Alvarez, S. u. a.: Crashtest für China, in: WiWo 34/ 18.8.23, S. 27ff.

Grundsätze für die wirtschaftliche Entwicklung: Beim so genannten dritten Plenum legt Chinas Parteispitze traditionell im Oktober oder Anfang Dezember die Grundsätze für die wirtschaftliche Entwicklung fest. Doch im Dezember 23 gibt es immer noch keinen Termin. Das Treffen hat eine große Tradition. Zuerst verkündete Deng Xiaoping 1978 seine Reform- und Öffnungspolitik. Experten sind sich uneins über den fehlenden Termin: Dissens in der Parteiführung oder zu große Machtfülle von Xi. Die fehlenden Leitlinien verunsichern allerdings Investoren. Vgl. HB 19.12.23, S. 13. Fragilität scheint die neue Normalität zu sein. Das Wachstum ist nicht zu Ende, aber es ist weniger steil und langsamer geworden. Wahrscheinlich kann China 2024 nicht die großen Konflikte entschärfen, die die USA binden und gegen China aufbringen (Ukraine, Gaza, Nordkorea). Vgl. HB 1/ 02.01.24, S. 12f. Unsichere globale Konjunkturaussichten lasten auf der Stimmung. Chinas Industrie ist weniger zuversichtlich. Quelle: Caixin Insight Group und FAZ 3.1.24, S. 17. Damit muss das Land im Zweikampf mit den USA seine angestrebt Führung in der Welt auf viele Jahre später verschieben. Man pendelt sich wieder eher auf 2049 ein (100 Jahre VR China). Vgl. Petring, Jörn: Der Zweikampf, in: WiWo 1/2, 24, 5. 1., S. 40f.  Im Jahre 2023 beträgt Chinas Wirtschaftswachstum 5,2% (Aufholjagd zum Jahresende; Wachstumsziel der Regierung war 5,0%; Li Qiang sagt 2024 in Davos: keine "massiven Anreize"; 2022 nur 3,0%: schwache globale Nachfrage, Null-Covid).

Aktuelle Politik und wirtschaftliche Dynamik in China: 1. 2024 Setzt die Regierung auf "proaktiven fiskalpolitischen Stimulus und umsichtige Geldpolitik". Man will 2024 5% Wirtschaftswachstum erreichen. 2. Die kurzfristigen antizyklischen Maßnahmen lösen nicht die langfristigen Strukturprobleme. 3. Die Regierung konzentriert sich immer stärker auf die innere Sicherheit. Am meisten Sorge bereitet aber die Produktivität der Wirtschaft. Die Bevölkerungsentwicklung ist ungünstig, Innovationen werden durch eine Flut von Regulierungen erstickt. Es droht eine ökonomische Sackgasse. Vgl. Roach, Stephen: Cinas ökonomische Sackgasse, in: WiWo 9/ 24.2.24, S. 40.

Exkurs: Soziale Medien und Zensur bzw. Boykottaufruf. Große Plattformen wie Twitter und Facebook kann man in China nicht nutzen. Google und Wikipedia können nicht aufgerufen werden. Die chinesische Führung argumentiert zweigleisig: Einmal will man die Dominanz der sozialen Medien des Konkurrenten USA brechen. So gibt es immer "Gegenunternehmen" zu denen der USA. Zum anderen will man mit einem umfangreichen Überwachungsapparat mögliche Gegner kontrollieren. Deshalb werden auch eigene Plattformen wie TikTok unter die Lupe genommen. Man kann sich auf das Cybersicherheitsgesetz von 2017 berufen. Dei Sozialen Medien müssen danach ihre Inhalte auf Gesetzeskonformität überprüfen und illegale Inhalte löschen (kontrolle bei den privaten Firmen). Allein bei Bytedance (die Firma hinter TikTok) arbeiten 50 Software-Ingenieure an diesem Thema. Zusätzlich zum technischen Team gibt es 20.000 Moderatoren, die auf der untersten Ebene entscheiden. Es wird auch eine "Kochtopf-Metapher" vermutet. Das heißt, die Zensuren lassen immer einen bestimmten Teil an unbequemen Informationen zu (Beispiel Corona und Wuhan, Ablassen öffentlichen Frusts). Vgl. Kretschmer, Fabian: Wie Zensur in China funktioniert, in: Rheinpfalz 4.3.2021. Ende 2021 kommt es zu Boykottaufrufen gegen Musk in den sozialen Medien Chinas. Vor einiger Zeit kollidierten zwei Satelitten von SpaceX (Firma von Musk) fast mit der chinesischen Raumfahrtstation "Tiangong" (Himmlischer Palast). Die Station musste zweimal ihren Kurs ändern. Musk verkauft jeden vierten Tesla in China. Man darf gespannt sein, wie der Boykott wirkt.

32. Neues Wachstumsmodell für China: Es betrifft die Zukunft des Landes. Die Kommunistische Partei Chinas scheint zu glauben, sich angesichts ihres Macht- und Kontrollapparats mangelndes Wirtschaftswachstum leisten zu können, ohne die politische Stabilität zu gefährden (die Verteilung wird ungerechter werden). Bisher basierte das Wachstum stark auf allen Arten von Investitionen in Infrastruktur und Immobilien.  Jahrzehntelang funktionierte das gut (sogar Überinvestition). Der Immobiliensektor macht heute 30% der Wirtschaft aus. 2021 stand aber fast ein Viertel aller Wohnungen leer.

Exkurs. Wachstum der chinesischen Wirtschaft: 2023 wuchs das BIP nach offiziellen Angaben um 5,2%. Der Grund dafür waren allerdings auch Basiseffekte. 2022 standen weite Teile Chinas noch unter Corona - Lockdown, bei vielen Firmen stand der Betrieb still. Mache Experten glauben auch, dass die Zahlen geschönt sind (vgl. meinen Artikel über die Statistik in China auf der Seite "method"). Auf dem Nationalen Volkskongress im März 2024 gibt Premierminister Li Qiang wieder "rund 5%" als Wachstumsziel für das aktuelle Jahr an. Auf substantielle Konjunkturspritzen will man verzichten. Das Haushaltsdefizit soll gemäß den Planungen bei 3% liegen. Um die Investitionen anzukurbeln, will Peking eine weitere Anleihe mit einem Volumen von 137 Milliarden Dollar begeben. Die Transfers an die hoch verschuldeten Lokalregierungen sollen geringfügig gesteigert werden. Die schwache chinesische Währung Reminbi engt den Spielraum der chinesischen Zentralbank für Zinssenkungen ein. Das neue Wachstumsziel liegt deutlich über dem prognostizierten Wert des IWF (3-4%). Im Zuge der geopolitischen Spannungen dürfte der Exportsektor kaum für Wachstumsimpulse sorgen. Die Anleger (Hang-Seng, Shanghai) zeigen sich enttäuscht von Lis Vortrag. Nach Ansicht von Xi, der alles in der Hand hat, befindet sich die Wirtschaft in einer "mehrjährigen schmerzhaften Umbauphase". Xi strebt eine "Entwicklung mit hoher Qualität" an (ohne Spekulationen, Schulden, und Überinvestition). Davon geht aber kein Produktivitätsschub aus. Das Verteidigungsbudget wird um 7,2% angehoben. Li ging nicht auf die nationale Sicherheit und Taiwan ein. Vgl. NZZ, 6. März 2024, S. 1. Xi verweigert ein Konjunkturprogramm. Chinas Volkskongress geht ohne Wachstumsimpulse zu Ende. Er will sogar Maßnahmen drosseln, etwa Investitionen in Infrastruktur und Immobilien. Das soll eine Abkehr vom "fiktiven Wachstum" sein. China müsse einen "langen Atem beweisen". Beim Militär fordert Xi eine "neue Qualität der Kampfkraft". Vgl. Gusbeth, Sabine: Xi Jinpings "bittere Medizin" für China, in: HB 12.3.24, S. 6f.

Heute geht es für die Zukunft um einen Strukturwandel, wo die riesigen , aber zunehmend unproduktiven Investitionen, durch produktivere ersetzt werden und damit durch Produkte und Produktionsprozesse mit hoher Wertschöpfung. Es gibt aber kurzfristig kaum ausreichende hochproduktive Alternativen. Der Hightech-Sektor macht maximal 10% des BIP aus. Die Konsumquote, der Anteil der privaten Haushalte am BIP, muss also größer werden. Das erfordert aber eine stärkere Umverteilung der Einkommen, eine  stärkere Beteiligung der privaten Haushalte an der Wirtschaftsleistung. Der Anteil der Löhne am BIP müsste höher werden, der Einkommens - Anteil der Unternehmen müsste geringer werden. Hier sind insbesondere die Staatsunternehmen und die öffentlichen Verwaltungen zu erwähnen.

Eine höhere Konsumquote setzt einen Rückgang der Sparquote voraus, die in China - wie auch in anderen asiatischen Ländern - traditionell hoch ist. Sie muss auch hoch sein für Wohnungen, Alter , Krankheit, Arbeitslosigkeit und Kinder. Böte der Staat höhere Renten und Sozialleistungen an, würde erst die Sparquote sinken.

Andere Experten sehen durch neuere Beschränkungen im privaten Bereich einen großen Vertrauensverlust gegenüber der Politik. Unter Xi wurden zahlreiche drastische Regulationen etwa im IT - Sektor und direkte Passkontrolle weit in den Privatsektor vorgenommen. Hinzu kamen die Covid - Einschränkungen. Vertrauen ist autoritär kaum steuerbar.  Einigen in der KPCh dürfte diese Problemlage klar sein.

China braucht ein neues Wachstumsmodell. Der Erfolg von Deng in der Aufbauphase basierte einst auf der großen Lernfähigkeit und dem Pragmatismus der Partei. Das scheint sich heute geändert zu haben. Es wird wohl zu einer dauerhaften Wachstumsverlangsamung in China kommen. Darauf muss sich die Weltwirtschaft einstellen. Ob China selbst ohne eine prosperierende Wirtschaft auskommt, wird sich noch erweisen. Vielleicht hat Xi zu hoch gepokert.   Vgl. auch Hotz-Hart, Beat: China braucht ein neues Wachstumsmodell, in: NZZ, 28.2.24, S. 16 (der Autor ist Professor für VWL an der Uni Zürich).

Anfang 2024 versucht China, Industriegüter im Überfluss zu produzieren und auf dem Weltmarkt loszuwerden. Das bedeutet harte Konkurrenz. Neue Handelskonflikte drohen. Bei Investitionen muss man sich immer mehr zurückhalten. China hat ein Schuldenproblem. Vgl. Fahrion, Georg/ Giesen, Christoph: Die Welt ist nicht genug, in: Der Spiegel 10/ 2.3.24, S. 58ff.

"Das politische Modell Chinas ist eine große Schöpfung und ein Modell für andere Staaten", Xi Jinping auf dem Volkskongress 2017 in der großen Halle des Volkes in Peking. Die Rede von Xi gilt als Zeitenwende im Kurs der Volksrepublik. Das Zitat ist der Kern der Rede. Vgl. sehr kritisch dazu: Görlach, Alexander: Alarmstufe Rot, Hamburg 2022.

"China braucht uns nicht, aber wir China", Wolfgang Röhr, ehemaliger Generalkonsul von Shanghai, jetzt Lehrauftrag an der Tongji-Uni. Quelle: Focus 5/2019, S. 56. Dieser Satz, der die Ökonomie beschreibt, wird in der Position der EU gegenüber den USA und China eine große Rolle spielen.

Literaturtipps: Die meiste Literatur wird im Text angegeben. Weitere: Dikötter, Frank: China nach Mao, Stuttgart 2023.. Pan Wei: The China Model: A New Interpretation of Sixty Years Peopl`s Republic. Zhang Weiwei: The China Wave: Rise of a Civilizational State.

 

Ökonomische Analyse der Flüchtlingskrise (Globale Migration, Migrationsökonomik, Migrationspolitik, Migration aus Krisengebieten und aus Afrika und in Südamerika, Integration):

"Die Herausforderung ist viel größer, als wir sehen und sehen wollen. Es wird zu wenig getan", Christine Lagarde, IWF-Chefin zur Flüchtlingskrise 2016 (Ende 2019 wird sie Chefin der EZB).

Das Foto links ist von einem Symposion zur Flüchtlingskrise im April 2016 in der HWG Lu, W. Krämer bei seinem Vortrag. Das Thema war 2016 in Deutschland sehr virulent, weil 2015 die deutschen Grenzen geöffnet worden waren und über 1 Million Menschen nach Deutschland strömten. Dieses Ereignis hat die politische Landschaft in Deutschland und der EU direkt und indirekt stark beeinflusst und wirkt immer noch nach. Kriege in Vorderasien und Afrika, aber auch das große Wohlstandsgefälle zu Afrika, halten das Thema für die nächsten Jahre virulent. Die Lage spitzt sich dann wieder 2022 zu mit der hohen Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine (über 1 Mio.). Wohnungsmarkt und Infrastruktur sind stark belastet.

"Der Mensch wandert und flüchtet, seit es ihn gibt", Hans Magnus Enzensberger, 1992 (Die große Wanderung, Frankfurt 1994 (Suhrkamp). Die Zuwanderung lässt sich seiner Meinung nach nicht stoppen.

Man spricht auch von Migrantenökonomik bzw. Migrationsrentabilität (eigentlich ein Unwort). Sie ist schwierig zu berechnen. Am Beispiel Japans haben wir das mal versucht. Man kann nur erstmal grob die Faktoren beziffern, die eine Rolle spielen. Die Wohlfahrt wird durch Arbeitsmigration im Zielland nicht in jedem Falle gesteigert. Die Wanderer haben die Industrieländer als Ziel. Dort locken sie auch die hohen Löhne. Sie kommen aber auch in die Sozialsysteme. Sie verbessern dadurch ihre eigene Position, verschlechtern aber die Lage der Steuerzahler im Zielland. Je größer das Transfersystem eines Landes ist, desto attraktiver wird es für Migranten (Selbstselektion). Die Migranten benutzen und beanspruchen zusätzlich das Eigentum der indigenen Bevölkerung: Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Justizwesen (sie treten teilweise in Wettbewerb, sie konkurrieren am ehesten mit den gering Qualifizierten und Armen). Diese Infrastruktur wurde mit Mitteln der Steuerzahler geschaffen und wird von ihnen unterhalten. Also muss ein Land aufpassen. Z. B. wäre eine Karenzzeit beim Zugang zu den Sozialsystemen eine Möglichkeit. 2015 wächst die deutsche Bevölkerung durch Zuwanderung um ca. ein Prozent. Das ist historisch und im internationalen Vergleich eine extrem hohe Zahl. Entscheidend dürfte der Zugang zum Arbeitsmarkt sein, damit Kosten von den Migranten selber getragen werden können. Sprachprobleme, Qualifikation und Mindestlohn dürften hier Einfluss haben. Wahrscheinlich spielt auch das Herkunftsland eine große Rolle dabei. Syrer und Eritreer gelten als relativ höher qualifiziert.  Die empirischen Daten sind noch zu ungenau. Zunächst wirkt die Einwanderung wie ein Konjunkturprogramm (Binnenkonjunktur). Die Nachfrage steigt an. In Bildung, Wohnungen und Gesundheit muss dringend investiert werden.

Die beste Form von Investition dürfte aber eine gelungene Integration sein (Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, gewinnen bei erfolgreicher Integration: z. B. Steuerzahler, Nachfrage). Sie besteht aus den Bausteinen "Bildung, Arbeit und Heimat" (Wohnraum, medizinische Versorgung, Sozialsysteme). Erschwert wird die Integration vor allem durch Kriegstraumata der Flüchtlinge und durch das Frauenbild männlicher islamischer Einwanderer, die die größte Gruppe stellen (50% der Flüchtlinge haben posttraumatische Belastungsstörungen; 40% von ihnen sind selbstmordgefährdet). Wichtig ist auch die Qualifikation der Flüchtlinge (Schätzungen sprechen von 70%, die nicht für den Arbeitsmarkt qualifiziert sind). Die Löhne bei einfacher Arbeit dürften unter Druck kommen (entweder legal oder illegal) und die Schattenwirtschaft wird sich ausweiten. Insgesamt wird die Einkommensverteilung in Deutschland, die schon ungleicher geworden ist, noch ungleicher werden (H. - W. Sinn in der ZEIT vom 08.10.15). Im Schnitt sind Flüchtlinge deutlich weniger qualifiziert als Deutsche. Wenn die Qualifikation hoch ist, fehlen oft Deutschkenntnisse oder zumindest Englischkenntnisse. Die Arbeitslosenzahlen werden sicher ansteigen (mit allen entsprechenden Kosten). Neben den Qualifikationsmängeln spielen auch "schwierige institutionelle Bedingungen eine Rolle" (IAB). Der Staatssektor wird sich wieder mehr aufblähen (steigende Transferzahlungen, Personalausgaben der öffentlichen Haushalte). Dafür braucht er aber weiterhin dauerhaft niedrige Zinsen, um die zusätzlichen Schulden bezahlen zu können (es gibt schon Forderungen nach Ausgliederung aus dem Haushalt). Dann drohen Fehlinvestitionen und Wohlstandsverluste (kalte Enteignung). Die rechten Populisten bekommen starken Zulauf und werden die politische Landschaft verändern. Dadurch wird auch die Kriminalität ansteigen (BKA: schon bis Oktober 2015 über 500 Anschläge auf Asylbewerber-Unterkünfte; aber keine Islamisten oder Sympathisanten unter den Flüchtlingen; Problemgruppen eher aus Nordafrika und Osteuropa). Aus vergangenen Einwanderungen wissen wir, dass bei einem großen Männerüberschuss bei Flüchtlingen die kriminellen Delikte ansteigen.

Eine Analyse der vielen historischen Einwanderungswellen in Deutschland zeigt eindeutig, dass ein wirtschaftlich starker Staat, der Arbeitskräfte braucht und dessen Gesellschaft überaltert ist, von Zuwanderung mittelfristig nur profitieren kann. Die Allianz (Versicherungskonzern)  schätzt die Kosten der Flüchtlingskrise bis 2025 auf rund 90 Mrd. €. Der SRW beschäftigt sich in seinem Jahresgutachten 2015 mit der Migrationsrentabilität: Er hält die Zuwanderung insgesamt für positiv und bezahlbar. Entscheidend seien schnelle Asylverfahren und eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt. Die Zuwanderungskosten werden 2015 auf bis zu 8,3 Mrd. € beziffert (2016 maximal 14,3 Mrd. €, bis 750.000 Zuwanderer). Flüchtlinge können aber nur ein- und aufsteigen, wenn der Arbeitsmarkt weiter dereguliert wird. Auch eine bessere Verbindung von Humanität und Ökonomie wäre nicht schlecht (vgl. Die Zeit, Nr. 46, 12.11.15, S. 23/24). Der Mindestlohn könnte Unqualifizierte vom Arbeitsmarkt ausschließen. Der Bau von Flüchtlingsunterkünften, die Einstellung von zusätzlichem Personal und die Bildungsprogramme wirken wie ein kleines Konjunkturprogramm (mit Multiplikator).  Die steigenden Sicherheitskosten (mehr Polizei, mehr Richter; Fanal sind die Vorgänge vor dem Hauptbahnhof in Köln in der Silvesternacht) belasten aber die öffentlichen Haushalte. Eine Karenzzeit für alle Einwanderer (von D. Cameron in GB gefordert) bei den Sozialleistungen könnte die Kosten drastisch senken (Verhinderung der Entstehung eines Migranten - Prekariats). Eine Wohnsitzauflage (Residenzpflicht), wie sie vermehrt gefordert wird, könnte die Folgekosten in den Städten und Ballungsgebieten senken (Vermeidung von Ghettos).

Auf keinen Fall ist Einwanderung für Alle von ökonomischem Vorteil: Einwanderung ist mit Umverteilung verbunden (Lüge der Politik!). Die Verschiebung des ethnischen und kulturellen Gleichgewichts lässt sich nur schwer messen (Indikatoren sind umstritten, z. B. Kriminalität). Asylsuchende in der Schweiz sind verpflichtet, bei der Einreise persönliche Vermögenswerte von mehr als 1000 Franken abzugeben. Mit denen müssen sie sich an den Kosten des Aufenthalts beteiligen (Asylgesetz). Sehr schwer zu berechnen sind die Kosten, die die Grenzkontrollen in der EU für den Handel mit sich bringen. Die Grenzkontrollen dürften verschärft werden und länger andauern. Es gibt Schätzungen, die die Kosten für den Handel mit 10 Mrd. Euro pro Jahr beziffern. Trotzdem dürften Grenzen wieder ein Comeback erleben. Im Februar 2016 zeigt sich zuerst, dass die gesetzlichen Krankenkassen hohe Defizite haben, weil sie nach der Anerkennung Asylbewerber aufnehmen müssen. Über die Sozialversicherungsbeiträge werden die Mitglieder an der Finanzierung indirekt beteiligt.

Eine konsequente Einwanderungspolitik (mit Einwanderungsgesetz auf Qualifikation ausgerichtet)   - wie sie etwa Australien und Kanada betreiben - wäre sicher rein ökonomisch betrachtet die beste Lösung. Schwer zu errechnen ist der Effekt, dass durch Zuwanderer die Wirtschaft besser internationalisiert werden kann. Sprachkenntnisse können erheblich in den Heimatmärkten der Zuwanderer helfen. Die Schweizer Ökonomen Margit Osterloh und Bruno Frey entwickeln eine ökonomische Analogie zur Genossenschaftsidee: Sie wollen Länder mit ihren jeweiligen Sozialsystemen als Genossenschaften begreifen. Wer in ein Land kommen will, muss Anteilsscheine erwerben. Das gilt auch für Flüchtlinge. Rolf Langhammer vom IfW in Kiel ist der Ansicht, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch den Zustrom an Flüchtlingen abnimmt: Die Zuwanderung lässt den Dienstleistungssektor expandieren. Die Exportindustrie wird geschwächt. Vgl. als Quelle: Faßmann, Heinz: Migration - Gefahr oder Potential, in: FAZ, Mo. 27. Juni 2016, S. 6 (der Autor ist Vizerektor der Uni Wien). 2019 macht die Bundesregierung in Deutschland einige Gesetze, die mehr Klarheit in die Migrationspolitik bringen: Ein Einwanderungsgesetz für hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern. Ein Gesetz, das die Abschiebung von Migranten erleichtern soll, die in die Sozialsysteme einwandern (Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber sollen erleichtert werden, verschärfte Regeln). dieser Aspekt ist auch im Koalitionsvertrag der Ampel Ende 2021.

Zur Flüchtlingskrise habe ich im Frühjahr 2016 ein Symposion an der HWG Ludwigshafen durchgeführt. Zu einer ausführlicheren Analyse der Situation vgl. auf dieser Homepage die Seite "special/ Arbeitsökonomik/ Demographie. Die USA haben eine Einwanderungswelle von Staaten aus Mittel- und Südamerika. Die Menschen fliehen vor Gewalt, Armut und Chancenlosigkeit. Europa ist ein attraktives Ziel für Menschen aus Afrika, die aus den gleichen Gründen aus ihren Heimatländern fliehen. Aus Asien kommen durch die Kriege vertriebenen Menschen. Eine bessere Bildung dürfte das Problem nicht verringern, sondern sogar vergrößern. Verbessert werden muss insgesamt die soziale Situation in Afrika. Die CDU veranstaltet im Februar 2019 ein Werkstattgespräch zur Migration. Man einigt sich auf ein Migrationsmonitoring und ein Frühwarnsystem. Abschiebungen sollen beschleunigt werden. Im Jahre 2019 sind erstmals über 70 Mio. Menschen auf der Erde auf der Flucht (Quelle: UN-Flüchtlingskommissar).

Exkurs: Islam und Integration. An vielen Stellen beschäftige ich mich auf dieser Plattform mit dem Islam. Die Spanne reicht von der Auseinandersetzung mit der Religion, die geteilt ist in Schiiten und Sunniten, bis zur sozialen und politischen Zersetzungswirkung in Staaten (UdSSR bzw. Russland, China, Türkei). Was ich für unklug und untragbar halte, ist eine Tabuisierung des Themas. Ich nehme als Beispiel das Buch von Sarrazin "Deutschland schafft sich ab". Zwei Grundthesen in diesem Buch sind diskussionswürdig: Die schwierige Integrationsfähigkeit des Islam und die wesentlich höhere Geburtenrate (z. B. arabische Clans und ihre Rekrutierung). So halte ich auch die Ausschluss-Diskussion in der SPD für völlig falsch. Die schwierige Integration bei islamischen Migranten ist durch viele Studien belegt (Frankreich, GB, Schweden, Dänemark; dazu habe ich mal eine spezielle Veranstaltung gemacht). Auch die verzerrte Darstellung der schiitischen Moslems im Iran (von den USA massiv betrieben, vor allem von einer reinflussreichen Minderheit gefördert) sollte nicht von der Wissenschaft unterstützt werden. Die Wissenschaft hat immer die Grundfunktion der Aufklärung und eventuell der Moderation. Vgl. Sarica, Tuba: Ihr Scheinheiligen. Doppelmoral und falsche Toleranz - die Parallelwelt der Deutschtürken und die Deutschen, München 2018.

Aktuell kommt es zu einer Entlastung bei den Flüchtlingsströmen in die EU, weil man mit der Türkei eine Vereinbarung trifft, dass diese die Grenzen schließt. Sie bekommt dafür viel Geld und verhandelt immer mehr heraus (auch für "Sicherheitszone" zu Syrien). Andererseits erpresst er damit auch die EU, weil sie ihm in Idlib im Kampf gegen Syrien helfen soll (er öffnet die Grenzen für Flüchtlinge). Italien nimmt auf der Insel Lampeduso keine Flüchtlinge aus Afrika mehr auf und verweigert den Rettungsschiffen die Anlandung. Einige wenige Länder der EU, die Flüchtlinge aufnehmen wollen (vor allem Deutschland, Frankreich, Italien, Malta, Irland, Luxemburg) versuchen, sich auf Quoten zu einigen. Griechenland verschärft die Asylverfahren: Sie sollen beschleunigt werden und nicht kooperierende Migranten sollen ausgewiesen werden. Die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern ist dramatisch (Flüchtlinge werden auf Festland gebracht). Ein weiteres Land, das Ströme von Flüchtlingen aus Afrika hat, ist Spanien. Spanien hat seine Exsklaven in Afrika abgeschottet. Die Aufnahmepolitik ändert sich häufig. Die EU betreibt keine Seenotrettungsschiffe mehr im Mittelmehr, diese werden von NGO` s betrieben, die Probleme haben, Aufnahmeländer zu finden. Im Laufe des Jahres 2019 kommen wieder mehr Flüchtlinge in Europa an. Vor allem steigen die Zahlen aus der Türkei nach Griechenland (Quelle: Frontex). Im Mittelmeer Gerettete 213 Flüchtlinge werden erstmals in einer Zusammenarbeit von Deutschland, Frankreich, Italien und Malta im November 2019 verteilt. Ende Februar/ Anfang März 2020 öffnet die Türkei die Grenze zur EU. Der türkische Staatschef Erdogan sagt, die Ära der "einseitigen Opfer" seines Landes in der Flüchtlingsfrage sei zu Ende. Er fühlt sich im Krieg gegen Syrien/ Idlib von der EU und der Nato im Stich gelassen. Griechenland und Frontex machen die Grenze dicht (lassen keine Flüchtlinge hinein, bringen Eindringlinge zurück). Nato-Stacheldraht, Tränengas, Schüsse sollen die türkisch-griechische Grenze sichern. Die Bundesregierung pocht auf eine europäische Lösung bei der Aufnahme von Flüchtlingen (unbegleitete Jugendliche). Wenn eine europäische Lösung kommt, will sie aus griechischen Lagern 1500 unbegleitete Kinder unter 14 Jahren aufnehmen. Griechenland will den Grenzzaun zur Türkei ausbauen. Durch die Corona-Krise, die alle EU-Länder hart trifft, werden die Ressourcen auf das Gesundheitssystem konzentriert und die Flüchtlinge sind erst mal vergessen. Außerdem werden die EU-Außengrenzen wegen Corona geschlossen. Deutschland und Frankreich scheinen sich überdies mit der Türkei geeinigt zu haben, so dass Erdogan auch wieder die Grenze zu Griechenland schließt. Die Corona-Krise drängt das Flüchtlingsproblem in den Hintergrund. Auch schon beschlossenen Maßnahmen werden auf eis gelegt. Der EuGH entscheidet am 2.4.20, dass Polen, Tschechien und Ungarn EU-Recht gebrochen haben, als sie keine Flüchtlinge aufnahmen. Ungarn wird zusätzlich für seine pauschalen Abschiebungen angeprangert.  Das könnte Konsequenzen mit der Kürzung von Fördermitteln haben. Covid-19 bricht im April 2020 auch intensiv in den griechischen Flüchtlingslagern aus. Moria auf Lesbos wird unter Quarantäne gestellt. Das Virus kann dramatische Folgen haben. Deutschland nimmt im April 20 unbegleitete Kinder auf (zuerst 50, dann mehr). Neun andere EU-Staaten sind ebenfalls bereit, unbegleitete Kinder aufzunehmen. Vgl. auch: Hardinghaus, Barbara/ Smoltczyk, Alexander: Geschafft in Haßloch, in: Der Spiegel Nr. 29/ 11.7.2020, S. 58ff. Weil Haßloch das demographische Abbild der Bundesrepublik ist, wird hier die These von Angela Merkel "Wir schaffen das" überprüft. 2020 war die Anzahl der Asylanträge in Deutschland rückläufig (Januar bis Oktober 57.200; Statistisches Bundesamt). Die Flüchtlingsströme nach Europa ändern ständig ihre Wege. Nachdem der Balkan und auch das Mittelmeer relativ geschlossen sind, kommen immer mehr Menschen über den gefährlichen Atlantik auf die Kanarischen Inseln. In Bosnien irren Hunderte Migranten obdachlos umher, da sie niemand aufnehmen will. Griechenland verstärkt immer mehr seine Grenzsicherung, vor allem am Evros (hier werden auch Schallkanonen eingesetzt). 2022 verändert der Einmarsch Russlands in die Ukraine radikal die Flüchtlingspolitik der EU: Man rechnet mit vielen Flüchtlingen aus der Ukraine. Die Bundesländer in Deutschland bereiten sich auf die Aufnahme von Menschen vor. Bis Mitte März 2022 sind schon fast 150.000 Flüchtlinge in Deutschland registriert. Fast 2,5 Mio. Menschen sind bis Ende März 2022 aus der Ukraine geflohen, hauptsächlich jüngere Frauen mit Kindern. Die meisten Flüchtlinge nimmt Polen auf. Zusätzlich steigt die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien, der Türkei und Afghanistan  stark an. Die Kommunen in Deutschland sind an der Belastungsgrenze.  Ende 2020 sind weltweit mehr als 80 Mio. Menschen auf der Flucht. Sie fliehen vor Krieg, Gewalt und Hunger. Quelle: UN-Flüchtlingshilfe (UNHCR) 2020. Immer mehr Migranten versuchen, die Wasserstraße von Frankreich in Richtung Großbritannien zu überqueren. Die Einreise entscheidet über Asyl. Unter ihnen sind auch Flüchtlinge, die über Belarus gekommen sind. Die Kontrollen werden verstärkt. Frontex hat in den letzten 6 Jahren (von 2021 aus) über 800.000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet.

Flüchtlinge aus der Ukraine: Hunderttausende Menschen fliehen aus dem Land. Es sind vor allem Frauen und Kinder. Die EU gewährt eine dreijährige Aufenthaltszeit mit Antrag, ohne für ein Jahr. Bis Ende Februar 2022 sind schon über 600.000 im Ausland oder auf dem Weg dazu. Die Zahl übersteigt im März 22 über eine Million, Mitte März 2,5 Mio. im April ca. 4 Mio. (ohnr Binnenflüchtlinge) Moskau und Kiew vereinbaren "humanitäre/ "grüne" Korridore", durch die die Menschen fliehen können. Alle Länder der EU sind bei der Aufnahme solidarisch. Die Flüchtlinge gehen nach Russland, Belarus, bleiben im Land in anderen Regionen, Moldau, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Polen (nimmt die meisten auf), andere EU-Länder, vor allem Deutschland. Putin hat die Absicht mit der Zerstörung der Ballungszentren Flüchtlingswellen auszulösen, die die EU destabilisieren sollen. Die Bundesregierung versucht, 2022 viele Fehler von 2015 zu vermeiden: Integration und Sprache werden direkt gefördert. Arbeit und Vermittlung werden sofort unterstützt. Kitas und Schulen werden zügig geöffnet. Senioren und Behinderte werden unterstützt. Kranke und Verletzte, auch Corona-Geschädigte, bekommen Hilfe. Die USA wollen bis zu 100.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen. Die EU macht einen Zehn-Punkte-Plan (gemeinsames Registrierungssystem). Die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland dürfte sehr viel Geld kosten. 2930 Euro pro Kopf und Monat kalkulieren deutsche Stadtverwaltungen. Die Infrastruktur, vor allen die Bildungsinstitutionen, werden zusätzlich stärker belastet. Demgegenüber steht ein Nutzen bei des Bekämpfung des Fachkräftemangels. Wahrscheinlich werden die Flüchtlinge selbst in etwa die gleichen Leistungen erhalten wie Hartz - IV - Empfänger. Am 7.4.22 einigen sich Bund und Länder auf folgende finanzielle und formale Lösung: Die Länder erhalten vom Bund 2 Mrd. €. Ab Juni 2022 werden die Ukraine-Flüchtlinge wie anerkannte Asylbewerber eingestuft: Sie erhalten Leistungen nach SGB III (also auch Zugang zur KV und zum Arbeitsmarkt). 400.000 Kinder sind bis Ende April 2022 nach Deutschland gekommen. Das stellt hohe Anforderungen an die Bildungsinfrastruktur.

"Nicht Flüchtlinge sind die Gefahr, sondern Populisten", Charles Taylor, kanadischer Philosoph.

 

Digitale Revolution und Transformation ("The Second Machine Age", vgl. auch die ausführliche Extraseite zur Digitalisierung: Mercator/ digital)

"Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt", William Ford Gibson, Science-Fiction-Autor. "Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance", Victor Hugo.

  Links auf dem Foto ist das James Watt-Denkmal in Glasgow/ Schottland abgebildet. Watt, der Erfinder der Dampfmaschine, studierte und wirkte dort (er war mit Adam Smith befreundet). Die Dampfmaschine löste die erste industrielle Revolution aus (mechanischer Webstuhl, Lokomotive u. a.). Das Internet steht für die heutige digitale Revolution.

1. Definition, Grundlage: Sie verläuft mit exponentieller Geschwindigkeit und basiert auf der Digitalisierung. Sie verknüpft zahlreiche Technologien und betrifft alle Sektoren. Digitalisierung bedeutet auch Automatisierung. Die Wertschöpfung ist mit immer weniger Beschäftigten möglich. Besondere Sorge bereitet die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft. Eine herausragende Bedeutung kommt dem Plattform-Effekt zu: Digitale Unternehmen bauen Netzwerke auf, die Käufer und Verkäufer mit einer breiten Palette von Produkten und Dienstleistungen zusammenführen. Megatrends sind selbst fahrende Kraftfahrzeuge, 3D-Druck, Robotik, neue Materialien. Vgl. Klaus Schwab, Die vierte industrielle Revolution, München 2016. "Nie hat es eine Zeit gegeben, die so große Möglichkeiten und zugleich so große Gefahren bereithielt", Klaus Schwab.

2. Chancen und Risiken: Machtkonzentration und Totalitarismus entstehen durch die Digitalisierung: In der Internetökonomie liegt eine große Gefahr, das Private abzuschaffen und Menschen effektiv zu kontrollieren. Am Anfang steht oft Freiwilligkeit (wie in der Share Economy), dann kommt Profit in der Regel durch Werbung und am Ende Machtakkumulation (alle Informationen über das soziale Leben). Teilweise erhöhen Unternehmen mit diesen Informationen den Druck auf die Menschen (z. B. wenn Versicherungen einen Bonus zahlen, wenn man sein Verhalten kontrollieren lässt). Die Internetunternehmen versuchen auch, an immer jüngere Nutzer heranzukommen. Ein Beispiel ist die Streaming-Plattform "YouNow". Danach muss sich auch die Wettbewerbspolitik neu ausrichten. Sicher gilt in der digitalen Ökonomie zwei Gesetzmäßigkeiten: 1. Information entwickelt sich zum wichtigsten Rohstoff zur Welterschließung ("Informationskapitalismus" löst den "Finanzkapitalismus" ab). 2. Der Mensch selbst wird zur Information und zum Rohstoff. Die Rolle de Menschen verändert sich: Er ist gleichzeitig Datenkonsument und Datenproduzent (große Gefahr der modernen Sklaverei). Er lässt sich aber auch zurichten (Empfehlungen von Streaming - Diensten, Follower). Monopole, insbesondere die aus dem Silicon Valley, gewinnen an Bedeutung (sie werden als Garant des Fortschritts beworben). In der Preisbildung wird das Image immer wichtiger (Beispiel Apple: macht den Preis nicht der Markt). Preise haben früher die wichtigsten Informationen verdichtet, heute verändert Big Data das Spiel.  Informationsdienste - etwa Google - streben eigentlich die Integration aller Marktzugänge an. Digital-industrielle Komplexe ersetzen die Gesetze von Angebot und Nachfrage. Vgl. Douglas Rushkoff, Present Shock, Orange Press, 2015; Yvonne Hofstetter, Sie wissen alles, 2015. Deutschland und Europa haben fast kein Internetunternehmen unter den Top 20 der Welt (SAP Ausnahme). Damit fehlt die Schnittstelle in der Wertschöpfung. Der Staat muss digitaler Wettbewerbshüter sein.

3. Digitales Defizit und Herausforderungen: Deutschland hat in Bezug auf Digitalisierung große Schwächen: Die Vernetzung ist unterentwickelt. In der Produktion verlassen wir uns zu sehr auf alte Stärken (Mittelstand). Wir denken zu sehr in Fachgebieten und meiden Risiken. Im Management wird Perfektion zu sehr belohnt und Fehler bestraft. Wir müssen Technologien weiter entwickeln. Plattformen müssen ausgebaut werden. Die Disruption muss gefördert werden, alte Märkte kollabieren. Neue Geschäftsmodell, die  das "Wie" in den Fordergrund stellen, müssen entwickelt werden. Vgl. Christoph Keese: Silicon Germany, München 2016 (Wirtschaftsbuch 2016 auf der Frankfurter Buchmesse). Netzwerkeffekte wirken wie externe Effekte: Das Handeln einzelner Akteure beeinflusst das Handeln anderer Akteure. Die Technologie ist gut standardisiert. "Lock-in", virtuelle Märkte, Wertschöpfungsmodule und Systemwechselkosten wirken als Betreiber der Internetökonomie.

Um mit den führenden Technologieplattformen mithalten zu können, muss sich in Europa einiges ändern: 1. Die EU muss einheitlicher werden. Verschiedene Sprachen, viele Verbraucherschutzbestimmungen, unterschiedliches Steuerrecht wirken als Barriere. Da haben es die USA und China einfacher. 2. Die Finanzierungsmöglichkeiten müssen verbessert werden. Es fehlt vor allem Venture Capital. 3. Die einzigen Computer - Science - Fakultäten in der EU sind in GB, das aber evtl. die EU verlässt.

4. Bausteine:  Die digitale Ökonomie (the Second Machine Age) besteht aus mindestens folgenden Bausteinen: Produktion 4.0, Internet der Dinge (kommunizierende Geräte), digitale Transformation (vor allem Dienstleister mit Plattformen), Breitbandausbau. Sie beeinflusst insbesondere folgende Branchen (Rangfolge): Technologie, Medien/ Unterhaltung, Handel, Finanzen, Telekom, Bildung, Gastgewerbe, Fertigung, Gesundheit. Eigentum geht auch in der digitalen Ökonomie nicht verloren. Es bleibt vor allem als eine mentale Ressource. Teile des Wirtschaftslebens wandern von den Märkten ab: Der Konsument ist zugleich Produzent ("Prosument"). Vielleicht lässt sich erst viel später erkennen (50 Jahre), wohin die Basistechnologie Internet führt. Bis der Massenmarkt erreicht ist, dauert es etwa so lange (Anfang des Digitalzeitalters?). Auf digitalen Märkten tummeln sich vier Technologien: Speicher- und Übertragungstechnik, Steuerungstechnik bzw. Robotik, Künstliche Intelligenz und Informationsplattformen.

Die Technologien hängen also mit Daten und neuen Kundenrollen zusammen. In Unternehmen werden Prozesse ausgelöst, die mit Disruption (Wandel von Geschäftsmodellen), Change Management und Entrepreneurship beschrieben werden. Vgl. Nicolai, A. T./ Schuster, C.: Digitale Transformation, in: WiSt, H. 1, 2018, S. 15ff.

5. Glossar: 1. Distributed Ledger: Zentral gesteuerte und weltweit verteilte Datenbanksysteme. Die Blockchain gehört dazu. 2. Tangle: Transaktionsdaten werden nicht - wie bei der Blockchain - chronologisch hintereinander angeordnet, sondern in einem netzwerkartigen Gewirr (Tangle) mit vielfältigen Knotenpunkten (Nodes). "Miner" fallen hier weg. 3. Smart Contracts: Eine beliebige Transaktion wird automatisch unter der Voraussetzung abgewickelt, dass alle beteiligten Parteien die zuvor in der Blockchain niedergelegten Konditionen erfüllt haben. 4. DApps: dezentralisierte, automatische Apps. Open Source, öffentlich in einer Blockchain gespeichert. 5. DAO (Decentralised Autonomous Organization): Ein eneue Form der Organisation, deren Geschäftsordnung, Gesellschaftsvertrag oder Satzung durch einen Smart Contract festgelegt und automatisch ausgeführt wird. 6. ICO: Bei einem Initial Coin Offering (ICO) werden quasi digitale Wertpapiere aufgelegt. 7. Kryptokatze: Eine der erfolgreichsten Anwendungen auf der Blockchain - Plattform Ethereum. Anwender können virtuelle Kätzchen (Cryptokities) züchten und mit ihnen handeln. Vgl. Sommer, Sarah: Vertraut den Daten, in: brand eins 06/18, S. 20ff.  8. Token: Digitale Münze bzw. Schlüssel. Sie wird mithilfe eines Smart Contract erstellt. Bei Ethereum heißen die Münzen ERC20-Token. Ein Token kann verschiedene Funktionen haben: Sollen Eigentümer ihn einsetzen, um Dienstleistungen eines Start-ups zu nutzen, handelt es sich um einen Utility-Token. Soll er Anteile an einem Unternehmen repräsentieren, also einer Aktie gleichkommen, heißt er Equtiy- oder Security-Token und fällt unter die Kontrolle der Finanzaufsicht. 9. Whitepaper: Projektbeschreibung des Start-ups zum ICO. Verbindliche Zahlen fehlen fast immer. Es ist kein Börsenprospekt.

6. Innovationen im Finanzbereich: Blockchains: Treten im Zusammenhang mit Digitalwährung auf. Ein gutes Beispiel ist Bitcoin. Interessant ist die Technologie und die Logik: 1. Person A kauft von Person B bestimmte Diamanten (Geschäft). 2. Verifizierung (Identifizierung, Eigentümer). 3. Transaktion (anonym). 4. Validierung. 5. Umsetzung. 6. Ergebnis. Vgl. Bettina Schulz, Das ärgert Betrüger, in: Die Zeit, Nr. 3, 14.01.2016, S. 24f. Allgemein ist eine Blockchain ein dezentrales Register für Transaktionen. Alle Transaktionen werden in Blöcken zusammengefasst und bilden eine Kette. Ein aufwendiges Rechenverfahren gewährleistet die Unveränderbarkeit der Blockchain. Sie kann vertrauensbildende Intermediäre ersetzen, zum Beispiel Banken. So werden Geschäftsprozesse automatisiert. Es entsteht eine gemeinsame Vertrauensgrundlage (Konsens, Proof-of-Work). Zwischengeschaltete Finanzinstitute fallen weg. Es entsteht auch mehr Transparenz, da die Blockchain ein globales Hauptbuch darstellt, in dem alle Transaktionen gespeichert werden. Bei einzelnen Schritten bestehen Variationsmöglichkeiten: Da der Proof-of-Work-Mechanismus viel Rechenleistung und Energie fordert, wurde Proof-of-Stake als energiesparende Alternative entwickelt.

Die Blockchain besteht aus vier Teilen: 1. Einem Wallet und Schlüssel. Ein Wallet ist eine digitale Geldbörse, bestehend aus einem öffentlichen (public key) und privaten Schlüssel (private key, geheim). Mit dem privaten Schlüssel wird die Identität las berechtigter Besitzer der Wallet bestätigt. Der öffentliche Schlüssel entspricht etwa einer gewöhnlichen Kontonummer. 2. Verteiltes System. Die Transaktionsabwicklung läuft in einem Netzwerk auf spezieller autorisierter Hardware. Geschäftsabschlüsse werden kryptographisch abgesichert. 3. Kassenbuch. Transaktionen werden chronologisch aufgezeichnet. 4. Peer-to-Peer. Direkter Austausch von Werten zwischen einzelnen Marktteilnehmern. Vgl. com professional 11/16, S. 14ff.  Im Bereich Finanzen  arbeiten US-Unternehmen wie IBM, Intel und J. P. Morgan schon mit der Blockchain -Technologie. Hierüber werden die Bücher sicher ausgetauscht. Sie können von jedem geprüft werden, der eine Berechtigung besitzt. Den Unternehmen bietet das den Vorteil, dass sie zum Beispiel die Einhaltung von Bilanzregeln per Croudsourcing prüfen lassen und sie bekommen von einem breiten externen Netzwerk Feedback zu ihrem Finanzmanagement. Das signalisiert auch Vertrauenswürdigkeit. Mittlerweile gibt es auch Blockchain - Finanzdienste: Es handelt sich um P2P-Kreditvergabeunternehmen (Peer-to-Peer). Einige sollen hier aufgeführt werden. lendico.de ist ein P2P-Kreditvergabe- und Anlageportal von Privatpersonen an Privatpersonen und Kleinunternehmer. auxmoney.com ist ein P2P-Kreditvergabeportal von Privatpersonen an Privatpersonen. Sieben Gestaltungsprinzipien beeinflussen die Blockchain - Wirtschaft: 1. Vernetzte Integrität. 2. Verteilte Macht. 3. Wert als Anreiz. 4. Sicherheit. 5. Datenschutz. 6. Wahrung von Rechten. 7. Inklusion. Vgl. Don Tapscott/ Alex Tapscot: Die Blockchain - Revolution, Kulmbach 2016.

Geldtransfer via Blockchain: Person A will Person B Geld schicken. Die Transaktion wird online in einen Datenblock verwandelt. Der Datenblock wird an jeden Rechner im Blockchain - Netzwerk geschickt. Jeder Rechner prüft die Transaktion automatisch und gibt sie frei. Der Datenblock wird zu der Kette hinzugefügt und kann nicht mehr verändert werden. Das Geld wechselt von Person A zu Person B. Vgl. Financial Times. , 2016.

Die Entwicklung schreitet fort. Einmal zum Algorithmischen Handel: Computergestützte und automatisierte Entscheidungs- und Durchführungshilfen setzen sich immer mehr durch. Damit können Marktdaten unvorstellbar schnell bearbeitet werden. Finanztransaktionen werden in Form von Small Contracts abgebildet. Die damit verbundene Digital Ledger-Technologie hilft, Kreditvertragsbeziehungen, Wertpapiertransaktionen und Derivate - Geschäfte zu verifizieren und zu automatisieren.

Aber insgesamt gibt es mittlerweile ein digitales Finanzleben, das den traditionellen Banken Konkurrenz macht: so gibt es Giro-Konten per App (N26), Bezahlung per Smartphone (SumUp), Vermittlung von Privatkrediten (Auxmoney), Onlinebezahlsysteme (Billpay), Wertpapierhandel (Ayondo), Vermögensverwaltung (Liqid).

Vor- und Nachteile: Die Blockchain macht aber vor keiner Branche halt. Sie wird Auswirkungen auf Lieferketten haben. Sie wird einen Peer-to-Peer-Handel begünstigen und zu Börsen führen. Die Blockchain bietet Chancen für neue Geschäftsmodelle. Sie erhöht die Sicherheit von Transaktionen. Sie führt zu mehr Dokumentensicherheit. Die Blockchain macht aber vor keiner Branche halt. Die Blockchain hat auch viele Nachteile: De Rechenaufwand ist riesig und damit auch der Energieverbrauch. Der Stromverbrauch soll 2018 so hoch sein wie der von ganz Österreich. Der US-Ökonom nennt die Blockchain in einem Gutachten für den US-Senat 2018 "die am stärksten überschätzte Technik aller Zeiten". Neue Anwendungen 2018 waren Plattform für Online-Wahlen, Flugschreiber für Drohnen, virtuelle Kryptoschweine für Kinder (Pigzbe), Verwaltung von Lieferketten in der Logistik, Patientendaten in der Medizin.  80% der Projekte sollen aber Betrug sein (Beratungsfirma Satis Group). Man muss den Institutionen vertrauen, die die Datenbank betrieben.

Treasury - Management: Immer wichtiger wird auch das Treasury - Management - System. Es ist eine Art Schatzmeister aus der Cloud. Die KI steht hier erst am Anfang. Funktionen sind der Zahlungsverkehr, die Kontakte zu Banken und Kapitalmärkten, das Cash- und Liquiditätsmanagement, das Finanzmanagement, die Absicherung finanzieller Risken und Reporting. Bisher kann man das noch nicht von der Stange kaufen. Vgl. Jürgen Mauerer: Schatzmeister aus der Cloud, in: com! professional 1/2019, S. 54ff.

Das Leben gehört den Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein", Johann Wolfgang von Goethe.

7. Produktion/ Industrie 4.0: In der Fabrik der Zukunft werden IT- und Fertigungstechnik verschmelzen. Immer mehr Maschinen kommunizieren über das Internet. Damit wird auch immer mehr improvisiert (ausgehend von einem groben Schema viele kleine Abweichungen). Die gesamte Produktion ist vernetzt. Das heißt, es findet eine umfassende Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Maschinen statt, in die auch Kunden und Geschäftspartner eingebunden sein können. Robotterquallen sind relativ autonom. Durch die starke Vernetzung wird die Sicherheit zum Problem. Diese Technik gilt als Krönung der Produktion. Die deutsche Industrie hat 2014 ein bis zwei Jahre Vorsprung. Die Vernetzung bietet grundsätzlich ganz neue Geschäftsmodelle (völlig neue Produktionslogistik). Die größten Hindernisse gegen die Ausbreitung von 4.0 sind: Lücken in der IT - Sicherheit, fehlende Normen, fehlende Fachleute, mangelnde Infrastruktur und hohe Kosten. Die KMU sind in dieser Produktionstechnik stark (Pionier dieser vierten industriellen Revolution). Einzelfertigungen und Kleinserienfertigungen, die traditionell hier gefertigt werden, können sehr viel billiger hergestellt werden. Die Produktion 4.0 hat drei Grundelemente: Selbststeuerung (Smart Factory, cyber-physische Systeme, CPS, es verschmelzen virtuelle und reale Welt); Interaktion (alle Daten tragen die Produktkomponenten in sich, dezentrale Selbstorganisation); Information (der Industriearbeiter ist Planer und Entscheidungsträger, Smartphone). Die "Integrated Industry" mit ihrer Vernetzung hat auch Auswirkungen auf den Markt, auf Arbeitsplätze, auf Ausbildung und Geschäftsbeziehungen. Der Produktionsstandort Europa könnte gesichert werden. Es kommen neue Entwicklungspartnerschaften mit mehr Kooperationen. Die Arbeitsplätze könnten höherwertiger werden. In den USA entsteht 2014 ein neues Normungskartell. Dadurch könnten die deutschen Unternehmen ihre bislang gute Position bei den Standards für die Industrie 4.0 verlieren. Normensetzung und ein gutes Rechtssystem sind Voraussetzungen der Produktion 4.0. Von den Arbeitnehmern fordert die Produktion 4.0 mehr Flexibilität (Abhängigkeit von Marktimpulsen wird stärker, Produktionszyklen werden noch kürzer).  Am 12.06.17 beginnt der Digital-Gipfel der Bundesregierung in Ludwigshafen. Das Stammwerk der BASF dort soll schnell digitalisiert werden (Sensoren, Datenerfassung zur Wartung und Steuerung der Kraftwerke und der Steamcracker). Eine Datenschutz-App für Bauern wird entwickelt.

8. Internet der Dinge (Internet of Things, IoT, Vernetzung): Die Entwicklung geht rasend schnell. Den Endpunkt bildet das Internet of Everything. Systeme sind z. B. automatische Verkehrssysteme, intelligente Straßen, intelligentes Stromnetz, vernetzte Geschäfte, intelligente Krankenhäuser, intelligente Stadt, Logistiksysteme. Die Gefahr könnte sein, dass die künstliche Intelligenz in einigen Jahren den Menschen überlegen ist. Im Unternehmen können Algorithmen bisherige Managementaufgaben übernehmen. Die Unternehmen haben Zugriff auf einen riesigen digitalen Datensatz. Marktforscher sind leicht ersetzbar; Kundenprofile können auf Knopfdruck erstellt werden. Große Gefahren sind der Kontrollverlust, die fehlende Transparenz, falsche Analysen, Diskriminierung. Anwendungsbereiche sind die Automobilelektronik, branchenspezifische Geräte (Produktion, Transport, Versorgung), allgemeine industrielle Anwendungen (Bankautomaten, Terminals), Konsumenten. IoT verunsichert viele Unternehmenslenker. Sie müssen teilweise völlig neue Strategien entwickeln. Vor allem der Wettbewerb ist immer schwieriger einzuschätzen (Quelle: Bain). Chancen und Risiken sind ganz schwer einzuschätzen: Es es zu einem Verlust von Arbeitsplätzen oder werden mehr entstehen? Auch persönlich sind die Folgen schwer abzuschätzen: Es kommt zu Effizienzsteigerungen, gleichzeitig steigt die Ablenkung und der Autonomie- und Privatsphäreverlust. Zum Internet der Dinge gehört auch folgendes: Facebook, Microsoft und andere arbeiten an digitalen Parallelwelten. Per Datenbrille erfüllen sich Simulationen, die sich wie echt anfühlen. Bald können Menschen so arbeiten, leben und shoppen an Orten, die nur im Computer existieren. Man setzt hier auch große Hoffnungen in die Digitalisierung, weil sie bei großen gesellschaftlichen Themen helfen könnte: Bei der Energiewende, beim Klimaschutz, bei der Qualität von Bildung, bei Gesundheitsvorsorge und Pflege in ländlichen Gebieten.  Im Juni 2017 gewinnt Darmstadt den digitalen Wettbewerb "Digitale Stadt" des Branchenverbandes Bitcom. Unter anderem war auch Kaiserslautern als Finalist im Wettbewerb. Es gibt Fördergelder von unternehmen, die hier sponsern.

9. Plattform - Kapitalismus: Dies ist eine weitere Bezeichnung für die Sharing Economy oder die digitale Ökonomie. Hier geht es speziell um Online-Plattformen. Sie ändern rapide den Büroalltag. Einerseits schaffen sie große Freiheiten, andererseits führen sie zu neuen Abhängigkeiten. Sie revolutionieren Märkte wie z. B. den Wohnungsmarkt (Airbnb) oder Taximarkt (Uber). Sie bringen auf dem Arbeitsmarkt direkt Arbeitnehmer und Auftraggeber zusammen (Upwork in den USA, Freelancer in Australien). Arbeitnehmer werden so von angestellten zu Freiberuflern. Wer via Plattform arbeitet konkurriert mit Millionen anderer Anbieter. Das dereguliert radikal den Arbeitsmarkt. Scheinbar hohe Stundenlöhne relativieren sich dadurch, dass man sich selbst für Alle versichern muss und oft noch die Ausrüstung stellt. Die Ratings geben den Plattformen noch mehr Macht. Vgl. O. V. : Immer auf Abruf, in: Wirtschaftswoche 29.7.16, S. 87ff. Die meisten Plattformfirmen kommen aus den USA. Sie dominieren die Weltwirtschaft. Es werden zunehmend Klagen laut, dass die ganz großen Plattformen ihre Marktmacht missbrauchen und Wettbewerber mit unlauteren Methoden zurückdrängen. Der Konsument wird zum User degradiert (nicht mehr Besitzer). Bei der Software wird er nur zum Lizenznehmer. Damit werden Eigentumsrechte reduziert. Ganz wichtig ist, dass die Vielfalt der Entscheidungsassistenten sichergestellt wird.

10. Management und Personal: Die Verwaltung der Mitarbeiter mit HR-Software verlagert sich in die Cloud. HR-Dienste können auch aus der Cloud abgerufen werden. Damit verliert die klassische Personalverwaltung an Bedeutung. Anbieter sind z. B. Haufe (Umantis), IBM (Kenexa Talents Insights), Oracle (Human Capital Management Cloud), SAP (ERP Core Human Resources), Workday (Human Capital Management) und Sage (HR & Personalabrechnung). Erfahrung und Routine im Bezug zu Industrie 4.0: Die fortschreitende Digitalisierung verlangt von den Beschäftigten, mit Komplexität und Wandel umzugehen. Bisher weiß man wenig über die dafür notwendigen informellen Anforderungen. Erste Ansätze bringt ein Index des Arbeitsvermögens mit folgenden Elementen: Situatives Umgehen mit Komplexität, Situative Unwägbarkeiten, Strukturelle Komplexitätszunahme, Relevanz Erfahrungslernen. Vgl. Pfeiffer, S./ Suphan, A.: Erfahrung oder Routine? Ein anderer Blick auf das Verhältnis von Industrie 4.0 und Beschäftigung, in: BWP 6/ 2015, S. 21ff.

11. Beschäftigungseffekte: Die aktuelle Entwicklungen der digitalen Technik eröffnen große Rationalisierungspotenziale. Ob der Arbeitsplatzverlust tatsächlich eintritt, ist bisher offen. Denn Digitalisierung schafft auch viele neue Arbeitsplätze, insofern ist ein Strukturwandel sicher. Die Wirkungen dürften auch entscheidend von den Reaktionen der Beschäftigten abhängen: Es ist ein strukturiertes und zertifiziertes Weiterbildungssystem erforderlich. Sinnvoll ist auch ein Flexicurity-Konzept. Zur Anwendung kommen sollte auch eine integrative regionale Strukturpolitik. Vgl. Kurt Vogler-Ludwig: Beschäftigungseffekte der Digitalisierung - eine Klarstellung, in: Wirtschaftsdienst 2017/12, S. 861ff. Im April 2018 legen das IAB der BA und das BIBB eine gemeinsame Studie zu der Folgen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt vor: Fazit ist, dass die Jobs kaum weniger, aber anders werden. Regional soll sogar ein Plus an Arbeitsplätzen möglich sein. Vor allem im Bereich Information  und Kommunikation könnte es zu einem deutlichen Stellenaufbau kommen.   "Die Tätigkeit des Arbeiters auf eine bloße Abstraktion der Tätigkeit beschränkt, ist nach allen Seiten hin bestimmt und geregelt durch die Bewegung der Maschinerie, nicht umgekehrt. Die Wissenschaft , die die unbelebten Glieder der Maschinerie zwingt, durch die Konstruktion zweckgemäß als Automat zu wirken, existiert nicht im Bewußtsein des Arbeiters, sondern wirkt durch die Maschine als fremde Macht auf ihn, als Macht der Maschine selbst", Karl Marx, MEW 42, S. 599.

12. Marketing: Digitales Marketing: Alle Maßnahme im Marketing, die über Computer und Internet ausgeführt werden. Technologien müssen integriert und Strategien angepasst werden. Zunächst muss "eine digitale Reife" entwickelt werden. Das Marketing muss optimal in das Management von Daten eingefügt werden. "Zero Trust" muss bei der Sicherheit das Konzept sein. Es muss eine Verbindung bzw. Schnittstelle zur Industrie 4.0 geben. Im Vordergrund steht "Augmented Reality" als Kombination aus wahrgenommener und vom Computer erzeugter Realität. Das Netzwerk der "Quantified Self" muss genutzt werden. Fog-Computing wird Cloud-Computing ablösen. Digitales Marketing heißt auch direkter Kundenkontakt, Produkt- und Serviceinnovation, Unternehmen 3.0 (Effizienzsteigerung entlang der Wertschöpfungskette). Die Aktivitäten im Digitalen Marketing sind entweder sichtbar oder unsichtbar. Sichtbar sind z. B. Internetauftritt, E-Commerce, Online-PR. Nicht sichtbar ist Suchmaschinen-Marketing, Suchmaschinen-Optimierung, Auswertung des Nutzungsverhaltens. Vgl. H. Ahlf: Digitales Marketing, in: WISU 1/2016, S. 49f.

Big Data: Es könnte die größte Veränderung im Marketing sein seit dem Internet. Es geht um das Sammeln von Kundendaten, die Auswertung in Systemen und die zielgenaue Kundenansprachen daraufhin. Gemeint sind auch Applikationen auf mobilen Geräten (Handys). So wird der Wettbewerbsvorteil über die Datennutzung definiert. "Customer-Journey" heißt die Reise zum Verkauf und Vertrieb auch. Big Data läuft in mehreren Phasen ab: 1. Assessment: Potentiale für den Einsatz von Big-Data-Methoden; 2. Readiness: erforderliche Hardware- und Software-Infrastruktur und entsprechende Kompetenzen; 3. Implementierung und Integration: Verbindung mit vorhandenen Datenquellen; 4. Reporting und Predictive Analytics: Optimierung der Reporting-Prozesse und evtl. Prognose. Bestandteile von Big Data sind die Datenmenge (Volumen), die Datenvielfalt, die Geschwindigkeit und Analytics. Insgesamt werden die Menschen immer mehr vermessen (Werbung, Shoppen, Onlinehandel, Kreditwesen, Reisen, Gesundheit, Lebensplanung u. a.), um Verhalten vorherzusagen. Die Frage ist, wie die einzelnen Menschen ihre Freiheit schützen können und wollen.  "Wer aus Daten die richtigen Schlüsse zieht, hat die Macht", com professional 11/2014, S. 3. "Die Daten über unser Verhalten explodieren", Susan Athey, Stanford. 2015 entbrennt über die Daten der Autofahrer ein heftiger Verteilungskampf. die Autofirmen wollen ihre Märkte sichern. Internetkonzerne wollen werben. Versicherungen wollen bessere Tarife entwickeln.

13. Digitaler Markt, Eigenschaften: Digitale Märkte haben besondere Merkmale: 1. Hohe Dynamik und Innovationskraft. 2. Hohe Fixkosten und geringe marginale Kosten (kaum Kapazitätsgrenzen, Log-in-Effekte). 3. Hohe Transparenz und geringe Transaktionskosten. 4. Große Bedeutung von (personenbezogenen) Daten (Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft?). 5. Internet-Plattformen und mehrseitige Märkte (Matching). 6. Fehlende unmittelbare monetäre Gegenleistung auf Plattformen (Finanzierung nur durch eine Marktseite). Marktteilnehmer treten individuell in Kontakt in einem Netzwerk. Eine solche Blockchain besteht aus vier Teilen: 1. Einem Wallet und Schlüssel. Ein Wallet ist eine digitale Geldbörse, bestehend aus einem öffentlichen und privaten Schlüssel. Mit dem privaten Schlüssel wird die Identität als berechtigter Besitzer der Wallet bestätigt. Der öffentliche Schlüssel entspricht etwa einer gewöhnlichen Kontonummer. 2. Verteiltes System. Die Transaktionsabwicklung läuft in einem Netzwerk auf spezieller autorisierter Hardware. Geschäftsabschlüsse werden kryptographisch abgesichert. 3. Kassenbuch. Transaktionen werden chronologisch aufgezeichnet. 4. Peer-to-Peer. Direkter Austausch von Werten zwischen einzelnen Marktteilnehmern. Vgl. com professional 11/16, S. 14ff. Auch: Brynjolfsson, E. / McAfee, A.: The Second Machine Age, Kulmbach 2015. Weiterhin spielt in den digitalen Märkten das Eigentum nicht mehr die große Rolle. Menschen sind mehr bereit, nur zu teilen. Zugleich verliert der Preis als Steuerungsmechanismus an Bedeutung. Von der Größe von Internetgiganten profitieren auch die Kunden massiv. Auf den digitalen Märkten gelten auch andere Regeln als früher. Der Tendenz nach sieht dies wie folgt aus: 1. Monopole statt Wettbewerb. 2. Daten statt Preise. 3. Clickworkertum statt Sozialpartnerschaft. 4. Sharing statt Eigentum. Vgl. A. Wambach/ H.-C. Müller: Digitaler Wohlstand für Alle, New York/ Frankfurt 2018, S. 24ff.

14. Wettbewerbspolitik in der digitalen Wirtschaft:  Bei sozialen Netzwerken, Suchmaschinen und dem Online-Handel beherrschen große Unternehmen den Markt (fast Monopolisten). Die entscheidende Frage ist aber, ob dies zu Wettbewerbsbeschränkungen führt. Das zu beurteilen hängt davon ab, wie digitale Märkte abgegrenzt werden können und was faire Marktbedingungen bedeuten. Geklärt werden muss auch, ob das geltende Wettbewerbsrecht ausreicht. Sonst bedürfte es sektorspezifischer Regulierungen. Der Missbrauch von Datenmonopolen muss verhindert werden. Marktbeherrschende Plattformen müssen angemessen reguliert werden. Kunden brauchen echte Wahlfreiheit. Aber auch die Infrastruktur durch Gigabyte - Netze muss wettbewerbspolitisch ermöglicht werden. In der digitalen Wirtschaft werden marktbeherrschende Unternehmen begünstigt.  Verantwortlich dafür sind Skaleneffekte (Vorteile gegenüber kleinen Anbietern) auf der Angebotsseite, Netzwerkeffekte (mehrseitige Märkte, verschiedene Gruppen treffen sich) und Lock - in - Effekte (Wechselkosten für den Kunden).  Das Datenschutzrecht müsste dringend an die digitale Wirtschaft angepasst werden. Es muss Transparenz darüber hergestellt werden, wie die Plattformen die erhobenen Daten verwenden und auch welche überhaupt gesammelt werden. Vgl. auch: Big Data aus wettbewerblicher Sicht, in: Wirtschaftsdienst 2016/9, S. 648ff. Der Mittelstand in Deutschland wird sicher in Zukunft von Wettbewerbern angegriffen werden, an die wir gar nicht denken.  Im Jahre 2016 taucht der Verdacht auf, dass sich die USA und die EU in einem Wirtschaftskrieg befinden ("transatlantische Feindschaft"). Die USA gehen hart gegen VW und die die Deutsche Bank vor. Die EU bekämpft Google und Apple.

15. Mögliche strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft als Folgen: Hierüber kann man nur Vermutungen anstellen. Bildet sich eine Mainstream-Blockchain heraus? Bewegen wir uns auf dem Weg zur Peer-to-Peer-Gesellschaft? Wird die Blockchain nur in Nischen erfolgreich sein (Notarwesen)? Wird es zu einer selektiven Disruption kommen? Vgl. Martin, Diehl, Deutsche Bundesbank, in einem Vortrag bei der Volkswirte - Tagung am 18.5. 2017 in Worms.

Die Wirtschaftswelt wird zunehmend von Software geprägt. Hardware und Ingenieurskunst verlieren an Boden. Die Automobilindustrie ist die Schlüsselbranche in Deutschland. Elektrofahrzeuge sind technisch weniger komplex und einfacher zu bauen. Im DAX (30 Unternehmen) sind nur zwei Digitalkonzerne, SAP und Wirecard. Die künftige Wirtschaftswelt wird weniger von Ingenieuren und Maschinen geprägt als von Programmierern und Daten. Die große Gefahr besteht darin, dass die eigentlichen Produzenten nur noch Zulieferer für die großen Digitalkonzerne sind. Traditionelle Managementtechniken sind zu langsam. Möglichst viele Geschäfte sollten die Unternehmen selbst machen, damit sie nicht von Plattformen abhängig werden. Im Konsumgüterbereich und auch im Industriegeschäft schieben sich Plattformen wie Amazon und Alibaba zwischen Produzenten und Endkunden. Die Grenzen zwischen klassischen Branchen verändern sich oder lösen sich auf.

16. Digitalisierung und gesellschaftliche Ungleichheit: Die Fortschritte in der Informationstechnologie führen zu immer größeren Ungleichheiten in den Industriegesellschaften (sie ersetzen das Gehirn und machen die Arbeit von vielen Menschen überflüssig). Produktivitätsgewinne verteilen sich immer mehr zu Gunsten der oberen Klassen (in US-Unternehmen ist dieser Effekt am stärksten, weil sie mehr aus der IT-Technologie herausholen). Notwendig wäre ein "Gleichheitsindex" im Steuersystem ("Steigende- Flut-Steuersystem"), der sich der Ungleichheit mit den Steuersätzen anpasst (Robert Shiller, Yale, Irrational Exuberance, Princeton 2000; New Financial Order, Princeton 2003). Shiller fordert  eine Globalisierungsversicherung für jedermann. Er untersucht auch, wann Spekulationsblasen auf Immobilienmärkten platzen ("Historic Turning Points in Real Estate", Working Paper, Juni 2007). In Deutschland arbeiten 2007  61% aller Erwerbstätigen mit dem PC. Als wichtigster Aufsatz des Autors gilt: Do Stock Prices Move Too much to Be Justified by Subsequent Changes in Dividents, in: AER, 1981. R. Shiller hat auch ein Unternehmen gegründet, das erstmals Handel mit ökonomischen Risiken aller Art betreibt (Rezession, fallende Immobilienpreise, Arbeitslosigkeit). Der Name ist Makro Market. Es gibt einen weiteren Faktor, der die Ungleichheit durch Informationstechnologie beeinflusst: menschliche Faulheit. Einige Experten sprechen von einer "Winner takes all"- Welt: Wenige profitieren übermäßig.  "Der herrschende Glaube an soziale Gerechtigkeit ist gegenwärtig vielleicht die größte Bedrohung der meisten anderen Werte einer freien Gesellschaft", Friedrich von Hayek, The Mirage of Social Justice. "Ein innovationsgetriebenes Wachstum kann auch Ungleichheit verschlimmern", Christine Lagarde, IWF-Chefin, 2016. "Wir müssen verhindern, dass die Gewinne der Digitalisierung privatisiert werden, während die Gesellschaft die Folgekosten trägt.

17. Digitalisierung und Besteuerung: Die "Bepreisung" von Daten, insbesondere die der Konsumenten, ist ein Gerechtigkeitsproblem jetzt und in der Zukunft. Die Menschen liefern kostenlos Daten und andere verdienen damit viel Geld. Die Menschen als Datenlieferanten sind doppelt benachteiligt. Weil das Steuersystem an realen Gütern orientiert ist, müssen die Bürger die Steuern aufbringen. Andererseits werden die Daten-Unternehmen nicht ausreichend besteuert. Die Digitalsteuer wird von der eU ins Auge gefasst. Was würde aber passieren, wenn die USA und China auch diese Steuern einführten?

18. Auswirkungen der Digitalisierung auf den öffentlichen Sektor: Der öffentliche Sektor ist in vielerlei Hinsicht durch den digitalen Wandel betroffen. Der Handlungsspielraum des Staates könnte vergrößert werden, wenn zusätzliches Wachstum entsteht. Die Polarisierungsthese behauptet, dass durch die Nutzung digitaler Technologien funktionale, räumliche und personelle Ungleichheit zunehmen. Die Erosionsthese behauptet, dass digitale Technologien zu einem langfristigen Rückgang der Lohnquote und einer Erosion des Ausmaßes der voll versicherungspflichtigen Beschäftigung führt. Dann gibt es noch die steuertechnische Herausforderung bei der Besteuerung von Einkommen bzw. Gewinnen sowie Umsätzen  digitale Geschäftsmodelle nicht zu begünstigen. Vgl. Margit Schratzenstaller: Auswirkungen der Digitalisierung auf den öffentlichen Sektor - ein erster Überblick, in: Wirtschaftsdienst 2018/11, S. 799ff.

19. Digitalisierung und Handel/ Außenhandel bzw. internationale Arbeitsteilung: Kampf um Wertschöpfungsketten (Modell der Institutionenökonomik/ Jean Tirole, Toulouse, Nobelpreis 2014): Die Institutionenökonomik/ Tirole bietet ebenfalls wie Krugman eine Alternative zum Freihandelsmodell. Freihandel wird nicht als Wert an sich gesehen. Es ist eines der Verfahren, um für eine Gesellschaft Wohlstand zu erzeugen. Aktuelle Handelskonflikte (wie zum Beispiel der zwischen den USA und China 2018) ergeben sich danach aus grundlegend veränderten Risiko- und Kommunikationsstrukturen. Die Digitalisierung senkt die Transaktionskosten weiter und verändert das Risiko. Es entstehen durch reduzierte Informationsasymmetrien neue Institutionen im Kontext der Plattformökonomie. Dadurch wandeln sich Informationstransport, Informationsspeicherung und Informationsverarbeitung. Die Digitalisierung beeinflusst auch die Industriestruktur: Systemtreiber sind die Fähigkeit zur Kontrolle des Agenten und die Möglichkeit, Skaleneffekte zu realisieren. Es kommt zu einer Reintegration von Wertschöpfungsketten. Treiber sind die Finanz- und Schuldenkrise, die Störanfälligkeit von Lieferketten und die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts. In diesem Zusammenhang sind Zölle ein Mittel der politischen und wirtschaftlichen Rivalität. Unter zu erwartenden Konfliktbedingungen ist die Sicherung der Lieferkette entscheidend dafür, die Rivalität auszuhalten bzw. siegreich zu beenden. Die Staaten haben ein Dominanzproblem:  Die USA haben ein großes Leistungsbilanzdefizit (im Opiumkrieg hatte es England), China hat einen historischen Nachholbedarf (mandschurische Machtübernahme 1647, Opiumkrieg 1839). "Made in China 2025" soll die Hochtechnologie sichern aufgrund eines schuldengetriebenen Entwicklungsmodells. Im Grunde genommen will China sich weiterhin erfolgreich in der globalen Lieferverflechtung positionieren. Man kann dies in der "Crying Curve of Asia" darstellen. Freie Märkte sind nach diesem Modell auf dem Rückzug. Vgl. Ulrich Blum: Der Kampf um Wertschöpfungsketten: Krieg gegen den Freihandel? in: Wirtschaftsdienst 2018/10, S. 737ff. 

20. Industriepolitik: Der Mangel an großen deutschen IT - Konzernen birgt erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Zu diesem Schluss kommt auch eine Analyse der Beratungsfirma McKinsey 2019. Technologie-Konzerne mit über 100 Mrd. Dollar Börsenwert wie Google, Apple, Facebook oder Amazon hat Deutschland nicht, nur die SAP. Solche Konzerne sind aber ein zentraler Motor der globalen Wirtschaft und Gesellschaft. China hat dies strategisch genau erkannt und seit Jahrzehnten Gegenunternehmen aufgebaut, die eine vergleichbare Größe haben oder sogar größer sind (Tencent, Huawei, Alibaba, Baudu). Dafür gibt es laut McKinsey Gründe: Aufstrebende Technologieunternehmen brauchen drei Schlüsselfaktoren: Talent (hochkarätige Tech-Gründer und Mitarbeiter), Kapital (um Wachstum zu finanzieren) und günstige Marktbedingungen (optimales Umfeld). So gibt es 2019 eine Diskussion in Deutschland, ob eine Industriepolitik die Schwächen ausgleichen sollte. Dabei geht es um folgende Punkte: 1. Sollte die Politik national oder europäisch sein? 2. Sollten sich Deutschland und Frankreich mehr zusammentun? 3. Kann man ohne Protektionismus nicht mehr gegen die USA und China bestehen? 4. Welche Schwächen müssten konkret ausgeglichen werden? (Langfristigkeit, Kapitalmärkte in Deutschland, Wagniskapital,  Sicherheitsrelevanz, nationale Sicherheitsinteressen). 5. Härteres Verhandeln mit China ("Walk the Talk, "Level playing field"). 6. Rahmenbedingungen (Beihilfen, Ausschreibungen). 6. Braucht man Europäische Champions?

21. Volkswirtschaftslehre 4.0: Die letzten Abschnitte zeigen schon, dass Volkswirtschaftslehre in ihrer Bedeutung mit der Digitalisierung und Globalisierung stark ansteigt. Das zeigt sich auch konkret darin, dass die großen Tech - Firmen, insbesondere im Silicon Valley, ihre volkswirtschaftlichen Abteilungen massiv ausbauen. Sie sollen bei der Suche nach neuen Geschäftsmodellen helfen. Auf der anderen Seite bieten die Datenflut und die Plattformen Ökonomen neue Möglichkeiten, Theorien und Hypothesen zu testen. Die vorrangigsten Aufgabe der Volkswirte ist aber, Muster zu erkennen (Algorithmen), Szenarien durchzuspielen und neue Start - ups in ihren Strategien auszurichten. Daten können die Märkte und die Wirtschaft besser koordinieren. Die angewandten Hochschulen in Deutschland (frühere Fachhochschulen, oder die dualen Hochschulen) haben auf diesen Trend noch nicht reagiert. Sie handeln azyklisch. Die Mechanismen der Selbstverwaltung sind zu stark politisch (durch Finanzen) gegängelt und zu stark an den eigenen Berufszielen (oft Lebensqualität) ausgerichtet. Vgl. Buhse, Malte: VWL 4.0: Wie Wissenschaft und Techunternehmen voneinander lernen, in: Wirtschaftswoche, 50/ 2.12.16, S. 40f. Im Zeitalter der Digitalisierung nehmen Verteilungsfragen stark zu in allen Ländern. Wenn es nicht gelingt, Lohn und Arbeit zu entkoppeln, werden viele Menschen in Zukunft keinen Arbeitsplatz mehr finden (vgl. Mayer-Schönberger/ Ramge: Das Digital, Berlin 2017). Weiterhin könnte aber die Blockchain - Technologie  mehr möglich machen als nur Handel mit Krypto - Währungen. Es könnte eine neue Weltwirtschaftsordnung entstehen. "Die Digitalisierung vernichtet in Summe keine Jobs. Sie verändert Berufsbilder und die Ausbildung", SAP-Vorstand Bernd Leukert 2017 (s. Handelsblatt 24.01.17, S. 17). Auf diesem Gebiet geht die Entwicklung rasant weiter. Deshalb habe ich eine eigene Seite eingerichtet: Mecator/ digital.

"Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen, was du denkst", Alphabet-Chairman Eric Schmidt (Google, bis Dez 2017). "Wir erfüllen eine soziale Mission, indem wir die Welt offener, vernetzter und transparenter machen", Facebook-Chef Mark Zuckerberg 2015.

 

Die politische und ökonomische Wende in den USA und ihre Auswirkungen auf die Globalisierung ("Trumponomics/ biblischer Kapitalismus"; der globale Stellenwert der USA und der Kampf um die Weltvorherrschaft mit China; das langsame Ende der Nachkriegsordnung und der Anfang einer neuen Weltordnung weg vom Multilateralismus; der Abstieg einer Supermacht; Neustart unter Präsident Biden).

Trump - Tower in Chicago im Hafengebiet. Trump gewinnt im November 2016 entgegen allen Prognosen die Präsidentschaftswahl in den USA. Experten fürchten, dass die Welt dadurch an einem Wendepunkt ist. Die entscheidende Frage ist, was Trump von seinen Wahlversprechen in der Praxis umsetzt. Die Möglichkeiten dafür hat er mit seinen Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses. Die Zusammenstellung seiner "Mannschaft" lässt nichts Gutes vermuten. Chicago ist  auch die Heimatstadt von Barak Obama, dem Vorgänger von Trump. Obama hält dort am 10.01.2017 seine Abschiedsrede. Die Ortsgemeinde Kallstadt  in der Pfalz, aus der der Großvater von Trump in die USA auswanderte, verweigert mit einem Trick die Ehrenbürgerschaft für Trump. Trump bezeichnet Bad Dürkheim in einem Interview als "das echte Deutschland". 2018 gibt es Anzeichen, dass Trump bei seinem nächsten Europa-Aufenthalt Kallstadt besuchen könnte. Der US-Generalkonsul Herman inspiziert das Geburtshaus des Großvaters Friedrich (Kallstadt, Freinsheimer Straße; 1869 geboren als Sohn von Joannes Trump und Katharina Trump; die Familie besaß ein kleines Weingut). In der Heimat heiratete Friedrich noch Elisabeth Christ und zog mit ihr in die USA. Weil er durch die Auswanderung 1885 seinen Wehrdienst nicht ableisten musste, konnte er später kein deutscher Staatsbürger mehr werden (seine Frau hatte Heimweh). Er wurde mit Restaurants und einem Bordell  im Nordwesten der USA (Monte Christo bei Seattle) und in der Goldgräber-Region am Yukon in Kanada  reich. Der Besuch von Trump könnte zusammen mit Rammstein erfolgen. Beim G7-Treffen im August 2019 stellt Trump einen Deutschland -Besuch noch 2019 in Aussicht, der aber dann doch nicht kommt. Auch andere berühmte US-Amerikaner stammen aus der Region (Vater der Marx Brothers aus Mertzwiller/ Elsass; Heinz (Ketchup) ebenfalls aus Kallstadt. Prof. Georg Hollerith wanderte 1848 aus Großfischlingen in der Pfalz in die USA aus.  Sein Sohn Hermann (1860-1929) entwickelte die erste Apparatur zum Auswerten von gestanzten Lochkarten, welche erfolgreich für die damalige Volkszählung in den USA eingesetzt wurde. 1896 gründete er die erste Fabrik für Datenverarbeitungsmaschinen, die Weltfirma IBM. Ehemalige Mitarbeiter von IBM gründeten dann viel später in Walldorf bei Heidelberg die Firma SAP. Die Vorfahren von Elvis Presley kamen aus Hochstadt (Namen Pressler). Die "Mutter der New York Times" Bertha Levy kam aus Landau/ Pfalz. Weil sie sich an der badischen Revolution von 1848/49  beteiligt hatte, musste sie in die USA fliehen. Ihr Sohn Adolph Ochs-Levy gründete die New York Times. Ca. 40 Mio. Deutsch - Amerikaner leben in den USA, vornehmlich in den Bundesstaaten Ohio, Iowa oder Pennsylvania. Sie verhalfen Trump 2016 auch zum Sieg. Viele sind Anhänger von Freikirchen und Sekten (aus diesem Grunde waren sie neben der Armut auch aus Deutschland geflohen). Trump hatte zwei Talente, die ihm einen Wettbewerbsvorteil verschafften: 1. Skrupelloser Lügner. 2. Durchhaltevermögen mit Sturheit. Nachdem Trump die Präsidentenwahl 2020 verloren hat, gibt es Absetzungsbewegungen. So werden Straßennamen geändert, die nach ihm benannt wurden. In Ottawa,, Kanadas Hauptstadt, soll die "Trump Avenue" schnell umbenannt werden.

"Alle Handelsabkommen, die wir haben, sind schrecklich. Wir werden sie neu verhandeln", Donald Trump im Wahlkampf 2016.

"Wie viel schmerzlicher sind die Folgen von Wut als die Gründe dafür", Marc Aurel (römischer Kaiser, gestorben 180 n. Chr.).

"Ich fürchte, das Welthandelssystem wird grundsätzlich beschädigt, denn es hat auf der Rolle der USA als ultimativem Garanten basiert, der für Stabilität sorgt. Aber die USA sind nicht mehr stark genug. Nun, da wir uns einmal als unzuverlässiger Partner erwiesen haben, wird ein neuer, den Freihandel befürwortender Präsident den Schaden nicht mehr beheben können. Die Welt wird immer wissen, dass dieses Land wieder einen Donald Trump wählen kann" Paul Krugman, US-Ökonom, Nobelpreisträger 2008 (Quelle: Der Spiegel 2/2019, 5.1., S. 69).

0. Grunddaten als Rahmen  (Schwerpunkt Ökonomie): Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Erde und Träger der Leitwährung "Dollar" (19,391 Billionen $ BIP 2017). Mit 24,1% hat das Land den höchsten Anteil am Welt - BIP (China 18,5, EU-27 18,7%). Mit 325 Mio. Menschen haben die USA nach China und Indien die drittgrößte Bevölkerung der Welt. Trotzdem haben sie bis Mitte Oktober 2020 mehr Corona - Tote als China und Indien (217.000). Das größte ökonomische Problem sind die Schulden. Bis Anfang 2020 ist die Gesamtverschuldung auf 22,4 Billionen Dollar gewachsen, 2012 beträgt sie voraussichtlich 29,3 Bill. US-Dollar bis 2023 soll die Verschuldung voraussichtlich noch bei 17,5 Billionen $ liegen. Die verfassungsmäßige Höchstgrenze ist bei 14,3 Billionen $. Das Haushaltsdefizit liegt seit 2009 - nach der Finanzkrise - bei 10% des Bruttoinlandsprodukts, was das Dreifache der EU-Schuldengrenze darstellt und höher als bei Griechenland ist. Die Staatsschuldenquote liegt 2021 bei 134% (EU-27 92%; China 67%). Es gibt 50 Bundesstaaten. Hauptstadt ist Washington. Die Verfassung ist von 1789. Von großer Bedeutung ist das höchste Gericht der USA (Supreme Court), das über die Verfassung wacht. Präsident Trump sorgt dafür, dass die Mehrheit zu Gunsten der Republikaner am Ende seiner ersten Präsidentschaft bei 6:3 liegt. Das könnte noch eine große Rolle spielen, wenn es um die Legalität des Wahlverfahrens und des Wahlergebnisses geht, aber auch um den Stopp der Gesundheitsreform von Obama. 2019 beträgt der Handelsbilanzsaldo noch -864 Mrd. US-$, er ist durch die protektionistische Handelspolitik kaum zurück gegangen (2018: -880). Für das Jahr 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von nur +3,1% prognostiziert (China: 8,2%; EU-27 +5,0%).

Beim Gini - Koeffizienten, dem bekanntesten Maß für Einkommensverteilung, liegen die USA 2019 bei 0,42 (laut US-Census 2019 sogar bei 0,48). Der Wert ist höher als in China (0,39) oder der EU (0,30). 0 heißt völlige Gleichheit, 1 = völlige Ungleichheit. Beim Vermögen haben die reichsten 50 US-Bürger so viel wie 50% der US-Bürger (=165 Mio. Menschen), nämlich 2 Billionen US-Dollar. 2021 soll die Arbeitslosigkeit auf 7,3% steigen (2020 7,0% geschätzt; zum Vergleich: China: 3,6%, aber statistische Verzerrung!). All diese letzten Daten zeigen, in welcher Krise die US-Gesellschaft steckt und wie gespalten das Land ist. Quellen: Bloomberg, US-Census, IMF, Unctad. Die Wirtschaftsdaten sind am Ende der Wahlperiode auch nicht mehr gut: Die Arbeitslosequote ist gestiegen (Sept. 20 7,9%; sie sinkt leicht im November 2020; das Außenhandelsdefizit liegt bei 84 Mrd. $, der Protektionismus hat nichts gebracht; Die Staatsverschuldung ist auf 27,3 Billionen $ angestiegen /131%). Quellen: US Census, IWF.

Exkurs. Ist das politische System der USA noch zu retten? Viele Amerikaner glauben, das politische System der USA sei so konzipiert, dass es dem öffentlichen Interesse diene. Doch das ist nicht zutreffend. Es unterliegt den gleichen Anreizen und Kräften wie jede privatwirtschaftliche Branche. Leider har das zu einem ungesunden Wettbewerb geführt. Wahlen und Gesetzgebungsverfahren sind so gestaltet, dass das Duopol aus Republikanern und Demokraten gewinnt, während das öffentliche Interesse verliert. Das Wahlsystem und die Gesetzgebungsverfahren müssen sich deutlich verändern. Siehe Gehl, K. M./ Porter, M. E.: Wie das Politische System der USA zu retten ist, in: HBM Oktober 2020, S. 42ff. Besonders bei den Demokraten fällt auf, dass sie schon länger wichtige Probleme des Landes ignorieren: Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Sozialversicherung (Gesundheit), Verschuldung der Privathaushalte. Sie konzentrieren sich auf die wirtschaftsstarke und wohlhabende Bevölkerung der West- und Ostküste. Gerade bei den Verlierern der Globalisierung hatte Trump gepunktet (siehe oben). Eine liberalere Politik, die Chancengleichheit und mehr Einkommen für gute Leistung für die Mehrheit vertritt, scheint keine Mehrheiten in den USA zu haben. Das bis heute scharfsinnigste Buch über die Demokratie in den USA ist schon sehr alt: Alexis de Tocqueville (1805-1859), "Über die Demokratie in Amerika", 1835/ 1840. Er war im Auftrag der französischen Regierung in die USA gereist, um das Rechts- und politische System zu studieren. Er analysierte in seinem Buch das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit und die Grenzen der Gleichheit und das Ende des Mitleids. Er analysiert den Konflikt zwischen Ehre/ Bürgerarbeit und Geld. Es ist eines der meist rezitierten Werke der Sozialwissenschaften. Das US-Wahlsystem führt auch zu Apathie: Das Wahlleutesystem (Electoral College) ist antiquiert. Es stammt von den Gründervätern 1787. Es kam unter Druck und den damaligen Verhältnissen zustande. Die US-Verfassung lässt sich aber nur schwer ändern. Man braucht für einen Sieg mindestens 270 Wahlmänner ("The Winner takes it all", es gibt 538). Auch kleinere US-Staaten sollen zählen, was der tiefere Sinn dahinter ist.  Vgl. auch: Timothy Snyder: Die amerikanische Krankheit, Beck/ München 2020. Einzelne Bundesstaaten versuchen zunehmend 2021, Minderheiten per Gesetz beim Wählen zu behindern. Hier tun sich z. B. Die Republikaner in Georgia hervor. 2022 kommt heraus, dass Trump einen eigenwilligen Umgang mit Papier gepflegt hat. Er verstieß damit gegen Archivgesetze: Viele Papiere wurden zerrissen und die Toilette im Weißen Haus heruntergespült. Andere Unterlagen landeten auf seinem Landsitz in Florida. Sie müssen eigentlich im Nationalarchiv aufbewahrt werden.

Die Rechte Gefahr in den USA ist größer geworden. Besonders gefährlich sind die radikalen Milizen. Die größten sind die folgenden: 1. Oath Keepers. um die 3000 Mitglieder. 2. Proud Boys. Sie haben mindestens 1000 Mitglieder. 3. Boogaloo Bois. 4. Three Percenters. Die Supermacht USA bricht entlang ihrer Parteigrenzen auseinander - radikale Konservative wünschen das auch herbei. ein Indiz ist der so genannte Texit, ein Referendum für die Ablösung von Texas.

Exkurs. Die drei unberechenbaren Faktoren der USA: Wenn man die Geschichte der USA und ihre Weltpolitik seit dem 2. Weltkrieg analysiert, zeigen sich immer drei große Einflüsse, die in ihrer Wirkung nicht exakt eingeschätzt werden können: 1. Die Macht des industriell-militärischen Sektors, der seine eigenen Profitinteressen in den Vordergrund stellt. 2. Der Einfluss der Geheimdienste, von denen der CIA der dominierenste zu sein scheit. 3. Der Akteur Wallstreet, der neben Gewinn auch die Interessen des Staates Israel hervorhebt (Netzwerk jüdischer Organisationen und Finanzinvestoren). Es fehlt hier an Transparenz und Aufklärungswille der Medien. Wenn zwei oder drei dieser Machtzonen sich verbünden, wie vor dem Irakkrieg die Geheimdienste, die Wallstreet und der industrielle Komplex, haben die demokratischen Institutionen keine Chance mehr. Solche externen Effekte der Machtzentren begleiten den Koreakrieg, den Vietnamkrieg und viele andere Konflikte. Sie protegieren auch jeweils die Präsidenten, die sie haben wollen und vernichten die, die sie nicht brauchen können (Beispiel J. F. Kennedy). Im Folgenden sind einige Literaturstellen aufgeführt, die sich näher mit diesem Thema beschäftigen. Sie sollten Pflichtlektüre werden. L. Fletscher Prouty: JFK. Der CIA, der Vietnamkrieg und der Mord an John f. Kennedy, Wien 1993. Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien, Zürich 2016. Jim Garrison: Wer erschoss John f. Kennedy? Auf der Spur der Mörder von Dallas, Bergisch-Gladbach 1992. Robert Harris: Dictator, München 2015. Letzteres Buch ist eigentlich über Cicero und Rom. Es ist aber zeitlos vom Thema her: Wie lässt sich politische Freiheit gegen die Dreifachbedrohung aus skrupellosem Ehrgeiz, einem von Geld beherrschten Wahlsystem und den verderblichen Auswirkungen endloser Kriege im Ausland schützen?

1. Die Wende und ihre Ursachen: a) Politik als Business: Im amerikanischen Wahlkampf 2016 betreibt Trump die Politik als Geschäftsmodell. Ausgrenzung, Hass und Beleidigung werden als Wahlkampfinstrument eingesetzt, um die Zielgruppen zu erreichen, die die Wahl entscheiden (z. B. "angry white males"). Insgesamt die "lower white middle class", die sich benachteiligt, beleidigt, erniedrigt und vergessen fühlt. Gleichzeitig hat Trump viele Reiche und Eliten angesprochen. Es wurden systematisch die Voraussetzungen ausgenutzt, von denen ein demokratischer Staat lebt.  Die Methode könnte Schule machen. In Deutschland könnte ein Wahlkämpfer die verarmten Rentner ködern. b) Populismus: In Europa ist die EU bedroht (Frankreich, Großbritannien). In den USA hat Trump damit die Wahl gewonnen. Der Populismus besteht aus folgenden sieben Elementen: 1. "Wir sind das Volk". 2. Abgrenzung. 3. Vereinfachung. 4. Die Ordnung der Welt wiederherstellen. 5. Tabus brechen. 6. Feinde benennen. 7. Gefühle und Emotionen ansprechen. Vgl. Gauweiler, R./ Schmitt, M.: Volkes Stimme, in: Rheinpfalz 13. November 2016, S. 3. Harvard-Ökonomen entwickeln nach der Wahl Modelle, die die Wahl eines unfähigen Präsidenten erklären sollen (DiTella, Rotemberg, Krugman, Buchanan). Aus psychologischen Gründen wird Inkompetenz nachgefragt. Menschen in ländlichen Regionen und gering qualifizierte Weiße bevorzugen diese Attribute. Die Wähler erwarten auch, dass Politiker normalerweise die Wählerinteressen missachten und Eliteinteressen bedienen. Mit einem Kandidaten geringer Kompetenz glauben die Bürger hier besser zu fahren. In der Handelspolitik macht die Wahl auch Sinn. Freihandel in der Globalisierung schadet vor allem den gering Qualifizierten. 80 Prozent des weißen Mittelstands glaubten vor der Wahl, dass die USA auf einem falschen Weg seien. Man könnte die Ideologie des Trumpismus auch historisch einordnen: Sie ruht auf den Pfeilern von Nationalismus, evangelischer Religion und einer Betonung der ethnischen Identität - alles Elemente, die über starke Traditionslinien in der Geschichte der USA verankert sind. Vgl. Katzenstein, Peter J.: Das Problem heißt nicht Donald Trump, in: WZB Mitteilungen, Heft 164, Juni 2019, S. 7.  "Das weiße Amerika hat sich das Land zurückerobert....In Trump hat es einen radikalen, charismatischen Führer gefunden, der den Widerstand gegen die multikulturelle Moderne vereinen soll", s. Der Spiegel, 46/ 2016, S. 3. Die Wahlforscher haben den Wahlausgang falsch prognostiziert. Ausnahme war Arie Kapteyn von der University of Southern California, Los Angeles. Wahrscheinlich beruhen die falschen Vorhersagen auf dem traditionellen Einsatz von Telefoninterviews. Über Festnetznummern erreicht man fast nur noch ältere Menschen.

2019 rückt immer mehr der nächste Wahlkampf in den Mittelpunkt. Trump will wieder für die Republikaner antreten. Viele außenpolitische Entscheidungen scheinen auch davon beeinflusst zu sein (z. B. Konflikt mit Iran). Dabei zieht auch wieder ein neuer Skandal auf: Es geht um Ukraine-Kontakte. Trump soll den dortigen Präsidenten zu etwas gedrängt haben, was ihm im Wahlkampf nutzen könnte (Material gegen den Biden-Sohn Hunter, der in der Ukraine gearbeitet hat, und damit gegen Joe Biden selbst). Dabei versuchte er möglicherweise Militärhilfe in Höhe von 250 Mio. $ als Pfand einzusetzen. Die entscheidende Frage ist, war es nur die Bitte um einen Gefallen oder ein Verbrechen. Die Demokraten prüfen wieder mal ein Amtsenthebungsverfahren, weil sie von letzterem ausgehen. Geheimdienstmitarbeiter bringen Trump weiter in Bedrängnis, weil Informationen vertuscht werden sollten. Trumps Sprecherin wirft den Demokraten Hysterie vor. Donald Trump fordert im Oktober 2019 auch China auf, gegen Biden zu ermitteln.

2. Widerstand der "schweigenden Mehrheit" und der Verlierer gegen die Globalisierung und Zweifel an Trump: Nicht nur in den USA wächst der Widerstand gegen die übermächtigen Konzerne, die chaotischen Finanzmärkte und die Ungleichheit in der Gesellschaft. Die großen multinationalen Unternehmen wissen mit ihrem Geld, das sie als Profit verdienen, nichts produktives anzufangen. Sie nutzen global rechtsfreie Räume aus. Die Entkopplung des Geldsystems von der realen Wirtschaft geht weiter. Die Schulden steigen in allen Ländern, vor allem in den Schwellenländern, dramatisch an. Der Beitrag der Finanzmärkte zum Wachstum ist unklar, aber die Kosten werden immer mehr sichtbar. Steuerparadiese werden von ihnen systematisch genutzt. Die multinationalen Unternehmen, vor allem die aus den USA, parken dort 1,65 Billionen Dollar (Quelle: Citizens for Tax Justice, Der Spiegel 46/ 2016, S. 62). Die Einkommensungleichheit hat sich weltweit vergrößert (Gini - Koeffzient in den USA von 1985 bis 2014 +6 Prozentpunkte auf 40%; völlige Gleichheit 0, Quelle: OECD) Die Verlierer der Globalisierung sehnen sich nach Abschottung. Für sie ist es der richtige Weg, um ihren früheren Wohlstand wiederzugewinnen. Wichtigstes Motto scheint "America first" zu sein ("Make America Great Again"). Die USA soll mehr zählen als Freihandel und globale Kooperation. Der Populismus bedroht damit den Freihandel und die Globalisierung. "Abgehängte" und Verlierer der Globalisierung wollen Protektionismus und die Uhr zurückdrehen. Der Wahlkampf zeigt: Je mehr Informationen über Wähler existieren, desto direkter können Politiker sie ansprechen (Big Data). Sehr viel wird darüber diskutiert, dass Trumps Schwiegersohn Jared Kushner als Chef-Berater die rechte Hand des Präsidenten im Weißen Haus wird. Man spricht von Familienclan und zahlreichen Interessenskonflikten (chinesischer Versicherungskonzern, jüdische Verbände und Banken). Kushner wird später sogar an die Spitze eines neuen Büros für Innovation gestellt, was die Aufgabe hat, den Regierungsapparat zu reformieren ("soll wie eine große US-Firma geführt werden"). Seine Immobilienfirma will Trump seinen beiden Söhnen übertragen. Aber auch nach Amtsantritt scheinen die Geschäfte der Familie am wichtigsten zu sein ("Business first"). Die Kaufhauskette Nordstrom hatte eine Modekollektion der Trump - Tochter Ivanka aus dem Sortiment genommen. Ivanka macht bei offiziellen Anlässen Werbung für ihre Kollektion. Trump twittert in ihrem Sinne. Beim Besuch des chinesischen Präsidenten Xi lässt sie ihre Kinder in Mandarin singen und bekommt prompt drei Markenrechte in China (sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin, Modell und Unternehmerin und wichtigste Beraterin von Trump, setzt sich für Frauen in der Arbeitswelt und Familienfragen ein; Teilnehmerin am G20-Gipfel in Berlin). Kurz vor Antritt der Präsidentschaft muss sich Trump gegen Vorwürfe verteidigen, dass der russische Geheimdienst ihn in der Hand habe. Ein weiterer Vorwurf ist, dass russische Hacker das Wahlergebnis zugunsten von Trump beeinflusst hätten. Sein Sicherheitsberater Michael Flynn muss zurücktreten, weil er in einem Telefonat mit Russland mildere Sanktionen verspricht und danach leugnet. Trump hat Mühe, einen Nachfolger zu finden.  Das FBI ermittelt weiter wegen der Kontakte des Wahlkampfteams mit Russland. Im Mai 17 entlässt Trump den FBI-Chef Comey. Das ist wegen der Ermittlungen des russischen Einflusses auf die Wahl brisant (Trump nennt schlechte Arbeit als Grund; er wollte aber Ermittlungen gegen M. Flynn einstellen lassen). Es wird ein Sonderermittler eingesetzt (früherer FBI-Chef Robert Mueller). Im Mai 2017 gibt Trump zu, auch Schulden in Russland zu haben. Im gleichen Monat muss er sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Staatsgeheimnisse an den russischen Außenminister verraten zu haben (Putin bietet Veröffentlichung an). Im Juli gerät der Sohn Trumps schwer unter Druck. Er hatte Kontakte mit Russen im US-Wahlkampf (Material gegen Clinton). Am liebsten äußert sich Trump über Twitter, ungern in Pressekonferenzen. Dabei stellt er immer Ausspionierung von Trump durch Obama). Auf Pressekonferenzen tritt er wie ein Märchenkönig auf (spricht mehr über die Presse und wendet sich an sein Wahlvolk mit alternativen Fakten). Kommunikationschef Anthony Scaramucci muss gehen (Ratgeberbuch: Hopping over the Rabbit Hole). Im März 2018 wird Vize-FBI-Chef McCabe zwei Tage vor der Pensionierung entlassen.   "Die Anhänger der Globalisierung haben die amerikanische Arbeiterklasse ausgenommen und eine Mittelschicht in Asien geschaffen. Ich bin kein weißer Nationalist, ich bin ein Nationalist. Ich bin ein Wirtschaftsnationalist", Steve Bannon, Chefstratege unter Trump ("Finsternis ist gut"; viele bezeichnen ihn als heimlichen US-Präsident). Zumindest ist er der Chefideologe von Trump ("das Gehirn des Präsidenten"; hat "Breitbart" aufgebaut) und will die alte Ordnung der USA zerstören. Im August 2017 muss Bannon gehen. Er und Michael Flynn, der Sicherheitsberater, sind ständiger Gast im Oval Office (auch Sitz im National Security Council; Flynn muss zurücktreten). Später wird er sogar angeklagt wegen Falschaussage. Nachfolger als nationaler Sicherheitsberater wird H. R. McMaster. Am 22.03.18 wird auch der gefeuert.  Es folgt John Bolton ("Falke", hat sich für Krieg gegen Iran und Nord-Korea ausgesprochen). Auch Stabschef John Kelly muss gehen. Im April 17 verliert Bannon seinen Sitz im Sicherheitsrat. Anfang 2018 beschuldigt er Trump wegen der Kontakte zu Russland (in dem Buch "Fire and Fury: Inside the Trump White House" von Michael Wolff). Damit hat Bannon mit einem Tabu gebrochen und schlechtes über den Trump-Clan gesagt. Trump meint, dass Bannon den Verstand verloren habe. Trump erklärt sich zum Genie. Er könnte aber so seine nationalistische Basis verlieren. Bannon verlässt danach Breitbart News. "Ich will Präsident aller Amerikaner sein, das ist wichtig für mich. Die vergessenen Menschen sollen nicht länger vergessen sein. Wir müssen das Schicksal des Landes wieder in die Hand nehmen", Donald Trump. "Blender, Hochstapler und Möchtegerndiktator. Ich persönlich glaube, dass er scheitern wird", George Soros, US-Investor über D. Trump. Der Palm Golf Club in Florida, der Trump gehört erhöht die Aufnahmegebühr auf 200.000 $ und wird zum Regierungsnebensitz. Trumps Flüge dorthin kosten den Steuerzahler Millionen Dollar. Im Mai 2017 erscheint das Buch "The Sum of Small Things" der Soziologin Elisabeth Currid-Halkett (University of Southern California). Sie untersucht die Frage, warum die Trump - Wähler die Elite hassen (mangelnde Chancengleichheit!). Im März 2018 muss die junge Kommunikationsdirektorin Hope Hicks gehen (29 Jahre, Ex-Modell, ist durch viele brisante Notlügen aufgefallen).

Exkurs. Die US-Kultur und Gesellschaft: Obama wollte die Spaltungen überwinden und ist letztlich gescheitert. Trump sieht und sah die Spaltung nicht als Herausforderung, sondern als Chance für seine Wahlkämpfe. Die Amerikaner geben ihr Geld mehr für Waffen als für Sozialleistungen oder frei zugängliche Bildung aus. Wir haben uns immer auf den militärischen Schutz der USA verlassen. Das Individuum ist immer noch alles. Insofern ist der amerikanische Traum nicht tot. Aber er ist inzwischen mehr eine Ideologie. Aber die Gesellschaft leidet an ihrer inneren Schwäche. Viele soziale Bereiche sind unterfinanziert. Kein  Land der Welt sperrt so viele Bürger ins Gefängnis (629 Einwohner auf 100.000 Einwohner). Bildung ist eine alleinige Frage des Geldes. Die gesellschaftlichen Defizite führen zu finanziellen Defiziten und umgekehrt. Wenn der Dollar irgendwann nicht mehr akzeptiert wird (z. B. auch von Chinesen, die der größte ausländische Gläubiger sind), bricht das Kartenhaus zusammen. Politisch sind die USA gespalten, weil sich die republikanische Partei auch von religiösen Ideologien leiten lässt (Abtreibung). Innere wirtschaftliche Schwäche ist gepaart mit internen Kämpfen. Biden konnte bisher die Hoffnung nicht erfüllen. Vgl. Wiebe, Frank: Amerikas (Alb)traum, in: HB Nr. 155/ 12./ 13./ 14. August 2022, S. 16f. Die Rassenunruhen in USA 2020 empfehlen ein Buch von Philip Roth: Der menschliche Makel. Es gibt meines Wissens nach kein besseres Buch zu dem Thema. Gleichzeitig erfährt man viel Interessantes zu der Kultur amerikanischer Hochschulen. Vieles kann man auch auf Deutschland übertragen (Gender, Diskriminierung). 2020 gerät der deutsche Ökonom Harald Uhlig unter Druck. Er lehrt an der Uni Chicago. Er soll sich angeblich rassistisch geäußert haben (Kommentar zur Protestbewegung "Black Life Matters"). Er geht um seine Äußerung über Twitter, in der er sich gegen einen Finanzierungstopp bei der Polizei aussprach ("Drückt Euch aus! Habt Spaß! Aber macht nichts kaputt, ok?", wird als herablassend empfunden). Uhlig war aber schon vorher mehrmals negativ aufgefallen. Die Uni untersucht unter anderem einen Vorwurf, er habe eine Vorlesung auf dem Martin Luther King-Tag verlegt und sich darüber lustig gemacht. Es taucht auch die Frage auf, ob die Ökonomie eine "weiße Wissenschaft" sei (Menschenbild). Uhlig muss die Rolle als Chef-Herausgeber des Journal of Political Economy aufgeben. Siehe auch: "Tragisches Missverständnis, in: Die Zeit 26, 18. Juni 2020, S. 26. Von Philip Roth kann ich weiteres Buch empfehlen: Amerikanisches Idyll, Hamburg (Rowohlt) 2020 (21. Auflage). Es ist eine Klage über die in diesem Jahrhundert gegebnen Versprechen von Wohlstand, öffentlicher Ordnung und häuslichem Glück. Die Hauptfigur ist Swede Levov, ein legendärer Sportler an der Highschool in Newark. Für dieses Buch erhielt Roth den Pulitzer-Preis. Gegen Philip Roth ist John Steinbeck, der andere große Autor über die Kultur der USA, eher oberflächlicher. Trotzdem sind seine Bücher immer noch lesenswert, vor allem "Die Straße der Ölsardinen" (über Monterey, südlich von San Francisco). Es gibt weitere interessante Bücher zum Thema: Bret Easton Ellis: American Psycho, 1991. Er beschreibt die Grandiosität und die Verkommenheit amerikanischer Alltagskultur mit besonderer Sensibilität gegenüber Gewalt. Sehr lesenswert ist auch das Buch eines deutschen Soziologen (verstorben, Lehrstuhl an der Uni Köln): E. K. Scheuch: USA - ein maroder Gigant, Freiburg 1992. "Ich erwarte am Ende einen großen Knall, der alles erklärt", Quentin Tarantino.

Exkurs. Wokeismus: In den USA greift 2023 eine Ideologie um sich, die gesellschaftliche Konflikte zu lösen behauptet. Die Bewegung ist ein sehr diffuses Phänomen. Es gibt viele Zweige an ihrem Baum, die alle dieselben Wurzeln und dasselbe Endziel haben: eine antiwestliche Utopie. Die unterschiedlichen Denker berufen sich sogar auf Marx, Hegel, Nietzsche und die Frankfurter Schule. Doch liegen die Wurzeln eher bei Michel Foucault oder Jacques Derida. Der Erfolg hat viele Gründe: Missstände werden angeprangert, die Klimakatastrophe, der Kapitalismus. Hinzu kommt ein extremer Gender -Aktivismus. Vgl. Ayaan Hirsi Ali: Der Wokeismus verfolgt zerstörerische Ziele, in: NZZ 19.7.23, S. 8f.

Exkurs. Taylor Swift: Die Sängerin ist ein weltweites Phänomen. Ihre Wurzeln liegen in der Countrymusik (eigenes Zimmer in der Hall of Fame für Country in Nashville; sie stammt auch aus und wohnt in Nashville). Sie hat schon als Kind mit 8 Jahren angefangen und hatte schon als Jugendliche Erfolge (geboren 1989). Die Popikone bricht alle Rekorde. Das gilt für Preisverleihungen, Ticketverkäufe und in den Charts (die Liste ihrer Liebhaber und Teilzeitlebensgefährten ist auch lang). Der Superstar beeinflusst auch die Einstellungen der Menschen. Mittlerweile ist sie auch politisch sehr aktiv. Die Universität Melbourne will das Phänomen wissenschaftlich untersuchen. Es findet ein "Swiftposium" statt (3 Tage im Februar 24). Auch an anderen Unis wird die Sängerin behandelt (USA, Belgien). Sie hat in den USA ein Vermarktungsimperium aufgebaut. Sie prägt die heutige Musikwelt. Mit 101 Mio. Hörer pro Monat liegt sie bei Spotify an der Spitze. 130 Mio. $ setzte ihr Film über die  Eras-Tour um. 10 Songs von ihr lagen Ende 22 zugleich an der Spitze der Verkaufscharts. Die höchsten Einnahmen kommen aber aus der Werbung (Getränke, Kreditkarten, Kameras). Den Eras-Film (im neuen Sofi - Stadium in Los Angeles aufgenommen, 70.000 Zuschauer) hat sie selbst produziert. Wenn man den Film gesehen hat, versteht man sofort ihre Position. Ich habe noch nie eine so perfekte Musikern gesehen (viele Musikrichtungen, komponiert und textet selbst immer mit, sie spielt Klavier und Gitarre, Tanz, Bewegung, Ausdruck, Mimik, Stimme, Stimmlagen, Authentisch). Sie scheint auch eine ungeheure Aura zu haben (so ihr Freund von 2023 Trevis Kelce im Wall Street Journal). Swift wird 2023 vom US-Magazin "Time" zur Person des Jahres gewählt. "Niemand anders auf diesem Planeten kann heutzutage so viele Menschen so gut bewegen". Sogar die Beziehung zu Kelce nützt beiden vom Marketing her. So bleiben sie ständig in der Öffentlichkeit. 2024 tauchen Nacktbilder von Swift in den sozialen Medien auf, die Fakes sind (mit KI gemacht). X sperrt deshalb vorübergehend den Namen. Taylor könnte auch zum entscheidenden Faktor in der US-Präsidentenwahl werden. Von den Republikanern aus versucht man sie schon zu demontieren. Wenn sie sich eindeutig auf die Seite der Demokraten schlägt (wie schon mal im eigenen Bundesstaat), könnten die Republikaner viele jungen Wähler, Unabhängige und Wechselwähler verlieren.  Man spricht schon vom Taylor-Swift-Effekt. Sie ist auch zu einer politischen Figur geworden. Im Januar 2024 gewinnt sie den Grammy für das beste Album des Jahres zum vierten Mal, wieder ein neuer Rekord. Swift kommt aus Tokio zum Super Bowle in Las Vegas, das Kansas City gewinnt. Sie wird im Fernsehen dauernd gezeigt. In Australien in der Universität Melbourne findet ein dreitätiges Symposion über die Wirkung von Taylor Swift statt. Gleichzeitig, Mitte Februar, gastiert Swift in Melbourne. Ihr Freund Kelce macht in einem Film mit und profitiert dabei vom Klimaschutzprogramm der US-Regierung.

3. Die innenpolitischen, insbesondere wirtschaftlichen, Pläne der Trump - Administration, dann Neustart unter Biden: Bisher erscheinen Trumps ökonomische Vorhaben als kruder Mix. Mit vielen Milliarden will er Infrastruktur und Militär ausbauen (im ersten Haushalt vom März 2017 Militär +10%; Grenzsicherung +7%) , um die Konjunktur anzukurbeln. Der US-Militäretat soll massiv erhöht werden (+10%). Die Mittel für die Vereinten Nationen und Entwicklungshilfe sollen stark gekürzt werden (bisher tragen die USA 22% der UN). Das wird dazu führen, dass auch andere Staaten, vor allem China den Militärhaushalt erhöhen. Es kommen auch spezielle  Konjunktur-Programme. Die will er mit privatem Geld machen, so es reicht. Die extrem hohe Staatsverschuldung wird aber wahrscheinlich weiter anwachsen. Im Kongress kann  Trump im Mai 2017 seine Haushaltsforderungen nicht ganz durchsetzen. Gleichzeit plant Trump, die Steuern zu senken.  Neuer Finanzminister wird Mnuchin (Ex-Goldman Sachs, Hedgefonds Dune Capital, Finanzmanager des Wahlkampfs; windiger Profiteur der Immobilienkrise 2008), der eine große Steuerreform plant. Er will unter anderem  die Unternehmenssteuern halbieren auf 15%. Außerdem plant er eine radikale Unternehmenssteuerreform: Sie zielt auf eine cashflow-basierte Besteuerung nach dem Bestimmungslandprinzip, wie es in der EU für die Mehrwertsteuer gilt. Das hätte große Auswirkungen auf andere Länder, auch die EU. In der Tat soll die Senkung der Unternehmenssteuern ab August 2017 kommen. Die Körperschaftsteuer soll von 35 auf 15% gesenkt werden. Das würde einen härteren Wettbewerb um Unternehmen auslösen, zumal GB nach dem Brexit auch eine deutliche Senkung plant. Dabei sind die Unternehmen nicht das schwächste Glied in der US-Wirtschaftskette, viel schwächer sind die Arbeitnehmer. Weiterhin ist eine "Border Adjustment Tax" angedacht. Hiernach sollen Exporte steuerfrei bleiben und Importe nicht steuerlich absetzbar sein. Das wäre eine Anti-Globalisierungssteuer und stark protektionistisch. Mit einem Dekret im April 2017 ordnet Trump die Überprüfung vieler bestehender Steuerregeln an. Damit soll einer Steuerreform der Weg geebnet werden (Entlastung von Mittelklasse und Unternehmen). Kern bleibt die "Destination-Based Cash Flow Tax" (DBCFT). Man muss aber abwarten, was tatsächlich kommt. Vielleicht soll nur der Mehrwertsteuer in den USA der Weg freigemacht werden. Ende April werden die Eckpunkte der Steuerreform klarer: Unternehmenssteuern von 35% auf 20% senken (unter den Durchschnitt der Industriestaaten (22,6%). Einkommenssteuer runter. Erbschaftssteuer abschaffen. Keine Grenzausgleichssteuer. Evtl. Mehrwertsteuer. Doch erst muss Trump die Mehrheit der Republikaner hinter sich bringen. Im Senat scheint er das zu schaffen. In den USA wird Anfang Dezember 2017 die historische Steuerreform vom Senat gebilligt (es müssen noch Repräsentantenhaus und Präsident folgen, aber wohl sicher): Senkung der Körperschaftssteuer von 35 auf 21 Prozent. Nach Berechnungen erhöht sich dadurch in zehn Jahren das Staatsdefizit um eine Billion Dollar.  Zusätzlich sollen konzerninterne Importe mit einer Sondersteuer belegt werden. Diese soll zwischen 10 und 20 Prozent liegen. Die Importbesteuerung würde die deutsche Wirtschaft hart treffen. Zusätzlich könnte kommen, dass bestimmte Betriebsausgaben (für Lizenzen, Motorenteile aus dem Ausland) nicht mehr geltend gemacht werden können. Am 20.12.2017 wird die Steuerreform beschlossen.  Noch Januar 17 erlässt Trump weiterhin ein Dekret, dass die Finanzmärkte wieder mehr dereguliert werden sollen (vor allem die Bankenregulierung nach 2008 soll aufgeweicht werden). Unter anderem geht es um höhere Eigenkapitalquoten, um eine Überschuldung zu verhindern. Nach der Trump - Administration behindert das Gesetz die Kreditvergabe. Die Korrekturen an den Bankenregeln (Dodd-Frank-Act) würde zu transatlantischen Wettbewerbsverzerrungen führen und zu Lasten Europas gehen. Der radikale Umbau des Finanzsystems konkretisiert sich immer mehr: Die Aufsichtsbehörde FDIC hat vorgeschlagen, die Finanzinstitute ganz von strengen Regeln zu befreien. Der neue Vize-Chef der Fed Randal Quarles folgt dem Anfang Dezember 2017. Eine Deregulierung des Bankensektors scheint bevor zu stehen.  ("Wir könnten Tausende an Regeln streichen, die die Banken bremsen", Thomas Hoenig, Vize-Chef der US-Einlagensicherung). Das traditionelle Bankgeschäft soll vom Investmentbanking getrennt werden. Das Trennbanksystem wurde 1930 in der Weltwirtschaftskrise eingeführt. 1999 wurde das Gesetz unter Bill Clinton aufgehoben (viele Experten sehen darin die Ursache der Finanzkrise 2008). Damit würde die US-Regierung auf einem wichtigen Politikfeld die internationale Kooperation aufkündigen (Ebene der G20). Der Ausbau der Infrastruktur und ihre Finanzierung erfordert Anleihen und Zwischenfinanzierungen, was der Wallstreet auch zugute kommt. Kernregelungen von Dott-Franck sind: 1. Effektive Finanzaufsicht, 2. Regulierungen der Finanzmärkte, 3. Schutz der Verbraucher und Investoren vor "Schwarzen Schafen" bei den Finanz - Dienstleistern, 4.  Werkzeuge für die Regierung, 5. Internationale Kooperation. Notenbanken in Europa warnen vor Deregulierung von Finanzinstituten.  Ökonomisch ist das Wirtschaftsprogramm eigentlich unmöglich. Außerdem käme dies in erster Linie den Reichen zugute ("Selbstbereicherungsprogramm für die alten Eliten"). Viele Experten rechnen daher mit einem Anstieg der Inflation ("Trumpflation"). Damit könnte der Druck auf die Fed, die amerikanische Notenbank, steigen, im Dezember die Leitzinsen anzuheben. Dies geschieht auch an 14.12.16 (auf 0,5 bis 0,75% angehoben). Danach kündigt Yellen schon weitere Erhöhungen an (Risiko einer überhitzten Wirtschaft). Dann wird Fed-Chefin Yanet Yellen wahrscheinlich 2018 ausgewechselt werden. Ein neuer Notenbankchef würde sich wahrscheinlich eher passiv verhalten (Powell). Dann würde ein Boom mit Inflation entstehen (zum Schaden der Armen). "Trumponomics" ähnelt in den Grundzügen "Reagonomics". Was die USA eigentlich brauchen, ist eine Umverteilung. Das ist aber ein Unwort in der amerikanischen Politik. Umverteilt werden müssten zumindest die ökonomischen Anreize (die Menschen sind ja nicht arm, weil sie faul sind; der "American Dream" müsste wiederhergestellt werden: jeder, der hart arbeitet, kann es nach oben schaffen).  Auch das Sozialsystem müsste dringend verbessert werden. Erziehungsministerin wird Betsy DeVos, die gegen staatliche Finanzierung von Schulen ist. Chef des nationalen Wirtschaftsrats wird Gary Cohn, leitender Geschäftsführer bei Goldman Sachs. Damit scheint die Bank zukünftig die Welt zu beherrschen ("Goldmänner" Bannon, Mnuchin, Cohn). Die Prognosen für die US-Wirtschaft für 2017 sind positiv: Die Wachstumsprognose liegt bei 2,3% (OECD). Die ALQ dürfte weit unter 5% liegen. Die Inflation könnte 2,3% erreichen (IWF). Dann würden weitere Zinserhöhungen folgen. Im April 2017 unterschreibt Trump das Dekret "Buy American, Hire American". US-Firmen sollen bei der Vergabe von Regierungsaufträgen bevorzugt werden. Angeblicher Missbrauch bei der Vergabe von Arbeits-Visa soll abgeschafft werden.  "Ich bin ein Macher und hasse die Bürokratie", D. Trump. Dabei wird er massiv vom ultraliberalen Hedgefonds-Manager Robert Mercer unterstützt. Zunächst mit viel Geld. Dann mit Netzwerken (erzkonservativer Juristenbund Federalist Society, Waffenlobbyistenverein NRA, auch Investition in Breitbart). Das Vermögen von Trump beläuft sich auf 1,4 Mrd. Dollar. 300 Mio. Dollar Schulden hat er, allein 130 Mio. Dollar bei der Deutschen Bank. Trump hat ein halbes Dutzend Goldman-Sachs-Banker in seine Mannschaft geholt. Die helfen prompt, den Banken mehr Freiheit zu geben. Trump nutzt fleißig sein Amt, um seinen Immobilien zu nutzen. Er pendelt ständig zwischen verschiedenen Golfplätzen, die sich über zunehmende Gäste und Preise freuen.

Im August 2017 gibt es Krawalle in Charlottesville/ Virginia. Rechtsextreme ("White Supremacy"; "Alt Right", "Vereinigt die Rechte") protestieren für ein Denkmal eines Südstaatengenerals (Robert E. Lee). Es kommt auch zu Zusammenstößen mit Demokraten und Bürgerrechtlern mit Toten. Der Ausnahmezustand muss verhängt werden. Trump verurteilt nicht klar den Rassismus, weil ihn die Rechten massiv unterstützen. Sogar Republikaner kritisieren das Verhalten des Präsidenten.  Später verurteilt Trump rassistische und antisemitische Gewalt auf Druck hin (auch seiner Partei), macht aber dann wieder eine Kehrtwende. Bannon, der als rechter Chefideologe gilt, muss das Weiße Haus verlassen (er hat sich aber gegen einen Krieg mit Nordkorea ausgesprochen).

Die Verschlüsselung des Datenverkehrs (Google, Apple, Facebook) soll auch aufgehoben werden, um mehr Kontrolle zu erreichen. Außerdem will Trump einen großen Teil der Migranten zurückschicken (1,2 Mio.?). Von diesen billigen Arbeitskräften profitieren die großen amerikanischen Internetkonzerne wie Google, Apple, Amazon und Facebook. Folglich sind die Aktienkurse dieser Unternehmen kurz vor und zu Beginn der Präsidentschaft um durchschnittlich 5% gesunken. Die führenden Manager der Internetkonzerne (Sandberg, Pichai, Chesky, Kalanick) melden sich sofort zu Wort und kritisieren die Migrationspolitik. Die Euphorie für Trump schwindet. Die Wirtschaft könnte am Ende über sein Schicksal entscheiden. Trumps mächtigste Gegner sind die Geheimdienste. Der Konflikt ist groß.   "Wir müssen sehen, welche seiner Drohungen Trump wirklich umsetzt", Eric Schmidt, Verwaltungsratschef von Alphabet (tritt Ende 2017 zurück).

Trump will Obamas Gesundheitsreform (allgemeine Krankenversicherung) teilweise zurücknehmen. Ein Dekret gleich nach Amtsantritt beginnt damit. Das würde wieder mehr die Armen treffen. Anbieter von Medizintechnik, vor allem Exporteure aus Deutschland (Siemens, Fresenius, Draeger), hätten Nachteile. Die Weichen für eine  Zentralangriff auf Obamacare sind gestellt: Der Obamacare - Gegner Tom Price (gelernter Chirurg) wird als Gesundheitsminister nominiert. Er wird die Reform möglichst beschneiden. Im September 2017 muss er zurücktreten, weil er auf Kosten der Steuerzahler teure Privatjets benutzte. Im März 2017 wird die Richtung deutlich: Die Pflicht zur Krankenversicherung soll abgeschafft werden. Die freiwillige Krankenversicherung soll gefördert werden. Wahrscheinlich wäre Obamacare auch ohne Machtwechsel in Schwierigkeiten gekommen. Die Kosten für den Staat sind sehr hoch und der Nutzen für die Patienten hält sich in Grenzen. Im US-Repräsentantenhaus können sich die Republikaner nicht einigen. Ein Votum wird mehrmals verschoben. Trump droht damit, Obamacare  beizubehalten. So zieht denn auch Trump den Gesetzentwurf für eine neue Gesundheitsversorgung zunächst am 24.03.17 zurück. Das ist eine schwere Niederlage für Trump scheitert an Rebellen aus den eigenen Reihen). Reformiert werden müsste eigentlich der Wettbewerb bei Medikamenten, die Bürokratie und das Rechtssystem. Anfang Mai 17 geht ein reformierter Gesetzentwurf (Neufassung, weniger Versicherung) knapp im Repräsentantenhaus durch. Im Kongress wird der Gesetzentwurf mehrmals abgesetzt. Im September 2017 scheitert eine Reform von Obamacare erneut. Auch der neue Arbeitsminister Andy Puzder, ehemaliger Chef der Fast-Food-Kette CKE,  lehnt die Gesundheitsreform ab. Er wird erst gar nicht ernannt, weil er jahrelang illegal (schwarz) eine Haushaltshilfe beschäftigt hatte. Jetzt ist Alexander Acosta designierter Arbeitsminister  (Arbeitsrechtler an der Uni von Florida) und wird es auch. Bildungsministerin wird Betsy DeVos, die Trump im Wahlkampf mit Geld unterstützt hat, aber nicht als Kämpferin für Chancengleichheit aufgefallen ist. Gleich nach Amtsantritt reformiert Trump Teile der Reform. Die Steuerreform von Dezember 2017 greift auch in den Gesundheitsbereich ein. Gesunde, junge Beschäftigte können befreit werden. Das dürften sie millionenfach machen. Auf Ältere und Kranke kommen drastisch steigende Beiträge zu.13 Mio. US-Bürger könnten ihren Gesundheitsschutz verlieren. Außerdem ordnet er ein Anti-Abtreibungs-Dekret an. Neil Gorsuch, ein Abtreibungsgegner, wird für den Verfassungsgerichtshof nominiert. Im Oktober 2017 ruft Trump den nationalen Gesundheits-Notstand aus. Der Heroin- und Opiummissbrauch ist gravierend. Jeden Tag sterben 91 Menschen an einer Überdosis. Weiterhin hat Trump Deregulierung und ein Modernisierungsprogramm für die Infrastruktur angekündigt.  "In den USA formiert sich hinter dem Sichtschutz legitimer Kritik an ökonomischer Ungleichheit eine reaktionäre Bewegung", in: Wirtschaftswoche 48/ 18.11.16, S. 26. "Wenn der Handel stoppt, stoppt die Welt. Nicht andere Länder stehlen den USA die Jobs. Die Amerikaner haben das Geld nicht richtig verteilt", Jack MA, Chef von Alibaba.

Im Februar 2018 startet Trump sein Infrastruktur-Paket. Das Programm umfasst Investitionen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar. Allerdings will die US-Regierung nur 200 Milliarden Dollar selbst beisteuern. Die fehlende Differenz soll von Bundesstaaten, Kommunen und dem Privatsektor investiert werden. 54.000 Brücken in den USA sind sanierungsbedürftig. Viele Tunnel sind für heutige Bedürfnisse zu eng. Weiterhin müssen Straßen, Bahnlinien, Stromnetze, Flughäfen, Dämme und Schleusen dringend auf den Stand des 21. Jahrhunderts gebracht werden. Wenn man bedenkt, dass wegen der Steuerreform die Einnahmen zurückgehen werden, kann das nur durch Erhöhung der öffentlichen Schulden gehen. "Wie zahlreiche Rechtsexperten festgestellt haben, habe ich das absolute Recht, mich selbst zu begnadigen. Aber warum sollte ich das machen, wenn ich nicht unrechtes getan habe?", Donald Trump, US-Präsident über Twitter im Juni 2018.

Ende September 2018 gibt es eine große Auseinandersetzung um die Ernennung des obersten Richters. Trump hat Brett Kavanaugh vorgeschlagen. Er soll noch vor der Senatswahlen ernannt werden. Drei Frauen beschuldigen den Kandidaten sexueller Übergriffe. Die Wahl des Richters ist auch nach einer Empfehlung des Justizausschusses noch offen. Das FBI ermittelt. Die Mehrheit für Kavanaugh scheint nahe zu sein. Tatsächlich gibt es eine Senatsmehrheit für ihn. Er wird oberster Richter. Im September 2020 stirbt die angesehene und legendäre Richterin Ruth Bader Ginsburg an Krebs mit 87. Trump ernennt sofort Ann Convey Barrett zur Nachfolgerin (48 Jahre alt, sieben Kinder, erzkonservative Katholikin, gegen Abtreibung) Die Personalie spaltet wieder die US-Politik, weil Trump nicht bis nach der Wahl wartet. Es gibt jetzt ein Verhältnis 6:3 beim obersten Verfassungsgericht zugunsten der Konservativen.  Der frühere amerikanische Justizminister William Blarr wird wieder im Dezember 2018 Minister, Trump hofft, dass er die Untersuchungen gegen ihn  stoppt. Haushaltsdirektor Mick Mulvaney löst im Dezember 2018 den Stabschef im Weißen Haus Kelly ab. Im gleichen Monat tritt Innenminister Ryan Zinke wegen Skandalen zurück.   Die New York Times bringt im Oktober 2018 einen großen Artikel über die Familie Trump. Sie entlarvt darin die Mär vom Milliardär, der sein Vermögen erarbeitete. Die Steuerbehörde prüft nun, ob der US-Präsident seinen Eltern bei der Steuerhinterziehung geholfen hat (Immobilienvermögen zu niedrig bewertet; zu wenig Erbschaftssteuer).

Ende Februar 2019 findet eine Anhörung des Ex-Anwalts von Trump Michael Cohen vor dem US-Kongress statt. Er belastet den Präsidenten schwer bei den Russlandgeschäften, dem Wahlkampf  und den Sex-Affären. Trump habe ein Hochhaus in Moskau gebaut, bei dem er noch verhandelt habe als schon Wahlkampf war. Von Julian Assange und Wikileaks habe Trump Material gegn Hillary Clinton verwendet. In den Sex-Affären habe er Schweigegeld gezahlt. Cohen bezeichnet Trump als Rassist, Betrüger und Lügner.

Anfang Februar 2019 wird der ehemalige Trump - Berater und Wahlkampfmanager Paul Manafort zu 47 Monaten Haft verurteilt. Es ging dabei auch um die Russland-Affäre (Treffen mit eine russischen Anwältin im Trump-Tower). Manafort war schon verurteilt worden wegen Steuerhinterziehung und Bankbetrugs.

Im März 2019 streitet sich ein prominentes Ehepaar über den Geisteszustand von Trump. Es geht um Kellyanne und George Conway. Die Frau war Trumps Wahlkampfmanagerin und ist heute eine der wichtigsten Beraterinnen. Sie prägte den Ausdruck "Alternative Fakten" (Unwort des Jahres 2017 in Deutschland). George ist ein prominenter Anwalt. Er kritisiert regelmäßig den Präsidenten. Er stellt seine psychische Verfassung in Zweifel.

Am 21.03.2019 legt US-Sonderermittler Robert Mueller seinen Abschlussbericht  über die Russlandaffäre beim Justizminister Bill Barr vor. Der will die wichtigsten Schlussfolgerungen zusammenfassen. Diese müssen nicht strafrechtlich relevant sein, könnten aber politisch heikel sein. Im schlimmsten Fall könnten sie Grundlage für ein Amtsenthebungsverfahren sein. Mueller ermittelt seit Mai 2017. Mueller sieht es als erwiesen an, dass Russland versuchte, Einfluss auf die US-Präsidentschaftswahlen zu erlangen. Hinweise auf eine tatsächliche Zusammenarbeit oder Absprachen gibt es aber nicht. Die Demokratische Partei und andere Gruppen fordern eine vollständige Veröffentlichung des Berichtes. Viele Stellen wurden für die Öffentlichkeit geschwärzt. Es gibt einen überraschenden auftritt von Sonderermittler Robert Mueller im Mai 2019 (die Nachforschungen hätten Trump nicht entlastet). Die Debatte über ein mögliches Amtsenthebungsverfahren entbrennt neu. Die Demokraten wollen Trump jagen. Mueller muss vor dem Kongress aussagen.

Im April 2019 zwingt Trump seine Heimatministerin zum Rücktritt. Kirstjen Nielsen wollte die Leitung der Heimatpolizei ICE einem Kandidaten übertragen, den Trump nicht wollte. Trump fühlt sich nicht genug unterstützt in seiner kompromisslosen Politik gegen illegale Einwanderer.

Im April 2019 informiert die Deutsche Bank Ermittler über Kredite an Trump. Ausschüsse im US-Kongress verlangen Unterlagen über Kredite in Milliardenhöhe. Trump verklagt die Deutsche Bank wegen der Herausgabe.

Im April 2019 tritt Justizminister Rosenberg zurück. Er war bei Trump in Ungnade gefallen, weil er Mueller nicht abgesetzt bzw. entsprechend angegriffen hatte. Der Nachfolger steht mit Rosen schon bereit.

Im Mai 2019 entbrennt ein Streit über die 20-Dollar-Note. Bisher zeigt sie Präsident Andrew Jackson. Er soll durch Harriet Tubman abgelöst werden. Sie gilt als berühmteste Fluchthelferin für Sklaven. Trump sieht Jackson als sein Vorbild und möchte die Ablösung verhindern.  Der Vorschlag Tubman geht noch auf Obama zurück. 

Ende Juni 2019 scheidet die US-Präsidentensprecherin aus dem Amt. Sarah Sanders war sehr umstritten. Im Kurznachrichtendienst Twitter spricht Trump von einer "wunderbaren" Sprecherin. Sie will in ihren Heimatstaat Arkansas zurück. Sanders ist 36 Jahre alt und seit Juli 2017 im Amt. Die bisherige Sprecherin von Ehefrau Melania Trump , Stephanie Grisham, soll neue Pressesprecherin von Trump werden.

Im Juni 2019 eröffnet Trump den Wahlkampf mit dem Slogan "Keep America great again".

Im Juni 2019 tritt der geschäftsführende Verteidigungsminister Shanahan sein Amt nicht an. Neuer kommissarischer Minister wird Mark Esper. Er war Verwaltungschef des Heeres. Er soll das Amt auch dauerhaft übernehmen, was auch geschieht.

Am 4. Juli 2019, dem US-Nationalfeiertag, widmet Trump diesen zur Bühne für seine Selbstdarstellung um. Panzer und Kampf-Jets treten zum ersten Mal als Symbole amerikanischer Stärke auf.

Am 12.07.2019 tritt Arbeitsminister Alexander Acosta zurück. Im Zuge der Missbrauchsaffäre um den US-Milliardär Jeffrey Epstein hatte er als Staatsanwalt einen Deal ausgehandelt.

Die Zahl der Amokläufe und Bluttaten häuft sich. Trump scheut sich, gegen die Waffen-Lobby vorzugehen. Er setzt auf härtere Strafen (Todesstrafe).

Im Sommer 2019 positionieren sich die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gegen Trump: Joe Biden, Bernie Sanders, Elisabeth Warren, Kamala Harris. Mein Favorit ist Warren. Mittlerweile gibt es schon 18 Kandidaten für die Demokraten im November 2019, zuletzt tritt noch  Michael Bloomberg an (ehemaliger Bürgermeister von New York und Milliardär).

Im September 2019 schmeißt Trump Sicherheitsberater John Bolton raus, der als Falke galt. Er schreibt später ein buch über seine Zeit mit Trump. Das gibt ein sehr negatives Bild von Trump. Nachfolger wird Robert O´Brien, der eher als Pragmatiker denn als Ideologe gilt. Er ist in der republikanischen Partei gut vernetzt und gilt als Mannschaftsspieler.  Im März 2020 muss der Stabschef im Weißen Haus wieder mal gehen (Malvaney; zum dritten Mal unter Trump). Er hat Trump in der Ukraine-Affäre nicht genug unterstützt. Neuer Stabschef wird Mark Meadows aus North-Carolina. Er war einer der treuesten Unterstützer von Trump.

Die demokratische Partei leitet 2019 ein Impeachment-Verfahren gegen Trump ein. Ausgangspunkt ist die Ukraine-Affäre. Trump soll die ukrainische Regierung unter Druck gesetzt haben, Material gegen den Biden - Sohn zu sammeln und so Trump im Wahlkampf zu helfen. Der Botschafter bei der EU Gordon Sondland belastet Trump schwer. Im Dezember beantragt Parlamentschefin Nancy Pelosi das Impeachment-Verfahren gegen den US-Präsidenten offiziell. Wird Trump das Impeachment überstehen? Entscheidend ist der Senat, wo die Republikaner die Mehrheit haben. Sie wollen ein möglich schnelles Verfahren dort. die Demokraten wollen das verhindern. Die Trump - Regierung will John Boltons Buch verhindern. Er war bis September 2029 Sicherheitsberater. Die Demokraten wollen ihn als Zeugen vorladen. Im Senat scheitert schließlich die Amtsenthebung von Trump. Es kommt nicht die nötige Zweidrittelmehrheit zustande. Das ist ein Befreiungsschlag für Trump zu Beginn des Wahljahres in den USA. 2021 startet die demokratische Partei ein zweites Impeachmentverfahren. Hintergrund ist die Erstürmung des Kongresses in Washington von rechten Trump-Anhängern. Am Ende gibt es einen Freispruch für den politischen Brandstifter. Der Prozess unterstreicht die tief greifende Polarisierung der USA. Die Republikaner bleiben vorerst die Partei Donald Trumps. Ein ehemalige Mitarbeiterin (Assistentin von Stabschef Mark Meadows) sagt 2022 über die Rolle von Trump bei der Erstürmung des Kapitols aus.  Cassiy Hutchinson bringt schlimme Sachen zutage. Trump greift sie sofort über sein Netzwerk "Truth - Social" an.    Im Juli 2020 gestattet das Oberste Gericht der USA der Justiz die Auswertung von Finanzunterlagen des US-Präsidenten. Trump steht nicht über dem Gesetz.

Die republikanische Partei will sich von extremen Abgeordneten distanzieren. Zuerst ist Im US-Repräsentantenhaus Marjorie Taylor Greene betroffen. Die Abgeordnete aus Georgia fliegt aus zwei Ausschüssen. Sie ist antisemitisch und rechtsextrem.

Biden will innenpolitisch nicht die Fehler seiner Vorgänger machen. Es packt Riesen - Pakete, um die Schwächen der USA anzugehen. 620 Mrd. Dollar für Transport und Infrastruktur (Brücken, Bahn, E-Autos). 384 Mrd. $ für Jobs und Produktion in den USA (u. a. Halbleiter). 311 Mrd. $ für Versorgung (Strom, Wasser, Internet). 400 Mrd. $ für Alte und Kranke. 241 Mrd. $ für Gebäude (Sozialer Wohnungsbau). 194 Mrd. $ für Forschung und Innovation (u. a. Klima). 137 Mrd. $ für Bildung (u. a. Kindergärten). Vgl. Buchter, Heike: Familie first, in: Die Zeit Nr. 19, 6.5.21, S. 22. Biden hat Probleme diese Programme durchzusetzen, auch in der eigenen Partei. Er muss auf Reform-Werbetour gehen.

Die Republikaner wollen nach der Präsidentenwahl in einzelnen Staaten, in denen sie die Mehrheit haben,  Wahlrechtsreformen durchführen. Sie wollen die Wahlverfahren in der Weise ändern, dass die Stimmabgabe erschwert wird (z. B. Öffnungszeiten der Wahllokale). In der Praxis bedeutet das fast immer Nachteile für ihre Gegner. In Texas fliehen Abgeordnete, um Abstimmungen zu verhindern. Ein Jahr nach den Wahlen bereitet Trump eine erneute Kandidatur vor. Er hat seine Partei noch fest im Griff. Wenn Abgeordnete nicht kuschen, erhalten sie Todesdrohungen. Trumps Kundgebungen ähneln immer mehr den Treffen einer Sekte, die ihrem Guru huldigt.  Trump erhält im Dezember 21 1 Mrd. $ für seine Medienpläne: Er will das Netzwerk "Truth Social" aufbauen.

Die Republikaner versuchen systematisch das Wahl-Recht zu ihren Gunsten zu ändern. Sie versuchen oft, die Abstimmungsregeln zu ändern. So geht es auch um ein nach Bürgerrechtler und späteren Abgeordneten John Lewis benanntes Gesetz zum Schutz des Wahlrechts. Das Recht zur Stimmabgabe soll geschützt werden. Gesetze der Bundesstaaten, die das Wahlrecht untergraben, sollen ausgebremst werden.

Im April wird die liberale Jackson die erste schwarze Richterin am US-Supreme Court. die konservative Mehrheit änderte die Bestätigung Jacksons nicht.

Im Jahre 2022 gehen die Mieten durch die Decke (über 37% Preissteigerung bei Neuobjekten). Die Inflation ist sowieso hoch und die Angestellten kehren nach Corona in die Metropolen zurück. Der Wohnungsmarkt droht aus den Fugen zu geraten. Die Metropolen an der West- und Ostküste haben noch höhere Steigerungsraten (San Francisco, Miami). Personalmangel, Lieferprobleme haben die Kosten am Bau zusätzlich stark in die Höhe getrieben.

Der US - Supreme Court will im Mai 2022 ein Abtreibungsverbot erlassen, obwohl die Mehrheit der Amerikaner für Abtreibung ist. Im Juni kommt das entsprechende Urteil (6 zu 3 Richterstimmen, Trump hatte erzkonservative Richter durchgedrückt). Das fast 50 Jahre alte liberale Abtreibungsgesetz wird gekippt. Abtreibung sei nicht in der US-Verfassung vorgesehen. Die einzelnen Bundesstaaten können entscheiden. Abtreibung wird wohl nur noch in Kalifornien und New York möglich sein, wo es in der Verfassung verankert ist. Trump triumphiert, es gibt große Demonstrationen in den USA. Die Gesellschaft wird weiter gespalten. Die ultrarechten Richter, die Präsident Trump noch bestellt hat und die die Mehrheit bilden, torpedieren zunehmend die Grundwerte der liberalen Gesellschaft (Waffenverbot, Abtreibungsrecht, Klimaschutz, Teile des Wahlrechts). Der Supreme Court ist nicht mehr ausgleichende Instanz. Im Gegenteil: Waffentragen wird leichter, die Umweltbehörde wird ausgebremst. Die Gesellschaft wird gespalten. Der Suprme Court könnte auch noch die Trennung zwischen Kirche und Staat aufheben.

4. Die US-Präsidentschaftskandidaten, die Vorwahlen und die Wahlen in den USA 2020; Corona-Covid-19 und Ölpreis als Rahmenbedingungen : In Iowa beginnen im Februar 2020 die Vorwahlen zur Kür der US-Präsidentschaftskandidaten. Hier beginnt traditionell die Vorwahl. Bei den Republikanern steht Donald Trump schon fest. Bei den Demokraten ist das Rennen völlig offen. Es konkurrieren Bernie Sanders, Pete Buttigieg, Jo Biden, Elizabeth Warren und Bloomberg. Landesweit die besten Prognosen hat Biden. Bei der Vorwahl gibt es ein Auszählungschaos historischen Ausmaßes. Ein Programmierfehler in einer Auszählung - App ist dafür verantwortlich. Pete Buttigieg liegt vorne und gewinnt knapp vor Bernie Sanders. Sanders gewinnt dann knapp die Vorwahl in New Hampshire. Bloomberg will erst bei den bevölkerungsreichsten Staaten eingreifen: Sein Bekanntheitsgrad als ehemaliger Bürgermeister von New York ist aber hoch. Sanders gewinnt auch die Vorwahl in Nevada. In South-Carolina gewinnt Ende Februar 2020 Biden vor Sanders. Danach geben einige Kandidaten auf. Am Dienstag, den 03.02.20, ist der "Super Tuesday". Hier dürfte sich entscheiden, wer für die Demokraten antritt: Biden, Sanders oder Bloomberg. In neun Staaten gewinnt Biden  (auch in Texas). In vier Staaten Sanders, auch in Kalifornien (hier werden aber alle Stimmen über 15% verteilt). Bloomberg wirft danach das Handtuch, auch Buttigieg. So bleiben noch als ernsthafte Bewerber Biden und Sanders. Es geht auch um grundsätzliche Gesellschaftskritik (Realismus oder Revolution). Das Duell könnte die Partei spalten. Dei US-Senatorin Elisabeth Warren gibt auch auf. Ihr Ausstieg spielt Bernie Sanders in die Hände, weil beide links stehen. Damit kann aber keine Frau Präsidentin werden. Biden gewinnt die Vorwahlen in vier weiteren Staaten. Besonders wichtig ist Michigan. Biden wirkt aber nicht so frisch bei seinen Auftritten wie Sanders. Sanders gibt am 08.04. auf. Damit ist der Weg für Biden frei.

Die Corona-Krise, die auch die USA hart trifft, weil auch zu wenig und zu spät Tests stattfinden, könnte den Wahlkampf grundlegend verändern: Trump kann nicht mehr Großveranstaltungen durchführen, Wirtschaft, Aktienkurse, Arbeitsplätze entwickeln sich negativ (die positive Entwicklung was das Narrativ von Trump). Der Seuchenschutz wurde in der Amtszeit von Trump deutlich heruntergefahren. Außerdem haben republikanische Senatoren bereits im Januar, als sie vom Geheimdienst über das wahre Ausmaß von Corona informiert wurden, auf dem Höchststand des Dow Jones Aktienpakete verkauft (Insider-Geschäfte)). Trumps Corona-Hilfspaket scheitert am 23.3. im US-Senat. Am 25.3. einigt man sich auf ein Programm in Höhe von 2 Billionen $. Am 23.3. gibt es 41.027 Infizierte in den USA (12.000 in N. Y., einen Tag später 20.000 und 280 Tote). Am 25.3. liegt die Zahl schon bei 61.167 Infizierten und 253 Toten. Für den 26.3. sind die Zahlen: 75.233 Infizierte und über 1000 Tote. 27.3. fast 100.000 Infizierte und 1500 Tote. Am 30.3.20 gibt es 150.000 Infizierte und über 2000 Tote, eine exponentielle Steigerung. Am 6.04.20 haben die USA 350.000 Infizierte und mehr als 10.000 Tote. Am 08.04. liegt die Zahl der Infizierten über 400.000 (2000 Tote an einem Tag). Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer, weil es zu wenig Tests gibt.  Ausrüstung fehlt (Atemschutzmasken, Schutzkleidung, Beatmungsgeräte). Trump will nicht auf Kriegswirtschaft umrüsten (dann könnte die Ausrüstung in den USA produziert werden). Später (in drei Wochen) wird ihm nichts anderes mehr übrig bleiben, sonst bricht Chaos aus: Die öffentlichen Krankenhäuser werden heillos überlastet sein. Die privaten Krankenhäuser werden sich abschotten. Die USA werden den Weltmarkt leer kaufen mit starken Auswirkungen auf die Preise (Arzneien, Impfstoffe, Mundschutz, Beatmungsgeräte, Ausrüstung; beschlagnahmen Ladungen für andere Länder). Der Leiter des National Institute of Allergy and Infectious Diseases Anthony Fauci (79 Jahre, Virologe) widerspricht Trump ständig. Er hat in seinem Leben schon viele Seuchen bekämpft. Der Präsident ist offenbar beratungsresistent bei Experten (wie man das von ihm kennt). Er begibt der WHO die Schuld. Fauci ist auch Mitglied einer Corona-Task Force im Weißen Haus. Am 28.3. ruft der Präsident doch das Kriegsrecht (Kriegswirtschaftsgesetz aus dem Koreakrieg) aus. GM und andere Firmen müssen Beatmungsgeräte herstellen. Trump ist gegen die Abriegelung von Krisenherden. Mittlerweile liegen die Prognosen für die USA zwischen 80.000 und 160.000 Toten, am 1.4. steigt die Prognose auf 240.000 Tote. Es fehlen in großem Ausmaß Krankenhauskapazitäten und Schutzausrüstung. Am 09.04. hatten die USA 432.396 Infizierte und 14.851 Tote (Verdopplung 7,8 Tage). Am 13.04. sind die USA schon bei 560.000 Infizierten und 23.000 Toten (Verdopplung 10 Tage). Am 18.04. erreichen sie 700.000 Infizierte und 37.000 Tote (höchste Zahl in der Welt). Die sozialen Kontakte sollen bis zum 30. April minimiert werden ( Präsident ändert seine Meinung). Am 12.05.20 gibt es schon 1,4 Mio. Infizierte und 81.000 Tote (Weltspitze). Am 28.05. erreicht man über 100.000 Tote. New York ist am stärksten betroffen: Am 04.04. schon 100.000 Infizierte und 300 Tote am Tag (Armeeschiff vor der Küste). Auf Park Island werden Massengräber eingerichtet.  Bis zum 05.05. haben die USA 1,2 Mio. Infizierte und 70.000 Tote (bis zum Sommer 134.000 Tote?). auf dem Lande sind Altenheime, Gefängnisse und Fleischfabriken die stärksten Überträger. Innerhalb von zwei Woche melden sich 10 Mio. Menschen arbeitslos, bis zum 09.04. 17 Mio., bis zum 15.04 22. Mio., bis Anfang Mai 20 30 Mio. Die Rezession erfasst die USA voll. Trump will die Einschränkungen gegen den Rat von Experten lockern. Er redet von der Befreiung einzelner Bundesstaaten und schiebt den Gouverneuren die Verantwortung zu. Mit einer Abschottungspolitik gegen Einwanderer will der Präsident aus der Corona-Krise kommen. Dann empfiehlt er kuriose Maßnahmen: UV-Licht, Hitze, Feuchtigkeit, Desinfektionsmittel spritzen. die Arbeitsgruppe "Corona" will Trump Ende Mai 2020 auflösen. Die Wachstumsraten der Infizierten liegen in Ballungsgebieten zwischen 70 und 200 %. Mittlerweile gibt es viele Fälle im Weißen Haus. Ab Juni 2020 beginnen fast alle Bundesstaaten mit größeren Lockerungen (aber Ende Mai über 1,7 Mio. Infizierte und über 100.000 Tote). Bundeskanzlerin Merkel will nicht zum G7-Gipfel in Washington reisen. Ende Juni 2020 verschärft sich die Corona-Krise erneut in den USA. Dramatisch ist die Lage vor allem im Süden. Kühllaster stehen vor US-Krankenhäusern. 3,5 Mio. Menschen haben sich schon infiziert. Rund 138.000 Menschen starben. Am 19.11.20 gibt es in der Summe schon 250.000 Todesfälle. 171.000 Menschen infizieren sich an einem Tag. "Ich kann Trump ja nicht zu Boden stoßen", Anthony Fauci.

Trump macht in der Krise ein desaströses Krisenmanagement (obwohl die CDC die größte und wahrscheinlich auch eine der besten Seuchenbehörde der Welt ist). Die USA werden dadurch zum Epizentrum von Covid-19. Die USA sind mit Abstand Spitzenreiter bei der Zahl der Infizierten und die Zahl der Toten in der Welt. Der ökonomische Crash dürfte noch bevorstehen. Absoluter Brennpunkt ist New York, eine der reichsten Städte der Welt. Die Schwäche des US-Gesundheitssystems und des ganzen Sozialsystems wird brutal offen gelegt. Schwarze und Hispanics sind am meisten betroffen. Die Äußerungen von Trump über Twitter oder sonst wo sind nur noch chaotisch. Er klagt aber China an, weil es falsche Zahlen bekannt gebe. Er erhebt auch Vorwürfe gegen die WHO (stellt Zahlungen ein) und gegen die Medien. End eMai treten die USA aus der WHO aus. Weiterhin reklamiert er absolute Macht, damit die Gouverneure mehrer US-Bundesstaaten nicht ein eigene Corona-Politik betreiben. Er will dam Kongress eine Zwangspause verpassen, damit möglichste schnell Stellen besetzen kann. Damit wird auch die Strategie im Präsidentschaftswahlkampf gegen Joe Biden deutlich. Er will Biden als Freund Chinas darstellen, der damit indirekt für die Krise verantwortlich ist ("China-Keule"). Er versucht das zu untermauern mit der Rolle des Biden - Sohnes bei Investitionen in China (These: China habe Biden gekauft). Weiterhin soll China den Sündenbock spielen. Einige Republikaner fordern eine stärkere Militärpräsenz im Pazifik.  China soll bestraft werden. Das Verhältnis beider Länder verschlechtert sich. Es droht ein neuer Kalter Krieg. Die USA schließen im Juli 2020 das chinesische Konsulat in Texas. Die Mitarbeiter werden der Spionage beschuldigt. Peking droht mit Gegenmaßnahmen. 

Besonders problematisch ist, dass sich Trump - Anhänger und  -Wähler weniger vor Corona schützen. Wissenschaftler sprechen von einem "Partisan Bias". Eine auf die Spitze getriebene Parteizugehörigkeit senkt die Sorge der Menschen vor Covid-19. Individuen und Haushalte reagieren stark unterschiedlich nach politischen Überzeugungen. Vgl. Barrios, John/ Hochberg, Yael: Risk Perception Through the Lens of Politics in the Time of the Covid-19 Pandemic, University of Chicago, Becker Friedman Institute of Economics, Working Paper No. 2020-32, April 2020.Beim Mund- und Nasenschutz vollzieht Trump im Juli 2020 eine Kehrtwende: Er plädiert jetzt für die Maske und bezeichnet sie als patriotisch. Das wirkt mehr pflichtgemäß als glaubwürdig.

Putin in Russland macht einen Nebenkriegsschauplatz auf. Er senkt dramatisch die Preise für Gas und Öl. Er setzt sich von der Opec ab und brüskiert Saudi-Arabien. Damit werden aber am härtesten die Länder belastet, die hohe Förderkosten haben. Das trifft voll die US - Fracking - Industrie. Preise unter 40-50 Dollar sind für sie nicht tragbar. Außerdem sind die Unternehmen hoch verschuldet. Es sieht wie eine Revanche für die USA wegen der Sanktionen gegen Nord - Stream 2. Auch das könnte die Wiederwahl von Trump gefährden. Es zeigt sich immer gravierender, dass Kriege heutzutage auf andern als militärischen Ebenen stattfinden (Ressourcen, Cyberspace/ Internet, Viren). Von dem freien Fall des Ölpreises (06.04.20 26,4 US-Dollar für ein Barrel der Sorte WTI) sind besonders die Regionen betroffen, wo Trumps Wähler sitzen (Oklahoma, Texas, Montana, Louisiana). Trump muss eine ganze Reihe finanzschwacher US-Ölfirmen über Schulden retten (und den Markt abriegeln) oder den Markt zulassen, was die Firmen in den Ruin treibt.

Wegen der Corona-Krise in den USA werden viele Vorwahlen abgesagt: Ohio, Louisiana, Georgia, Kentucky. Sie sollen später nachgeholt werden. Biden gewinnt aber die Vorwahlen in Florida, Arizona und Illinois. Damit ist er fast durch. Die Kandidatur fürs Weiße Haus ist ihm so gut wie sicher. Afroamerikaner unterstützen ihn besonders. Ein Vorwurf wegen sexuellen Übergriffs, der sich auf das Jahr 1993 bezieht, bringt ihn unter Druck. Im Juli 2020 kommt ein Buch über Trump von seiner Nichte Mary Trump. "Zu viel und nie genug" lautet der deutsche Titel. Sie hat einen Doktortitel in Psychologie. Sie zeichnet Trump als Soziopathen, der die menschlichen Emotionen in seiner Kindheit und Jugend nie ausleben konnte. Trump sei ein Meister im Schummeln. An der Uni habe ein Freund seine Prüfung geschrieben. Trump sei auch überhaupt nicht religiös. "Er hat keine Prinzipien, überhaupt keine". Sie bezeichnet ihn auch als den "gefährlichsten Mann der Welt". Es kommt im September 2020 ein weiteres Buch über Donald Trump heraus. Es legt offen, was viele schon vermutet hatten: Der US-Präsident hat die Corona-Krise selbst verschlimmert (Ton-Mitschnitte). Das Buch ist von Watergate - Enthüller und Star-Journalist Bob Woodward. Der Titel ist "Wut".

Durch den Tod eines Farbigen in Minneapolis (George Floyd) Ende Mai 20 durch die Polizei gibt es dort und in anderen Städten der USA Unruhen. Es kommt auch zu Plünderungen. Trump bietet die Nationalgarde auf und ruft über Twitter zur Gewalt auf (Äußerung wird von Twitter als Gewaltverherrlichung gekennzeichnet). Trump beruft sich auf die freie Meinungsäußerung. Die Proteste breiten sich aus. Am 31.05.20 verhängen schon 25 Städte Ausgangssperren. Die Nationalgarde ist jetzt im Einsatz. Viele Stadtteile liegen in Trümmern. Nutzen Linke und Rechte die Proteste? Gesundheitskrise, soziale Krise, Wirtschaftskrise und demokratische Krise (Staatskrise) stürzen die USA in Turbulenzen. Im Wahlkampf könnte es zu einem Stillstand kommen bzw. Trump könnte die Situation/ Eskalation  nutzen, um die USA zur Autokratie umzubauen und die Wahl zu verschieben. Der Trump-Vorstoß, das G7-Treffen auf Herbst zu verschieben und den Kreis der Länder zu erweitern, wird bei vielen Staatschefs schon als Wahlkampf eingestuft. Die Proteste weiten sich Anfang Juni 2020 auf über mehr als 100 Städte aus. Trump droht jetzt mit dem Militär (Gesetz von 1807, Gouverneure müssen zustimmen bzw. anfordern). In Washington lässt er eine friedliche Demo auflösen, um sich vor einer Kirche mit der Bibel fotografieren zu lassen (er setzt dabei sogar die Armee ein). Die Arbeitslosigkeit steigt auf über 40 Mio. an. Trump lenkt von all dem ab und macht daraus einen Kulturkampf. Auch den Streit mit China ("Sündenbock") setzt er fort und verbietet ab Mitte Juni 20 Flüge nach China (weil China US-Flugzeugen wegen Corona keine Landeerlaubnis erteilt). Der Polizist, der den Farbigen getötet hat, wird für Mord 2. Grades angeklagt. Die drei Kollegen werden der Mittäterschaft beschuldigt. Zu einem weiteren Ausbruch von Unruhen kommt es Ende August in Kenosha, Bundesstaat Wisconsin. Ein Farbiger wird von einem Polizisten mehrmals in den Rücken geschossen. Trump schickt die Nationalgarde. Dann kommt er selbst gegen den Widerstand von Bürgermeister und Gouverneur. Er plädiert für "Law and Order".   Die Rassenunruhen in USA 2020 empfehlen ein Buch von Philip Roth: Der menschliche Makel. Es gibt meines Wissens nach kein besseres Buch zu dem Thema. Gleichzeitig erfährt man viel Interessantes zu der Kultur amerikanischer Hochschulen. Vieles kann man auch auf Deutschland übertragen (Gender, Diskriminierung). 2020 gerät der deutsche Ökonom Harald Uhlig unter Druck. Er lehrt an der Uni Chicago. Er soll sich angeblich rassistisch geäußert haben (Kommentar zur Protestbewegung "Black Life Matters"). Er geht um seine Äußerung über Twitter, in der er sich gegen einen Finanzierungstopp bei der Polizei aussprach ("Drückt Euch aus! Habt Spaß! Aber macht nichts kaputt, ok?", wird als herablassend empfunden). Uhlig war aber schon vorher mehrmals negativ aufgefallen. Die Uni untersucht unter anderem einen Vorwurf, er habe eine Vorlesung auf dem Martin Luther King-Tag verlegt und sich darüber lustig gemacht. Es taucht auch die Frage auf, ob die Ökonomie eine "weiße Wissenschaft" sei (Menschenbild). Uhlig muss die Rolle als Chef-Herausgeber des Journal of Political Economy aufgeben. Siehe auch: "Tragisches Missverständnis, in: Die Zeit 26, 18. Juni 2020, S. 26.

Wohl aus wahlkampftaktischen Gründen verkündet Trump im Juni 2020 einen Teilabzug amerikanischer Truppen aus Deutschland. 9500 Soldaten sollen abgezogen werden, weil Deutschland zu wenig für Militär ausgibt. Die Soldaten werden wahrscheinlich nach Polen verlegt. In der Welt fürchtet man, dass Trump vor der Präsidentenwahl noch viele Aktionen nur aus Wahlkampfgründen machen wird. Es grassiert sogar die Angst, dass er bei einer Wahlniederlage trotzdem am Amt festhält. Es gibt auch die Befürchtung, dass Trump das Land bewusst spaltet und ins Chaos hineinführt, um in einer Notstandssituation länger im Amt zu bleiben. Die Feiern zum Unabhängigkeitstag am 04.07. nutzt Trump für düstere und polarisierende Botschaften. Er holt auch gegen Demonstranten und politische Gegner aus. Trump interveniert in großen Städten mit Bundespolizei. Er heizt die schwierigen Lagen an. Er setzt im Wahlkampf auf Konfrontation. Das Weltbild von Trump wird in der  Corona-Krise immer klarer. Ihn treibt ein darwinistisches Welt- und Menschenbild an: Starke Männer und Menschen setzen sich am Ende durch. Ihnen kann das Virus nichts anhaben. Er gibt seinen Anhängern weiterhin das Gefühl, dass er für sie und ihren Lebensstil kämpft.  Weiterhin setzt Trump auf seine Wirtschaftskompetenz, die die USA schon einmal ganz nach oben gebracht hat. Im Sommer 2020 verlagert Trump seine Wahlkampftaktik Richtung Briefwahl. Durch die Corona-Krise wollen immer mehr Menschen Briefwahl machen. Das könnte ein Vorteil für die Demokraten sein. Trump tut alles, um die Briefwahl madig zu machen ("massive Betrugsmanöver"). Er greift auch die US-Post an.  Die Frage ist, ob sie dem Ansturm gewachsen sein wird. Trump hält der Post bewusst Mittel vor, um Briefwahlzettel fristgerecht zu befördern. Briefsortiermaschinen werden abgebaut. Trump wird am 25.8.20 von den Republikanern nominiert (einstimmig; "Retter des Abendlandes"; Angst vor dem Mob). Die Anzahl der Lügen pro Rede steigt an (mindestens 20). Er geht als "Underdog" ins Rennen, eine gute Position. Er spielt weiter perfekt den ersten Internetpräsidenten (das Image im TV ist ihm egal). Am 28.9.20 veröffentlicht die New York Times Informationen übe rdie Steuerzahlungen von Trump. Er soll 10 Jahre überhaupt keine Steuern gezahlt haben. Als einziger Präsident hat er seine Steuererklärungen nicht offen gelegt. Er könnte bis 100 Mio. $ nachzahlen müssen.  In den USA gibt es immer mehr militante Rechtsextreme. Sie tragen häufig Hawaii-Hemden und sind bewaffnet. Man spricht von "boogaloo bois". Es sind männliche Trump - Anhänger, die gegen Frauen, Homosexuelle, Minderheiten sind. Facebook sperrte im Juli 2020 erstmals 320 Konten mit mehr als 100 Gruppen mit rechtsextremen Bezügen. Weitere starke Anhänger von Trump sind die Q. Das sind Anhänger einer Verschwörungstheorie. Sie müssen gegen unsichtbare Mächte kämpfen, die Kinder isolieren und ihr Blut trinken. Anhänger dieser Gruppe gibt es auch in Deutschland immer mehr. Trump unterstützt diese Gruppen latent ("bitte haltet euch bereit"). Es tut sich besonders eine rechtsnationale Gruppe hervor, nämlich die Proud Boys. Ihr Chef ist Enrique Tarrio, ein kleiner Textilunternehmer (gegründet wurde die Gruppe von Gavin McInnes, in GB geboren, in Kanada aufgewachsen, Publizist). Die Gruppe tritt als Miliz in Hochburgen der US-Linken auf. Man befürchtet eine Beeinflussung vor Wahllokalen von dieser Gruppe. Die Rechtsextremen stürmen im Januar 2021 (6.1.) schließlich das Kapitol und bedrohen die Abgeordneten. Die Gefahr ist nicht vorbei. US-Behörden befürchten einen Sprengstoff-Anschlag auf das Kapitol. Ex-Präsident Trump mobilisiert immer wieder die Rechte. Die Republikaner wollen auf diese umfangreiche Gruppe offenbar nicht verzichten. Es scheint die größte Gefahr für die US-Demokratie zu sein. Biden will mit allen materiellen und ideellen Mittel diese Gruppen wieder zurückholen.

Trump hat es auf die US-Post abgesehen. Der US Postal Service wurde 1775 gegründet. Erster Chef war Benjamin Franklin, der spätere Präsident. Durch die Corona-Pandemie hat die Post zunächst große Einbußen (22 Mrd. $). Trump will die Briefwahl erschweren. Er könnte die Zahlungsunfähigkeit ausnutzen. 2020 macht Trump Louis DeJoy zum Chef (Postmaster General). Er bekommt schnell den Spitznamen Delay (Verzögerung). Es gibt Belege dafür, dass mehr Demokraten per Briefwahl abstimmen. Die US-Post ist ein Hybrid, seit der Reform von Nixon (keine Behörde, kein Unternehmen). Vgl. Buchter, Heike: Die Post-Demokratie, in: Die Zeit Nr. 35, 20. August 2020, S. 17.

Joe Bidens Chancen auf einen Wahlsieg steigen immer mehr. Er sucht noch eine starke Vizepräsidentschaftskandidatin. Favoritin ist Elisabeth Warren, die selbst auch in den Vorwahlen kandidiert hatte. Sie könnte die Sanders - Anhänger binden. Allerdings ist Wirtschaftspolitik nicht ihr Spezialgebiet. Zweite Favoritin ist Gretchen Whitmer (geb. 1971, Juristin, Gouvereurin von Michigan). Nirgendwo sonst in den USA war 2016 die Unterstützung für Trump stärker als in Grant County, West Virginia. Selbst hier wachsen 2020 die Zweifel an seiner Wirtschaftspolitik und Regierungsfähigkeit. Auch immer größere Teile der Wirtschaft wenden sich ab. Doch wofür steht Biden? Er ist seit fünf Jahrzehnten Spitzenpolitiker. Mit 77 will er die USA und die Welt vor Trump retten. Von 2009 bis 2017 war er Vizepräsident unter Barack Obama. Vizepräsident - Kandidatin wird dann am 11.8.20 Camala Devi Harris (Senatorin aus Kalifornien, sie ist farbig, sie war selbst Anwärterin auf das Präsidentenamt; geboren 1964, Juristin; "Running Mate"; Eltern stammen aus Indien und Jamaika). Biden musste wohl seit "Black Life Matters" so handeln. Trump wendet als Taktik wieder das gleiche verschwörerische Flüstern wie bei Obama an: Er säht Zweifel an den formalen Voraussetzungen der Kandidatin für das Vizepräsidentenamt. Harris und Biden stellen sich beim Parteikonvent der Demokraten dem Votum der Delegierten. Ob Biden seinen Vorsprung halten kann, ist schwer einzuschätzen. Trump setzt wieder stark auf Emotionen (Ängste). Das war bisher immer sehr erfolgreich. Biden und Harris werden auf dem virtuellen Parteitag am 18.10.20 nominiert. Biden macht in seiner Rede Trump für die Auswüchse von Corona in den USA verantwortlich. Er bezeichnet sich als Verbündeter des Lichts und will das Land "aus der Finsternis" führen. Für den Freihandel wird wohl Biden auch nicht eintreten. Zölle werden ein nützliches Instrument bleiben.   "Politik muss relevant sein, sie ist kein Wunschkonzert", Leitmotiv von Harris. Als die liberale US-Verfassungsrichterin Ruth Harris stirbt, nehmen die Republikaner skrupellos eine Regelung zurück, dei sie vor dem letzten Wahlkampf eingeführt hatten: Sie wollen nicht bis nach der Wahl mit der Ernennung eines neuen Richters warten (dann würden sechs konservative drei liberalen Richtern gegenüberstehen, was die Gesellschaft verändern kann).

Trumps Chef-Lügnerin Kellyanne Conway verlässt Ende August 2020 das Wahlkampfteam von Trump. Das macht sie aus privaten Gründen (Tochter, Ehemann ist gegen Trump). Der Ehemann ist führendes Mitglied im Lincoln-Projekt. Das sind Republikaner, die Trump verhindern wollen. Sie kämpfen für Joe Biden. Sie machen also eine Gegenkampagne zu Trump. Sie orientieren sich am 16. US-Präsidenten, der die Sklaverei abschaffte und 1865 ermordet wurde. Biden löst in seinen Reden kaum Euphorie aus. Er ist als schlechter Redner bekannt. Die Corona-Krise ist wie ein Geschenk für ihn.

Exkurs: Jared Kushner. Er ist der Schwiegersohn von Donald Trump. Gleichzeitig ist er der engste Vertraute, der ein Büro im Weißen Haus hat. Er ist Oberdiplomat und Krisenmanager. Er verhandelte mit Mexiko über eine Grenzmauer und einen neuen Handelsvertrag. Er entwarf den jüngsten Nahost-Plan,  der die Annektierung von Teilen des Westjordanlandes durch Israel vorsieht. Er soll die Strafjustiz erneuern. In der Corona-Krise soll er das Management optimieren. National Rifle Association (NRA) ist die zweite große Säule von Trump. Sie ist sehr mächtig in den USA. Ihr Vorsitzender ist der rechte Ideologe Wayne La Pierre. Er gönnte sich und seiner Familie auf Kosten der Spender ein luxuriöses Leben. Jetzt sitzt ihm die Generalstaatsanwältin von New York im Nacken.

Es gibt bei der Wahl besonders wichtige Staaten, deren Mehrheit wechselt und schwankt. Man bezeichnet sie als Swing States. Das sind etwa Ohio, Wisconsin und Michigan. In allen drei Staaten liegt im September 2020 Joe Biden vorne. Dabei hat einen großen Einfluss, wie die Lage auf dem Arbeitsmarkt aussieht. Bis zur Corona-Krise hatte Trump viele Arbeitsplätze in die Fertigung zurückgeholt. Die Krise hat dies dramatisch verändert. Am 30.9.20 findet das erste Duell zwischen Trump und Biden im Fernsehen statt. Es ist in Cleveland/ Ohio. Das Niveau ist unterirdisch und chaotisch (Schlammschlacht): Trump versucht, Biden immer wieder aus dem Konzept zu bringen, der aber durchhält. Es geht um Corona, Rassismus, Gewalt und Wirtschaft. Die nächsten "presidential debates" finden in Miami/ Florida und Nashville/ Tennessee statt. Sie sollen eine andere Form haben.

Exkurs: Kleptokratie: In den mächtigsten Ländern der Welt USA, China, Russland herrscht eine Art Kleptokratie. Es gibt enge Verbindungen zwischen Wirtschaft und Staatschefs bzw. Präsidentschaftskandidaten. In Russland und China ist das durch die Staatsunternehmen von Natur aus bedingt. In den USA kommt es auch durch den Wahlkampf. Man braucht dafür das Geld von der Wirtschaft. Außerdem sind in der Regel Familienmitglieder in hohen Posten der Wirtschaft (der Sohn von Biden und die Kinder von Trump). Sie werden dort unterstützt. Steuertricks sind sehr verbreitet (Trump hat maximal 750 Dollar Einkommensteuer gezahlt: hohe Kosten für Wohnen, Friseur u. a.; auch Verlustvortrag).

Am 02.10.20 wird bekannt gegeben, dass Trump und seine Frau Corona haben. Jetzt wird der Wahlkampf sehr spannend. Einige Vertraute in der Umgebung sind auch infiziert. Das Weiße Haus ist stark betroffen (Hot spot). Trump wird mit Fieber ins Krankenhaus eingeliefert. Er liegt im Walter Reed Militärhospital in Washington. Sein Leibarzt Sean Conley macht auf Pressekonferenzen eine schlechte Figur. Er steht unter enormem Druck. Nach drei Tagen entlässt sich Trump, ohne geheilt zu sein. Viele Mitarbeiter im Weißen Haus sind infiziert (Superspreading - Ereignis war die Nominierung der Verfassungsrichterin Barret im Weißen Haus). Das zweite Duell plant die zuständige unabhängige Kommission CPD als virtuelle Debatte, weil Trump noch ansteckend sein könnte. Er lehnt dieses Format ab. Immer mehr Großspender aus der konservativen Finanzindustrie wenden sich von Trump ab. Sie sehen mittlerweile eine Bedrohung des Rechtsstaats durch ihn. Damit wird sein Geld knapp. 

Exkurs: Gesundheitssystem in den USA: Die Schwäche des US-Gesundheitssystems und des ganzen Sozialsystems wird brutal durch Corona offen gelegt. Schwarze und Hispanics sind am meisten betroffen. Sie haben die höchsten Sterberaten, weil sie sich Ärzte und Medikamente nicht leisten können. Trump will Obamas Gesundheitsreform (allgemeine Krankenversicherung) teilweise zurücknehmen. Ein Dekret gleich nach Amtsantritt beginnt damit. Das würde wieder mehr die Armen treffen. Anbieter von Medizintechnik, vor allem Exporteure aus Deutschland (Siemens, Fresenius, Draeger), hätten Nachteile. Die Weichen für eine  Zentralangriff auf Obamacare sind gestellt: Der Obamacare - Gegner Tom Price (gelernter Chirurg) wird als Gesundheitsminister nominiert. Er wird die Reform möglichst beschneiden. Im September 2017 muss er zurücktreten, weil er auf Kosten der Steuerzahler teure Privatjets benutzte. Im März 2017 wird die Richtung deutlich: Die Pflicht zur Krankenversicherung soll abgeschafft werden. Die freiwillige Krankenversicherung soll gefördert werden. Im US-Repräsentantenhaus können sich die Republikaner nicht einigen. Ein Votum wird mehrmals verschoben. Trump droht damit, Obamacare  beizubehalten. So zieht denn auch Trump den Gesetzentwurf für eine neue Gesundheitsversorgung zunächst am 24.03.17 zurück. Das ist eine schwere Niederlage für Trump, er scheitert an Rebellen aus den eigenen Reihen). Reformiert werden müsste eigentlich der Wettbewerb bei Medikamenten, die Bürokratie und das Rechtssystem. Anfang Mai 17 geht ein reformierter Gesetzentwurf (Neufassung, weniger Versicherung) knapp im Repräsentantenhaus durch. Im Kongress wird der Gesetzentwurf mehrmals abgesetzt. Im September 2017 scheitert eine Reform von Obamacare erneut. Auch der neue Arbeitsminister Andy Puzder, ehemaliger Chef der Fast-Food-Kette CKE,  lehnt die Gesundheitsreform ab. Er wird erst gar nicht ernannt, weil er jahrelang illegal (schwarz) eine Haushaltshilfe beschäftigt hatte. Jetzt ist Alexander Acosta designierter Arbeitsminister  (Arbeitsrechtler an der Uni von Florida) und wird es auch. Trump verlagert seine Angriffe auf Obamacare auf das Verfassungsgericht. Er setzt immer mehr konservative Richter ein (im Oktober 29 Barett), die die Reform stoppen sollen. In der Corona-Krise machen die Finanzinvestoren ein gutes Geschäft. Gesundheit ist extrem teuer in den USA: Die Ärzte verdienen auch gut. Patienten erhalten horrende Rechnungen, viele gehen insolvent. Die Lebenserwartung der Menschen ist aber von allen Industriestaaten die geringste. Biden will die Gesundheitsreform von Obama stärken und erweitern. Es soll eine öffentliche Krankenversicherung als Alternative geschaffen werden. Ein komplett Steuer finanziertes System und eine Ausweitung von Medicare (Senioren, Sanders-Vorschlag) lehnt Biden ab. In der Corona-Krise wird deutlich, dass sich Reiche Ärzte, Tests und sogar frühere Impfungen kaufen. Man spricht von einer "Boutique-Medizin". Man nennt es auch  moderne Leibärzte. Ende 2021 gibt Trump bekannt, dass er dreimal geimpft ist. Das ist sehr zum Leidwesen der amerikanischen Rechtsextremen und Verschwörungspropagandisten. Entweder sei er ahnungslos oder extrem bösartig. Im Klima- und Sozialpaket von Biden aus dem Sommer 2022 geht es auch um Gesundheit: Bei der Gesundheitssicherung für ältere Menschen (Medicare) können Preise für verschreibungspflichtige Medikamente ausgehandelt werden.

Im Vorstadtmilieu der Mittelschichten werden die Kämpfe ums US-Präsidentenamt mit entschieden. Das gilt besonders für die Swing States (Florida, Michigan, Pennsylvania, Wisconsin). Den Frauen wird das Zünglein an der Waage zugeschrieben. Der demografische Wandel spielt hier den Demokraten in die Karten. Gepflegte Siedlungen und gute Schulen. Die Frauen wollen erkämpfte Rechte (z. B. Abtreibung) nicht verlieren. Trump setzt immer mehr im Wahlkampf auf Unwahrheiten.  Die Falschinformationen nehmen ständig zu (Strategie der Desinformation). Ziel ist es, die eigenen Reihen zu schließen (Wir-Gefühl; uns sehr gut aus der eigenen Geschichte bekannt). Die Bewaffnung der Bevölkerung hat drastisch zugenommen. Experten rechnen mit Gewalt, wenn der Wahlausgang knapp ist. Trump muss noch Stimmen bei Wechselwählern gewinnen, wenn er eine Chance haben will. Der US-Geheimdienstkoordinator spricht von Einmischungen auf die Wahl von Russland und Iran. Das letzte Fernseh-Duell zwischen Biden und Trump in Nashville läuft gesitteter ab (Nashville ist eine der wenigen Städte in der Mitte der USA, die stark wachsen; ich habe die Stadt 2016 besucht). Trump kann nicht punkten. Er betreibt aber weiter die Polarisierung der Nation, die tief gespalten in die Wahl geht. Vgl. Brinkbäumer, Klaus/ Lamby, Stephan: Im Wahn. die amerikanische Katastrophe, 2020. Viele Experten befürchten die so genannte "rote Fata Morgana": Trump erklärt sich am 3. November vorzeitig und zu Unrecht zum Wahlsieger Die Briefwahl mit ganz überwiegend Demokratenstimmen wird später ausgezählt (100 Mio. Menschen haben Briefwahl gemacht, Rekord). Umfragen in den USA zeigen Ende Oktober 2020 zeigen einen klaren Vorsprung für Joe Biden (auf nationaler Ebene und in wichtigen US-Bundesstaaten). Sogar in traditionell konservativen Bundesstaaten wie Texas führt er. Trump droht immer mit Wahlanfechtung. Die Pandemie  ist noch voll im Gange (über 230.000 Tote vor der Wahl, 551.000 Neuinfektionen im 7-Tage-Schnitt).

5. Außenwirtschaftspolitische bzw. protektionistische Vorhaben (Handelspolitik): Bannon, der Chefberater von Trump, spricht von einer "wirtschaftsnationalen Agenda" als einer der neuen Säulen der Trump - Administration (neben "Dekonstruktion des Staates" und nationale Sicherheit bzw. Abbau der Immigration). Bestehende internationale Verträge wie NAFTA will Trump neu verhandeln. Das bestätigt er auch gleich nach Amtsantritt (Mexiko wäre der große Verlierer). Ende April 2017 gibt Trump bekannt, dass er das Abkommen der NAFTA neu verhandeln will.  Er macht die internationalen Verträge  für die ökonomischen Probleme der USA verantwortlich. Mexiko und Kanada suchen nach Alternativen und positionieren sich klar (keine Zölle). Die Verhandlungen beginnen im August 2017.  Die Neuverhandlungen kommen nicht voran. Für Mexiko ist NAFTA ein Eckfeiler. Etwa 80% der Exporte des Landes gehen in die USA. Auch TTIP lehnt er kategorisch ab. Weil Trump später aber auf einen gemäßigteren Kurs einschwenkt, könnte das Vertragswerk noch mal belebt werden.  TPP, der tranpazifische Handelsvertrag, soll als erstes gekündigt werden. Das würde besonders stark Japan treffen, das auf Wachstumsimpulse für die Industrie hoffte. TPP ist ein zentraler Pfeiler von Abenomics und war durchaus gegen China gerichtet. Sofort nach Amtsantritt am 23.01.17 kündigt Trump TPP auf. Japan steht vor einem Scherbenhaufen (Japan erzielt seinen Handelsüberschuss mit der USA auch durch Protektionismus). Sogar aus der WTO will Trump austreten. "Strafzölle, keine Abkommen", D. Trump. Neuer Handelsminister wird ein Ex-Wallstreet-Banker, nämlich Wilbur Ross ("Der König des Bankrotts"). Er plädiert für bilaterale Handelsabkommen. Im November 2017 gerät er im Rahmen der "Paradise Papers" schwer unter Druck: Er ist über Fonds auf den Kaimaninseln an einer russischen Reederei beteiligt. Robert Lightnizer wird neuer Handelsbeauftragter (Protektionist). Peter Navarro wird Chef für Handelsfragen im Weißen Haus. Der Ökonom ist ein ausgewiesener China-Kritiker (Direktor des Nationalen Handelsrates; Autor des Buches "Tod durch China"; Forderung nach "fairen" Handelsverträgen). Larry Kudlow wird 2018 neuer Wirtschaftsberater von Trump. Er gilt als Befürworter des Freihandels, schlägt aber scharfe töne an. Die VR China dient als Sündenbock für stagnierende Löhne in den USA. Auslandsproduktion soll mit Strafen und Zöllen belastet werden. Damit soll eine Zurückverlegung in die USA erreicht werden (Reshoring). Handelsregulierungen sind nach dem "Trading with the Enemy Act" möglich. Auch den "International Emergency Powers Act" von 1977 könnte man heranziehen. Der "Trade Act" erlaubt bei Zahlungsbilanzproblemen wie Handelsbilanz-Ungleichgewichten Gegenmaßnahmen. Eine Abschottung der USA mit mehr Zöllen wäre für alle großen Exportwirtschaften eine Katastrophe, so zu allererst für Deutschland und China. Dann wäre eine globale Rezession wahrscheinlich ("ohne absehbares Ende", Paul Krugman). Es könnte auch sein, dass nur bestimmte Länder von den Zöllen betroffen sind (Mexiko, China). Davon könnte Deutschland als Konkurrent profitieren (2015 sind die USA erstmals größter Handelspartner Deutschlands). Trump konkretisiert nach Amtsantritt seine Ziele: Länder, mit denen die USA ein Handelsdefizit haben, sollen mit Importzöllen von 20% belegt werden (besonders betroffen China, Japan, Deutschland). Zölle würden auch die Konsumenten in den USA am meisten treffen. Sie könnten mit Preiserhöhungen rechnen. Das würde vor allem die Menschen mit niedrigen Einkommen treffen (Absinken der Konsumentenrente). Handelspolitik betrifft aber nicht nur den Welthandel, sondern immer auch globale Wertschöpfungsketten. Insgesamt könnte eine Abschottung der USA zu einem erheblichen Wohlstandsverlust global führen (9%, Ifo-Institut). Dies gilt vor allem, wenn die Handelspartner Gegenmaßnahmen ergreifen. In der Handelspolitik muss sich der Präsident allerdings die Kompetenzen mit dem Senat teilen. Trump und seine Handelsfachleute fordern eine Welt der "Dealmaker", die von Multilateralismus zu bilateralen Handelsverträgen wechselt. Am 31. März 2017 unterzeichnet der amerikanische Präsident Trump zwei Dekrete (Erlasse), in denen steht, dass nach Branchen und Ländern geprüft werden soll (Prüfaufträge), wo die USA ein großes Handelsdefizit haben. Dann sollen Strafzölle eingeführt werden, die in Proportion zu der Höhe des Defizits stehen. Betroffen davon sind China (Exporte mehr als dreimal so hoch wie Importe), Japan (Exporte doppelt so hoch), Deutschland (Exporte fast dreimal so hoch, aber geringer als Länder aus Asien), Mexiko (relativ geringe Differenz wie die folgenden Länder), Vietnam, Indien, Thailand, Südkorea. Aus Deutschland sind die Stahlunternehmen Salzgitter und Dillinger Hütte betroffen. Trotzdem bleibt der Kurs von Trump unklar (Hunderte Stellen sind unbesetzt). Im April 2017 wird Kevin A. Hassett Chefvolkswirt von Trump. Er arbeitete im American Enterprise Institute und ist eher umstritten (skurrile Prognose über die Börse, Steuerideen). Tochter Ivanka Trump besucht noch im April 17 nach Deutschland und will Siemens besuchen (sie ist einerseits eine Art "First Lady" und andererseits umstritten wegen der Geschäftsführung der "Trump Organization" und als Betreiberin diverser Schmuckläden). Außenpolitisch will Trump eine Abkehr von der Kuba-Politik seines Vorgängers machen ("Sonnenscheinpolitik" Obamas). Geschäfte mit Kuba  werden erschwert. Auf dem APEC - Gipfel in Da Nang/ Vietnam im November 2017 gibt Trump bekannt, dass er aus dem Freihandel aussteigt und bilaterale Handelsabkommen bevorzugen will. Die restlichen 11 Länder (darunter China, Russland und Kanada) wollen enger zusammenarbeiten. Der Ausstieg der USA dürfte China zugute kommen. Auf dem G20-Gipfel Anfang Dezember 2018 in Buenes Aires sprechen Trump und Xi Jinping miteinander. Sie vereinbaren, bis März 2019 keine weiteren Zölle zu erhöhen. Die Chinesen versprechen, mehr amerikanische Waren zu kaufen. Die größten deutschen Investoren in den USA sind: Bayer, Telecom, Evonik, Henkel. Die deutschen Direktinvestitionen lagen 2015 bei 228 Mrd. $. Trump will nach seiner Wahl schon eine Verlagerung eines Ford-Werkes nach Mexiko stoppen. Die deutschen Exporte sind von Januar bis September 2016 um insgesamt 6% gesunken. Grund dafür dürfte der US-Wahlkampf gewesen sein. Den höchsten Umsatzanteil der DAX-Konzerne hat das Geschäft in den USA bei folgenden Unternehmen: Fresenius Medical Care (fast 80%), Deutsche Telecom 40%), SAP 40%), Linde (35%). 2017 will Toyota eine Großinvestition von 1,3 Mrd. $ in sein Werk in Georgetown/ Kentucky stecken.

Trump verspricht auch, binnen 100 Tagen zu prüfen, ob China als "Währungsmanipulator" eingestuft werden kann. Zunächst düpiert er die VR China, indem er ein Telefonat mit der Führung in Taiwan macht (Taiwans Präsidentin Tsai Ing - Wen). Später, im Jahre 2018, lässt er hochrangige Regierungsvertreter nach Taiwan reisen und verärgert China noch mehr. Trump wird sicher stärker gegen China vorgehen. Wahrscheinlich wird China versuchen, den Abzug von Kapital aus dem Land und zurückgehende Exporte in die USA durch eine Abwertung des Yuan zu bekämpfen. China ist immer noch einer der Hauptkäufer von US-Staatsanleihen. Im Oktober 2016 waren dies allein 1,115 Billionen Dollar an US-Staatsanleihen (zweitgrößter Gläubiger nach Japan; zeitweise größter Gläubiger). Mit Maßnahmen gegen China würde er sich selbst den Geldhahn zudrehen. Bald wird sich zeigen, ob die USA China als Marktwirtschaft anerkennen. Das war dem Land beim WTO-Beitritt 2001 nach 15-jähriger Übergangszeit versprochen worden (Frist läuft am 11.12.16 ab). Das könnte aber Arbeitsplätze in den USA kosten. Es gibt Pläne, alle Einfuhren aus China mit einem Zoll von 45% zu belegen. Trumps Politik bedeutet aber auch eine große Chance für China (weg von der exportorientierten Strategie). Es könnte mächtiger werden, wenn es seine eigenen Probleme in den Griff bekommt (billiges Geld, Verschuldung).  Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos (Beginn 17.01.17) warnt Chinas Präsident Xi Jinping Trump vor einem Handelskrieg. "Niemand wird daraus als Sieger hervor gehen" (China als Anwalt offener Märkte!?). Anfang April treffen sich Staatschef Xi und Trump in Mar-a-Lago/ Florida. Asien öffnet sich, während der Protektionismus in den USA zunimmt. Im August 2017 unterzeichnet Trump ein Memorandum, das die chinesischen Handelspraktiken untersucht werden sollen (Stahl zu Dumpingpreisen, Diebstahl geistigen Eigentums).  Am 23.01.2018 macht Trump seine Ankündigung war und führt Einfuhrzölle (Strafzölle) für den Import von  Solarmodulen und Waschmaschinen ein  ein. Davon sind sehr stark China und Südkorea betroffen. Südkorea legt Beschwerde vor der WTO ein. Einen Gesamtwandel in der Handelspolitik gibt es aber noch nicht, mehr Aktionismus. Trotzdem verärgert die Politik mit Strafzölle die wichtigen Gläubiger der USA China und Japan. In der High-Tech-Industrie und dem Umbau zu umweltfreundlicher Produktion könnten deutsche Firmen profitieren. Im Wahlkampf hat Trump angedeutet, dass er viele Regulierungen der Finanzmärkte, auch des Immobilienmarktes, zurückfahren will (Auflagen für Geldinstitute lockern; das macht er auch). Dadurch würden sicher Blasen und deren Platzen an den Finanzmärkten wieder begünstigt. Die Finanzmärkte haben auf die Ankündigungen zur Deregulierung euphorisch reagiert. Finanzminister Mnuchin und Wirtschaftsminister Ross als ehemalige Wall Street - Manager stehen für eine solche Politik. Linda McMahon, die im Wrestling - Geschäft zu Geld gekommen ist, wird Beauftrage für kleine und mittlere Unternehmen.  Die Deutsche Bank ist eine der größten Gläubiger von Donald Trump. Das ist eine brisante Beziehung.

Noch im Jahr 2016 gelingt Trump ein Schlag gegen Mexiko: Der US-Autobauer Ford sagt nach Druck eine Milliarden-Investition im Nachbarland ab. Danach droht Trump den japanischen Auto-Firmen. Insbesondere von Toyota fordert er die Corolla-Produktion in den USA. Ein Strafzoll würde unter den japanischen Autobauern Nissan am stärksten treffen. Auch die deutschen Autofirmen Daimler und BMW wären von einem Strafzoll betroffen. Beide planen bzw. bauen Produktionsstätten in Mexiko (konkret BMW droht Trump mit 35% Strafzoll). Amerikas Autofirmen und auch die anderer Länder befürchten, dass Trump ihr weltweites Netzwerk aus Zulieferern zerstören könnte. Die drei größten Hersteller in Mexiko sind GM, Fiat - Chrysler und Ford, also amerikanische Firmen. Erst an vierter Stelle kommt VW vor Toyota. Fraglich ist bisher, ob die USA wirklich mit Importzöllen arbeiten werden. Diese fordern oft Vergeltung (Retorsionszoll) hervor. Raffinierter wären Steuern.  Solche Cash-Flow-Steuern belasten nachträglich die ausländische Wertschöpfung, die in Importgütern steckt. Die inländische Wertschöpfung, die in Exportgütern steckt, bleibt steuerfrei. Sicher würden amerikanische Schutzzölle, wie auch immer gestaltet, Gegenmaßnahmen der anderen Länder auslösen. So war es auch zur Zeit des Protektionismus Anfang der 1930er Jahre (Smoot-Hawley Tariff Act). Damals brach die US-Wirtschaftsleistung um 8,5% ein. Amerika und Europa streiten auch immer noch darüber, wie man Banken endlich sicher machen kann. Ausländische Unternehmen scheinen nicht auf die Außenwirtschaftspolitik  von Trump abzufahren: Im ersten Quartal 2017 lagen die ausländischen Direktinvestitionen mit 83,6 Mrd. Dollar um fast 40% tiefer als im 1.Quartal des Vorjahres. Im Abschluss-Kommunique des G20-Gipfels in Hamburg spricht man sich für freien Handel aus, erlaubt aber auch nationale Verteidigungsstrategien. Die USA erhöhen im August 2017 die Sanktionen gegen Russland. Firmen, die Geschäfte mit Russland bei der Energie machen, werden in den USA bestraft (auch einige chinesische Firmen sind betroffen). Damit werden die Erdgaslieferungen an Deutschland getroffen (auch die BASF). In Helsinki trifft Trump am 16.07.18 Putin. Es kommt zu einem langen Vier-Augen-Gespräch der beiden. Die europäischen Verbündeten werden nervös. Es gibt eine große Empörung über Trumps Auftritt. Es kommt zu keinen konkreten Ergebnissen. Trump ist wegen der russischen Hacker-Angiffe im Wahlkampf unter Druck. Trump verteidigt sich, indem er behauptet sich versprochen zu haben. Er habe das Gegenteil gemeint (damit wird alles entschuldbar).. Heidelberg Cement könnte von der Mauer profitieren. Der Aktienkurs steigt. Siemens will in den kommenden zehn Jahren ab 2017 trotz Trump 200 Mio. Dollar (188 Mio. €) in Mexiko investieren. Dadurch entstehen rund 1000 neue Arbeitsplätze. Auf dem G7-Gipfel in Taormina spricht Trump bezogen auf die Handelspolitik von "bad, very bad Germany". Die Presse titelt "Trampel-Trump".  Bei Flüchtlingspolitik und Klimapolitik schließen sich die USA keiner Abschlusserklärung an.

Der Konflikt mit Nord-Korea wegen der Atomraketen-Tests zeigt, dass Trump nichts dazu lernt. Er liefert sich ein wüstes Duell von Drohungen mit dem nordkoreanischen Diktator (Kriegsandrohungen). Trump droht auch Venezuela mit Krieg. In Bezug auf den Afghanistan-Kurs lässt sich Trump von seinen Generälen überzeugen, noch mehr Soldaten dort einzusetzen. Im Bezug auf das Atomabkommen mit dem Iran lehnt es Trump ab, dem US-Kongress zu bestätigen, dass sich Teheran an den 2015 geschlossenen Wiener Vertrag hält. Im November 2017 bereist Trump fünf asiatische Länder (Japan, Südkorea, Vietnam, China, Philippinen). Vorher tönt er, dass es auf ihn ankomme. "Wir haben viele Optionen für Venezuela, einschließlich einer militärischen, falls nötig", D. Trump 2017). Er sieht Staatskunst weiterhin eher als Show. Mitte Januar 2018 richten die USA und Kanada eine Konferenz zu Nordkorea mit 20 Außenministern in Vancouver aus. Russland und China sind nicht eingeladen. Es geht um die Umsetzung der UN-Sanktionen. ein geplantes Treffen zwischen Trump und Kim kommt nicht zustande (Brief an Kim, grundsätzlich zu treffen bereit). Im Süden von Singapur auf der Insel Sentosa (Ruhe, Frieden) im Luxushotel "Capella" kommt das Treffen zwischen Trump und Kim tatsächlich dann doch zustande. Es gibt auch eine Vereinbarung, die allerdings geheim bleibt. In einer Erklärung werden folgende Punkte angedeutet: Gefangenenaustausch, Friedensvertrag, Botschafteraustausch, Entnuklearisierung Nordkoreas, keine Militärmanöver mehr. Scheinbar gibt es nur Sieger. Die Wiedervereinigung bleibt als Ziel. Im August 2018 gibt Nordkorea 55 Särge von im Korea-Krieg gefallenen US-Soldaten an die USA zurück.

Im Dezember 2017 erkennen die USA unter Führung von Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels an. Der Umzug der Botschaft soll später erfolgen. Damit ist ein eigener palätinänsischer Staat gestorben. Die USA stellen sich ganz auf die Seite von Israel. Das entspricht einem Wahlversprechen von Trump (wichtige Geldgeber der republikanischen Partei). Es werden große Unruhen befürchtet. Jerusalem teilen sich die drei Religionen Juden, Christen und Moslems. Die UN-Vollversammlung wendet sich gegen Amerikas Jerusalempolitik. Trump droht: Die USA werden sich diesen Tag merken. Die USA treten noch 2018 aus dem UN-Menschenrechtsrat aus. Begründung: Zu viele Staaten, die Menschenrechte verletzen und Diskriminierung Israels (US-Botschafterin bei UN Nikki Haley: "scheinheilig, selbstsüchtig"). Im August 2018 werden Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Auslöser ist der US-Pfarrer Brunson, der der Gülen - Bewegung zugerechnet wird. Im Oktober 2018 lässt die Türkei Brunson frei; er reist in die USA. Israel und Saudi-Arabien sind die beiden großen Verbündeten der USA im Nahen Osten. Mit Saudi-Arabien wird die Beziehung auch immer wieder durch große Rüstungsgeschäfte untermauert. Der saudi-arabische Kronprinz und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner sind durch riesige Geschäfte eng verbunden. Dies, obwohl Kushner kein offizielles Amt innehat. Ende Oktober 2018 bringt ein Antisemit 11 Juden in einer Synagoge in Pittsburgh um. Die US-Botschafterin bei der UN tritt zurück. Nachfolgerin wird im Dezember 2018 H. Nauert (vorher Sprecherin des US-Außenministeriums, oft bei Fox News).

Am 12.01.18 sagt Trump einen Besuch in London ab, um die neue Botschaft einzuweihen. Er hat wohl Angst vor den vielen Demonstranten. Er erntet Zustimmung in GB für die Absage. Am gleichen Tag hält Trump am Atomabkommen mit dem Iran fest, fordert aber Nachbesserungen innerhalb von 4 Monaten. Am 13.03.18 wird Außenminister Rex Tillerson entlassen ("Die Führungsstärke der USA beginnt mit der Diplomatie", Tillerson; "Wir haben einfach nicht dasselbe gedacht", Trump). Es gab zu viele Meinungsverschiedenheiten mit Trump. Neuer Außenminister wird Mike Pompeo. Es war seit 2017 CIA-Chef. Er gilt als sehr konservativ und ist auf der Linie von Trump. CIA-Chefin wird Gina Haspel, erstmals eine Frau und hoch umstritten, weil sie bei brutalen Verhören gegen Al Qaida Verantwortung trug. Die USA und Israel werfen dem Iran ein Bruch des Atomabkommens vor. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA widerspricht, auch die EU hat Zweifel. Sogar der CIA gibt keine Bestätigung. Am 08.05.2018 kündigt Trump einseitig des Atomabkommen mit dem Iran. Er kritisiert die expansive Nahostpolitik und das Raketenprogramm.  Wirtschaftssanktionen gelten wieder. Indirekt wird Europa einbezogen: Unternehmen, die mit dem Iran Handel treiben, werden mit Sanktion im US-Handel belegt. Der Iran will vorerst an dem Abkommen festhalten und mit den verbliebenen Partnern Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China, Russland verhandeln. Am 15.07.18 besucht Trump GB. Er trifft sich auch mit der Königin. Er kritisiert May für einen weichen Brexit. Die EU bezeichnet er als Feind. Im Oktober kündigt Trump an, aus dem Abrüstungsvertrag mit Russland aussteigen zu wollen (Begrenzung von Mittelstreckenraketen).  Der INF-Vertrag soll neu verhandelt werden (seit 1987, geht bis 2020, evtl. neu bis 2025). US-Sicherheitsberater Bolton reist zu diesem Zweck nach Moskau. Hintergrund könnte die Aufrüstung Chinas sein, die beide Länder betrifft. Die USA fürchten die Stärke der chinesischen Streitkräfte. Die EU warnt vor einer Abkehr vom Vertrag. Im Vorfeld des Staatsbesuchs in London im Juni 2019 lässt Trump kaum ein Fettnäpfchen aus. Er will unter anderem in die Nachfolge von May eingreifen. Beim Besuch trifft er sich mit dem Vorsitzenden der Brexit-Partei und verspricht den Briten "phänomenalen" Handel. Er hält ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Ländern für möglich.

Der Präsident Trump erweitert systematisch den Protektionismus gegen den Rest der Welt. Es ist ein Konfrontationskurs. Säulen sind das Steuerdumping (Steuerreform Ende 2017), ein Handelskrieg (mit Importzöllen auf einzelne Produkte) und ein Abwertungswettlauf (Abwertung des Dollars fördern, um die US-Exporte zu stärken). Er hält auch 2018 grundsätzlich an der Idee eines Importzolls bzw. einer Importsteuer fest. Zumindest will er Retorsionszölle einrichten (d. h. für Waren von Ländern, die ihrerseits  Importzölle erheben). Er geißelt "so genannte Verbündete, die aber keine Verbündete beim Handel" seien. Im Visier hat die US-Regierung Importquoten und Schutzzölle auf  Stahl und Aluminium. Südkorea und China drohen Gegenmaßnahmen an (auch über die WTO). Die Einführung dieser beiden Zölle kommt ab Ende März 2018. Der Zollsatz beträgt bei Stahl 25%, bei Aluminium 10%. Betroffen sit auch die EU und Brasilien. Die EU droht mit Retorsionszöllen (Harley Davidson, Jeans, Whiskey, Orangensaft, Maisprodukte). Schwerwiegender dürfte der Dominoeffekt sein: Asiatische Anbieter weichen auf Europa aus. Interessant dürften die Nachteile für die verarbeitende Industrie in den USA sein, deren Produktpreise steigen müssen. Dann greift Trump konkret Daimler und BMW an und droht mit Importzöllen. Gegenüber Kanada  sind Anti-Dumping-Zölle bei Papier geplant. Ab März 2018 nimmt sich Trump gezielt China vor: Er will die Einfuhren zurückdrängen. Einmal soll es Beschränkungen beim Export geben, um geistiges Eigentum zu schützen. China war mit einem Volumen von 636 Mrd. $ 2017 der wichtigste Handelspartner der USA. Besonders groß ist der Import bei Computern und Telekommunikation. Auch die Bekleidungsimporte werden unter die Lupe genommen. Die US-Wirtschaft warnt Trump vor einem eskalierenden Handelsstreit. Im März 2018 kurz vor Inkrafttreten der Importzölle auf Stahl und Aluminium reisen Bundeswirtschaftsminister Altmaier und die für den EU-Handel zuständige Kommissarin Malmström in die USA. Sie wollen Ausnahmeregelungen für die EU erreichen. Die Zölle, die eigentlich am 23.03.18 in Kraft treten sollten, werden für die EU, Argentinien und Australien auf später verschoben. Somit treten sie hauptsächlich für China in Kraft. Die Übergangsfrist für die EU läuft bis 1. Mai 2018. Trump kündigt Ende März 2018 an, neben Stahl und Aluminium eine Reihe weiterer Produkte mit Zöllen zu belegen (Wert von 60 Mrd. $). China droht mit Retorsionszöllen (Schweinefleisch, Früchte, Wein, Mais; Agrarprodukte). Diese kommen auch im April 2018. Neben den drei eben genannten Produkten sind 125 weitere betroffen. Die Zölle liegen zwischen 15 und 25%. Am 04.04.18 erweitern die USA die Liste an Produkten, die mit Einfuhrzöllen belegt werden (50 Mrd. Dollar). Es handelt sich um ca. 1200 Produkte, jetzt auch im industriellen und High-Tech-Bereich (wichtigste Warengruppen sind Mobiltelefone, Spielzeug, Kleidung;  10% der chinesischen  Exporte in die USA). China antwortet sofort mit über 106 Retorsionszöllen (u. a. Soja, Autos; wichtigste Warengruppen sind Boing -Flugzeuge, Sojabohnen, Neu- und Gebrauchtwaren; ca. 38% der US-Exporte nach China). Die meisten Zollsätze liegen bei 25%. Treffen könnte es auch Whiskey, Zigarren, Orangensaft. Die beiden größten Volkswirtschaften befinden sich auf Kollisionskurs. Nach Verhandlungen werden die Zölle aber dann ausgesetzt. Die USA brauchen China als grüßten Gläubiger. Die Zölle auf Aluminium (10%) und Stahl (25%) setzt Trump ein zweites Mal aus für die EU, Mexiko und Kanada bis zum 01.06.2018, um zu verhandeln. Später kommen die Zölle dann. Kanada richtet Retorsionszölle ein. Südkorea wird dauerhaft von den Zöllen ausgenommen. Ende Mai 18 legt Trump nach. Er will Zölle auf Importautos einführen (25%).  Trump soll dem französischen Präsidenten Macron bei dessen letzten Besuch in den USA im April 2018 gesagt haben, dass er seine Handelspolitik so lange fortsetzen werde, "bis auf der Fifth Avenue in New York keine Modelle von Mercedes mehr rollen".  China bietet im Zollstreit an, die Importe aus den USA um 70 Mrd. Euro zu erhöhen, um seinen Handelsüberschuss zu reduzieren. Trotzdem verhängen die USA am 15.0618 weitere Strafzölle gegen China (25%; Produkte im Wert von 50 Mrd. US-$; 1100 Produkte; Industrie- und High-Tech-Produkte aus dem China 2025-Programm). China kündigt umgehend an, dass Retorsionszölle erhoben werden auf 659 verschiedene Produkte (Soja, Rindfleisch u. a.). Es wird immer wieder kritisiert, dass die USA sich auf den Warenhandel beschränken und übersehen, dass sie mit vielen Ländern einen Ausfuhrüberschuss im Dienstleistungsbereich haben (durch die US-Internetfirmen Amazon, Google und Apple). Dann eskaliert der Handelstreit zwischen den USA und China. Trump kündigt neue Vergeltungszölle im Wert von 200 Mrd. Dollar an (10% Zollsatz). Das iPhone aus China nimmt Trump  ausdrücklich aus (Versprechen gegenüber Tim Cook). China ist der größte Handelspartner der USA, die ein Defizit von -337 Mrd. Dollar 2017 haben. Im Juli 2018 erhöht Trump noch einmal drastisch die Zahl der Zölle gegen chinesische Waren. Die Chinesen kündigen sofort Retorsionszölle an. Der Handelskrieg eskaliert. EU-Kommissionschef Juncker und US-Präsident Trump vereinbaren Ende Juli 2018 Handelsgespräche zu führen und vorerst keine neuem Zölle einzuführen. Die EU schließt dabei generell den Agrarsektor aus. Vorerst will man aber mehr Soja und Flüssiggas aus den USA importieren. Man ist sich darin einig, dass es ein neues Handelssystem geben muss. Das Handelsministerium entscheidet darüber, ob die deutschen und EU-Autos eine Bedrohung für Sicherheit der USA darstellen. Bei Bejahung, die dann kommt,  könnte Trump innerhalb von 90 Tagen Sonderzölle (in Höhe von 25%) erheben. Die EU droht sofort mit Vergeltung. Bei China spricht Trump jetzt von Diebstahl geistigen Eigentums und will Strafzölle auf ausgewählte Produkte erheben. Die neue Handelspolitik der USA wird aktiv von einer Clique gelenkt: Dazu gehören Handelsminister Wilbur Ross, der Handelsbeauftragte Robert Lightnizer und der Exprofessor Peter Navarro. Sie vertreten als Klienten Stahlunternehmen oder haben Aktienpakete dieser Unternehmen. Navarro hat ein Buch mit dem Titel "Tod durch China" geschrieben. Ihre Macht ist gewachsen, seit der Leiter des Beratergremiums Gary Cohn praktisch nichts mehr zu sagen hat. Er tritt später zurück. Nachfolger wird Larry Kudlow. Er signalisiert eine harte Gangart gegen China und die EU, obwohl er als Befürworter des Freihandels gilt. Sein Credo kann in zwei Sätzen zusammengefasst werden: der freie Markt ist König. Steuern sind Gift. Kudlow kommt vom Fernsehen. 

Erklärung der strategischen Position der USA: Kampf um Wertschöpfungsketten (Modell der Institutionenökonomik/ Jean Tirole, Toulouse, Nobelpreis 2014): Die Institutionenökonomik/ Tirole bietet ebenfalls wie Krugman eine Alternative zum Freihandelsmodell. Freihandel wird nicht als Wert an sich gesehen. Es ist eines der Verfahren, um für eine Gesellschaft Wohlstand zu erzeugen. Aktuelle Handelskonflikte (wie zum Beispiel der zwischen den USA und China 2018) ergeben sich danach aus grundlegend veränderten Risiko- und Kommunikationsstrukturen. Die Digitalisierung senkt die Transaktionskosten weiter und verändert das Risiko. Es entstehen durch reduzierte Informationsasymmetrien neue Institutionen im Kontext der Plattformökonomie. Dadurch wandeln sich Informationstransport, Informationsspeicherung und Informationsverarbeitung. Die Digitalisierung beeinflusst auch die Industriestruktur: Systemtreiber sind die Fähigkeit zur Kontrolle des Agenten und die Möglichkeit, Skaleneffekte zu realisieren. Es kommt zu einer Reintegration von Wertschöpfungsketten. Treiber sind die Finanz- und Schuldenkrise, die Störanfälligkeit von Lieferketten und die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts. In diesem Zusammenhang sind Zölle ein Mittel der politischen und wirtschaftlichen Rivalität. Unter zu erwartenden Konfliktbedingungen ist die Sicherung der Lieferkette entscheidend dafür, die Rivalität auszuhalten bzw. siegreich zu beenden. Die Staaten haben ein Dominanzproblem:  Die USA haben ein großes Leistungsbilanzdefizit (im Opiumkrieg hatte es England), China hat einen historischen Nachholbedarf (mandschurische Machtübernahme 1647, Opiumkrieg 1839). "Made in China 2025" soll die Hochtechnologie sichern aufgrund eines schuldengetriebenen Entwicklungsmodells. Im Grunde genommen will China sich weiterhin erfolgreich in der globalen Lieferverflechtung positionieren. Man kann dies in der "Crying Curve of Asia" darstellen. Freie Märkte sind nach diesem Modell auf dem Rückzug. Vgl. Ulrich Blum: Der Kampf um Wertschöpfungsketten: Krieg gegen den Freihandel? in: Wirtschaftsdienst 2018/10, S. 737ff.  "Trump ist ein Schwein, und jeder Bauer wird sagen: Du kannst nicht mit einem Schwein ringen, denn das Schwein wird dich umstoßen, in den Dreck ziehen und dabei grunzen", Ex-Sprecher von Trump, und früherer Hedgefonds - Manager (Quelle: WiWo, 33, 9.8.19, S. 3; das Zitat stammt aus der Schweizer Zeitschrift "Finanz und Wirtschaft").

Aber es geht auf anderen Feldern weiter: Im Dezember 2018 wird die Finanzchefin von Huawei Meng Wanzhou in Kanada festgenommen. Sie ist auch die Tochter vom Firmengründer Ren Zhengfei. Die USA verlangen die Auslieferung. Es geht um Verstöße gegen die US-Sanktionen gegen den Iran. Die Verhaftung könnte die Handelsgespräche zwischen den USA und China platzen lassen. Die USA verstärken am 29.01.19 kurz vor der nächsten Runde der Handelsgespräche in Washington den Druck: Huawei wird nun auch der Spionage beschuldigt (bis zu 10 Jahre zurück). Die Nähe zur Staatsführung in China wird recht eng eingestuft. Die US-Regierung verhängt damit immer aggressivere Sanktionen. Letztlich will sie damit den eigenen Unternehmen Vorteile verschaffen ("Amerca first" in der Praxis). Europas Konzerne geraten immer öfter zwischen die Blöcke USA und China. Erpressung scheint zum Mittel der Handelspolitik zu werden. Die Handelsgespräche zwischen den USA und China laufen zunächst auf untergeordneter Ebene. Man ist optimistisch. Irgendwann wollen sich aber auch die Präsidenten treffen. Dann wird Huawei aus China auf die Schwarze Liste gesetzt. Daraufhin will Google sein Betriebssystem nicht mehr an Huawei liefern. Die Sanktion wird später wieder ausgesetzt. China erwägt Exportreduktionen bei Seltenen Erden. Die Ökonomen der USA (NABE, Washington) sehen 2019 eine Rezessionsgefahr durch die protektionistische Handelspolitik. Mit 60%-Wahrscheinlichkeit sehen sie bis 2020 eine Rezession. Sie schätzen einen Wachstumsrückgang (2019: 2,6%; 2020: 2,1%).

Im April 2019 steigen die USA aus dem UN-Vertrag über den Waffenhandel aus. Der Vertrag ATT war 2014 unter Trumps Vorgänger Obama abgeschlossen worden.

Trump verschärft den Handelskrieg mit China auch, um den Vorsprung der USA in der Welt zu konservieren. Der Schuss könnte aber nach hinten losgehen. China forciert als Gegenschlag seine technologische und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die Entglobalisierung könnte so den Abstieg der USA beschleunigen und erhöht gleichzeitig das Risiko militärischer Konflikte. So wird der Wohlstand der ganzen Welt gefährdet. Im Sommer 2019 gelangt ein internes Papier des britischen Botschafters in den USA Sir Kim Darroch an die Öffentlichkeit. Er bezeichnet darin Trump als "unfähig" und "unbeholfen". Argumente sollten für ihn "einfach" und "ungehobelt" sein. Trump attackiert daraufhin Theresa May. Der Botschafter muss zurücktreten.

Im August 2019 sagt Trump einen geplanten Staatsbesuch in Dänemark ab. Er hatte vorher gefordert, dass Dänemark Grönland an die USA verkaufen solle. Die größte Insel der Welt hat eine wichtige strategische Lage und viele Rohstoffvorkommen. Außerdem will China dort mehr Einfluss gewinnen.

Die USA machen im Sommer 2019 ein Waffengeschäft mit Taiwan. Sie liefern 66 Kampfflugzeuge vom Typ F-16. China droht mit Strafmaßnahmen.

Im August 2019 bezeichnet Trump den Chef der US-Notenbank (Fed) als seinen Feind. Er vergleicht ihn mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping. Er hätte gerne weitere Zinssenkungen.

Vor dem G7-Gipfel kündigt Trump Importzölle auf französischen Wein an. Auf dem Gipfel selbst tritt er dann sehr entsannt auf. Er stellt sogar ein Treffen mit seinem iranischen Amtskollegen in Aussicht. Er will auch bald nach Deutschland kommen. Das nächste G7-Treffen findet in den USA statt. Trump schlägt seine Golfanlage in Florida vor.

Im September 2019 stoppt Trump die Gespräche mit Taliban. Grund ist ein tödlicher Anschlag der Extremisten in Kabul. Die Unterzeichnung eines Abkommens stand kurz bevor. Noch im gleichen Monat wird der Sicherheitsberater John Bolton von Trump gefeuert. Er galt als Falke bzw. Hardliner. Er war für einen Krieg mit dem Iran und hatte Trump zum Stoppen der Gespräche mit den Taliban bewogen. Nachfolger wird Robert O´Brien. Im November 2019 werden die Gespräche fortgesetzt. Die USA wollen sich konsequent aus dem Nahen Osten (Syrien, Irak) und Afghanistan zurückziehen. Die Frage ist, wer das Machtvakuum füllt. Wahrscheinlich sind es Russland, die Türkei und der Iran. China wird indirekt zum großen Profiteur.  "Ginge es nach John, würden wir jetzt schon vier Kriege gleichzeitig führen", Trump über Bolton zu dessen Entlassung.

Im Dezember 2019 richten die USA eine eigene Teilstreitmacht für den Krieg im All ein. Sie wird "Space force" genannt. Sie soll die Operationsfreiheit der USA im Weltraum gewährleisten. Der Kommandeur ist den zivilen Leiter der Luftwaffe unterstellt.

Im Mai 2020 ziehen sich die USA aus dem Abrüstungsprojekt "Open Skies" zurück. Es ist ein Abkommen über die militärische Luftüberwachung. Es ist ein Vertrag mit Russland, das vorerst an dem Abkommen festhalten will.

Die USA planen, den Sonderstatus von Hongkong in ökonomischen Fragen zu beenden wegen des neuen Sicherheitsgesetzes. China droht mit Vergeltung. Ein großer Teil der Aktion ist auch Wahlkampf von Trump. Er will China für die Corona-Katastrophe in den USA verantwortlich machen. Die USA schicken auch Flugzeugträger ins südchinesische Meer. Die EU wird immer mehr gezwungen, sich für eine Seite zu entscheiden. Die USA schicken im September 2020 hochrangige Diplomaten wieder nach Taiwan. Internationale Sanktionen gegen den Iran in noch schärferer Form treten in Kraft.

Am 11.2.21 findet ein erstes Telefongespräch zwischen Präsident Biden und Präsident Xi statt. Der US-Präsident lässt einen unverändert harten Kurs erkennen. Die Gegensätze zwischen beiden Ländern prallen aufeinander. Biden brachte seine grundlegenden Sorgen zum Ausdruck: unfaire wirtschaftliche Praktiken, Repression in Hongkong, Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, provozierende Aktionen gegen Taiwan. Xi warnte vor einer Konfrontation, die definitiv katastrophal für die beiden Länder und die Welt sei. Einig waren sie sich über die Eindämmung von Covid-19 und den Klimawandel. Grundsätzlich setzt Biden weiter auf eine Allianz mit den Verbündeten, was den Spielraum der Europäer einschränkt. Die US-Geheimdienst erhalten von Biden den Auftrag, den Ursprung der Corona-Pandemie in China zu klären (Labor-Unfall?).

Im Februar 2021 gibt Biden bekannt, dass die unter Trump verhängten Strafzölle der USA vorerst bestehen bleiben.

In Asien belebt Biden alte Allianzen neu, Als erstes ausländisches Staatsoberhaupt besucht der japanische Premierminister Suga das Land Es geht vor allem um die aggressive Politik Chinas im südchinesischen und ostchinesischen Meer.  Bald wird auch der Ministerpräsident Südkoreas in den USA erwartet.

Im Juni 2021 reist Biden zum G7-Gipfel in Carbis Bay/ Cornwall in GB. Es ist die erste Auslandsreise und erste Europareise von Biden seit seinem Amtsantritt. die G7 sind sich über folgende Punkte einig: Gegenprojekt zur Neuen Seidenstraße, globale Mindestbesteuerung von 15%, Verteilung von Impfstoffen in der Welt. Die Stimmung wird vom Konflikt der EU mit GB um Nordirland getrübt.

Biden behält in der Außenwirtschaftspolitik den Kurs von Trump bei bzw. verstärkt ihn sogar. Beim Offenheitsgrad für Handel, Waren und Dienstleistungen liegen die USA mittlerweile ganz hinten (26%, weit unter OECD-Durchschnitt 59%). Die Abschottung Amerikas wird weiter betrieben. Das könnte zum Nachteil von Jobs und Wohlstand im Rest der Welt gehen. Vor allem die Signalwirkung ist fatal. Die Produktivität in den USA sinkt schon. Vgl. auch: Heissler, Julian: Trumps treuester Follower, in: WiWo 35, 27.8.21, S. 38f. Im September 2021 spricht Biden vor den Vereinten Nationen. Er betont, dass die USA keinen neuen Kalten Krieg wollen.

Auf dem G20-Gipfel Ende Oktober 2021 in Rom geben die USA bekannt, dass die Strafzölle auf Stahl und Aluminium wegfallen sollen. Das soll nur für nachhaltige Produktion gelten, wobei China als umweltschädlich definiert wird.

Auf dem G20-Gipfel auf Bali klären die USA und China ihre roten Linien ab. Atomwaffen sollen nicht eingesetzt  werden, auch nicht damit gedroht.

Die USA setzen aber ihre wirtschaftlichen Interessen gegenüber der EU mit Macht durch.  Für deutsche Unternehmen wird das zunehmend zum Problem. Der Inflation Reduction Act (IRA), ein milliardenschweres Klimapaket, schließt europäische Unternehmen praktisch aus. Für Deutschland sind die USA ein Klumpenrisiko: Mit 100 Mrd. $ geht die meisten Exporte in die USA, vor Frankreich, Niederlande, China und Polen. Quelle: Destatis/ Wiesbaden. Darüber hinaus verstärken die USA den Standortwettbewerb. Sie wollen europäische und deutsche Konzerne ins Land locken (die Energiekosten sind in den USA 5 mal so niedrig). Anreize sind hohe Subventionen. Bundeswirtschaftsminister Habeck versucht bei einer USA-Reise (mit dem französischen Kollegen Le Maire) im Februar 2023 noch faire Regeln nachträglich einzubauen.

Im April 2023 besucht Biden Irland und Nordirland. Biden hat irische Wurzeln. Er verspricht Investitionen von US-Unternehmen. Er setzt sich für Frieden ein.

Exporte machen in den USA nur 10% des BIP aus. Die Fürsprecher des Freihandels werden 2024 zur ausstrebenden Spezies in beiden Parteien. Zölle auf Stahl und Aluminium aus der EU werden für 2024 erst mal ausgesetzt, solange Quoten eingehalten werden. Die Produktionsketten sind beständigem Wandel unterworfen. In den letzten Jahren war eine Diversifizierung hin zu neuen Ländern wie Vietnam und Indien zu registrieren. Vgl. Winand von Petersdorff: wie Knoblauch zum nationalen Sicherheitsrisiko wurde, in: FAZ 3.1.24, S. 17.

Exkurs. Netzwerke der USA: Die Weltwirtschaft ist abhängig von amerikanischen Konzernen und ihren Strukturen. Die USA machen daraus auch eine geopolitische Waffe. Die US-Regierung kontrolliert die Strukturen der Globalisierung. Sie kann Druck auf Länder ausüben, etwa durch Sanktionen. Zu den Strukturen gehören Datenleitungen des Internets (Glasfaserkabel) , Lieferketten, Finanzsysteme (z. B. Swift). Man spricht auch von Untergrund-Imperium. China ist dabei, eigene Knotenpunkte aufzubauen (z. B. Cips). Eine zentrale Rolle spielt der Dollar als Weltleitwährung. Die Unternehmen verhalten sich allerdings nicht einheitlich /z. B. Google, Microsoft).  Vgl. Newman, Abraham L.: Underground Empire - How America Weaponized the World Ecomomy, 2023. Auch Interview mit Newman in Der Spiegel 40/ 30.9.23, S. 58f.

Exkurs. Henry Kissinger: Er wird als Jahrhundertdiplomat bezeichnet. Er war eine rder letzten Staatsmänner, die erfahren haben, was ein Weltkrieg bedeutet. Er prägte das Nachkriegsimperium der USA mit. Sein Name stand für Realpolitik. Vgl. Zand, Bernhard: Der Jahrhundertdiplomat, in: Der Spiegel 49/ 2.12.23, S. 78ff. Im Juli 2023 reist Henry Kissinger als Hundertjähriger nach Peking. Er wird von Xi Jinping im selben Gästehaus empfangen wie 1971. Kissinger hatte 1971 eine Geheimreise in die Volksrepublik gemacht. Er hatte damit die ersten Schritte zur Normalisierung der Beziehungen zwischen USA und China eingeleitet. Als Personen besiegelten Le Duc Tho für Vietnam und Henry Kissinger für die USA auch den Vertrag für Frieden in Vietnam zur Beendigung des Krieges. Viele sagen, der Vertrag hätte Jahre früher kommen können, um viele Menschenleben zu retten. Trotzdem erhält Kissinger den Friedensnobelpreis. Kissinger wurde 1923 in Fürth/ Franken geboren. Als Jude musste er 1939 mit seiner Familie in die USA fliehen (auf Drängen der Mutter). Henry kämpfte im 2. Weltkrieg in der Ardennenschlacht und diente später in der Spionageabwehr. Er sprach fließend Deutsch und war Anhänger des Fußballvereins Greuther Fürth. Kissinger stirbt Ende 2023. Er lebte zuletzt in Connecticut. Ein Buch begründete seinen  Ruhm: Nuclear Weapons and Foreign Polcy. Die Länge seiner Diplomarbeit in Harvard gilt noch heute als "Kissinger´s Rule (388 Seiten).

6. Militärpolitik der USA: Militärpolitisch wollen die USA auch ihre Rolle als Weltpolizist aufgeben. Für 2019 ist der Abzug der Truppen aus Syrien und Afghanistan angekündigt. Bei Syrien gibt es immer wieder Kehrtwenden (selbst Russland, Pakistan und Iran wollen den Abzug nicht). Die Türkei will mit allen mitteln einen Kurdenstaat verhindern. Trotzdem kommt im Oktober 2019 der überraschende Abzug amerikanischer Soldaten aus Nordsyrien. Das löst eine Welle der Empörung aus, insbesondere bei Trumps Republikanern (im Stich lassen der Kurdenmilizen). In den USA zeigen sich 2019 immer mehr die negativen Folgen der Handelspolitik. Die importierten Vorleistungen sind durch die Zölle teuerer geworden und verschlechtern die Wettbewerbssituation vieler Industriezweige (z. B. Automobilindustrie). So herrscht erst mal Sendepause in der Zollpolitik der USA. Anfang Februar 2019 kündigen die USA den INF-Vertrag mit Russland ohne Rücksicht auf die europäischen Verbündeten (Mittelstrecken-Raketen: Ballistische Raketen, Marschflugkörper). Die Maßnahme ist nicht allein gegen Russland gerichtet, sondern auch gegen den großen Rivalen des 21.Jahrhunderts China. Bei Waffenverkäufen wird der Kongress immer mehr übergangen. Die US-Regierung beruft sich dabei auf die Notfallklausel im Waffenexport-Kontrollgesetz. so werden etwa Waffen am Kongress vorbei nach Saudi-Arabien, den VAE und Jordanien geliefert. Im Juni 2019 setzen die USA der Türkei eine Frist für den Verzicht auf russische Raketen (S-400-Flugabwehrraketen). Ansonsten treten Sanktion der USA in Kraft (türkische Piloten für F-35-Kampfjets, die in den USA trainieren, werden ausgewiesen; türkische Unternehmen, die am Bau der F-35-Maschien beteiligt sind, verlieren ihre Aufträge).

Die USA betreiben Militärbasen in aller Welt. Nach US-Statistiken beträgt der deutsche Anteil an der US-Präsens in Deutschland 18 Prozent. Absolut sind dies für Deutschland etwa 100 Milliarden Euro im Jahr. In Japan liegt der einheimische Anteil bei 50%. In Südkorea sind es demnächst 41%. An Taiwan liefern die USA 2020 Boden-Luft-Raketen (Marschflugkörper, Raketenwerfer). Taiwan soll sich im Ernstfall auch selbst verteidigen können. Ein zentraler Standort in Deutschland ist Rheinland-Pfalz. Im Fiskaljahr 2023 investieren die USA noch mal hunderte von Millionen Dollar: 299 Mio. $ für den Bau des neuen Militär-Hospitals in Weilerbach. ein weiterer Investitionsschwerpunkt ist Baumholder (206 Mio. $). Darüber hinaus werden Grundschulen und neue Wohnquartiere errichtet.

Biden will 2021 den Abrüstungsvertrag mit Russland verlängern. Der Zeitraum soll 5 Jahre betragen. Das wird dann auch gemacht. In Deutschland werden keine Truppen abgezogen, sonder 500 zusätzliche Soldaten stationiert.

In Koordination mit der Nato will Biden die US-Truppen aus Afghanistan im September 2021  abziehen.

Im Mai 2021 eskaliert der Nahostkonflikt. Aus dem Gaza-Streifen fliegen Raketen auf Israel. Das Militär schlägt zurück. Die USA und Biden können als einziges Land Einfluss nehmen.

Die USA sind der größte Unterstützer der Ukraine beim Krieg gegen Russland. Das gilt für Geld und militärisches Gerät. Als die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren, besucht Selenskyj im Dezember 2022 die USA. Es geht um 45 Mrd. $.

Zwei Wochen lang herrscht Anfang 2024 Rätselraten über den Verbleib und den Gesundheitszustand von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Dann wird klar: Der 70-jährige hatte Prostatakrebs. Dei medizinischen Heilungschancen scheinen gut - die politischen weniger.

Scholz besucht am 9./10.2.24 die USA. Er wirbt um weitere Unterstützung für die Ukraine. Die Republikaner blockieren 60 Mrd. $. Putin spricht sich pünktlich für Friedensverhandlungen und Sicherheitsgarantien aus. Scholz kritisiert das Interview scharf. Er macht positive Signale für eine Unterstützung der USA im Ukraine-Krieg aus. Scholz trifft auch immer einen Doppelgänger bei den Demokraten. Der Senat billigt das Hilfspaket für die Ukraine.

7. Migrationspolitik und Arbeitsmarkt bzw. Armut: An der Grenze zu Mexiko will Trump eine Mauer bauen. Die Mittel dafür genehmigt der US-Kongress nicht im Mai 2017. Daraufhin plant Trump mit einer Solarwand, die Geld sparen helfen soll. 2018 beantragt Trump erneut vom Kongress 18 Milliarden Dollar für die erste Phase des Mauerbaus (auf zehn Jahre angelegt). Allerdings stellen Mexikaner - auch Illegale - ein Viertel der Arbeiter in der US-Landwirtschaft. Auch andere Branchen in den USA sind auf Mexikaner angewiesen (Ölindustrie in Texas, Internetkonzerne, siehe oben). Zahllose Dörfer und ganze Landstriche sind auf das Geld angewiesen, das in den USA arbeitende Angehörige nach Hause überweisen. Falls Millionen Mexikaner zurück müssen, droht dem Land der soziale und ökonomische Zusammenbruch (seit Arizona hart gegen Illegale vorging, geht die Wirtschaftsleistung zurück). Trump ordnet den Mauerbau zu Mexiko gleich nach Amtsantritt an (Mexiko soll zahlen, USA in Vorleistung; 3200 km Grenze; teilweise schon Grenzzäune; Trump: "Mexiko ist nicht unser Freund"; Kosten 15 bis 20 Mrd. $; fertig 2020). Der mexikanische Präsident sagt eine USA-Reise ab. Mexiko soll für die Kosten des Mauerbaus mit einem Strafzoll von 20% auf alle Einfuhren belegt werden. Die Maueridee fördert das Geschäft der Schleuser - Banden an der Grenze. Die Preise steigen stark an. Der Rio Grande ist die Hauptroute. An der Grenze zu Mexiko profitieren beide Seiten vom Grenzverkehr. So wäre die Mauer auch für die amerikanischen Grenzstädte schlecht. Im Dezember 2018 führen 5 Mrd. $ im Haushalt für den Mauerbau wieder zu einem Shutdown. Es wird der längste Shutdown in der Geschichte der USA. Durch die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus kann sich der Präsident nicht durchsetzen. So endet der Stopp am 26.01.19 mit einer Übergangslösung (aber ohne Beschluss zum Mauerbau). 700 Firmen haben sich bis 2017 beworben, um den Grenzwall zu bauen. Kalifornische Städte wollen Firmen boykottieren, die sich am Mauerbau beteiligen. In Bethlehem ist ein Hotel, dass an einer Mauer zu Israel liegt, eine Touristenattraktion. Mauern sind wieder in Mode. Flüchtlinge aus überwiegend muslimischen Ländern sollen vorläufig nicht mehr ins Land gelassen werden.  Die Visa - Politik der USA soll noch strenger werden. Trump ordnet Einreisebeschränkungen für sieben muslimische Länder an (gilt sogar für Menschen mit Aufenthaltsgenehmigungen). Ein New Yorker Gericht nimmt den Einreisstopp teilweise zurück. Mehr als 130.000 Bundesbürger mit zusätzlichem Pass sind betroffen. Einen Tag später rudert die US-Regierung zurück: Die betroffenen Bürger mit Doppelpass können mit dem zweiten Pass einreisen (auch die mit Genehmigung und Green Card). Ein Bundesgericht hebt den Einreisestopp vorläufig auf. Ein Eilantrag der Regierung wird dann abgelehnt. "Unsere Gerichte sind so politisch geworden", D. Trump. Das Berufungsgericht entscheidet nicht im Sinne von Trump. Die nächste Stufe ist wohl das Verfassungsgericht (Supreme Court). Es lässt die Einreiseverbote befristet zu. Doch Trump lässt ein neues Dekret für ein Einreiseverbot erarbeiten, was er am 06.03.17 unterschreibt ("Schutz der Nation vor Einreise").  Betroffen sind Menschen aus sechs muslimisch geprägten Ländern (ohne Irak; 90 Tage Einreisestopp). Dieses Dekret stoppt am 15.03.17 ein Gericht auf Hawaii (andere Gerichte folgen). Der oberste Gerichtshof gibt Trump im Juni 2017 teilweise recht. Im Oktober 2017 will das Gericht endgültig entscheiden. Mit dem australischen Premierminister kommt es zu einem Eklat über die verabredete Aufnahme von Flüchtlingen. Neuer Heimatschutzminister wird der Ex-General John Kelly, der wahrscheinlich illegale Einwanderung unterbinden wird. Nach Kritik an seiner Einwanderungspolitik, insbesondere dem Dekret, feuert Trump seine kommissarische Justizministerin Sally Yates (noch Generalstaatsanwältin). Nachfolger Jeff Sessions gerät wegen Falschaussage über seine Russlandkontakte  vor dem Kongress in Erklärungsnot. Trump erfindet immer wieder "alternative Fakten" um seine Migrationspolitik zu rechtfertigen (z. B. Terrorangriff in Schweden, den es nie gab). Neue Abschieberegeln werden vorbereitet. diese könnten zu Massenabschiebungen führen (11 Mio. ?). In Zukunft reicht der Verdacht auf einen Gesetzesverstoß. Im April 2017 gibt die US-Regierung bekannt, dass die Migrationsvereinbarung der Obama - Regierung mit Australien eingehalten werde (Aufnahme von Flüchtlingen aus australischen Lagern in die USA). Auf dem G7-Gipfel im Mai 2017 scheitert Italiens Plan einer "geordneten Zuwanderung" an den USA. Im September 2017 kippt Trump das Schutzprogramm für die "Dreamer" (Kinder von illegalen Einwanderern, die in den USA geboren sind und die einen Job haben können nicht abgeschoben werden). Obama hatte das Schutzprogramm erlassen. Es ist noch unklar, was die konkreten Folgen sind. Im Januar 2018 entscheidet ein Gericht in den USA, dass das "Dreamer"-Programm vorläufig bestehen bleiben muss. Betroffen davon sind ca. 800.000 junge Menschen. Das oberste Gericht verschafft den Dreamern Ende Februar 2018 eine Verschnaufpause.  Im Dezember 2017 verlassen die USA den globalen Flüchtlings- und Migrationspakt der UN. Die USA wollen allein über ihre Migrationspolitik entscheiden (sie waren schon vorher aus der UNESCO ausgestiegen). Im Juni 2018 werden die Kinder von mexikanischen Einwanderern ihren Eltern weggenommen und getrennt interniert. Trump rechtfertigt die Politik damit, dass kriminelle Ausländer ihre Kinder einsetzen, um Asyl zu erschleichen. Die USA haben die UN-Kinderrechtskonvention nicht unterzeichnet. Auf zu starken Druck hin, nimmt Trump die Anordnung zurück.  "Ich schütze mein Land vor kriminellen Ausländern", D. Trump. "Ich traue Muslimen nicht über den Weg", Trump. "Die Vereinigten Staaten sind eine Nation von Einwanderern, und wir sollten stolz darauf sein", Mark Zuckerberg, Facebook, 2017. Im Juni 2017 legt sich Trump mit dem Bürgermeister von London Sadiq Khan an. Dieser ist Moslem und hat eine vorbildliche Biographie. Daraufhin erklärt Khan, dass Trump in London nicht willkommen sei.

Am 12.01.18 bezeichnet Trump bestimmte Herkunftsländer von Migranten als "Drecksloch-Staaten" (Shithole Countries; Haiti, El Salvador, Afrika). Berichte darüber lösen eine internationale Empörung aus. Später gegen Ende Januar 2018 setzt Trump die Migranten als Verhandlungsmasse ein. Zuerst gegenüber dem Senat für die Aufhebung der Haushaltssperre ("Dreamer"). Danach bietet Trump die Einbürgerung von 1,8 Mio. Illegaler an, wenn der Kongress 25 Mrd. Dollar für den Mauerbau zu Mexiko bewilligt. Am 29.01.18 heben die USA ihren pauschalen Einreisestopp für Flüchtlinge aus elf Ländern auf (Ägypten, Iran, Irak, Libyen, Nordkorea, Somalia, Südsudan, Mali, Syrien, Jemen). Stattdessen sollen Flüchtlinge verschärft überprüft werden. Gegen die Haftbedingungen von illegalen Mirgranten klagen im August 2018 Bürger gegen die US-Regierung. Im Oktober 2018 droht Trump Mexiko mit einer Grenzschließung durch das Militär. Ihn stört, dass Mexiko Migranten aus Guatemala, Honduras und El Salvador einfach durchlässt. Im Oktober sind es ca. 7000 Migranten.  Trump droht den Herkunftsländern mit der Streichung von Entwicklungshilfe. Der bevorstehende Mauerbau könnte ein Vorziehen der Auswanderung ausgelöst haben. Die Menschen flüchten vor der Gewalt, der Armut und der Perspektivlosigkeit in ihren Ländern. Die Fluchtwelle könnte erst der Anfang sein. Bald könnten auch viele Brasilianer auf der Flucht sein. Trump schickt Soldaten an die Grenze. Weiterhin soll das Geburtsortprinzip abgeschafft werden. Die Regeln für Asylsuchende werden verschärft: Wer illegal über die Grenze kommt verliert seinen Anspruch auf ein Asylverfahren. Im Haushaltsstreit mit dem Kongress erzielt Trump nur einen Kompromiss. Das Geld reicht nicht für die Mauer zu Mexiko, so dass er den Nationalen Notstand ausrufen will. Das macht er dann auch. 16 Staaten der USA klagen daraufhin gegen den Präsidenten. Senat und Repräsentantenhaus stimmen gegen den Nationalem Notstand. Der Präsident könnte nach den Schlappen noch ein Veto einlegen. In Kalifornien entscheidet das Gericht gegen die Mauer aus nationalem Notstand heraus. Es gibt mittlerweile einige reiche Spender, die Geld für den Mauerbau geben wollen. Die Justizminister der Bundesstaaten Kalifornien, Maine, Oregon, Pennsylvania und der Bundeshauptstadt Washington klagen im August 2019 gegen die Migrationspolitik von Trump.

Trump will Strafzölle ab 10. Juni 2019 auch einsetzen, um Mexiko dazu zu zwingen, gegen illegale Migration vorzugehen (+5% jeden Monat, bis Oktober 25%; Mexiko exportiert jährlich Waren in Höhe von 450,9 Mrd. $ in die USA). Das würde auch deutsche Autobauer in Mexiko treffen. Das Gesetz wird dann kurz vorher ausgesetzt. Mexiko will mithilfe der Nationalgarde die Grenze zur USA besser sichern. Migranten, die von der USA zurückgeschickt werden, sollen wieder aufgenommen werden. Ende Juni 2019 schickt Mexiko 15.000 Sicherheitskräfte an die Grenze zur USA.

Im März 2017 wird der erste Arbeitsmarktbericht unter Trump vorgelegt. Die Genesung des amerikanischen Arbeitsmarktes schreitet voran. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 4,7% (7,5 Mio. AL, Umfragemethode, relativ genau; 60% der Amerikaner, die älter sind als 16 Jahre, arbeiten; Quote entspricht fast der NRU). Im Februar 2017 sind 235.000 neue Stellen entstanden. Nun hält Trump die Zahlen überraschend nicht mehr für gefälscht, sondern für das Ergebnis seiner industriepolitischen Initiativen. Insgesamt ist aber beunruhigend, dass die USA von 2017 15 Jahre zurück 33 Prozent ihrer Industriearbeitsplätze verloren haben. Ursache dürften in der Hauptsache Standortverlagerungen sein. Industrieroboter dürften es weniger sein, denn die USA setzen relativ wenig davon ein (Deutschland dreimal so viele pro Arbeitsstunde; nur 19% Industriearbeitsplätze - Verlust in den letzten 15 Jahren). Die USA sind Vorreiter, was moderne Ausbeutung der Arbeit angeht: Das Konzept lautet: Billige Produkte, billige Arbeiter. Als die Pioniere gelten die beiden amerikanischen Handelsriesen Wal-Mart und Amazon. Wal-Mart begann in den Achtzigerjahren Einkäufer nach China zu schicken. Schon vorher hatte man billige Ware aus anderen asiatischen Ländern importiert (Japan, Taiwan, Südkorea). Durch die Größe hatten Wal-Mart und Amazon großen Einfluss auf den US-Arbeitsmarkt. Durch den systematischen Bezug von Billigwaren aus Asien wurden Millionen von Industriearbeitsplätzen in den USA vernichtet. Profitiert haben ärmere Konsumenten. Diese sind aber häufig bei den Handelsriesen beschäftigt. Sie drücken das Lohnniveau und helfen gleichzeitig die Lebenshaltungskosten zu senken. So sieht moderne Ausbeutung heute aus. Ganz sicher haben ausländische Automobilproduzenten nicht in so großem Ausmaß Industriearbeitsplätze in den USA vernichtet, weil sie auch hohe Direktinvestitionen in den USA getätigt haben. "Globale Herausforderungen bedürfen globaler Beachtung, globaler Verantwortung und globaler Lösungen", gemeinsame Erklärung von IWF, WTO, OECD und ILO im April 2017. Im April 2018 tritt der Heimatschutzbeauftragte Tom Bossert zurück.

2019 werden schwache Arbeitsmarktzahlen verkündet. Das macht zumindest eine Eskalation des Handelskrieges unwahrscheinlicher. Die Zahl der Arbeitsplätze ist so gut wie nicht gewachsen (+ 75.000 im Mai 2019). Ökonomen hatten mit mehr gerechnet.

Im Juli sorgt Trump mit rassistischen Tweeds gegen Politikerinnen für Empörung. Es geht gegen vier junge Politikerinnen der Demokraten, die einen Migrationshintergrund haben. Man nennt sie "The Squad". Am bekanntesten ist Alexandria Ocasio-Cortez (AOC). Trump ordnet Razzien in mehreren Großstädten an gegen Migranten ohne gültige Aufenthaltspapiere - die meisten aus Südamerika. Es hagelt Kritik an Donald Trump, sowohl aus dem In- und Ausland. Man wirft ihm Rassismus vor. Das US-Repräsentantenhaus missbilligt die Äußerungen auch als rassistisch.

Im August 2019 entscheidet das Weiße Haus, dass Migranten - Kinder künftig unbefristet festgenommen werden können (seit 1997 nicht länger als 20 Tage). Im September gibt das Verteidigungsministerium 3,6 Milliarden Dollar für den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko frei (für ca. 280 km). Die Mittel wurden aus anderen Etat-Posten umgeschichtet. Der oberste Gerichtshof billigt im September 2019 die drastische Verschärfung des Asylrechtes: Asylanträge aus Mittel- bzw. Südamerika dürfen nur dann in den USA bearbeitet werden, wenn Ablehnungen aus Mexiko vorliegen. Künftig sollen auch alle Einwanderer ausgewiesen werden, deren gesundheitliche Versorgung nicht abgesichert ist (Aufnahme nur von krankenversicherten Menschen).  Die einzelnen Bundesstaaten gehen sehr unterschiedlich gegen illegal Eingewanderte vor. In Mississippis Hühnerfabriken schuften seit Jahrzehnten Migranten. Bei der größten Razzia, die es je in einem Bundesstaat gab, werden im Dezember 2019 680 Schwarzarbeiter festgenommen.

Am 12.0320 erlassen die USA einen Einreisestopp für alle Europäer für 30 Tage wegen der Corona-Krise (Ausnahme GB). In der Corona-Pandemie droht vielen ausländischen Studenten die Ausweisung. Es gibt allein über 9000 Deutsche, dei in den USA studieren. Weil Präsenz-Veranstaltungen vorläufig nicht möglich sind. sollen ausländische Studenten (1,1 Mio.) das Land verlassen. Es gebe keinen Grund, warum sie im Land seien. Die Elite-Unis wollen dagegen klagen.

Biden will den Bau der Mauer zu Mexiko unverzüglich einstellen lassen. Für die Migranten aus Mexiko sucht Biden nach einem Weg für die Legalität (nach acht Jahren Staatsbürgerschaft). Auch die "Dreamer" will er einbeziehen. Es kommt zu einem Ansturm auf die Grenze aus Mexiko. Von Monat zu Monat steigt die Zahl illegaler Flüchtlinge an der Grenze zu Mexiko. Dadurch wird Biden angreifbar. Der Rio Grande wird zur Drehscheibe für Menschenschmuggel. Zum "Blitzableiter" für Joe Bidens Migrationspolitik wird Vizepräsidentin Kamala Harris. Sie wird zum Feinbild der Republikaner.

Der neue Präsident will eine zentrale Forderung der Parteilinken um Bernie Sanders erfüllen: Höchster Mindestlohn der Welt in den USA. Er soll 12,40 € betragen. Doch für Millionen von gering Qualifizierten, die ihren Job durch Corona verloren haben, dürfte das Finden eines Jobs  fast unmöglich werden.

2021 versuchen Finanzinvestoren in den USA, die Wohnwagensiedlungen auf Rendite zu trimmen. Sie erhöhen die Miete um bis zu 50%.  Viele Bewohner müssen weichen. Der Soziale Wohnungsbau in den USA wurde in den Achtzigerjahren weitgehend eingestellt. Vgl. Buchter, Heike: Man hat uns wie Müll entsorgt, in: Die Zeit 26, Juni 2021, S. 24.

Die Anzahl der Erwerbstätigen in den USA liegt Mitte 2021 um 7,6 Mio. unter dem Niveau vor der Pandemie. Zugleich sind 9,3 Mio. Stellen unbesetzt. Das Arbeitslosengeld entspricht etwa 25 Dollar pro Stunde. Wegen der Sozialprogramme lohnt sicht ein Arbeiten noch nicht.

Das Moratorium für Zwangsräumungen und Mieterhöhungen in den USA läuft im Juli 2021 aus. Millionen Menschen sind als säumige Mieter betroffen. Mietern droht Obdachlosigkeit. 

Die Arbeitslosigkeit ist 2023 auf ein historisch niedriges Niveau gefallen. Das kommt auch den am schlechtesten bezahlten Jobs -Gastronomie, Einzelhandel, Pflege - zugute. Seit 2021 haben Löhne um 9% in den unteren Lohngruppen angezogen (Durchschnitt 6%). Ende 2023 versuchen die Republikaner, einen Deal mit den Demokraten und Biden zu machen:  Freigabe der Militärhilfe für die Ukraine gegen eine Verschärfung der Migrationspolitik. Die USA und Mexiko beraten Ende des Jahres 23 über illegale Migration. Man will zu Vereinbarungen kommen.

2024 verdrängt die illegale Einwanderung die Wirtschaftslage als Top-Thema im US-Wahlkampf. Das ist schlecht für Biden. Und Trump tut alles, um das Thema am Köcheln zu halten. Der Umfang des Handels mit Mexiko ist groß, so dass keiner Grenzschließungen will. Vgl. Heißler, Julian: Grenz - Erfahrung, in: WiWo 11/ 8.3.24, S. 26ff.

Exkurs. Kinderarbeit in den USA: Der Arbeitskräftemangel un der Zustrom minderjähriger Migranten lassen in den USA die Kinderarbeit boomen. Obwohl eigentlich illegal wird die Entwicklung in vielen Bundesstaaten von der Politik gut geheißen. von 2015 bis 2022 haben sich die von den Behörden festgestellten Gesetzesverstöße vervierfacht. 2023 wurden bei Kontrollen 5792 illegal beschäftige Minderjährige gefunden (+50% gegenüber dem Vorjahr). Doch die Strafen sind sehr niedrig. Der "Fair Labor Act" von 1938 sieht Ausnahmen in der Landwirtschaft vor (sonst Mindestalter 16). Vgl. Doemens, Es wird viel darüber diskutiert (auch Lockerung der Arbeitsschutzgesetze). allein 2022 wurden 130.000 Jugendliche an der Grenze zu Mexiko aufgegriffen.  Karl: Erst Schule, dann schuften, in: Rheinpfalz am Sonntag, 16./ 17.12. 23, S. 3.

"Die Republikaner lehnen die Wissenschaft zum Teil aus engem Eigeninteresse ab. Sie sind die Partei der fossilen Brennstoffe und der Umweltverschmutzung", Jeffrey Sachs (US-Ökonom, Columbia - University, N. Y.; Quelle: Focus 28/2020, S. 36). Auch: "Trump ist ein Psychopath, ein Halunke und ein Rassist. Er ist der schlimmste Präsident unserer Geschichte, und das will etwas heißen". a. a. O. 

8. Umwelt- und Klimapolitik (einschließlich Energiepolitik): Trump will auch aus dem Klimaabkommen von Paris aussteigen. Die USA wollen eigentlich bis 2050  80%  der CO2-Emissionen (auf der Basis von 1990) abbauen. Das wollen sie durch De-Carbonisierung (Zurückfahren nicht erneuerbarer Energien) und durch Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Atomenergie erreichen. Die Frage ist, ob Trump seine Wahlkampfziele umsetzt und länger auf die fossilen Energieträger setzt. Er will damit Arbeitsplätzen in traditionellen Zulieferern der fossilen Kraftwerke sichern (Kohle, Öl, Gas). Eine umstrittene Ölpipeline im Bundesstaat North-Dakota darf vorerst nicht gebaut werden (entlang eines Indianerreservats; heilige Stätten der Sioux). In sie hatte auch Donald Trump investiert. Seine Reaktion bleibt abzuwarten. Sofort nach Amtsantritt versucht er die Erlaubnis zum Pipeline-Bau zu erwirken. Er genehmigt zwei umstrittene Öl-Pipeline-Projekte ("Ich heize den grünlinken Klimalügnern ein", Trump am 24.01.17). Ein Indianer-Stamm klagt. Parallel kommt es immer wieder zu folkloristischen Demonstrationen der Indianer, insbesondere der Sioux, in Washington vor dem Weißen Haus. Die Ölpipeline von Alberta/ Kanada durch fast die ganze USA bis in den Golf von Mexiko genehmigt Trump ebenfalls im März 2017 (Keystone XL; TransCanada). Chef der Umweltbehörde EPA wird ein Mann, der die Existenz von Klimawandel leugnet (Scott Pruitt). Das lässt Alles erwarten ("Mann für Ruß und Schwefel"). Er hatte Prozesse gegen die Umweltbehörde geführt. Er wird bestätigt. Obama hatte gerade für Kohlekraftwerke die Vorschriften zur Luftreinhaltung verschärft. Neuer Außenminister soll der Exxon-Chef und Putin-Freund  Rex Tillerson werden. Auch der ist bisher nicht als Umweltfreund in Erscheinung getreten, sondern natürlich als Fürsprecher fossiler Energieträger. Auch der neue Justizminister Jeff Sessions bezweifelt den Klimawandel (er ist auch gegen Einwanderung). Der Energieminister Rick Perry strebt Energie-Unabhängigkeit an (weiter fossile Energieträger, Fracking, Ausweitung der Ölbohrungen). Im März 2017 gibt Trump seine Pläne bekannt, das Budget der Umweltbehörde EPA um ein Viertel zu kürzen (auf 6,1 Mrd. $; Mitarbeiter um ein Fünftel weniger). Der erste Haushalt von Trump, der im März 2017 vorgestellt wird, enthält sogar eine Kürzung um 31%. Zahlungen für Klimaschutzregelungen sollen komplett gestrichen werden. Am 28.03.2017 unterzeichnet Trump ein Dekret zur Klimapolitik: Kohle, Gas  und Öl (fossile Energieträger) sollen wieder mehr gefördert werden. Vor allem die Begrenzung der Kohlestoffbelastung durch Kraftwerke soll überdacht werden. Die CO2-Ausstoß-Grenzen sollen wieder abgesenkt werden. Bundesbehören sollen nicht mehr die Auswirkungen des Klimawandels bedenken müssen. Das ist eine Demontage des "Clean Power Plan" von Obama, der die Beschlüsse des Pariser Weltklimagipfels implementieren sollte. Große US-Bundesstaaten, z. B. Kalifornien, haben angedeutet, dass sie an den Klimazielen festhalten wollen (das gleiche Vorgehen planen auch Städte). Außerdem dürfte der Rückbau und das Aufweichen der Regelungen von Obama auch Jahre dauern. Sehr schmerzhaft dürfte in jedem Falle sein, wenn sich die USA aus dem Klimafonds für Entwicklungsländer zurückziehen. Im April 2017 scheitert eine gemeinsame Erklärung der Wirtschafts- und Energieminister der G7 an den USA. Eine Gruppe bei den Republikanern will 2017 mit einer Steuer auf Ressourcen die CO2-Emissionen stärker senken als durch alle bestehenden Regelungen. Genannt werden 40 Dollar pro Tonne. Die Steuern sollen dort erhoben werden, wo Rohstoffe Eingang in den Wirtschaftprozess finden (Öl, Kohle u. a.). Haushalte sollen eine Bar-Dividende bekommen. Vgl. Martin Feldstein in WiWo 17/ 21.4.17, S. 42. Im Frühjahr 2017 scheint sich die Position durchzusetzen, im Klimavertrag zu bleiben, aber neu zu verhandeln. Besonders kritisiert wird Deutschland, weil es aus der Atomkraft aussteigt. Auch auf dem G7-Gipfel in Taormina/ Sizilien blockiert Trump eine Berufung auf die Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens. Am 01.06.17 verkündet Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzvertrag. Er bezeichnet das Abkommen als "unfair". Er will aber auch neu verhandeln. Diese Möglichkeit ist sehr unwahrscheinlich (Deutschland, Frankreich und Italien und die EU verweigern sich; auch China und Russland). Die USA können frühestens am 4.11.2020 faktisch raus (einschließlich einjähriger Kündigungsfrist). Bis dahin sind sie gebunden. Gelder für den "Green Climate Fonds" werden nicht geleistet. Mehrere US-Bundesstaaten (30) wollen am Abkommen festhalten (auch viele Städte). Große Teile der Industrie äußern sich auch skeptisch (100 große Unternehmen, z. B. Apple, Google, Tesla, Exxon, Chevron). Das Pariser Abkommen war nie ein fertiges Rezept, die Erde zu retten, sondern eher der Anfang eines Prozesses dazu. Die USA werden damit zum Geisterfahrer und globalen Außenseiter. Auf dem G20-Gipfel in Hamburg  sind die USA beim Klima isoliert, weil Trump zu fossilen Brennstoffen zurückkehren will. Später fordert er Nachverhandlungen. Im November 2017 legen 13 US - Behörden einen Klimareport kurz vor der Klimakonferenz in Bonn vor: Erstmals wird darin eingeräumt, dass der Mensch an der Erderwärmung die Verantwortung trägt (mit 95% bis 100% Sicherheit). Sie warnen vor einem Anstieg des Meeresspiegels bis 2100 um 2,40 Meter. Im Dezember 2017 verkleinert Trump zwei Naturschutzgebiete im Westen der USA. Es geht um Bohrungen nach Bodenschätzen. Naturschützer klagen. die Regelungen für Bohrungen auf dem Meer werden auch gelockert. Die ehemalige Gouverneurin von South Carolina (Partnerland von RLP) Nikki Haley wird UN-Botschafterin. Sie war als Republikanerin eine Trump - Gegnerin. Die Vereinigten Staaten seien auch nur ein Teil dieses Planeten sagt der tiefgläubige ehemalige Präsident Jimmy Carter zu "America first". Sie sollten die Sorgen anderer Staaten nicht ignorieren. Im Juni 2017 schließen Kalifornien und China ein Klimaschutzabkommen.

Die Energiepolitik der USA mit Sanktionen gegenüber Russland drohen die internationale Koordination in der Energiepolitik zu unterminieren. Europa könnte hierbei erhebliche Nachteile haben (Deutschland zahlt den Preis). Trump und die USA nutzen Gas als geopolitisches Mittel. Russland soll geschwächt, das eigene Gasgeschäft gestärkt werden. Sanktioniert werden Unternehmen, die mit Russland Energiegeschäfte abwickeln. Die USA sprechen 2019 bei Flüssiggas, das durch Fracking gewonnen wird, von "Freedom Gas" (Freiheitsgas). So bemäntelt die Trump - Regierung durch Begriffsveränderungen zunehmend ihre eigentlichen Interessen.

Im August 2018 will Trump den zukünftigen Kraftstoffverbrauch von Autos wieder liberalisieren. Das sind Regeln von Obama. Trump will die Regel abschaffen aus drei Gründen: 1. Verleitung zu mehr Fahren bei effizienteren Autos. 2. Ausgefeilte Technik treibt die Preise nach oben. 3. Leichteres Material ginge auf Kosten der Sicherheit. Er will auch die Autonomie der Bundesstatten bei dieser Regelung einschränken.

Resümee:  Mit zahlreichen Dekreten versucht Trump alles, um Umweltgesetze auszuhebeln (Beispiele: Ölförderung in Naturschutzgebieten, Agrargifte zulassen, Grenzwerte verwässern, Wasserläufe freigeben für
Abraum). Insgesamt geht es um 76 Maßnahmen. Doch er hat erhebliche Probleme bei der Umsetzung. Bürger, Juristen und ganze Bundesstaaten setzen sich zur Wehr.

Neustart der Klimapolitik unter Biden:  Der neue US-Präsident Joe Biden will unmittelbar nach seiner Vereidigung den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen rückgängig machen. Viele Verordnungen von Trump sollen auch aufgehoben werden. Biden will auch den Bau der Pipeline Keystone XL. stoppen (Öl aus dem kanadischen Alberta nach Texas). Für Kohlekraftwerke und Autoabgase soll es strengere Regeln geben. Der Klimawandel wird nun anerkannt. Der umstieg auf saubere Energie soll gefördert werden. Auf bundeseigenem Land werden Bohrrechte für Erdöl und Erdgas ausgesetzt.

Pete Buttigieg wird unter Biden Verkehrsminister. Er soll der US-Eisenbahn neue Perspektiven eröffnen. Die Verkehrspolitik hat große Bedeutung für den Klimaschutz relevanten Bereich.

Am 18.4.21 treffen sich eine chinesische (Leiter Xie Zhenhua) und eine us-amerikanische Delegation in Shanghai. Man beschließt und trifft eine Vereinbarung, dass beide Länder bei der Klima- und Umweltpolitik kooperieren wollen. Sie sind die beiden größten CO2-Emitenten dieser Welt. In fast allen anderen Politikbereichen hat sich seit dem Amtsantritt von Biden das Verhältnis beider Länder eher abgekühlt bzw. ist eher konfliktträchtig. die US-Delegation wird vom Klimabeauftragten der USA John Kerry geleitet. Beide Länder bereiten sich damit auf die virtuelle Klimakonferenz vor, die 2021 von den USA ausgerichtet wird (Vorbereitung). Im November 2021 soll in Glasgow/ Schottland dann die nächste reale Weltklima-Konferenz stattfinden. 

Die USA wollen unter Biden ihren Energieverbrauch vollkommen umstellen: 2019 sah der wie folgt aus. Öl 37%, Gas 32%, Kohle 11%, Erneuerbare Energie 11%, Atom 9%.

Im Juni 2021 wird der US-Naturschutz verschärft. Tier -und Pflanzenarten sollen besser geschützt werden. Man spricht vom Endangered Species Act (unter anderem grauer Wolf und Weißkopfseeadler). Die US-Naturschutzbehörde (FWS) bekommt mehr kompetenzen.

Im Juni 2021 wird das Pipeline-Projekt Keystone XL endgültig aufgegeben. Die Pipeline sollte in Hardisky/ Kanada starten und bis Houston in Texas gehen.  Im Kern ging es um eine Erweiterung zwischen Hardisky und Steele City.

2030 soll die Hälfte neuer PKW emissionsfrei sein. Dazu gehören Autos mit Elektro-, Hybrid- und Wasserstoffmotor. Ein großes Infrastrukturpaket soll auch Lagestationen fördern. 

Vor dem Weltklimagipfel im November 21 muss Biden einen schweren Rückschlag hinnehmen: Ein Senator aus der eigenen Partei blockiert sein zentrales Programm zur Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes. Nun sucht man verzweifelt nach einem Kompromiss. Letztlich wird das Paket stark zusammengestrichen. Am 19. November 2021 geht das billionenschwere Paket (zusammengestrichen von 3,5 Billionen auf ca. 1,7 Billionen $) für Investitionen in Klimaschutz (und auch Soziales) dann doch durch den Kongress. Biden erringt einen Sieg.

Im Senat wird das Klimaschutzpaket (einschließlich Soziales) für 2021 erstmal blockiert. Der Senator von West-Virginia Manchin (lange Kohlebergbau-Tradition) stimmt nicht zu. Im Senat herrscht eine 50:50 Situation einschließlich West-Virginia, die nur durch die Stimme der Vizepräsidentin Harris zugunsten der Demokraten entschieden werden kann. Der Supreme Court schränkt 2022 die Handlungsfähigkeit der Umweltbehörde EPA ein. Im Juli 2022 muss Biden sein Energiewende-Paket (550 Mrd. $) aufgeben. Es scheitert an Quertreiber Joe Manchin. Der ändert aber Ende Juli 2022 überraschend seine Meinung und stimmt dem Klima- und Sozialpaket zu. Das ist ein großer Erfolg für Joe Biden. So gewinnt das Packet, wenn auch abgespeckt, eine Mehrheit im Senat (über die Stimme von Vize-Präsidentin Harris). Auch im Repräsentantenhaus haben die Demokraten eine knappe Mehrheit. Abgekürzt heißt das Packet jetzt "Inflationsbekämpfungsgesetz". Es hat noch ein Volumen von 740 Mrd. $. 370 Mrd. € sind für den Klimawandel vorgesehen über 10 Jahre. Die wichtigste Einnahmequelle zur Bezahlung der Reformen soll die Mindest-Körperschaftssteuer von 15% sein. Die Reduzierung der Treibhausgase soll nicht über eine Besteuerung, sondern über finanzielle Anreize gemacht werden. Im September 2022 wird Florida von einem Hurrikane getroffen. Er wird "Ian" genannt und richtet große Schäden an.

Exkurs Tangier Island. das ist eine idyllische Insel im US-Bundestaat Virginia. Die Insel versinkt infolge des Klimawandels. Das geht schon seit 1850 so. Die Bewohner wollen von den wahren Ursachen nichts wissen. Sie setzen auf Gott. Gerade die Älteren können sich das noch leisten, die Jüngeren nicht. Dei Insel ist symthomatisch für die Einstellung vieler Amerikaner zum Umweltproblem.  Vgl. Schmidt, Daniel C.: Der Untergang des Paradieses, in: Der Spiegel Nr. 28/ 9.7.22, S. 100ff.

Fazit: Die USA setzen leider falsche Prioritäten. Das Land leidet sehr unter Überschwemmungen, Dürre und Waldbränden. Der Klimawandel macht den USA stark zu schaffen. Die US-Politik hält sich aber seit Jahren mit Grabenkämpfen auf, zu, Beispiel im Streit über Wahlgesetze. Vgl. Rheinpfalz am Sonntag, 3./4. September 2022, S. 6.

Biden reist zum Weltklimagipfel im November 2022. Er sagt die Einhaltung der Klimaziele zu. Im Inflation Reduction Act (IRA) werden riesige Ressourcen in grüne Technologie investiert. Das könnte zu einem Subventionswettlauf führen. Das könnte für Europa zum Problem werden. Die EU versucht, die USA bei den Ausführungsbestimmungen noch zu beeinflussen.

9. Außenhandel der USA, insbesondere mit Deutschland (Bedeutung für Deutschland): 2016 machen die deutschen Exporte 38% des deutschen BIP aus. 2015 hatten die deutschen Exporte insgesamt einen Wert von 1194 Milliarden Euro (10% des deutschen Außenhandels machen die USA aus; 107 Mrd. Euro Exporte 2016; Importe 58 Mrd. €, 6%). Die größten Überschüsse im Handel mit den USA erzielt Deutschland bei: 1. Autos. 2. Chemie. 3. Medikamente. Einen Importüberschuss hatten die USA bei Motoren und Motorenteilen, bei Sprengstoffen, bei Rindfleisch und bei Erdöl (Quelle: Statistisches Bundesamt). Trumps Handelsberater Peter Navarro wirft Deutschland Anfang Februar 2017 vor, die USA auszubeuten (Wettbewerbsvorteil durch schwachen Euro: "Deutschland beutet sowohl andere EU-Staaten als auch die USA aus, mithilfe einer impliziten Deutschen Mark, die extrem unterbewertet ist"). Er sieht nicht die Rolle der EZB und  der EU. 2016 fällt das Handelsdefizit der USA so hoch wie nie vorher aus. Es liegt bei 502,2 Mrd. Dollar (466,8 Mrd. €).  Die meisten und höchsten Strafzölle haben die USA gegen China. 266% Importzölle gegen kalt gewalzten Flachstahl, 50% gegen Solartechnik. Der DIHK rechnet insgesamt für 2017 mit einer Steigerung der Exporte in die USA, d.h. er erwartet einen Konjunkturaufschwung in den USA. Der Deutsche Außenhandelsverband prognostiziert für 2017 ein Plus von 2,5% bei den Exporten (auf 1235 Mrd. €). Allerdings verlangsamt sich das Wachstum im ersten Quartal 2017: nur 0,7%. Es gibt folgende Rangfolge der Handelspartner der USA: Bei den Importen in die USA führen China, Mexiko, Kanada, Japan und Deutschland. Bei den Exporten aus den USA Kanada, Mexiko, China, Japan, Großbritannien, Deutschland und Süd-Korea (jeweils Rangfolge). Eine Handelsabschottung der USA würde auch Drittmarkteffekte haben (deutsche Handelspartner sind betroffen, die weniger deutsche Produkte ordern, wichtigstes deutsches Zielland ist Frankreich, wichtigstes Exportland außerhalb der EU ist China). Es würden auch die deutschen Exporte leiden, die mit Direktinvestitionen verbunden sind (USA, auch GB). 28 Prozent aller deutschen Direktinvestitionen werden in den USA getätigt (2014, wichtigstes Zielland; insgesamt 271 Mrd. € deutsche Direktinvestitionen Stand 2016; seit dem 2. Weltkrieg; 810.000 Arbeitsplätze). Von der Kaufkraft her ist die EU der größte Binnenmarkt der Welt. Von der Zahl der Käufer ist es China. Beide würden protektionistische Maßnahmen sicher nicht ohne Vergeltung hinnehmen. Die EU entwickelt schon hypothetisch Vergeltungsmaßnahmen. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Asien dürften sich weiter intensivieren (2015: EU-Importe 864 Mrd. $, EU-Exporte 775 Mrd. $). Gabriel spricht beim Treffen mit seinem chinesischen Kollegen Wang Yi am Rande des Außenminister-G20-Treffens von einer "strategischen Partnerschaft" mit China und einem Bekenntnis zum Multilateralismus. Auch Äußerungen von Trump nach der Brexit -Entscheidung, andere EU-Länder sollten das Gleiche tun, sind unfreundlich. Trumps Attacken auf das Atom-Abkommen mit dem Iran könnten die Deutsche Wirtschaft um das Iran-Geschäft bringen. Insgesamt ist das deutsche Geschäftsmodell auf eine liberale internationale Handelsordnung angewiesen. Deutschland ist im Bezug auf die USA nur der fünftwichtigste Handelspartner (hinter China, Mexiko, Kanada und Japan vor GB). Am 17 März 2017 reist Bundeskanzlerin Merkel in die USA und spricht mit Trump (wegen Schneesturm um einige Tage verschoben). Vielleicht äußert Trump seine außenwirtschaftspolitischen Vorhaben dann klarer. Er soll über das deutsche duale Ausbildungssystem unterrichtet werden. Es wird klar, dass Merkel und Trump in Handelsfragen uneins sind. Ende April 2017 besucht die Trump - Tochter Ivanka Deutschland (Themen: Frauen, Familie, Gesundheit, Gleichberechtigung). Sie besucht unter anderem auch Siemens und nimmt an einer Veranstaltung der W20 teil (wichtige Führungsfrauen der G20). Ende Juni sagt Handelsminister Ross einen Besuch in Deutschland ab. Die USA erheben Dumping-Vorwürfe gegen deutsche Stahlkonzerne. Die US-Regierung geht mit Strafzöllen bereits gegen Salzgitter und die Dillinger Hütte vor. Die Strafzölle für Stahl und Aluminium werden bis 1. Mai 2018 für die EU ausgesetzt. Für eine Verlängerung der Frist verlangen die USA Zugeständnisse, z. B. bei den Importzöllen der EU für amerikanische Autos. später kommen die Zölle. Die EU richtet Retorsionszölle ein. Auf dem Nato-Gipfel im Juli 2018 wettert Trump gegen Deutschland (geplante Gaspipeline Nord Stream 2). Die Frist für das Handelsministerium läuft ab darüber zu entscheiden, ob Autos und Autoteile aus der EU und Deutschland die Sicherheit der USA bedrohen. Man rechnet mit einer Bejahung. Dann könnte Trump binnen 90 Tagen entscheiden, ob er Sonderzölle erheben soll. Erstmal kommen im Oktober 2019 Zölle gegen Flugzeugteile aus der EU (10%) und gegen einige Agrarprodukte (Käse, Wein, Butter, ,Olivenöl, Kaffee) in Höhe von 25%. Deutschland wird von den neuen Zöllen am stärksten betroffen sein. Italien und Spanien sind durch Parmesan und Olivenöl getroffen.  "Keine Mauern, sondern Vertrauen aufbauen", Asia Business Insight, Handelsblatt-Konferenz 2017. Genauere Simulationsanalysen über die Wirkungen möglicher protektionistischer Maßnahmen der USA, insbesondere auf Deutschland, hat 2017 das Ifo-Institut in München berechnet. Diese Simulationsanalysen beruhen auf bestimmten Annahmen, die nicht eintreten müssen. Pünktlich zum Besuch von Angela Merkel in den USA am 27.04.18 steht der neue US-Botschafter in Deutschland fest: Grenell. Er gilt als Cheflobbyist von Trump.

In der Folge zeigen sich immer mehr Unstimmigkeiten zwischen den USA und Deutschland. Die Strafzölle gegen Unternehmen aus Mexiko, weil Mexiko nicht die Migranten in die USA aufhält, würden auch deutsche Unternehmen treffen (+5% jeden Monat). Außenpolitische Differenzen gibt es zu Iran, zu Huawei (Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland) und der Gaspipeline Nord Stream 2. Trump verknüpft rigoros wirtschaftliche und politische Interessen.  Im Juni 2019 brechen die deutschen Exporte ein (8% gegenüber Juni 2018). Die internationalen Handelskonflikte (Trump, Brexit) scheinen durchzuschlagen.

Bundeskanzlerin Merkel erhält Ende Mai die Ehrendoktorwürde der Eliteuniversität Harvard. In ihrer Rede grenzt sie sich scharf von Trump ab, ohne seinen Namen zu nennen. Der US-Botschafter Grenell droht im August mit einem Truppenabzug. Deutschland tue zu wenig für seine Verteidigung und nutze die USA aus.  Im Juli wird ein neuer Botschafter für Deutschland ernannt. Er heißt Douglas Macgreger und ist ein pensionierter General. Er hat Werbung für Trump im TV gemacht.

In der Beziehungskrise mit Deutschland wird sich wahrscheinlich durch die Präsidentenwahl nichts ändern. Die USA stellen ihre Interessen klar über geteilte Werte und werden deutsche Unternehmen drängen, sich zu positionieren. Der Trend zur Renationalisierung in den USA wird anhalten. 2019 betrug das Handelsdefizit mit Deutschland -67,39 Mrd. $ (2015: -74,91; 2011: -49,39). Der Warenaustausch floriert, auch der mit China. Der in Europa stagniert eher (Brexit!). Die deutschen Direktinvestitionen in den USA betrugen 2019 522 Mrd. $ (2010: 247). Deutsche Unternehmen beschäftigen 2018 692.000 Menschen.  Quelle: WiWo 45, 30.10.20, S. 14ff. "Deutschland wird zum Dolmetscher für Amerika in Eurasien", John Kornblum 2020, ehemaliger US-Botschafter in Berlin (lebt heute noch dort). Vgl. auch: Richenhagen, Martin: "Der Amerika-Flüsterer". Mein Weg vom deutschen Religionslehrer zum US-Topmanager, Edel Books 2021.

Amy Gutmann wird neue Botschafterin der USA in Berlin (der Senat stimmt zu). Sie war Präsidentin der Universität von Pennsylvania. Sie ist 72 Jahre alt. Ihr Vater floh 1934 mit seiner jüdischen Familie aus Bayern/ Feuchtwangen vor den Nazis.

Jo Biden will die amerikanische Wirtschaft stärken - auf Kosten Europas. Der IRA bevorzugt klar US-Unternehmen. Das ist Protektionismus. Die USA begründen das mit dem Ungleichgewicht in ihrer Handelsbilanz: Exporte der EU in die USA 2021 399 Mrd. €, Importe in die EU aus den USA 2021 232 Mrd. €. Der französische Staatspräsident Macron versucht bei seinem Besuch Ende November 2022 Biden zu Änderungen zu bewegen. Man setzt eine Kommission ein, die sich der Frage widmen soll. Auch scholz besucht am 3.3.23 die USA und trifft sich mit Biden. Es geht hautsächlich um den Ukraine-Krieg und um die Strategie gegen China, wenn das Waffen liefern sollte.

10. Der Zielmarkt USA für deutsche Unternehmen: Zunächst stellt sich die Frage, ob die USA oder China für Deutschland wichtiger sind. Misst man die Exporte in ihrer absoluten Höhe, sind die USA noch knapp wichtiger. Geht man dagegen von der Marktausschöpfung aus (Anteil deutscher Exporte am Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Zielmarktes) sind deutsche Unternehmen in China stärker. Beide Märkte sind unverzichtbar. Die neue Handelspolitik der USA bleibt auch unter Biden eine Herausforderung für deutsche Unternehmen. Natürlich gibt es auch Erfolgsgeschichten (Fresenius, Deutsche Telekom, VW, Daimler, SAP, Infineon, E. Merck, Adidas). Ein Problem bleibt die Gewinnung qualifizierter Mitarbeiter. Der Kapitalmarkt der USA dürfte noch auf lange Sicht dominant bleiben. Gerade m NASDAQ sind viele High-Tech-Unternehmen notiert (BioNTech, CureVac). Vgl. Simon, Hermann: Hidden Champions. Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert, Frankfurt/ New Yotk 2021, S. 100ff.

2022 rückt der US-Markt für deutsche Unternehmen wieder in Fokus. Die Energiepreise in Deutschland sind fünf Mal so hoch als in den USA. Viele Unternehmen spielen mit dem Gedanken einer Produktionsverlagerung in die USA.

11. Einfluss der Maßnahmen von Trump auf die Weltleitwährung Dollar: Bisher funktionierte der Welthandel nach folgendem Modell: Die Chinesen, Japaner und andere Länder verkauften ihre Waren in die USA. Diese Länder räumten den USA im Gegenzug unbegrenzt Kredite ein (Kauf von Staatsanleihen). Handelsbilanzdefizite wurden über die Kapitalbilanz ausgeglichen. Außerdem haben Ausländer acht Billionen Dollar in den USA mehr investiert als Amerikaner im Ausland. US-Amerikaner holen sich das billigere Geld in den USA und legen es gewinnbringend im Ausland an (z. B. Beteiligungen). Ausländer bekommen in den USA relativ wenig für ihre Anlagen, weil die Leitwährung als sicher gilt. So fließen etwa 200 Mrd. Dollar mehr nach den USA als raus. Die USA machen auch einen Gewinn aus den Dollarnoten. Trump kann den Handel nur zu Gunsten Amerikas verändern, wenn er das Land unabhängiger von Schulden im Ausland macht.  Sein Protektionismus würde die Weltleitwährung Dollar in Frage stellen. Vgl. Pletter, Roman: Donald Trump macht den Dollar klein, in: Die Zeit, Nr. 14, 30.03.2017, S. 21. Seit dem Amtsantritt von Trump ist der Welthandel um 3,6% gestiegen (bis Ende 2017; anschwellende Handelsströme in Asien, mehr Importe in die USA).   Im Umfeld des neuen Präsidenten Trump herrscht wohl das Chaos. Ebenso ein ideologischer Machtkampf um den Wirtschaftskurs. Eine wichtige Rolle soll dabei Gary Cohn spielen (ehemals Goldman Sachs, 285 Mio. $ Abfindung, eingetragener Demokrat). Als Angehöriger der so genannten  "New Yorker" ist er Gegenspieler von Bannon, dem Wirtschaftsnationalisten.

Trump schürt immer wieder die Angst vor einem Währungskrieg. Er wirft auch China und Europa vor, die Wechselkurse von Renminbi und Euro künstlich niedrig zu halten. Er attackiert die betroffenen Notenbanken. Der Handelskrieg könnte durchaus auch zu einem Währungskrieg führen. 2020 nach der Corona-Krise gerät der Dollar auf die Verliererstraße. Er verliert gegen fast alle Währungen. Der sinkende Dollarkurs spiegelt das sinkende Vertrauen in die Entwicklung der US-Wirtschaft wieder. Eine große Rolle spielt auch die chaotische Politik von Donald Trump. Viele Experten sehen den Status der Weltleitwährung Dollar in Gefahr. Für die deutsche Exportwirtschaft ist der Verfall des Dollarkurses problematisch.

12. Staatsverschuldung und Verschuldung als Risiko: Die Staatsverschuldung der USA liegt Anfang 2020 bei 22,4 Billionen Dollar. Das ist gemessen an der Bedeutung und dem Gewicht der USA keine Katastrophe, aber das Risiko steigt. Seit Amtsantritt von Trump sind die Staatsschulden um 2,45 Billionen $ gestiegen. Hauptursache ist die Steuerreform von 2017. Damit hat Trump einen vorübergehenden Aufschwung ermöglicht. Aber allein 2019 sind die Schulden um 984 Mrd. $ gestiegen. eigentlich rettet nur die Niedrigzinspolitik die USA vor einem finanziellen Super-Gau. Deshalb auch der ständige Druck von Trump auf den Notenbankchef Powell. Wenn die Zinsen steigen, könnte die Schuldenlast zur großen Bremse werden. 2020 könnte das Defizit schon die Billionengrenze übersteigen. Die Handelspolitik von Trump könnte zum Bumerang werden. Das Ausland verzichtet auf Konsum und Investitionen und legt seine Außenhandelsüberschüsse auf den Finanzmärkten der USA an (insbesondere China und Japan). Können sie diese Überschüsse durch den Handelskonflikt nicht mehr erreichen, werden sie auch weniger Anleihen in den USA kaufen oder halten. Dann dürfte es schwierig werden für die hohen Rüstungsausgaben und die Schuldenpolitik der USA.

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie in den USA, der viel zu spät angegangen wurde (Trump hatte Seuchenschutz heruntergefahren, keine Tests vorhanden, Experten werden nicht berücksichtigt) reagiert man mit Helikoptergeld (1,2 Billionen Dollar; vielleicht bis zu 4000 $ für jeden Haushalt). Das lässt die Verschuldung weiter explodieren.

Zwischen März und Mai 2020 wurden von ausländischen Akteuren US-Staatsanleihen im Wert von 500 Mrd. US-Dollar abgestoßen (Rekordwert. Quelle: Finanzministerium der USA im Juli 2020).

In den USA entwickelt sich die Rechtfertigungslehre MMT (Modern Monetary Theory), um die grenzenlose Geldproduktion zu legitimieren und die Verschuldungsbremsen abzuschaffen.

Aber nicht nur der US-Staat ist hoch verschuldet, sondern auch die Privathaushalte. Immer mehr Haushalte stehen vor einem Privatbankrott. Sie jonglieren mit Bankdarlehen, Kreditkarten und Pfandausleihen. Jeder US-Haushalt ist im Schnitt 2020 mit 115.000 $ verschuldet. Die entspanntere Haltung zu Schulden ist Teil der amerikanischen Kultur. Die Pandemie hat die Notlage vieler Haushalte verschärft. Weil ein Sozialversicherungssystem fehlt, müssen viele Amerikaner die Gesundheitskosten und die Folgen der Seuche selbst tragen. Es gibt viele andere Gründe für die hohe Verschuldung: hohe Studienkosten (auch Fehlen von Alternativen in der Berufsausbildung), Druck zur eigenen Immobilie (und Anstieg der Vermögenspreise), Zwang, den eigenen Status beizubehalten.

Im Herbst 2021 droht schon wieder eine Pleite der USA. Im Kongress eskaliert der Streit um die Schuldenobergrenze. Der Kampf um die Staatsschulden entbrennt immer wieder. Die Folgen könnten die ganze Welt treffen. Der Senat stimmt schließlich einem Übergangshaushalt zu zur Vermeidung eines drohenden Shutdowns. Die Demokraten wollen das Schuldenlimit in einem separaten Schritt bis 2022 aussetzen. Man findet einen Kompromiss: Die Schuldenobergrenze wird um 480 Milliarden Dollar angehoben. Zumindest bis 3. Dezember 21 soll die US-Regierung liquide bleiben.

2023 steht die Gefahr einer Staatspleite im Raum (Zahlungsunfähigkeit). Im Sommer droht ein "Government Shutdown" (Schließung der Bundesbehörden, Haushaltssperre, technischer Zahlungsausfall). Demokaten und Republikaner haben sich im Streit um die Erhöhung der Schuldengrenze völlig verhakt. Es gibt große Risiken für die Weltwirtschaft. Noch zahlen die USA Zinsen auf ihre Staatsanleihen und fällige Bonds zurück. Wenn nicht, drohen drastische Kursverluste. Es könnte auch zu Verlusten bei Aktien kommen. Vgl. Der Spiegel 15/ 8.4.23, S. 64f (Interview mit Volker Brühl, Frankfurt School of Finance).

Im Mai 2023 verschärft sich die Situation. Der US-Regierung rennt die Zeit davon, um eine Katastrophe abzuwenden: In wenigen Wochen droht ein Zahlungsausfall. Der könnte die Konjunktur und die weltweiten Finanzmärkte erschüttern. Ende April 2023 erreichen die Schulden 31,5 Billionen $. Die Schuldenobergrenze liegt bei 31,4 Billionen $. Ein Ausweg ist noch nicht klar (moderate Republikaner stimmen einer Anhebung des Limits zu; weiterhin Kreditaufnahme; Prägen einer Platin-Münze). Vgl. HB 9.5.23, S. 6f.

Im August 2023 stuft die Rating - Agentur Fitch die Kreditwürdigkeit der USA von AAA auf AA+ ab. Auf die Börsen in aller Welt scheint das noch keinen Einfluss zu haben. In Anbetracht des Riesenkonjunkturprogramms sind die Wirtschaftsexperten optimistisch.

Ende 2023 lagen die Schulden der USA bei 120% des BIP. Die Wirtschaft wuchs um 2,5%. Grund dafür ist auch das gigantische Investitionsprogramm IRA. Die US-Regierung musste 10% ihrer Einnahmen als Zinsen an Gläubiger zahlen. Das ist doppelt so viel, wie sie für Bildung und Forschung ausgab. Der Zinsanteil dürfte steigen, weil die Niedrigzinsphase vorbei ist.

2024 brennt die Schuldenlunte weiter. Die USA leben über ihre Verhältnisse. Der nächste Präsident muss den Haushalt sanieren, um die Bonität de Landes zu wahren. Doch wie soll das geschehen? 2024 kratzen der Schulden der US-Bundesregierung an der Marke von 28 Billionen $. Das sind 99% des BIP. Rechnet man die Staatsanleihen hinzu, die die staatliche Rentenversicherung hält, liegt die Schuldenquote im Februar 2024 bei 127%. Hinzu kommen die Anleiheschulden der Bundesstaaten und Kommunen in Höhe von 4 Billionen $. Bis 2034 soll die Schuldenquote des budnes auf 116% des BIPs steigen, bis 2054 auf 172% (CBO). Die Finanzpolitik muss geändert werden. In den nächsten Jahren werden auch dei Zinsausgaben anwachsen. Es bleiben fast nur Steuererhöhungen. Vgl. Fischer, Malte: Die Schuldenlunte brennt weiter, in: Wiwo 8/ 2024, S. 36f.

13. US-Kapitalmarkt: 2024 will die US-Wertpapieraufsicht SEC mit einer groß angelegten Reform das Anleihegeschäft sicherer machen. Die Regeln werden bis 2026 schrittweise eingeführt. Es sind die folgenschwersten Änderungen für das Geschäft mit amerikanischen Staatsanleihen. Das durchschnittliche tägliche Handelsvolumen liegt bei 760,5 US$ (insgesamt 25 Billionen US$ ausstehende Papiere). In Krisenzeiten kommt es immer wieder zu Verwerfungen. Es soll auch eine Neubewertung kommen. Die Abwicklung soll über eine zentrale Gegenpartei erfolgen (wie bei Aktien und Derivaten). Dei Organisation dafür gibt es: Die FICC seit 2003. Das zentrale Clearing soll den Markt widerstandsfähiger machen. Für Händler steigt der Aufwand. Es gibt noch einige Ausnahmen für Hedgefonds. Vgl. Misch, Michael: Radikalumbau mit Nebenwirkungen, in: HB 30.01.24, S. 28f..

Exkurs. Staatsanleihen der USA: Die Schuldenpapiere der USA als Staat geraten 2023 wieder mal unter Druck. Normalerweise gelten sie als sichere Hafen für Geldanleger. Aber 2023 verlangen die Investoren höheren Zins, weil sie einen Ausgleich für das Risiko wollen. Die ganzen Krisen in der Welt (Ukraine, Gaza, Chinas und Europas Wirtschaft) führen zu weniger Anlagen und damit sinkenden Preisen. Das könnte auch Folgen für Unternehmen und Arbeitnehmer in Deutschland haben. Die internationalen Notenbanken als beste Kunden halten sich zurück. Natürlich haben die USA auch an Kredit verloren. Hinzu kommt, dass der größte Kunde China umschichtet. Vgl. Buchter, Heike: Das große Beben, in: Die Zeit Nr. 46/ 2.11.23, S. 29.

14. US-Wirtschaft in ihrer relativen Bedeutung zur Weltwirtschaft und zum Hauptkonkurrenten China: 4,4% der Weltbevölkerung lebt in den USA. Nur in China und Indien leben mehr Menschen. Die USA verfügen über 6,6% der Landfläche der Erde. Sie sind damit 27 Mal größer als Deutschland. Nur Russland, Kanada und China sind größer. Mit einem realen Bruttoinlandsprodukt von fast 20 Billionen USD stand  die USA 2017 für fast ein Viertel der gesamten Weltwirtschaftsleistung. Die Staatsverschuldung liegt bei 106,1 % des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (Deutschland 59,8%). Unter den Top 100 (Börsennotierte Unternehmen nach Höhe der Marktkapitalisierung) liegen 60 US-Firmen, dagegen nur 4 deutsche. Mississippi ist der US-Bundesstaat mit dem niedrigsten , Maryland mit dem höchsten durchschnittlichen Haushaltseinkommen (US-Schnitt 62.500 USD). Die meisten Ausfuhren aus den USA gehen nach Kanada, Mexiko und China. Bei den Importen sind es die gleichen Handelspartner - nur in umgekehrter Reihenfolge. Rund 20% aller Einfuhren kommen aus dem Reich der Mitte. Quelle: Deutsche Bank, Perspektiven Ausgabe 10-11/2018, S. 8.

Vergleicht man direkt die USA und China, so ergibt sich folgendes Bild: China hat Güterexporte in Höhe von 2263 Mrd. $ 2017; China in Höhe von 1546 Mrd. $ 2017. Bei den Güterimporten stehen die Zahlen  1844 (China) und 2408 (USA) für 2017 im Raum. China verfügt über Devisenreserven in Höhe von 3051 Mrd. $ Oktober 2018, die USA haben 42 Mrd. $. "Du führst deinen Krieg, ich führe meinen", Mao Zedong. "China kämpft den Kampf von morgen", Quelle: Der Spiegel 1/2019, 29.12.2018; S.12ff.

Die USA haben auch in den letzten Jahren ihre finanzielle Abhängigkeit von China reduziert. China ist zwar weiterhin größter Gläubiger, aber der Anteil der ausstehenden US-Staatsanleihen im chinesischen Besitz ist von 15% (2010, nach der Finanzkrise) auf knapp 8,5% Ende 2018 nahezu halbiert. Amerikanische Staatspapiere werden heute zu 60% von Inländern gehalten.

Chimerica (Niall Ferguson 2016) als enge Symbiose eines unablässig produzierenden Chinas mit einem unablässig konsumierenden Amerika neigt sich dem Ende entgegen. Die USA wollen China so klein wie möglich halten und den Aufstieg zur Weltführungsmacht verhindern. Aber Protektionismus und Verhinderung eines Technologietransfers können den weiteren Aufstieg Chinas nur verlangsamen, nicht verhindern. Zwischen 2030 und 2050 wird China die Spitzenposition erreichen. Da die Weltwirtschaft kein Nullsummenspiel ist, könnten viele andere Länder, auch in Europa, davon profitieren. Im Juni 2020 veröffentlicht der ehemalige Sicherheitsberater von Trump ein buch mit dem Titel "The Room Where It Happened". Darin schildert Bolton unter anderem wie rigoros Trump eigene Interessen vertritt. Den chinesischen Präsidenten Xi habe er um Wahlunterstützung gebeten. Er bat um höhere chinesische Importe bei Sojabohnen und Weizen, um die Farmer des Mittleren Westens als Wähler zu gewinnen.

Anfang Februar 2023 verschiebt Außenminister Blinken seine Peking-Reise. China hatte mit einem mysteriösen Spionage-Ballon im amerikanischen Luftraum provoziert. Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen den beiden Ländern werden durch die neuen Verstimmungen belastet.

Am Rande der Apec-Konferenz 2023 in San Francisco treffen sich Biden und Xi. Das Gespräch findet am 15.11.23 auf dem Landsitz Filoli in der Nähe von San Francisco statt. Es dauert mehrere Stunden ("der Wettbewerb darf nicht in einen Konflikt ausarten", die beiden Mächte dürfen sich nicht "den Rücken zukehren", Biden). China blickt aber auf die Präsidentschaftswahl 2024, die alles wieder verändern kann.  Beim Kampf gegen Drogen vereinbaren sie eine Zusammenarbeit. Die direkte Kommunikation der Streitkräfte wird wieder aufgenommen.

15. Industriepolitik der USA: Unter Biden richtet sie sich endgültig gegen China. Das Technologiedefizit Chinas soll möglich groß und möglichst lange bleiben. Im Zentrum steht die Chip-Industrie (China selbst setzt dabei auf die Shenzhen - Region). Dadurch kann ein Abschied vom Abstieg eingeleitet werden. Die protektionistische Politik führt wieder zu mehr Direktinvestitionen ausländischer Firmen in den USA. Auch deutsche Unternehmen planen wieder mehr Investitionen (Evonik, Siemens). Darunter sind auch viele Zulieferer, die bisher nur ihren Vertrieb in den USA hatten. Die Europäer sorgen sich inzwischen, dass ihre Unternehmen abwandern. Die Energiepreise in den USA sind wesentlich günstiger. Die neue Strategie Chinas und die Aggression gegenüber Taiwan lässt viele Unternehmen in Asien zurückhaltender sein.

Exkurs. Bidenomics: US-Klimaschutzprogramm und Investitionsprogramm (Inflation Reduction Act, IRA): Das Programm kommt 2022. Es umfasst 369 Mrd. $. Gefördert wird insbesondere die Energiewende in den USA. Ausländische Unternehmen werden schlechter gestellt. Gefördert werden nur Unternehmen, die die ganze Lieferkette in den USA haben. Die EU fühlt sich durch den Protektionismus benachteiligt. Sie richtet die Industrie-Plattform CleanTechEurope ein, bei der sich Unternehmen beschweren können. Ökonomen haben geteilte Meinungen: Ausgereifte Technologien müssten nicht subventioniert werden. Die EU-Kommission plant trotzdem ein Gegenprogramm. Die 20 größten angekündigten Investments sind: Texas Instruments, Sherman/ Texas: 30 Mrd. $; TSMC, Phoenix / Arizona: 28 Mrd. $; Intel, Chandler/ Arizona: 20; Intel, Licking County/ Ohio: 20; Micron, Clay/ New York: 20: IBM, Hudson Valley/ New York : 20; Samsung, Taylor/ Texas: 17; Micron, Boise/ Idaho: 15; Texas Instruments, Lahi/ Utah: 11; Iberdrola, Massachusetts: 10; Georgia Power, Georgia 7; HiF global, Matagonda County/ Texas: 6; Toyota, Liberty/ North Carolina 5,9; Ford, SK Innovation, Glendale/ Kentucky: 5,8; Ford, SK Innovation, Stanton/ Tennessee: 5,6; LG Energy, Queen Creek/ Arizona: 5,5; Wolfspeed, Pittsboro, North Carolina: 5; Rivian, Madison/ Georgia: 5: Hyundai, SK Innovation, Barlow County/ Georgia: 5; Port of long Beach, Kalifornien: 4,7. Die Förderung hat nach Bereichen folgende Rangfolge: Energie 173; Verarbeitendes Gewerbe 37;  Grüne Finanzierung 45; Industrie 22; Gebäude 51; Verkehr 7. Quelle: WiWo 27/ 30.6.23, S. 16ff. Die billionenschweren Subventionen lösen einen Industrieboom aus. Biden will das Land wieder zum führenden Produktionsstandort der Welt machen. Dahinter stecken das Misstrauen gegen China - und die Sorge vor einer Rückkehr von Donald Trump. Die US-Wirtschaft wächst (+1,5% 23 zum Vorjahr), die Inflation sinkt (Prognose 2024 +2,8%), Menschen (Konsum) und Unternehmen (Investitionen) geben viel Geld aus. Doch die Stimmung ist mies. Die Wirtschaft wächst - an der Realität vieler Amerikaner vorbei. Einige Ökonomen befürchten sogar eine Rezession im Wahljahr. Weitere Prognosedaten für 24: ALQ 3,8%; Neuverschuldung +5,8%. Inflation unter 3%, Wachstum 4,7%. Was dem entgegensteht sind noch die hohen Zinsen (die Fed wird wohl 24 senken laut Ankündigung). Sie verhindern, dass viele Normalverdiener die guten Aussichten nicht nutzen können, weil sie kein Haus finanzieren können. Die vergangenen Wahlen sind für die Demokraten gut ausgegangen. Die schlechte Stimmung wird auch von der Presse gefördert. Trump hat andere Vorstellungen von Wirtschaft. Diesmal ist er besser vorbereitet. Er will eher eine willenlose Notenbank, mehr Handelsstreit mit China, Zölle auf Importe aus Europa. Vgl. Bartz, T. u. a.: Der Wirtschaftskrieger, in: Der Spiegel 7/ 10.2.24, S. 50ff. Biden ist der 46. US-Präsident. Er hat eine Beziehung zu dem 16. amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln, der zwischen 1861 und 1865 amtierte und einer der bedeutendsten war. Lincoln proklamierte 1862 die Sklavenbefreiung. Der Urgroßvater von Biden wurde nach eine Rauferei zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. 1864 begnadigte ihn Lincoln.

Exkurs. Position der Gewerkschaften in den USA: In den USA erstarken die Gewerkschaften. Biden braucht ihre Unterstützung, um im nächsten Jahr eine Chance bei der Wahl zu haben. Die Gewerkschaften sind in vielen Branchen wichtig für die Umstrukturierung. etwa in der Automobilindustrie für die E-Autos. Aufgrund der Arbeitsmarktsituation können sie auch höhere löhne durchsetzen. Jetzt nehmen sie auch die Werke deutscher Autobauer in den Südstaaten ins Visier.  Vgl. Buchter, Heike/ Hägler, Max: Ein Versteck vor den Genossen, in: Die Zeit 53/ 2023, 14. 12.23, S. 24.

16. Ungerechte Verteilung und Eliten (vgl. auch den Anfang 0.): Die USA sind eine der ungleichsten Gesellschaften der Welt. Die reichsten 10% der Amerikaner haben 2020  90% des Aktienkapitals. 75% der US-Amerikaner besitzen überhaupt keine Aktien. Das System ist irgendwie krank. Auch deshalb gehen die Menschen 2020 auf die Straße, die Rassendiskriminierung ist nur der Auslöser. Die wirtschaftliche Diskriminierung  von Afroamerikanern hat eine lange Tradition in den USA. Viele Mitglieder der Regierung Trump haben große Vorteile. Dazu gehört auch der Finanzminister Steven Mnuchin. Er hatte Trump schon sehr früh unterstützt. Die Wall Street dient den Interessen der Reichen in den USA.  Durch das US-Präsidentenwahlsystem haben auch nur Mitglieder aus der Elite eine Chance. So gehören auch alle Kandidaten immer zur Elite (sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern). Alle großen Weltmächte (USA, China, Russland) rekrutieren insofern ihre Führung aus einer Elite. Es gibt viele Orte in den USA, in denen sich das gleiche Bild zeigt. Exemplarisch sei Montecito erwähnt. Es ist ein Anhängsel von Santa Barbara. Der Ort wurde sehr bekannt, seit Harry und Meghan dort wohnen. Unter den 9000 Einwohnern sind 86% weiß. Es gibt ausschließlich Millionäre. Viele bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler leben hier.

Biden versucht dem entgegenzuwirken mit seiner "trickle-up-economy". Es soll bevorzugt jener Teil der Bevölkerung Geld in die Hand bekommen, die es nicht nur zur Seite legt wie wohlhabende Haushalte, sondern gleich ausgibt und die Wirtschaft wieder antreibt.

17. Boomzentren in den USA: Es sind nicht mehr Kalifornien und New York (2022). In  Tennessee wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 11,4% (vor allem Nashvill, Davidson). Auch in Florida wuchs die Wirtschaft um 12,9%. einzelne Zentren in Texas legten stark zu: Austin, Dallas. In Arizona steigt die Wirtschaft um 12,2%.

Das IRA ist ein riesiges Klima- und Konjunkturpaket. Vgl. HB 30/ 12.2.24, S. 10f.

18. Fazit: Auf jeden Fall weckt Trump Amerikas Lebensgeister. Insofern gibt es sicher einen positiven Trump - Effekt. Er wird die USA verändern. Die Welt wird vielleicht noch unsicherer; seine Amtszeit könnte zur Achterbahn werden. Der entscheidende Punkt wird sein, ob er das Auseinanderdriften der US-Gesellschaft stoppen kann. Die USA sind zerrissen. Wenn nicht, hat die Masse eine Politik gewählt, die ihr am Ende schadet. Viele neue Jobs (2 Mio.), niedrige Arbeitslosigkeit, steigende Löhne. Obama hinterlässt seinem Nachfolger eine robuste Wirtschaft. Das Risiko der Inflation steigt. Interessant ist die Frage, wie sich der Charakter von Trump (Narzisst; Anhänger des Freund-Feind-Denkens, Krieger, Rassist; "machtbesessener" Familienunternehmer, unkonventionell, ruppig) mit der Rolle als Präsident vereinbaren lässt. Die Republikaner, eine "national-anarchistische Partei mit religiöser Schlagseite" (Die Zeit, Nr. 4, 19.01.17, S. 38) dürften nicht viel stabilisieren. In seiner Antrittsrede am 20.01.17 kündigt Trump eine Zeitenwende an und sagt dem politischen Establishment in Washington den Kampf an. Es ist das erklärte Ziel von Trump, auf ganz neue Art und Weise Politik zu machen. Wenn er auf einzelnen Feldern sein Ziel nicht erreicht, sucht er einen Sündenbock (Presse, Gerichte). Viele weitere Vorschläge und Ankündigungen von Trump im Wahlkampf würden wahrscheinlich auch andere Länder beeinflussen, auch Deutschland:  Aufbau engerer Beziehungen zu Russland. In der amerikanischen Außenpolitik sollen die Werte nicht mehr so im Mittelpunkt stehen (andererseits ist von einer weltweiten Kulturrevolution die Rede). Nach einem Giftgasangriff in Syrien macht Trump eine Kehrtwende und übernimmt wieder eher die Rolle des Weltpolizisten (Marschflugkörper auf syrische Luftbasis im April 2017).  Die zentrale These seiner Präsidentschaft scheint zu sein, dass das böse Ausland die USA abzockt.  Trump selbst zieht Ende April 2017 eine äußerst positive Bilanz seiner Arbeit der ersten 100 Tage. Die Wirtschafts-Politik von Trump in den USA ab 2017 wird von vielen Experten inzwischen eher positiv für die EU gesehen (ZEW/ Mannheim-Umfrage 2017). Unter Trump verlieren die USA ihre ökonomische Vormachtstellung immer mehr: Der Dollar wird zur Risikowährung. Die Staatsverschuldung steigt weiter (2017: 108,3% des BIP, +0,9%). Der US-Anteil am Welt-BIP sinkt weiter (2016 nur noch 25%). Die US-Wirtschaft wächst aber relativ stark (dritte Quartal 2017 3,2%). Die Republikaner lassen ihren Präsidenten immer öfter auflaufen. Es entsteht der Eindruck einer Demontage. Mit entscheidend dürfte der Gesundheitszustand des Präsidenten sein (Demenz?). Die Steuerreform in den USA Ende 2017 und die Lockerung viele Regel für Unternehmen löst einen Boom in der Wirtschaft aus. Die Politik findet Nachahmer, z. B. in China. Tatsächlich profitieren auch Niedrigverdiener. Ein Shutdown (Haushaltsperre im Senat) blockiert im Januar 2018 eine Zeitlang die Politik bis man sich auf einen Kompromiss einigt (nicht nur Demokraten stimmen gegen Trump). Am 3001.2018 hält Trump die erste Rede zur Lage der Nation. Ca. 50 Prozent der US-Bürger schätzen die Rede positiv ein. Der Mix aus sinkenden Steuern, Deregulierung und Importzöllen beschert den USA in der zweiten Hälfte 2018 einen wirtschaftlichen Höhenflug. Dies könnte aber eine gefährliche Scheinblüte sein. Letztendlich entscheidet aber die Wirtschaft über das Schicksal von Trump. Politisch droht ein Stillstand, weil das Abgeordnetenhaus in der Hand der Demokraten ist. Erstes Anzeichen ist der längste Shutdown der US-Geschichte (entsteht, weil Trump unbedingt einen Mauer zu Mexiko bauen will).  "America first" - "Make America Great Again" - "Buy American" Mottos aus dem Wahlkampf von D. Trump. Die Netz-Subkultur überträgt einen Slogan auf Martin Schulz (Tschu-Tschu) von der SPD: MEGA - "Make Europe great again".  "Fairness first"; Antwort von Lawrence Summers auf das berühmte Motto von Trump. Summers, Harvard,  war Chefökonom der Weltbank und US-Finanzminister unter Bill Clinton.

"Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten - dann ginge die Lüge in die Geschichte ein und würde Wahrheit", George Orwell, Roman "1984". Nachrichten werden in der Regel über die sozialen Medien verbreitet: Twitter - Adresse  @realDonaldTrump. Mittlerweile hat Trump bei Twitter 45,3 Mio. Follower (2017). Damit liegt er im Ranking auf Platz 20. Er postet durchschnittlich 4 Tweets pro Tag. Das ist völlig neu in der Welt der Politik.

Seit 1953 untersucht das US-Meinungsforschungsinstitut Gallup, wie zufrieden die Bürger mit dem neuen Präsidenten sind. Drei Tage nach Trumps Amtsantritt waren nur 45 Prozent der Befragten mit seiner Arbeit zufrieden (niedrigster Wert aller gemessenen US-Präsidenten).

Die 100 Tage-Bilanz Ende April 2017 fällt mau aus. Trump hat so gut wie nichts erreicht und bisher nur Dekrete erlassen. Der amerikanische Professor A. Lichtman prognostiziert ein "Impeachment", weil Trump zwanghaft davon besessen sei, von eigener Schuld abzulenken und unfähig sei, das Amt auszuüben. Zu Fall bringen könnte ihn die Russland-Affäre. Sie hat mittlerweile seinen Familien-Clan (Jared Kushner) erreicht. Sonderermittler Robert Mueller, ein Ex-FBI-Chef, scheint Ernst zu machen. James Comey, den Trump abgesetzt hatte, belastet Trump schwer vor dem Senatsausschuss. Comey schreibt später ein Buch über Trump. Er spricht ihm die Eignung als Staatschef ab. Nachfolger von Trump würde Vizepräsident Mike Pence, ein evangelikaler, reaktionärer Fundamentalist. Im Juni 2017 verklagen der Bundesstaat Maryland und der Hauptstadtbezirk District of Columbia den Präsidenten wegen Verfassungsbruchs. Es geht um die Vermischung von Amt und Geschäft (Trump - Tower als Hotel). Dann wird gegen Trump in der Russland-Affäre direkt ermittelt. Es geht um "unzulässigen Einfluss auf die Justiz". Trump twittert: "Größte Hexenjagd der amerikanischen Geschichte". Im Juli 2017 wird der erste Antrag auf Amtsenthebung des Präsidenten im Kongress gestellt (wegen der Russland-Kontakte seines Sohnes). Eine russische Anwältin sagt, der Trump-Sohn hätte einen Deal vorgeschlagen: komromittierende Informationen über Hillary Clinton gegen eine russlandfreundliche Politik im Falle eines Wahlsieges. Flynn gibt gegenüber Sonderermittler Mueller zu, dass er die Russlandkontakte im Auftrag des Trump-Teams gepflegt hat und dass er das FBI belogen hat. Der US-Sonderermittler weist den Einfluss von Cyber-Experten aus Russland auf den Wahlkampf nach. Im April 2018 gibt es eine Razzia bei Trumps Anwalt. Es geht um eine Zahlung an eine Pornodarstellerin. Im August 2018 protestieren US-Zeitungen gegen die Beschimpfungen durch Trump. Es gibt abgestimmte Leitartikel in 300 Zeitungen. Der frühere Wahlkampfmanager von D. Trump Paul Manafort wird 2018 in einem Prozess wegen Steuerhinterziehung und Bankbetrugs in acht von 18 Anklagepunkten schuldig gesprochen. Der Ex-Anwalt Michael Cohen versichert im August 2018 in Manhattan an Eides statt, Schweigegeld an zwei Frauen  gezahlt zu haben (illegale Wahlkampfhilfe? Trump bezeichnet Cohen als Lügner). Im September 2018 druckt die New York Times einen anonymen Text: Es geht um Widerstand im Weißen Haus gegen Trump. Ein Kreis von Mitarbeitern mühe sich, die Amoralität des Präsidenten im Rahmen zu halten. Im September 2018 veröffentlicht Bob Woodward sein Buch über Trump: Fear. Es kommt im Oktober auch auf Deutsch.

Midterms/ Kongresswahlen in den USA am 06.11.2018: Sie gelten als "Zwischenzeugnis" für Trump bzw. als ein Referendum über Trump. Im Repräsentantenhaus verlieren die Republikaner die Mehrheit (viele junge Frauen mit Migrationshintergrund werden für die Demokraten gewählt). Das kann das Regieren für Trump erschweren (Gesetzesvorhaben blockieren; Ermittlungsverfahren und öffentliche Anhörungen einleiten; Herausgabe interner Unterlagen; Amtsenthebungsverfahren). Im Senat bauen die Republikaner ihre Mehrheit leicht aus. An der Westküste und im Nordosten der USA sowie bei Minderheiten (Latinos, Schwarze, Jungwähler) dominieren die Demokraten. In den mittleren Staaten, wo viele Verlierer der Globalisierung wohnen, siegen meist die Republikaner. Frauen entscheiden die Wahlen nicht endgültig zuungunsten von Trump, weil viele noch sexistisch sind und an der alten Rollenverteilung festhalten wollen (vor allem aber Frauen in den Vororten der Städte haben demokratisch gewählt). Trump hat die Sprache in der politischen Kultur vollkommen verändert - was auch der Wahlkampf zeigt - und die USA immer mehr gespalten. Einen Tag nach der Wahl wird Justizminister Jeff Sessions abgelöst. Nachfolger könnte Whitaker (Stabschef) werden, der die Russland-Ermittlungen stoppen soll. Durch die Ermittlungen wird Trump immer mehr in die Enge getrieben. Es wird dann William Blarr, der schon mal Justizminister war. Ende 2018 (wirksam Ende Februar 2019) tritt Verteidigungsminister James Mattis zurück. Auslöser sind der Rückzug der US-Truppen aus Syrien und Afghanistan. Im Februar 2019 wird der Terminkalender des Präsidenten auf der US-Internetseite Axios veröffentlicht. Dabei zeigt sich, dass 60% der Arbeitszeit unstrukturiert sind (wenige offizielle Termine, viel Golf, viel Müßiggang). Trotzdem könnte er wieder die nächste Wahl gewinnen: "It`s the culture, stupid! So lautet die Kernbotschaft Trumps. Sie zielt gar nicht auf die Mehrheit, sondern auf eine weiße Minderheit", Claus Leggewie, Politikwissenschaftler, Uni Gießen, Quelle: Handelsblatt, Wochenende 17./18./19. Mai 2019, S. 64.

19. Die USA in und nach der Präsidentenwahl 2020: In der Wahlnacht am 03. auf den 04. November kommt es zu einem Kopf an Kopf-Rennen zwischen Biden und Trump. Das ist schon mal anders als die Wahlprognosen vorausgesagt haben. Entscheidend könnten die Briefwahlstimmen sein (bis zu 100 Mio.). Das Schreckensszenario tritt ein: Trump erklärt sich zum Sieger und will das Auszählen der Stimmen stoppen lassen. Dabei soll ihm der Supreme Court helfen. Egal, wer die Wahl gewinnt: Grundsätzliche Fragen bedürfen der Klärung: Wie geht es in der Nato weiter? Wie geht man mit der Herausforderung "China" um? Kippt Obamacare?  Verlassen die USA wirklich das Klimaschutzabkommen? Am 05.11. deutet vieles auf einen Sieg von Biden hin. Aufgrund der Briefwahlstimmen holt er wichtige Swing States oder holt in diesen Staaten auf. Die Auszählung der Stimmen kann noch Tage dauern. Die Anwälte von Trump bereiten Klagen gegen die Stimmauszählungen in mehreren Bundesstaaten vor. Die Polizei muss teilweise gegen Demonstranten beider Lager vorgehen. Selbst wenn Biden die Wahl am Ende gewinnt, worauf vieles hindeutet, bleiben die USA tief gespalten. Der Trumpismus wird bleiben. Die amerikanische Rechte hat sich dauerhaft verändert. Trump hat auch viele Stimmen dort geholt, wo es nicht vermutet worden war (32% der Latinos, 31% der Asian-American, 12% der afroamerikanischen Wähler, 57% der Weißen, 49% der Männer). Insgesamt hat er 79 Mio. Stimmen bekommen. Am 7.11.20 ist klar, dass Biden die Wahl gewonnen hat (schon 306 Wahlmänner; gewinnt auch konservative Staaten wie Arizona und Georgia). Ballina (10.000 Einw.) an der Westküste Irlands feiert: Der Ur-Ur-Ur-Großvater verließ den Ort in der Grafschaft Mayo 1851 in Richtung New York.

Ein langer Streit über den Ausgang der Wahl hätte negative wirtschaftliche Folgen. Die Börsen reagieren schon mit Kurseinbrüchen. Das könnte Gift für eine konjunkturelle Erholung der USA sein. Die Wirtschaft will lieber klare Verhältnisse. Die in den vorherigen Abschnitten behandelten Probleme müsste der neue Präsident angehen: 1. Der Einbruch der Wirtschaft durch Corona (Rezession aufhalten). 2. Das Gesundheitssystem weiter reformieren. 3. Erneuerung der Infrastruktur. 4. Änderung der Zollpolitik wegen nicht ereichter Ziele (Verhältnis zu China klären!). 5. Klimawandel anerkennen und berücksichtigen. 6. Verteilungsproblem und Chancengerechtigkeit. Vgl. Heissler, Julian: Und jetzt, Amerika? in: WiWo 46, 6.11.20, S. 34ff. Vgl. auch die erste Präsidentenrede von Biden am 070.11.20 in Wilmington/ Delaware (Heimatstadt von Biden). Biden will die düstere Ära beenden (Dämonisierung politischer Gegner) und das gespaltene Land einen. Auch drei Tage nach Wahl-Ende behauptet Trump noch, die Wahl gewonnen zu haben. Man rätselt über sein Motiv (Amnestie?). Es gab schon einmal ähnliche Probleme beim Übergang von Hoover zu Roosevelt. Der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, stützt ihn (allerdings nicht bei den militärischen Entscheidungen). Die Partei scheint die Stimmen der Trump - Wähler für Entscheidungswahlen zum Senat noch zu brauchen (in Georgia, 04. 01.21, Republikaner brauchen noch einen Sitz). Eine Recherche der New York Times bei Wahlleitern in allen 50 Bundesstaaten unterstrich die Einschätzung, dass eine keine groß angelegte Wahlfälschung gegeben hat. Bis Mitte November 2020 haben die Demokraten 5,21 Mio. Stimmen mehr als die Republikaner. Neuer Stabschef im Weißen Haus (Chief of Staff) und damit rechte Hand von Biden soll Ron Klain werden. Er hat Bidens Vertrauen und viel Erfahrung (er ist Jude, seine Frau Christin). Als Außenminister ist Antony Blinken vorgesehen (Europakenner, Befürworter des Iran-Abkommens und des Multilateralismus). Der frühere Außenminister John Kerry soll Klima-Beauftragter werden. Jake Sullivan wird neuer Nationaler Sicherheitsberater. Für den Botschafterposten bei den Vereinten Nationen nominierte Biden Lina Thomas-Greenfield. Die Haushaltsbehörde soll von Neera Tanden geleitet werden (frühere Beraterin von Obama). Den wichtigen Finanzministerposten soll Janet Yellen bekommen (vormals Professorin und Chefin der Fed). Verteidigungsminister wird der erste Schwarze in diesem Amt Lloyd Austin (Ex-General). Er wird als erster der Minister vereidigt (mit Sondergenehmigung durch den Kongress). Alejandro Mayorkas wird der erste Latino als Heimatschutzminister. Deb Haaland (indigen) wird Innenministerin. Als Arbeitsminister ist Bernie Sanders im Gespräch. Es soll dann aber Marry Walsh werden (Bürgermeisterin von Boston). Die bisherige Gouverneurin von Rhode Island Gina Raimondo soll Wirtschaftsministerin werden. Ex-Diplomat William Burns soll neuer CIA-Chef werden (vormals Leiter der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden). Tom Villsack ist als Landwirtschaftsminister vorgesehen /schon unter Obama). Justizminister soll Merrick Garland werden (Richter), Für das Gesundheitsministerium ist Xavier Becerra eingeplant (Generalstaatsanwalt in Kalifornien). Biden will ein riesiges Klima-Team einrichten (Energieministerin Jennifer Granholm, Infrastrukturbehörde Pete Buttigieg, Umweltschutzminister Michael Regan, Deb Haaland Umweltschutz in Nationalparks). Handelsbeauftragte wird Katherine Tai. Ihre Eltern waren in China geboren, sind dann aus Taiwan in die USA eingewandert. Sie soll die neue "Chinaflüsterin" sein. Deb Haalands soll Innenministerin werden. Sie wird von Rechten als "neosozialistische Irre" verungimpflicht. Als Ministerin ist sie auch für die Nationalparks zuständig und soll das Suchen nach Bodenschätzen dort beenden.  "America back", Joe Biden (steht für die Rückkehr zur traditionellen Außenpolitik).

Biden will mit dem "America First" brechen. Aber eine Revolution kann er nicht einleiten. Die Republikaner sind eine extremistische Partei geworden und im Senat zu stark. Die Mehrheitsentscheidung fällt Anfang Januar in Georgia. Außerdem ist die US-Verschuldungsquote auf 131%  gestiegen bei Rückgang des BIP um -4,3% 2020 (Schätzung). Der US-Kongress stoppt aber den Truppenabzug aus Deutschland. Hier scheinen sich die beiden Parteien noch einig zu sein. Am 15.12.20 wird Bidens Sieg amtlich (durch die Wahlmänner). Justizminister Barr tritt zurück, weil er nichts gegen die Wahl machen kann.  Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, wird auf jeden Fall sehr wichtig bleiben. Er sammelt viele Spenden ein (Pharma, Finanzindustrie, Milliardäre). Am 20.12.20 einigen sich Demokraten und Republikaner in den USA auf ein weiteres Konjunkturpaket:  900 Mrd. Dollar. Es soll unter anderem Hilfen für Arbeitslose geben.  Trump, der amtierende  Präsident, lehnt das US-Corona-Hilfspaket ab und blockiert so wichtige Zahlungen. Schließlich  gibt er Ende 2020 seinen Widerstand auf. Beim Veto gegen den Verteidigungshaushalt wird Trump mithilfe von seinen Republikanern überstimmt.  Die 80-jährige Nancy Pelosi wird wieder zur Vorsitzenden des Repräsentantenhauses gewählt. In Georgia drängt Trump weiter auf eine nochmalige Überprüfung des Wahlergebnisses. Es geht um die Entscheidungswahl für den Senat am 05.01.21. In der zeichnet sich ein Dreifach-Triumph der Republikaner ab. Bleibt es dabei, könnte Biden in beiden Kammern des Kongresses durchregieren. Die Republikaner müssen den Zusammenhalt wahren, damit sich der rechte Flügel nicht abspaltet (Spaltung zwischen .rechten Trump-Anhängern und Gemäßigten; Keil in der Grand Old Party). Rechte und Milizen, alle Trump-Anhänger,  stürmen am 06.01.21 das Kapitol (fünf Tote). Eine Schande für die Demokratie und ein verheerendes Zeichen in die Welt. Daraufhin sichert Trump eine geordnete Amtsübergabe an Joe Biden zu. Die Betrugsbehauptungen nimmt er aber nicht zurück. Die Demokraten leiten ab 11.01.2021 ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump ein. Am 20.01.21 wird Biden vereidigt. Wegen Corona sind keine  Zuschauer da, sondern 200.000 US-Fahnen.  Ende 2020 veröffentlicht Barack Obama das Buch "Ein verheißenes Land", 1024 Seiten. Es werden viele Interviews mit ihm in deutschen Zeitungen veröffentlicht. Bedeutendes sagt er nicht; es handelt sich wohl um Werbung für sein Buch. Es enthält Erinnerungen an ein verblichenes Zeitalter (Blick in die Vergangenheit).

Exkurs: Trump und Twitter bzw. andere Medien und sein Verhalten nach der Abwahl: Twitter ist eine mächtige Waffe von Trump mit großer Deutungsmacht, auch nach seiner Abwahl. Ihm folgen 89 Mio. Personen. Er kann seine Weltsicht mit unfassbarer Vehemenz verbreiten. Das bleibt im Gehirn vieler - meist einfacher - Menschen hängen. Trump arbeitet dabei auch mit Tricks. Er twitterte zum Beispiel am 30.10.20  "#BidenCrimeFamiily". Der Rechtschreibfehler war absichtlich, so dass das Kontrollsystem von Twitter nicht greifen konnte. Direkt in der Wahlprozedur gab es zwar immer wieder Korrekturhinweise von Twitter (das sei falsch oder nicht belegt), die aber von den Trump - Anhängern nicht registriert werden. Der Nachrichtensender Fox News war quasi der Haussender von Trump. Dahinter steckte die Allianz mit Eigentümer Murdock. Der Sender betrieb Propaganda für Trump. Allerdings verhielten sich die Reporter unterschiedlich (Sean Hannity Vertrauter von Trump; Chris Wallace eher sachlich, Tucker Carlson mit eigenen Ambitionen, Laura Ingraham auch kritisch). Vgl. Buchter, Heike: Unter Lautsprechern, in: Die Zeit Nr. 47, 12.11.20, S. 30. Man sagt Trump nach, dass er jetzt selbst ein Medienimperium aufbauen will. Jedenfalls scheint klar zu sein, dass Trump ohne ihm gewogene Fernsehmacher (Fox) und ohne soziale Medien (Twitter) niemals so weit gekommen wäre. Der Journalismus muss Wahrheitsorientierung und Desinformation nach Trump stärker im Auge behalten. Nach dem Sturm auf das Kapitol von Trump-Anhängern am 06.01.21 sperren Facebook und Twitter Trump vorübergehend. Twitter sperrt schließlich das Konto dauerhaft. Einen kaum messbaren Einfluss auf die Politik hat Rupert Murdoch. Er beherrscht zentrale Medien in Australien, Großbritannien (GB) und den USA. So konnte er in GB den Brexit massiv herbeiführen. In den USA wäre ohne VOX-News der Aufstieg von Trump niemals möglich gewesen.

In der Zeit nach der Wahl schon 2021 zeigt sich Trump ganz als der alte: Er tritt auf der politischen Bühne - meist in Florida - auf mit den gleichen Zerrbildern: 1. Warnung vor sozialistischen Verhältnissen. 2. Wehklagen übe reine angeblich gestohlene Wahl. 3. Hetze gegen Migranten (Notwenigkeit eines Mauerbaus zu Mexiko). 4. Die politische Klasse opfere die Interessen des Landes einer globalen Elite. Er bringt seine Partei in eine Sackgasse: Sie kann auf die rechten Wähler kaum verzichten. Anfang August 2022 durchsucht der FBI Trumps Anwesen in Florida (Mar-a-Lago). Regierungsdokumente soll er privat mitgenommen haben. Trump macht die Durchsuchung öffentlich und will sie für seine Anhänger nutzen. Beobachter spekulieren, dass Trump eine Kandidatur für die Präsidentschaft bald ankündigen könnte. Der Untersuchungsausschuss zur Kapitol-attacke ruft zu Ermittlungen gegen Ex-Präsident Trump auf. Er empfiehlt dem Justizministerium im Dezember 2022 ein Strafverfahren. Die Empfehlung ist nicht bindend. Das Justizministerium entscheidet.

20. Neustart in den USA: Nachdem Biden vom Kongress bestätigt ist, die Demokraten in beiden Häusern eine Mehrheit haben und Trump eine geordnete Übergabe am 20.01.21 zugesichert hat, blicken die USA nach vorne. Biden muss sicher das Land, das tief gespalten ist, befrieden (politisch und wirtschaftlich). Biden kann und muss neue Akzente setzen.  Einige US-Konzerne machen Druck auf die Republikaner, ihre Radikalisierung in den Griff zu kriegen. Sie drohen damit, Spendengelder zu entziehen. Bisher hat Biden schon ein vorläufiges Programm vorgelegt: 1. Corona-Hilfen und Bekämpfung der Pandemie. 2. Green Deal (wie in der EU und vielen andern Ländern). 3. Finanz- und Streuerpolitik (Anheben der Körperschaftssteuer und eine Vermögenssteuer). 4. Regulierug (was Trump gelockert hat, vor allem im Umweltbereich). 5. Handel. Einfluss Chinas zurückdrängen. Die prominenten Ökonomen, die Mitglieder der Demokraten sind oder Symphatisanten, haben sich immer mit Kritik am eigenen US-System zurückgehalten (Reich, Yellen, Romer, Summers, Krugman u. a.). Sie haben die sich schon lange abzeichnende Spaltung der US-Gesellschaft links liegen gelassen und sich lieber mit Missständen in der EU oder China beschäftigt. Vielleicht haben sie auf Karriere im System gehofft oder waren betriebsblind. Sie werden von Gegnern oft  geringschätzig als reine Apparatschiks bezeichnet. Jedenfalls sind sie Mitglieder einer Elite, die die Bindung zur normalen Bevölkerung verloren hat (das war ja mit ein Grund für den Wahlsieg von Trump). Deshalb muss man auf eine Novelle zurückgreifen, die allerdings mehr ein Sachbuch über das aktuelle Amerika ist. Es wird eindrucksvoll gezeigt, dass das große Versprechen von Glück und Wohlstand nicht mehr gilt. Auch Biden spielt in dem Buch eine Rolle. Wenn man das Buch gelesen hat, hält sich die Hoffnung auf eine Reform in den USA unter den Demokraten sehr in Grenzen. Vgl. George Packer: Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika, Frankfurt 2015 (Fischer, die US-Originalausgabe erschien schon 2013, trotzdem ist das Buch immer noch hochaktuell, weil die Ökonomen in ihrer Analyse doch eher versagt haben). Wenn man dieses Buch liest, kann man alle aktuellen Werke, etwa von deutschen US-Korrespondenten, vergessen.

Biden stellt am 15.01.21 ein gigantisches Hilfsprogramm gegen die Corona-Krise vor. 20 Mrd. € für Impfungen soll es geben. Jeder Arbeitslose soll noch mal 1400 $ erhalten. Auch kleineren Unternehmen soll geholfen werden. Direkt nach der Vereidigung soll der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen rückgängig gemacht werden.  Die Einreisebeschränkungen für Menschen aus muslimischen Staaten sollen auch aufgehoben werden. Insgesamt unterschreibt Biden sofort 17 Erlasse, Memoranden und Proklamationen.  "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt", John f. Kennedy bei seiner Einführung ins Amt vor 60 Jahren. Einer der meist zitierten Sätze. Passt er heute noch?

Biden geht massiv gegen die Seuche vor. Bis Ende April 2021 sollen 100 Mio. Amerikaner geimpft sein. Er setzt die Nationalgarde ein, um provisorische Impfzentren einzurichten. Der Kongress soll 1,9 Billionen $ bereitstellen. Es soll Direktzahlungen in Höhe von 1400 $ geben. Der Regierung nahe stehende Ökonomen halten das Paket für überdimensioniert. Sie befürchten eine Überhitzung der Wirtschaft und in der Folge eine Inflation (Larry Summers, Olivier Blanchard).

Am 20.12.20 einigen sich Demokraten und Republikaner in den USA auf ein weiteres Konjunkturpaket:  900 Mrd. Dollar ("American Rescue Plan"; insgesamt 1,9 Billionen $)). Es soll Hilfen für Arbeitslose geben. Ende März kommt ein gigantisches Infrastrukturpaket und Programm der Modernisierung ("American Jobs Plan"): 650 Mrd. € in klassische Infrastruktur (Ersetzen der maroden). Der Senat billigt mit einer überparteilichen Mehrheit das Infrastrukturpaket am 29.7.21. Es wurde auf 466 Mrd. € reduziert. 300 Mrd. $ gehen in die Energieeffizienz. Mit 180 Mrd. $ soll die KI gefördert werden. Finanziert werden soll das Programm mit Steuererhöhungen (Körperschaftssteuer von 21 auf 28%, Steueroasen einschränken, Reichensteuer).

In der republikanischen  Partei tobt ein Machtkampf. Er zeigt sich auch in dem Duell Trump gegen Mitch McConnell. Der ist Anführer der Republikaner im Senat. Er macht Trump für die Stürmung des Kapitols verantwortlich ("praktisch und moralisch verantwortlich"). Trump überzieht daraufhin McConnel mit heftigen Verbalattacken und legt seiner Partei die Absetzung nahe. Es könnte eine Spaltung der Partei kommen. Im Februar 2021 erleidet Trump eine schwere Niederlage vor den obersten US-Gericht. Er muss umfangreiche Finanzunterlagen der New Yorker Staatsanwaltschaft zur Verfügung stellen. Es geht auch um Steuer- und Versicherungsbetrug. Im Mittelpunkt scheinen Schweigegeldzahlungen zu stehen (Playmate, Pornostar).

Am 28.4.21 hält Biden seine erste große Rede vor dem Kongress, anlässlich der ersten 100 Tage seiner Regierungszeit. Er hat in den verschiedensten Programmen ein Volumen von 6 Billionen  $ eingesetzt. Die Mittel will er durch Steuererhöhungen gewinnen. Die Finanzierung wird zur Kernfrage. Der Präsident präsentiert sich als Mann der Mittelschicht, aber in ganz unterschiedlichen Rollen (Mahner, Cheerleader, Politikveteran, Revolutionär). Gleichzeitig bringt er den starken Staat zurück. Er sieht die Krise des Kapitalismus als Gefahr für die Demokratie in den USA. "America is on the move again", Biden in der Rede.

Biden den USA hat viele neue Vorstellungen über die Wirtschaft. Er versucht, seine eigne Philosophie zu entwickeln (Bidenomics): 1. Der Markt ist nicht unfehlbar, aber immer noch dominant. 2. Staat muss für Vollbeschäftigung sorgen, nicht mehr nur Wirtschaftsschwankungen ausgleichen. 3. Höhere Staatsausgaben und Verschuldung sind vertretbar (NMT). 4. Klimaschutz und Außenhandel sollen Jobs sichern ("New Deal"). 5. America first (gilt auch weiterhin). Dafür versucht man aber, andere Länder einzuspannen. 6. Vermögens- und Einkommensverteilung sind ungerecht (Korrektur über Steuerpolitik?).

Im Juli 2021 besucht Angela Merkel die USA. Sie trifft den Präsidenten und die Vizepräsidentin. Die deutsch-amerikanische Freundschaft und die gemeinsamen Werte werden betont. Merkel ist die erste Regierungschefin aus Europa die bei Biden zu Gast ist. Merkel bekommt die Ehrendoktorwürde der John-Hopkins-Universität.

Im September 2021 scheitert die Abwahl des Gouverneurs von Kalifornien. Gawin Newsom bleibt Regierungschef (60% der Stimmen). Kontrahent Larry Elder scheitert. Die Trump - Anhänger erleiden eine schwere Niederlage.

Anfang Oktober drohen Bidens Pläne zu scheitern: Einmal das Infrastrukturgesetz. Linke und rechte Demokraten können sich nicht einigen. Auch das Reformpaket für Soziales und Klimaschutz ist noch nicht durch (3,5 Billionen $). Biden geht auf Reform-Werbetour. Bei der Schuldenobergrenze erreicht er einen Kompromiss (+480 Mrd. $). Schließlich streicht Biden sein geplantes Paket für Investitionen in Soziales und Klimaschutz stark zusammen. Anfang November 2021 erleiden Bidens Demokraten eine schwere Niederlage bei der Gouverneurswahl in Virginia. Das ist eine Alarmzeichen für die Demokraten vor den Kongresswahlen 2022. Biden muss endlich liefern. Nach monatelangem Ringen bekommt Biden sein Infrastrukturprogramm durch (550 Mrd. US$). Sein Sozial- und Klimaschutzprogramm dürfte auf noch größeren Widerstand stoßen.

Am 19. November 2021 geht das billionenschwere Paket (zusammengestrichen von 3,5 Billionen auf ca. 1,7 Billionen $) für Investitionen in Klimaschutz (und auch Soziales) dann doch durch den Kongress. Biden erringt einen Sieg.

Trotzdem gibt es unter den Demokraten eine Diskussion. Es wachsen die Zweifel, ob Präsident Biden einer zweiten Amtszeit gewachsen ist (ein Symbol wird seine Rede zur Ukraine-Krise, in der er eine "kleine Invasion" für möglich hält; er hat Aussetzer). Er ist auch schon öfter gefallen (man lässt Gleichgewichtstraining machen). Doch es fehlt eine überzeugende Alternative. Vizepräsidentin Kamela Harris findet ihre Rolle nicht. Die Zustimmungswerte für Biden sinken. Das ist erstaunlich. Die US-Wirtschaft wächst und es werden neue Jobs geschaffen. Doch die Pandemie drückt die Stimmung. Gefühlte Wahrheiten scheinen wichtiger zu sein als die Fakten. In Europa hat Biden alle seine Ziele erreicht: Deutschland rüstet auf (mindestens 2% am BIP), die Nato ist geschlossen, die EU muss Energie in den USA kaufen, insbesondere LPG. Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom bringt sich immer mehr als Nachfolger von Biden ins Gespräch. Vieles spricht dafür, dass Biden der beste Kandidat bleibt (aber seine körperliche und geistige Fitness wird Thema bleiben). Bei der Präsidentschaftswahl wäre er 82 Jahre, gegen Ende seiner zweiten Amtszeit 86. Er hat die Entscheidung (zusammen mit seiner Frau) in der Hand. Am 25.4.23 gibt Biden bekannt, dass er kandidieren will. Vizepräsidentin soll Harris bleiben. Es ist unwahrscheinlich, dass sich noch ein Gegenkandidat bei den Demokraten findet. Anfang Juni stürzt Biden wieder mal auf offener Bühne. Sofort setzen Diskussionen ein. Bidens Problem-Sohn Hunter gesteht im Juni 23 Steuervergehen und illegalen Waffenbesitz. Das könnte Biden zurückwerfen. Hunter, der mal alkohol- und drogensüchtig war, ist sein größtes Handicap. Im August 2023 wird vom Justizminister ein Sonderermittler eingesetzt. Die vorwürfe gegen Sohn Hunter sind wohl erfunden, stellt sich später raus. Das zweite sind Zweifel an Bidens Fitness. Im Urlaub am Strand von Rehoboth Beach in Delaware versucht er, gegen zuwirken (Familie, Fahrrad, Schwimmen). Die Republikaner streben ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden an. Ansatzpunkt sind die Verfehlungen von Sohn Hunter Biden (Korruption), der unter dem Schutz seines einflussreichen Vaters Geschäfte in der Ukraine und China gemacht haben soll. Biden hält gegen den Rat seiner Berater demonstrativ die Hand über seinen Sohn. In der Affäre um die illegal gelagerten Heimpapiere gibt es kein juristisches Nachspiel für Biden. Die Parallelität dürfte trotzdem dem Trump - Prozess den Wind aus den segeln nehmen.  Sätze im Gutachten von Robert Hur schaden Biden sehr. Sie treffen ihn an seiner empfindlichsten Stelle, seinem hohen Alter. Es werden Gedächtnisaussetzer dokumentiert.

Der Shut  down kann Anfang Oktober 23 wieder mal abgewendet werden. Der Mehrheitsführer der Republikaner und Vorsitzender des Repräsentantenhauses Mc Carthy gerät unter Druck. Die Republikaner haben nur eine kleine Mehrheit, weshalb extreme Abgeordnete eine große Macht haben. Man hat eine geheime Abmachung über die Ukraine getroffen. Mc Carthy wird von der Gruppe um Gaetz gestürzt. Es ist schwierig einen Nachfolger zu finden. Trump unterstützt Jim Jordan, der keine Mehrheit bekommt. Steve Scarlise erreicht die meisten Stimmen, hat aber noch nicht die erforderliche Mehrheit. Es wird dann McHenry.

Der Ukraine-Krieg und der Gaza-Krieg drohen die zerrissene USA zu überfordern. Das könnte auch Joe Biden politisch schaden. Biden versucht, die Netanjahu-Regierung zu mäßigen. Doch im linken Lager der Demokraten wächst das Unbehagen an der israelischen Militäraktion. Biden verliert immer mehr junge Wähler. Er wird unbeliebter. Schwarze und Latinos wenden sich ab. Das Wirtschaftswunder wird zu wenig gewürdigt. Man spricht auch von der Israelfalle. Der Nahostkonflikt hat die US-Demokraten in eine Sinnkrise gestürzt. Die US-Muslime sind verärgert über die Haltung im Gaza-Krieg. Der Swing - State Arizona könnte verloren gehen, weil sich die Probleme durch Migranten häufen. Biden gewinnt die US-Vorwahlen in South -Carolina haushoch. wobei die Wahlbeteiligung gering ist. Bei den US-Demokraten wächst die Sorge, Joe Biden könnte zu alt sein für eine zweite Amtszeit. Sie haben zahlreiche Talente (Michelle Obama, Hillary Clinton, Bernie Sanders, Gewin Newsom, Pete Buttigieg, Elizabeth Warren, Kamala Harris, Alexandria Ocasio-Cortez, J.B. Pritzker, Marianne Wiiliamson). Pritzker, dem die Hyatt-Hotelkette gehört, hätte das meiste Geld. Dann zeigt auch Robert f. Kennedy Junior Interesse. Er will als unabhängiger Kandidat antreten. Damit könnte er Donald Trump zum Sieg verhelfen. Bei der Vorwahl in Michigan erhält Biden einen Denkzettel. Mindestens 50.000 Wähler verweigerten ihm die Stimme. Hintergrund ist die Kritik an der Nahostpolitik. In der Region leben sehr viele Moslems. Am "Super Tuesday" (5.3.24) gewinnt Biden alle Staaten für sich. Bei seiner "State of the Union" - Ansprache am 7.3.24 zeigt sich US-Präsident Biden kraftvoll und kämpferisch wie lange nicht. Insgesamt 13 Mal attackiert er Trump. Die eigentliche Botschaft ist: Sein Alter ist kein Problem.

Exkurs. Der erfolgreichste US-Präsident: Es könnte Jimmy Carter sein. Niemand hat in seiner Amtszeit mehr Gesetzesvorhaben durchgebracht als er, nur wenige haben die Welt im Großen und Kleinen so nachhaltig verändert, und keiner war weitsichtiger als er. Er hat über den Klimawandel gesprochen, als kaum einer in Amerika davon gehört hatte, und über Gleichstellung und Rassismus, als an die "Black Live Matter "- Bewegung noch nicht zu denken war. Er brachte Schwarze, Hispanics und Frauen in führende Positionen, ein Energieministerium gegründet und Forschung unterstützt, um Amerika aus der Abhängigkeit von Öl zu befreien. Carter ließ Solarzellen auf dem Weißen Haus anbringen und hat große Teile Alaskas unter Naturschutz gestellt. In Camp David brachte er den Frieden zwischen Israel und Ägypten zustande, der bis heute gilt. Er machte das Abrüstungsabkommen Salt II mit der Sowjetunion und gab den Panama-Kanal zurück. Er weigerte sich, den Iran zu bombardieren. Vgl. Der Spiegel 14/2023, S. 44ff. Anfang Oktober 2023 feiert er im Kreise seiner Familie den 99. Geburtstag

21. Operation Comeback: Im Jahre 2022 erscheinen zwei neue Bücher auf Deutsch (2021 auf Englisch), die auf die Zerfallstendenzen in den USA eingehen. Sie zeichnen beide kein positives Bild, sondern eher das einer Krise mit ungewissem Ausgang: Woodward, Bob/ Costa, Robert: Gefahr, Berlin 2022 (Hanser). Marche, Stephan: Aufstand in Amerika, München 2022 (Droemer).

Vor den Kongresswahlen zeigt sich, dass Donald Trump offenbar wieder ins Weiße Haus einziehen will. Mit aller Macht drückt er Kandidaten durch, die ihn dabei unterstützen würden. Er hat auch einige Gegner (Murkowski, Kemp). Vgl. Nelles, Roland: Operation Comeback, in: Der Spiegel Nr. 17/ 23.4.22, S. 88f.

In Ohio gelingt es Trump, J. D. Vance zu platzieren. Das ist vor allem ein Triumph für Trump.  Vance gewinnt die Vorwahlen gegen Favoriten. Vance war ein erbitterter Gegner von Trump. Er hatte einen Bestseller über die Situation der USA geschrieben (Hillbilly Elegy: Geschichte einer Familie, erfolgreicher Jurastudent und Investor im Silicon Valley). Später trat er in das Lager von Trump über und arbeitet eng mit Thiel im Hintergrund zusammen.

In Gouverneur Ron DeSantis aus Florida bekommt Trump einen starken Konkurrenten. Er gilt als "Trump mit Gehirn". Er setzt seine Vision um - mit Kalkül, Propaganda und harter Hand. Vgl. Pitzke, Marc: Trump 2.0, in: Der Spiegel Nr. 31/ 30.7.22, S. 72ff. DeSantis hat wahrscheinlich die größten Chancen, Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden. Er ist nicht unbedingt ein Anhänger der Nato. Ein weiterer sehr wichtiger Mann der Republikaner ist Kevin McCarthy, der Fraktionsvorsitzende. Er könnte im November 22 nach den Wahlen Vorsitzender des Repräsentantenhauses werden, das dritthöchste Amt im Lande. Das wird er dann auch, aber mit großen Zugeständnissen an die radikalen Rechten. Weitere KandidatInnen sind: Kari Lake, Majorie Taylor Greene, Nikki Haley. Letztere kandidiert als erste offiziell nach Trump für die Republikaner. Ihre Werte sind allerdings noch nicht gut. Ron DeSantis will Florida zum Modell für seine ultrarechte Präsidentschaftskandidatur machen. Dazu lässt er im März 2023 ein monströses Gesetzespaket durchs Parlament peitschen. Abtreibungsverbot, Bücherbann, Waffen für alle. Es ist ein aggressiver Kulturkampf. DeSantis erläutert seine Position in dem Buch "Der Mut, frei zu sein". "DeSantis ist ein Überzeugungstäter, er glaubt wirklich an die reaktionäre Politik, die er macht", Markus Feldenkirchen, Der Spiegel 22/ 27.5.23, S. 19.

Bei der vom Justizminister angeordneten Durchsuchung des Trump-Anwesens in Mar-a- Lago in Florida findet der FBI 30 Kisten mit Papieren, die streng geheim sind. Die Papiere wurden nicht an das Nationalarchiv übergeben. Es sind 300 geheime Papiere. Sie betreffen CIA und NSA. Das FBI will die beschlagnahmten Dokumente auswerten. Trump will das mit Gerichten verhindern (neutrale Instanz!).  In New York wird Trump wegen Betrugs abgeklagt. Es ist eine Zivilklage. Es geht um die Finanzen. Im Streit um die Auswertung der im Anwesen des Ex-Präsidenten Trump beschlagnahmten Geheimdokumente erzielt das Justizministerium einen wichtigen Sieg.

Trumps härteste Widersacherin ist die Republikanerin Liz Cheney. Sie riskiert damit ihr politisches Mandat in Wyoming. Mit gerade 600.000 Einwohnern ist Wyoming nicht besonders wichtig, aber ganz weit rechts. Cheney hat gute Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss geleistet. Sie erwägt eine Präsidentschaftskandidatur.

Ende August 22 erleidet Trump einen schweren Rückschlag in Alaska. Die rechte Kandidatin Palin verliert gegen die Demokratin beim Sitz für den Kongress. Biden hält anfang September 2022 in Philadelphia die Rede "Kampf um die Seele der Nation". Darin warnt er vor dem Niedergang der amerikanischen Demokratie.

Im Oktober verletzt ein Attentäter den Ehemann der US-Demokratin Nancy Pelosi mit dem Hammer schwer. Vor den Kongresswahlen geht die Angst um vor politischer Gewalt. Pelosi gibt aus Altersgründen ihren Vorsitz im Repräsentantenhaus auf (auch weil die Demokraten die Mehrheit verlieren).

Der Supreme Court stoppt am 01.11.22 die Herausgabe der Steuerunterlagen von Trump. Das ist vorerst ein wichtiger Sieg von Trump. Doch dann erhält der Parlamentsausschuss die Steuerunterlagen von Trump. Das ist für ihn eine herbe Niederlage. Es geht so weiter: Die Steuerunterlagen müssen zum großen Teil veröffentlicht werden. Am 30.12.22 veröffentlicht der Kongress dei Steuerunterlagen von Trump. Es sind 6000 Seiten. Trump hat so gut wie keine Steuern bezahlt. Unklar ist noch, ob es Hinweise auf Zahlungen von russischen Oligarchen gibt. Steuervermeidung scheint klar zu sein; offen ist noch, was justiziabel ist.

Bei den Midterms bleibt der Siegeszug der Republikaner aus. Im Gegenteil: die größten Anhänger von Trump verlieren. Die Demokraten behalten überraschend die Mehrheit im Senat. Die Demokraten holen mindestens 50 Sitze von den 100 (mit Georgia bauen sie ihre Mehrheit knapp aus). Bei einer Patt-Situation gibt Vize-Präsidentin Harris den Ausschlag. Die Mehrheit im Repräsentantenhaus wird noch ausgezählt. Damit ist Trump angezählt, die Chancen von DeSantis steigen. Trotzdem kündigt Trump an, dass er wieder für die Präsidentschaft kandidieren will. Das Justizministerium setzt einen unabhängigen  Sonderermittler gegen ihn ein.  Im Repräsentantenhaus erringen die Republikaner knapp die Mehrheit. Sie sind aber gespalten. So bleibt offen, ob sie kooperieren werden. Kevin McCarthy fällt mehrmals bei der Wahl zum Vorsitzenden/ Sprecher durch. Zuletzt wird er sogar von Trump unterstützt. Das ist eine historische Wahlschlappe. Die Abtrünnigen, die sich unter dem Namen Freedom Caucus versammeln, unterstützen McCarthy nicht trotz maximaler Zugeständnisse (etwa 20 Leute). McCarthy ist schon seit 2014 Fraktionschef seiner Partei im Repräsentantenhaus. Im 15. Wahlgang wird er schließlich gewählt. Er macht große Zugeständnisse (verkauft sich quasi an die Rechten). Das ist der Vorbote für weit härtere Konflikte in der Zukunft. Die radikalen Abgeordneten bekommen wichtige Posten im US-Kongress (George Santos, andere in "Oversight Committee").

Heikel ist die Situation mit Blick auf den Staatshaushalt. In einigen Monaten steht im Kongress die Anhebung des Schuldenlimits an (debt ceiling). Für die Aufnahme neuer Schulden braucht Biden die Zustimmung beider Parlamentskammern. Dann könnte der finanzpolitische Supergau drohen (Kürzung der Militärausgaben?). Es kommt zu einer Einigung (Aussetzung der Schuldengrenze bis 2025, Geringe Haushaltskürzungen)

Im Januar 2023 findet man auch Geheimunterlagen und Staatspapiere im Privatanwesen von Biden in Delaware. Er hat die Sache selbst angezeigt. Obwohl die Menge gering ist, wird sofort ein unabhängiger Sonderermittler eingesetzt. Sofort vergleichen die Republikaner das mit dem ähnlich gelagerten Fall von Trump. Dann wird auch Bidens Strandhaus durchsucht. Hier werden keine geheimen Akten gefunden.

Ende Januar 2023 startet Trump seine eigene Kampagne in zwei Bundesstaaten: in New Hampshire und in South Carolina. Seit Wochen narrt der dreiste Hochstapler George Santos die amerikanische Öffentlichkeit. Er hat seinen ganzen Lebenslauf frei erfunden. Die hauchdünne Mehrheit der Republikaner im Kongress stützt ihn vor dem Rausschmiss. FBI und Börsenaufsicht nehmen seine Finanzen unter die Lupe. Trump selbst macht einen bizarren Wahlkampfauftakt in Texas. Er inszeniert ihn als bombastische Ego-Show. Um politische Ziele geht es kaum. Eher um Hetze gegen den amerikanischen Rechtsstaat. Trump präsentiert sich in Waco als der Erlöser in der "letzten Schlacht" 2024. Über Santos sagt er, "er fällt wie ein Stein". In New York wird im März 23 ein Strafverfahren gegen Trump eingeleitet. Es geht um die falsche Angabe zu Schweigegeld an eine Prostituierte (illegale Verbuchung). Allerdings ist die Anklageschrift unter Verschluss. Es gibt 34 Anklagepunkte. Zur Verlesung der Anklage muss Trump vor dem Gericht in New York erscheinen. Er weist alle Anklagepunkte zurück und lässt seine Anwälte das Verfahren verschleppen. Er nutzt es als Bühne und spricht von Hexenjagd. Im Mai 2023 wird Trump wegen einem sexuellen Übergriff verurteilt. Es geht um die Journalistin E. Jean Caroll, der fünf Mio. $ Schmerzensgeld zugesprochen werden.  Der Vorfall ereignete sich 1996. Auch wegen des Sturms auf das Kapitol dürfte es eine Anklage geben (Grand Jury). Es wäre die dritte Anklage (vorher noch Geheimdokumentenaffäre). Sonderermittler Jack Smith eröffnet tatsächlich die Anklage im August 23. Das könnte Trump kurzfristig sogar helfen. Aber mittelfristig besteht Anlass zur Hoffnung.

2023 schwimmt Trump in Geld. Die Anklagen der Justiz sind Werbung bei seinen Anhängern und machen ihn stärker. Die republikanischen Rivalen schwächeln. Die Kampagne von DeSantis stockt. Vgl. Wiwo 32/ 4.8.23, S. 32ff. Ein Gericht in Georgia hat strenge Bedingungen für die Freilassung des ehemaligen US-Präsidenten erlassen (es geht um eine Anklage wegen Wahlmanipulationen). Trump muss im Gefängnis erscheinen und sich ablichten lassen. Er muss eine Kaution von 200.000 $ zahlen. An einer Fernsehdiskussion der republikanischen Kandidaten am 24.8.23 nimmt Trump nicht teil. Mit über 40 Punkten Vorsprung führt er aber klar das Bewerberfeld an. Im September 2023 wird Trump in New York verurteilt: Er hat systematisch den Wert seiner Firmen und Immobilien aufgebläht, um günstige Kredite zu bekommen. Trump nennt das Urteil "lächerlich" und "unwahr".

Im September 2023 reist Außenministerin Baerbock in die USA. Es scheint ein diplomatischer Notfallplan zu sein für den Fall eines erneuten Wahlsieges von Trump. Zu Beginn trifft sie den stramm rechten Gouverneur von Texas Greg Abbot. Die Bezeichnung von Xi Jinping als Diktator durch Baerbock in einem Fox-Interview löst Empörung in China aus. Im September 23 löst die Lockerung des Dresscodes im Senat für Aufregung. Senator John Fetterman aus Pennsylvania kommt in kurzer Hose und kurzärmeligem Hemd ohne Krawatte.

Im Oktober 2023 wird der Sprecher/ Vorsitzender des Repräsentantenhauses Kevin Mc Carthy gestürzt. Eine radikale Gruppe um Matt Gaetz, der ein Anhänger von Trump ist, instrumentalisiert die Shut - down -Verhandlungen, in denen Mc Carthy einem Kompromiss zugestimmt hatte. Der Sturz ist historisch einmalig. Dei Kammer ist jetzt gelähmt. Übergangsweise übernimmt der Republikaner Patrick McHenry das Amt. Es gibt verschiedene Kandidaten für die Nachfolge, auch Trump. Der neue Speaker wird schließlich Mike Johnson. Er hat wenig Erfahrung. Die Republikaner sind in zentralen Fragen nicht einig (Hilfen für Ukraine und Israel).

Im New Yorker Betrugsprozess versucht Donald Trump, die Verhandlung zu einer bizarren Werbeshow zu verdrehen. Doch der Richter Arthur Engoron führt mit straffer Hand. Trump droht ein Geschäftsverbot und eine harte Geldstrafe.  Zur härtesten Konkurrentin entwickelt sich Nikki Haley. Sie wurde lange kaum beachtet. Doch inzwischen ist sie die letzte ernsthafte Konkurrentin. Sie ist schlagfertig und moderat. Sie wäre für Joe Biden als Gegnerin gefährlicher als Donald Trump. Nikki Haley macht immer mehr Boden gut. Ihre Beliebtheitswerte in den den besonders wichtigen Staaten steigen: Iowa, New Hampshire, South Carolina. Außerdem hat das Kochnetzwerk sich entschlossen, sie im Wahlkampf zu unterstützen. Es kommen weitere Großspenden aus der Wirtschaft (Ray Dallo/ Hedgefondsmanager, Kenneth Griffin/ Hedgefondsmanager, Paul Singer. Hedgefonds Elliott; Timothy Draper, Investor). Trump wird in Colorado von den Vorwahlen ausgeschlossen, weil er zum Aufstand aufgerufen hat. Weitere Bundesstaaten könnten folgen. Das dürfte ein Fall für das oberste Gericht werden. Auch der Bundesstaat Main schließt Trump von der Kandidatur aus.   Der einstige persönliche Anwalt von Trump Rudy Giuliani muss nach einer saftigen Schadenersatzzahlung Insolvenz anmelden. Die Verbindlichkeiten belaufen sich auf 500 Mio. $. Im Januar 2024 steigt der Republikaner Chris Christie aus den US-Vorwahlen aus. Auch DeSantis zieht zurück und will Donald Trump unterstützen. Es bleibt noch Nikki Haley. Die Vorwahlen in New Hampshire können schon entscheiden. Trump gewinnt sie mit 54%. Haley holt 44% und will weitermachen (wahrscheinlich bis das Oberste Gericht entschieden hat und bis zu den Wahlen in ihrem Heimatstaat South Carolina). Trump ist wütend und greift sie an. Im Februar 2024 gibt es noch eine 350 Mio. $ Geldstrafe für Trump. Er verliert einen Betrugsprozess in New York. Haley verliert auch im Februar 24 die Vorwahl in South-Carolina klar gegen Trump.  Das ist schmerzlich für sie, weil sie von hier stammt und Gouverneurin war. Sie will aber weiter machen, wenn weiter die Gelder fließen. Sie scheint keine Chance mehr zu haben, legt aber die Schwächen des narzisstischen Präsidentschaftskandidaten Trump offen. Wahrscheinlich spekuliert sie auch auf die nächste Präsidentenwahl 2028. Trump gewinnt im März 2024 auch die Vorwahlen in Idaho and Missouri. Beim "Super Tuesday" am 5.3.24 in 15 Bundesstaaten gewinnt Trump klar in 14. Haley kann nur Vermont für sich gewinnen. Sie gibt am 6.3.24 auf. Die Frage ist, wer ihre Wähler auf sich ziehen kann. Es sind vor allem die konservativen aus den Vorstädten.

Mitch McConnell, einer der mächtigsten Politiker in Washington, geht 2024 als Fraktionschef der Republikaner. Er ist schon 1983 in den US-Kongress eingezogen und ist mittlerweile 82 Jahre alt. Als Nachfolge-Favoriten gelten Matt Gaetz, John Thune oder Tom Cotton. McConnell setzt sich massiv für die Ukraine-Hilfen ein. In Washington D. C. kann erstmals Hailey bei den Vorwahlen siegen.   "Ich weiß, wie es um die politische Lage in meiner Partei bestellt ist", Mitch McConnell

Exkurs. Rückkehr von Trump ins Weiße Haus: Seine Rückkehr ins Weiße Haus lässt Donald Trump minutiös durchplanen. Sie hätte gravierende Folgen für Europa und die Weltwirtschaft. Es wird eine sehr aggressive Agenda für America first vorbereitet. Federführend ist das America First Institute (Aaron Hedlund). Viele Berufsbeamte sollen durch Personen ersetzt werden, deren Treue zu Trump sichergestellt sein wird (linientreues Personal). MAGA (Make America Great Again) ist wie eine Sekte mit Fetischen und Riten. Trump wird auf jeden Fall den finanziellen und materiellen Beitrag zur Nato zurückfahren (Zerfall der Nato?), was Europa teuer wird. 2023 führt Trump noch bei Umfragen vor Biden (46,5% gegen 44,3%, Quelle: FiveThirtyEight.com). Zölle sind aus Trumps Sicht ein gutes Instrument, um schnelle Reaktionen zu provozieren. Vgl. Heißler, Julian/ Fische, Malte: Macht Euch bereit, in: WiWo 3/ 12.1.24, S. 14ff. Am 15.1.24 ist der Auftakt des Nominierungsrennens für die US-Präsidentenwahl in Iowa. In den Staat hatte Trump in der Vergangenheit viele Geld gegeben. So gewinnt er im Januar 24 die Wahlen dort mit 51% (doppelt so viel wie der nächste DeSantis). Seit 1972 beginnt der Reigen der Abstimmungen zur Kür der US-Präsidentschaftskandidaten im Mittleren Westen. Im Grunde genommen ist das Programm von Trump Diktatur mit Ansage. Er wütet heillos gegen demokratische Regeln und Institutionen zeigt sich radikale rund rachsüchtiger. Es ist nicht auszuschließen, dass viele Konflikte eskalieren, um die Chancen von Trump zu vergrößern (z. B. Gaza-Krieg). Die meisten Amerikaner wünschen sich, dass Biden und Trump in den Ruhestand gehen. Warum gibt es kaum eine Alternative zu Trump? Haley müsste ein Überraschungserfolg in Iowa gelingen. Trump muss ein Großteil seiner Kampagne aus Gerichtssälen führen (Atlanta, Miami, New York City, Washington). Trump und seine Leute wollen daraus eine Show machen. Vgl. Rene Pfister: Das Duell der Greise, in: Der Spiegel 3/ 13.01.24, S. 68ff. Trump scheint einen klaren Plan zu haben. Wenn er die Wahl gewinnt, will er mit seine Kritikern abrechnen und die USA umbauen. Vgl. Die Zeit 4/ 18.01.24, S. 6ff. Eine besonders perfide Art seines Wahlkampfes besteht darin, abschätzige Spitznamen für seine Gegner zu erfinden: "Sleepy Joe" für Joe Biden. "Sanctimniuous" für DeSantis (Scheinheilig). "Nimbra" für Nikki Haley (ihr Geburtsname ist Nimarata Nikki Randhawa). "Croonked Hillary" für Hillary Clinton (verlogene Hillary). Trump braucht aber für einen Sieg im Präsidentschaftswahlkampf die moderaten Wechselwähler der Mitte, die so genannten Independents. Die schreckt er mit seinen Lügen und Allmachtsphantasien ab. Andererseits hat Trump einen Personenkult geschaffen, der auf viele Amerikaner eine Magie ausübt. Eine Verurteilung von Donald Trump in den politisch entscheidenden Strafverfahren noch vor den US-Wahlen im November wird immer unwahrscheinlicher. Jetzt gerät noch seine Gegnerin in Georgia, Staatsanwältin Fani Willis, unter Druck. Ihr wird eine Liebesbeziehung mit dem von ihr eingesetzten Chef-Ermittler vorgeworfen. Vor einem Gericht in Washington erleidet Trump im Januar 2024 eine Niederlage: Das Präsidentenamt bietet keinen Schutz vor Strafverfolgung. Es geht um Wahlbetrug. Endgültig dürfte das Oberste Gericht darüber entscheiden. Mitte Februar 24 schockt Trump die Nato. Es soll den Schutz der USA nur gegen genügend Geld geben (wenn sie ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen). Auch das Weiße Haus reagiert entsetzt. Die diversen Prozesse bringen Ex-US-Präsident 2024 in arge Geldnöte. Es waren Zivilprozesse. Bei den im März 24 anstehenden Strafprozessen könnte ihm durchaus Gefängnis drohen. Der Putsch-Prozess steht allerdings auf der Kippe. Der konservative Supreme Court verzögert das wichtigste Strafverfahren um mehrere Monate. Er entscheidet dann, dass Trump bei allen Vorwahlen antreten darf (einstimmig). Das kommt rechtzeitig vor dem "Super Tuesday" (mehr als ein Dutzend Bundesstaaten). 2024 baut Trump die republikanische Partei immer mehr zum Familienimperium um. Alle Familienmitglieder werden mit Posten versorgt. Der Trump-Clan soll für die Machtübernahme bereit sein. Vgl. Der Spiegel 12/ 16.3.24, S. 60.

Exkurs: Warum regieren immer noch die Babyboomer der USA. Sowohl Trump als auch Biden gehören dazu. Sie sind 2023 77 und 80 Jahre alt. Der amerikanische Erfolgsautor Richard Ford erklärt das bei beiden mit Narzissmus. Ford hat über 40 Jahre seine Erfolgsreihe vom US - Jedermann Frank Bascombe geschrieben (aus New Jersey; Alltag, Meinungen, Suche nach dem Glück). Der bekannteste Band der Reihe ist "Unabhängigkeitstag"aus den Neunzigerjahren. 2023 kommt die letzte Ausgabe: Valentinstag, Berlin 2023 (Hansen). Es geht ums Alter, um Väter und Kinder.  Bascombe war Sportreporter, Immobilienmakler, zuletzt Rentner. Die Bücher sind Road - Novels über den amerikanischen Alltag. Ford liebt New Orleans, wo er mittlerweile lebt.

Exkurs. San Francisco: Stadt an der West-Küste der USA hat schon viele Wandel vollzogen. Sie war einst die Stadt der Hippies und der Musik. In der Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts war ich mit dem Fahrrad da (ganze West-Küste der USA). Es war damals die europäischste Stadt der USA und prägte den Trend zum Mountain - Bike. Dann kam die technologische Explosion des Silicon -Valley. Die Immobilienpreise schossen in die Höhe. Danach folgte Frust und Elend durch Corona. Die Menschen in der High-Tech-Branche arbeiteten im Home Office. Der Trend blieb: Leere Büros und geschlossene Läden sind die Folge. Obdachlosigkeit, Drogen und Alltagskriminalität sind auf dem Vormarsch in der Innenstadt. Musk muss das blinkende X auf seinem Unternehmen (ehemals Twitter) abbauen wegen Protesten der Nachbarn. 2023 will die Stadt von der Apec - Konferenz profitieren. Dei Stadt geht vorher hart gegen Drogenhandel, Obdachlosigkeit und Kriminalität vor. Man will im Zuge der Wirtschaftskonferenz ein neues Image schaffen. Allein 1200 Vorstandschefs großer Unternehmen sowie Politiker und mehrere Staatschefs werden erwartet. Das Verhältnis zu China ist auch historisch vorbelastet: In den Gründungsjahren war Ange Island, eine winzige Insel vor San Francisco, Anlaufstelle für chinesische Migranten (90% wurden zurückgeschickt). Die Europäer kamen überwiegend an die Ostküste. die Chinesen mussten in den 1860er-Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen die Eisenbahntrassen von der Ost- an die Westküste bauen. Biden und Xi treffen sich auf dem Landsitz Filoli in der nähe der Stadt. Das Gespräch findet am 15.11.23 statt. Es dauert mehrere Stunden ("der Wettbewerb darf nicht in einen Konflikt ausarten", die beiden Mächte dürfen sich nicht "den Rücken zukehren", Biden). China blickt aber auf die Präsidentschaftswahl 2024, die alles wieder verändern kann. Das Steinhart Aquarium wird 2023 100 Jahre alt. Es wurde maßgeblich von zwei Bayern gegründet (Sigmund und Ignatz Steinhart). Es ist heute eine weltberühmte Einrichtung. Die berühmten Universitäten Berkeley und Stanford liegen in der Nähe. Sie sind noch heute führend im Bereich der IT und KI.

"You aren`t going to like what comes after America", Leonard Cohen, kanadischer Sänger, gestorben 2017. Es wird euch nicht gefallen, was nach Amerika kommt. Fast prophetisch auf das Ende der von den USA dominierten Weltordnung anspielend.

 

Karl Marx - Jahr 2018: 200. Geburtstag und fast 150 Jahre "Das Kapital". Von den Folgen der industriellen Revolution zu denen der digitalen Revolution (auch die Bedeutung von Karl Marx in China; auch der 200. Geburtstag von Friedrich Engels 2020, vgl. Friedrich Engels) .

Dies ist die Gründungsstätte der KPCh in Shanghai (Zhonggong Yida Huihi, in der Xingye Lu 76). 13 junge Intellektuelle gründen am 23.07.1921 heimlich die Partei. Das Treffen wurde verraten und musste später an einem anderen Ort fortgesetzt werden (so eigentlich auf einem Vergnügungsboot in der Nahe von Shanghai). Das berühmteste Gründungsmitglied war der erste Vorsitzende Mao. Er wurde im Ort Shaoshan (in der Nähe von Xiangtan) geboren (1893), wo noch heute sein Geburtshaus steht. Das Reich der Qing-Dynastie lag damals in den letzten Zügen. In China hat die Lehre von Karl Marx ihre größte Wirkung erzielt (deshalb dieses Bild; zu anderen bekannten Fotos vgl. den Wikipedia -Artikel zu Karl Marx oder die neueren Biographien). Mit dem Aufstieg Chinas zur Führungsmacht in der Welt bis 2049 wird auch der Marxismus aktuell bleiben (ebenso wie sein Verhältnis zu Daoismus und Konfuzianismus). Die Grundfragen des Marxismus sind auch die zentralen Fragen jeder Ökonomie: 1. Das Verhältnis zwischen den Produktionsfaktoren. 2. Die Beziehung zwischen Markt und Staat. 3. Die Bedeutung der Wirtschaftsstruktur (Globale Unternehmen, KMU). 4. Der Zusammenhang zwischen Kultur, Politik und Wirtschaft. 5. Ist der langfristige Weg der Wirtschaft vorhersagbar? (digitale Revolution mit welchem Ziel?). In Wien gibt es den Karl-Marx-Hof. Er wurde 1930 eröffnet und ist mit ungefähr 1050 Metern Länge der längste zusammenhängende Wohnbau der Welt. Das Gebäude ist weltberühmt und kann als Vorbild dienen. Ads gilt für Wien insgesamt beim Wohnungsbau: Es gibt 1800 Gemeindebauten mit 220.000 Wohnungen.

"Was mich betrifft, ich bin kein Marxist", Karl Marx (1818 - 1883). Sein Freund Engels starb 1895 (in London, an Kehlkopfkrebs). Zum 200. Geburtstag des Philosophen am 05.05. 2018 eröffnen in seiner Geburtsstadt Trier gleich vier Ausstellungen. Vgl. www.karl-marx-ausstellung.de . Ein Hauptziel ist es, Marx zu entideologisieren. Trier stellt 2018 zwei Ampeln auf, bei denen Karl Marx als Ampelmännchen enthalten ist. Als zweite deutsche Stadt hat Chemnitz einen engen Bezug zu Marx. Sie hieß zu Zeiten der DDR Karl Marx-Stadt. Auch hier finden Ausstellungen im Marx-Jahr statt. Chemnitz wird 2025 Kulturhauptstadt Europas. Das ist für die alte Industriestadt wie ein Konjunkturpogramm. Es ist auch die Gelegenheit, das Image zu verbessern (rechte Demonstrationen). Wahrzeichen der Stadt ist das Karl-Marx-Denkmal.

"Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben", Friedrich Engels bei der Grabrede 1883 auf dem Highgate-Cemetry in Nordlondon. 73 Jahre nach seiner Beerdigung wurde Marx exhumiert (zu eng und ärmlich) und 200m weiter nördlich beerdigt (die Sowjetunion wollte die sterblichen Überreste nach Moskau überführen). So bekam Marx ein repräsentativeres Grab. Es wurde zur Pilgerstätte, aber auch immer wieder zum Gegenstand von Schändungen. So auch mehrmals 2019, weil das Brexit - Referendum die Briten polarisiert hat. 2024 kommt etwas besonderes auf den Markt: eine Grabstätte gleich neben Karl Marx. Wer dort bestattet werden will, muss tief in die Tasche greifen (ca. 30.000Euro). Die Besichtigung des Friedhofs kostet 2024 10 Pfund. Ich mache einen Besuch (auch das ehemalige Engels-Werk in Manchester).

"In der Tat ist also G - W - G die allgemeine Formel des Kapitals", Karl Marx (G Geld, W Waren). Berühmt ist auch sein Satz, dass alle historischen Ereignisse sich zweimal ereigneten: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.

1. Ausschnitte aus seinem Leben und aktuelle Biographien:  1818 wurde er am 5. Mai  in Trier geboren, wo sein Vater eine Rechtsanwaltskanzlei betrieb. Aus pragmatischen Gründen konvertierte der Vater vom Judentum zum Protestantismus. Marx studierte in Bonn (Jura), Berlin (Jura, Philosophie) und Jena (Promotion, 1841). Ab 1842 schrieb Marx Artikel für die Rheinische Zeitung in Köln (eine wissenschaftliche Karriere blieb ihm in Preußen wegen seiner kritischen Haltung versagt, seinem Vorbild Bruno Bauer wurde in Bonn die Lehrbefugnis entzogen). Marx machte die Zeitung zu einem linken Oppositionsblatt gegen die preußische Regierung. Auch Engels schrieb einige Artikel. 1843 wurde die Zeitung verboten und Marx musste Deutschland verlassen und ging nach Paris. Nach längerer Zeit mit seiner Familie (Ehefrau seit 1843 Jenny von Westphalen und insgesamt 7 Kinder, von denen nur drei überlebten) in Brüssel ab 1845 musste er später 1849 als Staatenloser nach London fliehen.1948 hatte er noch einmal die "Neue Rheinische Zeitung" in Köln gegründet (mit seinem Erbe und Spenden). Marx arbeitete in einer Reihe von Organisationen mit (kommunistische Korrespondenz-Komitee, Bund der Kommunisten, die I. Internationale). In London lebte er mit seiner Familie in verschiedenen Wohnungen (es gibt heute eine Tour dazu) und wurde in der Stadt begraben (auf dem Highgate Cemetry). In England konnte er das Elend der Industriearbeiter im Frühkapitalismus aus nächster Nähe beobachten (er besuchte auch die streikenden Textil- und Werftarbeiter in Schottland). Sein lebenslanger treuer Freund Friedrich Engels, der auch Werke in England (Manchester)  besaß, unterstützte ihn materiell (zumindest bis er selbst Pleite ging; 350 Pfund pro Jahr). Marx´ Haarpracht war schon zu Lebzeiten legendär. Sein Haupt-Werk schrieb er in der British Library in London (ab 1850 durfte er die Bibliothek benutzen; in London herrscht heute der Marx-Kult). Fast 30 Jahre lang besuchte Marx täglich den Bibliothekssaal, das Eldorado der Wissbegierungen der damaligen Zeit.. Marx und Engels traten in vieler Hinsicht immer als Team auf. Marx hat die Rolle des Theoretikers, Engels war der Praktiker (der auch glänzend schreiben konnte). Er erfand eigentlich den Marxismus.

Der Erzbischof von München Reinhard Marx, Erzbischof von München,  hat 2008 ein Buch mit dem Titel "Das Kapital" vorgelegt (München, Pattloch). Es ist eine Auseinandersetzung mit den Ideen von Karl Marx. Es geht um die zentrale Frage, ob in den marktwirtschaftlichen Ordnungen der Traum vom Wohlstand zu Ende ist (dient das Kapital noch dem Menschen?). Es gibt zahlreiche Biographien über Marx, eine stammt von Clara Zetkin aus dem Jahre 1913, eine zweite von Franz Mehring von 1918. 2017 erscheinen zwei ausführliche neuere Biographien zu Marx: Jürgen Neffe: Marx. Der Unvollendete, München 2017 (Bertelsmann). Neffe erklärt auch die ökonomischen Theorien in verständlicher Form und konfrontiert sie mit der Realität. Eine weitere Marx-Biographie hat Gareth Stedman Jones vorgelegt. Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Englischen. Der Titel lautet nur "Karl Marx" (Frankfurt, S. Fischer, 2017, 891 S.). Jones geht besonders intensiv auf die Zeit von Marx in England ein. Er legt auch sein besonderes Augenmerk auf die Zusammenhänge mit geschichtlichen Ereignissen. Er erklärt Marx aus der Zeit heraus und geht auch auf die Gedanken von Kant, Hegel, Feuerbach, Ricardo und anderen ein. Als extreme Kurzfassung ist folgender Aufsatz dem Leser mit wenig Zeit zu empfehlen: Christian Gehrke: Karl Marx (1818 - 1883), in: Heinz D. Kurz (Hrsg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, Band 1, München (Beck) 2008, S. 217-241. Ähnlich kurz und plakativ mit vielen Fotos: Geschichte, GPorträt "Karl Marx, 1818 - 1883. Der Mensch hinter der Ikone. Egozentriker, Workaholic, Lebemann. Frühjahr 2018". Ausgezeichnet ist auch eine ältere Biographie von David McLellan (Karl Marx. Life and Thought, Macmillan London 1973).

2017 erschien auch ein Film über Marx: Der junge Karl Marx; teilbiografisches Historiendrama zu Marx' Leben in den 1840er Jahren, der ersten Zeit seiner Zusammenarbeit mit Friedrich Engels und dem Beginn seines politischen Wirkens. Mit August Diehl in der Rolle von Karl Marx; französisch-deutsch-belgische Koproduktion von 2017 unter der Regie von Raoul Peck; Beitrag zur Berlinale 2017/Sektion Special. Die letzte Biographie aus dem Jahre 2018 stammt von Uwe Wittstock. Der Titel ist: Karl Marx Beim Barbier. Leben und letzte Reise eines deutschen Revolutionärs (München: Karl Blessing Verlag 2018). In Algier, seiner letzten Reise, elf Monate vor seinem Tod und drei Jahre nach dem Tod von Jenny, lässt sich Marx radikal Haare und Bart abschneiden. Daher der Titel. Wittstock arbeitet mit vielen neuen Quellen, wie sie im MEGA-Projekt dargestellt sind (z. B. Briefe der Töchter). Neben der Biographie und Erzählungen werden  philosophischen Ideen der Zeit anschaulich beschrieben.

"Die Nationalökonomie geht von der Arbeit als der eigentlichen Seele der Produktion aus, und dennoch gibt sie der Arbeit nichts und dem Privateigentum alles", Karl Marx... "Die Tätigkeit des Arbeiters auf eine bloße Abstraktion der Tätigkeit beschränkt, ist nach allen Seiten hin bestimmt und geregelt durch die Bewegung der Maschinerie, nicht umgekehrt. Die Wissenschaft , die die unbelebten Glieder der Maschinerie zwingt, durch die Konstruktion zweckgemäß als Automat zu wirken, existiert nicht im Bewußtsein des Arbeiters, sondern wirkt durch die Maschine als fremde Macht auf ihn, als Macht der Maschine selbst", Karl Marx, MEW 42, S. 599.

2. Werk (Aufsätze, Briefe, Bücher, Vorträge) und Herausgabe: Das Kapital, 3 Bände, Berlin 2008 (1859 erscheint das Einführungskapitel unter dem Titel "Zur Kritik der politischen Ökonomie", 1867 der erste Band; damit 2017 150 Jahre). Der erste Band ist eindeutig von Marx. Die anderen Bände sollen auf Fragmente zurückgehen, die Friedrich Engels redigiert hat. Das Werk soll nach der Bibel das meist gelesene Buch der Welt sein. Marx selbst nannte es "ökonomische Scheiße". Noch häufiger ist wahrscheinlich das Kommunistische Manifest von Marx/ Engels gelesen worden (ein analytisch- rethorisches Meisterwerk, es erschien 1848). Beide Werke wurden 2013 "Memory of the World" (Weltkulturerbe) der UNESCO. Ein weiteres bekanntes Werk sind  die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte aus dem Jahre 1844 (MEW Ergänzungsband I). Die Schriften und der Briefwechsel von Karl Marx und Friedrich Engels wurden in der 43 Bände umfassenden Reihe " Marx Engels Werke" (MEW) im Dietz Verlag, Berlin, herausgegeben. In den 1970er Jahren wurde in Moskau und Ostberlin mit dem Projekt einer vollständigen, historisch-kritischen Ausgabe sämtlicher Veröffentlichungen, der Handschriften und des Briefwechsels von Karl Marx und Friedrich Engels begonnen (MEGA; 54 von 114 geplanten Bänden sind bis 2018 erschienen). Teile des Werkes sind auch digital erhältlich. Auszüge aus den Marx-Werken haben unter anderem auch der Kröner- und der Ullstein-Verlag veröffentlicht.

Die wichtigsten Quellen für Marx beherbergen folgende Institutionen: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (mit dem Projekt "Mega"), das Karl-Marx-Haus in Trier innerhalb der Friedrich Ebert Stiftung (Geburtshaus von Marx und Marx-Museum) und das Internationale Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam. Vgl. auch www.karlmarx2018.de (die neue Trierer Dauerausstellung).

"Die Nationalökonomie entstand als eine natürliche Folge der Ausdehnung des Handels, und mit ihr trat an die Stelle des einfachen, unwissenschaftlichen Schacherns ein ausgebildetes System des erlaubten Betrugs, eine komplette Bereicherungswissenschaft", Friedrich Engels, MEW 1, S. 499 (Marx-Engels-Werke, Berlin, Dietz-Verlag, 1956 - 1990, 43 Bände).

3. Ideenlieferanten: Ökonomen und Philosophen, Zeitgeist: Bei aller Originalität war Marx eingebunden in die Diskussionen seiner Zeit. Der Vater machte Marx mit der Aufklärung vertraut (Kant, Lessing)  In den Studienjahren in Berlin (vorher in Bonn Jura) lernte Marx die Hegelschen Ideen kennen. Danach sind Wirtschaft und Gesellschaft in beständiger Wandlung begriffen. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831) war der  wichtigste Vertreter des deutschen Idealismus. Die Struktur der Philosophischen Werke ist wie folgt: Logik, Naturphilosophie, Philosophie des Geistes. Berühmt ist sein Schema der Dialektik: These, Antithese, Synthese. Eine seiner berühmtesten Werke: System der Wissenschaft. Erster Teil: Die Phänomenologie des Geistes, Bamberg 1807. Hegel hat großen Einfluss gehabt auf Karl Marx. Er schuf die Grundlage für seinen historischen Materialismus. "Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit", G. W. F. Hegel. Großen Einfluss auf Marx hatten auch der Religionskritiker Feuerbach und die Ökonomen Adam Smith und David Ricardo (las er in der British Library). Marx setzte sich auch mit Zeitgenossen auseinander wie Michael Bakunin, Proudhon, Ferdinand Lassalle, Wilhelm Liebknecht, August Bebel, Heinrich Heine (Cousin dritten Grades), Moses Hess, Georg Herwegh, Bettina von Arnim, George Sand, Pawel Annenkow oder Charles Darwin. Marx bediente sich aber auch der gesamten griechischen antiken Philosophie (sein späterer Schwiegervater von Westphalen brachte ihn mit Homer und der Antike in Berührung) und bringt in seinem Buch "Das Kapital" unzählige aktuelle Beispiele der damaligen Zeit. Sie stammen überwiegend aus Recherchen für Artikel für die New York Tribune, für die Marx viele Jahre schrieb (damals die Zeitung mit der weltweit höchsten Auflage; einige Artikel stammen auch von Engels; Marx veröffentlichte sie unter seinem Namen, weil er das Geld brauchte). Marx hat ja die Vorstellung entwickelt, dass das Dasein, d. h. die ökonomischen Verhältnisse, das Denken prägen. Insofern war ihm immer die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse wichtiger. Er lebte in einer Epoche des industriellen und politischen Umbruchs. Er versuchte Antworten auf neue Herausforderungen zu finden, die vielleicht zu Anfang besonders deutlich hervortraten (der Einfluss durch den Zeitgeist steht im Mittelpunkt der Marx-Biographie von Jones, s. o.). Wir leben heute in der Anfangsphase einer digitalen Revolution, die wahrscheinlich ähnlich gravierende Änderungen hervorrufen wird. Um so deutlicher tritt zu Tage, wie weit Marx seiner Zeit auch voraus war.

Umstritten ist sein Verhältnis zum Judentum, seine Einschätzung der europäischen Rasse zu anderen (Grundzüge von Rassismus waren dem deutschen Idealismus nicht fremd), seine Beziehung zur Sozialdemokratie und sein Verhalten in der Familie und zu Freunden. Ausgewählte, bekannte Kritiker seines Werkes waren Böhm-Bawerck, Schumpeter, Samuelson und Popper.

Marx kann intellektuell schwer in eine Rolle gedrängt werden: Er war Soziologe, Nationalökonom, Philosoph, Journalist, Religionskritiker, Gesellschaftskritiker, Prophet, Revolutionär, Sozialreformer.

Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine >ungeheure Warensammlung<, die einzelne Ware als seine Elementarform", Karl Marx, MEW 23, S. 49 (Marx-Engels-Werke, Berlin, Dietz Verlag, 1956 - 1990, 43 Bände).

4. Ausgewählte Inhalte und Grundzüge: 1. Die Niederlage des Kapitalismus ist historisch vorbestimmt (durch Akkumulation und Krisen). 2. Gier und Egoismus determinieren die Kulturen. 3. Von Einkünften aus Kapital profitieren nur die Reichen (Wert- und Mehrwert). 4. Kapital entsteht durch Ausbeuten der Arbeitskraft (Produktionspreise weichen von den Arbeitswerten ab, Warencharakter der Arbeit). 5. Die relative Verelendung der Arbeiter führt zu einer Revolution. 6. Die Diktatur des Proletariats schafft die Grundlagen des Kommunismus, in dem alle Menschen gleich sind. 7. Eigentumsrechte sind abgeschafft und müssen nicht mehr auf Märkten gehandelt werden (Volkseigentum).

Heute noch aktuell und gültig sind folgende Elemente: seine Entfremdungstheorie, seine Analyse der Zeit, sein Warenfetischismus, die Ersetzung der Arbeitskraft durch Technik.

Der erste und wichtigste Band des Kapitals, der 1867 erschien, gliederte sich in acht Teile: I. Ware und Geld, II. Die Verwandlung von Geld in Kapital, III. Die Produktion des absoluten Mehrwerts, IV. Die Produktion des relativen Mehrwerts. V. Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts. VI. Der Arbeitslohn. VII. Der Akkumulationsprozess des Kapitals. VIII. Die sog. ursprüngliche Akkumulation.

Neffe teilt in seiner Biographie die Gedankenwelt von Marx in folgende Abschnitte ein: Arbeit und Entfremdung, Herrschaft und Eigentum, Kollektiv und Plan, Welt und Gott, Kopie und Original (Kapitel 8).

Marx sah viele Probleme des Kapitalismus voraus, die noch heute eine Rolle spielen (und von Rechtspopulisten behandelt werden). Er sah sich auch sehr genau die Arbeiterklasse und die Kapitalisten an. Managergehälter (einschließlich Pensionsfonds und Lebensversicherungen) kosten die Eigentümer von Unternehmen Abermillionen. Er beschrieb die Folgen der Ausbeutung der Arbeiter. In seiner Krisentheorie spielt das Gesetz von der tendenziell fallenden Profitrate eine große Rolle. Das Kapital vermehre sich schneller als die Arbeit. Irgendwann werde die Rendite der Unternehmen zu gering. Sie würden keine Investitionen mehr wagen. Diese These ist wieder hoch aktuell. Aber auch mit der Ökonomisierung aller Lebensbereiche ("Warenfetischismus") hatte Marx Recht.

Schon im "Kommunistischen Manifest" von 1848 heißt es: "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen ..."

"Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen". Die Idee des Sozialstaates wird hier auf den Punkt gebracht.

5. Prognosen und Evaluation: Mit zwei Dingen hat Marx richtig gelegen: Mit der Prognose der Globalisierung und der Fragilität der Finanzmärkte (deshalb wurde er auch 2008 wieder aktuell). Hinzu kommt noch ein dritter Aspekt: Er hat die Bedeutung der Religion in modernen Gesellschaften richtig gesehen. Im Kern ist auch die Analyse des Kapitalismus scharfsinnig: Märkte werden nach Marx von Unternehmen und Geld dominiert. Unternehmen koordinieren die Produktion und schöpfen den Mehrwert ab. Dafür bieten sie der Gesellschaft Arbeitsplätze an. Preise sind zuverlässige Indikatoren für verdichtete Informationen.

Big Data, Künstliche Intelligenz und Internet verändern die Spielregeln heute, sie können Angebot und Nachfrage besser zusammenbringen. So stellt sich wieder einmal die Frage, was bleibt von Marx (verstärkt im Marx-Jahr 2018!). Seine Entfremdungstheorie - später Warenfetischismus - ist nie ernsthaft angezweifelt worden. Der Fluch der Arbeit beginnt nach Marx mit der Arbeitsteilung. Auch die digitale Revolution wird wie die industrielle Revolution die Arbeitsteilung und das Wesen der Arbeit grundlegend verändern genauso wie in der Folge die moderne Gesellschaft. Betroffen werden alle Qualifikationsstufen und auch die Organisation von Arbeit sein. Marx war der erste umfassende Analyst der industriellen Revolution. Für Organisationsdefizite von Zentralverwaltungswirtschaften und Irrtümer sollte man ihn nicht mehr verantwortlich machen. Heute ist kein Ökonom in Sicht, der ähnlich generell die Folgen der digitalen Revolution überblicken kann. Insbesondere die zentralen Fragen - wie Marx sie gestellt hätte - sind ungeklärt: Wer hat die Hoheit über die Digitalisierung? Wer bestimmt, wie sie genutzt wird und wem sie dient? Gerade Staaten wie China, die sich noch auf Marx berufen, tun sich hier unrühmlich hervor. Vielleicht wird das virtuelle Kassenbuch "Blockchain" die Plattformen ruinieren und wieder alles in die Hände von Produzenten und Kunden geben? Dann wäre die Technologie der Internetgiganten schon wieder überflüssig.

Der Neoliberalismus scheint am Ende zu sein, allein schon, weil Protektionismus weltweit zunimmt. Marx betrachtet den Kapitalismus als komplexes System, das nicht stabil ist. Er beschreibt die verschiedenen Arten von Krisen: Da ist zunächst die Überproduktionskrise, die dadurch entsteht, dass es zu wenig Nachfrage für ein Übermaß an Gütern gibt. Es gibt einen weiteren Typ von Krisen, die dadurch entstehen, dass Gegenkräfte nicht wirken. Dadurch geht die Profitrate weiter zurück. Schließlich beschreibt Marx auch die Finanzkrise: Der Kredit nimmt überhand, Spekulationen blähen sich auf, dann platzt die Kreditblase und eine mehrjährige Rezession folgt. Marx Krisenprognose könnte für die industrielle Entwicklung zu früh gekommen sein. Sie könnte aber in einer digitalen Revolution wieder zum Zuge kommen. Die Digitalisierung beschleunigt die Volatilitäten und die globalen Interdependenzen der Finanzmärkte; die Informationsgüter verändern alles. Vgl. Paul Mason: Postkapitalismus, Berlin 2018, S. 83ff.

Ökonomische Entwicklung und Religiosität: In Ländern mit zunehmender wirtschaftlicher Entwicklung schwindet die Religiosität. Die Normen, die Religionen dieser Welt aufrechterhalten, wirkten teilweise mildernd auf die psychische Last von Menschen mit geringem Stand. Beispiele: Im Islam betreten arme Menschen  fünfhundert Jahre früher das Paradies als reiche. Im Neuen Testament: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Die Religiosität schwindet in modernen Gesellschaften und dadurch nehmen die schädlichen Auswirkungen eines niedrigen sozialen Status weiter zu. Man muss Alternativen zur nationalen Religiosität finden, um diese schädlichen Folgen abzumildern. Karl Marx würde sagen: Wenn der Rausch des religiösen Opiums schwindet und mit ihm der Schein des Heiligen, dann bemerkt der Arme sein Jammertal. Der wirtschaftliche Fortschritt stärkt den Glauben an die Segnungen des marktwirtschaftlichen Materialismus. Zu dieser These scheinen Forschungen am ZEW in Mannheim (Jana Berkessel, Jochen Gebauer) zu führen.

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern", Karl Marx.

"Die Lehre von Karl Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist", Wladimir Iljitsch Lenin, 1913.

6. Praktische Wirkungen: Marx´ Leben war interessant und bewegt. Seine bis heute bestehende Bedeutung beruht aber auf dem Einfluss seiner Ideen, also seinem Denken. Marx wurde als Philosoph gefeiert und zu einem Mythos gemacht, weil seine Werke die Welt entscheidend beeinflusst haben (Wirtschaftssysteme in Russland, DDR, Cuba, China, Nordkorea). Fleißige Leser waren Lenin, Stalin, Mao, Che Guevara und Fidel Castro. In Russland berief sich die Oktoberrevolution 2017 auf die Lehre von Marx. In China gehört Karl Marx als Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus zu den einflussreichsten Philosophen und politischen Theoretikern der Neuzeit (obwohl Mao zunächst glaubte, in der Agrargesellschaft "China" ginge das nicht). Zeitweilig lebte ja fast die Hälfte der Weltbevölkerung unter Regierungssystemen, die sich nach ihrem Anspruch auf seine Ideen gründeten. Noch heute ist in China Marx Bestandteil fast aller ökonomischen Curricula. Allerdings hat seine Lehre heute kaum Einfluss auf die tatsächlichen Organisationsprinzipien der Wirtschaft. Auch Friedrich Engels ist in China sehr bekannt. Viele Chinesen, die Deutschland besuchen, fahren nach Wuppertal zum Engels-Geburtshaus oder nach Trier zum Marx-Geburtshaus und -Museum. Theoretisch hat Marx neben Keynes die bedeutendste makroökonomische Analyse abgeliefert. In Deutschland haben die Ideen von Marx Einfluss auf die Entwicklung des Sozialismus, des Kommunismus und die Sozialdemokratie gehabt. Marx selbst glaubte, dass seine Wirkung auf Lassalle und Liebknecht immens gewesen sei. Dafür war Marx aber zu weit weg und diese beiden hatten beim Aufbau von ADAV und SDAP eigene Gedanken. Seine Ideen hatten sicher einen Einfluss. Nach dem Zusammenschluss von ADAV und SDAP 1875 zur Vorgängerorganisation der SPD übte Marx scharfe Kritik. Im Erfurter Programm von 1891 der SPD finden sich noch viele Forderungen von Marx, im Godesberger Programm von 1959 fehlen diese. Der Österreicher Victor Adler, ein Freund von Engels, gründet die Sozialdemokratische Partei Österreichs. Aber auch "die katholische Soziallehre steht auf den Schultern von Karl Marx" (Bischof Reinhard Marx, Kardinal von München; so auch der Jesuit und Sozialreformer Oswald von Nell-Breuning).  Der chinesische Künstler Wu spendet der Geburtsstadt von Karl Marx Trier im Marxjahr 2018 eine Statue (6,30m hoch auf 1,40m Sockel). Wu hat schon 500 Stauen historischer Persönlichkeiten angefertigt (Konfuzius in Peking, Laotse). Marx dürfte Mao in der Erinnerung überleben. Marx selbst hatte keine hohe Meinung von China. 1862 wird China als ein "lebendes Fossil" beschrieben, das in gewisser Weise exemplarisch sei, denn "die orientalischen Reiche zeigen uns beständig Bewegungslosigkeit im sozialen Unterbau, rastlosen Wechsel in den Personen und Stämmen, die sich des politischen Überbaus bemächtigen" Karl Marx, in: Die Presse, 7. Juli 1862, zitiert nach G. S. Jones: Karl Marx, Frankfurt 2017, S. 431.

"Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der Maschine. Dort geht von ihm die Bewegung des Arbeitsmittels aus, dessen Bewegung er hier zu folgen hat. in der Manufaktur bilden die Arbeiter Glieder eines lebendigen Mechanismus. In der Fabrik existiert ein toter Mechanismus unabhängig von ihnen, und sie werden ihm als lebendige Anhängsel einverleibt", Karl Marx, MEW 23, S. 445. Marx erkannte genau die Vorteile von KMU.

"Marx rettete den Kapitalismus, indem er seinen Zusammenbruch ankündigte", Yuval Noah Harari in Homo Deus, München/ Beck 2017.

7. Eigene Vorträge bzw. Projekte:  Durch die historische Bedeutung und die Zusammenbrüche bzw. die Transformation der großen Planwirtschaften in China und Russland, die sich theoretisch mit dem Marxismus legitimierten, hatten sich Berührungsängste in der Wissenschaft und der Gesellschaft herausgebildet. Einige machten ihn zum Verantwortlichen für Millionen Tote. Kein Philosoph hat die Welt so gespalten in Anhänger und Gegner.  Also ist Marx in der Wissenschaft immer ein sehr schwieriges und sperriges Thema. Vgl. als aktuelle Literatur auch: Katja Kipping: Wer flüchtet schon freiwillig, Frankfurt/Main 2015. In der Vergangenheit habe ich immer wieder Vorträge zu Karl Marx gehalten (seine Auswirkung in China, "Keynes meets Marx" vor der Keynes-Gesellschaft, Marx in der deutschen Philosophie und Ökonomie an HS in China u. a). Gegenwärtig arbeite ich an Vorträgen bzw. Präsentationen über die aktuelle Bedeutung von Marx in China, die Paradoxie seiner Prognosen: einerseits richtig, andererseits nicht eingetroffen (Bedeutung einer mittelständischen Struktur der Wirtschaft; siehe Zitat oben und mein Vortrag bei Research) oder Bezüge zur heutigen digitalen Revolution. Interessant wäre im Weinbaustudiengang unserer Hochschule eine Analyse der Studien von Marx über die soziale Situation der Winzer an der Mosel ("notleidende Moselbauern"). Es handelt sich um Verteidigungen/ Rechtfertigungen von Artikeln in der Rheinischen Zeitung vom Januar 1843 in Köln , wo Marx als Redakteur arbeitete. Er macht sich zum Anwalt der Armen und greift die preußische Verwaltung an (Oberpräsident von Schaper). Beim Forum für Weltreligionen/Wien habe ich im Stift St. Florian bei Linz im September 2018 an der Donau einen Vortrag zum Thema "Chinesische Marxismusrezeption und die Beziehung zum Konfuzianismus" gehalten. Daraus ist ein Aufsatz entstanden, der 2019 veröffentlicht wird: Chinesische Marxismus-Rezeption und die Beziehung zum Konfuzianismus, in: Forum für Weltreligionen/ Uni Wien (Hrsg.): Monotheismus: Interreligiöse Gespräche im Umfeld moderner Gottesfragen, Hermann Stieglecker-Projekt, Wien 2019 (voraussichtlich Sommer, wird nicht veröffentlicht, da Inhalt nicht genehm). Das Wirtschaftsministerium von RLP hat 2019 einen Film drehen lassen, der bilderreich für das Land als Standort wirbt ("Rheinland Pfalz - offen für neue Ideen"). Knapp zweieinhalb Minuten dauert das Video. Die Karl Marx-Statue in Trier kommt auch vor, ebenso wie das Hambacher Schloss. Man hofft auf starke Wirkung in China (auch chinesischer Untertext).

Marx und Engels hatten eine sehr kritische Haltung zur Nationalökonomie der damaligen Zeit. Vgl. folgendes Zitat:

"Die einzigen Räder, die der Nationalökonom in Bewegung setzt, sind die Habsucht und der Krieg unter den Habsüchtigen, die Konkurrenz", Karl Marx, MEW, 40, S. 511.

8. Weiterlesen, um noch mehr zu erfahren (einige Tipps): Ganz hervorragend und kostenlos ist der Marx-Artikel in Wikipedia mit Fotos. Er ist wesentlich ausführlicher und genauer als meine kurze Darlegung hier. Im Mai 2018 findet in Berlin wieder der "MARX IS MUSS"- Kongress statt. Rudolf Walther: Wie viel Marx steckt im Marxismus? in: Blätter für deutsche und internationale Politik, März 2018. Christina Morina: Die Erfindung des Marxismus, Siedler 2017. Homann, Karl u. a.: Karl Marx - heute noch aktuell?, in Wirtschaftsdienst 2018/ 4, S. 227ff. Der Spiegel Edition Geschichte 1/ 2018: 200. Geburtstag Karl Marx. Thomas Kucynski: "Ich fürchte die Revolution nicht", in: Die Zeit, Nr. 17, 19.04.2018, S. 28. ZEITGeschichte: Marx und die Geburt des modernen Kapitalismus, 3/ 2018. Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit (Reclam, 6 Euro). Lafargue war der Schwiegersohn von Karl Marx. Er war auf Kuba geboren (kreolische Wurzeln). In Maschinen sah er den "Erlöser", der dem Menschen "Muße und Freiheit schenken" werde. In der Corona-Krise 2020 entsteht durch die hohen Staatshilfen in allen Ländern eine neue Diskussion über das Ende des Kapitalismus: Vgl. Fischer, M. u. a.: Marx hilft? Hilfe! in: WiWo 16, 09.04.20, S. 14ff. Hilferding, Rudolf: Das Finanzkapital, Wien 1910. Kohei Saito: Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus, München (dtv) 2023. Der japanische Philosoph, der an der HU in Berlin promoviert hat, analysiert die Verflechtung von Kapital, Natur und Gesellschaft. Dabei entdeckt er den Gedanken von Karl Marx neu und entwickelt mit seiner Hilfe das Modell für eine gerechte Gesellschaft im Zeitalter des Anthropozän. Das Wirtschaftswachstum der Moderne versprach uns ein Leben im Wohlstand. Jedoch wird durch dei Umwelt- und Klimakrise klar, dass es gerade das Wirtschaftswachstum ist, das die Grundlagen des menschlichen Wohlstands untergräbt. Gleichzeitig hält uns der Glaube, dass der Erfolg im Kampf gegen den klimawandel davon abhängt, wie viel jeder Einzelne von uns tut, davon ab, einen notwendigen Systemsturz einzuleiten.  Bei der chinesischen Plattform Tik Tok gibt es den Account @marxians. Im August 2020 hat er 14.400 Fans. Sie huldigen Karl Marx als ihrem "Daddy" und wenden sich gegen Kapitalismus. 2020 kommt ein Reiseführer mit dem Titel "Auf den Spuren von Karl Marx & Friedrich Engels" (Michael Driewer, Verlag Reise Know-how). Der Führer folgt den Spuren in allen Ländern und Städten (Trier, Wuppertal, Berlin, Köln, Paris, Brüssel, London, Manchester). Am 28. Juli 2022 veranstaltet die KP Chinas ein virtuelles Forum marxistischer Parteien. 300 Vertreter von rund 100 Parteien in 70 Ländern folgen dem Aufruf. Man spricht von einer "neuen Vitalität des Marxismus".

Antworten von Marx in einem Fragebogen:

Ihre Lieblingsmaxime: Nihil humani a me alienum puto.

Ihr Lieblingsmotto: De omnibus dubitandum.

9. Zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels 2020:

"In Elberfeld allein werden von 2500 schulpflichtigen Kindern 1200 dem Unterricht entzogen und wachsen in den Fabriken auf, bloß damit der Fabrikherr nicht einem Erwachsenen, dessen Stelle sie vertreten, das Doppelte des Lohnes zu geben nötig hat, das er einem Kinde gibt", Friedrich Engels 1839 in seinen berühmten "Briefen aus dem Wupperthal". Als Engels geboren (28.11. 1820) wurde ist Barmen noch selbständig. Dort steht eine Statue non ihm, die der chinesische Künstler Zeng Chenggangin geschaffen hat.

Engels war der Sohn eines wohlhabenden Baumwollfabrikanten aus Barmen und ist damals gerade 19 Jahre alt. Am 28. November 2020 jährt sich der Geburtstag des bekannten Kommunisten zum 200. Mal. Die Stadt Wuppertal würdigt ihn mit einer großen Veranstaltungsreihe. Das Geburtshaus wurde 1943 bei einem Bombenangriff zerstört. Es gibt kein Grab von ihm (die Asche wurde verstreut).

Das bergische Land galt früher als das deutsche Manchester. Die Industrialisierung fand hier früher statt als im Ruhrgebiet. Engels Vater hatte im Jahre 1837 ein altes Hammerwerk in Engelskirchen (daher kommt auch der Name des Ortes) erworben und zur Baumwollspinnerei umbauen lassen. Bis zu 600 Menschen, darunter auch Kinder, arbeiteten in der Spinnerei Ermen & Engels. Heute ist das Gelände ein Industriemuseum, wo vom 24. bis 27. September 20 Werke von Künstlern zu diesem Anlass (Geburtstag von Engels) zu sehen sind. Engels wurde auch "Cotton Lord" genannt.

Engels hatte Marx in jeder Hinsicht unterstützt. Er hielt Marx und seine Familie in London aus. Das Geld stammt aus einem Werk der Familie Engels in Manchester. Engels schrieb auch viele Artikel für Marx, die in der New York Tribute unter dem Namen von Marx erschienen. So unterstützte er die Auffassung, Marx habe das Geld selbst verdient. Engels stellte Marx auch Informationen über die Lage der Arbeiter in Manchester und deren Leben zur Verfügung. Er verfasst auch selbst viele interessante und wichtige Abhandlungen.

Sehr aktuell und wichtig ist seine Einschätzung der Nationalökonomie (Volkswirtschaftslehre): "Die Nationalökonomie entstand als eine natürliche Folge der Ausdehnung des Handels, und mit ihr trat an die Stelle des einfachen, unwissenschaftlichen Schacherns ein ausgebildetes System des erlaubten Betrugs, eine komplette Bereicherungswissenschaft", Friedrich Engels, MEW 1, S. 499 (Marx-Engels-Werke, Berlin, Dietz-Verlag, 1956 - 1990, 43 Bände). Auch:  It`s the Economy, stupid".

Engels war in der Schule ein Goethe-Fan. Später veröffentlichte er mit Marx das Kommunistische Maifest. Er wurde polizeilich gesucht. Sein Vater hätte ihn am liebsten in die USA geschickt. Engels war sehr vielseitig: Er war quasi Soziologe, bevor es die Wissenschaft überhaupt gab. Er war ein glänzender Journalist. Er war ein Liebhaber der Fuchsjagd und Weingenießer. In der Kölnischen Zeitung, bei der Marx Journalist war, gibt es einige Beschreibungen von ihm. Barmen im Tal der Wupper, wo die Familie auch lebte, war durch Umweltverschmutzung geprägt. Die Wupper war durch die Abwässer der Färbereien blutrot. Der Vater wollte den begabten Sohn erziehen: er nahm ihn vom Gymnasium und steckte ihn in Bremen in eine Lehre zum Kaufmann. Später schickt er ihn ins Mekka des Kapitalismus nach Manchester. Mit den Erfahrungen schreibt er das Buch "Die Lage der arbeitenden Klasse in England". Später wird Engels Prokurist in Manchester, Marx lebt mit seiner Familie in London. Dort wird er hauptsächlich aus den Einnahmen der Firma in Manchester finanziert. Engels selbst war sehr bescheiden. Im Grunde genommen war er auch Humanist und hätte die Gräuel späterer Revolutionen in Russland und China nicht gutgeheißen. Engels war auch kein Dogmatiker, er dachte aber radikal. Engels war nicht frei von Nationalstolz. "take it easy" sein Motto im  Poesiealbum von Marx` ältester Tochter Jenny. 1895 erliegt er dem Krebs. Seine Asche sollte in Badeort Eastbourne zerstreut werden. Vgl. Staas, Christian: Der Zweite von links, in: Die Zeit Nr. 46, 26.11.2020, S. 19. In wichtigen Ereignissen hat Engels geradezu hellseherische Fähigkeiten gehabt: 1890 schreibt er: "Europa gleitet wie auf einer schiefen Ebene mit wachsender Geschwindigkeit abwärts dem Abgrund eines Weltkriegs von bisher unerhörter Ausdehnung und Heftigkeit entgegen". Ebenso prophetisch sind seine Worte von 1882: "Die Leute, die sich rühmten, eine Revolution gemacht zu haben, haben noch immer am Tag darauf gesehen, dass... die gemachte Revolution jener, die sie hatten machen wollen, durchaus nicht ähnlich sah". Das ist "Ironie der Geschichte" pur (Hegel). Vgl. Fechler, Hans-Ulrich: Menschenfreund und Revolutionär, in: Rheinpfalz, Nr. 278, 28.11.20.

 

Die Genossenschaftsidee von F. W. Raiffeisen - Die ideale Organisationsform in einer digitalen und nachhaltigen Welt? (200 Jahre Raiffeisen-Jubiläum 2018, mit Fokus auf Japan)

"Raiffeisen schrieb nicht das Kapital. Er verpflichtete es", Motto im Raiffeisen-Museum Flammersfeld. Anspielung auf den Unterschied zu Marx. Marx setzte eher auf Konfrontation, Raiffeisen auf Netzwerke und Konsens.

Raiffeisenbegegnungszentrum in Weyerbusch/ Westerwald. Hier war der erste Betätigungsort von Raiffeisen als Bürgermeister (im Kreis Altenkirchen im Norden von RLP). Dort entwickelte er die Idee eines Brotvereins, ursprünglich als Nothilfe für arme Bauern nach Missernten. Daraus entstand später die Raiffeisenbank als Genossenschaft (vgl. ausführlichen Text weiter unten). Hier beginnt auch die historische Raiffeisen-Straße. Genossenschaften erleben heute überall auf der Welt eine Renaissance im Finanzbereich  durch Wertewandel und Energiewende (insbesondere in Brasilien, Indien und Japan). Wahrscheinlich die meisten Besucher in den verschiedenen Gedenkstätten von Raiffeisen (Begegnungsstätte Weyerbusch, Geburtshaus und Deutsches Raiffeisenmuseum in Hamm/Sieg, Raiffeisenhaus Flammersfeld/ 2018 Bundespräsident) sind Japaner.  "Was einer allein nicht schafft, schaffen viele", F. W. Raiffeisen. Das ist heute auch der Grundgedanke der Crowd-Ökonomie (Crowd finance; Mikrokredite).

1. Zur Person und Geschichte: Die Raiffeisenidee geht auf Friedrich Wilhelm Raiffeisen zurück, Sozialreformer und auch Kommunalbeamter. Er wurde 1818 in Hamm/Sieg geboren und starb 1888 in Heddesdorf/ Neuwied (kurz vor dem Ehrendoktortitel der Uni Bonn), wo auch sein Grab ist. Er wuchs ohne Vater auf, stark geprägt von seinem Onkel Seippel, der evangelischer Pfarrer in Hamm/ Sieg war. Raiffeisen musste den Militärdienst früh wegen eines Augenleidens aufgeben. In Weyerbusch/ Westerwald, wo Raiffeisen seine erste Bürgermeisterstelle hatte, entwickelte er 1845 die Idee des Brotvereins (Getreide für Arme auf Kredit; reiche Bürger sind Bürgen). "Er verteilte kein Brot. Er baute ein Backhaus" (Aufschrift im Raiffeisen-Museum Flammersfeld). Von dort ließ er die Historische Raiffeisenstraße bauen (heute B 256), damit die Bauern auch in den Städten verkaufen konnten. Die zweite Bürgermeisterstelle hatte er in Flammersfeld/Ww. Hier gründete er den Hilfsverein für bedürftige Landwirte. Dies war der Kern der Genossenschaft, die heute weltumspannend ist. Zuerst waren die Genossenschaften in der Landwirtschaft (Molkereien, Winzergenossenschaften, Verkaufs-Märkte). Wichtig war der sichere Preis für die Erzeuger. Er hat zwar kein großes Buch geschrieben, aber durch seine praktische Arbeit die Ökonomie beeinflusst wie kaum ein anderer Deutscher. Vgl. Ders.: Die Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung, sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter, Neuwied 1866. Das Buch geschrieben hat praktisch seine Tochter Amalie, die die Diktate ihres Vaters verwertete. Er ist in seiner Wirkung - auch international -  im Grunde genommen der größte deutsche praktische Ökonom nach Marx, wenn auch noch andere die Genossenschaftsidee vorangebracht haben (z. B. Hermann Schulze Delitzsch). Er ist im gleichen Jahr wie Marx geboren und erlebt heute eine große Renaissance (beide haben darin einen Berührungspunkt, dass sich Marx mit der Lage der Winzergenossenschaften an der Mosel seiner Zeit auseinandersetzte; Raiffeisen betrieb nach seiner Pensionierung auch eine Weinhandlung). In der Nazi-Zeit wurde Raiffeisen gegen das Judentum instrumentalisiert. Ihm war es aber um die Bekämpfung des Wuchers gegangen. Weitere Herausforderungen der Zeitepoche waren Missernten und die Realteilung. Vgl. ausführliche Darstellung in Wikipedia und auch Deutsche Friedrich-Wilhelm Raiffeisen-Gesellschaft e. V. Sie wurde 2012 im internationalen Jahr der Genossenschaften gegründet. Interessant auch folgende Institution: Akademie Deutscher Genossenschaften e. V. Montabaur ( www.adgonline.de ) "Man nennt die Vereine nach meinem Namen. Ich habe dieselben indes nicht erfunden. Der erste Verein war ein Kind unserer Zeit, aus der Not geboren. Ich habe nur die Patenstelle übernommen", F. W. Raiffeisen.

2. Organisationsform und Inhalt: Die Genossenschaft ist eine Gesellschaft von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder durch gemeinsamen Geschäftsbetrieb bezweckt (Olfert, Finanzierung, 2013, S. 265).  Prinzip war "Hilfe zur Selbsthilfe" (wie heute bei den Mikrokrediten). 1889 kam ein Genossenschaftsgesetz im Deutschen Reich, das zum Vorbild in vielen Ländern wurde (auch stark geprägt von Schulze-Delitzsch der im Reichstag saß; Gründer der "Schumacher-Assoziation" und von "Volksbanken"). Schultze-Delitzsch war ökonomischer ausgerichtet. Er stellte das Handwerk in den Mittelpunkt (Zusammenschuss Schwacher, Abbau von Fremdbestimmung).  Raiffeisen war Sozialreformer, Helfer der Armen, Vater des Raiffeisengedankens, Begründer der Genossenschaftsidee. Heute gibt es in Deutschland nicht nur die regionalen Raiffeisenbanken, sondern auch die Deutsche Zentrale Genossenschaftsbank (DZ, Berlin, Frankfurt) und die WGZ-Bank als überregionale Banken. Die Organe der Genossenschaft sind Generalversammlung, Aufsichtsrat, Vorstand. Genossenschaften sind Zusammenschlüsse vieler Personen, die ein Geschäft betreiben wollen. Vorrangig geht es nicht um Gewinn, sondern um Vorteile für alle Beteiligten. Das Credo der Genossenschaftsidee ist: Eigenverantwortung durch Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung.  Das Revolutionäre seiner Idee liegt darin, Kredite und Geschäftsanteile als soziales Bindemittel zu sehen. Kreditgeber und Kreditnehmer sind Mitglieder. Es herrscht Symmetrie der Macht. Die Mitglieder helfen sich selbst, es fließen keine Mittel an Investoren. Das Motto lautet "Hilfe zur Selbsthilfe", Mildtätigkeit reicht nicht aus. Menschen verfolgen nicht nur egoistisch wirtschaftliche Ziele, sondern können partnerschaftlich zusammenarbeiten und kooperieren bei Geschäftsprojekten. Das schont ganz erheblich Ressourcen. Die Genossenschaftsidee ist damit auch nachhaltig. Versucht man die Genossenschaftsidee auf den Punkt zu bringen, besteht sie aus drei Prinzipien: Selbstversorgung (Menschen nehmen ihre eigenen Interessen in die Hand), Selbstverwaltung (jedes Mitglied hat das gleiche Stimmrecht), Selbstverantwortung (alle Mitglieder haften für die Genossenschaft). Die Genossenschaft ist von der Finanzierung her ein Beteiligungsmodell. Jedes Mitglied zahlt in das Genossenschaftsvermögen ein und erhält Anteile. Sie bilden das Eigenkapital des Unternehmens. Jedes Mitglied hat eine Stimme unabhängig von der Höhe der Einlage (anders als bei der AG). Entscheidungen dauern länger, haben aber eine breitere Basis.  Genossenschaftlicher Bankensektor in Deutschland: Es gibt in Deutschland 2016 1026 Volks- und Raiffeisenbanken. Sie vertreiben Finanzprodukte und geben Kredite. Eigentümer sind 18 Millionen Mitglieder. Die Volks- und Raiffeisenbanken sind Eigentümer der DZ Bank, von schwäbisch Hall, Union Investment, Reisebank, R + V Versicherung und VR Leasing. Die Bilanzsumme der Volksbanken lag 2014 bei 788 Mrd. Euro. Die Zahl der Mitarbeiter betrug 158.700. Aber immer mehr Volks- und Raiffeisenbanken schließen sich zusammen. Gründe sind der wachsende Kostendruck, die aufwendigen Auflagen der EU und das dauerhafte niedrige Zinsniveau. 2016 ist die Zahl der Genossenschaftsbanken unter 1000 gerutscht. 70 Fusionen könnten noch bis 2017 (ab 2016) dazu kommen. Die Krisenstrategie läuft also über Fusionen.

3. Wirkung in der Praxis international sowie in der zukünftig digitalen und nachhaltigen Welt:  Aus Anlass des 150. Geburtstages Raiffeisens wurde 1968 im Rahmen des Welt - Raiffeisentages in Neuwied die IRU (Internationale Raiffeisenunion) gegründet. Ihr gehören heute 61 Mitgliedsorganisationen in 36 Ländern an.  Raiffeisen ist außerordentlich bekannt in Japan und Indien sowie Brasilien (auch in Österreich, der Schweiz, Tansania, USA, Kanada, Mexiko, Kolumbien; starker Tourismus aus diesen Ländern in den Wirkungsstätten). Im Jahre 2016 wird das Genossenschaftswesen als erste deutsche Kulturform in das Immaterielle Kulturerbe der UNESCO aufgenommen (Antrag 2014). In Deutschland gibt es 2018 über 8000 Genossenschaften. In über 100 Ländern sind heute mehr als 900 Mio. Menschen in rund 900.000 Genossenschaften organisiert.  Heute wird die Idee auch im Energiebereich umgesetzt (Solarparks, Windparks; z. B. Maxwäll - Energiegenossenschaft).  Die Genossenschaftsidee ist Grundlage der Sharing Economy und anderer neogenossenschaftlicher Plattformen heute in der digitalen Revolution. Machtsymmetrie, Werteteilung der Kreditgeber, Schwarm, auch Mitgliedschaft und Mitsprache der Kreditnehmer, keine Gewinnorientierung passen ideal. Hierzu entwickele ich zur Zeit einen Vortrag, der die Möglichkeiten der Genossenschaftsidee in der digitalen Welt einschätzt. Die Genossenschaftsidee ist weiterhin ein Modell für nachhaltigeres Wirtschaften. "Das Geld des Dorfes dem Dorfe", Raiffeisen (Wertschöpfungsketten, die regional nachvollziehbar sind). Die Anreizstrukturen sind auf langfristiges, bedarfsorientiertes Wirtschaften ausgelegt. Genossenschaften haben eine soziale Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern. Das Genossenschaftswesen wurde im 19. Jahrhundert begründet, in einer Zeit mit revolutionär sich vollziehendem Umbruch. Säkularisierung, Bauernbefreiung, Aufhebung des Zunftzwangs boten neue Chancen, aber auch Risiken. Diese Zeiten des Wandels ähneln in ihren Auswirkungen den heutigen Veränderungen in der Digitalisierung.  Es wäre durchaus vorstellbar, die privatisierten, ehemals staatlich gemeinnützigen Unternehmen (Stadt- und Regionalverkehr, Krankenhäuser, Wasserwerke, E-Werke, Badeanstalten) wieder in Dasein vorsorgende Unternehmen umzuwandeln gemeinnützige Genossenschaften. Fast jeder zweite Anleger des Windkraftbetreibers "Prokon" will bei einer Genossenschaft mitmachen.  Das sind rund 36.000 Genussscheininhaber (keine Rückzahlung, stattdessen Investition). Das Genusscheinmodell war durch Insolvenz gescheitert. 973 Energiegenossenschaften waren Ende 2014 in Deutschland registriert. Die Genossenschaftsidee ist in der Globalisierung stark auf dem Vormarsch: 2004 gab es 5470 Genossenschaften in Deutschland. 2017 sind es mehr als 8000 (Banken-, Agrar-, Energie- und Wohnungssektor sowie Mikrokreditprogramme). Die Idee ist sehr erfolgreich in Japan, Indien und Brasilien. Weltweit gehören heute mehr als 1 Mrd. Menschen Genossenschaften an. Vgl. auch: J. Blome - Drees/ Ingrid Schmale: Genossenschaft innovativ. Genossenschaften als neue Organisationsform in der Sozialwirtschaft, Springer Verlag 2016. In der Pfalz ist die Pfalzmarkt-Genossenschaft am größten. Sitz ist Mutterstadt. Der Umsatz soll 2018 auf 150 Millionen Euro steigen. Derzeit 2018  gibt es 160 Mitarbeiter. Die bekanntesten Genossenschaften in Deutschland dürften 2017 Edeka, Rewe und Datev sein. Genossenschaften stellen auch ein Modell für die Nachfolge dar: Mitarbeiter können eine Genossenschaft gründen. 2019 warnt die Stiftung Warentest vor schwarzen Schafen bei Genossenschaften. Dubiose Geschäftemacher wollen das gute Image der Genossenschaften ausnutzen.

4. Focus auf Japan:  International ist die Genossenschaftsidee sehr verbreitet in Japan (noch bekannter als bei uns, seit dem deutschen Kaiserreich; weiterhin hat sie sich in Asien in China, Laos, Indien und Korea ausgebreitet). Japan hat immer noch 54 Atomkraftwerke. Japan war nach USA und Frankreich drittgrößter Atom-Produzent. Nach Fukushima 2011 waren alle Anlagen außer Betrieb. 2014 kommt die Rücknahme des Ausstiegs, weil Alternativen nicht reichen. Eine der besten Alternativen wären alternative Energieprojekte, genossenschaftlich organisiert. Die kollektivistische Kultur Japans wäre dafür gut geeignet. Tatsächlich erlebt die Genossenschaftsidee im Bereich alternativer Energien in Japan eine Renaissance. Im Jahre 2014 ist der Stand wie folgt: 10%; Sonne, Wind, Wellen, feuriger Untergrund; Quelle: WWF. Japan hat viele gute Voraussetzungen für die Nutzung alternativer Energie (bis 2050 Investitionen von 73 Mrd. Euro). Subventionierung vom Staat. Probleme:  Wassertiefe; feuriger Untergrund als Bäder und Heilquellen genutzt (Kultur, Shintoismus, Hygiene). Sonne und Wind. Flächenproblem/ dichte Besiedelung; Wellen. Netzmonopolisten speisen den sauberen Strom nicht ein (Zank über Bau von Stromtrassen). Schwierige Entscheidungsprozesse in Japan. Einfluss der Atom-Lobby. Kostenproblem. Vernetzung und Einkauf aufgrund der Insellage schwierig. Politische Konstellation (Konflikte mit China und Russland). Bevölkerung: Proteste haben nach Anstieg von Strompreis (Energiepreise in 3 Jahren um ein Viertel gestiegen) nachgelassen. Immer noch ist die Mehrheit aber gegen die Atomkraft. Hierzu habe ich eine ausführliche Power-Point-Präsentation (gezeigt bei der Energie-Arbeitsgruppe der HS Lu). Raiffeisenidee und Kollektivismus der Kultur in Japan passen hervorragend zusammen. Die engen Beziehungen des deutschen Kaiserreichs brachten das Raiffeisenmodell früh nach Japan. Die Energiewende führte zu einer Renaissance. Im Todesjahr von Raiffeisen wurde im fernen Japan ein Mann geboren, der in seine Fußstapfen trat: Toyohiko Kagawa (1888-1960). Er wollte sogar einen genossenschaftlichen Staat. Er wurde zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert. Er unterteilte die Genossenschaften in sieben Prinzipien: Versicherungsgenossenschaft, Produktionsgenossenschaft, Vertriebsgenossenschaft, Kreditgenossenschaft, gegenseitige Hilfsgenossenschaft, Versorgungsgenossenschaft, Verbrauchsgenossenschaft. Er ging davon aus, dass die Genossenschaften ihre Wirkung erst dann voll entfalteten, wenn sie das gesamte Wirtschaftsleben prägten und sich komplementär ergänzten. Vgl. Kurz, Carl Heinz: Toyohiko Kagawa. Der Samurai Christi, Brunnen Verlag 1955. Seine Gesamtkonzeption wird heute "Bruderschaftsökonomie" genannt. Der Kooperationsgedanke der kollektivistischen Kultur Japans (aber auch in anderen Ländern Asiens, siehe oben) passt idealerweise zur Raiffeisenidee.

"Was einer allein nicht schafft, schaffen viele", F. W. Raiffeisen.

 

"Vom Land der aufgehenden zum Land der untergehenden Sonne?"

Der langsame Abstieg Japans in einer lang andauernden  ökonomischen Krise. Was können die EU und Deutschland daraus lernen?  Der japanische Kaiser schickte einst 600 n. Chr. eine Depesche an den chinesischen Kaiser. Er eröffnete diese mit dem Titel dieser Analyse: Der Himmelssohn vom Land der aufgehenden Sonne (Japan, eigentlich "Ursprung der Sonne") an den Himmelssohn vom Land der untergehenden Sonne (China). Der Satz sollte Anspruch auf Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit ausdrücken.  Den Satz habe ich sozusagen "geklaut" und ihn in zeitlicher Bedeutung auf Japan allein angewandt.

"Niemand hat Japan jemals beschuldigt, es einem leicht zu machen, Japan zu verstehen", Winston Churchill (britischer Premierminister, auch während des 2. Weltkriegs).

"Ganz Japan ist eine Erfindung", schrieb der englische Schriftsteller Oscar Wilde im Jahre 1889

"Kuki wo Yomu": Einfühlungsvermögen, auf andere einzugehen. Kollektive Anpassungsbereitschaft. "Die Luft lesen": intuitiv erfassen, was die Umgebung denkt und will. Diese Eigenschaft gilt als die größte Stärke der japanischen Bevölkerung und Kultur. Als zweite wichtige kollektive psychologische Fähigkeit gilt die schnelle Rückkehr zum Alltag nach Katastrophen.

Seit einigen Jahren gibt es die "Deutsch-Japanische Gesellschaft Vorderpfalz". Ursprünglich war das Projekt gedacht als Unterstützung für die Erdbebenkatastrophe 2011. Jetzt ist es Plattform für interkulturellen Austausch.

  Bild vom berühmten Thunfisch-Markt in Tokio (Tsukiji; auch Thunfisch-Auktion). Er muss 2018 nach mehr als 80 Jahren umziehen. Gründe waren die Enge und die Tausenden von Ratten, die sich in den Kanälen von den Fischabfällen ernährten. Viele Japaner wollen auch den alten Markt noch als Weltkulturerbe der Unesco erhalten, weil in dem Viertel viele Sushi - Kneipen, Nudelstände und Mini-Shops liegen. Nach langen Verzögerungen und vielen Querelen wird der neue Markt am 14.12.2018 wieder an anderer Stelle eröffnet. In erster Linie ziehen Groß- und Zwischenhändler ein. Direkt neben dem alten Markt werden die besten Messer der Welt verkauft.  Der Thunfischfang weltweit ist mittlerweile sehr umstritten wegen Überfischung. Seit den 60er-Jahren ist der Bestand an Blauflossenthunfisch um 97% zurückgegangen. Japan hat eine der größten Flotten. Es werden aber auch Thunfisch-Farmen in der ganzen Welt von Japan betrieben. Beim Walfischfang will Japan nicht zurückstecken und tritt ab 2019 aus der internationalen Walfang-Kommission aus. Japan erlaubt so wieder die kommerzielle Jagd. Walfischfleisch wird in Japan überwiegend von älteren Menschen gegessen, die diese Ernährung aus der Nachkriegszeit kennen. Der Thunfisch-Konsum und auch der Walfisch-Konsum sind als Gewohnheit fester Bestandteil der japanischen Kultur. Früher gingen die Männer noch täglich von Tür zu Tür und riefen: "Wal, frischer Wal!". Der Fischfang steht hier symbolisch für das Beharren auf Tradition, was den Menschen in Japan auch in der Wirtschaftskrise zugleich hilft und schadet (vgl. die Erläuterung weiter unten bei 2.). Am berühmtesten ist die jährliche Neujahrsauktion. 2019 ersteigert Kiyoshi Kimura, Chef der japanischen Sushi-Kette Sushi Zanmai, den teuersten Thunfisch: 2,7 Mio. € für 278 Kilogramm (als Werbung für seine Kette gedacht). Ebenfalls eine lange Tradition in Japan hat Algenfischerei. Eine ganz besondere Rolle spielt der Kombu. Der Riementang wird im Sommer vor den Küsten Hokkaidos aus dem Wasser gezogen. Aus ihm wird Dashi, die Urbrühe gewonnen (stark mit Mineralien angereichert, Grundlage für die Ernährung der Japaner)). Es sind mehrere Arbeitsschritt erforderlich. In Thunfisch wird immer noch Quecksilber gefunden. Es schädigt das zentrale Nervensystem. Die Belastung mit dem giftigen Schwermetall ist bei Raubfischen anhaltend hoch.

0. Vorgeschichte: Mit dem Plaza-Abkommen 1985 geriet das Exportwunder von Japan in Gefahr. Die Vereinigten Staaten fürchteten damals aufgrund des starken US-Dollar um ihre Wettbewerbsfähigkeit und einigten sich mit den damaligen G5-Staaten auf eine Aufwertung des japanischen Yen und der Deutschen Mark im Vergleich zur Weltleitwährung. Dadurch gerieten in den Folgejahren die japanischen Exportunternehmen unter Druck. Daraufhin weitete Japan seine Staatsausgaben massiv aus und die japanische Zentralbank  (BoJ) senkte die Leitzinsen.  Angetrieben durch die zunehmende Liquidität floss mehr Kapital an die Tokioter Börse. Diese expandierte wie auch der Immobilienmarkt. Auf den Boom folgte 1989 der große Knall (Börsencrash, Asienkrise). Es begann ein Jahrzehnt des Stillstands. Darauf folgen die "verlorenen Dekaden", wie man die Jahre in Japan nennt. Die japanische Zentralbank hatte schon 1999 den Hauptrefinanzierungsatz auf null gesenkt, wo sie ihn mit geringen Schwankungen beließ. 2001 wird aus dem äußerst erfolgreichen Miti das Meti (das aber nicht an die Erfolge anknüpfen kann; offenbar wirkt staatliche Industriepolitik vor allem bei stark aufholenden Volkswirtschaften). Im gleichen Jahr kam das große Kaufprogramm für Wertpapiere. 2012 kommt dann Abenomics, das eine Belebung bringen soll. Seit 2013 forcierte die japanische Notenbank vor allem die Ankäufe von Staatsanleihen (das hat die EZB auch gemacht). Ihr Bilanzvolumen liegt 2018 bei rund 100 Prozent des BIP, 1990 waren es nur 9,3%. Das billige Geld nutzte vor allem den Reichen in Japan. Sie haben Immobilien in Tokio und investierten in den US-Aktienmarkt. Japans sparfreudige Mittelschicht hat mit fallenden Zinsen auf Bankeinlagen zu kämpfen. Statt 3,6% wie 1990 gibt es 2018 0,3% Zinsen.

1. Problem: Langsamer Abstieg: Japans Wirtschaft, die lange Zeit als unbesiegbar galt, befindet sich seit Jahrzehnten in einer Abwärtsspirale. Die Stagnation verändert den Alltag und die Gesellschaft in Japan, das sich tief greifender Reformen verweigert (zu langsamer Strukturwandel). Japan ist weit davon entfernt, eine neue Vision für das postindustrielle Zeitalter zu haben. Das Land ist nicht mehr Vorbild in der Forschungs- und Technologiepolitik (besonders die EU hatte Japan als Vorbild in der Industriepolitik). Es tut sich besonders schwer damit, sich von seinem überkommenen Erfolgsmodell zu verabschieden, sich zu erneuern und seine Wirtschaft umzubauen. Vgl. Wieland Wagner: Japan. Abstieg in Würde. Wie ein alterndes Land um seine Zukunft ringt, DVA, München 2018. Was dieses Buch so interessant macht, ist, dass wir in Deutschland und Europa viel daraus für uns lernen könnten. Man spricht bei dem Abstieg auch von einer stillen Zeitenwende. Aber das Land ist verunsichert. Vgl. Wagner, Wieland: Stille Zeitenwende, in: Der Spiegel 15/ 8.4.23, S. 82f.    Daten: Das Wirtschaftswachstum bleibt seit Jahrzehnten gleich, wächst leicht oder geht zu zurück. Die Gesamtverschuldung des Landes ist extrem hoch (ca. 230%). Die Investitionen sind zurückgegangen, der Konsum hält sich in Grenzen wegen der hohen Sparquote. Seit 2013 forcierte die japanische Notenbank vor allem die Ankäufe von Staatsanleihen. Ihr Bilanzvolumen liegt 2018 bei rund 100 Prozent des BIP, 1990 waren es nur 9,3%. Das billige Geld nutzte vor allem den Reichen in Japan. Sie haben Immobilien in Tokio und investierten in den US-Aktienmarkt. Japans sparfreudige Mittelschicht hat mit fallenden Zinsen auf Bankeinlagen zu kämpfen. Statt 3,6% wie 1990 gibt es 2018 0,3%.  Die radikale Handelspolitik von Trump trifft Japan sehr stark und zieht das Land weiter nach unten. Zum Glück kann ein Abkommen mit der EU ausgehandelt werden. 2018 kommt es zu einem Kurseinbruch japanischer Aktien. Im 1. Quartal 2020 bricht die Wirtschaft ein (Taifun, Handelskrieg der USA, Mehrwertsteuererhöhung, Corona-Virus). Vgl. auch: Takatoshi Ito/ Takeo Hoshi: The Japanese Economy, MIT Press 2020. Auch im zweiten Quartal 2020 sackt Japans Wirtschaft weiter ab. Die Exporte sind so stark eingebrochen wie seit zehn Jahren nicht mehr. Hintergrund ist die stark gesunkene Nachfrage nach japanischen Autos und anderen Industriegütern wegen der Pandemie. Im Oktober 2020 liegt die Preisentwicklung bei -0,7% (Verbraucherpreise). Damit sind die Preise so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr gefallen. Die Zentralbank strebt eigentlich eine Inflationsrate von etwa 2% an. Es wächst die Angst vor einer Rückkehr der Deflation. Ende 2020 steht der Nikkei-Index vor neuen Rekorden (Gründe: Erste Impfungen gegen Corona, US-Wahlausgang, Brexit-Abkommen, Erholung der Wirtschaft/Tankan positiv). Gegen Ende Februar 2021 beflügelt das Wachstum der Wirtschaft den Aktienmarkt: Der Leitindex Nikkei steigt erstmals seit mehr als 30 Jahren um 1,91%-Punkte auf über 30.000 (30.084,15). Im vierten Quartal 2020 ist das BIP um 3,0% gewachsen (im ganzen Jahr 2020 schrumpfte die Wirtschaft wegen Corona um 4,9%). Treiber des Wachstums war der Export (+11,1%; privater Konsum +2,2%). 2021 wächst das BIP moderat um 1,7% (nach 2 Jahren Schrumpfung). Beim Konsum wirkte noch immer die Erhöhung der Steuer 2019, auch die privaten Investitionen stiegen nur leicht, der Immobilienbau schrumpfte. Corona machte der Wirtschaft zu schaffen. Japan sehnt sich nach Inflation (wie sie mittlerweile die meisten Staaten der Welt erreicht hat), verharrt aber weiter in Deflation. 2023 wird Japan voraussichtlich in der Rangfolge der größten Volkwirtschaften vom dritten auf den vierten Rang zurückfallen. Damit rückt Deutschland auf den dritten Platz vor, obwohl seine Wachstumsraten gering sind. Grund ist der Rückgang der Landeswährung Yen. Diei Berechnung stammt vom IWF, 2024 (4,43 Billionen $ D; 4,23 Billionen $ N)

2. Kultur als Rahmenbedingung der Stabilisierung:  Dass die japanische Gesellschaft an ihren ungelösten Herausforderungen nicht zerbricht, lässt sich vor allem auf kulturelle Rahmenbedingungen zurückführen . Die Japaner legen großen Wert auf Konsens und Harmonie (Quelle: Konfuzianismus). Vgl. meinen Aufsatz zur Kultur Japans: Das Japan - Paradoxon. Gedanken über den Zusammenhang zwischen Kultur und Wirtschaft anlässlich einer Japan-Reise, in: Update 6 (FH Mainz, Fb. Wirtschaftswissenschaften, SS 2008), Mainz  2008, S. 30 - 35. 2017 kommt ein Gesetz in Japan, dass dem Kaiser die Abdankung erlaubt. Damit kann Akihito die Krone an seinen Sohn Naruhito weiterreichen. Sollte Tochter Prinzessin Mako einen Bürgerlichen heiraten, muss sie vom Gesetz aus, den Hof verlassen. Das könnte das Ende des Kaisertums in Japan sein. Japans Kaiserenkelin Mako verlobt sich im September 2017 mit einem Bürgerlichen. Am 30.04.2019 wird Kaiser Akihito den Chrysanthemen-Thron aufgeben und seinem ältesten Sohn Prinz Naruhito überlassen. Das Ritual ist geprägt von prächtigen Kimonos, einem Eid auf die japanische Verfassung und den "Drei Heiligen Schätzen" (mystischer Spiegel, legendäres Schwert, Juwel; Symbole der 2600 Jahre alten Dynastie). Nach dem Shintoismus, der wichtigsten Glaubensströmung (Naturphilosophie) in Japan, stammt der Kaiser direkt von den Göttern ab. Der 126. Tenno von Japan besteigt den imposanten und aufwendig restaurierten Takamikura-Thron. Der 6,5 Meter hohe und acht Tonnen schwere Herrschersitz dient bereits drei japanischen Kaisern als Symbol der Machterlangung. Zweiter in der Thronfolge ist Prinz Akishino, der Bruder. Er hat vier Kinder, die jetzt an dritter Stelle in der Thronfolge stehen.

Wichtig für den Aufstieg war die Meiji-Restauration: Eine Phase in der Geschichte Japans, die als Vorbild für den Aufstieg Asiens insgesamt gilt. 1868 (vor 150 Jahren) wurde der "Fünf-Artikel-Eid" unterzeichnet. Es handelt sich um ein Regierungsprogramm, das Japan den Anschluss an die übrige Welt ermöglichen sollte. Zum ersten Mal brach ein asiatisches Land ins Zeitalter des Fortschritts, der Technik und der Industrie auf. Bislang hatte nur Hierarchie und Tradition gegolten, ebenso Abschottung von der Welt; jetzt war die politische, geistige, gesellschaftliche und wirtschaftliche Öffnung angesagt. Sinn war aber auch die Bewahrung und Selbstbehauptung von Monarchie und Staat. Sehr stark war in dieser Zeit der Einfluss des kaiserlichen Deutschlands. 1878 bekam die japanische Armee einen Generalstab nach preußischem Vorbild. Auch die japanische Verfassung ließ sich von Preußen inspirieren. Japan erhält so eine effiziente Verwaltung, zeitgemäßen Postdienst, öffentliches Schulwesen. Die Wehrpflicht wird eingeführt. Die Fundamente einer modernen Industrie werden gelegt.  Es war der Aufbruch in eine multipolare Welt. Japan ist bis heute Modell für den Aufstieg anderer Länder  in Asien. Deng Xiaoping folgte dem Rezept in China. Die Tiger-Staaten orientierten sich auch daran. Vgl. auch: Jan Ross, Als Japan preußisch wurde, in: Die Zeit, Nr. 9, 22.02.2018, S. 22. Der Strukturwandel im Land bringt viele Probleme mit sich. Die starke Zunahme prekärer Beschäftigungsformen steht im Widerspruch zur hohen Bedeutung der Arbeit. Die Rolle der Frau und ihr Wandel belastet viele Frauen. Viele wollen als Singles in den großen Städten leben.  Die starke Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik verhindert wichtige Reformen. Die Parteien sind sehr zerstritten. Die Solidarität in der Gesellschaft bröckelt.

Wichtig für die Stabilität im Abstieg ist "Nemawashi": der japanische Ausdruck für das allgegenwärtige Streben nach Konsens und Harmonie gilt als einer der Hauptgründe für den wirtschaftlichen Aufstieg nach dem 2. Weltkrieg. Dieses System verlangt sehr viel Kommunikation und ist extrem zeitintensiv. Shitsurei - Entschuldigen Sie. Das Senioritätsprinzip wird traditionell immer noch hoch geschätzt, wenn es auch in großen internationalen Unternehmen im Abbau begriffen ist Es geht wie Gruppengeist und Loyalität unter anderem auf die Samurai zurück, die auch die Gründer einiger  erfolgreicher Firmen waren (z. B. Honda, Mitsubishi). Andererseits hat die Individualisierung der Gesellschaft alle Industriestaaten ergriffen und auch Japan wird sich dieser Entwicklung nur bedingt entziehen können. Vgl. auch Wieland Wagner: Die Luft lesen, in: Der Spiegel 1/2019, 29.12.2018; S. 84ff.  "Der Gewalt auszuweichen ist Stärke", Laotse. 2017 muss sich in einer japanischen Schule in Japan eine Schülerin die Haare ganz schwarz färben. Die Schulleitung beruft sich auf die geltende Regel der Uniformität. Die Eltern der Schülerin gehen vor Gericht.

Aber auch der Konfuzianismus, der generell das Herrschaftssystem in Japan legitimiert, sorgt für eine Grundstabilität. Vgl. Krämer, Werner: Chinesische Marxismus-Rezeption und die Beziehung zum Konfuzianismus, in: Forum für Weltreligionen/ Uni Wien (Hrsg.): Monotheismus: Interreligiöse Gespräche im Umfeld moderner Gottesfragen, Hermann Stieglecker-Projekt, Wien 2019 (voraussichtlich Ende des Jahres).

Exkurs: Fünf Elemente der Welt und Kultur Japans: Die Lehre von den fünf Elementen kommt in den Naturströmungen Asiens und in den Religionen vor. Man findet sie in Daoismus und Shintoismus. Die fünf Elemente sind Erde, Wasser, Feuer, Luft, Leere (Geist, Weisheit). Sie werden in der Regel in einer Fahne verkörpert, wo jedes Element eine Farbe darstellt. Japan als fragile Inselkette, die Taifunen, Tsunamis und Vulkanausbrüchen ausgeliefert ist, hat ein besonderes Verhältnis zur Natur, das durch Furcht, Respekt und Liebe geprägt ist. Von jedem dieser Elemente gehen Entwicklungen aus, die noch heute die Kultur Japans prägen: 1. Feuer: Japan ist das Land der aufgehenden Sonne. Genauer müsste man sagen, der Geburtsort der Sonne. So hat man eine unerklärbare Beziehung zur Sonne, die für Vergangenheit und Gegenwart steht. Der Fuji, ein Vulkan, steht neben der Sonne als zweites Symbol für Feuer. Er ist der Nabel/ Kern des Landes. Auf ihm leben die Götter, von denen der Kaiser seinen Ursprung ableitet (Animismus). Der Fuji schläft seit über 300 Jahren, in seiner Nachbarschaft gibt es noch über 100 aktive Vulkane. Fesutsu, die Kunst des Feuerwerks, steht für Feuer. Man nimmt Riesenbambus. Schneidet ihn auf 90 bis 110 cm ujd umwickelt sie mit Seilen. Dann füllt man die Rohre mit Schießpulver (800 g) und etwas Eisen. Es ist eine Kunst, die von Meistern an die Jugend weitergegeben wird. Gleichzeitig ist es eine Mutprobe Wenn Feuer sich mit Erde verbindet, ergibt sich etwas Spezielles. Der Sakurajima (Kagoshima) ist der berühmteste noch aktive Vulkan. Auch die Onzen, die heißen Quellen , stehen für diese Verbindung.  Feuer ist Kraft, Macht und Sieg. Das symbolisiert auch die Schmiedekunst. Die Krönung ist das Katana. Es ist das Schwert der Samurai. Höchste Schönheit ist die Funktion. Es muss schneiden. Das Schmiedefeuer beherrschen heißt Konuli: Licht des Stahls. Eisen zum Leben erwecken. 2. Erde:   Reis ist das Hauptprodukt. Er ist der Sockel der Kultur. Ursprünglich wurde der Anbau per Hand gemacht. Heute ist er weitgehend mechanisiert. Der Reis steht nicht nur für Boden, sondern auch für die Verbindung zu Wasser und Feuer (Sonne). Die Erde bietet weitere Schätze. So etwa Ton. Japan ist mit führend im Handwerk der Töpferei. Kunstwerke entstehen in Verbindung mit Feuer. Verehrt werden Pflanzen, vor allem die Blüten. Der Frühling ist deshalb die wichtigste Jahreszeit. Hamabi heißt die Blume betrachten. Sakora ist die Kirschblüte, die als Symbol für Leben und Vergänglichkeit gilt. Ein weiteres wichtiges Produkt der Erde ist der Tee. Tee ist Bestandteil des täglichen Lebens. Er dient der Kommunikation in der Familie. Tee führt zu Empathie, um über den anderen nachzudenken. Ein weiteres wichtiges Produkt ist Wasabi. Es ist die Delikatesse Japans. Es wächst in den Tälern. Es steht für den Winter, weil es schon im Winter erblüht. Zusammen mit sprudelndem Wasser wird es angebaut (eine große Kunst, richtiges Gefälle). 3. Wasser: In der uralten Religion der Shikas hat Wasser als Gottheit den höchsten Rang. Das Meer ist der größte Ernährer in Japans. Ein Produkt ist z. B. die Auster. Austernbänke werden auf Jacobsmuscheln angebaut. Die Austern werden nicht gefüttert. Hiroshima ist das Zentrum der Austernzucht. Ein weiteres Produkt ist Salz. Es gibt Salzgärten am Meer. Aus Meerwasser, Sand und Wasser entsteht Salt nach alten Rezepten der Alchemie. Kraniche, die Wasservögel, sind das Wahrzeichen Japans. Sie galten fast als ausgestorben. Heute sind sie geschützt. Sie tanzen im Februar und bleiben ein Leben lag zusammen.  4. Geist/ Leere: Es ist so was wie die Gesamtheit der Elemente. Leere steht für Überschreitung. Kyoto ist ein wichtiges Symbol dieses Geistes. Die Beherrschung des Geistes zeigt sich in vielen Ritualen: Einmal im Sport. Freitauchen (nur eigener Atem), Bogenschießen, Karate und Kendo sind hochgeistige Sportarten. Sie erfordern höchste Konzentration. Auch die Kultur der Geishas steht für den Geist. Ursprünglich waren es nur Männer. Heute sind es in der Regel nur Frauen. Meikos sind die Personen, die sich in der Kunst üben.  Iwanikadori ist das Theater mit Masken. Es ist eine uralte Kunst. Sie zeigt die uralte Weltanschauung vom Kampf des Guten gegen das Böse. Wallfahrtsorte als Quellen des Geistes sind wichtig in Japan. Der berühmteste ist Shikoku (kleinste Insel Japans, man pilgert in weißer Kleidung und Rundhüten). Man sollte zu Fuß gehen.

3. Theoretische ökonomische Analyse: Liquiditätsfalle und Säkulare Stagnation (Secular Stagnation): Japan geriet 1990 in die Liquiditätsfalle, wie Keynes sie theoretisch beschrieben hatte. Im Gefolge der großen asiatischen Finanzkrise war der Immobilienboom in sich zusammengefallen. Die Immobilienfirmen kollabierten und mit ihnen die Banken. 40% der Banken mussten bis 1997 durch Staatsbeteiligungen oder Übernahmen gerettet werden. Die japanische Notenbank ließ die Zügel immer lockerer. Man kam in eine Situation der Liquiditätsfalle. In dieser Falle hat die Geldpolitik ihre Wirksamkeit vollkommen verloren, weil das neue Geld den Weg zu den Investoren wegen der fehlenden Möglichkeit weiterer Zinssenkungen nicht finden kann und sofort in den Geldhorten versickert. Vgl. J. M. Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Money.., Kapitel 15, III (2).

Das Wirtschaftswachstum eines Landes bleibt weiterhin über einen längeren Zeitraum sehr gering. Das trifft auf Japan zu. Ursachen dafür können sein: Fehlende Investitionen, hoher Entwicklungsstand (Sättigung), steigende Einkommensungleichheit, geringer technischer Fortschritt, geringes Bevölkerungswachstum. Die Zinssätze liegen nahe Null und die Nachfrage fällt aus. Hinzu kommen als Faktoren falsche Statistik (China; Zahlen in der Internetökonomie irreführend), Schuldenfalle und zunehmender Nationalismus. Vgl. Thieß Petersen: Säkulare Stagnation, in: WISU 1/2016, S. 52ff. Der Begriff wurde von dem Ökonomen Alvin Hansen während der Großen Depression geprägt. Er wurde dann von Larry Summers und Paul Krugman in neuerer Zeit wieder aufgegriffen. Die eigentlich Hypothese der Säkularen Stagnation wird aber dem US-Ökonomen Robert Gordon zugerechnet.  "Das Anwerfen der Notenpresse und kreditfinanzierte Konjunkturprogramme leisten neuen Finanz- und Schuldenkrisen Vorschub", Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank, 2016 (s. Wiwo 37, 9.9.16, S. 41). Alvin Hansen, ein Ökonom in den USA, hat in den 1930er Jahren das Phänomen ausführlich analysiert: Er spricht auch von "säkularer Stagnation" im Sinne eines dauerhaften Überhangs der Ersparnisse über die Investitionen. Hansen schlägt schon dauerhafte Staatsdefizite dagegen vor. Vgl. A. Hansen: Full Recovery or Stagnation? New York 1938. Hinzu kommen noch andere Einflussfaktoren, die im Folgenden erläutert werden:

2022 übt ein Philosophieprofessor ökologische Kritik am Kapitalismus, die auf Marx basiert. Es ist Kohei Saito. Er plädiert für Schluss mit Wachstum. Der vorhandene Wohlstand müsse besser verteilt werden.

4. Überalterung (Bevölkerung, Arbeitsmarkt): Japan ist zur Zeit die älteste Nation der Welt (Prognose: in den nächsten 50 Jahren soll die Bevölkerung um 40 Mio. abnehmen, bis 2050 soll der Anteil der über 65-Jährigen von heute 21% auf 41% wachsen! Die Geburtenrate ist in Südkorea noch niedriger). 2005 ist die Bevölkerung erstmals seit dem 2. Weltkrieg geschrumpft; Bevölkerungsdichte: 336 je qkm. Nur noch knapp 17 Mio. sind unter 15 Jahre alt. Ein Viertel der Japaner ist 2011 über 65 Jahre alt. Gut ein Viertel der Bevölkerung sind 2017 65 Jahre und älter. 2030 sind nur noch 57% aller Japaner im erwerbstätigen Alter. Die älteren Menschen werden also gebraucht. In Japan arbeiten so viele Senioren wie in keinem anderen wohlhabenden Land. Von 34 Mio. Rentnern haben 2016  12,6 Mio. einen Job.  Einflussfaktoren sind Geld, Arbeitsethos (vollen Einsatz für den Job) und die Ehefrau (strenge Arbeitsteilung der Geschlechter). Altersbedingt steigen die Sozialausgaben (insbesondere Renten - Ausgaben). Die japanischen Baby - Boomer, die etwa 70 Jahre sind, könnten eine Krise auslösen: Wenn diese nach ihrem Tod ihre Ersparnisse an die durchschnittlich weniger wohlhabenden Kinder vererben, könnten große Mengen Kapital rasch liquide gemacht werden. Die Banken müssten größere Auszahlungen machen und könnten in Schwierigkeiten kommen.   Immer wieder tauchen Nachrichten über einzelnen Diskriminierungen auf. Der Rollenwandel der Geschlechter hat sich in den Institutionen noch nicht durchgesetzt. Im April 2022 stirbt die älteste Frau der Welt. Die Japanerin Kane Tanaka wurde 119 Jahre alt. Sie wurde im Jahr 1903 geboren, im selben Jahr, in dem die Brüder Wright den ersten Flug in einem Motorflugzeug absolvierten und Marie Curie als erste Frau den Nobelpreis erhielt.

Migration (Migrationspolitik): Immigration ist in Japan eher ein politisches Tabu (in einem Projekt haben wir mal die Migrationsrentabilität in Japan versucht einzuschätzen). Ausländische Facharbeiter in ausgewählten Branchen bekommen ein Visum. Viele Asylbewerber dürfen aber nach Ablehnung ihres Antrages bleiben. Auch Studenten aus China arbeiten mit Studentenvisum im Niedriglohnbereich. In den letzten drei Jahren (von 2016 an) ist die Zahl ausländischer Arbeitskräfte um 40 Prozent gestiegen auf knapp eine Million. Bis 2020 fehlen allein 300.000 Altenpfleger. Hierfür wird ein Trainee -Programm für Arbeitskräfte aus Vietnam, Indonesien, Thailand, Nepal und China aufgebaut. Früher entledigte man sich in Japan auf "elegante" Weise von den alten Menschen. Ab einem bestimmten Alter wurden sie in den Bergen ausgesetzt. Das war in der Regel der sichere Tod.

Seit 2018 gilt plötzlich Zuwanderung als probates Mittel, um bei nur 2,4% Arbeitslosigkeit den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen. Nepalesen, Filipinos, Taiwanesen und Chinesen dürfen als Arbeitskräfte einreisen, fünf Jahre bleiben und müssen das Land dann verlassen. Diese Maßnahmen sind in Japan  umstritten, weil der Durchschnittslohn gedrückt wird, die Infrastruktur für Ausbildung belastet wird und die medizinische Hilfe nicht verweigert werden kann. Vgl. WiWo 7, 8.2.2019, S. 79. Ab 2019 öffnet sich Japan noch stärker für ausländische Arbeitsmigranten. Neue Visa -Regeln treten in Kraft. Mehrere hunderttausend Gastarbeiter sollen ins Land gelockt werden, vor allem aus den Nachbarländern China, Indonesien, Philippinen oder Vietnam. Ein erster Visa - Typ erlaubt Ausländern mit einfachen Japanischkenntnissen und bestimmten Jobfähigkeiten eine Beschäftigung bis zu fünf Jahren. In vierzehn Sektoren dürfen aber Familienangehörige nicht mitgebracht werden. Ausländische Arbeitskräfte mit höherer Bildung und Spezialkenntnissen in den Sektoren Häuser- und Schiffsbau können ihren Aufenthalt verlängern und auch ihre Familienangehörige ins Land holen. Im Frühjahr 2019 kommt ein neues Arbeitskräftegesetz: 300.00 Arbeitskräfte können pro Jahr aus dem Ausland kommen und erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre.

Die harschen Corona-Maßnahmen vergraulen 2020 viele ausländischen Arbeitskräfte oder StudentInnen (Diskriminierung?). Die StudentInnen brauchen in der Regel Jobs, um die extrem hohen Studiengebühren und ihre Lebenshaltungskosten (vor allem Mieten) aufzubringen. Viele Geschäfte haben aber geschlossen oder öffnen nur wenig, Firmen machen nur Homeoffice. Dadurch werden viel weniger geringfügige Arbeitskräfte gebraucht. Inländische Studenten können Stipendien zum Ausgleich bekommen. Die Corona-Maßnahmen schaden aber auch den anderen Arbeitskräften aus dem Ausland:  Sie dürfen nicht mehr aus- und einreisen. Japaner dürfen das. Es gibt aber auch zahlreiche Beleidigungen gegenüber Ausländern. Vgl. Lill, Felix: Zurücktreten, bitte, in: Die Zeit Nr. 46, 5.11.20, S. 26.

Japan ist mit der Frage beschäftigt, was für eine Gesellschaft möchte es sein. Wie geht es mit Minderheiten um?  Warum erkennt es gleichgeschlechtliche Ehen nicht an, als einziges G7-Land? Das Geschäftsmodell des Wirtschaftswachstums funktioniert nicht mehr. Vgl. Wagner, Wieland: Stille Zeitenwende, in: Der Spiegel 15/ 8.4.23, S. 82f.

Zweitjob: Japaner übernehmen immer häufiger einen Zweitjob. Und das kann durchaus im Interesse des Arbeitgebers liegen. 3 Mio. Japaner hatten 2022 einen Zweitjob, 5 Mio. suchten einen solchen. Quelle: Innenministerium. Seit 2028 hat dei Regierung Zweitjobs grundsätzlich genehmigt. Die Regierung hatte dabei mehrere Hintergedanken: Arbeitsmarkt weniger und durchlässiger, Zugang zu erfahrenem Personal leichter, Übergang in die Rente flexibler, Mangel an Fachkräften lindern (Angestellte nicht mehr Eigentum des Betriebes). Alles ist im Grundsatzpapier "neuer Kapitalismus" von Premierminister Fumio Kishida enthalten. Neben Einkommen  und den Karrierechancen steigert der Nebenjob offenbar auch die Leistung. Allerdings haben viele Firmen strenge Regeln für die Genehmigung von Zweitjobs: keine Wettbewerber, zeitliche Begrenzung, Unterstützung der Arbeitsanforderungen im Stammbetrieb. Vgl. Fritz, Martin: Karriere am Kakibaum, in: WiWo 5/ 26.01.24, S. 88f.

5. Wandel in Verteilung und Wohlstand: Mit der Entwicklung in der säkularen Stagnation wird der jungen Generation doppelt geschadet. Denn sie leidet auch unter der schon lange andauernden (seit den 1980er Jahren)  Politik des billigen Geldes: Früher galt Japan als gerechtes Land, wo sich alle als Teil der Mittelschicht sahen. Jetzt hat sich das Blatt gewendet. Die Mittelschicht erodiert. Für immer mehr junge Menschen sind Haus, Familie, Auto und Urlaub nicht mehr finanzierbar. Die reichen Japaner, die wie in anderen Ländern auch immer reicher werden, profitieren von Spekulationen und Anlagen auf den Finanzmärkten (Aktien, Immobilien). Die Geldschwemme schwächt auch die Innovationskraft der Wirtschaft und zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt (Prekarisierung und weniger gute Stellen). Der Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse hat sich von 20% im Jahr 1990 auf 37% 2018 fast verdoppelt. Das drückt noch mehr die Geburtenrate mit drastischen Folgen für Sozial- und Gesundheitssystem. Die EU sollte gewarnt sein. In der Familie herrscht noch immer das alte Rollenverständnis vor: Mann arbeitet, Frau macht den Haushalt. Weil viele Frauen der jungen Generation dies ablehnen, bleiben sie lieber Single und leben eher anonym in Großstädten. Das Realeinkommen sinkt schon seit langem in Japan tendenziell. Hinzu kommen die Mehrwertsteuererhöhungen (zuerst 2014 von 5 auf 8%, 2019 von 8 auf 10%). Wenn es auch nicht zu einem Einbruch des Konsums kommt, ist dennoch die Stimmung schlecht und das Vertrauen fehlt bei den Konsumenten.

Japans Bürger stabilisieren das Land. Die Staatsschulden (250 % des BIP Mitte 2020) halten fast nur japanische Anleger. Darunter sind die meisten ältere Bürger und wohlhabende. Heute gemachte Schulden werden so auf geburtenschwache Jahrgänge der Zukunft abgewälzt. Die Frage ist, wie lange der Deal noch hält. Es bleibt dann nur noch die Monetarisierung der Schulden durch die Zentralbank. Vgl. auch:   Lill, Felix: Sorglos verschuldet, in: Die Zeit Nr. 26, 18 Juni 2020, S. 22.

Die Investitionen der Unternehmen werden durch die Unsicherheiten gebremst. Erst im August 2019 belegt eine große Umfrage, dass 70 Prozent der großen Unternehmen im Land kaum optimistisch in die nahe Zukunft blickt. Quelle: Felix Lill: Lässt höhere Steuern Japaner kalt? in: Rheinpfalz, 9.10.2019, Wirtschaft.

6. Risse im Finanzsystem: Die Löhne stagnieren, die Vermögenswerte expandieren, die Staatsschulden explodieren. In der Geldpolitik, die seit Anfang 1999 auf Nullzinsniveau ist, gibt es offenbar keinen Rückwärtsgang. Die "deflationäre Mentalität" hemmt den Konsum der Kunden und die Investitions- und Innovationslust der Unternehmen. Die notwendigen Investitionen finanzieren Unternehmen aus dem Cashflow und legen den Rest auf die hohe Kante. Das Kreditvolumen wuchs bei Immobilien rapide. Für die Notenbank zu schnell. Seit 2018 vergeben die Banken Hypothekenkredite selbst bei Eigenbedarf nur noch an Kunden mit bester Bonität. Die Hälfte aller Staatsschulden wanderte in die Bilanz der Notenbank. Der Staatshaushalt wird voraussichtlich bis 2027 in den roten Zahlen bleiben. Die Geldinstitute des Landes stießen japanische Staatsanleihen ab und kauften ausländische Vermögenswerte (führend dabei die Postbank, die die meisten privaten Sparer hat). Vgl. Fritz, Martin: Der alarmierende Riss im japanischen Finanzsystem, in: WiWo 35, 23.8.2019, S. 18f.

Mittlerweile kauft die BoJ Aktien, wenn die Aktien an der Tokioter Börse stark fallen. Ab Sommer 2019 erwarb die BoJ für bis zu 600 Mio. € Nikkei- und Topix-Indexfonds. Die Risikoprämie von Aktien gegenüber Anleihen soll verringert werden. Ebenso soll das private Aktiensparen der Bevölkerung gefördert werden. Der Vermögenseffekt durch steigende Kurse soll den Konsum ankurbeln und einer Deflation entgegenwirken. Bisher fehlt ein Ausstiegsszenario. Das Programm begann schon 2010. Bald dürfte die BoJ den Pensionsriesen GPIF als größten Anteilseigner japanischer Aktien ablösen. Vgl. Losse, B./ Fritz, M.: "Wie eine Droge", in: WiWo 51, 6.12.19, S. 42ff..

2022 schwächelt die Währung in Krisenzeiten (Ukraine-Krieg, Corona). Der Yen gerät massiv unter Druck. Das ist untypisch, hat aber Gründe. Die japanische Notenbank hält an ihrer Geldpolitik fest, weil die Inflationsrate sehr gering ist (2,1% im Mai 22, EU 7,4, USA 8,3).  Die Zinsdifferenz zwischen Japan und den übrigen Ländern dürfte zunehmen. Deshalb verlagern Investoren Kapitalanlagen in andere Währungsräume. Für Anleger aus dem Euro-Raum bedeutet das auch höhere Verluste, wenn sie in japanische Aktien investieren. Vgl. Jan Mallien: Der Yen gerät massiv unter Druck, in: HB Nr. 99/23.5.22, S. 31.

Im Jahre 2022 verliert der Yen gegenüber dem Dollar um 118%. Die Währungsreserven Japans sinken um -15% auf 1195 Mrd. Dollar. Der Bestand an US-Schatzpapieren sinkt um -15% auf 1120 Mrd. $.

In einem Bereich der Finanzmärkte könnte Japan aber als Vorbild dienen., beim Immobilienmarkt. In Tokio hat ein Einwohner im Durchschnitt rund 20 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, in Berlin sind es 40 Quadratmeter. Auf ganz Deutschland bezogen sind es 47,4 Quadratmeter (2022). In Toyoter Wohnungen findet sich nur das nötigste: Lebensbereiche wie Essen oder Waschen werden nach draußen verlagert. Durch das Outsourcing von Wohnfunktionen wird knapper Platz gewonnen. Japan hat seine Politik in den 1990er Jahren noch mal radikal umgestellt. Inder tiefen Rezession wurde viel Geschäftsfläche frei (wie heute bei uns). Vgl. Lill, Felix: Lernen von Japan, in: Rheinpfalz am Sonntag 24./25. 2.24, S. 23.

7. Umwelt und Energie, d. h. Naturkatastrophen und unzureichende Energiewende: Das Land liegt in einer Erdbebenzone. Immer wieder kommt es zu schweren Erdbeben. Das Jahrhundert-Erdbeben 2011 verbunden mit einem Tsunami richtet große Schäden an und tötet viele Menschen. Zwei Atomkraftwerke werden schwer beschädigt. In Fukushima  treten nach einer Explosion radioaktives Cäsium, Jod, Plutonium und Strontium aus. Mehrere Meiler geraten außer Kontrolle. In der Erdbebengegend sind auch Halbleiter- und Autowerke betroffen, die abgeschaltet werden müssen. Die Produktionsausfälle sind hoch. Sie werden verschärft durch einen massiven Strommangel und Energiemangel insgesamt. Besonders betroffen ist die Lebensmittelindustrie. Die Fischerei in dem Gebiet steht vor dem Aus. Japan kann seine Abhängigkeit von der Atomenergie nicht beheben und schafft die Energiewende nicht. Das schadet letztendlich auch der Entwicklung des Landes. Bis zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio möchte die japanische Regierung die strahlenden Reste von Fukushima aus dem Blickfeld schaffen. Doch die Frage ist wie. Ein Ablassen in den Pazifik käme einer Katastrophe gleich. Aus der verpassten Energiewende in Japan sollte Europa seine Lehre ziehen.

Längerfristig hat Fukushima im japanischen Energiemix doch zu einer Veränderung der Struktur geführt. Die Rangfolge sieht 2019 wie folgt aus: 1. Edgas. 2. Kohle. 3. Erneuerbare Energien. 4. Nuklear. 5. Öl. 6. Andere. Quelle: IEA. Ende 2020 will Japan gefiltertes Kühlwasser ins Meer ableiten. Es ist kein Platz mehr da, zur Lagerung von Kühlwasser. Die Fischer sind empört. Die Ableitung könnte noch zwei Jahre dauern, da erst Umbauten nötig sind. So kommt es auch: Ab 2022 soll Kühlwasser hoch verdünnt ins Meer geleitet werden. Viele Bestandteile können aber nicht herausgefiltert werden. Es gibt große Proteste, vor allem aus China und Südkorea. Auch Fischer sehen ihre Existenz gefährdet.

Der Krieg in der Ukraine führt in Japan zu einem weiteren Umdenken. Abgeschaltete Atommeiler sollen wieder ans Netz gehen. In der Bevölkerung gibt es kaum Widerstand. Japan muss rund 90% seiner Energieversorgung in Form von Öl, Gas und Kohle aus dem Ausland importieren. Die Preissprünge im Ukraine-Krieg machen sich stark bemerkbar. Die LDP, die auch gut mit der Atomindustrie vernetzt ist, setzt wieder auf Atom. Eine Hürde stellt bislang die Sicherheit dar. Gerichte, zuletzt auf Hokkaido, beziehen den Aspekt verstärkt ein.

Japan gilt international als Vorbild der Energieeffizienz.  Haushalte und Unternehmen sind hier vorbildlich in ihrem Verhalten. Deutschland könnte in Sachen Energiepolitik einiges davon lernen. Die Frage ist, welche Anreize gegeben werden sollten. Vgl. Grimm, V./ Schnitzer, M./ Truger, A.: Was wir in Sachen Energiepolitik von Japan lernen können, in: WiWo 25/ 17.6.22, S. 43. Andererseits wird Japan mittlerweile bei LNG auf dem Weltmarkt von Deutschland oft im Sommer 22 überboten (soweit die Einigkeit der G7). Da sist allerdings nur dort möglich, wo es keine langfristigen Verträge gibt (die hat Japan überwiegend).

2023 will das Land 12 Jahre nach dem nuklearen Super-GAU alte Reaktoren wieder in Betrieb nehmen und neue Anlagen bauen. Die Bevölkerung findet das sogar in großen Teilen gut. Nur die Opfer der Katastrophe stören vor dem Neustart. Vgl. Wagner, Wieland: Jenseits von Fukushima, in: Der Spiegel 3/ 14.1.2023, S. 80f. Japan will seine Atommeiler auch länger nutzen. Laufzeiten von mehr als 60 Jahren sollen möglich sein. Vgl. FAZ 1.3.23, S. 17.

Exkurs. Zwei Traumata der Energie in Japan: 1. Ölkrise und Energieschock: Es kam zu großen Stromausfällen in Haushalten und bei der Industrie. Der Ölschock 1973/ 74 führte zu einer Verknappung und enormen Preissteigerungen. Es kam eine schwere Rezession (die erste seit langer Zeit). Danach gab es viele Reformen in der japanischen Wirtschaftspolitik mit Aufwertung des Yen und der Energieeinsparung von 37%.  Dieses Trauma scheint noch größer als das von Fukushima zu sein. 2. Der Tsunami 2011 vor der japanischen Küste, dem ein Meiler nicht gewachsen ist. Hinzu kommt die Erfahrung im 2. Weltkrieg, in dem 1945 zwei Atombomben von den USA abgeworfen werden auf Hiroshima und Nagasaki. Weil das erste Trauma größer ist als das zweite ist, gibt es eine Renaissance der Atomkraftwerke in Japan.

Exkurs. Kohei Saito: Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus, München (dtv) 2023. Der japanische Philosoph, der an der HU in Berlin promoviert hat, analysiert die Verflechtung von Kapital, Natur und Gesellschaft. Dabei entdeckt er den Gedanken von Karl Marx neu und entwickelt mit seiner Hilfe das Modell für eine gerechte Gesellschaft im Zeitalter des Anthropozän. Das Wirtschaftswachstum der Moderne versprach uns ein Leben im Wohlstand. Jedoch wird durch die Umwelt- und Klimakrise klar, dass es gerade das Wirtschaftswachstum ist, das die Grundlagen des menschlichen Wohlstands untergräbt. Gleichzeitig hält uns der Glaube, dass der Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel davon abhängt, wie viel jeder Einzelne von uns tut, davon ab, einen notwendigen Systemsturz einzuleiten. Kaito sieht den Klimawandel auch als Folge einer imperialen Lebensweise. Er zeigt die Grenzen des Klima - Keynesianismus auf. Der kapitalistische Degrowth sei nicht erfolgreich. Er entdeckt Marx wieder im Anthropozän. Seine Hoffnung setzt Saito auf den Degrowth - Kommunismus.

Im April 2023 treffen sich die Umwelt- und Energieminister der G7 in Sapporo/ Japan. Sie beschließen den Plastikmüll bis 2040 abzuschaffen. Die Transformation zu alternativen Energien soll beschleunigt werden. Ab August 2023 wird Fukushima-Wasser ins Meer geleitet. Der Platz für radioaktives Wasser geht aus. Die Tanks werden nach und nach in den Ozean entleert. Das Vorgehen ist äußerst umstritten. Nachteile für die Fischerei werden befürchtet. China stoppt sofort alle Fisch-Importe aus Japan.

8. Zwischen Handelsrestriktionen der USA unter Trump und der Außenwirtschaftsstrategie Chinas in der Zange: Die Transpazifische Partnerschaft (TPP) ist eine kleinere Alternative zur FTAAP. Möglichst bis 2015 wollten die USA und Japan dies umsetzen ohne China (12 Länder, darunter auch: Kanada, Australien, Südkorea, Mexiko, Malaysia, Chile, Peru, Neuseeland, Singapur, Vietnam); 0,8 Mio. Menschen, Gesamtexporte 5,5 Mrd. Dollar, WTO/ IMF). Die Gespräche auf Hawaii scheitern Mitte 2015. Mitte Oktober 2015 erzielte man Einigkeit. Das Vertragswerk umfasst 30 Kapitel. 18.000 Zölle und andere Handels- und Investitionshemmnisse sind betroffen. Auch die Harmonisierung von Umweltschutz- und Arbeitsschutzmaßnahmen ist vorgesehen. In Asien gibt es dagegen so gut wie keinen Widerstand. Mit dem Amtsantritt von Trump ist das Abkommen aber auf Eis gelegt.

Japan hat auch großes Interesse an einem Handelsabkommen mit der EU. Die Verhandlungen laufen schon seit 2013. Sie sollen schnell zu Ende gebracht werden, nachdem beide Regionen in Bezug auf die USA gescheitert sind.  Ziel ist der G20-Gipfel am 07.07.17 in Hamburg. Man einigt sich aber erst im Dezember 2017: Zölle werden abgebaut. Das Abkommen tritt 2019 in Kraft. Das BIP in Deutschland könnte um + 20 Mrd. € wachsen (Ifo-Institut, München). Für Japan ist die EU drittgrößter Handelspartner; für die EU ist Japan sechstgrößter Handelspartner. Am 17.07.2018 schließen die EU und Japan (Jefta) ein Freihandelsabkommen. In Anbetracht der Handelspolitik der USA unter Trump gibt es kaum Widerstände. Das Abkommen steht für 30% des Welthandels und 25% aller Exporte. Es wird Jefta genannt. 99% aller Zölle sollen wegfallen. Es soll 2019 in Kraft treten (genau am 01.02.2019). Kameras und Motorräder dürften in Europa billiger werden. Die Landwirtschaft der EU könnte mehr nach Japan exportieren (z. B. Wein, Schweine, bestimmte Käsesorten). Es ist die größte Freihandelszone der Welt. 635 Mio. Menschen sind ökonomisch verbunden. Die EU und Japan haben zusammen knapp ein Drittel der Weltwirtschaftsleistung.

2016 plant Asien eine weitere Freihandelszone, nämlich RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership). Der Anteil an der Weltwirtschaftsleistung betrüge 30,5%, der Anteil an der Weltbevölkerung 47,9%. Mitgliedsländer wären China, Indien, Süd-Korea, Japan, Indonesien, Australien, Myanmar, Vietnam, Laos, Thailand, Kambodscha, Philippinen, Malaysia, Singapur, Brunei. Ansonsten setzt Japan stark auf bilaterale Abkommen.  2018 wollen die USA mit Japan ein Freihandelsabkommen außerhalb von TPP abschließen. Japan will vor allem seine Autoindustrie schützen. Lieber wäre Japan aber TPP. Mit Süd-Korea hat man ökonomische Spannungen (das oberste Gericht hat japanische Unternehmen zu Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeit in Südkorea verurteilt; Japan antwortet mit Sanktionen; der Absatz von Toyota und anderer Unternehmen bricht ein).

China hat einen historischen Nachholbedarf in seiner Außenwirtschaft (mandschurische Machtübernahme 1647, Opiumkrieg 1839 als Traumata). Bis 1000 n. Chr. noch musste Japan Tributschiffe nach China schicken. "Made in China 2025" soll die Hochtechnologie sichern und die Führung anstreben aufgrund eines schuldengetriebenen Entwicklungsmodells. Das aber wollen die USA um jeden Preis verhindern. Im Grunde genommen will China sich weiterhin erfolgreich in der globalen Lieferverflechtung positionieren. In diesem Zusammenhang sind Zölle ein Mittel der politischen und wirtschaftlichen Rivalität. Unter zu erwartenden Konfliktbedingungen ist die Sicherung der Lieferkette entscheidend dafür, die Rivalität auszuhalten bzw. siegreich zu beenden. Die Digitalisierung verändert die Transaktionskosten und die Industriestruktur. Durch das Dominanzstreben Chinas wird Japan in Asien und in der Welt zurückgedrängt. China strebt sicher seine frühere historische Dominanz wieder an. Japan leidet auch unter Produktionsverlagerungen nach China. Es wird für Japan schwierig, aus dem Aufstieg Chinas optimal zu profitieren.

Im Juni 2019 findet ein G20-Gipfel in Osaka/ Japan statt. Zuerst treffen sich Finanzminister und Notenbankchefs. Sie einigen sich auf die Einführung einer Besteuerung von Digitalunternehmen nach Nutzern bzw. Konsumenten. Traditionalisten in Japan wollen westlichen Medien die "korrekte" Nennung japanischer Namen vorschreiben. Shinzo Abe sieht sich in der Rolle als "Dealmaker" (Japan ist entschlossen, die freie, offene und regelbasierte internationale Ordnung zu bewahren"). Bisher macht er allerdings durch eine außerordentlich nationalistische Politik von sich reden (Nippon wo torimodosu: "Japan zurückholen"). Vielleicht kann er seine Golfbrüder-Beziehung zu Trump ja positiv nutzen. Er hofft auch China von Subventionen seiner Industrie abzubringen. Japan vermeidet in Handelsabkommen konkrete Bestimmungen und Regeln.

Exkurs: Johan Nylander: The Epic Split (September 2020). Nylander ist schwedischer Journalist in Hongkong. Er entwickelt in seinem Buch die These, das eine Koexistenz zwischen Liberalismus und Autoritarismus nicht endlos möglich ist. Irgendwann muss es zu einem Crash kommen. Vor einem besonderen Balanceakt stehen Staaten, die demokratisch und liberal sind, aber wirtschaftlich auch von China abhängig sind: Südkorea, Japan und Deutschland. Untertitel des Reports: "Made in China" is going out of style.

9. Japan als Pionier der Zeitenwende: Die aggressive Strategie Chinas, die USA unter Präsident Trump, die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg von Russland führen zu einem radikalen Umdenken in Japan. Japan reagiert als erstes Land der Welt institutionell darauf. Es wird ein neues Ministerium geschaffen und ein Gesetz zum Schutz der inländischen Wirtschaft aufgelegt. Das Gesetz zur Förderung der wirtschaftlichen Sicherheit hat vier zentrale Punkte: 1. Lieferketten: Ziel: Stabile Versorgung mit "strategischen Gütern" (Halbleiter, medizinische Produkte). Staatliche Rolle: Diskussion über Definition "strategischer Güter". 2. Geheime Patente: Ziel: Nichtoffenlegung bestimmter Technologie. Staatliche Rolle: Regierung erhebt Lizenzgebühren. 3. Öffentlich-private Partnerschaft in F&E. Ziel: Gemeinsame Forschung. Staatliche Rolle: Förderung durch Subventionen und Strafen. 4. Schlüsselinfrastruktur: Ziel: Schutz von Energie, Wasserversorgung, Telekommunikation, Finanzen, Verkehr, Postdienst. Staatliche Rolle: Regierung kann Hard- und Software kontrollieren. Vgl. Kölling, Martin: Japan wird zum Pionier, in: HB Nr. 67, Dienstag 5. April 2022, S. 14f.

10. Wohlstandsgewinn durch Globalisierung und Zukunft: Japan ist eines der  Länder, das seit 1990 (Globalisierung in neuerer Zeit) am meisten von der Globalisierung bis 2018 profitiert hat. In einer Statistik führt das Land sogar mit einem kumulierten Einkommensgewinn je Einwohner seit 1990 in Euro 50.044. In der Rangfolge dahinter liegen Irland, die Schweiz, Finnland, Israel und die Niederlande. Deutschland liegt an 7. Stelle. Vgl. Simon, Hermann: Hidden Champions. Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert, Frankfurt/ New York 2021, S. 89. Gegenüber solchen Statistiken sollte man sehr vorsichtig sein. China etwa fällt wegen der hohen Bevölkerungszahl raus, hat aber auch einen starken Wohlfahrtsgewinn (und führt in anderen Statistiken vor Deutschland). Natürlich stellt sich auch die Frage, wie die Lage aktuell ist? Durch die Finanzkrise, Fukushima und Corona beobachten wir eine De - Globalisierung, auch in Japan.

Die Reallöhne stagnieren seit fast 30 Jahren (zwischen 1995 und 2017 -1%). Regierungschef Fumio Kishida will das ändern - und fordert die Unternehmen zu deutlichen Lohnsteigerungen auf. In Japan besteht keine Tarifautonomie wie in Deutschland. Es gibt ein System der Betriebsgewerkschaften. Diese handeln in einem "Shunto", in einem traditionellen "Frühjahrskampf", die jährlichen Gehaltssteigerungen aus. Die Gewerkschaften folgen zu sehr den Betriebsinteressen. Kishida hatte aber bei Amtsantritt einen "neuen Kapitalismus" versprochen: die leidende Mittelschicht, die schrumpfenden Regionen und die schwächelnde Demokratie sollten gestärkt werden.Vgl. Kölling, Martin: Japans Sehnsucht nach Inflation, in: HB Nr. 37, 22.02.22, S. 15.

11. Die Situation der japanischen Unternehmen (Zombifizierung): Den japanischen Unternehmen ist bisher nicht gelungen, eine optimale internationale Denkweise zu entwickeln. Sie haben Probleme, mit erfolgreichen Firmen aus den USA und Europa mitzuhalten. Hinzu kommt, dass sie stark betroffen sind von der rapide sinkenden Erwerbsbevölkerung. Das wird auch das BIP-Wachstum verringern, falls nicht gleichzeitig die Arbeitsproduktivität steigt. Das wird wahrscheinlich nicht passieren. Dem stehen auch kulturelle Faktoren entgegen (siehe oben). Japanische Firmen, die international erfolgreich sein wollen, gehen zunehmend auf Märkte in andere asiatische Länder. Der Begriff "Zombies" stammt aus Haiti und stand ursprünglich für den Glauben in Westafrika, dass Tote auferstehen und dann als Scheintote herumgeistern.

2012 verabschiedete die Regierung ein Maßnahmenpaket, das die Kreditlast Insolvenz gefährdeter Klein- und Mittel-Unternehmen durch Stundungen tragbar machte. Überkommene Strukturen wurden konserviert. Vgl. Schnabl, G./ Murai, T.: Was Europa von Japans Zombiewirtschaft lernen kann, in: WiWo 3, 15.01.21, S. 40.

Schon vor der Corona-Krise war das Land für seine "untoten" Unternehmen bekannt, die nur dank staatlicher Hilfen überleben. Nach einer Untersuchung der Uni Osaka waren 1999 ein Viertel aller Kleinunternehmen Zombies. Betrachtet man die Unternehmen über 1 Milliarde Yen Eigenkapital (8,1 Mio. €), so war deren Anteil von einst 17% auf unter 8% geschrumpft. In der Corona-Krise wurden 100.000 Unternehmen staatlich unterstützt. Darunter sind viele Unternehmen, deren Geschäft nicht nachholbar ist ( Restaurants, Hotels). Das sorgt auch dafür, dass der Ausleseprozess zwischen produktiven und unproduktiven Unternehmen ausgesetzt wird. Aber die Unternehmen haben in Japan auch eine große soziale Funktion: Es geht um Arbeitsplätze und die soziale Sicherung durch Unternehmen. Dadurch fällt aber die Arbeitsproduktivität (und neue Leute werden nicht mehr eingestellt; bei der Arbeitsproduktivität ist Japan auf Platz 21 in der OECD zurückgefallen). Das bedingt auch eine geringe Unternehmensgründungsrate. In keinem Land gibt es so viele Unternehmen die über 100 Jahre alt sind (Kontinuität als Wert). Die prekäre Beschäftigung ist als Folge rapide angestiegen (14% 1990, 30% 2020). Die Qualität der Jobs schwindet. Wenn sich der Staat eines Tages zurückzieht, werden viele Unternehmen verschwinden. Vgl. Lill, Felix: Land der Zombies, in: Die Zeit Nr. 3, 14. Januar 2021, S. 24.

Es gibt in Japan sehr viele dieser Unternehmen, die einmal an die Droge des billigen Geldes gewohnt, davon nicht mehr lassen können. Die Zunahme hat den fortwährenden Wandel der Wirtschaftsstruktur verlangsamt (schon Marx und Schumpeter haben über diese Gefahr geschrieben). Auf den Ruinen der bankrotten Firmen können dann neue Geschäftsmodelle entstehen. Neue Start-ups können die alten Produktionsstätten erwerben. Vgl. Sinn, H.- W.: Die wundersame Geldvermehrung, Freiburg 2021, S. 387ff.

Das anhaltend billige Geld wirkt wie eine Dauersubvention der Unternehmen. Für 2020 wurde der Umfang auf 18,5% des BIP geschätzt. Vgl. Stelter, Daniel: Japan zeigt wie es geht, in: HB Nr. 181/ 19.9.22, S. 10.

Exkurs. Opakalypse/ Tinder für Unternehmen: Vielen japanischen  Unternehmen droht das aus. Betagte Inhaber finden keine Nachfolger. Die Regierung hilft mit eine rArt tinder für Unternehmen. Sie will so auch den Strukturwandel steuern. 2,45 Mio  japanische Unternehmen werden 2025 einen Firmeninhaber über 70 haben. Das sind zwei Drittel der Betriebe mit weniger als 300 Beschäftigten. Davon sind rund dei Hälfte der Firmen, 1,27 Mio., bisher nicht geregelt. Das Wirtschaftsministerium schätzt, dass bis 2025 630.000 Unternehmen mangels Nachfolger zumachen müssen. Umgerechnet 166 Mio. Euro stellt das Wirtschaftsministerium jährlich zur Verfügung. Beratungsunternehmen und Private Equity haben Hochkonjunktur.  "Die Fähigen machen wir fit, die Zombies lassen wir sterben", Yoshinara Ishizawa, Beamter im Wirtschaftsministerium 2023. Vgl. Fritz, Martin: Die Opakalypse, in: WiWo 22/ 26.5.23, S. 34f.

12. Verallgemeinerung und Übertragung (Generalisierung auf andere Länder); Japan-Syndrom (Japanisierung): Lahmen des Wachstums, Deflation, ständige Turbulenzen an den Finanzmärkten (hohe Volatilität), Crash auf einzelnen Märkten (z. B. Immobilienmarkt), Kluft zwischen Arm und Reich vertieft sich (keine Inklusion), "säkulare Stagnation" (Larry Summers), geringe Unternehmensinvestitionen. Seit mehr als 20 Jahren kämpft Japan gegen die Wirtschaftsflaute. Hauptinstrumente waren hohe Verschuldung der öffentlichen Hand und Nullzinspolitik von Zentralbank/ Finanzministerium (die Notenbank ist nicht unabhängig; im Prinzip klassische Keynesianische Politik trotz Liquiditätsfalle). Seit 20 Jahre liegt der Leitzins nahe bei Null. Das Wirtschaftsprogramm von Premierminister Abe, das 2013 begann und Abenomics genannt wird, treibt die beiden Instrumente auf die Spitze. Kurzfristig zeigten sich mal Erfolge in konjunktureller Hinsicht, mittel- und langfristig scheint das Programm zu verpuffen. Was in jedem Falle die Wirkung ist: Der Verfall von Immobilienpreisen und anderen Vermögenswerten kann gestoppt werden. Damit werden die Folgen der Fehlinvestitionen der Reichen abgefedert. Die Zeche zahlen müssen die Armen über ihre Steuern. Insofern kann man bei Japan gut sehen, was der EU bevorsteht. Vgl. H. W. Sinn: Man schaue sich Japan an, in: Die Zeit Nr. 17, 14. April 2016, S. 28. Ausgangspunkt der Entwicklung war die Liquiditätsfalle (Zinsfalle), wie Keynes sie schon beschrieben hat. Die jüngste Neuerung in der japanischen Geldpolitik ist die Steuerung der Zinsstrukturkurve, die am 21. September 2016 angekündigt wurde. Das Ankaufsziel wird aufgegeben und die Zinsstruktur soll gesteuert werden (Nachhaltigkeit).  Immer mehr zeigt sich in Japan, was lockere Geldpolitik anrichten kann. Von den Maßnahmen der Notenbank haben vor allem Alte und Reiche Vorteile (der Unterschied zwischen Arm und Reich hat stark zugenommen, unproduktive Unternehmen überleben, ältere Menschen haben sicherere Jobs, gespart wird bei jüngeren Menschen). Die EU ist Japan in vielen Punkten gefolgt und kämpft heute mit ähnlichen Folgen. 2020 pumpt die EU in der Corona-Krise durch den Ankauf von Wertpapieren noch mal 750 Mrd. € in den Bankensektor. Damit drückt sie die Zinsen für Staatsanleihen.  Die Regierung führt 2017 eine originelle Regelung ein, um den Konsum in Japan anzuregen. Einmal im Monat soll es einen Premium-Freitag geben, an dem die Japaner um 15.00 Uhr aufhören zu arbeiten, damit sie Zeit haben, ihr hart verdientes Geld auszugeben. 2018 spricht man von einer Japanisierung der Euro-Zone. Mit der lockeren Geldpolitik hat die EZB zwar Banken und Unternehmen gerettet. Aber die Bürger müssen dafür zahlen.

1989 schieb der japanische Management-Guru Ohmae Kenichi: "Europe does`nt matter" (gleichnamiger Aufsatz). Er meinte damit, Europa spiele im weltweiten Wettbewerb keine Rolle mehr. Ironischerweise begann im gleichen Jahr der Abstieg Japans. Der US-Ökonom Kenneth Rogoff, Harvard und IWF, erklärte Europa nach der Finanzkrise 2009 zum "Ground Zero", also der Verwüstung preisgegeben. Just begann mit dem Amtsantritt von Trump eher der Abstieg der USA. Man muss also vorsichtig sein mit Abstiegsprognosen über die EU. Bisher hat die EU ihre Schwächen immer zu Stärken umgewandelt und ist wieder auf die Füße gefallen. Dazu gehören Vielfalt (technisch, sozial, kulturell), Geschichte und Tradition. Vgl. Heuser, Uwe Jens: Zum Glück chaotisch, in: Die Zeit Nr. 25, 13. Juni 2019, S. 17.

Nach jahrelangem Aufschwung steht die deutsche Wirtschaft 2019 vor härteren Zeiten. Das Wachstum lässt nach, die Inflation steigt. Die erschlaffende Konjunktur im Ausland, insbesondere in China, machen der deutschen Wirtschaft zu schaffen. Zunehmender Protektionismus, von Trump ausgelöst, und der Brexit verheißen nichts Gutes. Es könnte eine Stagflation drohen. Hinzu kommt die Demographie (die Erwerbsbevölkerung schrumpft; der Fachkräftemangel steigt an). Sie ist auch mit ein Grund für die sich öffnende  Schere von Wachstum und Inflation. Wenn Deutschland nicht mehr Wachstumslokomotive in der EU ist, können auch Nachbarländer nach unten gezogen werden. Die EZB steckt in einem Dilemma: Inflation durch höhere Zinsen bekämpfen oder die Rezession durch niedrige Zinsen. Deutschland hat sicher nicht die Stabilität durch die Kultur wie sie in Japan herrscht. Allein schon die AfD ist ein Sammelbecken für Unzufriedene. Die Dichotomisierung bzw. der Konflikt  zwischen Kosmopoliten, den Profiteuren der Globalisierung, und  den national orientierten Populisten  ist kaum lösbar.  Ein Abschwung ist wahrscheinlich; offen ist, ob daraus eine Rezession erwächst. Die höheren Leitzinsen in den USA (weitere Erhöhungen sind angekündigt) entfallen zusätzlich bremsende Wirkung. Die Inlandsnachfrage wirkt dem entgegen (Boom am Bau, Kauffreude der Konsumenten). Die Corona-Krise ändert die Situation radikal. Nun ist eine Rezession in Deutschland sicher. Für Deutschland hat Japan in etwa die Bedeutung wie Oberitalien (Lombardei).

Bei der Bundesanleihe in Deutschland spricht man auch mittlerweile von einer Japanisierung. Erstmals seit Jahrzehnten sind die Renditen für deutsche Staatsanleihen über alle Laufzeiten hinweg niedriger als die japanischen Staatsanleihen. Mit einem verwalteten Vermögen von rund 1,2 Billionen Euro ist der japanische Government Pension Investment Fund (GPIF) einer der größten Pensionsfonds der Welt. Wegen der anhaltenden Niedrigzinsen in Japan seit 2012 hat der Fonds seine Staatsanleihenquote von ca. 60% auf 35% reduziert und die Aktienquote von 24 auf 50% erhöht. Doch diese Strategie birgt ein hohes Risiko: Im vierten Quartal 2018 brach der GPIF um neun Prozent ein. Dieses Schicksal könnte auch deutschen Pensionsfonds bevorstehen. Institutionelle Anleger dürfen nicht zu stark aus den Niedrigzinsen rausgehen und Aktien bevorzugen. Zunehmend ist die Finanzaufsicht Bafin auf den Plan gerufen. Vgl. Handelsblatt, Wochenende 17.-19. Mai 2019, S. 27. Tatsächlich wird am 12.09.19 der Einlagenzins durch die EZB weiter gesenkt (-0,5%). Anleihenkäufe sollen ab November 19 wieder aufgenommen werden (monatlich 20 Mrd. €, unbegrenzt). Die Sparer in Euroland bleiben die Verlierer. Mehr öffentliche Investitionen wären erforderlich und damit eine größere Kreditaufnahme der öffentlichen Hand, damit die Zinsen steigen. Die Ratsmitglieder der EZB üben offene Kritik an den Beschlüssen der EZB. Sabine Lautenschläger, deutsches EZB-Direktoriumsmitglied, gibt ihr Amt zum 31.10. auf (zwei Jahre früher). Sie gehört zu den Kritikern der extrem lockeren Geldpolitik der EZB.

Mit der Corona-Krise hat man aber kaum noch Alternativen. Man spricht offen von Japanischen Verhältnissen für alle (Deutschland und die EU): 1. Zinsen auf extrem niedrigen Niveau. 2. Überalterte Bevölkerung mit stark zurückgehender Erwerbspersonenzahl. 3. Hohe Zahl von Rentnern. 4. Anfälliges Bankensystem. 5. Zombie-Unternehmen (am Leben, nur weil Kredite kaum etwas kosten). 6. Negativer Vorreiter Italien (in vielen Punkten Japan ähnlich). 7. Finanzkrise von 2008 noch nicht ausgestanden, insofern noch unter Vorkrisentrend.

13. Politik: Japanische Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Krise (Abenomics, Abe-Economics): Mittlerweile spricht man seit 2013 von Abenomics (Abe-Economics). Gemeint ist eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die auf Ausweitung der Geldmenge, Abwertung der Währung und öffentliche Investitionen setzt (genauer: Baustein 1 radikale Geldpolitik, um künstlich Inflation und Abwertung herbeizuführen; Baustein 2 schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme; Baustein 3 strukturelle Reformprogramme zur Erhöhung der Steuereinnahmen und Deregulierung des Arbeitsmarktes: vollständige Integration der Frauen, gerechtere Bezahlung der Jugendlichen im Niedriglohnbereich). Schon 2013 zeigen sich erste positive Effekte (Exportanstieg, Wachstum). Die Regierung beschließt im Oktober 2013 weitere konkrete Maßnahmen: Erhöhung der Mehrwertsteuer von 5 auf 8% ab April 2014. Konjunkturpaket in Höhe von 38 Mrd. €. Die Stimmung verbessert sich deutlich im Lande, so dass zum ersten Mal seit langem mehr Wirtschaftswachstum geschafft wird. Der Yen bleibt schwach (was wegen der Exporte gewollt ist). Ende des Jahres 2013 wird noch ein Konjunkturprogramm in Höhe von 134 Mrd. € aufgezogen (auch gegen restriktive Wirkungen der Verbrauchssteueranhebung, Wachstum langsamer im dritten Quartal 13). Die Verbrauchssteueranhebung für 2015 auf 10% dürfte wegen der schlechten Wirtschaftslage verschoben werden (auf 2017).  Um den Haushalt mittelfristig zu konsolidieren wäre eine Mehrwertsteuer von 23 Prozent notwendig. Am 18.11.14 tritt Abe wegen der Rezession zurück (dürfte aber im Dezember wieder gewählt werden, was dann auch passiert). Damit ist die schuldenfinanzierte Wirtschafts- und Wachstumsstrategie des leichten Geldes im Prinzip gescheitert. Der versprochene Haushaltsausgleich bis 2020 ist nicht mehr zu schaffen. Mit einem massiven Konjunkturprogramm will die neue japanische Regierung ab 2015 die Wirtschaft wieder in Schwung bringen (3,5 Billionen Yen/ 24 Milliarden Euro). Die wichtigsten Elemente sind Unterstützung für den Mittelstand, für Verbraucher und die Opfer von Naturkatastrophen. Auf dem G7-Gipfel in Ise-Shima am 26.05.2016 versucht Premier Abe, die anderen Länder für einen "konzentrierten Push" zu gewinnen. Der Staat soll massiv in Infrastrukturprojekte investieren. Bei Merkel ist er schon abgeblitzt. Knapp die Hälfte der japanischen Steuereinnahmen und ein Viertel des Haushalts  2016 fließen in die Schuldentilgung. Zum Oktober 2019 wird nach langem Zögern die Mehrwertsteuer von 8 auf 10 Prozent angehoben, womit ein weiteres Anwachsen der Staatsschulden zumindest verlangsamt werden kann. Da in Japan angesichts alternder und schrumpfender Bevölkerung die Einnahmen aus Einkommensteuern kontinuierlich sinken, die Ausgaben aber anwachsen aufgrund einer wachsenden Rentnerzahl, muss die Staatsverschuldung steigen. Die Verbraucher scheinen die erneuten erhöhten Konsumabgaben besser als erwartet zu verkraften   (Umfrage Kyodo: 75% behalten ihren Konsumumfang bei). Bezieht man Abenomics auf die achtjährige Regierungszeit von Abe und seine Wirtschaftspolitik, war es eindeutig ein Misserfolg (0,4% Wachstum im Schnitt). Aber auch nach ihm werden die Staatsschulden zulegen. "Abenomics hat bisher nur die Gewinne exportorientierter Unternehmen erhöht", Ökonomieprofessor Yasuo Goto 2016 (Die Zeit, Nr. 30, 14.07.16, S. 26).  Der japanische Ökonom Takuro Morinaga will 2013 eine Steuer für gut aussehende Männer einführen, um die Geburtenrate zu heben. Begründung: Schöne Männer hätten es beruflich leichter und verdienten im Schnitt mehr. Sie seien von Frauen umschwärmt, würden aber nur wenig Kinder zeugen. Die Steuer soll die Attraktivitätslücke schließen. Beurteilen soll eine Damenjury der Steuerbehörde. Die Regierung führt 2017 eine originelle Regelung ein, um den Konsum in Japan anzuregen. Einmal im Monat soll es einen Premium-Freitag geben, an dem die Japaner um 15.00 Uhr aufhören zu arbeiten, damit sie Zeit haben, ihr hart verdientes Geld auszugeben.

Im Oktober 2022 setzt Japan wieder ein gewaltiges Konjunkturpaket auf: Es umfasst 265 Mrd. Euro. Es enthält Investitionen ín neue Technologien, Halbleiter, Roboter, Dämpfung der Stromkosten von Privathaushalten. Es soll auch die Inflation senken (in Japan eher Aufgabe der Finanzpolitik). Doch Japan bleibt in der Wellblechkonjunktur. Das BIP wächst mal wieder und schrumpft dann auch mal. Es zeigt sich kein klarer Wachstumstrend. Das ist eine erste Prüfung für den neuen Notenbankgouverneur Kazuo Ueda (der noch vom Parlament bestätigt werden muss, Februar 2023). Vgl. FAZ 15.2.23, S. 17. Ueda wird bestätigt und ist bei der Wirtschaft beliebt (Unternehmerverband Keidanren).

2023 ist Fumio Kishida Premierminister (seit 2021). Für die Wirtschaft des Landes ist er ein Glücksfall. Im Dezember 23 erschüttert ein Spendenskandal seine Partei LDP. Er muss alle Minister einer mächtigen Untergruppe seiner Partei entlassen (Fraktion von Abe). Die Staatsanwaltschaft durchsucht Räume, auch die der Gruppe Nikai. Kishida gilt als Mann mit dem Füllhorn für die Wirtschaft. Er versucht auch mit allen Mitteln, Investoren nach Japan zu holen (die China nicht mehr trauen). Blackrock, dei größte Investmentgesellschaft der Welt, lud er nach Japan ein. Das tat er im renommierten Economic Club of New York. Kishida entstammt einer Politikerfamilie, deren Wurzeln in Hiroshima liegen. Der skandal bringt ihn ins Wanken, zumal er in der Bevölkerung nicht sehr beliebt ist.  Vgl. Kanning, Tim: Japans Mann mit dem Füllhorn wackelt, in: FAZ 21.12.23, S. 20.   "Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft - vor allem die Wirtschaft ist meine Priorität", Kishida in der Regierungserklärung im Oktober 23.

14. Besonderheiten im japanischen Haushalt 2023/ 24: Das neue Fiskaljahr beginnt in Japan am 1. April 2023. Das Parlament beschließt ein Rekordbudget von 114,38 Billionen Yen (805,5 Mrd. €). Die Ausgaben steigen im Vergleich zum Vorjahr um 6,3%. Dei Verteidigungsausgaben steigen um 26%  (+ Sonderfonds von 23,8 Mrd. €). Die Neuverschuldung macht 35,6 Billionen Yen (251 Mrd. €), das macht 31% des HH. Es gibt hohe Subventionen gegen hohe Energiepreise (15,6 Mrd. €). Vgl. FAZ 29.3.23, S. 19.

Japan Green Transformation Act: vorgeschlagen im Februar 2023, Subventionen über 10 Jahre, Schwerpunkt auf grüner Wasserstoff und Ammoniakproduktion und -anwendung. Vgl. Der Spiegel 35/ 26.8.23, S. 65.

15. Geldpolitik der Bank of Japan (BoJ, Notenbank): Zum Jahreswechsel 2021 löst die Bank of Japan, die japanische Notenbank, den Pensionsfonds GPIF als größten Aktionär des Landes ab. Die Bilanzsumme der Bank erreicht Rekordhöhe 5540 Milliarden Euro). Das ist das Ergebnis von 35 Jahre expansiver Geldpolitik. 

Die Geldpolitik der vergangenen 35 Jahre (ab 2021 rückwärts) kann in fünf bzw. sechs Phasen eingeteilt werden: 1. Ab 1986 Blasenökonomie. Die fünf führenden Länder beschließen im Plaza - Abkommen eine Aufwertung des Yen gegenüber dem Dollar. Die USa wollen die japanischen Exporte eindämmen. Der steigende Yen treibt die Wirtschaft in die Rezession. Die BoJ senkt die Zinsen.  Das Louvre -Abkommen bringt eine weitere Zinssenkung. 2. Ab 1989 kommt eine restriktive Episode. Yasushi Mieno schraubt den Leitzins versuchsweise nach oben. Die Aktien- und Immobilienblase platzt. Die Banken haben faule Kredite und vergeben weniger Geld. Das verursacht eine Pleitewelle. 3. Ab 1991 fällt der Zins auf null. Es besteht Angst vor einem Bankencrash. Die Notenbank senkt die Zinsen. Es wird mit billigem Geld ein Wirtschaftswunder befeuert, das 1997/98 endet. 1999 senkt die BoJ als erste Bank der Welt den Leitzins auf null. 4. Ab 2001 quantitative Lockerung. Die BoJ erwirbt lang laufende Staatsanleihen. Das bringt frisches Geld für den Bankensektor. Die Wirtschaft wächst, aber Preise und Löhne fallen. 5. Ab 2013 quantitative Lockerung XL. Das Inflationsziel lautet 2%. Die BoJ besitzt heute die Hälfte aller Staatsanleihen. Das kommt einer monetären Staatsfinanzierung gleich. Mitte Februar erreicht der Nikkei - Index erstmals seit 30 Jahren einen Wert über 30.000 Punkte (durch den Kauf der BoJ). Die Staatsschulden erreichen 264%. Ein digitaler Yen soll kommen. Damit kann man noch mehr Geld drucken (Phase 6). Siehe Fritz, Martin: "Aufbruch in eine Fantasiewelt", in: WiWo 10, 5.3.2021, S. 38f.

Die japanische Regierung ist im April 22 angesichts der beschleunigten Abwertung des Yen nervöser (128 Yen je Dollar), scheut aber vor direkten Eingriffen in die Währungsmärkte zurück. Finanzminister Shunichi Suzuki hält scharfe Wechselkursbewegungen für unerwünscht. In der Zeit steigender Rohöl- und Rohstoffpreise seien die schädlichen Folgen des schwachen Yen-Kurses größer als die Vorteile.

Während fast alle Notenbanken die Zinswende einläuten, hält die BoJ an der expansiven Strategie fest. Sie provoziert damit massive Wechselkurseffekte (vielleicht heimliches Ziel): Der Yen ist Mitte 2022 auf dem tiefsten Stand seit der Asienkrise 1998. Das könnte theoretisch zu einer Verkaufswelle japanischer Unternehmen und Immobilien an ausländische Investoren führen. Mit der Kombination aus Weichwährung und Niedrigzinsen können sich ausländische Kapitalgeber gegen japanische Mitbewerber durchsetzen. Der chinesische Finanzkonzern Ping An, Axa aus Frankreich, Blackstone und Staatsfonds aus Katar kauften Wohnobjekte. Auch ein weiterer Abwertungswettlauf in Asien könnte bevorstehen (mit China, Südkorea). Allein Yuan und Won legten 10% an Stärke zu.. Vgl. Fritz, Martin: Der Lockruf des billigen Geldes, in: WiWo 27/ 1.7.22, S. 38ff. Legendär sind die 100 Yen-Shops in Japan.  Preisstabil kann man hier eine Vielzahl von Alltagsprodukten kaufen. Die Abwertung des Yen und die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise bedrohen aktuell diese Institution. Vgl. Illing, Gerhard: Inflation. Die japanische Geldpolitik, in: Wirtschaftsdienst, H. 7/2022, S. 417.

Auch Japan könnte 2023 die Ära anhaltender Nullzinsen verlassen. Das scheint wahrscheinlich anhand weltweit steigender Realzinsen, der Abwertung des Yen und dem Inflationsdruck. Höhere Zinssätze würden die japanische Regierung unter Druck setzen, da die Staatsverschuldung bei 260% (des BIP) liegt. Damit könnten die Wachstumsaussichten sinken. Vgl. Kenneth Rogoff, in: HB 27./26./29.1.23, S. 18. Im Jahre 2023 wird dann Kazuo Ueda neuer Notenbankchef. Er hat eine schwierige Mission, indem er die Nullzinspolitik beenden soll. Japan bricht mit einer Tradition, der neue kommt aus akademischem Milieu. Schon heißt es, er sei der japanische Ben Bernanke.

Im März 2023 greift die Bank of Japan am Aktienmarkt ein. Der Zusammenbruch der SVB in den USA haben die Aktienkurse japanischer Banken einbrechen lassen (Mitsubishi, Sumitomo Mitsui, Mizuho Financial Group). Die Zentralbank kauft börsengehandelte Aktienfonds (ETF). Sie setzt 70,1 Mrd. Yen ein. Am schlimmsten traf es den regionalen Kreditgeber Toyama.

Auch der neue Notenbankchef Ueda ist in einer ganz diffizilen Lage: Zieht er die Bremse, drohen neue Unruhen an den Finanzmärkten. Die anhaltende Nullzinspolitik hat den Yen auf ein Fünfzigjahrestief gebracht. Über steigende Importpreise wird die Inflation befeuert. Man fürchtet eine Lohn-Preis-Spirale. Gewerkschaften und Großunternehmen vereinbarten Lohnerhöhungen von 3,8% (eine Sensation für Japan). Es besteht Gefahr für die Kapitalmärkte. Wegen der heimischen Nullzinsen haben japanische Anleger rund 3 Billionen Dollar im Ausland geparkt, davon die Hälfte in den USA. Steigen die Zinsen in Japan, könnten Großanleger im großen Stil Dollaranleihen abstoßen und ausländische Investoren die beliebten Finanzierungsgeschäfte in Yen auflösen. Die kosten des Abwartens scheinen geringer als der schnelle Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik zu sein. Vgl. Fritz, Martin: die Samurai der Geldpolitik, in: WiWo 15/ 6.4.23, S. 38f.

Japan war ein Pionier der Nullzinspolitik. Jetzt muss der neue Zentralbankchef Kazuo Ueda die Wende schaffen. Macht er Fehler, könnte das weltweit die Märkte zum Absturz bringen. Im Juni 2023 bleibt die Zentralbank vorerst bei der lockeren Geldpolitik.  Daten der japanischen Geldpolitik  im Überblick: Staatsverschuldung in % 2024 (Prognose) 260,3. Bilanzsumme der BoJ 737,1 Bill. Yen. Anleihen im Besitz der BoJ 46,3%. Staatsausgaben 2024 216,1 Bill. Yen. Haushaltssaldo in Prozent des BIP 2024 -2,5%. Vgl. Kölling, Martin: Japan startet ein geldpolitisches Experiment, in: HB 70/ 11.4.23, S. 12f.

Doch auch 2023 hält die BoJ an der Nullzinspolitik fest als letzte große Zentralbank. Dadurch haben sie sich in eine komplizierte Situation manövriert.  Man könnte das als Billionen -Wette ansehen. Es ist das letzte große Carry-Trade-Geschäft, das in der Welt überlebt hat.

16. Inflation bzw. Deflation in Japan: Die lockere Geldpolitik hat in Japan aber noch nicht bis 2021 für einen Auftrieb der Preise gesorgt. Damit sehen einige Ökonomen Japan als Modell für das Inflationsproblem in Europa. Andere gehen davon aus, dass das Experiment in der EU anders ausgeht. 2021 hat Japan eine Inflationsrate von lediglich 0,4% das Jahr über.

Dafür gibt es viele Grüne in Japan: Die Wirtschaftskrisen schwächten die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer. Die Löhne in der Privatwirtschaft sanken seit Ende der Neunzigerjahre um 12 Prozent. So konnten die Firmen ihre Absatzpreise stabil halten. Außerdem bremsen die hohen staatlichen Subventionen die Preise. Sie legten in den letzten 30 Jahren im Schnitt um 3,5% pro Jahr zu. Sie umfassen 2022 15% des BIP (sie führen auch zu Zombie-Unternehmen, siehe oben). Betriebliche Kostensteigerungen werden faktisch vom Staat übernommen. Die Regierung übte Druck auf die Mobilfunkanbieter aus, ihre Tarife zu senken. Auch der Wechselkurs spielt eine Rolle: Der japanische Yen ist eine beliebte Fluchtwährung (ähnlich in der Schweiz durch den Franken). Vgl. Fischer, Malte/ Fritz, Martin: Wo die stabilen Preise wohnen, in: WiWo 3/ 14.1.2022, S. 38f.

Japan ist international eine Ausnahme: die Inflationsrate dürfte 2021 bei -0,4% liegen. Sie steigt im ersten Quartal 2022 auf 0,9%. Die Gründe dafür sind: Währungen ist Fluchtwährung/ Wechselkurs, Aufwertung der Währung, Japan pumpt Liquidität ins Ausland, Energiepreise geringeres Gewicht im Warenkorb, hohe Subventionen/  Staat übernimmt Kostensteigerungen, niedrige Zinsen locken kein Kapital aus dem Ausland, es gibt Lohn-Preis-Spirale nach unten). Vgl. Schnabl, G./ Murai, T.: Das Geheimnis der Mini-Inflation in Japan und der Schweiz, in: WiWo 13/ 25.3.22, S. 39. 2022 erreicht die Inflationsrate 2,6%. Sie steigt dann noch auf 3%. Das ist für Japan relativ hoch. Im Januar 2023 lag sie bei 4,3%. Im Februar 2023 sinkt sie auf 3,3% (Subventionierung von Gas und Strom).

Über steigende Importpreise wird die Inflation befeuert.  Über 4% ist der höchste Wert seit 43 Jahren. Man fürchtet eine Lohn-Preis-Spirale. Gewerkschaften und Großunternehmen vereinbarten Lohnerhöhungen von 3,8% (eine Sensation für Japan). Es besteht Gefahr für die Kapitalmärkte. Wegen der heimischen Nullzinsen haben japanische Anleger rund 3 Billionen Dollar im Ausland geparkt, davon die Hälfte in den USA. Steigen die Zinsen in Japan, könnten Großanleger im großen Stil Dollaranleihen abstoßen und ausländische Investoren die beliebten Finanzierungsgeschäfte in Yen auflösen. Die Preisdaten setzen Ueda im April 2023 unter Druck. Die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) liegt im April 23 noch bei +3,8%.

17. Neuorientierung in der Geopolitik und Geld für Aufrüstung: Japan sieht die Gebietsansprüche von China und die Aggression Chinas mit großer Sorge.

Japan lässt sich den Schutz der USA einiges kosten. Der Anteil Japans an den Gesamtkosten liegt bei 50% (Deutschland 18%). In Japan ist eine große Anzahl von US - Gi`s stationiert. Wie in der Nato strebt Japan das 2%-Ziel bei den ausgaben an.

Die wachsende Militärmacht Chinas hat Aktivismus in Japan ausgelöst. Sie sind in Quad eingetreten zusammen mit USA, Australien und Indien. Mit Australien stärkt man die Militärkooperation erheblich. Man rüstet auch stark auf. Positiv steht man dem Abkommen von Australien, GB und den USA gegenüber (Aukus). Japan erwägt angesichts des Ukraine-Krieges auch, dem atomaren Verteidigungsbündnis Aukus beizutreten (Australien, USA, GB). Eine formelle Einladung soll es geben. Dann würde Aukus zu Jaukus. Auch Südkorea könnte auf das neue Bündnis zugehen. Das Bündnis Quad will über das Thema beraten. Die "grenzenlose Freundschaft" von Russland und China hat den Pazifik in Alarmbereitschaft versetzt. Zusätzlich gibt es Gebietsstreitigkeiten mit Russland. Bis Jahresende wird Japan seine verteidigungspolitischen Leitlinien aktualisieren. Es wird erwogen, in Konkurrenz zu China den Export von Kampfflugzeugen an befreundete Länder in Südostasien zu ermöglichen. Auch über die Ertüchtigung von Selbstverteidigungskräften zu präventiven Gegenschlägen im Angriffsfall wird diskutiert. Das zielt vorrangig auf nordkoreanische Raketenstellungen.

In den nächsten Jahren wird Japan in seinem Haushalt umschichten müssen. Die wachsenden Rüstungsausgaben sind zu berücksichtigen. Damit befindet sich Japan in einer vergleichbaren Situation wie Deutschland. Man hat auf Atomwaffen verzichtet und ist unter den Schutzschild der USA geschlüpft. In den nächsten 5 Jahre (ab 2023) will Japan 43 Billionen Yen (297 Mrd. €) für Rüstung ausgeben. Man will auf einen Anteil von 2% des BIP kommen.

Bei einem Besuch von Biden am 22.5.22 in Japan sagt er Taiwan Hilfe zu bei einem Angriff von China auf die Insel. Das Verteidigungsbündnis Quad ist auch gegen die Expansionspolitik Chinas in Asien gerichtet (USA, Japan, Indien, Australien). Vgl. auch Welter, Patric: Jenseits des Pazifismus, in: FAZ Nr. 147/ 28.6.22, S. 1.

Die großen Manöver Chinas nach dem Besuch von Nancy Pelosi auf Taiwan finden auch in der Nähe japanischer Inseln statt. Japan will seine militärische Präsenz auf diesen Inseln verstärken. Gegenwärtig rechnet man eher mit eine Blockade Taiwans als mit einer Invasion. Eine Invasion hätte Riesenverluste und führte möglicherweise zu einer Zerstörung wichtiger Infrastruktur auf Taiwan.

Im Haushalt 2023 ist die Neuausrichtung der Sicherheitspolitik (Nationale Sicherheitsstrategie) deutlich zu sehen (300 Mrd. € in den kommenden 5 Jahren). Im Kabinett wird ein drastisch gestiegenes Verteidigungsbudget beschlossen (Bedrohung durch China und Nordkorea). Der Umfang der Raketen (Tomahawk) wird um 500 erhöht. Das Ganze funktioniert ohne Änderung der Verfassung.

Man will auch eine engere Kooperation mit der Nato. Die Welt befinde sich an einem historischen Wendepunkt.

Auch in anderer Hinsicht setzt Japan die Zeitenwende um: Tokio gründet 2023 ein Ministerium für Wirtschaftssicherheit. Europa könnte davon lernen. EU-Präsidentin von der Leyen legt zumindest eine Strategie zur Wirtschaftssicherheit vor. Im Zentrum der japanischen Strategie steht die Unabhängigkeit von China. Nach einem Fischereidisput 2020 hatte China von der Versorgung mit Seltenen Erden abgeschnitten. Das war schon ein Weckruf für die japanische Regierung. Vgl. HB 67/ 4.4.23, S. 10.

Im April 2023 findet ein G7-Außenministertreffen in Japan statt. Außenministerin Baerbock reist von Südkorea aus an. Davor hatte sie China besucht. Die 6 Industriestaaten solidarisieren sich mit Japan. Die Strategie Japans, Pekings immer stärker wachsenden Einfluss mit kleinen, multilateralen Allianzen und großen Handelsabkommen einzugrenzen, findet immer mehr Anhänger. Am 19./ 20. 5.2023 treffen sich die Regierungschefs der G7 in Hiroshima/ Japan. Man will gegen den Export russischer Diamanten vorgehen.  Allein das Unternehmen Alrosa erzielte 2021 332 Mrd. Rubel (4 Mrd. €) Einnahmen. Russische Diamanten, die über Indien oder VAE gehandelt werden. sind erkennbar. Man spricht vom 11. Sanktionspaket. Die G7 beschäftigen sich auch mit China. Es ist ein schwieriger Balanceakt. Biden entschuldigt sich nicht wegen des Atombomben-Abwurfes bei Japan.

18. Japanisches De-Risking: Ein Krieg in Taiwan wäre eine Katastrophe für die drittgrößte Volkswirtschaft. Japan hat deshalb schon früh auch eine ökonomische Zeitenwende ausgerufen. Man will sich sanft von China entkoppeln. Umgerechnet 3,3 Mrd. € sind seit 2020 aus Japans Staatskasse an japanische Unternehmen geflossen, damit sie ihre Lieferketten unabhängiger von China machen. China ist ein interessanter Markt, darf aber nicht Teil der kritischen Lieferkette sein. Vor allem bei Sektoren wie Halbleitern und modernsten Computern muss die Forschung im eigenen Land bleiben.  Vgl. Mattheis, Philipp: De-Risking auf Japanisch, in: WiWo 39/ 22.9.23, S. 34f.

Einige Unternehmen orientieren sich konkret um: Canon hat seine Fabrik in Südchina geschlossen (gegründet 1990). Auch ond und Mazda wollen von China unabhängiger werden. Tamura (Corporation, Rasenmäher) verlagert die Produktion von China nach Rumänien.

19. Deutschland-Japan-Bündnis 2022: Am 29.4.22 reist Bundeskanzler Scholz nach Japan. Er besucht Japan als Bundeskanzler als erstes Land in Asien. Das wird als klare Botschaft an China gesehen. Unter anderem spricht man über das G7-Treffen im Juni 2022 in Bayern/ Deutschland. Auch Premier Fumio Kishida setzt auf starke Partner. Japan hat sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Waffenlieferung gibt es allerdings nicht, aber Ausrüstung (Westen, Stahlhelme, Winterkampfbekleidung). Der Premier hofft auf die Solidarität des Westens, falls China den Status Quo verändert. Scholz spricht von einer "Wertepartnerschaft". Er meint damit eine andere "nachhaltigere", "solidarischere", klügere" Globalisierung. Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger 29. 4. 22, S. 5.

Am 18. und 19.3. 23 finden Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Japan in Tokio statt. Die Kooperation beider Länder soll vertieft werden.  Bundeskanzler Scholz ist mit den wichtigsten 6 Ministern angereist. Man vereinbart eine engere Zusammenarbeit bei Handel/ Wirtschaft und Militär. Japan hat einen weltweit einzigartigen Ansatz der Rohstoffsicherung aufgebaut. Deutschland will davon profitieren. Man kann von einer strategischen Wende in der deutschen Asienpolitik sprechen.

20.Übrige Politik Japans (Reaktionen) und Zukunft: Ende Oktober 2018 kündigt Japans Regierungschef Abe an, dass er mehr Kooperation mit China will. Er spricht von "einem historischen Wendepunkt" auf dem ersten Gipfel beider Staaten in Peking. Möglichkeiten der Zusammenarbeit sieht er bei der Infrastruktur, der Logistik, bei Gesundheit und Finanzdienstleistungen. Einige Wirtschaftsabkommen wurden unterzeichnet. Auch beim Thema "Nordkorea" will man zusammenarbeiten. Kooperationen im Bildungsbereich hat es immer wieder zwischen beiden Ländern gegeben. Viele heutige Führungskader von Partei und Ministerien in China wurden in der Vergangenheit in Japan ausgebildet. Anfang November 2018 besuchte Wirtschaftsminister Peter Altmaier Tokio vor dem Asien-Pazifik-Gipfel. Er trifft seinen Amtskollegen Hiroshige Seko. Auch ein Treffen mit Abe ist geplant. In Anbetracht des Wandels der US-Handelspolitik wollen beide Länder enger zusammenarbeiten. Die führenden Länder der Weltwirtschaft, zu denen auch Japan noch gehört, richten sich strategisch neu aus (ausgelöst durch den radikalen Wandel der US-Handelspolitik und der US-Außenpolitik insgesamt). Die Frage ist allerdings, ob Japan eine langfristige Strategie hat, vergleichbar der Chinas. Man hört zu oft den Satz: "Bis zu den Spielen", womit die Olympischen Spiele 2020 gemeint sind. Das wäre viel zu kurzfristig gesehen. Hinzu kommt noch, dass Japan hier vor einer Blamage steht. Japans NOK-Chef Tsunekazu Takeda zieht sich aufgrund Korruptionsvorwürfen aus seinen Ämtern zurück. Ungeklärte Fragen bleiben: Wofür wurden Millionen US-Dollar an eine Firma in Singapur gezahlt. Die Korruptionsvorwürfe finden kein Ende, zusätzlich explodieren noch die Kosten. Dann kommt die Corona-Krise. Das Virus stellt schön im März 2020 in Frage, ob die Olympischen Spiele überhaupt stattfinden können. Das Olympische Komitee wälzt das Risiko immer auf den Ausrichter ab. Japan hätte Kosten von mindestens 17 Mrd. €, die nicht gedeckt wären. Für die wirtschaftliche Situation des Landes eine Katastrophe. Hinzu käme noch der Ausfall der Besucher. Im März 2020 erwägt man immer dringender eine Verlegung der Spiele (japanische Komitee, Abe). Die Kosten wären immens. Am 24.3. wird die Verlegung um 1 Jahr beschlossen. Die Olympischen Sommerspiele beginnen nun am 23. Juli 2021. Das Gros der Japaner will aber eine Absage oder weitere Verschiebung. Was kommt, dürfte von einem Impfstoff abhängen.  Für die Nationalisten in Japan geht es dabei um alles (Gegner China, Kriegsschuld, Aufrüstung). Das Olympische Komitee stützt Ende 2020 noch die Austragung mit Publikum. Am 07.01.2021 muss Japan für den Großraum Tokio den Ausnahmezustand ausrufen. Die Neuinfektionen an einem Tag sind auf über 2000 angestiegen. Auch die Präfekturen Chiba, Saitama und Kanagawa sind einbezogen. Das ist kein gutes Zeichen für die Olympischen Spiele. Das könnte ein finanzielles Desaster für Japan werden (auch wenn die Spiele ohne Zuschauer stattfinden). Das Olympische Komitee will im Januar 2021 die Spiele noch im März 2021 durchführen. 80% der Japaner sind dagegen. Sie fürchten eine Überlastung des Gesundheitssystems. Der mögliche Schaden für Japan wird auf 11 Mrd. Euro geschätzt. Die Spiele werden zunehmen zur Belastung für Japan. Sogar japanische Sportler zweifeln. Im Mai 2021 sprechen sich 70% der Bevölkerung und Japans Ärzte dagegen aus. Je näher die Spiele rücken, desto größer wird die Ablehnung in der Bevölkerung (Gastgeber haben Angst, infiziert zu werden.  Der Chef des Olympischen Organisationskomitees Yoshiro Mori (83-jährig) löst im Februar 2021 einen Sturm der Entrüstung aus: Er sagt, Frauen würden in Sitzungen zu viel reden. Mit diesem Argument ist er gegen die Erhöhung des Frauenanteils im Vorstand von 20 auf 40%. Japans Olympiaministerin Seiko Hashimoto, die auch für Gleichberechtigung zuständig ist,  spricht sich für eine Demission aus. Sie wird dann selbst Chefin des Komitees. Der Premier will die Spiele durchziehen. Es drohen Geisterspiele. Sie finden auf jeden Fall ohne Publikum aus dem Ausland statt. Kaum noch jemand im Land selbst hat Lust auf die Spiele. Neue Ministerin für die Vorbereitung der Spiele ist Tamayo Marukawa. Sie ist angefressen ("konwaku"), weil Bach die Teilnehmer mit einem chinesischen Impfstoff  versorgen will. Schließlich versorgen die Nationen ihre Teilnehmer mit Impfungen. Im Juni/ Juli 2021 steigen die Infektionszahlen in Tokio wieder stärker an. Die Spiele finden vollständig ohne Zuschauer an den Wettkampforten statt. Die Sicherheitsvorkehrungen sind sehr hoch. 205 Nationen und ein Flüchtlingsteam nehmen teil.  Die Japanerin Naomi Osaka ist die bestbezahlte Sportlerin 2020 (Forbes-Liste). Die Tennisspielerin investiert in Frauenfußball in den USA. Das löst eine Diskussion in Japan aus. Vor zwei Jahren bei Werbung für den Nudelhersteller Nissin musste sie ihre Haut weißer färben. Osaka steht für klare politische Statements, was man in Japan nicht gewohnt ist. Sie rückt auf der Tennis-Weltrangliste immer weiter nach oben. Sie macht ihre Depression öffentlich. Sie ist auch sozial engagiert. Bei den French Open gibt sie vorher bekannt, dass sie nicht mit den Medien reden will. Als Druck ausgeübt wird, zieht sie sich von den French Open zurück. Bei den XXXII. Olympischen Spielen in Tokio entzündet sie das Feuer.

Japan leidet auch in Zukunft unter der Überalterung seiner Gesellschaft, anhaltenden Deflationssorgen und einer geringen Wirtschaftsdynamik. Im Oktober 2019 ist eine weitere Mehrwertsteuererhöhung angekündigt. Sie dürfte zu Vorzugseffekten beim Konsum führen. Die Mehrwertsteuererhöhung von 2014 führte dann zu einer Rezession. Die Aussichten sind daher eher verhalten (2019 0,6% Wirtschaftswachstum? IWF 0,9%). Die japanische Notenbank stemmt sich gegen höhere Zinsen, eine Yen-Schwäche könnte auch helfen. Aufgrund der starken Exportorientierung sind viele japanischen Konzerne eher abhängig von der globalen als den heimischen Konjunkturtrends. Für japanische Aktien spricht ihre günstige Bewertung. Vgl. Deutsche Bank: Perspektiven 2019, Frankfurt 2019, S. 10f. Den dynamischen Aufstieg Chinas scheint Japan nicht für sich nutzen zu können, im Gegenteil scheint es das Land psychologisch zu hemmen. Auswirkungen einer China-Schwäche werden viel zu wenig untersucht. Doch gibt es auch viel versprechende Reformbemühungen (bessere Steuerpolitik, Abschaffung des Senioritätsprinzips, Entflechtung der Konglomerate).  Im ersten Halbjahr 2019 erreichen zumindest die Unternehmensgewinne Rekorde, ein Aufschwung zeichnet sich ab, man braucht sogar ausländische Arbeitskräfte.

Die Situation ändert sich dramatisch mit der Corona-Krise 2020. Die meisten Infizierten schleppt ein Kreuzfahrtschiff in Japan ein. Man reagiert zu spät auf die Bedrohung. Das Schiff wird unter Quarantäne gestellt. Doch die Ausbreitung der Epidemie auf Japan kann nicht verhindert werden. Viele Gäste waren schon von Bord gegangen. Neben Südkorea ist Japan später das Land mit der höchsten Verbreitungsrate in Asien (nach Entstehungsland China). Allerdings bekommt man die Seuche relativ gut in den Griff. Man setzt auf Quarantäne, Tests und digitale Technik. Japan gilt als zunächst Erfolgsmodell zusammen mit Südkorea, Singapur und Taiwan. Später breitet sich das Virus wieder stärker aus, im April 20 exponentiell. Es sind erst 500.000 Menschen bis zum 05.04. getestet worden. Man setzt das Grippemittel Avigan gegen Covid-19 ein. 7 Präfekturen führen die Ausgangssperre ein. Die Regierung ruft den Notstand aus. Das Virus erfasst Japan in der zweiten Welle umso stärker. Regierungschef Abe tritt am 28.8.20 zurück (schwere Krankheit: Darmentzündung). Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum während seiner fast achtjährigen Ära liegt bei 0,4%, deutlich unter seinem Ziel von 3%. Also war Abenomics eindeutig ein Misserfolg. Der Nachfolger von Abe als Vorsitzender der LDP wird der Stellvertreter Suga. Damit wird er auch nächster Ministerpräsident. Suga ist 71 Jahre alt und ein Vertrauter von Abe (er stammt allerdings nicht aus einer Politiker-Dynastie, sondern aus ärmlichen Verhältnissen). Er will die schwer angeschlagene Wirtschaft ankurbeln. Er will die Politik seines Vorgängers aber fortsetzen. Damit ist er ein Mann für den Übergang.  Damit wird sich auch der Abstieg Japans weiter beschleunigen (Vergreisung, Rekordverschuldung, Weigerung vor Innovationen und Veränderungen). Die Konkurrenz aus China, Südkorea, Vietnam und Indien wird Boden gewinnen. Konkret will er Folgendes machen: Verwaltung digitalisieren, ländlichen Raum beleben, Sozialsysteme sichern, Konsum anregen. Seine Ministerriege wirkt nicht frischer als die alte.  "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", sein Lieblingssatz (Suga).

Japan hat generell damit zu kämpfen, dass China immer mehr Asien dominiert wie schon einmal in der Geschichte (um 800 bis 1500 n. Chr.). Das "Neue Seidenstraßenprojekt" symbolisiert auch den Imperialismus Chinas in Asien und Eurasien (Chinas "Griff nach dem Westen"). Japan muss eine neue Rolle  in dieser chinesischen Strategie finden. Allianzen mit den USA und Australien sind ein Anfang (Quad, auch Indien dabei). Weiterhin muss Ostasien (China, Japan) nicht der allein prägende Teil Asiens bleiben: Indien und Indonesien sowie Korea und Vietnam sowie Malaysia  holen gewaltig auf. Aber Asien wird mit dem Kernland China die Globalisierung der Zukunft dominieren, was auch eine Chance für Japan ist. Bei RCEP ist Japan mit dabei. China - und vielleicht auch die USA - werden aber einzelne Länder immer mehr vor die Wahl stellen, sich einer Seite im "Kalten Krieg 2.0" zuzuordnen, was besonders Japan und Süd-Korea betrifft. Es ist fraglich, ob die Strategie des "Durchwurstelns" beider Länder haltbar ist. Im November 2021 legt erstmals seit 20 Jahren wieder ein deutsches Marineschiff im Hafen von Tokio an: die Fregatte "Bayern". sie soll UN-Sanktionen gegen Nordkorea überwachen helfen und im Gebietskonflikt zwischen China und den Anrainerstaaten Farbe bekennen.

Exkurs: Premier Suga: Er ist 2021 im Umfragetief. Die Olympischen Spiele werden für Geldverschwendung gehalten. Zahlreiche Skandale erschüttern ihn. Sein Sohn soll TV-Manager üppig bewirtet haben. Er will um jeden Preis die Spiele durchziehen. sie kommen, allerdings ohne Publikum aus den Ausland. Sonst würde China mit seinen Winterspielen 2022 siegen. Er braucht auch die Medieneinnahmen, um halbwegs die Baukosten zu decken. Er versucht außenpolitisch in Quad zu punkten. Die Spiele könnten den Blick auf Japans Rückständigkeit bei der Frauenrolle und die gestrige Elite lenken. Suga hat im Herbst 2021 Unterhaus-Wahlen. Vgl. Wagner, Wieland: Geisterspiele von Tokio, in: Der Spiegel Nr. 12, 20.3.21, S. 100f.

Exkurs. Premier Fumio Kishida: 2023 ist Fumio Kishida Premierminister (seit 2021). Für die Wirtschaft des Landes ist er ein Glücksfall. Im Dezember 23 erschüttert ein Spendenskandal seine Partei LDP. Er muss alle Minister einer mächtigen Untergruppe seiner Partei entlassen (Fraktion von Abe). Die Staatsanwaltschaft durchsucht Räume, auch die der Gruppe Nikai. Kishida gilt als Mann mit dem Füllhorn für die Wirtschaft. Er versucht auch mit allen Mitteln, Investoren nach Japan zu holen (die China nicht mehr trauen). Blackrock, dei größte Investmentgesellschaft der Welt, lud er nach Japan ein. Das tat er im renommierten Economic Club of New York. Kishida entstammt einer Politikerfamilie, deren Wurzeln in Hiroshima liegen. Der skandal bringt ihn ins Wanken, zumal er in der Bevölkerung nicht sehr beliebt ist.  Vgl. Kanning, Tim: Japans Mann mit dem Füllhorn wackelt, in: FAZ 21.12.23, S. 20.   "Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft - vor allem die Wirtschaft ist meine Priorität", Kishida in der Regierungserklärung im Oktober 23.

"Still sitzend, nichts tuend, kommt der Frühling und das Gras wächst von allein", Zen-Weisheit. Vielleicht kommt so das Ende der Krise! Es bleibt für Japan, dieses faszinierende Land, zu hoffen.

Viele Experten sehen Japan aber heute als "Museum für die Vergänglichkeit von Erfolg".

 

Erfolgsmodell Mittelstand! Die mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft als Grundlage des ökonomischen Erfolges Deutschlands (der wichtigste Faktor im Weltwettbewerb um Wohlstand).

Einzige deutsche  IT - Firma von Weltrang, gegründet 1972. Die SAP war wie jedes Unternehmen auch einmal ein mittelständisches Unternehmen und natürlich auch ein Start - up. Es hat aber nicht wie viele digitale Weltunternehmen der USA im Silicon - Valley in einer Garage angefangen.  In den Anfängen war meine Frau noch bei der US-Firma Unisys beschäftigt. Diese verfügte über ein vergleichbares Produkt; die SAP wurde eher belächelt und einer Kooperation nicht für würdig gehalten. Heute ist die SAP ein Groß- und Weltunternehmen und das einzige deutsche IT - Unternehmen , was in der Welt mithalten kann (das auch eine wichtige Niederlassung im Silicon Valley betreibt). Das Unternehmen ist natürlich auch im DAX. 2019 wird Jennifer Morgan als erste Frau eines Dax - Konzerns Co-Vorstandsvorsitzende.  Sie scheitert allerdings nach kurzer Zeit an der Unternehmenskultur der Firma. Wenn man den deutschen Mittelstand verstehen will, muss man sich mit den Gründen beschäftigen, warum SAP nie im deutschen Mittelstand Fuß gefasst hat, obwohl es immer die Absicht war. Das Foto stammt von der Homepage der Firma, wo auch die Firmengeschichte erläutert wird. Die SAP ist eine der größten Firmen in der Metropol -Region - Rhein - Neckar, zu der auch die Hochschule Ludwigshafen (HWG) gehört. Sie hatte SAP ins Chinesische übersetzt, die Niederlassung in Peking aufgebaut und damit den Sprung des Unternehmens nach China unterstützt (Ostasieninstitut). Ich selbst habe viele Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten zu Projekten der SAP, insbesondere in Asien, betreut. Die Hochschule Ludwigshafen (HWG) hat Kooperationsstudiengänge mit der SAP. Viele Absolventen der Hochschule arbeiten mittlerweile in der Firma. Einige Jahre war ich Gutachter der Klaus Tschira -Stiftung in Heidelberg (verliert viel Geld bei der Lehman Bank, mehrere Gerichtsverfahren in der Schweiz und London). Tschira war einer der Gründer von SAP. Hopp, ein anderer Gründer, tritt als Sponsor in der Region auf (SAP-Halle, Uni Mannheim, Eishockey Mannheim, Fußball in Hoffenheim). Ein weiterer Gründer, Hasso Plattner, der noch Aufsichtsratsvorsitzender ist, fördert ein IT - Institut in Berlin (vorher gab es auch einmal eine Privat - Uni der SAP in Bruchsal, die Pleite machte). Hasso Plattner bleibt auch 2019 mit 75 Jahren noch Aufsichtsratvorsitzender. Die Gründer halten noch große Aktienpakete (Plattner kauft nach einem Einbruch des Aktienkurses für 250 Mio. € Aktien zurück). SAP hat auch eine Partnerschaft mit Alibaba in China. Das Unternehmen ist sehr bekannt in China. Delegationen, wie z. B. vom Umweltministerium 2019, wollen das Unternehmen besuchen. Mittlerweile spielt der Cloud-Bereich eine große Rolle. Ende 2018 wird die Plattform für Marktforschung in Echtzeit  Qualtrics gekauft (für 7,1 Mrd. €). Diese verwenden wir auch bei Umfragen an der Hochschule für Abschlussarbeiten.

2003 habe ich das letzte Lehrbuch über die Mittelstandsökonomik veröffentlicht: W. Krämer, Mittelstandsökonomik, München (Vahlen) 2003. Heute kann man die Dynamik der Entwicklung in der digitalen Transformation nur noch im Internet wie auf dieser Plattform darstellen (Vgl. Mittelstandsökonomik). Bei der Digitalisierung müssen Großunternehmen, wie die SAP, und KMU kooperieren.

"Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der Maschine. Dort geht von ihm die Bewegung des Arbeitsmittels aus, dessen Bewegung er hier zu folgen hat. in der Manufaktur bilden die Arbeiter Glieder eines lebendigen Mechanismus. In der Fabrik existiert ein toter Mechanismus unabhängig von ihnen, und sie werden ihm als lebendige Anhängsel einverleibt", Karl Marx, MEW 23, S. 445. Marx erkannte genau die Vorteile von KMU. Er beschäftigte sich auch mit der Situation der Winzer an der Mosel, seiner Heimat. Wegen eines kritischen Artikels über die preußische Verwaltung und einer entsprechenden Reaktion, antwortet Marx selbst in der Rheinischen Zeitung. Köln.

0. Natürliches Experiment als Methode in der Ökonomie: Geographie, Politik, Kultur und Institutionen wurden lange in der Ökonomie ausgeblendet. Heute weiß man über die Bedeutung dieser Faktoren. Die institutionelle Struktur und auch die Kultur der deutschen Wirtschaft sind Erfolgsfaktoren. Das wird im Folgenden eingehender analysiert. Für Japan habe ich mal in einem Projekt die Bedeutung der Kultur für die Wirtschaft analysiert: Vgl. Japan-Paradoxon.

1. Mittelstand: Wird am besten qualitativ abgegrenzt. Eigentum, Führung und Haftung fallen zusammen. Das Unternehmen ist kleiner, nicht marktbeherrschend; Werte und ein gutes Betriebsklima herrschen vor. Laut Arbeitsgemeinschaft Mittelstand gibt es in Deutschland 3,4 Mio. mittelständischer Unternehmen (99,6%), in denen fast 70% aller Beschäftigten arbeiten und der 45% der gesamten Wirtschaftsleistung erbringt. 15,7 Mio. Beschäftigte, 3,4% F&E-Quote, 117.307 Euro Umsatz je tätige Person (2011; Markt und Mittelstand, 10/2014, S. 18ff.). In früheren Zeiten war er eine gesellschaftliche Schicht, die gemessen an Eigenschaften wie Einkommen, Vermögen und Beruf einen mittleren Status einnahm. Für "Mittelstand" gibt es aber verschiedene Definitionen: EU bis 249 Beschäftigte (B.), bis 50 Mio. € Umsatz (U.) im Jahr; IHK 499 B., 100 Mio. € U.; Bundesministerium für Wirtschaft und IMF - Bonn 499 B. und 50 Mio. U.. Manche zählen auch Eigentümer geführte Familienunternehmen dazu (diese werden bei den Links teilweise auch dazu gerechnet). Der Begriff selbst ist eigentlich nur in Deutschland. Er ist auch in den Niederlanden oder Dänemark gebräuchlich. Mittlerweile gilt er als deutsches Erfolgsmodell und wird sogar in den USA und Frankreich verwandt. "Le Mittelstand" steht für die duale Ausbildung, gute Arbeitsverträge, erfolgreiche Familienunternehmen in der Welt und Innovation. Der Wirtschaftshistoriker Hartmut Berghoff nennt folgende Kriterien des  klassischen" Mittelstands­modells: im Familienbesitz und familiengeführt, Kontinuität über mehrere Generationen hinweg, emotionales Zugehörigkeitsgefühl, eine patriarchalische Kultur und informelle Strukturen, Unabhängigkeit. Mit der Situation des Mittelstands beschäftige ich mich schon sehr lange; vgl. als Beispiel: Krämer, W.: Die Bedeutung innovativer Investitionen und des Führungspersonals für den Unternehmenserfolg mittelständischer Industrieunternehmen, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf), 8/1983, S. 666 - 681, (gemeinsam mit Werner Biehl).

2. Häufigkeiten in der Unternehmensstruktur in Deutschland: Quellen sind die Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes (StBA), der Mikrozensus des StBA, Sonderauswertungen des Unternehmensregisters (Arbeitstättenzählung, StBA) und Berechnungen des IfM, Bonn. Vgl. auch FAZ Nr. 248, 25. Oktober 2013, S. 14. Es gibt ca. 18.000 Großunternehmen in Deutschland (zur Abgrenzung vgl. diese Homepage, IfM-Bonn oder Wirtschaftsministerium bzw. EU). 66.500 Unternehmen sind Mittlere Unternehmen. 238.000 Unternehmen werden als Kleine Unternehmen bezeichnet. Kleinste Unternehmen sind 740.000. Selbstständige ohne Beschäftigte machen 2.513.000 aus. Unternehmen unterhalb der 17.501 Euro Schwelle sind 2.197.000. Betrachtet man die eigentümer- und familiengeführten Unternehmen, so kommt das Ifm-Bonn für 2014 auf einen Anteil von 93,8% (1998: 94,8%; Materialen 253).   In RLP sind 99,7% aller Unternehmen KMU. Den meisten Umsatz macht der Handel vor dem produzierenden Gewerbe. RLP hat die rentabelsten Kleinunternehmen. Im Mittel wird eine Umsatzrendite von 7,9% erzielt. Auf dem zweiten Platz liegen Mittelständler aus Hamburg (6,9%). Am niedrigsten ist die Kennziffer in Sachsen-Anhalt mit 4,6%. Quelle: Studie der KfW, Frankfurt 2018. Vgl. auch: Krämer, Werner: Personalführung und Organisation im Wandel. Die Berücksichtigung von Entwicklungen im Umfeld der kleinen und mittleren Unternehmen im Management, in: Schauf, M. (Hrsg.): Unternehmensführung im Mittelstand, Rainer Hampp-Verlag, München und Mering 2006, S. 203 - 244.

3.Weltmarktführer ("Hidden-Champions"): Es gibt drei Definitionskriterien: 1) In der Branche Nr. 1,2 oder 3 und auf dem Weltmarkt Nr. 1. 2) Der Jahresumsatz liegt in der Regel höher als 5 Milliarden Euro. 3) Geringer Bekanntheitsgrad auf Basis qualitativer Beurteilung.  Sie beherrschen Nischen bzw. Segmente des Weltmarktes. Sie werden auch als "Hidden-Champions" bezeichnet. Darunter sind viele KMU und Familienunternehmen. Zwischen 1100 und 1500 Unternehmen in Deutschland gelten als Weltmarktführer auf speziellen Gebieten (manche Experten nennen nur 455). Mehr als 20 Prozent sind in ländlichen Gebieten, die meisten in Süddeutschland (wichtige Bedeutung der KMU für die Region). Gute Beispiele sind Selb, Künzelsau, Albstadt und Biberach (Quelle: Weissman Gruppe für Familienunternehmen, Leibniz-Institut für Länderkunde). Vgl. auch die Seite "Links" (Mittelstand/ Unternehmen/ Hidden Champions). Folgende Merkmale gelten für diese Unternehmensgruppe: Focussierung auf spezielle Kompetenzen, Innovation und Kundennähe, Globalisierung, Wettbewerbsvorteile. Heute geht man von sechs Faktoren aus, die Weltmarktführer stärken: 1. Zwang zur Innovation. 2. Lokal verwurzelt. 3. Nischen besetzt. 4. Global focussiert. 5. Nah am Kunden. 6. Langfristig denken. Nach einer Erhebung der Unternehmensberatung Simon Kucher & Partners 2015 gibt es folgende Häufigkeitsverteilung bei den "Hidden Champions" nach Ländern: Deutschland 1307, USA 366, Japan 220, Italien 76, Frankreich 75, Großbritannien 67, China 69, Korea 23, Russland 14, Spanien 11, Brasilien 11. Quelle: Unternehmermagazin 7/8, 2015, S. 20. Vgl. auch: Krämer, Werner: Führungskräfte im Mittelbetrieb .Ein Beitrag zur Qualifikationsforschung, in: Internationales Gewerbearchiv (IGA) St. Gallen, (jetzt: Zeitschrift für Kleinunternehmen und Entrepreneurship), Heft 2/1985, S. 98 - 106.

4. Familienunternehmen: Keine allgemeingültige Abgrenzung. Merkmale: Kopplung Familie - Unternehmen; Einfluss der Familie; Generationen übergreifend (nachhaltig). Das IfM-Bonn hält die Kriterien Eigentum und Leitung in Verbindung für notwendig: Danach sind 95% aller deutschen Unternehmen Familienunternehmen (41% des Gesamtumsatzes, 16% Eigenkapitalquote). Weitere Punkte: Die Firma ist kein Business, sondern eher Lebenszweck. Ziel ist der Erfolg vor Geld. Hinzu kommt die besondere Beachtung der Mitarbeiter, und das Hören auf die Kunden. die emotionale Bindung ist ein Anker. Mittlerweile werden alle Familienunternehmen auch als Mittelstand definiert ohne Berücksichtigung der Beschäftigtenzahl (anders nur bei Unternehmen, in denen Besitzer und Geschäftsführer nicht identisch sind). Vgl. Klein, S. B.: Familienunternehmen, Wiesbaden 2004. Inhabergeführte Unternehmen sind keineswegs generell erfolgreicher. Wenn die Kinder das Ruder übernehmen, geht es oft bergab. Die beiden mächtigsten Familien ("Clans") in Deutschland sind Piech und Klatten/Quandt. Ihnen gehören nicht nur die Automobilfirmen (VW, BMW), sondern auch viele andere Unternehmen (Altana, Nordex, SGL Carbon, Datacard, Gemalto). Die Aktien der Familienunternehmen schlagen in den letzten Jahren den DAX. Die Organisation der Familien ist in ihrer Durchdachtheit mit Firmenorganisationen vergleichbar (z. B. Familie Henkel: Gesellschafterausschuss, Familienbesprechungen, Familienkomitee, Henkel Family Office für Finanzen). Familienunternehmen waren in den letzten Jahren ein Jobmotor. Hier sind besonders viele Arbeitsplätze in der Industrie entstanden: Die 4700 größten Firmen (mindestens 50 Mio. € Jahresumsatz) stellten zwischen 2012 und 2015 im Schnitt rund 7% neue Mitarbeiter ein (Quelle: BDI/ Deutsche Bank 2016). Die meisten großen Familienunternehmen hat NRW (1195) vor Bayern (914) und Baden-Württemberg (830). Das sind zwei Drittel aller großen Familienunternehmen. Gemessen an der Einwohnerzahl hat Hamburg die meisten Familienunternehmen. Die Wirtschaftsstruktur der neuen Länder (Ostdeutschland) ist stark von KMU und Familienunternehmen geprägt (welche große deutsche Konzerne und ausländische Direktinvestitionen rar sind).   Das größte nicht börsennotierte Familienunternehmen in Deutschland ist nach dem Umsatz (2010) die Schwarz-Gruppe (Lidl) vor Aldi, Haniel (Metro) und der Merkle-Gruppe. Mittlerweile (2015) liegt VW an der Spitze (202 Mrd. €). Dann folgen Heraeus, Bertelsmann und Boehringer Ingelheim. Vgl. auch Sabine B. Rau: Erneuern oder verkaufen, in: Handelsblatt, Mo. 29.12.2014, S.48: Die Autorin nennt drei Bausteine zur Überlebensfähigkeit: 1. Entrepreneurial legacy und Innovation; 2. Ausbildung, Lehr- und Wanderjahre; 3. Experimentieren der jüngeren Generation. Der Einfluss der Familien geht oft über einzelnen Unternehmen hinaus. Berühmt ist etwa die schwedische Familie Wallenberg. Sie ist zum Synonym für Schwedens Wirtschaft geworden. Sie  hat Einfluss auf fast alle Unternehmen in Schweden. Aber sie steht auch für patriarchalisch geprägte soziale Verantwortung, "Tatsächlich sind jedoch große familiengeführte Unternehmen, bei denen die Familienmitglieder noch in der Geschäftsführung aktiv sind, rentabler als managergeführte Unternehmen und das unabhängig von der konjunkturellen Lage, wie eine unserer aktuellen Studien anschaulich belegt: Hierfür waren im vergangenen Jahr erstmals die Bilanzdaten von 3.723 großen Familienunternehmen mit denen von 2.852 großen managergeführten Unternehmen im Zeitraum zwischen 2008 und 2012 verglichen worden. Als große Unternehmen galten in dieser Studie solche mit einem Jahresumsatz von mindestens 50 Millionen Euro". s. Jutta Gröschl/ ifm-Bonn, Vorteil Familie, in: Handelsblatt, am 16.02.2015, S. 48. In Deutschland gilt die Familie Quandt als eine der einflussreichsten (Stefan Quandt hält allein 25,8% der Stammaktien von BMW, viertgrößter Konzern Deutschlands; auch Eigentümer von Solarwatt, Kiwigrid, BHF-Bank, Logwin, Entrust Datacard). 2015 führt die Schwarz-Gruppe bei den Familienunternehmen sowohl bei Umsatz als auch bei Mitarbeitern. Vgl. Krämer, Werner: Mittelstandsökonomik, München (Vahlen) 2003.

5. Handwerk:  In manchen Mittelstandsuntersuchungen arbeitet man mit einer Abschneidegrenze von 20, so dass das Handwerk raus fällt. Im Römischen Reich und Mittelalter - auch im alten kaiserlichen China - kann man das Handwerk als erste Ausprägung des Mittelstands ansehen (Zünfte, wenn man die Hauswirtschaft der Antike ausschließt). Heute ringt das Handwerk oft mit Klischees und ringt ebenso um Nachwuchs. Es ist schwer, gute Fachkräfte zu bekommen. Das Handwerk gilt als Stabilisator der konjunkturellen Entwicklung. Dies gilt gemessen an der Umsatzentwicklung generell. Diese Funktion beruht auf einer geringen Exportabhängigkeit bei stabiler Binnennachfrage. Vgl. Thomä, J.: Das Handwerk als Stabilisator der konjunkturellen Entwicklung, in: Wirtschaftsdienst 2011/2, S. 127ff. Viele Handwerker geraten in Schwierigkeiten, weil die Hersteller harte Bedingungen etwa für Ersatzteillieferung diktieren. So sind oft eine spezielle Werkstattausstattung und teuere Fortbildungen notwendig. Kleinbetriebe können oft nicht mehr mithalten (z. B. Uhrmacher, KfZ-Handwerk). Die Zahl der Handwerksbetriebe ist 2017 auf 999.636 angestiegen (1998 850.586). Es gibt aber weniger Meister (-5% gegenüber 2008, 574.086). Am stärksten stieg die Zahl der Betriebe im Fliesen-, Platten- uns Mosaikleger-Bereich vor den Raumausstattern. Das Handwerk erwartet für 2017 ein Umsatzplus von 2,5% (2016 waren es 3,5%). Die Auftragsbücher sind gut gefüllt. 2017 geht es dem Handwerk so gut wie lange nicht mehr. Der Umsatz ist im Vergleich zum Vorjahr um 3,65% gestiegen. Industrienahe Sparten profitieren am stärksten. Der Boom dürfte 2018 anhalten. Die Schattenseite ist, dass man als Kunde lange warten muss. Die Preise steigen sprunghaft. Vgl. auch Krämer, W.: Compliance: Wer ehrlich, anständig und integer bleibt, geht langfristig in Führung. Vortrag (Power Point - Präsentation)  in Landau/ Handwerkskammer Südpfalz (Dienstleistungszentrum Handwerk, DLZH), November 2014. Mit Handout und Diskussion.

6. Mittelstand/ KMU im Ausland: Mittelständische Unternehmen spielen in der Schweiz eine ähnliche Rolle wie in Deutschland. Zwei Dritte aller Beschäftigten arbeiten in KMU (bis 249 Beschäftigte). Diese Unternehmen machen 99,6% aller Unternehmen aus. Als großer Vorteil der Schweiz gelten die Rahmenbedingungen: Sozialpartnerschaft, Nähe zur Wissenschaft und Groß-Industrie, lockeres Arbeitsrecht, wirtschaftsfreundliche Politik (mit Volksentscheiden). Vgl. Wirtschaftswoche 37, 4.9.15, S. 50. Mehr noch als Deutschland lebt auch Österreich von den KMU. Aber schon mehr als 75% investieren 2015 nicht mehr im eigenen Land. Es gibt Klagen über die hohen Arbeitskosten, die wuchernde Bürokratie und das Arbeitsschutzgesetz (Wirtschaftswoche 46/ 6.11.15, S.58ff.). In Polen können die KMU nicht mehr mit niedrigen Preisen punkten. Sie müssen innovativer werden. Die Steuergesetze sind sehr kompliziert. Vgl. Wirtschaftswoche 49, 27.11.15, S. 54f. In Frankreich ist French Tec auf dem Vormarsch. Das Land hat eine sehr erfolgreiche Gründerszene. Die Vorzeige-Start-ups heißen Blablacar (Mitfahrzentrale), Criteo (Internetwerbung), Drivy (Auto-Sharing), Captain-Train (Zugticket-Verkauf), Parrot (Drohen). In den USA gibt es 2014 eine Welle der Produktions-Rückverlagerung (Protektionismus von Trump). Mehr als 800 Unternehmen haben ihre Fertigung wieder zurückgeholt. Zum Mittelstand zählen nur ca. 200.000 Unternehmen , die zwischen zehn Millionen und einer Milliarde Dollar umsetzen und rund 40 Mio. Menschen beschäftigen. Die Produktionskosten in den USA sind gesunken und die Kunden wollen "Made in USA" (vgl. Wirtschaftswoche 2/8.1.2016, S. 42). Unternehmen mit beschränkter Haftung heißen in den USA Corp. oder Inc. (kurz für "Corporation" oder "Incorporated"). Dies entspricht in etwa der deutschen GmbH. Es gibt abweichende Regelungen in den einzelnen Bundesstaaten. Der Unternehmensname ist lediglich in dem Bundesstaat geschützt, in dem er eingetragen wurde. Japan hat auch eine mittelständische Struktur, große Konzerne gehen auf Familien der Samurai zurück. China hat unvorstellbar viele KMU (50 Mio. ?). Zentrum ist die Region um Shenzshen. Die Start-up Szene ist groß und sehr beweglich.  Vgl. auch: Krämer, Werner: Chancen und Risiken deutscher kleiner und mittlerer Unternehmen in der VR China, in: Letmathe, P./ Eigler, J./ Welter, F./ Kathan, D./ Heupel, T. (Hrsg.): Management kleiner und mittlerer Unternehmen, Stand und Perspektiven der KMU-Forschung (Gabler Edition Wissenschaft), Wiesbaden 2007, S. 489 - 504 und: Krämer, Werner: Trends im Mittelstand - Fallstudie G. Bee GmbH, (zusammen mit Karsten Ranger; es geht um eine Direktinvestition in China), in: Kruse, Oliver./ Wittberg, Volker. (Hrsg.): Fallstudien zur  Unternehmensführung, Wiesbaden (Gabler - Verlag, Lehrbuch zu Management, Unternehmensführung, Organisation) 2008, S. 127 - 142.

7. Digitalisierung: Neugestaltung des Unternehmens als solches in der digitalen Welt. Der Schlüssel sind die Entscheidungen über Grenzen, vor allem die Festlegung der Unternehmensgrenzen. Die Entwicklung geht von der Hierarchie zum Monopol. Als Kriterien dienen: 1. Suchkosten. 2. Vertragskosten - Intelligente Verträge, Multisignatur: Intelligente komplexe Verträge. 3. Koordinationskosten. 4. Die Kosten des (Wieder-) Aufbaus von Vertrauen. Vgl. Don Tapscott/ Alex Tapscott: Blockchain Revolution, Kulmbach 2016, S. 123ff. Facebook und Mittelstand: Etwa 40% der KMU in Deutschland haben keine Website. Sogar in den USA sind es bei KMU 35% (2016). Facebook appelliert an alle KMU in der Welt, also 60 Mio. Unternehmen, dem Netzwerk beizutreten. Der Hintergedanke bei Facebook liegt natürlich wie immer in der Vergrößerung der Werbeplattform. Vgl. die Seite "Mercator/ digital"

8. Mittelstandssoftware: 2013 stoppt die SAP die Weiterentwicklung der Mittelstandssoftware Business By Design. Es ist der größte Flop der Unternehmensgeschichte. KMU behelfen sich in der Regel mit Microsoft Office und mit Modifikationen dieses Programms. Weitere bekannte Anbieter sind DATEV (insbesondere für Steuern) und Haufe (Lexmark). ERP-Systeme tun sich schwer damit, dass die KMU einzelne Prozesse auslagern (Steuerbüro, Buchführung). Weiterhin haben die KMU vor allem im Produktionsbereich spezielle Anforderungen, auf die einzugehen zu teuer ist. Neue Entwicklungen wie Produktion 4.0 oder Energiemanagement können aber zu einem Wandel führen. Softwarepaket für den Mittelstand: Die meisten KMU haben Einzelprodukte, die lose miteinander verknüpft sind. Im Mittelpunkt stehen in der Regel die Business bzw. Professional Pakete "Windows Office". Das Mittelstandspaket "Business by Design" von SAP wartet noch wie alle Versuche vorher auf Erfolg. Die SAP baut auch den neuen Geschäftsbereich "SMB Solution Group" auf. Der Markt für Lösungen für Unternehmen unter 500 Beschäftigten soll neu definiert werden. Marktforscher rechnen mit einer Erhöhung der IT-Ausgaben von KMU bis 2018 auf 680 Mrd. US-Dollar. "Never change a running system", Glaubensbekenntnis vieler IT-Abteilungen.

9. Beschäftigung im Mittelstand (Mittelstand und Arbeitsmarkt): 70,5% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (einschließlich Azubis und tätige Inhaber) arbeiten in KMU. 83,1% aller 1,7 Mio. Auszubildenden haben einen Ausbildungsplatz in KMU, (Schlüsselzahlen des IfM - Bonn 2009). Mittelständische Unternehmen haben nach einer Schätzung von Creditreform allein  in 2007 400.000 Arbeitsplätze geschaffen (2003-2005 nach KfW - Mittelstands - Panel auch 400.000, 2009 in der Krise werden aber allein im Maschinenbau 50.000 Stellen abgebaut). Im Handwerk sollen in der Krise 40.000 Arbeitsplätze verloren gegangen sein. Mit einem Wachstum und damit mehr Arbeitsplätzen wird erst ab 2011 gerechnet (ZDH). 2011 ist der Mittelstand im Stimmungshoch. Jedes vierte Unternehmen will Personal aufstocken. Für 2016 erwartet der Mittelstand eine deutliche Zunahme der Beschäftigung (Jobwunder, 450.000 neue Stellen). 2016 ist die Zahl der Beschäftigten im Mittelstand so hoch wie noch nie: +4,6% auf 30,9 Mio. (Quelle: KfW-Studie 2017). Zur Beschäftigung in KMU habe ich viel publiziert. Vgl. zum Beispiel: Krämer, Werner: Der Teilarbeitsmarkt für Führungskräfte kleiner und mittlerer Unternehmen , in Soziale Welt, Heft 4 (1983), S. 500 - 513 und Derselbe: Personalwirtschaft in Klein- und Mittelbetrieben - Ein empirischer Überblick -, in: Personal, Report 84, Juni 1984, S. 14 - 17.  "Für Familienunternehmer sind Entlassungen eine persönliche Niederlage", Jürgen Thömmes, Mittelstandsforscher.

10. Kultur und Bildung als Wettbewerbsvorteil für deutsche KMU (Duale Ausbildung): Die Duale Ausbildung in Deutschland gehört untrennbar zur Erfolgsgeschichte des deutschen Mittelstands. Man erkennt die ungeheure Bedeutung dieses Faktors nur, wenn man die Länder analysiert, in denen die Duale Ausbildung fehlt. Hier sind an erster Stelle die beiden größten Wirtschaftsnationen der Erde zu nennen, nämlich die USA und China. Deutsche Direktinvestitionen sind in diesen Ländern gerade so erfolgreich, weil sie die Duale Ausbildung importiert haben. Die mittelständischen Firmen in Deutschland sind für über 66% aller Auszubildenden verantwortlich.  Aber auch die technische und naturwissenschaftliche Hochschulausbildung in Deutschland hat heute noch Weltgeltung. Sie ist ein weiterer wichtiger Wettbewerbsfaktor. Nicht zu unterschätzen ist auch die Deutsche Kultur. Die Vielfalt, die Toleranz, die weite Streuung, die regionale Verbindung von KMU und regionalem Leben ist eine deutsche Besonderheit. Wir sollten sie sorgsam pflegen und bewahren. Mittlerweile wird die Duale Ausbildung auch in Afrika eingesetzt, so etwa in Kenia. Vgl. hierzu einige Veröffentlichen von mir: Werner Krämer:  Hochschule und Wirtschaft. Probleme, Erkenntnisse und Konsequenzen, Köln: Deutscher Institutsverlag (Beiträge zur Gesellschafts- und Bildungspolitik, hrsg. vom Institut der deutschen Wirtschaft, IW), 1982, 48 S., (gemeinsam mit G. Brinkmann, B. Knoth und Georg von Landsberg). Werner Krämer: Aktuelle Ergänzungen zum Forschungsstand über Familienunternehmen in Deutschland (Strukturdaten), Co-Referat auf dem Fachsymposium "Familienunternehmen" zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) in Berlin im April 2012 (Institut zur Erforschung wirtschaftlichen Verhaltens e. V., Köln). Werner Krämer: Das Japan - Paradoxon. Gedanken über den Zusammenhang zwischen Kultur und Wirtschaft anlässlich einer Japan-Reise, in: Update 6 (FH Mainz, Fb. Wirtschaftswissenschaften, SS 2008), Mainz  2008, S. 30 - 35.

Exkurs: Deutsche Kultur und Mittelstand: Was macht die deutsche Kultur aus. Die bekanntesten Studien dazu stammen von Thomas (Psychologe) und Borchmeyer (Germanist; Dieter Borchmeyer, "Was ist deutsch", Berlin 2017). Davon zu unterscheiden ist das Bild über Deutschland im Ausland. In Bezug auf China habe ich das mal untersucht. Das Bild hat eine große Bedeutung für die Außenwirtschaft. Es ist auch immer einem Wandel unterworfen. 2017 kommt wieder die Diskussion über eine deutsche Leitkultur hoch (wahrscheinlich schon Wahlkampf). Wir Deutsche sollten aber als die großen Gewinner der Globalisierung Weltbürger sein. Der Begriff "Leitkultur" wird missbraucht, um die kulturelle Vielfalt der Welt und ihre Buntheit zu "bereinigen". Weitere Missgriffe entstanden durch die Wörter "Willkommenskultur" und "Erinnerungskultur". Sogar der ehemalige SPD-Vorsitzende und Außenminister Gabriel fordert im Dezember 2017 eine Debatte über Leitkultur in Deutschland. Heimat: Der Begriff wird 2017 und 2018 in Deutschland wieder belebt. Die Globalisierung hat Gewissheiten verunsichert. Heimat kann Orientierung und Halt geben. Der Begriff wird auch durch den Aufstieg der AfD bei allen Parteien wieder salonfähig; der Begriff sollte auch nicht den Rechten überlassen werden. Heimat ist Vertrautes, verändert sich aber auch. Aber auch gleichwertige Lebensverhältnisse werden mittlerweile so bezeichnet. Heimat und Weltoffenheit lassen sich verbinden. Viele bevorzugen den Begriff "Zuhause". 2018 muss der Bundesinnenminister Heimat definieren, weil er die Bezeichnung auch im Ministeriumsnamen führt: "Heimat ist dort, wo sich Menschen wohl, akzeptiert und geborgen fühlen. Heimat hat nichts mit Enge zu tun, sondern gibt Orientierung und vermittelt einen festen Halt, die Herausforderung des Lebens zu bestehen und nach vorne zu blicken", BMI 2018: Die Notwenigkeit eines Heimat-Ministeriums wird wie folgt begründet: "Der tief greifende Wandel unserer Zeit bewegt viele Menschen in ihrem Lebensalltag. Deutschland hat sich durch Globalisierung, Digitalisierung und Zuwanderung in den letzten Jahren stark verändert. Wenn Gemeinschaften vielfältiger werden, sind die Fragen der Identität und der Identifikation mit unserem Land umso wichtiger", BMI 2018. Die Kultur eine Landes hat in jedem Falle sowohl einen großen Einfluss auf die Unternehmensstruktur eines Landes als auch auf den Unternehmenserfolg. Die Kultur sollte man deshalb im im Zusammenhang mit Mittelstand im Auge haben, vor allem die Interdependenz.

11. KMU und besondere technische und betriebswirtschaftliche Ausbildung: Die Arbeitsteilung in KMU ist wesentlich geringer als in Großunternehmen. Darauf muss die Ausbildung ausgerichtet werden. Die starke Differenzierung der Betriebswirtschaftslehre nach Funktionen im Unternehmen ist dafür eher ungeeignet. Das Hauptbetätigungsfeld von Betriebswirten sind nicht börsennotierte Konzerne, sondern Familienunternehmen, KMU und Start-ups. BWL und VWL werden und müssen in Zukunft noch stärker zusammenwachsen und auf Problem lösen ausgerichtet werden. Auf die Folgen von Digitalisierung muss stärker eingegangen werden, ebenso mehr auf den Klimawandel und den Machtkampf zwischen den USA und China (Globalisierung). Die BWL sollte also mehr über den Tellerrand schauen: Auch medizinisches Wissen sollte mehr integriert werden, ebenso wie mehr Energiewissen. Hinzu kommt eine Beschäftigung mit Ethik, Informationswesen, Wertschöpfungsprozesse. Dies zeigt die Corona-Krise 2020. Die praxistaugliche Theorie des Unternehmens sollte weiter entwickelt werden. Vgl. Werner Krämer: Führungskräfte kleinerer Unternehmen. Arbeitsanforderungen und Ausbildungsbedarf, Berlin: Duncker & Humblot, (Beiträge zur Verhaltensforschung, hrsg. von Prof. Dr. G. Schmölders),1982, 553 S., (gemeinsam mit Gerhard Brinkmann und Barbara Knoth). Werner Krämer: Der Zusammenhang zwischen Berufsausbildung und Berufstätigkeit. Eine empirische Untersuchung von Ausmaß, Entstehung und Folgen beruflicher Flexibilität bei Führungskräften kleiner Unternehmen, Göttingen: Schwartz (Schriften zur Mittelstandsforschung, hrsg. vom Institut für Mittelstandsforschung, Bonn, mit einem Vorwort von Prof. Dr. H. Albach, Bonn), 1982, 392 S. Werner Krämer: Ausbildungsbedarf mittelständischer Unternehmen, in: Gabele, E. (Hrsg.): Märkte - Mitarbeiter - Management, Erfolgreiche Führung kleiner und mittlerer Unternehmen I, (Band 2 in der Reihe „Erfolgreiche Führung in Wirtschaft und Verwaltung"), S. 72-93, Bamberg : Bayerische Verlagsanstalt, 1983, (zusammen mit G. Brinkmann und B. Knoth).

12. Mittelstandsfinanzierung: Schätzungen für 2016 (Quelle: Capmarcon): Eigenkapital 400 Mrd. Euro, Bankkredite (315 Mrd. €, Rückstellungen 110 Mrd. €, Schuldscheine 24 Mrd. €, Anleihen 3 Mrd. €. Vgl. Handelsblatt 8.2.2017, S. 31. Literatur: Geiseler, C: Das Finanzierungsverhalten kleiner und mittlerer Unternehmen: Eine empirische Untersuchung, Wiesbaden 1999 und Hommel, U,/ Schneider, H.: Financing the German Mittelstand, EIB-Papers, 8(2), S. 53-90. Der traditionelle Bankkredit ist die Säule. Hier stehen die Sparkassen und Volksbanken im Vordergrund. Die Kreditkosten machen im Schnitt zwei bis vier Prozent des Umsatzes aus. Immer mehr setzt sich der Finanzierungs-Mix durch. Neben Eigen- und Fremdkapital kommen auch Beteiligung, Factoring und Leasing. Schwarmkapital spielt in der Finanzierung von Start-ups eine immer größere Rolle. Die Kapitalbeschaffung über das Internet wird zur Alternative zu Risikokapital. Innovationen passen oft nicht in das Kreditschema, weil die meisten Banken standardisierte Modelle anbieten. Weitere alternative Formen sind Private Equity, Anleihen und Genussrechte. Zusammenhänge in der Mittelstandsfinanzierung: 1. Die Anfangsfinanzierung bei der Gründung beeinflusst spätere Phasen der Finanzierung. 2. Subjektive Faktoren haben Einfluss. 3. Besonders wichtig ist eine genaue Beobachtung nach der Investition (Monitoring) und entscheidet auch über den Erfolg des Unternehmens. Vgl. Krämer, Werner: Aktuelle Herausforderungen für mittelständische Unternehmen - Trends in der Finanzierung in Zeiten von Finanz- und Eurokrise, in: Andrea Honal (Hrsg.): Aktuelle Marketing- und Management-Trends. Das Beste aus Theorie und Praxis, Verlag Dr. Kovac, Oktober 2014, S. 409-426. "Ich habe alles Geld, das ich verdient habe, sofort wieder reinvestiert. Hätte ich es auf der Bank gelassen, wäre es emotional weniger wert als das, was ich daraus gemacht habe", Reinhold Messner, Bergsteiger. Mittlerweile gibt es im Fernsehen eine Sendung, mithilfe derer Start-ups Finanzierungen für ihre Investitionen suchen können. Sie heißt die "Höhle der Löwen" (VOX, Di. 20.15 Uhr). 2015 lanciert die IKB Debt Fonds für den Mittelstand ("Valin Mittelstand Senior Debt Fund"). Er hat ein Volumen von 475 Mio. € und vergibt Fremdkapital für Laufzeiten von sieben bis zehn Jahre. Versicherungen und Pensionsfonds wollen von der Kreditnachfrage solider Mittelständler profitieren (höhere Rendite; Investoren sind Generali, NNGroup, Gothaer Versicherungen). IKB soll auf einen neuen Gesellschafter vorbereitet werden (US-Investor Lone Star will aussteigen). 2015 gibt es Pläne für ein europäisches Kreditregister, in dem alle Darlehen ab 25.000 € erfasst werden. Der Mittelstand fürchtet zunehmende Bürokratisierung.

13. Mittelstandspolitik: Hierbei handelt es sich um staatliche Hilfen (Steuererleichterungen, Krediterleichterungen, Investitions- und Finanzhilfen, Beratung) für kleine und mittlere Unternehmen. Sie sollen die relativen Nachteile dieser Unternehmen gegenüber Großunternehmen und Multis und die Schwachstellen ausgleichen, die Effizienz und Innovation steigern. Um die Folgen der weltweiten Finanzkrise 2008 auszugleichen, richtet die EU spezielle Darlehen ein, die über die Europäische Strukturbank (EIB) zu erlangen sind (bis 2011  30 Mrd. €). Die Mittelstandspolitik ist Teilbereich der Strukturpolitik (neben regionaler, sektoraler). Eine vernünftige Evaluierung findet nicht statt (häufig nur Ermittlung der Bekanntheit). Die EU plant 2013 eine Reform des Beihilferechts. Die Kriterien werden überarbeitet (Verschuldungsgrad, Verhältnis zum Unternehmensergebnis). Davon betroffen ist insbesondere die Förderung für kleinere Betriebe (bis zu 200.000 €). Das ifm-Bonn sieht die Mittelstandspolitik als Rahmenpolitik (Studie 2016). Mit der KMU-Politik weltweit habe ich mich öfters beschäftigt. Vgl. zum Beispiel folgende Publikation: Krämer, Werner: KMU-Politik in Deutschland im Vergleich zu den Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt China, Japan und USA im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit, Working Paper HS Ludwigshafen 1/2012., Ludwigshafen, im März  2012, 21 S.

14. Moderne Industriepolitik: Notwendigkeit der Industriepolitik durch Digitalisierung, Energiewende und den Aufstieg Chinas. Es geht um die Grundsatzfrage, ob es ein ineffizienter staatlicher Eingriff ist oder eine zukunftsweisende Option. Direkte Interventionen können in eine technologische Sackgasse führen und dem Wettbewerb schaden. Investitionen sind auf der anderen Seite mit großer Unsicherheit über die Zukunft und mit hohen Risiken belastet. Die Wirtschaft wird mittlerweile von Netzwerkeffekten und Pfadabhängigkeiten dominiert. Ziele könnten sein, mehr Wohlfahrt und Nachhaltigkeit für die gesamte Gesellschaft zu erreichen. Es geht aber auch vor allem um das "Wie". Wettbewerb, Technologie und Innovation sollten im Mittelpunkt stehen. Vgl. Industriepolitik, in: Wirtschaftsdienst 2019/2, S. 87ff. Es geht um eine optimale Gestaltung des technischen Wandels von morgen, um die moderne Fabrik. Grundprinzipien: ist staatliche Förderung entscheidend oder der Wettbewerb? Unterstützung der Unternehmen durch die Wirtschaft. Schlüssel- und Zukunftstechnologien sollen wachsen. Die Unternehmen wollen allerdings keine Dauerintervention des Staates. Die Industriepolitik für KMU wird zur Mittelstandspolitik gerechnet. Im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher KMU ist sie im Auge zu behalten. In den asiatischen Ländern ist die Mittelstandspolitik (SME-Policy) in die Industriepolitik eingebunden. So versuchen China und Japan, längerfristig ihre Wirtschaftsstrukturen zu beeinflussen. In der EU muss sich erstmal eine klare Arbeitsteilung zwischen EU-Mittelstandspolitik und den Politiken der Länder herausbilden (dazu habe ich einen Artikel geschrieben: KMU-Politik in Deutschland im Vergleich zu den Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt China, Japan und USA im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit, Working Paper HS Ludwigshafen 1/2012., Ludwigshafen, im März  2012, 21 S. ). In Deutschland bewegt sich die Industriepolitik zwischen "Rheinischem Kapitalismus" und Beschränkung der freien Kräfte des Marktes durch Gesetze. Mittlerweile ist China die größte Herausforderung für eine moderne Industriepolitik. Die Erfolge der Chinesen erklären sich aus der Mischung von plan- und marktwirtschaftlichen Strategien. Sie wurden aber auch durch die schiere Größe des Marktes und die Abschottung begünstigt. Vor allem auf dem Feld der Digitalisierung arbeitet China mit einem Tempo, das unheimlich ist. "Die heimische Wirtschaftspolitik verunsichert die Unternehmen zunehmend, vor allem den Mittelstand", Martin Wansleben, DIHK. Die Übernahme von Kaiser´s Tengelmann durch Edeka und die damit verbundenen Schwierigkeiten zeigen die Schwachpunkte der Industriepolitik in Deutschland. Das Verbot des Zusammenschlusses der Bahnsparte von Siemens und Alstom durch die Wettbewerbskommissarin zeigt Schwachpunkte der EU-Industriepolitik.

15. Bedeutung für gleichwertige Lebensverhältnisse: KMU haben eine große Bedeutung für gleichwertige Lebensverhältnisse. Die gleichmäßige Verteilung der Arbeitsplätze ermöglicht einen vergleichbaren Wohlstand. Regionen in den neuen Ländern: Abseits der aufgepäppelten Zentren gibt es auch 2017 noch viele Regionen, die veröden. Alterung und Abwanderung verdunkeln weiter die Perspektive. Iris Gleicke, die Ost-Beauftragte der Bundesregierung legt zum 03.10.2017 eine Bilanz vor. Die Lage lässt auch besser verstehen, warum die AfD bei der Bundestagswahl 2017 zweitstärkste Kraft in den neuen Ländern geworden ist. 2019 läuft der Solidarpakt II (Soli auf den Arbeitslohn) aus. Ab 2021 dürfen wohl viele der Gebiete nicht mehr gefördert werden (auch Folge des Brexits). Erstmals seit der Wiedervereinigung sind 2018 mehr Umzüge nach Osten erfolgt als umgekehrt.

Lebensverhältnisse in Deutschland nach Regionen: Ergebnisse der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse"  (Vertreter von Bund, Länder und Kommunen, Bertelsmann-Stiftung) 2019 zeigt, dass die Lebensverhältnisse in Deutschland immer weiter auseinanderdriften. Die Pro-Kopf-Verschuldung ist in den Kommunen sehr unterschiedlich. Am höchsten ist sie im Saarland und in einigen Kommunen von RLP im Westen. Kassenkredite müssen dort für Altschulden aufgenommen werden und die Sozialleistungen steigen rapide. Wenn die Konjunktur abkühlt, dürfte die Lage noch dramatischer werden. Ein Altschuldenschnitt sollte in Betracht gezogen werden. Es soll ein Modernisierungsplan für Deutschland entwickelt werden mit fundamentaler Veränderung der Struktur- und Förderpolitik. Der Plan soll 12 Punkte umfassen (unter anderen Ansiedlung von Behörden und Forschungseinrichtungen, Ortskernsanierung von Dörfern, staatliche Infrastrukturgesellschaft).

16. Social Entrepreneurship: Das Konzept entstand mit der Aufgabe vom Primat des Politischen und Öffentlichen. Die Balance zwischen Leistungsprinzip und Solidarität ist verloren gegangen. Auf den Markt ist kein Verlass mehr. Also sucht man nach Auswegen. Die Frage ist aber, ob Sozialunternehmertum die gesellschaftliche Lösung ist. Vgl. Louis Klein: So geht es nicht, in: agora 42, 2018, S. 19ff. Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn (IfM-Bonn) beurteilt die Sozialen Unternehmen nach drei Kriterien: 1. Marktaktivität. 2. Soziale Mission. 3. Gewinnverwendung. Soziales Unternehmertum kann die Gesellschaft verändern. Doch haben Social Start-ups große Probleme. Woran liegt das? 1. Wie viel Gutes ist gut genug? 2. Viel Motivation, wenig Geld. 3. Vom Engagement zur guten Kennzahl. 4. Kollaboration unter den Akteuren. Vgl. Heckel, Manuell: t3n, digital pioneers 1/2019, S. 108ff. Soziale Nachhaltigkeit in KMU (Social Sustainability): Normalerweise wird sie aus Social Compliance, nachhaltiger Personalwirtschaft (Nachfolge, Familie) und nachhaltiger Finanzierung (Selbstfinanzierung, Eigenkapital) gebildet. Im Master des Weinbaustudiengangs habe ich dazu eine Veranstaltung. Vgl. auch:  Krämer, Werner. Soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit bei Unternehmen in der Digitalisierung, in: Vieweg/Müller/Wiegand/Meisner (Hrsg.): Nachhaltige Unternehmensführung in der Digitalisierung. Instrumente - Erfolgsfaktoren - Praxisbeispiele, Berlin (Erich Schmidt-Verlag)  Juni 2018, S. 71 - 84. Es gibt mittlerweile Bewegungen in der Ökonomie, die sich stark ausdehnen. Im deutschsprachigen Raum ist das die Gemeinwohl-Ökonomie. Sie arbeitet bei vielen KMU mit Gemeinwohlmatrix und Gemeinwohlbilanz (starke Gewichtung von ökologischen und human-sozialen Kriterien).

17. Bewährungsprobe in der Corona-Krise (ökonomische Resilienz: relativer Vorteil der mittelständischen Struktur Deutschlands): Auch in der durch den Virus Covid-19 verursachten Wirtschaftskrise 2020 dürfte sich die mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft wieder bewähren. KMU können wesentlich flexibler, schneller und strategischer in solchen Situationen reagieren. Das gilt vor allem, wenn der Staat die richtigen Ausgleichsmaßnahmen zur Verfügung stellt wie die Bundesregierung (leichter Kurzarbeitergeld, günstige Kredite, Liquiditätshilfen, steuerliche Hilfen, Bürgschaften u. a.). Durch das Rost fallen am Anfang noch Kleinstunternehmen (Selbständige, Freiberufler, Solo-Selbständige; Gaststätten, Übernachtungsbetriebe, die ihre Dienste nicht nachholen können). Sie sollen durch einen Mittelstandsfonds  aufgefangen werden. Dieser "Härtefallfonds für Kleinstunternehmen" (Corona-Fonds) soll die Pauschalgarantie umsetzen, dass geholfen wird. Man will für diese Gruppen weg von Krediten hin in Richtung Rettung um jeden Preis (Zuschüsse). Auch die Anmeldefrist für Insolvenzfälle von 2 Wochen soll verlängert werden. Auch die Bundesländer wollen zusätzlich Hilfen bereitstellen (Bayern prescht vor mit Soforthilfen zwischen 5000 und 20.000 € pro KMU). Für die praktische Abwicklung der Förderungen sind die Institutionen der Länder sowieso zuständig. Einige Bundesländer geben auch eine 100%-Bürgschaft für Kredite. Auch die Bundesregierung gibt noch einen speziellen KMU Kredit (100%-Bürgschaft, Umsatz für drei Monate, Gewinn im letzten Jahr). In Rezessionen hat sich die mittelständische Struktur in der Vergangenheit immer bewährt (Interesse, Mitarbeiter zu halten; schnelle Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit; Stabilität in der Region). 

Das führt zu der generellen Frage nach der ökonomischen Resilienz eines Landes. Schon die grundlegende Änderung der US-Wirtschaftspolitik unter Trump, aber auch der steile Aufstieg Chinas und die Krise in der EU mit dem Brexit, stellten das deutsche Wirtschaftssystem und seine Struktur auf eine harte Probe. Marktwirtschaft alleine kann es nicht mehr richten. Aus der Finanz- und Weltwirtschaftskrise  2009/2010 ging unser Land relativ stabil hervor. Die Forschungen auf diesem Gebiet müssten in der Ökonomie weiter verstärkt werden.  In der Corona-Krise ist die deutsche Wirtschaft überraschend robust. Ab Juli 2020 geht es schon wieder aufwärts, auch beim Export. Einen großen Anteil daran hat die mittelständische Struktur. Große Sorge macht dem deutschen Mittelstand die Entwicklung in den USA und ein ungeordneter Brexit. Mit den Folgekosten der Corona-Krise haben wir noch ca. 10 Jahre zu tun. Der Streit um die Krisenkosten spaltet bisher Europa, wo unsere wichtigsten Märkte liegen. Die 2. Welle von Corona trifft Europa noch mal sehr hart, auch Deutschland.

Resilienz ist nicht zu verwechseln mit der Zombifizierung der Wirtschaft. Milliardenschwere Rettungsprogramme halten Betriebe am Leben, die sonst vom Markt verschwunden wären. Viele Unternehmen können durch die Rettungsprogramme und Hausbanken überleben. Das Problem haben aber alle Länder. Die Eigenkapitalschwäche der Banken trägt dazu mit bei. Wenn ein Unternehmen Konkurs anmeldet, müssen die Banken Kredite abschreiben. Deshalb werden lieber Anschlusskredite vergeben. Vgl. Losse, B./ Fischer, M.: Die Züchter der Zombies, in: WiWo 40/25.9.20, S. 38f. "Regionalspezifische Wirtschaftsstrukturen haben einen Einfluss auf die Resilienz von Regionen in konjunkturellen Krisenzeiten. Noch unklar ist in diesem Zusammenhang die relative Bedeutung kleinerer Unternehmen. Haben sie hinsichtlich der Arbeitslosigkeitsentwicklung in der Corona-Pandemie als Stabilisator oder als Krisenverstärker gewirkt? Unsere Ergebnisse zeigen, dass ländliche und durch die Handwerkswirtschaft geprägte Regionen konjunkturell weniger von den negativen Arbeitsmarktfolgen der Krise betroffen waren. Als zentraler Befund zeigt sich, dass Kreise mit kleinbetrieblicheren Wirtschaftsstrukturen eine höhere Resilienz als Kreise mit großbetrieblicherer Struktur aufweisen." Siehe Haverkamp, K./ Proeger, T./ Runst, P./ Thomä, J.: Kleinbetriebliche Wirtschaftsstruktur -ein regionaler Resilienzfaktor in der Corona-Krise? in: Wirtschaftsdienst 1/2021, S. 40 - 46.

"Gelobt seist du, Mittelstand! Es sind vor allem Mittelständler, die in Deutschland produzieren, investieren und junge Menschen ausbilden. Deshalb muss jede Wirtschaftspolitik das Ziel haben, diese Firmen mit aller Macht zu fördern", Sahra Wagenknecht, Gastkommentar in WiWo 46, 9.11.2018, S. 12. (diese Einsicht ist für eine Politikerin der Linken nicht selbstverständlich. 2019 tritt sie als Fraktionschefin der Linken zurück wegen Burn-out. Sie überholt in dem Jahr sogar Merkel als beliebteste Politikerin. Schon die Analyse von Karl Marx am Anfang hätte sicher nicht jeder erwartet. Marx hat sich intensiv mit den Sorgen des Mittelstands seiner Zeit - wie der Not leidenden Winzer an der Mosel - auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite analysierte Marx auch sehr weitsichtig die Gefahren von Großunternehmen in der Globalisierung. In Bezug auf Marx und seiner Beurteilung zeigt sich erschreckend, wie das Schubladen-Denken in unserer Zeit ausgeprägt ist).

 

Negative Folgen der Globalisierung: Ökonomische Effekte globaler Epidemien (Pandemien, Corona-Schock - ökonomische Analyse): 

  Auf einem schwimmenden Markt im Mekong-Delta. Auf den Märkten kann man fast alle Sorten Fleisch kaufen, auch von Wildtieren. Von Wildtieren wurden die letzten großen Epidemien auf den Menschen übertragen. China verbietet im März 2020 den Import von Wildtieren aus dem Ausland, insbesondere aus Afrika. Es gibt auch andere Überlegungen in China, den Handel und Konsum von Wildtieren einzuschränken. Der Verkauf von Wildtieren wird schließlich verboten. In bestimmten Regionen (z. B. Shenzhen) sind nur noch 10 Tiere zum Verzehr zugelassen. Als besonders gefährlich haben sich Schuppentiere, Ratten, Meerschweinchen, Schlangen  und Murmeltiere erwiesen. Einen großen Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten haben die Fleischpreise von Haustieren. Im Juli 2020 verbietet auch Vietnam den Handel mit Schuppentieren (auch Jagd, Import, Verzehr verboten). Das Land galt als "zoonotischer Hotspot". 2022 erlaubt China wieder Wildtierfarmen. Wildtiere werden kurzerhand zu Nutztieren umdekliniert. Früher hatten Wildtierfarmen einen Umsatz von 70 Mrd. $ im Jahr. Es gab über 20.000.

"Wenn in China ein Sack Reis umfällt" - Redewendung für "Nichts wichtiges". Das hat sich spätestens mit dem Corona-Virus geändert.

"Urlaub 2020: Balkongo, Haustralien, Bettland, Kloronto, Sofambique".

0. Globalisierung: Den Begriff wie das Phänomen hat es immer schon gegeben (vgl. meinen Artikel). Viele sehen in der Entdeckung der Seewege nach Indien und in der Entdeckung Amerikas den Beginn in der Neuzeit mit Globalisierung.  Den wirtschaftspolitischen Terminus in neuerer Zeit prägte Theodore Levitt 1983 mit dem Aufsatz "Globalization of Markets". Wichtig war die Erfindung des Seefrachtcontainers 1956. Die Vernetzung von Individuen in der Welt durch Web 2.0 und 3.0 ist die eigentliche Revolution ("globales Dorf", global village). Den Weltmächten und Weltinstitutionen wird immer weniger zugetraut. Globalisierung bezieht sich auf die engere Integration der Länder dieser Welt. Das Handelsniveau steigt dadurch und auch die Mobilität des Kapitals.  Vgl. Osterhammel, Jürgen/ Peterson, Niels P.: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München (Beck) 2019 (6. Auflage). Globalisierung kann auch als neue Produktionsmethode gesehen werden mit Just in - time - Produktion und Outsourcing. Rekurriert man auf diese Definition, war sie schon nach der Finanzkrise  2008/2009 und Fukushima 2011 zurückgehend. Man kann sie aber auch auf Werte wie Kooperation und Multilateralismus der Länder untereinander beziehen; diese Werte sind im Klimawandel wichtiger denn je. Die Weltleitwirtschaft USA hatte sich davon eher entfernt, vielleicht wird der neue US-Präsident Biden wieder in die andere Richtung gehen (am Protektionismus der USA ändert sich aber nicht viel).  Im Juli 2020 entdeckte man in der Universitätsbibliothek Rostock die einzig noch erhaltene Kopie der Seekarte von Amerigo Vespucci (1454-1512). Sie wurde 1505 gedruckt. Vespucci berichtet über seine transatlantische Fahrt, bei der er erkannte, dass das 1492 von Kolumbus entdeckte Gebiet nicht zu Asien gehören konnte. Das Originalwerk erschien 1478 in Rom.

1. Negative Folgen der Globalisierung und Skepsis sowie Tendenzen der De -Globalisierung (Decoupling): Ab 2016 gibt es immer mehr Ökonomen, die die alte These, dass Mauern und Zäune Wohlstand kosten, nicht mehr akzeptieren Am bekanntesten sind die Arbeiten von Davis Autor, MIT. Er weist nach, dass den Preis für die Globalisierung die Beschäftigen in den Industrienationen gezahlt haben (Produktionsfaktor "Arbeit" als Verlierer). Den Menschen fällt die Umstellung schwer und es entstehen nicht schnell genug neue Jobs. Jens Südekum, Düsseldorf kommt für Deutschland zum gleichen Ergebnis. Die Verteilungswirkungen sind so, dass einfachere Jobs verloren gehen. Gefährlich ist für die Demokratien, dass sich viele Menschen von der demokratischen Mitte abwenden. Sie werden immer anfälliger für Demagogen und Extrempositionen. Diese Stimmung ist verbunden mit einem großen Unbehagen an der Globalisierung. Viele andere Ökonomen sind dagegen der Ansicht, dass die Globalisierung weiter geht. Das Know-how aus den Industrieländern wird in Schwellenländer fließen. Es wird einen Transfer von Wissen geben. Der Dienstleistungssektor könnte revolutioniert werden (Richard Baldwin, Genf). Andererseits gefährdet eine Deindustrialisierung viele Arbeitsplätze (Beispiele USA, Frankreich und GB). 2016 nimmt die Skepsis deutlich zu. Die Globalisierungsverlierer äußern ihren Unmut durch Wahlen. Davon profitiert besonders Trump bei den US-Wahlen. Insgesamt schätzt man, dass in den Industrieländern 20% und 200 Mio. Menschen zu den Verlierern zählen. Bereits seit der Finanzkrise 2007-2008 wird darüber diskutiert. Der Aufschwung war in großen Teilen eine Scheinblüte, getragen durch die Aufblähung der Geldmenge. Wir erleben heute einen Prozess der De - Globalisierung und der Rückbesinnung auf nationale Prioritäten. Hoffentlich bleibt uns ein großer Krieg erspart. Vgl. Otte, Max: Weltsystem Crash, München 2020, S. 106ff. Desintegration des globalen Handels:  Die Welt zerfällt zusehends in die regionalen Blöcke Nordamerika, Asien und Europa. Die Lohnunterschiede zwischen Industrie- und Schwellenländern treiben die Globalisierung nicht mehr an. Neue Technologien ermöglichen den Industrieländern , die Produktion zu Hause zu machen (Digitalisierung, 3-D-Drucker). Weitere Treiber sind der Protektionismus der USA unter Trump und die Klimabewegung bzw. der Druck des Klimawandels. Dadurch könnte aber das globale System instabiler werden, weil die gegenseitige Abhängigkeit sinkt. Die Handelsbarrieren der USA unter Trump, der technische Fortschritt mit weniger Arbeitskräften, der zu starke Globalisierungsschub von 1990 bis 2008  und der politische Populismus mit Bevorzugung des Heimatmarktes führen zu einer Globalisierungspause. Dadurch ist das deutsche Exportmodell direkt betroffen (50% Exportquote, davon 50% in EU-Länder, Binnenmarkt). Man hat die Effizienz in den Mittelpunkt gestellt. Die kulturellen und gesellschaftlichen Folgen wurden vernachlässigt. Dadurch ist in einigen Ländern der Protektionismus in den Vordergrund gerückt. Man kann von einer Tendenz zur De - Globalisierung sprechen (America First, Brexit waren wahrscheinlich nur der Anfang; man spricht auch von Decoupling). Vgl. auch Globalisierung.

Insgesamt wurden in der Globalisierung drei Risiken vernachlässigt: 1. Eintreten einer Krise in China mit globalen Auswirkungen. 2. Cyberkrieg. 3. Pandemie. Hinzu kommt, dass 2020  1. und 3. gleichzeitig eintreten.

2. Geschichte von Epidemien in der Welt (Gefahr von Pandemien durch die Globalisierung und die Umweltzerstörung bzw. den Klimawandel): Viele Epidemien der vergangenen Jahrhunderte und letzten Jahrzehnte hatten in Ursprung in China bzw. Ostasien. Als Gründe gelten mangelnde Hygiene, das Beharren auf dem Konsum von Frisch- und Wildfleisch, exzeptionelle Ernährungsgewohnheiten (bei teurem Schweinefleisch Ersatz durch kleine Wildtiere), das enge Zusammenleben von Tier und Mensch in einer verdichteten Siedlungsstruktur. Hinzu kommen noch andere Gründe: Artensterben, Naturzerstörung, Klimawandel (der Mensch züchtet im Grunde genommen Seuchen). Die Abholzung der Wälder und der Klimawandel schafft für Pandemien günstige Bedingungen. Die Anzahl der Menschen pro Fläche begünstigt die Ausbreitung. Durch Vergiftung der Überlebensmittel Atemluft, Trinkwasser und Boden wird der Körper des Menschen geschwächt. Vor allem hohe Stickstoffdioxidbelastung der Luft lässt die Todesraten bei Corona steigen (Studie der Uni Halle 2020). Epidemien konnten schon große Mächte zu Fall bringen: 430 bis 426 v. Chr. leitete die Attische Seuche den Niedergang der antiken Kultur ein. Man weiß bis heute nicht, an welcher Krankheit ein Viertel der Bevölkerung Athens starb. Bei dem Untergang des Römischen Weltreiches hat Malaria eine Rolle gespielt, die in Südeuropa wütete. Zwischen 600 und 1300 geißelten die Pocken die Menschheit. Die Wikinger hatten sie zuerst, später die Kreuzritter (das Variolavirus hatte eine Sterberate von 30%, wahrscheinlich auch bei Tieren). 1545 bis 1548 starben 5 bis 15 Millionen Ureinwohner Mittelamerikas an der Cocolitztli-Seuche, die die europäischen Eroberer einschleppten.  Eine der schlimmsten Pandemien in der Geschichte der Menschheit war die Pest, die Mitte des 14. Jahrhunderts ausbrach. Ihr Herd lag wohl ebenfalls in China und wurde über Handelswege nach Europa übertragen. Damals brach die gesamte ökonomische Infrastruktur in Asien und im Mittleren und Nahen Osten zusammen., ebenso in der Folge die Seidenstraße. Die Pest hat zwischen 1347 und 1743  100 Millionen Menschen getötet. Schon damals bildeten sich Verschwörungstheorien:  Die Juden, die verhasst waren, wurden verantwortlich gemacht und es setzte das erste Progrom ein. 1802 starben über 60.000 Soldaten  französische an Gelbfieber, die Haiti als französische Kolonie erhalten sollten (gehörten zur Armee von Napoleon). 1812 verlor Napoleon viele Soldaten durch Fleckfieber (wird von Läusen übertragen). Von 350.000 Soldaten kehrten keine 10.000 zurück. Zwischen 1851 und 1910 wütete die Cholera weltweit. Sie kommt immer mal wieder zurück (nach Naturkatastrophen oder in China). Der britische Arzt John Snow (1813-1858) schuf das Urmodell aller Pandemie-Karten für London, das besonders betroffen war. 1957 wütete H2N2 unter dem Namen "Asiatische Grippe". 1968 folgte  H3N2-Influenza, die als "Hongkong-Grippe" in die Geschichte einging. 2002 brach SARS in China aus, eine Viruserkrankung, die 774 Menschenleben forderte. Die Krankheit konnte nur gestoppt werden, weil die Menschen konsequent zu Hause blieben. Bei einem neuen Virus der Vogelgrippe 2013 in China fielen die Aktien von globalen Firmen erheblich (z. B. Lufthansa). Vogelgrippe ist eine unter Vögeln hoch ansteckende Krankheit. Eine Calciumschale im Darm sorgt dafür, dass sie Vögel und kaum Menschen bedroht. 1997 tritt die Krankheit zuerst in Hongkong auf (H5,N1). Die erste globale Krankheit war die Spanische Grippe. Zwischen 1918 und 1920 starben ca. 50 Millionen Menschen. Ursprungsort war wahrscheinlich auch China.  Das weltweite Wachstum brach um sechs Prozentpunkte ein (Quelle: Sherry Cooper, Bank of Montreal). Die Asiatische Grippe forderte 1957/58 4 Mio. Todesopfer. Die Hongkong-Grippe 1968/69 hatte 2 Mio. Todesopfer. Seit 1981 tritt weltweit HIV/Aids auf. Die Krankheit ist nicht heilbar, aber therapierbar. Das Hanta-Virus (Sin-Nombre) wütete 1993 vor allem in den USA. Die Schweinegrippe 2009/10 forderte weltweit 15.000 Todesopfer. Sie brach bei Hausschweinen in den Atemwegen aus. Mitte 2014 brach die Pest in Yumen (Provinz Gansu, China) aus. Überträger war wahrscheinlich das Murmeltier, das als Delikatesse gilt (aber ähnlich wirkt wie die Ratte). 2014 breitet sich die Ebola stark in Afrika aus. Die meist tödlich verlaufende Viruskrankheit hat in Westafrika seit dem Ausbruch 1100 Menschen befallen und 700 getötet (bis Juli 2014; der Ebola - Virus tötet seinen Wirt). Auch die wirtschaftlichen Folgen sind dramatisch: die meisten ausländischen Konzerne hatten ihr Personal aus Guinea, Sierra Leone und Liberia abgezogen. Vor allem Westafrika ist betroffen (mittlerweile auch Nigeria). Die WHO plant einen Sondergipfel. Dieser findet im Herbst 2014 mit den globalen Experten in Genf statt. Die WHO stuft die Krankheit als internationalen Gesundheitsnotfall ein. In Westafrika kommt im Herbst 2014 die landwirtschaftliche Produktion zum Erliegen. Die Krankheit greift auf immer mehr Länder über (Nigeria, Mali). Liberia und Sierra Leone werden lahm gelegt (Ausgangssperre). Sierra Leone befürchtet den wirtschaftlichen Ruin. Bis Ende September 2014 gibt es 3000 Tote durch die Krankheit. Deutschland organisiert einen Freiwilligeneinsatz. Die EU stockt ihre Mittel auf 1 Mrd. € auf. Bis Oktober 2014 sind 10.000 Menschen erkrankt und es sterben 5000. Wohltätigkeitsveranstaltungen und CD´s bringen viel Geld gegen Ebola ein. Ebola bricht immer wieder plötzlich aus und verschwindet dann wieder. Das Virus versteckt sich wahrscheinlich in Flughunden.  Auch HIV wurde ursprünglich von Affen übernommen. Der Vorteil aller Seuchen, die ursprünglich von Tieren stammen, ist, dass man in der Forschung ähnliche Grundstrukturen hat. 2009/10 bedroht die Schweinegrippe (H1N1) die Welt. Die globale Influenza erstreckt sich stark über Mexiko und die USA. Es gibt 18.000 Tote weltweit. Die Krankheit bricht 2020 wieder in Bangalore/ Indien aus. 2015 (zuerst 2012) gibt es die Atemwegserkrankung Mers (auch Corona-Gruppe; von Kamelen), die weltweit auch Tourismus, Hotels und Gastronomie schädigt. Sie bricht zuerst auf der arabischen Halbinsel aus, vor allem in Saudi-Arabien.  Weitere Seuchen von Tieren waren Creutzfeldt-Jacob, Bornavirus und Hus. Weitere Krankheiten, die heute noch sehr bedrohlich sind, sind: Toxoplasmose (von Katzen), Salmonellose (von Nutztieren), Borreliose (Vögel/Mäuse), Hanta-Virose (Rötelmäuse), Fuchsbandwurm (Fuchs), Westnilfieber (Vögel), Nipah-Fieber (Fledermäuse), Tollwut (Hunde), Gelbfieber (Affen). Diese Krankheiten können durch die Luft, Ernährung, Vektoren (Zecken, Insekten), Verletzungen oder direkten Kontakt übertragen werden. 2019/ 2020 bricht eine mysteriöse Lungenkrankheit in China aus. Ein neuer Virus-Typ wird ausgemacht (Corona-Virus, Sars-CoV-2, Covid-19). von Fledermäusen soll das Virus über Schuppentiere (Verzehr) auf den Menschen übergesprungen sein. In Dänemark und den Niederlanden  springt auf Nerzfarmen das Virus erst von Menschen auf die Nerze über (fast 200 Farmen). Dann folgt wieder eine Rückübertragung auf den Menschen. Mediziner befürchten große Folgen für die Resistenz des Virus. Viele Forscher vermuten, dass die engen Schweineställe Brutkammern für die nächste Pandemie sind. Es werden gefährliche Erreger gezüchtet: Das sind Grippeviren, die vom Tier auf den Menschen überspringen und gegen Antibiotika resistent sind.

3. Verbreitung der Seuche "Corona" aus China in der Anfangsphase: Die Krankheit Covid-19 (Sars-CoV-2) ist in der Metropole Wuhan zuerst ausgebrochen  im Dezember 2019 (anfangs 17% Sterblichkeit, später 5,4%, in der Provinz Hubei 0,7%). Es gibt Sorgen wegen der anstehenden Reisewelle.  Der Bürgermeister verhindert die Bekanntgabe auf Anweisung von oben um drei Wochen. Später müssen die Verantwortlichen dafür zurücktreten (KPC-Partei-Chef in Hubei muss gehen; es gibt auch Verschwörungstheorien, weil Mao einst dort durch den Fluss schwamm, um seine Gesundheit und Stärke zu demonstrieren. Es gibt sogar ein Buch mit Titel "Wuhan-400" von 1981, das allerdings ursprünglich Gorki-400 hieß. Es gibt auch die Theorie, dass es sich um einen Forschungsunfall im Viruslabor von Wuhan handelte; die Lieblingstheorie von Trump, obwohl durch den eigenen Geheimdienst widerlegt). Die Chinesen verbreiten die Legende, dass die Seuche zuerst in Oberitalien ausgebrochen sei (eine WHO-Expertengruppe soll ab Mitte Januar 2021 die Ursache klären). Der US-Geheimdienst gibt der Labor-Theorie immer neue Nahrung (Erreger stammt aus einem Labor-Unfall in Wuhan). Der deutsche Virologe Drosten hält eine Übertragung vom Marderhund für möglich. Dann würde der Ursprung in der chinesischen Pelzindustrie liegen, die ein enorm wichtiger Wirtschaftszweig ist. Die Theorie von Marderhund findet 2023 weitere Bestätigung gegen die Laborthese (vgl. Der Spiegel 13/ 25.3.23, S. 99ff.). Die Krankheit breitet sich rasch aus (Mitte Januar 2020 820 Infizierte, 26 Tote; Experten gehen von über 1600 Infizierten aus, da die Krankheit auch in Thailand, Südkorea, den Philippinen, Iran und Japan ausgebrochen ist; am 06.02. schon in über 20 Ländern). Gefährlich ist das exponentielle Wachstum (1 Person steckt 3 an). Diesen schnellen Prozess versucht man zu verlangsamen.. In Europa gibt es die ersten Fälle in Frankreich (44 Fälle in Europa; 1 Todesopfer). Später ist Italien ein Schwerpunkt (Venetien, Lombardei; übertragen von Unilever-Angestelltem oder von chinesischen Arbeitern in Fabriken für Billigmode bzw. chinesischen Dienstleistern; damit wird das Herz der italienischen Wirtschaft getroffen; über 1200 Infizierte). Es folgen Norwegen, Griechenland, Deutschland.  Es wird auch ein Hotel auf Teneriffa abgeschottet. Den ersten Todesfall außerhalb Chinas gibt es auf den Philippinen. Am 5.2.20 wird das Virus auf einem Kreuzfahrtschiff vor Japan gefunden (anfangs 10 Fälle und später mehr Fälle/ über 200, darunter auch Deutsche, sollen zurückgeholt werden; auch ein Kreuzfahrtschiff vor Hongkong ist betroffen). Die Zahl der Infizierten und der Toten steigt rapide an. Vor dem Neujahrsfest wird Wuhan abgeriegelt (Provinz Hubei; Stadt genau in der Mitte Chinas mit 11 Mio. Einwohnern; mit öffentlichem Personenverkehr die Stadt verlassen, ist nicht mehr möglich). Weitere 12 Millionen-Städte werden so abgeriegelt. In Wuhan soll innerhalb 6 Tagen ein Spezialkrankenhaus gebaut werden (es dauert 10 Tage bis Patienten aufgenommen werden können: 25.000 Quadratmeter, 1400 Ärzte). Die Lufthansa und andere Fluggesellschaften fliegen China nicht mehr an. Ausländische Firmen schließen Filialen in China (z. B. Ikea, Schaeffler, BMW, KSB, Adidas, Nike, Nissan, Honda). Nissan und Honda haben Werke in Wuhan. Apple kappt seine Prognose. Auch inländische Unternehmen stellen die Produktion ein (wichtig als Zulieferer; so soll die Ausbreitung verhindert werden). Wuhan ist ein Zentrum der Automobilindustrie. Lieferketten funktionieren nicht mehr.  In Deutschland sind bis 1. Februar 2020  8 Menschen erkrankt, darunter ein Kind (später steigt die Zahl auf 16, am 2.3.20 auf 150). Die Bundeswehr holt Bundesbürger aus China zurück (zwei davon sind erkrankt und werden in der Uni-Klinik Frankfurt behandelt). Die zurückgeholten Deutschen (120) werden in einer Kaserne in Germersheim/ Pfalz in Quarantäne untergebracht (keiner hat die Krankheit). Eine zweite Bundeswehrmaschine holt 24 Deutsche aus Wuhan nach Berlin. In China gibt es bis zu diesem Zeitpunkt 11.791 Erkrankte. Die Zahl der Todesopfer kletterte auf 259 (am 5.2. steigt die Zahl auf über 25.000, die Zahl der Toten auf über 500, der Höhepunkt wird in zwei Wochen erwartet; am 09.02. sind es schon über 40.000 Infizierte, über 500 Tote; am 12.02. über 1000 Tote, über 60.000 Infizierte; am 14.02. über 70.000 Infizierte, 1600 Tote, am 19.02. über 90.000 Infizierte und 2000 Tote; 24.02 80.000 Infizierte und 2400 Tote). Am 25.02.20 gehen die Fallzahlen in China wieder zurück. Am 27.02. sind erstmals mehr Menschen außerhalb Chinas infiziert als in China (Pakistan, Georgien, Brasilien, USA). Italien hat am 22.3. China hat bei der Zahl der Toten durch Covid-19 überholt, ebenso später Spanien. Mediziner des Robert-Koch-Instituts sind Anfang März optimistisch, dass  bald Medikamente für Erkrankte zur Verfügung stehen (entwickelt in China). Ein Impfstoff wird allerdings frühestens erst im Herbst 2020 oder 2021 zur Verfügung stehen.  Die Corona-Krise verändert ein vertrautes Begrüßungsritual. Der Handschlag muss eine zeitlang ausfallen. Der Handschlag steht für Ich nehme dich wahr. Sei willkommen. Er ist unter Christen eine Friedensgeste.

China und die Länder in Asien insgesamt werden wesentlich besser mit Corona fertig als der Rest der Welt, einschließlich Europa. Das dürfte folgende Grüne haben: 1. Schnelle Reaktion. 2. Akzeptanz von Hygiene-Regeln. 3. Konsequente Quarantäne. 4. Bessere Kontaktverfolgung. 5. Zügige Tests. 6. Hohe Hürden bei der Einreise. Vgl. O. V.: Asiens Corona-Strategie, in: Handelsblatt Nr. 218, 10.11.20, S. 14f. 6. Hinzu kommt eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit. Die genauen Zahlen im Inneren müssen nicht unbedingt nach außen dringen. Ereignisse außen können geschickt umdefiniert werden. Der deutsche Virologe Kekule (Uni Halle), der öfter in Talkshows in Deutschland auftritt, wird geschickt missbraucht. Eine Äußerung von ihm über die Ausbreitung des Corona-Virus wird passend zurecht gestutzt: Danach ist die weltweite Pandemie in Oberitalien ausgebrochen, weil erst der Typ W des Virus die Pandemie verursacht habe.  Das chinesische Schriftzeichen für Krise beinhaltet zwei Silben, die einzeln gelesen, die Worte Gefahr  und Chance bedeuten. Das bedeutet nicht nur in China: Wir wachsen an Krisen, wir schaffen das. Durch kollektive Krisen werden wir gemeinsam reifer.

4. Statistische Grundlagen bzw. Verzerrungen, Ökonometrie und Epidemiologie: Am Anfang der Seuche waren die Letalitätsraten (Anteil der Toten durch Corona an den Infizierten) relativ hoch: in Wuhan 17%, in Italien 5%. Das hängt mit der Erfassung der Basis zusammen (Basiseffekt). Man hat anfangs die Zahl der Infizierten, also den Nenner, nicht genau messen können (Tests fehlten, Infrastruktur schlecht, viele Infizierte, vor allem Kinder haben kaum Symptome). So sind die Letalitätsraten dort am zuverlässigsten, wo die Erfassung am Genauesten war (Singapur, Südkorea). Statistisch handelt es sich um eine Verhältniszahl, genauer Gliederungszahl. Diese haben immer diese typischen Probleme. Am Tag der Bekanntgabe einer Zahl müsste man die eigentlich auch mal drei nehmen. Ein Infizierter hat bei seiner Registrierung schon drei Menschen angesteckt, also hinkt man immer bei den Zahlen ca. zwei Wochen hinterher. Die Entwicklung der Infiziertenzahlen ist mathematisch exponentiell. Nach Angaben der WTO, die auch in China genauer messen konnte, liegt die Letalitätsrate bei 0,5% bis 0,7% (jeder Zweihundertste, je nach Messung, Infrastruktur, Gesundheitswesen, Labore). Wichtig ist statistisch auch die Grenze der Nachverfolgung: Ab welcher Zahl kann man Infektionsketten noch zurückverfolgen und kontrollieren (Tracing). Diese Grenze dürfte bei 200 liegen (variabel nach Qualität der Verwaltung, Gesundheitssystem und Kultur). Es gibt auch eine hohe Dunkelziffer. Diese kann nur geschätzt werden (die Zahl soll mit den Tests und Tests auf Antikörper besser werden; in München wird eine große Feldstudie dazu durchgeführt). Die Zahl der Infizierten muss mal 5 oder 6 genommen werden. Wenn man die Infizierten nicht testet (wie überwiegend in GB und den USA) hat man völlig verzerrte Zahlen, die nicht vergleichbar sind (nur positiv getestete und Schwerkranke). Insofern sagt die Zahl der Toten mehr aus allerdings werden die Toten nicht von Rechtsmedizinern obduziert (viele alte Menschen sterben "mit Corona"). Wichtig ist statistisch die (Basis-) Reproduktionszahl, die die Verbreitungsgefahr indiziert (sollte unter 1 liegen). Am 18.04. liegt sie in Deutschland bei 0,7. Die Zählweise ist international auch unterschiedlich ("Zahlensalat"): In Deutschland zählt das RKI in Berlin. Die Zahlen werden von den Gesundheitsämtern in Deutschland nach oben gemeldet. Durch Zeitverzögerungen sind sie immer niedriger.  Weltweit kommen Zahlen von der WHO und der John Hopkins Uni in Baltimore/ USA. John Hopkins arbeitet mit Schätzungen und kommt immer auf höhere Fallzahlen. Hier gehen die Zahlen der WHO, den Gesundheitsämtern und sozialen Medien ein. Für alle Länder bleibt, dass durch die Inkubationszeit und die Auswertung der Tests größere Zeitverzögerungen da sind. Die Anzahl der Tests, die Einbeziehung von Genesenen (Antikörper) haben großen Einfluss. Die mehrmalige Änderung der Zielmarke ist sehr unglücklich. China ändert mehrmals seine Zählweise (zuletzt Aufnahme der Menschen, die positiv getestet wurden, aber keine Symptome hatten). Noch nicht einmal die Anzahl der Toten ist verlässlich: in Italien wird anders als in Deutschland erfasst, ob Verstorbene Corona positiv sind (das sagt, dass sie mit dem Virus gestorben sind, nicht unbedingt an ihm; extrem verzerrt). Eigentlich müsste man die Toten obduzieren, was durch die hohe Zahl aber nicht möglich ist. Kliniken und Altenheime sind nämlich zu einem Infektionsherd geworden. Die WHO hinkt mit ihren Zahlen am weitesten hinterher.  Das liegt auch daran, dass jedes Land bei Corona seine eigene Strategie fährt (die größten Unterschiede gibt es bei der Anzahl der Tests). Bei weiteren Berechnungen arbeitet man auch häufig mit Analogieschlüssen aus China; Modelling mit deutschen Daten ist sicher genauer, wenn man sie einmal hat. Man brauchte repräsentative Tests vor einmonatiger Dauer mit wichtigen Markmalen (Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, Mobilität). Bei den Fallzahlen der Bundesländer (oder auch anderen) kann man nicht nur die absoluten Zahlen nehmen, sondern muss die Bevölkerungszahl hinzunehmen. Dann liegt Hamburg an der Spitze (auch auf Grund der frühen Schulferien, in denen viele Skiurlaub gemacht haben). Die Kultur spielt bei der Seuche eine nicht ganz so große Rolle, eher die Psychologie. Der Mensch fasst sich relativ häufig ins Gesicht (natürliche Reflexe, so dass es die Seuche relativ einfach hat bei mangelhafter Hygiene und nicht Änderung von Verhaltensweisen). Eine Strategie der "Herdenimmunität", die einige Länder mit schlechtem Gesundheitssystem erwägen, ist extrem brutal, weil überwiegend die Ältesten und Schwachen sowie Vorerkrankte  sterben müssen. In Asien hilft insofern die Kultur als man besser Quarantäne umsetzen und überwachen kann.

Durch den Verlauf in Heinsberg, der am stärksten betroffene Landkreis in Deutschland, versucht man durch Feldforschung zu lernen (Stichprobe: 1000 Befragte in 500 Familien).  Man erforscht dort, unter welchen Umständen sich Viren wie Covid-19 verbreiten und wie sie bekämpft werden können (Prof. Streek,  Uni Bonn mit 20 Mitarbeitern). Wäre das Virus berechenbar, wäre es besser kontrollierbar. Eine vergleichbare Feldforschungsstudie läuft in München. Sie wird vom Tropeninstitut und vom Helmholzzentrum der LMU München  durchgeführt. Eigentlich hätte man viel früher eine repräsentative Stichprobe bilden müssen. Das RKI führt erst ab Ende Mai 20 Studien in drei besonders betroffenen Orten durch (unter anderem Kupferzell in B. - W.) Am 09.04.20 werden die ersten Ergebnisse der Heinsbergstudie in einer Presse-Konferenz bekannt gegeben. 15% waren infiziert. Die Sterblichkeit war wesentlich geringer als von John Hopkins angegeben. Die Untersuchung wird noch ausgewertet. Am 04.05. werden die Ergebnisse präsentiert: Die Zahl der Infizierten war wesentlich höher. auf Deutschland hochgerechnet 1,8 Mio. (Schätzung). Doe Letalität ist wesentlich geringer (0,38%).

Bei den Indikatoren der ökonomischen Auswirkungen von Covid-19 ist zwischen Früh- und Spätindikatoren zu unterscheiden. Frühindikatoren sind Warnsignale und antizipieren kommende Entwicklungen. Dazu gehören die Finanzmärkte, insbesondere die Aktienindizes, der Baltic Dry-Index für Container, der Goldpreis (steigt), der Ölpreis (fällt) und die Firmenumsätze (sinken). Zu den Spätindikatoren rechnen das BIP und der Arbeitsmarkt. Spätindikatoren können im internationalen Vergleich nur sehr verzögert ermittelt werden, weil Umrechnungen, insbesondere in Dollar, notwendig sind. Statistiken dürften hier auch größere Ungenauigkeiten enthalten, die später erst durch Revisionen gemildert werden. Aufholeffekte, Nachholeffekte und spezielle Profiteure (Medizintechnik, Pharmazie u. a.) sind bei Prognosen extrem schwer zu einzuschätzen. Einen derartigen Stillstand der Wirtschaft hat es vorher noch nicht gegeben, so dass auch Modelle nicht vorliegen. Arbeitsmarktstatistiken haben immer einen zeitlichen Nachlauf. Im ersten Halbjahr erwartet man in Deutschland etwa 2,1 Mio. Kurzarbeiter.  Allein im März 20 beantragen schon 470.000 Unternehmen Kurzarbeit.

Am schlimmsten wirken sich die Unternehmen aus, die insolvent gehen. Die werden nach der Krise in der Regel nicht wieder gegründet, also muss man alles tun, um Unternehmen am Leben zu halten. Die Zahlungsströme in die Unternehmen müssen stabilisiert werden. Im Notfall müsste sich der Staat an den großen Unternehmen beteiligen (wie in der Finanzkrise 2008). Die KMU müssen mit allen Mitteln kurzfristig über Wasser gehalten werden (Überbrückungskredite, Bürgschaften, Zuschüsse u. a.). Mehr als jedes zweite Unternehmen (insgesamt 3,5 Mio.) in Deutschland leidet bereits unter den Folgen von Covid-19. Zwangsläufig leidet die Binnenkonjunktur, aber auch der Außenhandel, wenn auch verzögert. Natürlich werden schlecht geführte Firmen ohne Reserven am härtesten getroffen. Wie das Virus bei den Menschen die Schwächsten am härtesten trifft, so ist es auch in der Wirtschaft. Das Zinstief in der EU hat viele "untote" Unternehmen am Leben gehalten. Auf jeden Fall sind die Unternehmen am stärksten betroffen, die Produktion nicht nachholen können (Hotels, Gaststätten, Restaurants). Insolvenzen lassen sich auch mit den Sofortmaßnahmen der Bundesregierung nicht verhindern (Kredite helfen überwiegend Firmen, die genug Eigenkapital haben). Betriebswirtschaftlich geht es im Kern darum, den Firmen vorübergehend  so viel Geld zur Verfügung zu stellen (Kredite, Steuerstundung oder Zuschüsse, je nach Situation), dass sie ihre Fixkosten (Miete, Zinsen, Grundenergie) decken können. Wenn der Umsatz (Absatz mal Preis) weg bricht, haben sie keine Einnahmen mehr und müssen Rücklagen einsetzen (wenn es welche gibt). Alle Hilfsmaßnahmen sollen diese Notzeit überbrücken helfen. Allen Prognosen muss man mit großer Vorsicht gegenüber stehen, weil sie die Multiplikator-Effekte größerer Integrationen (EU, Weltwirtschaft) nur grob schätzen können. 2020 werden 50.000 Insolvenzen aufgrund der Corona-Krise erwartet (Quelle: Bundesregierung)

Statistische Auswertungen der Spanischen Grippe, die in den Jahren 1918 bis 1920 weltweit wütete, legten auch einige statistische Regeln offen, die auch in der Corona-Krise gelten könnten: Je mehr Tote es relativ zur Bevölkerung gab, desto stärker war der Wirtschaftseinbruch (Studie von Robert Barro, Usua, Weng, Harvard 2020). Die Grippe traf auf eine geschwächte Bevölkerung, die unter Mangelwirtschaft durch den Krieg litt. Die spanische Grippe hatte ihren Ursprung in Kansas/ USA. Der 1. Weltkrieg verbreitete sie in die Welt. Die erste große Pandemie der Geschichte war die Pest, die im 14. Jahrhundert wütete und ihren Herd ebenfalls in China hatte. Ökonomische Folgen waren: Arbeitskräfte knapp, Löhne stiegen, hohes Angebot an Nahrungsmitteln traf auf dezimierte Nachfrage (Preise sanken). Zwangsarbeit verschwand. Es entstanden kapitalistische Arbeitmarktstrukturen.

Modellrechnungen: Sie basieren immer auf einem "Trade-off" (Dilemma, was eigentlich logisch unglücklich ist)) zwischen Gesundheitsschutz und Schaden für die Wirtschaft. So sind zuverlässige Prognosen nicht möglich, sondern nur Szenarien, die mit unterschiedlichen Zeiträumen für den "Shutdown" arbeiten. Der Zielkonflikt zwischen Gesundheit und ökonomischen Erfolg ist grundlegend. Hier müssen die ökonomischen Datengrundlagen in der Statistik verbessert werden. Die Haushaltsplanung und die mittelfristige Finanzplanung brauchen Prognosen. Aber auch Unternehmen brauchen Prognosen: Entwicklung des Ölpreises, Euro/Dollar-Wechselkurs, Erwerbstätigkeit/ Arbeitslose.

Das gilt auch für das Thema ökonomische Resilienz. Dabei geht es um die Frage, mit welcher Struktur und mit welchen flankierenden Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik man am besten durch solche Krisen kommt. Ohne Geldpolitik und Finanzpolitik scheint nichts mehr zu laufen. Sie zerstören aber die Grundlagen der zukünftigen Resilienz (Niedrigzinsen, Verschuldung). Auch hiermit muss die Forschung sich verstärkt beschäftigen.

Das Imperial College in London vergleicht die Länder in Europa in einer Untersuchung Ende März 2020.  Es kommt zu folgenden Ergebnissen: Von elf untersuchten Ländern sind Norwegen und Deutschland bisher am geringsten von Corona betroffen. Die höchsten Durchseuchungsraten haben Spanien (rund 15%) und Italien (rund 10%). Man stützt sich dabei hauptsächlich auf die Zahl der gemeldeten Todesfälle durch Covid-19. Der Rest sind Schätzungen, die aufgrund der Datenlage mit Unsicherheiten belastet sind. Die Zahlen hängen stark von Corona-Tests ab. Das ist eine eigene Statistik. So spricht man von Sensitivität, wenn die Wahrscheinlichkeit gemeint ist, dass ein Infizierter richtig positiv getestet ist. Die Falsch-Positiv-Rate gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass ein Infizierter fälschlicherweise positiv getestet wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nicht-Infizierter richtig erkannt wird, heißt Spezifität. Wie aussagekräftig die Tests sind, hängt vor allem von der Durchseuchung der Bevölkerung ab. Ist diese Prävalenz hoch, werden die Testes genauer, weil die Fehler dann weniger ins Gewicht fallen. Flächendeckende Tests geben erst ab einer Durchseuchung von 10% Sinn.

Je mehr man über die Pandemie weiß, desto mehr spielen weitere Indikatoren eine Rolle. Wichtig ist, wie infektiös ein positiv Getesteter tatsächlich ist. Ist der so genannte Ct-Wert über 30, besteht für andere meist keine Gefahr. Der Ct-Wert steigt mit dem Aufwand, das Virus nachzuweisen.  Er wird leider in der Praxis kaum berücksichtigt. Dort ist der Schwellenwert von 50 neuen Cornona - Fällen inner halb der letzten sieben Tage auf 100.000 Einwohner entscheidend. Das ist ein reines Verwaltungskonstrukt, um die Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten durch die Gesundheitsämter sicher zustellen. Der Lockdown, z. B. auch der 2. im November 2020, hat den großen Nachteil, dass er alles über einen Kamm schert. Schnelltests sind kein Allheilmittel. Sie sind gerade bei jungen Menschen sehr ungenau. PCR-Tests sind besser, dauern aber länger in der Auswertung und sind wesentlich teurer.

2021 wird die Statistik ad absurdum geführt. Corona-Lockerungen werden Anfang März 21 an die Inzidenz gekoppelt. Es gibt einen exakten Stufenplan, von Bund und Ländern ausgearbeitet. Man will gleichzeitig mehr testen (man kann Tests überall kaufen). Wenn mehr getestet werden kann, steigen aber auch automatisch die Fallzahlen. Dann kann man gleich wieder zusperren. Es bleibt abzuwarten, wie das funktionieren soll.

Man weiß statistisch relativ wenig über die Einflussfaktoren auf die Stärke der Pandemie. Dabei könnten genauere soziologische Studien dazu wahrscheinlich helfen. Es gibt indirekte Rückschlüsse, wenn man sich bestimmte Regionen und ihre Betroffenheit genau ansieht. Die Pandemie schlägt besonders hart zu, wenn Menschen wenig Geld haben, wenn viele Migranten auf engem Raum leben, wenn in einer Region viele Sekten vertreten sind oder wenn dort Betriebe arbeiten, die die Hygiene-Regeln nicht einhalten (Fleischindustrie).

2021 gibt es eine Diskussion um neue statistische Richtgrößen. Im Vordergrund sollen aber die Infektionszahlen bleiben (Corona - Inzidenzwerte). Es sollen aber die Krankenhauseinweisungen stärker berücksichtigt werden (Intensivbettbelegung). Die Delta-Variante trifft hauptsächlich jüngere Menschen und insgesamt nicht so stark. Der Inzidenz - Wert beschreibt die Anzahl an neu auftretenden Erkrankungen innerhalb einer bestimmten Personengruppe während eines bestimmten Zeitraums. In Deutschland ist die 7-Tage-inzidenz relevant. Der R-Wert steht für die Reproduktionszahl. Diese kennzeichnet die Anzahl der Personen, die im Durchschnitt von einem mit dem Corona-Virus Infizierten angesteckt werden.  Ab September 21 billigt das Kabinett in Deutschland neue Corona-Indikatoren: Wesentlicher Indikator wird jetzt die Anzahl der in regionale Kliniken aufgenommene Corona-Patienten je 100.000 Einwohner (Hospitalisierung). Sie ist allerdings systematisch zu niedrig. Das liegt an zwei systematischen Fehlern bei der Messung der Hospitalisierungsrate. Erstens werden nur Fälle der vergangenen sieben Tage aufgenommen. Dieser Vorlauf ist zu kurz. Oft dauert es von der Infektion bis zur Aufnahme im Krankenhaus länger. Zweitens kommen die Meldungen oft erst mit großer Verzögerung beim RKI an. Weitere Indikatoren sollen berücksichtigt werden: Die nach Altersgruppen differenzierte Anzahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen, die freien Intensivkapazitäten und die Anzahl der Geimpften.

2021 ist man in der Lage, statistische Größen in Bezug auf Corona genauer darzulegen: Die Übersterblichkeit im ersten Corona-Jahr 2020 gab es in Deutschland um 4%. Dagegen legte die Mortalitätsrate in anderen Ländern Europas massiv zu (Spanien, Schweden). Quelle: Auswertung der Universität Duisburg-Essen. Bei der Impfstrategie hat sich gezeigt, dass bei knappem Impfstoff zuerst der arbeitende Teil der Bevölkerung geimpft werden sollte, der die Gesellschaft im Wesentlichen am Laufen hält. Quelle: Forscher in British Columbia. Long-Covid beeinträchtigt auch nach 6 Monaten noch mehr als die Hälfte der Betroffenen. Quelle: Penn State University. Darauf müssen sich die Gesundheitssysteme einstellen. Die T-Zellen-Antwort des Immunsystems fällt unterschiedlich aus, je nachdem, ob man von Covid genesen ist oder als Nicht-Infizierter eine Moderna- odet Biontech-Impfung bekomme. Die Qualität ist bei nicht Infizierten höher. Quelle: Gladstone Institute. Je mehr eine Pandemie um sich greift, desto weiter hält man unwillkürlich Abstand zu Fremden (Abstandsinstinkt). Quelle: Universität Warschau. Vgl. auch: Gruber, Christian: Die Kinder & Corona, in: Rheinpfalz am Sonntag, 31. Oktober 2021, S. 19.

5. Corona als Angriff auf die Atemwege und extrem schneller Verbreitungsmechanismus sowie Arzneimittel als Geschäft: Das Virus soll zuerst vom Tier auf den Menschen auf dem Markt von Wuhan übergesprungen sein. Es ist der Huanan - Markt, der aus zwei großen Hallen mit Dutzenden von Ständen besteht. Das gefährliche und ungewöhnliche an dem Virus (2019-nCoV-2; chinesische Forscher: Fledermäuse - Schuppentiere/ Pangoline - Fleischverarbeitung auf Wildtiermärkten - Mensch) ist, dass Menschen anstecken können, obwohl sie selbst noch keine oder schwache Symptome zeigen (ansonsten gibt es in den sozialen Netzwerken viele Fehlinformationen; das Virus verbreitet sich auch im Verdauungstrakt; anfangs ähnelt es eher einer harmlosen Erkältung). Symptome sind Müdigkeit, Atemwegsbeschwerden, Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Husten, Fieber, laufende bzw. verstopfte Nase. Weniger haben Durchfall oder verlieren ihren Geruchs- und Geschmackssinn. Wenn das Virus in die Lunge vordringt ist auch häufig das Nervensystem betroffen (Schwindel, Kopfschmerzen, Schlaganfall, Sinne). 50% aller Menschen sind offenbar immun. Es gibt durchaus auch junge Menschen mit kritischem Verlauf (Spätfolgen, Veränderung des Lungengewebes). Kinder können beim Bilden der Antikörper nach Covid-19 schwere Schäden erleiden oder sterben (Fälle in New York und China). Das Virus ist hoch ansteckend, weil es relativ weit oben im Rachen sitzt. Eine Ansteckung erfolgt vor allem über die Atemsekrete ("Tröpfcheninfektion"). Besonders stark verbreitet sich das Virus in geschlossenen Räumen (Schwefelteilchen und Aerosole fliegen weit, vor allem bei Singen, Husten und lauten Sprechen). Sprechen kann auch das Virus verbreiten (deshalb Schutzmaske so wichtig). Die Verbreitung und Haltbarkeit des Virus ist auch von Temperatur und Luftfeuchtigkeit abhängig.  Das Virus kann eine zeitlang auf Oberflächen überleben (Kräuter, Obst, Salat, Metalle, Pappe, Holz, Handtücher, Türgriffe; Hände oft waschen!). Es gibt immer mehr Studien dazu. Das Virus kann auf Oberflächen bis zu 72 Stunden überleben. Das RKI kennt drei Risikokategorien (direkter Kontakt, Nähe/ selber Raum, Untersuchung). Es kann auch Doppelinfektionen geben (Corona und Influenza). Ein infizierter Mensch steckt drei andere an (tägliche Steigerungsrate 33%). Das Virus verändert sich rasend schnell beim neuen Wirt Mensch.  80% der Infizierten haben leichte Erkältungsymtome, 15% erkranken schwer, die Sterberate ist relativ hoch. Sie schwankt weltweit zwischen 0,5% und 5% (in Wuhan anfangs 17%). Es droht so eine Pandemie (wird von der WHO auch so eingestuft, allerdings spät). Kinder zeigen meistens schwache Symptome, können aber trotzdem hoch ansteckend sein. So werden weniger Infizierte positiv getestet (Ursache für die starke und schnelle Verbreitung in Italien, außerdem in der Fläche weniger Labore in Italien). Es sterben vor allem Menschen mit Vorerkrankungen (überwiegend schwache, ältere Menschen). Diese Menschen müssen besonders geschützt werden. Jeden Tag muss die Lage neu bewertet werden. Fälle ohne Symtome sind auch hoch ansteckend. Die Sterberate wird sich erhöhen, wenn Kliniken überlastet sind (das zeigt sich in Oberitalien oder das Elsass). Deutschland kommt zugute, dass sehr früh getestet wurde (sehr gute Erfahrungen mit großflächigen Tests auch in Südkorea). Die Wirkstoffforschung wird noch längere Zeit brauchen (neuer Erreger, der aber Sars ähnelt; 20 Labore weltweit arbeiten daran; erst Tiermodell). Hinzu kommen Methoden, die mit Antikörpern arbeiten. Entscheidend ist, die Verbreitung einzudämmen und zu verzögern (so dass das Gesundheitssystem mit seiner Kapazität funktionieren kann). Unsere unglaubliche Vernetzung in der Globalisierung ist dem Virus hilfreich. Es bringt grundsätzlich nicht den Wirt um, sondern will sich verbreiten (anders als Ebola). Aber jeden Tag kommen neue wissenschaftliche Daten aus aller Welt. So lernt man täglich dazu. Virologen erwarten bald raschere Tests. Die Dynamik ist ungeheuerlich. Es kann zwei Jahre dauern bis eine stabile Immunitätslage da ist. Hinzu kommt, dass der Coronavirus mutiert. Subtypen sind oft aggressiver und ansteckender (wichtig ist auch die Dosis des Virus). Für die Ökonomie bedeutet das eine große Unsicherheit, die gravierende Folgen haben wird. Kinder und Menschen im Norden Deutschlands haben weniger schwere Verläufe der Krankheit. Dazu gibt es die Erkältungshypothese: Wer häufiger erkältet war, wird besser mit der Krankheit fertig. Man weiß mittlerweile immer mehr: Für Männer ist der Erreger gefährlicher. Frauen leiden hinterher häufiger unter den Langzeitfolgen. Man zählt Ende 2020 12.707 Mutationen des Virus. Infektiöser ist es bisher nicht geworden. Das ändert sich, als Ende 20 eine Mutation in GB auftritt, die wesentlich ansteckender ist. Eine noch ansteckendere Version taucht in Südafrika auf, ebenso in Brasilien. Es gibt weitere Mutationen: Eine kommt aus Südkalifornien. Eine überstandene Infektion ist keine -garantie dafür, dass das Immunsystem auch die Virus-Varianten abwehrt. auch der Impfschutz wird dadurch stark erschwert.

Viren sind eine Art biologische Software, die in die Zellen eindringt und sie umprogrammiert. Die befallenen Zellen werden zur Kopiermaschine, die Viren herstellt. Man kann die Eindringlinge nur schwer mit Medikamenten angreifen, weil man auch den gesunden Zellen schadet. Als Angriffspunkt nutzt man den Corona-Stamm (Sars-CoV-2). Im Moment im März 2020 setzt man noch alleine auf Supportive-Care, d. h. man hilft dem Körper, mit dem Virus fertig zu werden. Als Medikament hat man derzeit nur Kaletra, das sich gegen Sars bewährt hat. Das wird häufig in Kombination mit Ribavirin eingesetzt. Hinzu kommen das Malariamittel Chloroquin und traditionelle chinesische Heilmittel (Lian Qiao). Das Grundproblem ist, dass gerade in der zweiten Woche der Infektion das überreagierende Immunsystem die Lunge angreift (gleichzeitig die Nervenbahnen). Dann hat es aber jedes Medikament schwer. Roche testet Tocilizumab in China (auch Sanofi testet einen anderen Stoff). Roche bringt auch ab Mai 20 einen Antikörpertest (EU, entwickelt in Penzberg, 99% Sicherheit). Die USA (Trump) preisen das Malaria-Mittel Chloroquin als Lösung an, worauf Vergiftungen auftreten. Bayer lagert das Medikament in großen Mengen in Deutschland (falls es hilft). In der Ärzteschaft wird diskutiert, ob ACE-Hemmer und Ibuprofen Corona-Verläufe verschlimmern (keine endgültigen Ergebnisse). BioNTech SE in Mainz macht rapide Fortschritte bei einem Corona-Impfstoff, der in Kooperation mit einer chinesischen Firma in China schon  getestet wird. Es ist ein Gen-Impfstoff, der schnell produzierbar ist, geringere Nebenwirkungen hat und einen hohen Anti-Körperbestand auslöst. Er wir Brasilien, USA und Indien am Menschen getestet. In Tübingen ist ein Labor weltweit führend (CureVac, 80% hält Dievini Hopp Biotech Holding des SAP-Gründers Dietmar Hopp), das Trump schon für die USA exklusiv kaufen wollte. Curevac arbeitet mit dem Biomolekül mRNA, das als Informationsträger eingesetzt wird. Eventuell steht ein Impfstoff schon im Herbst 2020 zur Verfügung (hängt von klinischen Studien und Zulassungsbehörden ab). In München (LMU) arbeitet das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung mit einer Weiterentwicklung eines Stoffes gegen Mers. In vielen Ländern experimentiert man mit dem Ebola - Medikament Remdesivir. Dazu kommen Studien in China und den USA. Es verkürzt allenfalls nur die Erholungszeit (-30%). In den USA wird das Medikament Anfang Mai 20 zugelassen (wird von der US-Pharma-Firma Gilead produziert). Es soll auch in Deutschland eingesetzt werden. In Japan forscht man mit dem Wirkstoff Camostat Mesilate, das für die Bauchspeichel - Entzündung entwickelt wurde. Man setzt auch das Grippemittel Avigan ein. Wahrscheinlich wird am Ende eine Kombination verschiedener anti - viraler Medikamente herauskommen. Wer mit einem Medikament erfolgreich ist und es patentieren lässt, könnte eines der größten Geschäfte aller Zeiten machen. Deutschland ist hier an der Weltspitze. 2003 konnte Christian Drosten von der Charite in Berlin schon den Sars - Erreger entdecken. Zusammen mit Kollegen entwickelte er auch den ersten Covid-19-Test im Januar 2020 (ohne das Virus da zu haben; er stellte die Ergebnisse sofort im Internet zur Verfügung). Wichtig für die Forschung ist auch das Max-Dellbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) in Berlin. Der Max-Planck-Forscher Stefan Kaufmann expermentiert mit dem Tuberkulose-Impfstoff VPM1002, das auch gegen Sars-CoV-19 helfen kann. Das Uni-Klinikum Duisburg - Essen kooperiert mit der Uni in Wuhan (Partnerstadt, Seidenstraße) bei der Virenforschung (schon vor der Krise). Auch Roche aus der Schweiz stellt schon Medikamente gegen das Virus zur Verfügung (Actemra), ebenso wie Tests. Als nützliches Gegenmittel schein Spermidin zu wirken, das auch bei Intervall - Fasten frei gesetzt wird. Als wirksam erweist sich auch Dexamethason (WHO-Studie 2020; preiswert, weltweit erhältlich). Rolf Hilgenfeld, Institut für Biochemie an der Uni Lübeck, arbeitet schon lange über Corona-Viren und will zusammen mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig einen Impfstoff testen.  An der Uni Oxford in GB gibt es bereits einen Impfstoff gegen Mers. Der soll leicht modifiziert schon im Herbst 2020 auf den Markt kommen zusammen mit AstroZeneca. Siemens Healtineers beantragt noch im März 2020 in den USA die Zulassung für sein Blutgas-Analysesystem (Überwachung von Atemnot bei Covid-19). In Europa ist das System seit 2019 auf dem Markt. Die USA verhalten sich auf diesem Gebiet ungeheuerlich unmoralisch, weil egoistisch. Gleichzeitig gibt es dort reiche Philantro - Kapitalisten, die über ihre Stiftungen auch die Impfstoff-Entwicklung fördern: Bill Gates, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos (so sagen sie jedenfalls). Die Melinda Gates Stiftung ist sicher einer der größten Geldgeber. Der US-Pharmakonzern Abbott entwickelt einen tragbaren Schnelltest. Drosten von der Charite setzt eher auf einen Antigen-Test. Hier werden die Eiweiße des Erregers aufgespürt (Teststreifen könnten Mai, Juni 20 bereitstehen).  Bosch arbeitet an einem Schnell-Test (Ergebnis nach 2 Stunden, ab April 20). Wenn der Impfstoff an Tieren getestet wird, eignet sich besonders das Frettchen. Einige Kliniken arbeiten schon mit dem Blutplasma genesener Personen. Der Schweizer Forscher und Immunologe Martin Bachmann von der Uni Bern will einen Impfstoff für die Schweiz ab Oktober 2020 zur Verfügung stellen (ab Februar 2020 für den Rest der Welt). Weltweit gibt es 68 Forschungsprojekte für einen Impfstoff. Klinische Studien zu Covid-19 sind kaum noch zu überblicken (die meisten in China, dann USA). Die EU sammelt am 04.05. 7,4 Mrd. € für die WHO für die Erforschung eines Impfstoffes. Eine Schlussfolgerung ist bisher besonders interessant: Viele Menschen scheinen aufgrund von überstandenen Erkältungen immun zu sein. Die Bundesregierung gibt auch noch mal 600 Mio. € für eine Internationale Impfallianz. Es gibt im Juni 2020 weltweit schon 130 Impfstoffprojekte. Davon 2 in Deutschland (Curevac, Biontech). Bei 10 Projekten wird schon am Menschen getestet. Das größte Testlabor der Welt ist Brasilien.  Es geht längst nicht mehr nur um die Gesundheit: Es geht auch um Geld bzw. Wirtschaftsinteressen, Sehnsucht nach Normalität und politischen Einfluss. Alle Impfstoffe haben ein grundsätzliches Problem: Corona-Viren gehören zur Familie der so genannten RNA-Viren, was bedeutet, das sie über keine eigene DNA verfügen und ihr Erbgut in Form von RNA vorliegt. Hier kann es leichter zu Veränderungen im Erbgut (Mutationen) kommen. Deshalb arbeitet man mit mRNA-Impfstoffen (genetische Herstellungsverfahren) , die hinsichtlich ihrer langfristigen Auswirkungen völlig unerforschtes Terrain sind. In Deutschland soll ein Impfstoff gegen Corona im Mitte 2021 zur Verfügung stehen. Die Wirkung ist allerdings noch offen (Wissenschaftsministerium im September 2020). Die Homöopathie hat in der Schweiz sehr erfolgreich mit Bryonia gearbeitet. Zusätzlich wurde Phophorus, Carbo vegetalbilis und Lachesis eingesetzt (Quelle: Natur & Heilen 10/2020, S. 16). Im November 2020 gibt es einen Durchbruch beim Impfstoff gegen Corona. Die Mainzer Firma Biontech und ihr US-Partner Pfizer vermelden eine hohe Wirksamkeit des neuartigen Produkts (95% Wirksamkeit). In den USA ist eine Schnellzulassung geplant. Spahn will eine parallele Genehmigung in der EU. China erleidet im November 2020 einen Rückschlag. Die Testphase in Brasilien muss gestoppt werden wegen eines mysteriösen Todesfalls. Mitte November meldet die US-Pharmafirma Moderna auch einen Durchbruch: Sie hat ab 2021 einen Impfstoff, der zu 94,5% wirksam ist. Auch AstraZeneca (Großbritannien/ Schweden) hat einen Impfstoff gefunden. Es gibt allerdings  Zweifel an den klinischen Studien. In Deutschland könnte der Impfstart schon im Dezember 2020 liegen. Als erstes Land in Europa lässt Großbritannien den Impfstoff von Biontech zu, so dass die Briten schon im Dezember 20 geimpft werden können. am 08.12.20 geht es in einem Altenheim los. Am 12.12.20 wird der Mainzer Impfstoff auch in den USA zugelassen. Die Risiken und Nebenwirkungen halten sich in Großbritannien  in Grenzen. Unklar bleibt, ob er die Infektion stoppen kann. Am 06.01.21 wird der Moderna - Impfstoff in der EU  zugelassen. Er muss nicht auf -70° gekühlt werden. Der Stoff von AstraZeneca dürfte auch bald zugelassen werden. Man kann den Impfstoff nicht frei wählen. Die Bundesregierung beruft im Februar 2021 einen Impfbeauftragten. Es wird Christoph Krupp. Er soll dafür sorgen, dass in Deutschland Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Der in Deutschland entwickelte Impfstoff von Curevac kommt nicht vor August 2021. Später gibt die Forma ganz auf.

 Im August 2020 zeichnet sich ab, dass vielleicht Russland als erstes Land schon im Herbst 2020 Impfstoff gegen Corona einsetzt.  Im Grunde genommen liefern sich Russland und China eine Art Impfstoffrennen. Sie setzen wohl auch eher fragwürdige Methoden ein: Spionage, Selbstversuche von Wissenschaftlern und frühe Massentests. Es geht um Ansehen, aber auch sehr viel Geld. International löst die Ankündigung Zurückhaltung und Argwohn aus. Es gibt aber auch schon Kaufinteressierte (Brasilien, Israel). Am 16.8.20 erteilen Chinas Behörden eine Patentzulassung für einen Corona-Impfstoff. Kein Staat hat mehr Forschungen laufen, um Mittel gegen das Coronavirus zu finden. Xi Jinping hatte versprochen, den Impfstoff als globales Gut zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung rechnet mit einem Impfstoff Anfang 2021. Die ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut erstellt im Dezember 22020 eine Reihenfolge: Vorrang haben Heimbewohner, Menschen über 80 sowie medizinisches Personal und Pflegepersonal. Die Prioritätenliste kann in Deutschland wohl im Juni 2021 aufgehoben werden. Danach könnten die Einschränkungen für Geimpfte wegfallen (es kommt eine Verordnung, die ab 09.05.21 gilt). In Corona-Zeiten besonders wichtig ist die Hygiene und Sauberkeit. Florence Nightingal, die 2020 ihren 200. Geburtstag feiert (1820-1910), gilt als Begründerin der Krankenhaus-Hygiene und des modernen Sanitätswesens. Im Krimkrieg, in den England verwickelt war, machte sie praktische Erfahrungen. Sie leitete später eine Berufsschule für Krankenschwestern in London (St. Thomas Hospital). Ihren Beruf gelernt hatte sie in Kaiserswerth (Düsseldorf) und Paris. Sie war nach ihrer Geburtstadt Florenz benannt. Sie konnte so erfolgreich wirken, weil sie aus höheren Kreisen stammte und diese Verbindungen nutzte.

Alle Staaten versuchen, die Seuche so lange wie möglich vor sich her zu schieben, damit die Kurve der Infizierten nicht zu steil verläuft und die Kliniken und das ganze Gesundheitssystem nicht überlastet werden. Man setzt auf Zeit. Dabei stehen grundsätzlich drei Strategien zur Verfügung: 1. Herdenimmunität (mit hoher Todesrate). 2. Stopp and Go im ständigen Wechsel bis zu einer Immunität von 60/70% der Bevölkerung. 3. Total Bremse/ Shutdown (Ausgangsbeschränkungen bzw. -sperre) möglichst lange, hinauszögern mit allen Vorbereitungen und auf Zeit setzen bis ein Impfstoff oder Medikamente verfügbar sind (ca. 15% Infektionsrate; Quelle: Prof. Karl Lauterbach). In Deutschland geht die zweite Phase wahrscheinlich bis zum 03.05.20. Anfang August 2020 zeichnet sich eine zweite Welle in Deutschland ab. Die Neuinfektionen pro Tag steigen wieder über 1000. Reiserückkehrer aus Risikogebieten müssen am Flughafen oder Bahnhof Coronatests machen. Die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von 7 Tagen geht wieder über 2000. Man weiß aber folgende wichtigen Dinge über Corona: 1. Die Höhe der Virendosis beeinflusst den Verlauf. 2. Egal, ob man nach der Krankheit immun wird, in jedem Falle ist die 2. Infektion harmloser. Nach einer Virusinfektion dauert der Schutz etwa acht Monate. 3. Die Ansteckung geht in erster Linie über Aerosole in der Luft, vor allem in geschlossenen Räumen. 4. Der individuelle Verlauf ist noch nicht prognostizierbar. 5. Ende 2020 taucht die englische Mutante auf, dann eine aus Süd-Afrika: Sie sind wesentlich ansteckender. Im Winter hält sich das Virus auch länger auf Oberflächen. Wegen der Virus-Mutationen gibt es neue Einreiseregeln.

2021 bilden sich zahlreiche Mutanten in aller Welt. Sie entstehen , wenn man das Virus laufen lässt (Herdenimmunität). Es gibt bisher folgende: 1. B.1.617 Indien. 2. B 1.351 Südafrika. 3. B1.1.7 Großbritannien. 4. B1.526 USA. 5. P.1 Brasilien (Manaus). Die indische Variante, die heute Delta genannt wird, macht Ende Juni 2021 in Großbritannien schon 90% aus. Sie wird wohl Europa dominieren, weil sie ansteckender und gefährlicher ist. Im November 2021 taucht eine neue Variante in Südafrika auf. Das Land wird zum Virus-Varianten-Gebiet erklärt. die Variante wird Omikron genannt. Sie hat auch schon Europa (Niederlande, GB, Dänemark) und Deutschland erreicht (Hessen, Bayern). Das wird wohl in Deutschland der letzte Anstoß für eine allgemeine Impfpflicht sein (ab März 22, vorher auf Institutionen bzw. Gruppen bezogen). Omikron ist noch ansteckender als Delta. Dei bestehenden Impfstoffe müssen angepasst werden (kommen frühestens im März 22). Omikron breitet sich rasant in GB aus. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird Omikron in zwei bis vier Wochen in Europa vorherrschend sein. Die Niederland gehen schon vor Weihnachten 21 in den Lockdown. GB wir zum Hochrisikogebiet erklärt, wie schon vorher Dänemark, Norwegen, Libanon, Andorra. Als die WHO die Corona-Varianten durchnummeriert werden nach der Omikron-Variante (aus Südafrika) 2 griechische Buchstaben übersprungen: "Ny" klinge zu ähnlich dem Englischen "New". "Xi" sei ein weit verbreiteter Nachname. Pikant dabei ist, dass der chinesische Parteichef und Staatspräsident so heißt.

6. Härtetest des Gesundheitssystems und des Systems insgesamt (Resilienz): Die Seuche greift drastisch in den Alltag der Menschen ein. Sie wird zum Härtetest für jedes Gesundheitssystem. Das hat eine Kapazitätsgrenze. Die ist variabel, je nachdem Maßnahmen ergriffen oder nicht ergriffen werden. Die eingesetzten Maßnahmen sind darauf gerichtet, den Höhepunkt zu verzögern und abzuflachen. Sie sollen die gesundheitlichen Infrastrukturen entlasten. Sie sollen insgesamt die Patientenzahl möglichst gering halten. Die Alten und Schwachen der Gesellschaft müssen besonders geschützt werden. Der Engpass in vielen Ländern, auch in Deutschland, ist die Zahl und Belastung des medizinischen Personals (17000 Pflegestellen nicht besetzt). Deshalb will man Reserven heranziehen (Bundeswehrärzte und -Sanitäter, Tierärzte, Zahnärzte).  Die Bundeswehr hilft mit 15.000 Soldaten in Altenheimen und Krankenhäusern. Tierärzte sollen auch testen. Medizinstudenten sollen sich freiwillig melden. Ebenso müssen genug Notfallbetten vorrätig gehalten werden. 20 Prozent Kapazitäten können wohl zusätzlich geschaffen werden. Weitere Kapazitäten sollen in Hallen, Hotels oder stillgelegten Krankenhäusern geschaffen werden. Es wird in Deutschland ein Zentralregister für Intensivbetten geschaffen (mit Beatmungsgeräten). Intensivbetten müssen gemeldet werden (Verordnung, tägliche Meldung an ein Zentralregister). 2020 hat Deutschland 32.000 Intensivbetten (13.000 sind belegt, 25.04.20; Covid-19-Patienten müssen 2 bis 4 Wochen künstlich beatmet werden). Bei der medizinischen Ausrüstung können kurzfristig Kapazitäten in Deutschland geschaffen werden (weil die Maschinen dafür hier produziert werden; weil in KMU Produktion kurzfristig umgestellt wird). Beispiele sind: Trigema und Mey produzieren kurzfristig Atemmasken, Dräger erhöht die Produktion von Beatmungsgeräten. Auch der Heizungsbauer Viessmann stellt seine Produktion auf Beatmungsgeräte um. VW und BMW stellen ihre Bestände zur Verfügung und sollen Beatmungsgeräte selber herstellen. Wenn genug Atemmasken verfügbar sind, soll eine Tragepflicht kommen. Es gibt noch Produzenten in Deutschland, die die Maschinen selbst konzipiert haben und auch die Vorprodukte selbst herstellen. Die BASF stellt wieder Desinfektionsschutz her und verteilt sie kostenlos. Sie beschafft außerdem in China Millionen von Schutzmasken und stellt sie kostenlos Deutschland und RLP zur Verfügung. Auch Jägermeister und Klosterfrau stellen Desinfektionsmittel her. Trotzdem ist die Materialsituation katastrophal: man hat ca. 25.000 Beatmungsgeräte und braucht viel mehr. Viele Generika, die in China und Indien hergestellt werden, können kurzfristig wieder produziert werden. Antivirale Arzneien waren in der Vergangenheit den Herstellern in der EU nicht lukrativ genug. Gesundheits- und Pflegeberufe werden im Wert zukünftig wieder steigen (Bayern gibt Bonus, der bis 1500 € steuerfrei ist) . Man kann in Deutschland in der Woche ca. 200.000 Tests durchführen (Stationen, Labore). Man will auf 300.000 erhöhen. Das ist ein großer Vorteil in der Diagnostik, so kann man früh dran sein kann, was sehr wichtig ist. Die 4 Mio. Pflegebedürftigen stehen vor immer größeren Problemen (erweiterte Quarantäne, schnellere Tests, osteuropäische Pflegekräfte können nicht einreisen). Wellen von Toten gibt es in Pflegeheimen, die zu Hochrisikozonen werden. (Beispiele Würzburg, Wolfsburg, Paderborn). Die Pflegekassen machen Rettungsschirme. Mittlerweile will China (Alibaba, Huawei) Hilfsgüter in die EU schicken (hauptsächlich nach Italien). Die Bundesregierung will den Kliniken in Deutschland zusätzlich 7,8 Mrd. € zur Verfügung stellen. Das ist für Einnahmeausfälle durch verschobene Operationen und die hohe Zahl von Intensivbetten. Das Hilfspaket umfasst insgesamt 10 Mrd. € für Klinken und Arztpraxen. Man entwirft auch schon einen Kriterienkatalog für die Entscheidung über Leben und Tod, wenn die Intensivkapazitäten nicht mehr ausreichen (Manchester Triage). Der Katalog wird zum Glück nicht benötigt. In der Notaufnahme ist viel weniger los, weil viele Angst vor Infektion mit Corona haben.  Auch andere EU-Länder sollen in der Krise unterstützt werden (Italien - Ausrüstung; Frankreich - Patienten in deutschen Kliniken, Bundeswehr). Bis 20.04. werden 200 Patienten aus EU-Ländern in Deutschland behandelt (Bundeshaushalt trägt die Kosten). Der größte Engpass des Gesundheitssystems sind fehlende Pflegekräfte (vielleicht könnte man durch höhere materielle Anreize viele zurückgewinnen; Zuschläge). Es kommen Zuschläge in einzelnen Bundesländern und auch tariflich vereinbart, die bis 1500€ steuerfrei sind. Im Gesundheitsbereich (Krankenhäuser, Arztpraxen, medizinische Einrichtungen) gab es bis 05.05.20 10.000 Infizierte.  Wahrscheinlich wird man Kapazitäten zentral verteilen müssen (im Süden Kliniken überlastet, im Norden Betten frei). Man wird sicher nach der Krise intensiv über Gesundheits- und Daseinsfürsorge als öffentliche Aufgabe diskutieren müssen. Jetzt schon sollen die Gesundheitsämter massiv ausgebaut werden. Bund und Länder wollen das Personal im Öffentlichen Gesundheitsdienst in den kommenden zwei Jahren (ab 2020) um mindestens 5000 Mitarbeiter aufstocken. Wenn die Pandemie wieder stark zunimmt (2. Welle), werden aber auch Pflegekräfte in den Krankenhäusern fehlen. Von der Zahl der Intensivbetten mit Fachpersonal hängen die politischen Maßnahmen, die von Bund und Ländern getroffen werden, sehr stark ab. Die SPD richtet Anfang 2021 einen Fragenkatalog an den Gesundheitsminister. Es geht um die Impfstrategie. In der Folge stellt sich heraus, dass Deutschland und die EU zu wenig in Produktionskapazitäten für Impftstoff gesteckt haben. Das soll mit aller Macht 2021 noch nachgeholt werden. Die Rangfolge in der Impfung soll in einem wichtigen Punkt geändert werden: gesetzliche Grundlage für die Impfung von Kita - Beschäftigten und Grundschullehrern. Der Impfstoff Astra Seneca wird für Mitte Mai 21 freigegeben, d. h. die Priorisierung wird aufgehoben.Die Bundesregierung ist gegen eine Patentaufhebung bei Impfstoffen. Sie fordert die USA und GB auf, ihre Exportstopps aufzuheben. Neben den Impfstoffen entstehen auch immer neue Therapien gegen das Corona-Virus: Antivirale Medikamente, Immunmodulatoren, Stärkung der Lungenfunktion und des Herz-Kreislauf-Systems.

Aber auch der Katastrophenschutz muss wieder verstärkt werden. Es gibt seit 2004 ein Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Die Zahl der Zusatzbetten und Hilfskrankenhäuser wurde aber in den vergangenen Jahren verringert. Formal sind die Länder zuständig. Die Hilfsorganisationen verfügen über Zehntausende Ehrenamtliche, über deren Einsatzbereitschaft man wenig weiß. Generell wird man zukünftig Lagerhaltung für Krisenzeiten im Gesundheitswesen (Atemmasken, Beatmungsgeräte) und in Haushalten vorhalten müssen Das Infektionsschutzgesetz soll noch im März 2020 geändert werden: mehr zentrale Steuerung, Handy-Ortung, Ausgangssperren weiter Ländersache. Das System muss auf eine längere Dauer der Krise (eineinhalb bis zwei Jahre) ausgerichtet werden. 2020 werden Pläne für Gesundheitszentren gemacht, wo alle wichtige Schutzausrüstung gelagert werden kann (19  Standorte).

Grundsätzlich ist Deutschland gut aufgestellt bei Medizintechnik, Pharma und Schutzausrüstung. Es liegt in der Welt an zweiter Stelle bei den Exporten hinter China und vor den USA. Dann folgt Japan. Es wäre im Prinzip für Deutschland also sehr einfach, die nationale Versorgung durch Produktion in Deutschland sicher zustellen. Defizite gibt es bei Billigprodukten (Atemschutzmasken). Im Handel mit medizinischen Gütern hat Deutschland einen Überschuss von 37 Mrd. €  (nicht am Tropf Asiens). Nur 0,8% der Arznei-Importe stammen aus Indien und China. Quelle: Ifo-Institut 2020. Außerhalb der EU sind die USA, Schweiz und GB wichtige Bezugsquellen.. Im Frühjahr 2021 wird über den Patentschutz bei Corona - Vakzinen diskutiert. Sogar Präsident Biden scheint aufgeschlossen zu sein. US-Unternehmen und Indien hätten den Hauptnutzen.

Eine Exit - Strategie aus dem Shutdown muss entwickelt werden. Zumindest sollte sie vorher schon durchdacht und geplant werden. Die Bundesregierung plant im Moment mit dem 20.4. (wenn es die Infektionsraten zulassen). Wenn die erste Phase "Stamping out" ist (Infektionsketten durchbrechen; Tracing), ist die zweite exponentielle Phase der Shutdown.  Man versucht dann nach dieser Phase wieder in die erste Phase zurückzukommen. Dabei müssen begleitende Maßnahmen da sein: Risikogruppen besonders schützen, Interaktion weiterhin eindämmen, Schulen und Kindergärten aufmachen, Testkapazität hochfahren, Smart Distancing (mit Tracing, Handy-App, die mit Bluetooth arbeitet, Atemschutzmasken). Ziel ist dann eine Teilimmunität (vielleicht 50%). Bis zu einem Impfstoff kann man definitiv nicht warten. Eine interdisziplinär besetzte Expertenkommission (Leiter Clemens Fuest) legt Anfang April einen Stufenplan vor: Sie empfiehlt einen "Umstieg". Zuerst Lockerung der Kontaktsperre in Bereichen, in denen geringe Ansteckungsgefahr (automatisierte Produktion) besteht. Das gilt auch für Bereiche, in denen weniger gefährdete Gruppen arbeiten. Zuerst könnten auch weniger betroffene Regionen, wo die Krankenhäuser freie Kapazitäten haben, geöffnet werden. Grundlage sollen großflächige Tests sein. Eine kontrollierte Infizierung bestimmter Altersgruppen halten Experten für zu gefährlich. Die Nationale Akademie Leopoldina aus Halle  legt am 13.04. ebenfalls einen Exit-Plan vor. Sie empfiehlt unter anderem Mund-Nasen-Schutz in Bussen und Bahnen. In der Wirtschaft sollten Einzelhandel und Gastgewerbe zuerst geöffnet werden. Vielleicht kommt durch die Politik ein gemeinsamer Fahrplan (Standards) zustande mit regionalen Unterschieden und unterschiedlichen Lösungen. Am 15.04. beschließen Bundesregierung und Länder folgendes Vorgehen ("zerbrechlicher Zwischenerfolg"): Kontaktbeschränkungen bis 03.05. verlängert. Teile des Einzelhandels dürfen an 20.04. öffnen (unter 800 qm). Schulen öffnen schrittweise, zuerst Abschlussjahrgänge ab 04.05.. Gastronomie, Hotels, Restaurants sollen noch warten. Großveranstaltungen sind bis Ende August verboten. Die Strategie hat den Spitznamen "Hammer und Tanz". Alle 11 Mio. Schüler sollen vor den Sommerferien in die Schulen (zeitweise: wochen- und tageweise). Gottesdienst sollen ab Anfang Mai wieder unter strengen Auflagen möglich sein. Weiterhin werden Zoos, Kinderspielplätze  und Museen geöffnet. Es gibt noch keine Ansage für Gaststätten, Cafes  und Hotels. Die letzte Phase der Lockerung bestimmen die Bundesländer: Ab Mitte Mai sollen die Gastronomie, die Cafes und die Hotels unter Auflagen wieder öffnen können. Die Sportvereine dürfen draußen Sport machen. Kitas und Schulen öffnen stufenweise. Bei Neuinfektionsraten in Landkreisen und kreisfreien Städten von 50 pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen sollen lokale Beschränkungen kommen. Damit sind die Gesundheitsämter nun der Dreh- und Angelpunkt. Sehr schnell sind Landkreise betroffen in denen Schlachthöfe liegen (Leiharbeiter aus Osteuropa, die auf engstem Raum leben). Am 10.05. liegen schon 5 Landkreise über dem Grenzwert. Die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen geraten in den Mittelpunkt. Der größte Ausbruch ist noch im Juni 20 in einem Schlachthof in Gütersloh (Tönnies; Arbeiter aus Osteuropa?). die betroffenen Landkreise Gütersloh und Warendorf müssen wieder in einen Lockdown. Ursprung der starken Verbreitung war wahrscheinlich ein Gottesdienst. Auch die Klimaanlagen in den Schlachthöfen haben verstärkt. Thüringen will als erstes Bundesland wieder in den Normalzustand zurück gehen (keine Beschränkungen, ohne Mundschutz). Landwirtschaftsbetriebe in Bayern sind auch betroffen. Osteuropäische Arbeiter, die auf engerem Raum zusammenleben, scheinen eine Risikogruppe zu sein. Später, im Herbst 2020, breitet sich Corona vor allem in den Großstädten aus (Berlin, München, Hamburg, Köln Frankfurt). Immer mehr Großstädte liegen über dem Grenzwert  von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. Die Kneipenszene scheint einen Einfluss zu haben,  die Menschen leben auch enger zusammen). Es kommt zu schärferen Reisebestimmungen (Beherbergungsverbote, die teilweise von Gerichten gestoppt werden). Am 14.10.20 einigt man sich auf ein Ampelsystem. "Gelb" tritt bei 35 Infizierten in den letzten sieben Tagen pro 100.000 Einwohner ein. Das hat Einfluss auf Kontakte und Gruppengröße. "Rot" liegt bei 50 Infizierten in den letzten sieben Tagen pro 100.000 Einwohner vor. Häufiger Maskenpflicht, weniger Kontakte, kleinere Gruppen und weniger Mobilität (Beherbergungsverbot; wird aber von Gerichten gekippt). Hinzu kommen die Definition von Hotspots, Sperrstunde und ein Ultimatum. Private Feiern und private Kontakte sind der Hauptgrund der Verbreitung des Virus in der zweiten Welle. Kontaktbeschränkungen jeder Art sind der entscheidende Faktor.

Weil bis Ende Oktober 2020 die 2. Welle Deutschland voll erreicht, werden von Bund und allen Ländern gemeinsam ein teilweise Lockdown beschlossen. Er tritt ab 2.11.20 in Kraft und dauert bis Ende November. Wieder geschlossen werden Feizeiteinrichtungen (Amateursport), Gastronomie, Restaurants, Hotels, Kinos, Fitnessstudios, Theater.  Offen bleiben Schulen, Kitas, Friseure, Kirchen und die Wirtschaft. Kontakte mit maximal 10 Personen sind erlaubt, wenn sie aus zwei Haushalten kommen.  Die Testkapazitäten werden knapp (PCR-Tests). Man will verstärkt auf Anti-Körpertests umsteigen, deren Ergebnisse sofort vorliegen. Test und Fachpersonal in den Kliniken sind der Engpass (15.500 Neuinfizierte an einem Tag/03.11. und 17.000 im 7-Tage-Schnitt, R-Faktor 1,04). Am 04.11. geht es noch mal rapide hoch: fast 20.000 Neuinfizierte. Es steigt am 06.11. sogar  über 21.000, aber der R-Faktor sinkt deutlich unter 1 (0,76).  Das Infektionsschutzgesetz soll mit seinen Maßnahmen gerichtsfest gemacht werden. Ab 16.11.20 erreicht man eine Trendwende bei den Neuinfektionen.  Eine Woche später soll ein Corona-Plan bis 2021 kommen. Die Fallzahlen können sich etwas stabilisieren., aber es gibt mehr Tote. Einige Länder in Deutschland erwägen einen längeren Teil-Lockdown (z. B. Verlängerung der Weihnachtsferien). Man einigt sich dann auf eine Verlängerung der Corona-Beschränkungen bis 10. Januar 2021. Die Lockerungen über Weihnachten oder Silvester werden von den Ländern wieder eingeschränkt, je nach Infektionslage. Es kommt ab Mitte Dezember ein Total - Lockdown bis 10 01. 2021, Alle Geschäfte außer Lebensmittel- und Drogerieläden müssen schließen. Die Regeln für Weihnachten und Silvester werden verschärft, ebenso für Alten- und Pflegeheime. Von nicht zwingend notwendige Reisen soll abgesehen werden. Unternehmen sollen, wenn möglich, auf Homeoffice umstellen. Am 21.12.20 wird die Europäische Behörde der Impfstoff zulassen, so dass ab 29.12. Impfungen in Deutschland beginnen können. Das Gesundheitssystem steht kurz vor Überlastung. Hochbetagte (über 80 Jahre) und Pflegekräfte sollen zuerst geimpft werden. Die Bundesregierung macht einen Stufenplan (4 Gruppen). Es wird noch mehr Impfstoff eingekauft. Beim Prüfen von Schutzmasken (FFP2) zeigt sich, dass viele Schutzmasken zu wenig filtern. Mit den Prüfsiegeln von Masken aus China ist Etikettenschwindel betrieben worden. Am 27.12.2020 beginnt das Impfmarathon in Deutschland und der EU. Jedem Bürger in Deutschland soll ein kostenloses Impfangebot gemacht werden. Bis Sommer 2021 soll dies möglich sein. Die Impfbereitschaft ist sehr unterschiedlich ausgeprägt: Am höchsten in Großbritannien (65%), vor den USA (63%) und Italien (52%). Deutschland liegt zum Jahresende 2020 bei 46%. Quelle: Handelsblatt 28.12.2020, S. 10. Die Politik in Deutschland erwägt vorerst ein Verbot von Privilegien für Geimpfte. Nachteile für Nicht-Geimpfte sollen vermieden werden. Am 06.01.21 wird auch der Moderna-Impfstoff nach Biontech von der EU-Kommission zugelassen. Curevac kooperiert mit Bayer, um den Impfstoff bis Mitte des Jahres 2021 produzieren zu können. Es gibt keine freie Auswahl des Impfstoffs. Es werden zentrale Fragen diskutiert: Warum wird nicht zuerst das komplette medizinische Personal geimpft? Warum impfen die Hausärzte in den Praxen nicht mit? Astrazeneca, das bald in der EU zugelassen werden soll, kann die zugesagte Lieferung nicht garantieren. Die EU prüft Export-Kontrollen. Es gibt ein Gerangel mit der Firma. In Deutschland wird dieser Impfstoff nur für Personen unter 65 Jahren zugelassen. Trotz Lieferengpässen hält die Bundesregierung im Februar 2021 an ihrer Zusage fest, bis zum Ende des Sommers 2021 jedem Bürger ein Impfangebot zu machen. Es wird nach einem Impfgipfel ein nationaler Impfplan erstellt. Biontech und Astrazeneka erhöhen ihre Zusage an die EU-Kommission. Der russische Impfstoff Stutnik V, der hochwirksam ist, soll auch in der EU zugelassen werden (und eventuell auch dort produziert werden). Die EU gibt zu, den Aufbau von Produktionsstätten für Impfstoff vernachlässigt zu haben. Die AstraZeneka - Impfung in Südafrika wird gestoppt. Der Impfstoff scheint nicht gegen die Mutante zu wirken. Ab März 2021 soll es in Deutschland Schnelltests für alle Bürger geben (kostenlos).  Astrzeneca hat gelogen. Die Verträge mit der EU und GB tauchen auf. die EU war schneller.  die Firma hat sich nicht an Verträge gehalten und Impfstoffen in hohem Maße an Länder außerhalb der EU verkauft. Italien stoppt den Export von AstraSeneca - Impfstoff. Astrseneca bereitet immer wieder Problem: entweder wird zuwenig Impfstoff zur Verfügung gestellt oder es treten Todesfälle auf.   Als vierter Impfstoff wird im März 2021 der von Johnson & Johnson zugelassen. Die Impfungen mit Astrazeneca werden im März 2021 ausgesetzt (Thrombosen). Die EMA schätzt dann aber die Wirkung höher ein als die Risiken. AstraZeneka wird im April 2021 von der EU verklagt. Die Russen selbst misstrauen Sputnik V. Die Mehrheit will sich nicht impfen lassen. Auch der chinesische Impfstoff scheint in seiner Wirkung sehr begrenzt zu sein (so der oberste Impfschützer im April 21). Die Bundesregierung will mit einer Reform des Infektionschutzgesetzes mehr Rechtssicherheit und bundeseinheitliche Regelungen schaffen. Bestimmte Inzidenzwerte (100, 200) werden festgeschrieben. Umstritten sind die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen (ab 21.00 Uhr). Sie sollen die Mobilität und die Treffen in Wohnungen eindämmen. Der Bundestag beschließt die Reform des Infektionsschutzgesetzes. Zwei Punkte waren besonders umstritten: Die Inzidenz von 165 für Schulschließungen und die nächtliche Ausgangssperre. Der Bundesrat stimmt zu. Die 3.Welle scheint sich Ende April 2021 abzuschwächen. Die üblichen Indikatoren gehen leicht zurück (7-Tage-inzidenz, Tote, Zahl der Neuinfizierten). Die Frage stellt sich, welche Privilegien die Geimpften bekommen. Es soll eine entsprechende Verordnung kommen. Am 7. Juni endet die Priorisierung für Impfstoffe. Die EU-Arzneimittelbehörde EMA gibt auch grünes Licht für die Zulassung von BioNTech für Jugendliche. Bei Schnelltests kommt es im großen Maße zu Betrug. Anbieter werden verdächtigt, Abrechnungen manipuliert zu haben.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern schlägt im Februar 2021 ein No Covid - Strategie vor: Die Vorschläge beinhalten eine optimale Kombination Testen, Kontaktverfolgung (Isolierung/ Quarantäne) und Grünen Zonen (Schutz vor Eintragungen aus roten Zonen).

Wenn man die Gesundheitsausgaben in den G7-Staaten vergleicht zeigen sich größere Unterschiede (China und Russland sind nicht transparent): Die letzten Vergleichszahlen stammen von 2017. Hier liegen die USA an der Spitze (17,1% des BIP) vor Frankreich (11,3% des BIP), Deutschland (11,2%), Japan (10,9), Kanada (10,7%), Großbritannien 9,6%, Italien (8,8%). Man sollte aber nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Finanzierung über Sozialversicherungen wird unterschiedlich eingerechnet. Alarmierend und viel sagend sind allerdings die letzten Plätze bei Italien und Großbritannien. Quelle: WiWo 14, 27.3.20, S. 37. Die Folgen für die Bevölkerung zeigen sich deutlich in der Krise.

Die Impfung verläuft sehr unterschiedlich in den einzelnen Länder. Die höchsten Impfquoten haben Ende Januar 2021 Israel und Großbritannien. Dann folgen die USA und Dänemark. Deutschland liegt auf einem 7. Platz (2,3%). Bei den Bundesländern führt Mecklenburg-Vorpommern mit 3,2% vor Bayern (2,2%).

Es zeigt sich brutal, wie gefährlich es ist, das Virus laufen zu lassen. Zuerst in Großbritannien. Dann viel später in Brasilien (P.1-Mutante) und Indien (B.1.617). Man darf nicht gegen den ehernen Seuchengrundsatz verstoßen: "Hit hard and early". Die Mutanten werden laut WHO nach dem griechischen Alphabet benannt nach der zeitlichen Reihenfolge. Der digitale Impfpass startet Mitte Juni 2021. Im juni 2021 verlängert der Bundestag die Notlage wegen der Corona-Pandemie um weitere drei Monate bis zum 30. September 2021. Die Reisewarnung für touristische Reisen wird ab 1. Juli 2021 aufgehoben. Ein belgisches Gericht verurteilt Astra Zeneca im Juni 2021 dazu, Impfdosen, die vertraglich vereinbart waren, nach zuliefern.

Im Sommer 2021 schüren steigende Infektionszahlen in vielen Ländern die Furcht vor einer vierten Corona-Welle. Regierungen versuchen deshalb weltweit das Impftempo zu steigern, mit Privilegien für Geimpfte und Druck auf Impfverweigerer.

Mittlerweile gibt es auch eine Epsilon - Mutante. sie ist zuerst in den USA aufgetaucht. Sie ist im Sommer 2021 schon in 34 Ländern nachgewiesen. Die Variante ist gefährlich, weil sie Impfstoffe und das Immunsystem überlistet. Die Forschung schreitet voran: Wer mehr als fünf Corona-Symtome in der ersten Infektionswoche zeigt, hat ein hohes Risiko an Long Covid zu erkranken. Häufigste Symtome sind Kurzatmigkeit, Erschöpfung, Depression, Kopfschmerz, veränderter Geschmacks- und Geruchssinn, Durchfall, Muskel- und Gelenkschmerzen.

Im Oktober 2021 findet ein Weltgesundheitsgipfel in Berlin statt. Es wird eine gerechtere Verteilung des Impfstoffes angemahnt. In Deutschland könnte die dritte Impfung womöglich bald die Regel sein (Booster). Zuerst wird sie den über 70-Jährigen empfohlen. Bald soll es Auffrischungen für alle Altersgruppen geben (aufgrund neuer Varianten kommt es immer häufiger zu Impfdurchbrüchen). Im November 2021 ist Deutschland in der 4. Welle. Die Infektionszahlen schnellen in die Höhe. Die Impfquote ist im Vergleich zu Nachbarländern nicht hoch genug. Die Intensivstationen der Krankenhäuser sind wieder an der Grenze und müssen Operationen verschieben. Die Ampelkoalition, die in den Startlöchern steht, verabschiedet im November 21 ein neues Infektionsschutzgesetz (unter anderem 3G am Arbeitsplatz). Experten weisen auf Lücken hin (Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen, Pflegekräfte). Die epidemische Lage kann nur noch der Bund erklären. Die Landesregierungen haben weiterhin sechs Instrumente (Maskenpflicht, Abstandsgebote, Zugangsregeln, Personenobergrenzen bei Veranstaltungen, Kontaktdatenerfassung, Auflagen für Gemeinschaftseinrichtungen).  Die "Ampel" plant 3G in Bussen und Bahnen. Das Infektionsschutzgesetz geht am 18.11.21 durch den Bundestag. Die Stiko empfiehlt eine Boosterimpfung für alle ab 18 (in der Regel nach 6 Monaten). Wahrscheinlich könnte - wie schon in Österreich ab Februar 22 - bei extrem steigenden Zahlen auch in Deutschland eine Impfpflicht kommen. In Sachsen droht im November 21 schon die Triage. Die Bundesländer verschärfen ihren Kurs. Spahn will den Biontech-Impfstoff rationieren (weil Moderna verfallen könnte).

Die Unterstützung für eine Impfpflicht in Deutschland wächst. Sie soll verfassungsrechtlich geprüft werden. Bayern und Baden-Württemberg sprechen sich schon dafür aus. Doch eine schnelle Entscheidung wird es nicht geben. Die neue Regierung (Ampelkoalition) kündigt einen ständigen Krisenstab für die Pandemie an (geleitet von General Bräuer). Am 25.11.21 erreicht die Zahl der Corona - Toten in Deutschland 100.000. Scholz ist auch für die allgemeine Impfpflicht ab März 2022. Die Bundesnotbremse mit Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen 2020 war verfassungsgemäß. So entscheidet das Bundesverfassungsgericht am 30.11.21. Ein Kinderimpfstoff von Biontech steht ab 13.12.21 bereit. Er ist für Fünf- bis Elfjährige geeignet. Das kann besonders wichtig sein, weil Kinder übertragen und für die neue Omikron-Variante besonders anfällig sind. Gegen Omikron sind die Impfstoffe wohl weniger wirksam. Es gibt noch keine Aussagen über die Krankheitsschwere. Ab Mitte März 22 führt man eine begrenzte Impfpflicht für Beschäftigte in Kliniken, Praxen und Pflegeheimen ein. Eine allgemeine Impfpflicht soll kommen. Der neue Gesundheitsminister Lauterbach setzt ein Expertengremium ein. Die Stiko soll zusätzlich besser ausgestattet werden. Eine Inventur im Dezember 2021 ergibt, dass ein Impfstoffmangel für den Booster im Jahr 2022 besteht. Dringlich wäre auch eine Impfung der Kinder, weil sie hauptsächlich von Omikron betroffen sind. Der Novovax-Impfstoff wird im Dezember 21 in der EU zugelassen (EMA). Damit kommt eine dritte Impfart nach mRNA und Vektortechnologie: Totimpfstoff (Version eines Proteins im Labor produziert). Die Stiko empfiehlt eine Auffrischungsimpfung schon nach drei Monaten. Ab 28. Dezember 2021 kommen strengere Corona-Regeln gegen Omikron (Kontaktbeschränkungen für Geimpfte). Das Bundesverfassungsgericht entscheidet im Dezember 21, dass der Bundestag die Triage gesetzlich regeln muss. Im Dezember 21 kauft die Bundesregierung eine Million Packungen des Medikaments Paxlovid von Pfizer, das gegen schwere Covid-Verläufe wirkt. Immer mehr Politiker fordern ein Impfregister. Der Krankenstand durch Omikron soll den Staat nicht lahm legen. Deshalb wollen Bund und Länder eine Verkürzung der Quarantäne-Zeiten. Die Gesundheitsminister der Länder kommen zu einer entsprechenden Empfehlung von 5 Tagen (Normalbürger 7 Tage mit negativem PCR-Test). Eine allgemeine Impfpflicht soll frühestens im März 22 kommen, wahrscheinlich später. Die Impfinfrastruktur soll massiv ausgebaut werden, damit man schnelle rauf neue Varianten reagieren kann.

Ende Januar 2022 sind rasche Lockerungen nicht in Sicht. Eine Kurskorrektur wird nicht für notwendig gesehen (Bund-Länder-Konferenz). Die Sieben - Tage -Inzidenz erreicht am 25.1.22 einen neuen Höchstwert (840) und steigt bald über 1000 an. Die Hospitalisierungsinzidenz (Krankenhausaufenthalte in einer Woche je 1000 Einwohner). sinkt aber leicht. Die EU - Zulassungsbehörde EMA gibt grünes Licht für den Einsatz des Medikaments Paxlovid in der Covid-19-Therapie. Die Impfquote erreicht Ende Januar 22 75% (mindestens eine Dosis). Impfquote und Genesene zusammen sollten reichen, um dei Corona-Welle langsam auszubremsen. Omikron stellt sich mit seiner hohen Infektiosität selbst ein Bein. Die Mutante ist deutlich ungefährlicher als ihre Vorgänger. Die Firmen ächzen, wobei besonders die Gesundheitsbranche und die Logistik- und Transportbrache betroffen sind. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wird nicht überall umgesetzt. Die Länder lockern auch unterschiedlich.

Im März 2022 billigen Bundestag und Bundesrat neue Corona-Regeln. Es gibt Höchststände bei den Infektionszahlen. Trotzdem werden Corona-Beschränkungen gelockert. Der Öffnungskurs wird auch in anderen Ländern der EU gefahren. Man will wohl die Omikron-Welle einigermaßen kontrolliert durchlaufen. Im Herbst hätte man dann Herdenimmunität und wäre nicht einer gefährlicheren Mutante ausgeliefert. Bund und Länder entzweien sich beim Öffnungskurs. Anfang April 2022 sieht das Robert-Koch-Institut den Höhepunkt der Corona-Welle erreicht. Bei der Corona-Isolation muss der Gesundheitsminister eine Kehrtwende machen. Wer sich mit Corona infiziert, soll sich nun doch weiterhin isolieren müssen (Quarantäne). Über die generelle Impfpflicht gibt es im April 2022 eine Abstimmung im Bundestag. Favorit ist eine Impfpflicht ab 60 Jahre. Alle vorgeschlagenen Konzepte fallen am 7.4.22 im Bundestag durch. Damit gibt es vorerst keine Impfpflicht in Deutschland.

7. Ökonomische und soziale Folgen in China: Es ist nicht auszuschließen, dass China selbst bei den Zahlen trickst. Das Land kann kein Interesse daran haben, dass wahre Ausmaß der Epidemie offen zulegen. Insofern muss man auch bei den ökonomischen und medizinischen Daten vorsichtig sein (für Vergleichsmodellrechnungen ungeeignet) . Das Land hat 2020 schon eine schlechte Ausgangsposition: Handelskrieg mit den USA, zu viele und zu "faule" Kredite. Die Quarantäne-Maßnahmen in China schwächen die Wirtschaft im Land (die Strategie erweist sich aber als richtig). In Quanzhou, der Partnerstadt von Neustadt/ Weinstraße, bricht eine Quarantäne-Station zusammen mit vielen Toten.  Die Wanderarbeiter müssen an ihrem Standort bleiben. 760 Mio. Chinesen sind von Abriegelungsmaßnahmen betroffen. Die Regierung will über 240 Mrd. Dollar Finanzhilfen geben. 70 Mrd. Dollar sollen für Kredite an KMU zusätzlich kommen (7 von 10 Unternehmen haben Existenzängste). Sie spricht von einem "Volkskrieg" gegen den Virus (mit Feldherr Xi Jinping). Es ist auch ein Test für das politische System Chinas. Normalerweise zeigen sich die Folgen an den Märkten weltweit (Einbruch der Ex- und Importe, des Tourismus, Fallen der Aktien-Indizes, Fallen des Ölpreises). Die Aktienindizes in Shanghai und Shenzhen brechen ein. Es zeigen sich auch Folgen für Industrieproduktion, Schifffahrt und Flugverkehr. Container stapeln sich in den Häfen; immer mehr werden auf Züge verlagert (es gibt eine Verbindung zwischen Wuhan und Duisburg: große Gefahr!). Die Messebranche ist gelähmt. Die Logistikbranche wird hart getroffen. Die meisten Restaurants und Geschäfte bleiben geschlossen (enormer Umsatzverlust). Die Exporte aus China sinken im Januar und Februar um 17,2% (Pekinger Zollverwaltung). Das BIP-Wachstum in China könnte auf 4% 2020 sinken, mindestens -1% auf ca. 5%, ganz pessimistische Prognosen gehen von 3% aus). Auch die Kommunikation ist gestört:  Bei der Einreise nach China kommen Manager in Quarantäne, die Sicherheitsvorkehrungen werden generell stark erhöht. Am 10.03. gehen die Neuinfektionen zurück. Von 80.000 Infizierten haben mittlerweile 60.000 das Krankenhaus wieder verlassen. Die Coronawelle scheint in China abzuebben. Die Mehrzahl der neuen Fälle sind schon aus dem Ausland eingeschleppt.  Januar und Februar ist die Industrieproduktion gegenüber dem Vorjahreszeitraum um -13,5% geschrumpft (stärkster Einbruch seit 30 Jahren). die Anlageinvestitionen gingen um -24,5% zurück. Die Einzelhandelsumsätze um -20,5%. Das ist ein Vorgeschmack, was der EU und den USA drohen. Schätzungen für das BIP-Wachstum 2020 liegen zwischen 1 und 5% (EU-Handelskammer, Weltbank). Am 19.3. soll es offiziell keine Neuinfektionen mehr gegeben haben. Wer das glauben soll (die Ausgangssperre gilt noch). Die Produktion wird wieder hochgefahren. Offiziell lautet die Statistik bis zum 20.3. in China: 80.928 Infizierte, 3245 Tote. bei diesen Zahlen bleibt es bis auf weiteres. Die KPC feiert den Sieg, Xi Jinping äußert sich aber eher skeptisch. die Ausgangsprovinz Hubei öffnet am 23.3. wieder ihre Grenzen. Am 26.3. schließt China die Grenzen für die meisten Ausländer. Was man von China lernen kann, ist: Ressourcen schnell bereitstellen, Quarantäne, hohe Testung. China hat und wird die Virenforschung immens verstärken. Immer mehr Hinweise deuten aber darauf hin, dass die Zahlen nicht stimmen: Viele nehmen als Schattenzahlen die Urnen bei den Bestattungsunternehmen oder die Schlangen vor den Krematorien. Dann kommen Schätzungen in Wuhan allein auf 26.000 Tote (Differenz zur normalen Zahl). Später wird die Zahl nach oben revidiert (3900, +50%). Die Führung in China scheint eine Mundtot-Politik zu betreiben. Der Samstag 4.4. wird zum nationalen Trauertag für Corona  erklärt (ist sowieso seit über 1000 Jahren der Toten-Gedenktag, weil die Zahl 4 wie Tod klingt). Das Virus scheint in Wuhan zurück zu sein (zweite Infektionswelle). Trotzdem wird die Stadt am 08.04. geöffnet nach 76 Tagen Lockdown (gigantische Lichter-Show). Der Virus breitet sich aber wieder stärker im übrigen China aus. Die Zahl der Infizierten und er Toten geht wieder nach oben. Die Welle soll von Ausländern und chinesischen Rückkehrern ausgehen. Es kommt zu schweren rassistischen Ausfällen gegen Afrikaner. Einzelne Städte müssen immer mal wieder abgeriegelt werden. So trifft es im Mai 20 die Millionenmetropole Jilin in der gleichnamigen Provinz im Norden Chinas. Am 15.06.20 kommt es zu einem Corona-Ausbruch in Peking auf dem Großmarkt. Dutzende Menschen werden positiv getestet. Teile der Hauptstadt werden abgeriegelt. Man fürchtet eine zweite Welle. Das Virus scheint mutiert zu sein. Anfang Januar gibt es einen Ausbruch in der Provinz Hebei. Das ist die Provinz um Peking herum. Die Provinz wird in den "Kriegsmodus" versetzt und total abgeriegelt. "Drei Chinesen mit dem Kontrabass / Saßen auf der Straße und erzählten sich was. / Da kam die Polizei, ja was ist denn das? / Kontaktverbot, weil über zwei Personen, 250 € Bußgeld", Twitter, MadeMyDaycom.

Im Konflikt mit Japan 1933 bis 1945 haben 230.000 Chinesen durch den Einsatz biologischer Waffen ihr Leben verloren. Daraus hat China gelernt und betreibt "defensive" biologische Waffenforschung. Es scheint mittlerweile die Sowjetunion als größte biologische Supermacht abzulösen. Seit 1984 ist China Mitglied der Biowaffekonvention der UN und bestreitet die Existenz biologischer Offensivwaffen. Die Geheimdienste aus Taiwan und Südkorea haben immer auf die Möglichkeit solcher Waffen hingewiesen. Deshalb waren diese Länder auch wesentlich besser auf Sars-CoV-2 vorbereitet. Erst recht China selbst, das schon seit April 2020 in der Testphase von Impfstoffen ist. Das Wuhan Center for Desease Control und ein anderes biologisches  Forschungszentrum in Wuhan stehen unter der Kontrolle des Militärs. Das heißt nicht, dass es Beweise für ein absichtliches oder versehentliches Freisetzen des Virus in  Wuhan gibt. Eher sprechen virologische Forschungsergebnisse gegen entsprechende Anschuldigungen von Trump. Aber die Welt muss auf den Einsatz biologischer Kampfstoffe vorbereitet sein. Sie sind in einer globalisierten Welt wesentlich effektiver als die klassischen militärischen Mittel (Quelle: Hans Rühle: Der Wahrheit zu nahe gekommen, in: Der Focus, 20/2020, S. 40)..

Allgemein könnte die Regierung in China auch die Situation nutzen, um die soziale Kontrolle über die Bevölkerung mit den Möglichkeiten der digitalen Technik zu verstärken (Gesundheit als Vorwand; siehe unten). sicher ist die Statistik auch bewusst lückenhaft, um die Produktion wieder hochfahren und betreiben zu können. Die Krise hat in China auch tief greifende soziale Folgen: Die Scheidungsrate ist hochgegangen. Das wird darauf zurückgeführt, dass Paare in Quarantäne über einen längeren Zeitraum ununterbrochen zuhause aufeinander hocken. Auch die Fälle häuslicher Gewalt haben zugenommen. Es greifen auch Stereotype und Vorurteile bei der Suche nach Schuldigen: In Italien hat man drei Hypothesen, was die Überträger angeht. Mitarbeiter von Unilever, die in China waren. Chinesische Touristen, die in hoher Zahl Oberitalien besuchen. Chinesische Schwarzarbeiter in italienischen Textilfirmen (in Prato u. a.). Die Wahrheit wird man nie erfahren bzw. alle drei können zutreffen.

In China kann sich jeder beim nächsten Krankenhaus testen lassen. Es gibt auch Container. Das ist ohne Termin und ohne Wartezeiten möglich. Das Ergebnis ist am nächsten Tag da. Es gibt vier Fenster: 1. Pass, Telefonnummer. 2. Zahlen. 3. Nummer. 4. Mund auf, Stäbchen. China hat die höchsten Testkapazitäten. Bei lokalen Ausbrüchen gibt es Massentests. Die Regierung duldet keine Kritik an ihrer Corona-Politik. Die Journalistin Zhang Zhan, die kritisch über die Ereignisse in Wuhan berichtet hatte, wird Ende 2020 in Shanghai zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Bereits 1,5 Mio. Dosen des Impfstoffs von Sinopharm wurden zu Notfallzwecken verabreicht. Eine Kooperation mit Pfizer und Biontech ist geplant. Die Pandemie bricht aber immer wieder aus. Zuletzt Anfang 2021 in der Provinz Hebei (um Peking herum). Die Hauptstadt Shijiazhuang wird vollkommen abgeriegelt. Eine zweite Millionenstadt muss auch vollkommen abgeriegelt werden (Xingtai). Es gilt eine zweiwöchige Ausgangssperre. Große Sorgen bereitet das bevorstehende Neujahrsfest, bei dem auch viel gereist wird.

China lässt Mitte Januar 21 eine Expertenkommission der WHO ins Land, die die Ursachen der Pandemie untersuchen soll. Diese unterstützt die These von der Entstehung auf dem Markt in Wuhan. Biden weist die Geheimdienste an, die Laborthese weiter zu prüfen. Ende Mai 2021 kommt es zu einem Ausbruch in der Provinz Guandong (27 Neuinfektionen an einem Tag). Vor allem die Provinzhauptstadt Guangzhou ist betroffen (18 infizierte an einem Tag). Im Juli fordert die WHO einen Check chinesischer Labore. Der chinesische Gesundheitsminister zeigt sich überrascht. Ende 2021 steigen die Infektionszahlen stark in Xi `an, der alten Kaiserstadt, an. Die 13 Mio.-Stadt wird abgeriegelt. Es ist der größte Lockdown seit Wuhan. Auch drei Injektionen des chinesischen Impfstoffs bieten keine Sicherheit gegen Omikron. Das ist beunruhigend. Lieferketten werden leiden und die Gesellschaft als ganzes. Schon seit 2 Jahren gibt es keinen kulturellen, diplomatischen und akademischen Austausch Chinas mit dem Ausland mehr. Auch die Millionenstadt Yuzhou in der zentralchinesischen Provinz Henan muss in den Lockdown. Man will vor den olympischen Winterspielen kein Risiko eingehen.

Die Null-Covid-Strategie wird wohl noch Jahre andauern. Sie ist oft damit verbunden, dass Corona-Regelbrecher öffentlich gedemütigt werden. So ist es im Falle der Grenzstadt Jingxi im Südosten des Landes. Sicherheitskräfte führen Corona-Regelbrecher vor einer größeren Menschenmenge vor. Sie müssen Plakate mit ihren Fotos und Namen tragen. Polizisten sprühen die vermeintlichen Verbrechen an die Hauswände der Straftäter, um diese öffentlich zu brandmarken. Bewohner müssen täglich mehrmals ihre Temperatur messen und einen Gesundheitscode scannen lassen. Der Alltag ist ohne Gesundheitscode nicht mehr möglich, so dass sich einige Kriminelle freiwillig gestellt haben. Ausländer werden als Virusträger zunehmend kritisch beäugt, nur mehr wenige Hotels nehmen ausländische Gäste auf. Die Zahl der Ausländer ist in den Metropolen Peking und Shanghai stark zurückgegangen. Chinesen reisen auch kaum noch ins Ausland. 90% aller Chinesen besitzen wohl keinen Reisepass. Studenten bewegen sich nur auf dem Universitätscampus. Die Lage wird sich dramatisieren, weil die heimischen Vakzine gegen Omikron kaum helfen. Vgl. Kretschmer, Fabian: Corona-Regelbrecher werden in China öffentlich gedemütigt, in: Rheinpfalz 31.12.21, S. 3. Knapp vier Wochen vor den Olympischen Spielen erreicht Omikron China. Es gibt Fälle in der Hafenstadt Tianjin (15 Mio. Einwohner, 115 Kilometer von Peking entfernt). Ein Sportstadion wird für Massentests umfunktioniert. In Peking ist die Nervosität hoch. Die großen Metropolen Shenzhen und Shanghai müssen im März 2022 in den Lockdown. Die ökonomischen Schäden werden immer größer. Ende April 2022 greift die Panik in Peking um sich: Hamsterkäufe, Massentests und erste Abrieglungen. Der chinesischen Hauptstadt droht der Lockdown. Man sieht lange Warteschlangen. Alle 3,5 Mio. Einwohner des größten Stadtteils Chaoyang müssen sich testen lassen. Die Regierung propagiert sogar traditionelle Medizin (TCM) bei der Heilung von Covid-Infektionen. Tianjin ist quasi der Hafen von Peking. Es gibt eine Schnellbahnverbindung zwischen den Städten. Sie wurde noch von Siemens gebaut. Ich habe Tianjin mal 2008 besucht. Die Stadt ist sehenswert, weil sie noch Gründerzeit-Architektur besitzt. Die Hauptstadt Peking sieht Tianjin als seinen Hafen und versucht die Stadt mit allen Mitteln gegenüber Shanghai aufzuwerten. So wird dort ein spezieller Aktien-Index eingeführt.

Im November 2022 tauchen Gerüchte über ein Ende der Null - Covid - Politik auf. An den Finanzmärkten sorgen die Gerüchte für einen Aufschwung. Vorher gibt es aber einen großen Rückschlag. Im größten Foxconn - Werk in Zhengzhou in der Provinz Henan bricht Covid aus. Es kommt zu einer Massenflucht aus dem Werk. Die lokalen Behörden informieren zu spät und treffen auch zu wenig Vorkehrungen. Mit finanziellen Anreizen versucht man, die Menschen zu halten. Schließlich wird das Industriegebiet unter Quarantäne gestellt. Für Apple ist das eine Katastrophe vor dem Weihnachtsgeschäft. In dem Werk arbeiten 300.000 Beschäftigte. Ende November gibt Demonstrationen gegen die Null-Covid-Strategie, zuerst in Ürümqi in Xinjiang. Bei einem Hochhausbrand kommen mindestens 10 Menschen ums Leben, weil sie wegen der Quarantäne nicht das Haus verlassen können. Es folgen Proteste in Shanghai und Peking (Tschingua) mit Hunderten von Teilnehmern. In Shanghai gibt es viele Festnahmen, in Peking hält man sich zurück.

Das könnte das Ende der Null-Covid-Politik eingeläutet haben. Viele ältere Bürger haben noch nicht ausreichend Impfschutz (80 bis 90%). Nach der Lockerung der Null-Covid-Strategie schnellen die Infektionszahlen in die Höhe. Die Statistik wird wohl geschönt. sie wird nicht mehr zentral gemacht, sondern auf Ebene der Provinzen. Offiziell gibt es keine Corona - Toten. Die Krematorien laufen aber wohl auf Hochtouren, ebenso die Krankenhäuser. Über Nacht wurde die Null-Covid-Strategie aufgegeben (Full - Covid!). Es scheint die radikale Öffnung zu kommen. Es könnte die heftigste Corona-Welle der Geschichte kommen. Vgl. Giesen, C.: Ein Land wird positiv, in: Der Spiegel 51/ 17.12.22, S. 72ff. Ausländer müssen bei Einreise nicht mehr in Quarantäne.

8. Multiplikatoren durch das Gewicht Chinas und der USA: Es gibt zunächst Indikatoren, die die Krise der Weltwirtschaft anzeigen: Dazu gehören der Kerosinpreis (sinkt rapide), der Autoabsatz in China (geht dramatisch zurück) und der Goldpreis (schießt nach oben, "sicherer Hafen"). China wirkt durch seinen hohen Anteil an der Weltwirtschaft aber auch als Multiplikator. Die Wirtschaft Chinas hat einen Anteil an der Weltwirtschaft von 16,3% (2019). Bei Exporten beträgt der chinesische Anteil 13,1%, auch 2019). Die Ausgaben chinesischer Touristen machen 19,3% in der Welt aus. Quellen: IWF, WTO. China war auch 2019 wichtigster Handelspartner für Deutschland (bei Importen aus China Platz eins mit 109,7 Mrd. €; bei Exporten nach China Platz drei hinter USA und Frankreich mit 118,7 Mrd. €). Der Ausfall in chinesischer Produktion stört auch Lieferketten in aller Welt. China wird aber seine ganze Finanzkraft (Staatsfonds) in ein Konjunkturprogramm stecken, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. In China selbst ist die Zahl der Infizierten drastisch gesunken, wenn die Statistik stimmt. Das Land soll wieder geöffnet werden (auch Hubei). Fraglich bleibt, wie das Reisen klappen soll ohne Virus-Übertragung.  Aufgrund persönlicher Absprache zwischen Merkel und Xi Jinping wird eine Luftbrücke zwischen Shanghai und Frankfurt eingerichtet. Bundeswehrmaschinen transportieren Schutzausrüstung nach Deutschland aus den ca. 1000 chinesischen Staatsbetrieben. Deutsche und europäische Firmen profitieren von ihrer Präsenz in China. Die chinesischen Betriebe für Schutzmasken haben einen Weltmarktanteil von 85%. Durch den Neustart dort und den wirtschaftlichen Normalzustand können sie früher loslegen. China erhöht 2020 seine Zahlungen an die WHO um weitere 30 Millionen Dollar (Ausgleich für Ausfall der USA). Andererseits verschärft China die Exportregel für Masken und andere Schutzausrüstung. Die Waren werden anderswo knapper und damit teurer. In China hat man große Angst vor einer zweiten Welle. Diese kommt dann aber nicht, weil die Gegenstrategie greift: Totale Abriegelung, wenn Fälle auftreten. Gesundheits - App ohne Datenschutz. In Wuhan wird Anfang November 2020 sogar das Ende der Pandemie gefeiert. Xi Jinping weist auf die Überlegenheit des kommunistischen Systems gegenüber dem demokratischen. Dei Stimmung in der Wirtschaft ist gut (10-Jahres-Hoch). China reagiert aber mit einer neuen Ausrichtung seiner Außenwirtschaftspolitik: Man spricht von Zwei-Strom-Strategie. Der Binnenmarkt soll ausgedehnt werden, weite Teile von Hightech sollen unabhängig sein. Ausländische Investitionen und Exporte ins Ausland sollen besser kontrollierbar sein (deshalb auch RCEP). Der WHO-Report über den Ursprung der Corona-Pandemie bringt keine neuen Erkenntnisse. Der oberste Impfverantwortlich in China (Leiter des Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention Gao Fu) gibt im April 2021 überraschend zu, dass die eigenen Mittel zu wenig wirksam sind. Man will auf eine Kombination setzen.  Nach dem nationalen Statistikbüro ist im Januar und Februar 2020 die Nachfrage nach Konsumgütern um 20,5% eingebrochen, die Industrieproduktion ist um 13,5% zurückgegangen. Im 1.Quartal 2020 ist das BIP in China um 6,8% eingebrochen.

Ganze Städte müssen 2022 in den Lockdown versetzt werden. Im April 22 trifft es die Millionenstädte Shenzhen und Shanghai. Der größte Hafen der Welt Shanghai muss quasi gesperrt werden. Das wird auch Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben.

Als besonderer Risikofaktor gilt außerdem das mächtigste Land der Welt, die USA. Der Gang zum Arzt ist hier nicht selbstverständlich. Von 320 Mio. Amerikanern sind nur 28 Mio. krankenversichert, weitere 44 Mio. sind ungenügend versichert. Mehr als 30% aller Beschäftigten erhalten keine Lohnfortzahlung. Diese Zustände könnten Trump die Wiederwahl kosten (Hoover-Moment; er hängt an dem Narrativ "starke Wirtschaft, niedrige Arbeitslosigkeit, steigende Aktienkurse", Robert Shiller). Am 12.03. verhängen die USA ein Einreiseverbot für Europäer (außer GB und Irland, Trump wirft der EU Fehler vor und sucht wie immer einen Sündenbock) ab 13.03.20 für einen Monat. Das könnte viel zu spät sein. Experten sagen, dass das Virus schon überall in den USA sei (man habe nur viel zu spät getestet, gigantisches Ausmaß). Erschreckend ist das mangelnde Angebot an Nahrungsmitteln. Sogar der Präsident trifft sich mit infizierten Personen (Bolsonaro, Sprecher). Der Dow Jones, der Aktienindex der New Yorker Börse, fällt um 10%, der stärkste Einbruch seit 30 Jahren, weiterer Einbruch am 16.3 (zuerst durch Zinssenkung der Fed abgemildert: 0 bis 0,25%). Es fallen trotzdem später rapide Dow Jones und S&P500 (-13%, stärkster Rückgang seit 1987). Beinahe hätte die Pandemie eine Finanzkrise ausgelöst. Das verhindert die Notenbank.  Die Bundesbehörden konnten keine bzw. nicht genug Tests liefern. Die Regierung Trump hatte den Seuchenschutz heruntergefahren. Trump ruft den Notstand aus. Damit können 50 Mrd. $ als Hilfe eingesetzt werden. Es soll Wirtschaftshilfen für bedrohte Branchen geben. ! Billion $ werden freigegeben (1200 Dollar für jeden Steuerzahler, pro Kind 500$). Der US-Wirtschaft droht die Rezession. Sie wird an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen, dem Konsum. 70% der US-Wirtschaftsleistung hängt vom Konsum ab. Bleiben Menschen zuhause, haben sie viel weniger Konsum. Deshalb kommt später Helikoptergeld (1,2 Billionen $, bis zu 1200 $ pro HH, pro Kind 500). Auch viele große Unternehmen haben Probleme (Apple schließt alle Verkaufsstellen, Google stellt auf Homeoffice um). Für Unternehmen gibt e sein Soforthilfe-Paket in Höhe von vier Billionen Dollar. Einzelne Bundesstaaten rufen selbständig den Ausnahmezustand aus. Regionen greifen auch schon zum "Shut Down" (New York, Los Angeles; New Orleans). Vor New York liegt ein Sanitätsschiff der Armee; im Central Park ist ein großes Feldlazarett. Es fehlt an Schutzausrüstung.  New York hat mehr Infizierte als ganz Deutschland und dreimal mehr Tote (175.000, 18.000 Tote; 2.5.20). Die Situation in den USA ist wesentlich dramatischer als die Medien berichten (persönliche Kontakte). Experten rechnen mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit um 20% und mehr (sie könnte von zuletzt 3,5% zweistellig werden). Die Anträge auf Arbeitslosenhilfe haben sich verzehnfacht (von 300.000 auf mehr als 3 Mio.). Viele Senatoren der Republikaner waren schon am 24.1.20 durch Epidemie-Experten des Geheimdienstes über den Ernst der Lage informiert. Sie verkauften daraufhin Aktienpakete auf dem Kurs-Höchststand. Gegenüber der Bevölkerung verharmlosten sie die Lage. In den USA steigen die Fälle auch rapide an (300, 07.03.20, aber zu wenig Tests, nur 2000; 21.3. 22.000 Infizierte, 278 Tote; 22.3. 31.057 Infizierte, 390 Tote). Am 23.3. gibt es 41.027 Infizierte in den USA (12.000 in N.Y.). Am 25.3 erreicht die Zahl der Infizierten schon 61.167 und die Zahl der Toten 849. Am 26.3. hat man 75.233 Infizierte und über 1000 Tote. Für den 27.3. sind die Zahlen: 92.932 Fälle. Am 28.3. steigt die Zahl der Infizierten weit über 100.000 bei 1700 Toten insgesamt. Am 30.3. sind es 150.000 Infizierte und über 2000 Tote. Am 01.04. erreicht man schon 190.740 Infizierte (man rechnet mit 240.000 Toten, Prognose). Am 05.04. steigt die Zahl der Toten auf 8500. Am 12.04. sind die Zahlen: 540.000 und 10.630, Verdopplung 9,6 Tage. Alle 50 Bundesstaaten sind betroffen.  Am 06.04. haben die USA 350.000 Infizierte und mehr als 10.000 Tote. Am 08.04. gibt es über 400.000 Infizierte und 2000 Tote an einem Tag. Am 09.04. hat man schon insgesamt 15.000 Tote. Am 24.04. kumulieren sich die Toten schon auf über 50.000.  Am 20.04. geht die Zahl der Infizierten über 1 Million, die Zahl der Toten kumuliert sich auf über 60.000 (mehr als ein Drittel aller Corona-Toten in der Welt; mehr als der Vietnam-Krieg an Opfern forderte). Am 12.05. ist man schon bei 1,4 Mio. Infizierten und 81.000 Toten (in Ballungsgebieten Wachstumsraten zwischen 70 und 200 %; 30.05. 1,7 Mio. Infizierte, über 100.000 Tote). Am 08.07.20 hat man mehr als 3 Mio. Infizierte (ganz klar "America first"). Mitte Juli 2020 hat man 3,6 Mio. Infizierte und 138.000 Tote. Trump wendet das Kriegsrecht an: GM muss Beatmungsgeräte herstellen.  Ausrüstung fehlt. Es fehlt an Allem, auch an Tests (deshalb ist die Dunkelziffer sehr hoch). Am 12.03.20 erlassen die USA einen Einreisestopp für alle Europäer für 30 Tage (Ausnahme GB und Irland, völlig unsinnig, gilt später für alle Europäer). Am stärksten ist New York betroffen (Ausgangsbeschränkungen, Hochrisikogebiet; dann folgt New Orleans). Auf Park Island in New York werden Massengräber eingerichtet. Die öffentlichen Krankenhäuser werden in kurzer Zeit überlastet sein. Ganz unten in der Versorgungshierarchie stehen die Amerikaner ohne Versicherung. Die Regierung will hierfür 2 Mrd. $ zur Verfügung stellen.  Die privaten Kliniken schotten sich mit allen Mitteln ab. Die USA könnten den Weltmarkt leer kaufen mit riesigen Preissteigerungen von Medikamenten, Ausrüstung und Impfstoffen. als Folge. Die USA drohen neuer Hauptschauplatz der Corona-Krise zu werden. Trump ist gegen die Abriegelung von Krisenherden (er beansprucht die absolute Macht für sich gegenüber den Gouverneuren). Er legt sich mit den Gouverneuren an. Er macht die Medien, die WHO und China für Alles verantwortlich. Trump beschuldigt konkret das Viren-Forschungslabor (größtes in Asien, Militär) in Wuhan, das Virus freigesetzt zu haben. Die Zahlungen an die WHO (400 Mio. $ werden eingestellt). Im Juli 2020 treten die USA aus, wirksam in einem Jahr. Die anderen G6 missbilligen diesen Schritt.  Am 17.04. verkündet Trump einen Plan für Lockerungen. (Empfehlungen). Die Verantwortung schiebt er den Gouverneuren zu. Er ruft sogar zum Widerstand auf. Die sind vorsichtig, weil sie zuwenig Tests haben. Dann empfiehlt er kuriose Maßnahmen: UV-Licht, Hitze, Feuchtigkeit, Desinfektionsmittel spritzen. Ende Mai 2020 will Trump die Arbeitsgruppe "Corona" auflösen. So könnten die USA ironischerweise den Trend beschleunigen, den sie stoppen wollten: den Weg Chinas zur neuen Supermacht. Die USA igeln sich in der Krise eher ein, China hilft öffentlichkeitswirksam. Eine Prognose von JP Morgan, der größten US-Bank, geht im 1. Quartal 2020 von -10% BIP-Rückgang, im 2. Quartal von -25%. Das ist eine schwere Rezession, die die Wirtschaft der ganzen Welt nach unten ziehen wird. Innerhalb von zwei Wochen melden sich 10 Mio. Menschen arbeitslos, Stand 09.04. 17 Mio. Arbeitslose, am 15.04. 22 Mio., am 30.4. 26 Mio., am 07.05. 33 Mio. (ALQ 16%, März noch 4%). Im 1. Quartal liegt der Rückgang des BIP dann tatsächlich bei -4,8%, im 2. Quartal erwartet man -30% (Prognose Fed). Besonders betroffen sind Milchbauern, Öl-Fracker und Gründer. Ab Sommer könnte es dann wieder aufwärts gehen (der Dow Jones geht schon wieder hoch, Bedingung: keine zweite Welle). Auch die Struktur der US-Volkswirtschaft könnte sich ändern: Die Haushalte erkennen in der Krise, dass ihnen Reserven für unvorhergesehene Umstände fehlen. Sie könnten in Zukunft mehr sparen. Das hätte dramatische Folgen für den US-Konsum, die Stützte der Konjunktur. Der Konsum nimmt schon schweren Schaden durch die hohe Arbeitslosigkeit. Dadurch geht auch eine Menge Humankapital verloren. Anfang Juni 2020 liegt die Arbeitslosigkeit schon bei 40 Mio. In der "pandemischen" Rezession verlieren in den USA vor allem Frauen ihren Arbeitsplatz. Neben Gesundheitskrise, sozialer Krise und Wirtschaftskrise hat man jetzt auch eine Staatskrise. Nachdem ein Schwarzer  von einem Polizisten getötet wurde, gibt es Ausschreitungen in über 100 Städten der USA. Ende Juni 2020 grassiert das Corona-Virus wieder stärker in den USA. Vor allem im Süden. In großen Staaten wie Texas und Florida gibt es eine erschreckend hohe Zahl von Neuinfektionen. Am 25.7.20 läuft das Konjunkturpaket aus. Trump ordert per Dekret neue Corona-Hilfen an (Arbeitslosenhilfe, Senkung der Lohnnebenkosten). Es ist fraglich, ob die Demokraten das billigen. Bis 21.9.20 gibt es über 200.000 Tote durch Corona in den USA. Trump attackiert China und die WHO und macht sie verantwortlich dafür. Er spricht jetzt immer vom "China-Virus". Im Oktober 2020 trifft es ihn selbst. Er bekommt im Militärkrankenhaus einen Cocktail verpasst. Wenn das mal gut geht. Inzwischen sind über 210.000 Menschen in den USA an Covid-19 gestorben. Das Thema Corona dominiert den Wahlkampf, der in eine Schlammschlacht mündet. Ende Oktober 2020 steigt die Zahl der Toten in den USA auf 230.000 (Weltspitze), jeden Tag infizieren sich 80.000 Menschen neu. Am 30.10.20 erreicht man den neuen Rekord mit 88.000 Menschen innerhalb von 24-Stunden. Die USA stehen so kurz vor der Wahl. Viele Menschen haben schon per Briefwahl abgestimmt (92 bis 100 Mio.). Sofort nach Abzeichnen seines Wahlsieges setzt Biden eine  Sonderkommission ein, die Pläne für Corona entwickeln soll. Trump will nicht kooperieren. Am 19.11.20 gibt es in der Summe schon 250.000 Tote. An einem Tag infizieren sich 171.000 Menschen. Gegen Ende 2020 kommt die US-Wirtschaft fast zum Stillstand. Corona hinterlässt auch tiefe Spuren am Arbeitsmarkt. Die Zahl der Pleiten steigt. Die designierte Finanzministerin unter Biden Janet Yellen warnt vor einer "amerikanischen Tragödie". Das Impfen wird zu einem großen logistischen Problem: Bei der Verteilung sollen Walmart und Apothekenketten helfen. Es geht Mitte Dezember 2020 los. Die USA liegen 2020 bei der Zahl der Infizierten und der Zahl der Toten an der Spitze. Am 20.12.20 einigen sich Demokraten und Republikaner in den USA auf ein weiteres Konjunkturpaket:  900 Mrd. Dollar. Es soll Hilfen für Arbeitslose geben (300 $ pro Woche). Bis zum 4.2.21 hat die USA 450.000 Corona - Tote. 26,5 Mio. Menschen wurden infiziert.  Schon im März 20 haben sich  10 Mio. Menschen arbeitslos gemeldet. Ende des Jahres 2020 sind es noch 10,7 Mio. Viele melden sich nicht.

Die strukturellen Schäden durch die Krise sind tief. Zu viele Händler und Unternehmen sind bankrott, ganze Industrien angeschlagen. Viele Menschen sind komplett aus dem Arbeitsmarkt raus gefallen. Für die Menschen der Mittel- und Unterschicht geht es nach unten. Sie kriegen die alten Jobs nicht zurück. Vgl. Spiegel-Gespräch mit Robert B. Reich, Der Spiegel Nr. 1, 2.1.2021, S. 66ff.  "In Zeiten der Not erstarkt der Staat. Wir sind jetzt wieder in einer solchen Zeit", Robert Reich.

Biden geht massiv gegen die Seuche vor. Bis Ende April 2021 sollen 100 Mio. Amerikaner geimpft sein. Er setzt die Nationalgarde ein, um provisorische Impfzentren einzurichten. Der Kongress soll 1,9 Billionen $ bereitstellen. Es soll Direktzahlungen in Höhe von 1400 $ geben. Der Regierung nahe stehende Ökonomen halten das Paket für überdimensioniert. Sie befürchten eine Überhitzung der Wirtschaft und in der Folge eine Inflation (Larry Summers, Olivier Blanchard). Die USA schaffen es aber mehr Impfstoff viel schneller zu verteilen als dei Europäer. Ein General und ein Pharma-Manager sorgen fürs Tempo. Der Vorteil der Amerikaner liegt auch darin, dass sie Fabriken gebaut haben und weiter bauen. Allerdings bedroht die Impfskepsis vieler Amerikaner die wirtschaftliche Erholung. Firmen locken ihre Beschäftigten mit Prämien. Doch Afroamerikaner, Evangelikale, Abtreibungsgegner, US-Republikaner sind impfmüde. Im Herbst 21 geben die USA bekannt, dass sie eine halbe Milliarde Impfdosen spenden wollen. Auf einer Video-Konferenz einigen sich die wichtigsten Staats- und Regierungschefs auf ein Ziel: bis September 22 sollen 70% der Bevölkerung in jedem Land geimpft sein. Anfang 2022 müssen die USA erneut dicht machen. Die Omikron-Variante legt das öffentliche Leben lahm. Am schlimmsten ist die Lage in New York. Erstmals gibt es am 4.1.22 innerhalb von 24 Stunden mehr als 1 Mio. Ansteckungen (Verdopplung innerhalb einer Woche).

Die von Biden verfügte Impft- und Testpflicht wird Mitte Januar 2022 vom Obersten Gericht in großen Firmen vorerst gestoppt. Betroffen sind Firmen mit mehr als 100 Angestellten. Auch die Pflicht zum Tragen der Masken wird gestoppt. Das Verfassungsgericht ist konservativ besetzt (Trump). Eine US-Bundesrichterin stoppt die gesamte Maskenpflicht.

9. Ökonomische Übertragungsmechanismen in einer globalen Wirtschaft: In der realen Wirtschaft gehen Angebot und Nachfrage gleichzeitig zurück ("Doppelschock", Kenneth Rogoff). Das ist im Vergleich zu großen Krisen vorher neu und manche sprechen hier von einem "Schwarzen Schwan" (extrem seltenes und unwahrscheinliches Ereignis). Es handelt sich um einen realwirtschaftlichen Schock, der fast alle Länder gleichzeitig trifft. Das muss für die Weltwirtschaft verheerend sein (Situation wie bei Spanischer Grippe, aber bessere Ausgangsvoraussetzungen). Viele Firmen in aller Welt schließen die Produktion. So muss z. B. PSA die Produktion in Rüsselsheim und Eisenach zwei Wochen schließen. Auch andere Autofirmen (VW, Audi, Daimler, BMW, Ford) stoppen die Produktion. Weil Vorprodukte fehlen, die Nachfrage einbricht oder Arbeiter geschützt werden sollen. Diese Unternehmen wirken als Multiplikatoren, weil sie viele Zulieferer haben, die dann betroffen sind. Die Lieferketten sind die verwundbarste Stelle (wegen weit verbreiteter Just-in-time-Produktion). Zeitverzögert trifft es die Elektroindustrie und den Maschinenbau. Damit zusammenhängend stockt die ganze Logistik. Extrem stark betroffen sind außerdem die Reise- und Tourismusbranche (einige Fluggesellschaften und Reiseveranstalter gehen Pleite). Vor dem Corona-Ausbruch erwarteten Hotels und Airlines 1520 Mrd. $ Einnahmen, nach dem Corona-Ausbruch noch 699 Mrd. $ (Quelle: WiWo 13, 20.3.20, S. 8). Die Lage der Banken spitzt sich zu (doppelt betroffen). Die deutsche Wirtschaft ist extrem abhängig von Exporten (Nachfrage im Ausland)  und daher besonders anfällig. Allein die Lombardei ist für Deutschland so wichtig wie Japan (Venetien wichtiger als Brasilien) Auch die Nachfrage, vor allem nach Konsumgütern, bricht ein. Vorher kann es zu Hamsterkäufen kommen oder auch zu anderen Formen irrationalen Verhaltens. Kaufhof/ Karstadt steht vor der Insolvenz.  Beim Öl kommt es zu einem massiven Preisverfall (die Opec will die Förderung kürzen, Russland ist dagegen; Folge ist ein Preiskrieg zwischen Russland und Saudi-Arabien). Am 16.3. kommt es zu einem weiteren Einbruch (tiefster Stand seit 4 Jahren). Die Finanzmärkte reagieren als Frühindikatoren und indizieren die Unsicherheit in der Zukunft. Die Aktienkurse sinken permanent, Goldpreis und Kurs des Schweizer Frankens steigen ("Sichere Häfen"). Am 09.03. ist eine Art "Schwarzer Montag": Es herrscht Panik an den weltweiten Börsen. Die Aktienkurse in Europa und Asien brechen zuerst ein. Dann geht die Börse in New York stark nach unten (größter Abstieg seit 10 Jahren, 15 Minuten Handel ausgesetzt). Spätere Rückgänge der Kurse folgen (meist immer Montag, so auch am16.3.). Am 18.3. geht es weiter nach untern (DAX -5%, Dow Jones -8%). Der Preissturz bei Öl mit wird am 09.03. zum stärksten seit 30 Jahren (seit1991, Golfkrieg). Er geht noch weiter. Am 19.3. geht der DAX erstmals wieder leicht nach oben. Nach der Finanzkrise 2008 hatte Deutschland 2010 einen Einbruch beim BIP von 5%. Diese Delle gab es bei nahezu allen Staaten mehr oder weniger. Wenn es diesmal mit den wirtschaftspolitischen Instrumenten des Staates genauso kommt, wäre dies ein Erfolg. Außer DAX und Dow Jones sowie Öl- und Goldpreis sind noch besonders wichtig: Euro-Stoxx-50, S&P 500 in den USA, Nikkei-225 in Japan, CSI-300 in China. alle gehen auch deutlich nach unten.

Die Finanzmärkte sind weiter indirekt eingebunden wie in der Finanzkrise 2008: Pensionskassen und Versicherer haben in der Vergangenheit massiv Kredite hoch verschuldeter Unternehmen aufgekauft. Finanzinvestoren und Banken versprachen höchste Sicherheit. Die Risken wurden raffiniert versteckt. In der Corona-Krise könnte die Täuschung auffliegen. Es könnte dann Parallelen zur Finanzkrise 2008 geben. Großbanken wie z. B. Deutsche Bank, Barclays und JP Morgan haben vorher an Unternehmen Kredite gegeben, obwohl diese eine schwache Kapitalausstattung hatten. Sie strichen Gebühren ein und reichten die Risiken an Finanz-Investoren weiter (gleicher Mechanismus wie 2008). Diese CLOs könnten zu Bomben werden. Vgl. WiWo 13, 20.3.20, S. 14ff.  Generell erleben die Finanzmärkte aber einen Crash durch Corona. Am 24. Februar 2020 (Montag) war die Krise noch auf China und Asien beschränkt. Der globale Marktwert der wichtigsten Anlageklassen (Unternehmensanleihen, Staatsanleihen, Aktien) betrug 141,5 Billionen Dollar. Am Mittwoch, 18. März 2020,wird das Ausmaß der Krise voll abschätzbar. Der globale Marktwert beträgt jetzt nur noch 116,5 Billionen Dollar.  25 Billionen Dollar beziffern den Einbruch. Das ist einer der größten Wertverluste in der Geschichte der Finanzmärkte. Auf dem Immobilienmarkt könnte der Boom zu ende gehen. Allerdings sind hier Ausschläge weniger stark. Zinssteigerungen dürften aus lange Sicht nicht kommen. Eventuell steigen aber die Preise, weil Rückverlagerung, Differenzierung der Lieferketten und Daseinsvorsorge nur über höhere Lohnkosten möglich sind.

Staaten und Notenbanken in aller Welt machen milliardenschwere Hilfspakete, um ihre Unternehmen und Banken vor dem Kollaps zu retten. Dadurch steigen die Schulden in fast allen Ländern  stark an. Das kann dazu führen, dass nach der Corona-Krise eine Schuldenkrise kommt. Japan hebt seinen Gesamtschuldenstand 2020 auf 254% (Quote Gesamtschulden zu BIP) an und führt damit. Die USA kommen auf 131%. Die Euroländer erreichen eine Schuldenquote von 103% (Deutschland 70 - 75%).

Eine seriöse Einschätzung der ökonomischen Folgen der Corona-Krise mit Zahlen lässt sich aber nicht machen. Sicher ist, dass die Weltwirtschaft bedroht ist und damit auch der Wohlstand in der Welt. Es dürfte eine Rezession kommen. Bedrohlicher als der Virus selbst ist ökonomisch die Angst davor (das wusste schon Günter Schmölders in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts in seiner Analyse der Konjunktur). Panikstimmung ist nie gut fürs Geschäft. Insofern muss die Politik alles tun, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Zukunft aufrecht zu erhalten. Veranstaltungsabsagen, Quarantäne-Maßnahmen, Reisestornierungen, Messe-Aussetzungen, Schließungen von Kindergärten und Schulen lähmen die Wirtschaft, die fast zum Stillstand kommt. Außerdem vermischen sich in der Krise auch andere Motive damit: Sie dient als Vehikel, um andere Kämpfe auszutragen. So hat Putin bewusst den Preisverfall bei Öl herbeigeführt. Das bedroht amerikanische Fracking - Unternehmen, die hoch verschuldet sind,  in ihrer Existenz. Gleichzeitig ist es eine Revanche für den Druck der USA bei Nord Stream 2. Er trifft aber auch Saudi-Arabien, einer der engsten Verbündeten der USA (2020 und 2021 100 Mrd. Dollar Lücke im Haushalt). Schließlich kann sich die OPEC doch am 10.4. darauf einigen, die Ölproduktion zu reduzieren (-10 Mrd. Tonnen, -10%, auch Mexiko macht mit).

Die USA und China stellen auch in Corona-Virus-Gebieten benutzte Banknoten unter Quarantäne. Eine Studie von Schweizer Virologen kommt zu dem Ergebnis, dass Viren, die über menschlichen Schleim auf Noten gelangen, in der Spitze bis zu sieben Tagen überleben. Experten streiten sich darüber. Zahlen per Karte ist auf jeden Fall gesünder.

Die Reisebeschränkungen bzw. Abschottungen von Ländern häufen sich. Viele Exportgüter sind aber an Installationsteams gebunden, so dass Güter und Menschen zusammengehören. Können Experten nicht mehr reisen, stauen sich viele Projekte. Andere Güter hängen an einem schnellen Transport, der wegen Grenzkontrollen stockt.

10. Folgen für Deutschland: Am 02.03.20 gibt es 157 Fälle in Deutschland (am  am 08.03. über 1000, am 17.3. 8604 Infizierte und 23 Tote; am 23.3. 28.784 Infizierte und 116 Tote; am 30.3. 63929 Infizierte, 565 Tote; Sterberate 0,3%; 05.04. 98.772, 1527; 09.04. 114.257, 2.349, 46.300 Genesene, Verdopplung 15,9 Tage; am13.04. 128.000, 3022, Verdopplung 20,2 Tage; 14.04. 130.700, 3261, Verdopplung 25,1 Tage; 17.04. 139.000, 4200; 21.04. 147.600, 4900; 26.04. 157.000, 5.900 Tote; 29.04. 160.500, 6400. 04.05. 166.000, 6900. 15.05. 175.000, 7900 Tote; 24.05. 180.000, 8300 Tote; 02.06. 430 Neuinfektionen im Durchschnitt der letzten sieben Tage und 8600 Tote. Die Neuinfektionen liegen vorübergehend mit 770 erstmals unter 1000 (sie steigen aber wieder an, allerdings unter 1000, auch am 15.5. 720, 19.5. 570, 24.5. 600, 02.06. 430, 04.06. 370, 29.06. 490). Ab 25.7.20 gibt es wieder mehr Neuinfektionen (510) in den letzten 7 Tagen. Urlaubsrückkehrer bringen eine Verbreitung in der Fläche. Am 24.8.20 gibt es schon über 2000 Neuinfektionen in den letzten sieben Tagen. Die Zahl steigt kontinuierlich an. Später pendelt die Zahl so um die 2000 (17.9.20 2200). Am 07.10.20 springt die Anzahl der Neuinfektionen an einem Tag über 4000; am 14.10.20 liegt sie über 5000. Am 20.10.20 steigt die Zahl auf fast 7000, am 21.10. auf fast 8000. Am 22.10.20 ist man schon bei über 11.000. Am 24.10.20 steigt die Zahl auf über 14.000 (über 10.000 Tote insgesamt). Die meisten Neuinfizierten an einem Tag gibt es am 28.10.20 mit 14.964 (11.120 im 7-Tage-Schnitt); diese Zahl wird am 30.10.20 mit fast 19.000 übertroffen (über 13.000 im 7-Tage-Schnitt).  Stark betroffen sind Ballungsgebiete  (Berlin Mitte, München, NRW). Bei den Bundesländern sind es NRW, Berlin und Bayern. Bayern führt die Stufe dunkelrot ein (über 100 Infizierte pro 100.000einwohner; z. B. Bergdesgadener Land). Reisen innerhalb Deutschlands sollen auch beschränkt werden ( Corona-Test, keine Beherbergung aus Corona-Risiko-Gebieten). Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern sowie Bayern erlassen ein Beherbergungsverbot für Urlauber aus deutschen Risikogebieten. Die Gerichte kippen die meisten Beherbergungsverbote (einige werden zurückgenommen). Diesmal sind besonders die Großstädte betroffen. Ab 35 Neuinfektion pro 100.000 Einwohner herrscht überall im öffentlichen Bereich Maskenpflicht. Ab 50 infizierten Personen pro  100.000 Einwohner herrscht eine Sperrstunde in der Gastronomie ab 23.00 Uhr. Private Feiern werden eingeschränkt (10 Personen, maximal zwei Haushalte). Bei höheren Zahlen 5 Personen. Einige Länder behalten das Beherbergungsverbot bei (oder Testpflicht). Im Herbst und Winter 20 werden wieder höhere Infektionszahlen befürchtet. Die Zahlen dürften dann schwer von den Gesundheitsämtern zu kontrollieren sein. Es sollen Fieberambulanzen und Schnelltests eingeführt werden. Die Verdopplung der Zahlen muss auf 10 bis 14 Tage steigen, damit die Kapazität der Betten in D reicht. Die Basisreproduktionszahl liegt schon bei 1 (1 Person steckt 1 Person an; sie soll unter 1 liegen). Am 17.04.20 liegt die Reproduktionszahl bei 0,7, später steigt sie wieder auf 0,9 an (am 30.4. wieder 0,76, nur noch 1500 Neuinfektionen, später wieder 1,1). Die Mobilität nimmt wieder zu.  Bis zum 14.4. ist das jüngste Todesopfer 54 Jahre, das älteste 100 (das Durchschnittsalter liegt bei 80). Das durchschnittliche Alter der Infizierten ist 49 Jahre (16% in KH, 2% Lungenentzündung). Die exponentielle Kurve wird  flacher. Sie mündet dann in eine linearen Entwicklung. Am 09.03. wurden die ersten drei Todesfälle in Deutschland gemeldet. Nach Schätzungen könnten 60% der Bevölkerung am Ende betroffen werden durch Infektionen. Das Robert-Koch-Institut stuft die Risikobewertung leicht herauf, am 17.3. wird das Gesundheitsrisiko als hoch eingestuft. Man plant eine vorläufige Exit - Strategie für die Zeit nach Ostern (dann nach Anfang Mai). Bis dahin bleiben die Kontaktbeschränkungen.  Danach wären auch Antikörpertests in hohem Maße notwendig (sind dann auch wohl vorhanden). Ab 27.04. herrscht Maskenpflicht in allen Bundesländern (ÖVP, Geschäfte). Im November 2020 muss ein Teil-Lockdown verhängt werden. Das soll ein "Wellenbrecher" für die 2. Welle sein. Er hat nicht die gewünschte Wirkung. Es kommt wohl eine Verlängerung der Schließungen für Gastronomie, Kultur- und Freizeitbereich um drei Wochen. Das kommt auch bis zum 20.12.20. Es gibt einen neuen Höchststand bei Corona-Todesfällen: 410 am 25.11.20 (3000 in der EU), 14.771  in der Summe in Deutschland. Die Zahl der Neuinfizierten innerhalb von sieben Tagen bleibt hoch und steigt noch an.. Ab 200 Neuinfizierte im Durchschnitt innerhalb der letzten sieben Tage pro 100.000 wird ein Hotspot definiert. In diesem Fall können die Länder Sondermaßnahmen ergreifen. An den Festtagen werden die Kontaktbeschränkungen großzügiger gehandhabt. Wie es an Silvester laufen soll, ist umstritten. Bayern verschärft dafür schon wieder die Lockdown -Regeln, Sachsen folgt. Wintersport in den Nachbarländern wird kaum möglich sein wegen der hohen Fallzahlen. Eine Ausnahme bildet die Schweiz, die der Kooperation nicht beitreten will. Am 11.12.2020 wird ein neuer Höchststand bei den Neuinfizierten und Toten erreicht. Ca. 30.000 Neuinfektionen und 600 Tote. (R= 1,03). Damit droht ein harter Lockdown. Offen ist, wann genau er beginnen soll. Er wird ab 16.12.20 eingesetzt  und endet vorläufig am 10.01.21 (Infektionsschutzgesetz). Das Gesundheitssystem steht Mitte Dezember 2020 kurz vor Überlastung. Die Werte steigen weiter: 18.12.20 mehr als 30.000 Fälle innerhalb eines Tages, 813 Todesfälle, innerhalb sieben Tage pro 100.000 Einwohner 185. Die Übersterblichkeit binnen einer Woche liegt bei 9%. Der Lockdown in Deutschland wird bis Ende Januar 2021 verlängert. Die ersten Zahlen im neuen Jahr sind noch ungenau (weniger Tests, geschlossene Arztpraxen, weniger Meldungen der Ämter). Ab einer Inzidenz von 200 pro 100.000 Einwohner kommt eine Umkreisbeschränkung von 15 km. Es dürfen sich nur noch zwei Personen aus verschiedenen Haushalten treffen. Am 07.01.21 gibt es neue Höchstwerte (Infektionen über 30.000, über 1000 Todesfälle). Darin sind Verzerrungen durch die Feiertage. Die Zahl der Infektionen und Toten bleibt weiterhin auf hohem Niveau (Inzidenz über 25.000,  Tote über 1000). Eventuell muss der Lockdown noch verschärft werden. Ab 18.01.21 gehen die Zahlen nach unten. Trotzdem wird der Lockdown bis 14. Februar verlängert. In Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr müssen medizinische Masken getragen werden. Wo es möglich ist, soll Homeoffice durchgeführt werden (Verordnung). Schulen und Kindergärten sollen, wenn möglich, zu bleiben. Starke Sorgen bereiten die Mutationen. Die Mutante aus GB scheint um 30% ansteckender zu sein. Bei der Mutante aus Brasilien wird man nach der Krankheit nicht immun. Spahn kauft im Januar 2021 ein neues Medikament, was auf Antikörperbasis bei akuten Erkrankungen helfen kann. Mögliche Exportkontrollen von Impfstoffen führen zu Konflikten mit GB (sind mit Irland nicht abgesprochen gewesen). Das RKI warnt Anfang Februar 2021: Das Virus ist gefährlicher geworden. Das kommt durch die Mutationen (GB, Brasilien, Süd-Afrika). Besonders die britische Variante B.1.1.7 ist schon sehr verbreitet. Im Grunde genommen ist ein neues Virus da (infektiöser, tödlicher). Der Lockdown wird bis 07. März 2021 verlängert. Darauf verständigen sich Bund und Länder. Bei einer stabilen 7-Tage Inzidenz von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner können Lockerungen kommen. Die Öffnung der Kitas und Schulen sollen den Ländern überlassen werden. Frisöre können ab 1. März 2021 öffnen. Ab Sonntag, den 14.02.21 gibt es Einreisebeschränkungen und Grenzkontrollen zu Tirol und Tschechien. Man hat Angst vor den Mutanten. Mitte März 2021 steigen die Fallzahlen wieder deutlich in Deutschland. Das RKI spricht vom Beginn einer dritten Welle. Es gibt vor allem steigende Fallzahlen bei Jüngeren. Ein Impfausweis der EU soll Reisefreiheit bringen. Der Lockdown soll vorerst bis 18 April verlängert werden. Die EU droht mit Exportbeschränkungen bei Impftstoff wegen der Engpässe (AstraZeneca lagert 29 Mio. Dosen in Italien?). Das könnte die internationale Arbeitsteilung und Vernetzung unterminieren. Über Ostern 2021 soll möglichst nicht gereist werden (Ruhe). 5 Tage soll ein möglichst harter Lockdown eingehalten werden. Die Zahl der Neuinfektionen (7485) ist am 23.3.21  gegenüber vor einer Woche um 2000 angestiegen. Die Inzidenz ist auf 108 gewachsen. Damit ist der Stufenplan von Anfang März 2021 gescheitert: Man spricht jetzt von einer Notbremse. Die Gesundheitskrise weitert sich immer mehr zu einer Wirtschafts- und Gesellschaftskrise aus. Die Osterruhe muss aus rechtlichen Grünen von der Kanzlerin zurückgenommen werden. Ein Verbot von Urlaubsreisen ins Ausland wird geprüft. Es ist nicht möglich. Aber es wird eine Testpflicht eingeführt. Die Zahl der Neuinfektionen und die Zahl der Inzidenz (130) steigen Ende März 2021 beständig an. Die Zahl der Todesfälle sinkt. Drei Impfstoffe sind noch in der Prüfung der EMA: Curevac, Sputnik, Novovax. Ende März 21 kommt ein Impfstopp für Menschen unter 60 Jahre für Astrazeneca. Dafür können Menschen zwischen 60 und 69 Jahren damit nun früher geimpft werden. Im April gibt Streit über einen weiteren Lockdown: Bundesgesetz oder früheres Bund-Länder-Treffen. Das Saarland wird als Ganzes Modellprojekt. Einige Länder (Mecklenburg-Vorpommern, Bayern) wollen Sputnik V bestellen, wenn die EMA den Impfstoff zulässt. Dem wird sich der Bund wohl anschließen (der Impfstoff wurde im August 2020 als erster weltweit freigegeben). Die Corona-Notbremse soll per Bundesgesetz erzwungen werden (Änderungen im Infektionsschutzgesetz). Eigentlich müsste Anfang bis Mitte April ein harter Lockdown sofort kommen. Die Intensivbetten füllen sich immer mehr. Am 12.4.21 werden 10 Mio. Dosen von Johnson & Johnson nach Deutschland geliefert (vierter Impfstoff). Er muss nur einmal gespritzt werden. Doch plötzlich kommt es zu einem Stopp, weil die gleichen schweren Nebenwirkungen wie bei Astrazeneka auftreten. Trotzdem lässt die EMA den Impfstoff zu. Die Bundesregierung beschließt am 12.4.21, dass Firmen Beschäftigten Corona-Tests anbieten müssen (einmal pro Woche). Im Mai 2021 gibt es eine Diskussion darüber, ob über 60jährige nur AstraZeneka bekommen sollen. Da die Menge nicht reichen würde, ist die Diskussion sinnlos. Die Corona-Zahlen gehen immer weiter runter. Im Herbst 2021 kommt die vierte Welle: Die Impfquote ist zu gering (69% Ende Oktober 2021, Erstimpfung). Wir liegen weit hinter dem Spitzenreiter Portugal in Europa oder auch vielen Ländern in der Welt (Chile) . 

Stark betroffen ist die deutsche Industrie, die viele Güter nach China exportiert. Die Nachfrage in China geht stark zurück. Die DAX-Unternehmen erwirtschaften im Schnitt 15% ihres Umsatzes in China. Aber auch Lieferketten werden gestört. Am stärksten trifft es die deutsche Automobilindustrie (im Februar bricht der Auto-Absatz in China um 90% ein; März 20 -52%). Die Branche steht still. Das trifft auch viele Zulieferer. Am 20.04. fangen die Autofirmen wieder an, auch um Nachschub für den chinesischen Markt zu produzieren (etwa Daimler, VW). Aber auch andere Branchen leiden: Bei Adidas bricht in China 1 Mrd. € Umsatz weg, Puma dürfte es nicht besser ergehen. Insgesamt leidet der deutsche Export stark (Quelle: BDI). Besonders direkt betroffen sind Das Messewesen und das Hotel- und Gaststättengewerbe (-90%, 19.3.). Die Tourismusbranche ist auf Talfahrt (-75% 19.3.). Die TUI, das größte Touristikunternehmen in Deutschland muss später 8000 Stellen streichen.  Das Messenwesen ist in Deutschland besonders ausgeprägt (50% aller weltweit bedeutenden Messen finden in Deutschland statt). Im Logistikgewerbe gibt es Auftragseinbrüche von -75%. Deutschland könnte einen BIP-Rückgang 2020 von-5% erleiden. Damit wird der schon bestehende Abschwung verstärkt. Später in der Krise kann man genauer messen, welche Branchen am stärksten betroffen sind: Luftfahrt (-76%), Gastgewerbe (-68%), Fahrzeugbau (-41%), Post-, Kurier- Expressdienste (-40%, Quelle: Ifo-Institut, München)). Hoffnungen auf rasche Erholung sind verschwunden (Private Konsum verliert Dynamik, Staatskonsum sollte aushelfen). Darauf reagiert auch der deutsche Aktienindex DAX mit einem starken Einbruch (am 12.03. rutscht er unter die magischen 10.000, -12%, am 16.3. sogar unter 9000; -40% seit dem Allzeithoch. Am 19.3. geht er wieder leicht nach oben). Am 23.3. geht es weiter nach unten, bevor er am 24.3. um 10% steigt (Hilfspaket). Er hält sich dann lange über 10.000. Besonders betroffen sind die Unternehmen Volkswagen, Lufthansa (-50% Flüge, am 19.3. -95%) und Munich Re. Volkswagen schließt am 17.3. seine Produktion in Deutschland. Die Lufthansa schließt German Wings und braucht Kredite. Sie will 10.000 Arbeitsplätze und 100 Jets 2020 abbauen. Umstritten ist dabei der staatliche Einfluss: unabhängig oder staatliche Kontrolle. Die Condor wird mit Staatshilfen vorerst gerettet. Airbus bricht ein Drittel des Geschäftes weg. Auch die Banken brechen ein. Arzneimittel, die in China produziert werden, könnten in der EU knapp werden. Es grassiert die Angst vor leeren Apotheken. Viele Vorprodukte für in Europa verbrauchte Medikamente stammen auch  aus China. China spielt in den Lieferketten der Pharmaindustrie eine große Rolle. Eine Umfrage der deutschen und europäischen Handelskammer zeigt eine  starke Betroffenheit deutscher Firmen (Nachfragerückgang, Arbeitskräfteengpass, Liefertermine).  Nicht nur China schlägt durch. Norditalien hat für Deutschland ökonomisch etwa die gleiche Bedeutung wie Japan. Die Folgen sind auch deshalb so dramatisch, weil Perspektivlosigkeit um sich greift und keine Planungssicherheit besteht. Die Kauflaune ist auch massiv eingebrochen (Kurzarbeitergeld, Angst vor Arbeitslosigkeit). Das Ifo-Institut in München schätzt die Kosten der Krise am 23.3. auf 730 Mrd. €. Die Rezession in Deutschland könnte zu einem Rückgang des BIP zwischen -7,5 und -20% führen (Ifo-Institut, München, Ende März 2020). 3 bis 4 Mio. Kurzarbeiter werden in Deutschland erwartet. Die Krise kostet 35 Mrd. € pro Woche in Deutschland, also in 4 Wochen 140 Mrd. € (Schätzung Institut für Weltwirtschaft, Kiel, März 2020). Im Sondergutachten des SRW werden folgende Szenarien entwickelt: 1. Basisszenario: Sommer 2020 Normalisierung, -2,8% Wachstum 2020, 3,7% 2021. 2. Risikoszenario: (V): Stilllegung länger als geplant, 2. Quartal -10%, 2021 4,9%. 3. Shutdown über Sommer hinaus (langes U): -4,8% bzw. -5,4%. AL 2020 +125.000. Konsum -3%. Exporte -4%. Bau +2,7%. Im Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute gibt es folgende Prognose: 2020 -4,2% Wachstum, 2021 + 5,8%. Das zweite Quartal bringt -10% Einbruch. Das IAB der BA prognostiziert für 2020 3 Mio. Arbeitslose und 2,5 Mio. Kurzarbeiter (bei Rückgang der Wirtschaftsleistung um 8,4%). Die Bundesregierung (BMWi) rechnet für 2020 mit einem BIP-Rückgang von -6,3% (größte Absturz seit Bestehen der Bundesrepublik). Im 1. Quartal ist der Rückgang des BIP tatsächlich recht milde (-2,2%, StBA). Im 2. Quartal dürfte es schlimmer kommen. Anfang September 2020 sieht die Bundesregierung die wirtschaftliche Talsohle überschritten: Doch der Weg zu alter Stärke dürfte lang werden. Die schwache Weltwirtschaft belastet den Export. Das Wirtschaftsministerium revidiert seine Prognose 2020 für das Wirtschaftswachstum auf ein Minus von 5,8%. Das wäre immer noch der schwerste Einbruch der Wirtschaftsgeschichte. Es werden dann 5,0% (Statistisches Bundesamt, stärkster Einbruch nach 2009 mit 5,7%). Die Stagnation kommt Ende 2021 und wird noch bis ins erste Quartal 2022 gehen. Die Fallzahlen sind hoch und die Lieferengpässe bremsen die Produktion. Die Hospitalisierung ist so hoch wie vor einem Jahr.   Für 2021 wird im Januar 2021 übe r+3% erwartet. "Ich glaube Baumärkte sind noch offen, weil der Virus die Mitarbeiter sowieso nicht finden kann", Twitter @GebbbiGibson.

Am 08.03. empfiehlt der Bundesgesundheitsminister Spahn, Veranstaltungen von mehr als 1000 Personen abzusagen. Er warnt vor generellen Schließungen von Schulen und Kindergärten (Großeltern mit hohem Risiko müssten Kinder betreuen). Viele Bundesländer und regionale Behörden folgen dieser Empfehlung. Über Schulschließungen entscheiden die Bundesländer (die meisten Bundesländer schließen die Schulen ab 16.3. bis Mitte April). Ab 16.3. schließt Deutschland die Grenze zu Dänemark, Frankreich, Luxemburg, Österreich und der Schweiz. Am 16.3. empfiehlt die Bundesregierung die Geschäfte zu schließen (außer für Lebensmittel und Apotheken und wenigen anderen/ täglicher Bedarf, kein Shutdown). Damit wird das öffentliche Leben weitgehend stillgelegt (keine Ausgangssperre). Das Infektionsschutzgesetz wird angewandt. Bayern ruft den Katastrophenfall aus. In einzelnen Regionen gibt es eine Ausgangssperre (Ausdehnung wird angedacht). Bayern verhängt ab 21.3. eine grundlegende Ausgangsbeschränkung. Die anderen Länder folgen, allerdings mit Varianten der Ausgangsbeschränkungen (Gründe für außer Haus, Gruppengröße; aber Ausgangs- und Versammlungsbeschränkung). Am 23.3 folgt für ganz Deutschland einheitlich eine Kontaktsperre (maximal 2 Personen in der Öffentlichkeit). Diese wird wohl bis zum 20.4. bestehen bleiben, wenn die Kontaktsperre greift.  Für November 2020 gibt es dann wieder einen Lockdown (light, 2. Welle). Dieser wird am 25.11.20 bis zum 20. Dezember 20 verlängert. Es kommen Verschärfungen für Kontakte und Einzelhandel. Dann kommt eine weitere Verlängerung bis 10. Januar 2021. Auch das reicht nicht. Der Lockdown wird verlängert um Wochen bis Mitte Februar. Uneinigkeit herrscht beim Thema Schulen. Bis 08.02.21 liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 79; die Zahl der Neuinfizierten hat sich halbiert auf ca. 8000. Wahrscheinlich kommt eine weitere Verlängerung des Lockdowns um zwei Wochen bis Anfang März. Die Verlängerung ist bis 7. März 2021. Anfangs sinken die die 7-Tage-Inzidenz, die Zahl der Infizierten und er R-Faktor kontinuierlich. Ab den 19.2.21 kommt ein Wendepunkt. die Corona-Zahlen sinken erstmals nicht mehr. Das deutet auf die Wirkung der Mutanten hin. Nach einigen Tagen auf gleichem Level steigt die 7-Tage-Inzidenz wieder leicht an. Selbsttests sollen trotzdem wieder mehr Freiheiten bringen. Am 3.3.21 gibt es neue Bund-Länder-Beschlüsse. Sie entsprechen einem Stufenplan (Perspektiven): Ab April können sich alle Menschen auch ohne Symptome  einmal in der Woche kostenlos testen lassen. Unter einem Inzidenzwert von  50 können die meisten Geschäfte aufmachen. Die Außengastronomie erst später. Zwischen 50 und 100 gibt es Öffnungen mit großen Einschränkungen. Über 100 gelten größere Einschränkungen, die einer Notbremse entsprechen. Insgesamt werden 6 Öffnungsschritte beschlossen. Bis zu, 07.3.21 sind in Deutschland mehr als 71.000 Menschen an Corona gestorben. Die Hälfte von ihnen lebte in Senioreneinrichtungen.    In Germersheim in der Pfalz in einer Kaserne  werden 128 China-Rückkehrer und 27 Helfer des DRK mindestens zwei Wochen unter einem Dach leben - weitgehend abgeschottet von der Außenwelt.

In Deutschland sind auch Branchen durch die Corona-Krise besonders betroffen, die aus anderen Gründen sowieso in einem Überlebenskampf stecken. Das sind vor allem die Autozulieferer durch den Umbruch zur Elektromobilität. Investoren halten sich zurück, Banken sind vorsichtig, die Hersteller von Autos machen Druck. Schon 2019 sind sechs Autozulieferer in die Insolvenz gegangen (Gusswerke Leipzig/ Saarbrücken, Eisenmann Gruppe, Weber Automotive, Pressmetall-Gruppe, JD Norman Germany, Schlemmer-Gruppe). Quelle: Wirtschaftswoche 12, 13.3.2020, S. 20. Die Automobilfirmen wollen den Zulieferern helfen, indem sie schneller bezahlen. Der Autoabsatz bricht im März um -38% ein. Die Produktion steht still. Vielleicht kann man Sektoren mit sehr hoher Wertschöpfung zuerst öffnen. Vielleicht könnte es auch eine Rolle spielen, wo besonders viele Risiko-Gruppen vertreten sind. An den ökonomischen Folgen wird werden Deutschland und seine Menschen noch 10 Jahre zu tragen haben (Ifo-Institut). Normalerweise kommt es nach einer solchen massiven Krise zu Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen, um die Schulden abzubauen. Bis Anfang Juni 2020 kostet die Krise in Deutschland 600.000 Arbeitsplätze.

Die 2. Welle, die den Lockdown im November 2020 führt, bringt eine gespaltene Wirtschaft mit sich. Die Industrie boomt mittlerweile wieder. die Dienstleistungen werden voll getroffen. Eine zweite Rezession könnte noch kommen. Die Verlängerung des Lockdowns bis mindestens 20.12.20 wird ökonomische Folgen haben: Das Weihnachtsgeschäft könnte verhagelt werden. Können die zusätzlichen Hilfen rechtzeitig gezahlt werden? Im Februar 2021 wertet das Münchener Ifo-Institut Internationale Studien über die Corona-Folgen aus: Der Lockdown ist gar nicht der entscheidende Faktor: Die negative Wirkung setzt aber früher und schneller ein. Lockdown sind die ökonomischen Wirkungen Zeit verzögert und auch negativ. Konsum und Investitionen gehen durch Corona massiv zurück.

Die Seuche wird das Verhalten der Menschen in Deutschland verändern. Die Bundesregierung empfiehlt, wo immer möglich, auf Sozialkontakte zu verzichten. Auf der anderen Seite müssen Sozialkontakte mit älteren Menschen auf anderem Wege verstärkt werden (Telefon, Hilfe).  Merkel setzt auf Solidarität und Disziplin. solidarische Gesellschaften sind in der Vergangenheit immer besser mit solchen Krisen zurecht gekommen. Man setzt insgesamt auf Abstand und die Reduzierung von Kontakten. Merkel spricht von der größten Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg. Veranstaltungen werden abgesagt. Die Menschen werden sich bei ihrem Konsum- und Freizeitverhalten zurückziehen. Solidarität ist bei der jungen Generation gefragt (keine Corona-Partys). Psychologische Probleme nehmen zu (Angst, Einsamkeit, Panik). Grundlegend kann sich das Arbeitsverhalten verändern: Homeoffice ist angesagt. Im Bildungs- und Wissenschaftsbereich wird mehr ins Fernstudium verlagert. Hygiene muss mehr vermittelt werden. Allein schon das Niesverhalten ist kulturell sehr unterschiedlich (deshalb in Asien oft Mundschutz, man kommt bei Erkältung gar nicht zur Arbeit aus Rücksicht). Auch wenn man nicht zur Risikogruppe gehört, trägt man trotzdem Verantwortung. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft ist besonders wichtig. Solidarität wird auch nach der Krise besonders wichtig sein. Der Alltag in Deutschland wird ein anderer sein. Profiteure sind alle Dienste, die man von zuhause nutzen kann (Streaming, Internet, Lebensmittelauslieferer).  Hamsterkäufe sind Formen einer Panikreaktion, die mit Instinkten und Angst erklärt werden können. Die Unsicherheit kommt daher, dass man nicht weiß, was kommt. Alle Routinen wurden unterbrochen. Für solche Situationen gibt es keine Infrastruktur. Der Stress kann auch in Beziehungen eingreifen, die schon fragil sind und waren (Nachteil bei Ausgangssperren). Es gibt auch immer mehr Fälle häuslicher Gewalt. Die Gesellschaft läuft langsamer (Entschleunigung) und einsamer. Durch die Ausgangsbeschränkungen zeigen sich psychologische Nebenerscheinungen: Häusliche Gewalt, Aggressionen, Depressionen. Menschen sind Sozialwesen. Wenn sie sich aus dem Wege gehen müssen, entsteht Anspannungen,. Die Isolation erzeugt Einsamkeit, die auch krank machen kann. Der Ausnahmezustand läuft, weil wir alle wissen, dass er eine Ausnahme bleibt. Der Staat kann in alle Funktionssysteme eingreifen. Die psychischen und gesundheitlichen Folgen von Armut stehen uns noch bevor. Reisen haben sich vorläufig erledigt, bisher sind sie nach allen Krisen (Finanzkrise, Epidemien) wieder dauerhaft zurückgekommen. Wegen des Coronavirus sind Deutsche und Europäer in fernen Ländern oft nicht mehr willkommen. Vgl. zum ökonomischen, theoretischen Hintergrund "ökonomischer Schock".

In der Phase der Lockerungen steigt die Rivalität zwischen den Bundesländern, Branchen und Bürgern. Viele fühlen sich unfair behandelt. Einige lassen Luft ab in Demonstrationen. Es tauchen Fragen auf: Warum werden die ausländischen Arbeiter in Schlachthöfen oder in der Landwirtschaft nicht besser geschützt? Wie sollen Kinder aus armen Familien mit dem Computer für die Schule lernen? Warum werden Kulturschaffende nicht geschützt? Warum darf die Bundesliga spielen, aber Kindergärten bleiben geschlossen? Es wird immer öfter die Frage nach der Gerechtigkeit gestellt. In Deutschland sind im Juni 2020 vor allem Hot Spots betroffen. Sie sorgen für Verbreitung (Schlachthöfe: Lüftung, Filter), Kirchengemeinden (Gesang, räumliche Enge). Es häufen sich auch Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen, vor allem in Berlin. Davon hoffen alle möglichen anderen politischen Gruppen zu profitieren (auch Rechtsradikale). Eigentlich ist das eine Zumutung für die Demokratie. Am 28.8.20 werden gemeinsam von Bundesregierung und Bundesländern verschärfte Regeln beschlossen: Wer künftig in Corona-Risikogebiete reist, muss anschließend fünf Tage in Quarantäne. Die Bußgelder bei Verstößen werden erhöht (Sachsen-Anhalt schert aus). Bei Privatfeiern gibt es noch keine einheitliche Obergrenze der Teilnehmerzahl. Es bilden sich im September 2020 immer neue Hotspots: München, Hamm, Würzburg, Garmisch. Der Ethikrat ist gegen einen Corona-Ausweis. Am 29.9.20 werden wegen steigender Infektionszahlen im Herbst Verschärfungen beschlossen: Maximal 50 Personen bei privaten, externen Feiern (+ mehr als 35 Infektionen pro 100.000 Einwohner). In privaten Räumen gilt die dringende Empfehlung für eine Obergrenze von 25 Personen. Mindestens 50 € Bußgeld (bis zu 1000 €), wenn falsche Angaben bei der Anmeldung gemacht werden.

Konjunktur in der 2. Welle im Herbst 2020: Die Konjunktur ist ab September 2020 in einer leichten Aufschwungphase. Dann kommt die 2. Welle. Sie trifft Deutschland und auch die anderen Staaten der EU. So dürfte es wieder zu negativen Ausschlägen kommen: Direkt in der Gastronomie und im Tourismus (Dienstleistungen, Kurzarbeit; Rückgang der Wertschöpfung). Der Konsum dürfte wieder nach unten gehen. Er hat einen hohen Anteil am Negativ-Trend. Wichtige Exportländer dürften ihre Nachfrage einschränken (USA: Anteil 9%, Frankreich: Anteil 8%; Niederlande: Anteil 7%; GB: Anteil 6%; Italien: Anteil 5%; Österreich: Anteil 5%). Hoffnung macht die positive Entwicklung in China. Vgl. Schieritz, Mark: Die Jo-Jo-Wirtschaft, in: Die Zeit Nr. 44, 22.10.2020, S. 21. Im 3. Quartal 2020 wächst das BIP wieder um +8,2% (gegenüber dem Vorquartal, Treiber: Export, Konsum). Im gesamten Jahr soll die Wirtschaft nur um -5,5% zurückgehen (Quelle: BMWi). 2021 rechnet man mit +4%. Im Jahresgutachten 2020, das im November 2020 vom SRW vorgelegt wird, wird der Einbruch weniger stark erwartet: BIP -5,1%, 2021 +3,7%. Die relativ geringen negativen Folgen hängen auch damit zusammen, dass die von der Corona-Krise und dem Lockdown hauptsächlich betroffenen Branchen im System keine tragende Rolle spielen. Gastronomie, Hotels, Kulturszene oder Verkehrsbranche haben einen vergleichsweise geringen Anteil an der Bruttowertschöpfung. Gerade diese Branchen müssen aber staatlich unterstützt werden. Aufgrund der 2. Welle revidieren die Konjunkturforschungsinstitute in Deutschland ihre Prognose für 2021 nach unten: Konsumausgaben +4,5%, BIP +4,2%, ALQ 5,3% (gegenüber dem Vorjahr).

Die Auslandsinvestitionen sind in allen Regionen durch Corona stark gesunken. Der E-Commerce hat stark profitiert. Auch das gilt in allen Regionen. Da Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), das der Industrie nahe steht, errechnet im Mai 21 einen volkswirtschaftlichen Schaden der Corona-Pandemie für Deutschland von 300 Mrd. € (im Auftrag der Welt am Sonntag). 

Im Herbst 2021 kommt eine vierte Welle nach Deutschland. Sie war von den führenden Virologen und dem Robert-Koch-Institut vorausgesagt worden. Die Infektionszahlen gehen aufgrund der Delta-Variante bedrohlich nach oben. Auch die Hospitalisierungsrate steigt an. Besonders betroffen sind Bayern, Thüringen und Sachsen. Intensivpatienten müssen schon in andere Bundesländer von der Bundeswehr ausgeflogen werden.  In den betroffenen Bundesländern  ist auch die Impfquote nicht so hoch. Von der vierten Welle sind insbesondere die deutschsprachigen Länder betroffen (D., Österreich, Schweiz, Teile Südtirols). Im November taucht in Südafrika eine neue Variante auf (B. 1.1.529, Omikron). Sie wird als ansteckender angesehen, die auch das Immunsystem besser umgehen kann. Deutschland und andere Staaten schränken den Flugverkehr ins südliche Afrika ein. Der erste Fall in Europa taucht in Belgien auf, dann gibt es auch einige Fälle in Deutschland durch Reiserückkehrer aus Südafrika. Der Süden Afrikas wird zum Virusvariantengebiet erklärt. Es folgt im Dezember 21 GB (14 Tage Quarantäne für Rückkehrer ohne Einschränkung). Hochrisikogebiete sind Dänemark, Niederlande, Norwegen, Frankreich. 70,3% der Bevölkerung (58,4 Mio.) sind Mitte Dezember 21 vollständig geimpft. Im Februar 2022 wird von der Stiko der zweite Booster für Risiko-Gruppen empfohlen, ebenso für Beschäftigte in medizinischen und Pflege- Einrichtungen. 2021 gab es deutlich mehr Todesfälle. sieben Prozent sind unmittelbar auf Covid zurückzuführen. Quelle: Destatis, Wiesbaden.

11. Wirtschaftspolitische Instrumente (ökonomische Hilfspakete): Die Industrieländer reagieren: Die G7-Finanzminister und Notenbankchefs sind in ständigem Kontakt. Die G-20-Staaten wollen insgesamt 5 Billionen Dollar (4,5 Billionen €) in die Weltwirtschaft gegen Corona  investieren. Sie geben geben ärmeren Ländern einen Zahlungsaufschub. Die USA geben 7 Mrd. $ für Kapitalversicherungen (grundsätzlich keine Assekuranzfälle) und stellen 8,3 Mrd. $ an Finanzhilfen bereit. Sie senken die Leitzinsen um einen halben Prozentpunkt, am 16.3. kommt eine weitere Senkungen auf eine Spanne von 0 bis 0,25%. Dann kommt Helikoptergeld: 2 Billionen $. Das meiste Geld sind Wirtschaftshilfen für Unternehmen.  Aber auch die Haushalte (HH) bekommen Geld: pro HH bis zu 4000 $, für Arbeitslose  bis zu 4 Monaten 1200 $ (Schecks mit Namen von Trump). Die Staaten stellen verbilligte Kredite für KMU zur Verfügung, damit sie die Durststrecke überstehen. Hinzu kommen Hilfen von Förderbanken, Überbrückungskredite  und Bürgschaften. Eine Rezession ist in vielen Ländern nicht mehr zu vermeiden. Die G7 stimmen sich ab (ständiger Austausch): notfalls Finanzhilfen und höhere Staatsausgaben sowie Reaktionen in der Geldpolitik.  Am 16.3.20 gibt der IWF bekannt, für besonders betroffene Länder 1 Billion $ an Finanzhilfen bereitzustellen. Man will um jeden Preis verhindern, dass die Wirtschaftskrise vom Unternehmens- auf den Bankensektor übergreift (Vertrauen). Am 20.12.20 einigen sich Demokraten und Republikaner in den USA auf ein weiteres Konjunkturpaket:  900 Mrd. Dollar. Es soll Hilfen für Arbeitslose geben (300 Dollar pro Woche). Es soll Finanzspritzen für die Logistik der Impfung geben. Im Paket sind auch Kredite für Kleinunternehmen enthalten (330 Mrd. $). Auch Hilfen für die Schulen sind eingeplant. Trump, der amtierende  Präsident, lehnt das US-Corona-Hilfspaket ab und blockiert so wichtige Zahlungen. "Wenn das Ziel ist, die Wirtschaft für einige Wochen oder Monate in eine Art "Winterschlaf" zu versetzen, dann müsse die Wirtschaftspolitik so gestaltet sein, dass nach dem Abklingen der Pandemie sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer bereit stünden, die Wirtschaft wieder zum Leben zu erwecken", Wojciech Kopczuk, Finanzwissenschaftler, Columbia University New York, Website.

Auch die EU stellt sofort finanzielle Mittel zur Verfügung (23 Mrd. €, nicht abgerufene Mittel, insbesondere für KMU). Ebenso beschließt die EZB am 12.03. ein Maßnahmenpaket zur Hilfe: Keine Zinssenkung. Längerfristige, günstige Kredite für KMU, mehr Anleihenkäufe bis Ende 2020, Banken stützen. Der Spielraum der EZB ist begrenzt. Am 19.3. beschließt die EZB ein zusätzliches Notfallprogramm: 750 Mrd. €, 117 Mrd. € pro Monat.  Es werden Staats- und Unternehmensanleihen gekauft. Da die Geldpolitik in der EU und vielen anderen Ländern so gut wie keinen Spielraum mehr hat, muss die Finanzpolitik mit Konjunkturprogrammen kommen. Die EU macht ein Notfallprogramm in Höhe von 700 Mio. €. Entscheidend ist aber die Zeit, die hier extrem schwierig einzuschätzen ist. 8 Mio. € stellt die EU noch zusätzlich für das Gesundheitssystem zur Verfügung. Die EU setzt auch die Defizit-Regeln aus. Der ESM, der für die Finanzkrise entwickelt wurde, soll in der EU einspringen. Der ESM verfügt über 410 Mrd. €. Einzelne EU-Staaten können bis zu 2% ihrer Wirtschaftsleistung aus dem ESM bekommen. Die Länder können ihre Hilfspakete komplett über den ESM finanzieren. Die Staats- und Regierungschefs müssen dem noch zustimmen. Gegen Eurobonds (Coronabonds) sprechen sich einige Länder aus (auch Deutschland, Finnland, Niederlande). Die Europäische Investitionsbank könnte Liquiditätshilfen nationaler Banken durch Garantien absichern. Das wird auch eingerichtet. Trotzdem kann es dabei nicht bleiben. Dei Krise wirkt wie ein großer Krieg, wie der 2. Weltkrieg. Also wird man auch ähnliche Folgemaßnahmen angehen müssen in der EU: Lastenausgleich, ERP-Programme und ähnliches. Es soll ein EU-Kurzarbeitergeld geben. Es kommt dann noch eine Rückversicherung für die Arbeitslosenversicherungen. Die Solidarität wächst. Corona-Bonds wären europäische Staatsanleihen, die zeitlich begrenzt und am einen bestimmten Zweck gebunden sind. Sie wären ein Signal (an die Menschen und an die Finanzmärkte) und wahrscheinlich auch eine gute Geldanlage. 13 Länder sind dafür, 5 dagegen. Man wird um eine solche Institution nicht herum kommen, wenn man die EU retten will. Die EU-Finanzminister der 19-Mitgliedsstaaten beraten am 07.04. über Maßnahmen. Sie können sich nicht einigen. Eine Einigung soll bis Ostern erreicht werden. Der Unterschied zwischen ESM und Bonds liegt in der Haftung und den Bedingungen. Die Verteilung wäre: ESM 200 Mrd. € (für Staaten), EIB 200 Mrd. € (für Unternehmen), EU-Kommission 100 Mrd. € (Kurzarbeitergeld u. a.). Die Niederlande vertreten eine ganz harte Position. Bis zuletzt sind die Bedingungen und die Kopplung an Reformen umstritten. Euro-Gruppen-Chef Centeno vermittelt. Am 10.04. kommt man zu einer Einigung. Bonds werden vertagt. Eine Wiederaufbauhilfe soll später kommen. Bei einer Videokonferenz der 27 Regierungschefs am 23.04. einigt man sich auf Hilfen in Höhe von 2 Billionen Euro. Immer noch umstritten bleibt, ob Bonds oder Kredite. Die EU-Kommission erhält einen Arbeitsauftrag. Das kurzfristige Hilfspaket von 500 Mrd. Euro wird gebilligt (Kredithilfen, Unternehmen, verschuldete Staaten). Die EU-Kommission (Gentiloni, Wirtschaftskommissar) rechnet mit einem BIP-Rückgang 2020 von -7,5% in EU (Euroländer 7,4%). Arbeitslosigkeit und Schulden werden stark ansteigen.  Am 07.07. gibt die EU eine noch schlechtere Prognose heraus: BIP-Rückgang 2020 um -8,3%. Besonders hart trifft es Italien, Spanien und Frankreich. Die OECD sagt in der EU eine Arbeitslosenquote 2020 von 9,4% voraus.  "Solidarität ist Eigeninteresse" EZB-Chefin C. Lagarde. Italien will Hilfsgelder aus dem europäischen Stabilisierungsfonds (ESM) unter allen Umständen vermeiden - aus innenpolitischen Gründen. Es pocht weiter auf Corona-Bonds.

Deutschland und Frankreich vereinbaren am 18.05.20 einen Wiederaufbaufonds (Recovery, Europa-Fonds). Er soll einen Umfang von 500 Mrd. € haben. Er soll als Zuwendung kommen, nicht als Kredit. Die EU soll sich verschulden können, zurückgezahlt werden die Gelder von allen EU-Mitgliedern nach einem Schlüssel. Alle EU-Länder müssen zustimmen. Die Frage ist, ob sich die "nördlichen Geizkragen" und die "südlichen Geldausgeber" einig werden. Die Sparsamen Vier (Österreich, Schweden, Dänemark, Niederlande) wollen Zuwendungen verhindern und sind für Kredite. Sie sind gegen eine Verschuldung der EU. Die EU-Kommission stockt das Programm dann noch auf auf 750 Mrd. €. Es soll von 2021 bis 2027 laufen. Das ist deutlich mehr Geld. Italien ( 173 Mrd. €) und Spanien (140 Mrd. €) sollen den Großteil der Hilfen bekommen. 500 Mrd. € sollen nicht rückzahlbare Zuwendungen sein, 250 Mrd. € Kredite.  Für Deutschland sind 29 Milliarden reserviert. Das Geld soll in Investitionen für die Zukunft fließen. Hoffentlich entwickelt man auch eine Strategie: Zum Beispiel sollte man die 5-G-Technik von Nokia und Erikson kaufen, um eine Abhängigkeit von China und den USA zu vermeiden.  Das Geld aus den Corona-Fonds soll für Klimaschutz und Digitales eingesetzt werden. Im Januar 2021 wird Deutschland von der EU-Kommission gerügt, weil bei Auszahlungen keine Reformen vorliegen (Deutschland hatte die Bedingung selbst rein gebracht). Im Juni 2021 wird der Ausgabenplan (25 Mrd. €) gebilligt.

Führende deutsche Wirtschaftswissenschaftler rütteln am 11.03. an der Null-Schulden-Politik der Bundesregierung. Sie empfehlen folgende Maßnahmen: Versorgung sicherstellen, mehr Schulden bei Katastrophe, Liquiditätsengpässe bei Unternehmen beheben, generell zinslose Stundung fälliger Steuervoraus- und Nachzahlungen. Über die KfW sollen Firmen unbegrenzt unterstützt werden (bis zur Bundesbeteiligung; Mittel für die KfW werden drastisch erhöht). Der SRW legt am 30.3.20 ein Sondergutachten vor. Die meisten der Maßnahmen hat die Bundesregierung schon umgesetzt. Der Vorsitzende des SRW warnt später vor zu vielen Hilfsprogrammen (Forderungen von Lobbygruppen). Eine Abwrackprämie oder Kaufhilfe für Autos wird abgelehnt.

Es wird ein Rettungsfonds (WSF) geschnürt in Höhe von 600 Mrd. €. Er heißt Wirtschaftsstabilisierungsfonds für mittlere und größere Unternehmen. 100 Mrd. € staatliche Beteiligungen, 100 Mrd. € Liquiditätshilfen, 400 Mrd. € Bürgschaften des Bundes. Die Mittel laufen meist über die KfW. Es soll auch Steuerstundungen geben. Der Rettungsfonds kann lange nicht eingesetzt werden, weil diei EU erst zustimmen muss beihilferechtliche Voraussetzungen, Vestager hat bis zum 16.5. noch keine Freigabe erteilt). Hinzu kommt das Kurzarbeitergeld (Schwelle ändern: 10%, auch für Leiharbeiter; aus den Rücklagen der BA: 26 Mrd. €). Die Zahlungen der Sozialbeiträge von den Arbeitgebern kann von der BA übernommen werden. Das Kurzarbeitergeld umfasst 60% des Nettolohns, mit Kindern 67%. Es wird zu eine  Flut von Anträgen bei der BA kommen (Flaschenhals). Am 23.04. wird das Kurzarbeitergeld erhöht: ab 4. Monat 70% des letzten Nettolohnes, ab 6. Monat 80%.  Bis 15.04.2020 beantragen 725.000 Firmen Kurzarbeit (ca. ein Drittel aller berechtigter Unternehmen; 4 Mio. Kurzarbeiter in D.). Am 29.04. haben  noch 718.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Das betrifft 10,1 Mio. Menschen. Im Mai 2020 sind noch 7,3 Mio. Menschen betroffen. Es kommen noch Steuerstundungen und kurzfristige Liquiditätshilfen. Der Soli soll möglicherweise schon ab 1. Juli 2020 abgeschafft werden (ursprünglich ab 1.1.2021; wird verworfen). Die Investitionen des Bundes sollen zwischen 2021 bis 2024 um jeweils 3,2 Mrd. € verstärkt werden. Die KfW hat 500 Mrd. € für Unternehmen in Not. Es wird ein Stabilitätsfonds für Unternehmen eingerichtet. Haftungsfragen für Notfälle müssen geklärt werden (80% Staat, 20% Banken?). Die Mittel der KfW werden über die Hausbanken vergeben. Bei Großunternehmen muss sich der Staat wahrscheinlich noch stärker beteiligen (Lufthansa, VW). Der Finanzminister spricht von der Bazooka (klingt wie "Whatever it takes" von Mario Draghi in der Euro-Krise). Kredite laufen über die Hausbank, die mit der KfW abrechnet. Der Garantierahmen des Staats (KfW-Kredite) umfasst noch mal 822 Mrd. € (kann mit Zustimmung des HH-Ausschusses auf 1069 Mrd. € erhöht werden). Ende März haben viele große Unternehmen Kurzarbeit: Alle Automobilfirmen in Deutschland, Lufthansa, TUI. Hinzu kommen viele KMU. Ganz schlimm trifft es die Reisebüros. Sie müssen Gebühren an die Veranstalter zurückzahlen, die Reisen stornieren und müssen die Zahlungen der Kunden zurückgeben. 70.000 Arbeitsplätze sind gefährdet, hier greifen noch keine Hilfen. Bis zum 1.4. werden 1800 Anträge auf Kredite eingereicht, 1500 sind schon positiv beschieden. Eine Kreditzusage erhält Adidas am 14.4. (2,4 Mrd. €, KfW, frische Liquidität). Bis Anfang Mai 2020 hat die KfW 9,3 Mrd. € bewilligt. 224 Großkredite über 18,5 Mrd. € stehen noch aus (Quelle: Bundesregierung).

Durch das Rost fallen zurzeit noch Kleinstunternehmen (Selbständige, Freiberufler, Solo-Selbständige/ 5 Mio. in D; Gaststätten, Übernachtungsbetriebe, die ihre Dienste nicht nachholen können). Sie sollen durch einen Mittelstandsfonds  aufgefangen werden. Dieser "Härtefallfonds" (Corona-Fonds) soll die Pauschalgarantie umsetzen, dass geholfen wird (40 Mrd. €). Man will weg von Krediten hin in Richtung Rettung um jeden Preis (Zuschüsse, bis zu 15.000€). Das können Einmalzahlungen von 9000 € für drei Monate bei bis zu 5 Beschäftigten sein (bis zu 15.000 bei bis zu 10 Beschäftigten). Das sind Soforthilfen. Auch die Anmeldfrist für Insolvenzfälle von 3 Wochen soll verlängert werden. Geholfen werden soll auch den Bauern, die um die Ernte bangen (Saisonarbeiter aus Osteuropa können nicht ins Land kommen, Einreiseverbot). Man will Arbeitskräfte umleiten (gebraucht werden 300.000 bundesweit; April/Mai dürfen die Helfer doch kommen). Die Bestimmungen für den Einsatz von Asylbewerbern sollen gelockert werden. Medizinpersonal darf aus Tschechien nach Bayern kommen. Soforthilfen sollen bei den Bundesländern angesiedelt werden, die sowieso die Auszahlung übernehmen müssen. Bayern ( "Soforthilfe Corona") gibt 5000-30.000€ für Betroffene. Für größere Unternehmen wird ein "Bayernfonds" geschaffen. RLP gibt 3,3 Mrd.€. Die Bundesländer geben noch eigene Mittel und generell laufen die Hilfen und Zuschüsse über die Förderbanken der Länder. Bei den Soforthilfen gibt es Unterschiede zwischen Bundesländern (Bedingungen, vor allem Beschäftigtenzahl; Zeitpunkt; Höhe). Wahrscheinlich muss auch immer nachgesteuert und nachgeschärft werden. In Arbeit ist auch eine schnelle Hilfe für Jungunternehmen. Für Start-ups sollen 2 Mrd. € eingesetzt werden. Anstehende Finanzierungsrunden sollen nicht platzen. Es wird an einem "Zukunftsfonds" in Höhe von 10 Mrd. € gearbeitet, der größeren Start-ups bei der Finanzierung helfen soll. Bis zum 1.4. haben 1 Mio. Unternehmen die Soforthilfen beantragt. In NRW müssen die Soforthilfen einige Tage gestoppt werden. Cyberkriminelle haben mit Fake - Seiten betrogen. Die Herkunft wird in Osteuropa vermutet.

In der nächsten Phase wird nachgebessert, um sich der Problemsituation anzupassen. Es kommen noch Mittelstands-Kredite (mit 100%-Garantie): KMU können innerhalb kürzester Zeit (wenige Tage) Kredite bis zu 800.000 bekommen. Der Bund übernimmt eine 100%-Bürgschaft. Die längere Bankprüfung entfällt (schon letztes Jahr tätig, Umsätze, Gewinn; drei Monatsumsätze als Kredit). Das ist eine Feinjustierung in Anbetracht der Problemsituation von Corona. Auch einige Länder bieten Kredite an für KMU, wo sie eine 100%-Bürgschaft übernehmen (RLP für KMU bis 30 Beschäftigte). Weiterhin gibt es eine Hilfe für die Massenproduktion von Schutzausrüstung: Firmen, die Schutzausrüstung produzieren können und ihre Produktion umstellen, werden unterstützt. Sie erhalten auch eine Abnahmegarantie auf längere Zeit. Umsatzausfälle für KMU im März, April 2020 können ersetzt werden.

Weitere Schutzmaßnahmen: Mietern soll in der Corona-Krise wegen Mietschulden nicht gekündigt werden dürfen. Gelten soll dies für Schulden aus dem Zeitraum 1. April bis September 2020. Die Verpflichtung zur Zahlung der Miete bleibt im Grundsatz bestehen. Auch weiteren Schuldnern sollen keine Folgen drohen.  Die Vermögensprüfung und die Prüfung der Wohnungsgröße bei Hartz-IV-Empfängern soll für ein halbes Jahr entfallen. Man rechnet mit 1,2 Mio. neuen Hartz-IV-Empfängern (+1 Mio. AL). Das Arbeitslosengeld soll länger gezahlt werden (wenn der Anspruch 1. Mai bis 31. Dezember 2020 endet). Bei Reiseunternehmen werden die Erstattungs- bzw. Rückzahlungen an die Kunden ausgesetzt für 20/21. Man erhält Gutscheine (das muss aufgrund von EU-Recht zurückgenommen werden). Das Gleiche gilt für Flugtickets und Eintrittskarten für Sport- oder Kulturveranstaltungen (dafür wird ein Gesetz gemacht). Banken geben einen Zahlungsaufschub bei Krediten bis Juni, wenn Corona der Grund für Zahlungsverzug ist. Es gibt noch einen Familienbonus von 300 € für jedes Kind. Außerdem gibt es 20 Wochen Lohnersatz für Eltern.

Noch geholfen werden soll den Hotels und Gaststätten, weil sie ihre Dienste nicht nachholen können. Hier sind Kredite relativ wirkungslos. Diese Branchen brauchen Zuschüsse. Die Bundesregierung stellt Hilfen in Aussicht. Der zuständige Verband DEHOGA fordert eine reduzierte Mehrwertsteuer und einen Rettungsfonds. Jeder dritte Betrieb sei von der Pleite bedroht. Am 23.04 beschließt die Regierung Maßnahmen dazu: Von Juli 2020 bis Juni 2021 ermäßigte Mehrwertsteuer von 7% für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen. Getränke sind von den Steuersenkungen ausgenommen.  KMU sollen die Verluste in diesem Jahr mit für 2019 geleisteten Vorauszahlungen der Einkommensteuer verrechnen können (auch bei Körperschaftsteuer). Weiterhin kommen Erleichterungen bei Abschreibungen oder Investitionszulagen. Gastwirte und Künstler bekommen einen Ausgleich für entgangenes Einkommen (orientiert am Durchschnittsverdienst der vergangenen Jahre). Für Studenten kommen Notfallkredite (KfW, 650 €, zinslos).

In der Diskussion ist noch ein Konjunkturpaket. Es soll nach dem Höhepunkt der Krise Anschub leisten. Es soll dabei auf die Asylrücklage zugegriffen werden. Manche Experten sprechen sich für ein europäisches Paket aus. Man muss auch weitere unkonventionelle Lösungen finden (Steuererlass, Zuschüsse). Kurzfristige Betriebsschließungen wären für viele besser als verlangsamt laufen. Helikoptergeld wäre die letzte Lösung. Alle Mittel gegen den Absturz müssen kreativ durchdacht werden. Es geht um Durchhalten. Am 21.3. plant die Bundesregierung einen Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Mrd. € (ungefähr die Hälfte des normalen HH) für finanzielle Hilfen. Das ist eine Steigerung um 40%. Weiterhin wird es Steuermindereinnahmen in Höhe von 33,5 Mrd. €. Insgesamt werden 600 Mrd. € eingesetzt. Die Grenzen der Schuldenbremse werden überschritten. Der Bundestag genehmigt die Rettungspakete schon am 25.3. Deutschland liegt im Moment bei 60% des BIP. Damit kann auch der Garantierahmen für staatliche Kredite und er KfW erhöht werden. Auch die Einnahmelücke, die die Krise bedingt, kann damit ausgeglichen werden. Die Regierung befürchtet feindliche Übernahmen von deutschen Unternehmen durch Investoren aus dem Ausland. Sie will einen Schutzschild errichten. Es gibt großes Interesse an Unternehmen aus den Bereichen Mobilität und Infrastruktur. Übernahmen und Beteiligungen sollen erschwert werden, auch im Energiesektor und der Netzwirtschaft. Internetbasierte Kommunikation erweist sich in der Corona-Krise als existenziell. Auf EU-Ebene vereinbart man verschärfte Prüfregeln bis Ende des Jahres. Es entsteht eine Diskussion, ob eine Höchstgrenze für die Neuverschuldung bestimmt werden soll (Bayern Obergrenze von 100 Mrd. €). Im Konjunkturpaket sind am längsten umstritten Gelder für Kommunen, Kinder und Autos.

Konjunkturpaket nach der Krise (Konjunktur II, 130 Mrd. €): 1. Säule: Arbeitnehmer und Unternehmen weiter unterstützen (Liquiditätshilfen, Verlängerung der Kurzarbeit). Nachfolgeprogramm für Kleinunternehmen und Solo-Selbständige (Lücken schließen. Gastgewerbe, Reisebüros, Veranstaltungslogistik, Messebranche). Zukunftspaket Kultur (alternative Verbreitungsformen). 2. Säule: Stärkung der Nachfrage. Anregung von Konsum und Investitionen (degressive Abschreibung, Wahlrecht der Besteuerung, Insolvenzrecht flexibler). 3. Säule: Modernisierung der Wirtschaft. Förderung der nachhaltigen Mobilität. Unterstützung von Wasserstoff. Kriterien des Konjunkturprogramms sind Zukunftsfähigkeit, Wirkung und Kosten. Von den 130 Mrd. € übernimmt der Bund 120, die Länder 10. Konkret enthält das Paket folgende Maßnahmen: Mehrwertsteuersatz wird von Mitte 2020 bis Ende 2020 von 19 auf 16% gesenkt (ermäßigter Satz von 7 auf 5%). Die Prämien für E-Autos werden auf 6000 € erhöht. Die Unternehmen werden für 6 Monate bei der Gewerbesteuer entlastet. Die Energiekosten (EEG) werden gedeckelt. Es gibt einen Zuschuss für Kinder von 300 €.

Theoretisch wäre auch ein "künstliches Koma" möglich gewesen: Man setzt ein Quartal quasi aus. Der Staat überweist den Unternehmen ihre normalen Umsätze. Anreize dürften in diesem Falle negativ sein. Das ist in der Realität noch nie gemacht worden. Aber schon der Shutdown ist ein ökonomisches Experiment.

In der Summe sollen die Schutzschirme kleinen Firmen beispringen, Insolvenzen abwenden, mittlere und große Firmen retten, Krankenhäuser absichern, Landwirten helfen, Hartz-IV problemloser zur Verfügung stellen, Kurzarbeit erleichtern, Mieten müssen später gezahlt werden. Bonuszahlungen an Arbeitnehmer sind bis 1500 € steuerfrei. Die Mittel reichen für 5 Monate. Man muss sich auch schon Gedanken über ein Ausstiegsszenario machen. Keiner will sich auf die Zeit nach Ostern (mach dem 20.4.) festlegen.  Sicher wird es bei den Programmen auch Mitnahmeeffekte und Missbrauch geben, was bei 3,5 Mio. Unternehmen unvermeidlich ist. Die Hilfe ist ein Spagat: sie soll einerseits möglichst schnell kommen und andererseits muss es ein Mindestmaß an Prüfung geben.  Insgesamt umfassen die Mittel 1,173 Billionen Euro. Die tatsächlichen Kosten sind aber niedriger, da die Darlehen zurückgezahlt werden müssen. Vgl. auch grundsätzlich dazu "Markt oder Staat?" Im Juli 2020 kommen noch Überbrückungshilfen für KMU im Umfang von 25 Mrd. €. Erstattet werden fixe Betriebskosten bis zu einem Umfang von 150.000 €.  Sie werden für die Monate Juni bis August geleistet.

Im zweiten Lockdown vom 16.12. 20 bis 10.01.2021 gibt es auch Entschädigungen: Betroffen ist besonders der Einzelhandel. Man spricht von Dezemberhilfe. Abschlagszahlungen sollen spätestens Anfang Januar fließen. Firmen bekommen 50.000 €, Soloselbständige bis zu 500 €. Gedacht sind die Hilfen für Unternehmen, die ihren Geschäftsbetrieb wegen des Lockdown schließen müssen.

Leider gibt es auch viel Betrug bei den Corona-Hilfen. Glücksritter, Clans und Kleinkriminelle bedienen sich aus den Töpfen. Ermittler haben eine Menge Arbeit. Ein unbürokratisches System ist immer anfällig für Betrüger.

Im Februar 2021 werden weitere Hilfsmaßnahmen von der Bundesregierung beschlossen. Sie teilen sich in zwei Gruppen: finanzielle Einmal-Hilfen für Familien und Arme (Kinderbonus, Grundsicherung - Coronazuschuss). In der zweiten Gruppe sind Hilfen für Kleinbetriebe und Kulturschaffende (Gastro -Mehrwertsteuer, Kulturhilfe, Verlustrücktrag).

Exkurs: Informelles Team/ Task Force zu Corona im Finanzministerium: Die Arbeitsgruppe tagt informell. Sie ist im Organisationsplan nicht vorgesehen. Sie wird von Holger Fabig aus dem Ministerium geleitet. Ihr gehören Jacob von Weizsäcker als Leiter der Grundsatzabteilung, Clemes Fuest von Ifo, Gabriel Felbermayer von Kiel, Sebastian Dullien  vom gewerkschaftsnahen Institut, Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut, Beatrice Weder di Mauro vom CEPR. Vgl. Schieritz, Mark: Die Improvisationskünstler, in: Die Zeit Nr. 46, 5.11.20, S. 32.,

Exkurs. Der Staat als Unternehmer. Systematik der Rettungspolitik in der Corona-Krise. Grundsätzlich können drei Stränge unterschieden werden: 1. Es gibt Unternehmen mit guten Geschäftsmodell. Wenn die Pleite gehen, entsteht großer Schaden. Hier biete der Staat Liquiditätshilfen an, vorrangig Kredite. Notfalls überhaupt der Staat 100% des Ausfallrisikos (Basuka). Es stellt Fremdkapital dar, das zurückgezahlt werden muss. Ganz selten springt der Staat mit Eigenkapital ein. Die Abwicklung läuft über die KfW. 2. Es gibt Risiken in der Welt, die nicht vorhersehbar sind. Sie schlagen wie ein Schock zu. Hier muss auch der Staat eingreifen. Das macht er dann ex-post wie mit einer Versicherungsgemeinschaft. In diese Gruppe gehört die Kurzarbeit (Teil der Fixkosten). 3. Beteiligung an Unternehmen. Geringere Maßnahmen wie Steuerstundung und Verlustrücktrag reichen in keinem Falle aus. So setzt man bei großen Unternehmen den WSF ein (für die Sofin in der Finanzkrise). Der Staat beteiligt sich an 15 Unternehmen (8,5 Mrd. €, 114 Unternehmen hatten nachgefragt). Der Staat arbeitet mit Eigen- und Fremdkapital. Die Beteiligungen bringen schwierige Bewertungsfragen mit sich (Zinssatz, temporär, wann Ausstieg, keine Verluste, Organisation der Stimmrechte über Dritte). Bei KMU arbeitet man mit Überbrückungshilfen (Zuschüssen). Sie sollen das Überleben sichern. Die Finanzämter waren hier mit ihrer IT - Infrastruktur überfordert. Deshalb hatte man eine eigene Auszahlungsplattform entwickelt. Als Resümee kann man jetzt schon sagen, dass man eine Insolvenzwelle verhindert hat. Noch nicht absehbar sind Auswirkungen auf Innovationsprozesse in der Zukunft. Ebenfalls offen sind Entwicklungen in Problembereichen (Innenstädte, Kultur, Gastgewerbe, Hotels), Quelle: Vortrag von Jacob von Weizäcker, Leiter der Grundsatzabteilung im BMF (Chefvolkswirt, auch Mathematiker rund Physiker) in der Bdvb - Lounge am 20.4.21 18.00 Uhr. Insgesamt hat die Corona-Pandemie den Bund 439,7 Mrd. € gekostet. Quelle: Bericht der Bundesregierung, April 2023.

Die 2. Welle im Oktober 2020 bringt einen Teil - Lockdown für November 2020. Es werden Entschädigungen für die betroffenen Betriebe beschlossen (Kulturinstitutionen, Restaurants, Kneipen, Hotels u. a.). Es kommt außerordentliche wirtschaftliche Hilfe. Es können bis zu 75% ersetzt werden (Umsatz vom Vorjahresmonat 2019). Die Hilfen können Kleinstunternehmen (<50 Beschäftigte) und Selbständige (auch Solo-Selbständige) bekommen Insgesamt stehen 10 Mrd. € zur Verfügung. Die Maßnahmen müssen noch von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Sie sollen unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden. Es wird zu abstürzen kommen. Wirtschaftsforscher gehen davon aus, das der Lockdown im November zu einem Rückgang des BIP um -1% 2020 führt. 50.000 zusätzliche Arbeitslose werden erwartet (vor allem in den betroffenen Branchen: Hotel, Gastronomie, Fitness, Tourismus. 400.000 zusätzliche Kurzarbeiter könnte es geben (Quelle: DIW Berlin). Im Dezember 2020 wird der Lockdown bis 20.12. verlängert. Die Bundesregierung plant Hilfen für Unternehmen (Überbrückung) in Höhe von 17 Mrd. € ein. Bei zukünftigen Hilfen fordert der Bund eine stärkere Länderbeteiligung. Ab Januar 2021 wird nicht mehr pauschal der Umsatz ersetzt. Anfangs gibt es nur Abschlagszahlungen. Diese werden nach vielen Beschwerden erhöht. Da der Lockdown noch mal bis Mitte Februar 21 verlängert wird, kommen weitere Maßnahmen.

Man spricht von Überbrückungshilfe III. Ab 10.02.21 wurde die Antragstellung im Netz frei geschaltet. Unternehmen bis 750 Mio. € Jahresumsatz die zwischen November 2020 und Juni 2021 Umsatzeinbußen von mindestens 30% verzeichnen mussten. die Unternehmen erhalten Fixkostenzuschüsse zwischen 40 und 90% (je nach Umsatzrückgang). Die Überbrückungshilfe muss immer wieder verlängert werden. sogar bis ins Jahr 2022 hinein (März 22).

2022 kommt eine Statistik über den Betrugsverdacht. Er besteht in mehr als 26.800 Fällen: Falsche Websites, erfundene Unternehmen u. a. Bei den Hilfen bestand ein Zielkonflikt zwischen Schnelligkeit und Prüfung. 2,14 Mio. Anträge auf Corona-Soforthilfe gingen bei den Ländern ein.

Im März März 2022 gibt es eine ökonomische Analyse der Corona-Krise: 340 Mrd. € an Wertschöpfung hat die Pandemie gekostet. 6 Mio. Menschen waren im
April 2020 in Kurzarbeit. 29.000 Unternehmen meldeten 2020 und 2021 Insolvenz an. Es gab Zuschüsse (67,4 Mrd. €), Kredite (56,2), Kurzarbeitergeld (42), WSF (9), Bürgschaften 6,5. Quellen: BMWK, BA.

"Es gibt keinen Heroismus in alledem. Die einzige Möglichkeit, eine Plage wie diese zu bekämpfen, ist gemeinsamer Anstand", Albert Camus, aus: Die Pest, Reinbek bei Hamburg 1965.

12. Auswirkungen auf andere Länder weltweit, insbesondere ökonomische:  Die WHO sieht am 02.03.20 eine Ausbreitung in mehr als 70 Ländern. 3080 Infizierte seien gestorben (bis 18.04. 145.000). Am 11.03.20 erklärt sie Corona zur Pandemie. Es gibt 114.000 Infizierte in über 100 Ländern. Am 15.03 ist man bei 160.000 Infizierten weltweit in über 110 Ländern. Am 16.3. steigt die Zahl der Infizierten auf 170.000. Am 19.3. ist man bei 208.000 Infizierten (WHO). Am 21.3. gibt es 278.100 Infizierte und 11.600 Tote. Am 29.3. 685.623 Infizierte, 32.137 Tote.  (John Hopkins). Am 09.04. liegt man bei 1,5 Mio. Infizierten. Bis 21.04.20 zählt man weltweit 170.000 Tote durch Corona (WHO). Am 29.06.20 gibt es weltweit über 10 Mio. Infizierte und über 600.000 Tote.. Am 17.7.20 infizieren sich 238.000 Menschen weltweit innerhalb von 24 Stunden (Rekord). Der Rekord wird noch mal angehoben am 25.7.20: 280.000 Neuinfektionen an einem Tag weltweit, vor allem in USA, Brasilien, Indien. Am 15.8.20 steigt der Rekord noch mal 294.000 Neuinfizierte innerhalb von 24 Stunden. Dann steigt die Zahl am 14.09.20 auf 300.000 weltweit. Bis zum 06.07.20 gibt es weltweit mehr als 11 Mio. Infizierte und mehr als 523.000 Todesfälle, bis zum 15.8.20 mehr als 20 Mio. infizierte.  Ende September 2020 steigt die Zahl der Todesopfer über 1 Mio. an. Der Un-Generalsekretär spricht von einer Bedrohung für die ganze Menschheit. 100.000 Menschen gelten weltweit bis zum 24.3. als genesen, die meisten in China. Am 22.3. ist man weltweit bei über 300.000 Infizierten in über 170 Ländern (13500 Todesfälle). Auch noch 2021 geht es weiter: Am 06.01.21 hat man weltweit mit 16.000 Toten die meisten Toten in 24 Stunden. Die meisten Corona-Fälle hat China mit 80.000. Dann folgen Südkorea (1600), Italien (460), Japan (190), Iran (150), USA (60), Deutschland (27).  (Stand: 27.2.2020, gilt für alle Länder). Ansteckendere Corona-Varianten verbreiten sich über die ganze Welt ab 2021. Die britische Mutante wird 2021 schon in über 60 Ländern nachgewiesen. Die Mutante aus Südafrika gibt es in über 23 Ländern.  In Italien beträgt am 08.03.20 die Anzahl der Infizierten schon 6000 (Abriegelung der Lombardei). Die Mortalitätsrate ist mit 3% relativ hoch. Am 10.03. gelten für ganz Italien restriktive Regelungen (alle Veranstaltungen sind verboten; ganz Italien wird Schutzzone; alles wird geschlossen außer Lebensmittelläden Tankstellen und Apotheken; 12.3. 12.000 Infizierte, 800 Tote, 21.3. 4800 Tote insgesamt; am 23.3. schon 6080 Tote, höchste Rate in der Welt). Die Lage in den Krankenhäusern ist katastrophal. Italiens Unternehmen stehen vor dem Stillstand. Das Land ist am Rande einer Finanzkrise. Es kommt eine Ausgangssperre. Am 19.3. gibt es 3405 Tote (damit Spitze vor China, 800 Tote an einem Tag; am 22.3. schon 5456 Tote insgesamt; am 28.3. über 10.000, am 11.04. fast 20.000). Patienten werden von der Bundeswehr nach Deutschland geflogen. Alle nicht lebensnotwendigen Produktionsaktivitäten werden geschlossen. Am 30.3. beträgt die Gesamtzahl der infizierten Personen 102.000. Dann sind  die Infektionszahlen abnehmend. Die Ausgangssperre wird bis Anfang Mai verlängert. Ab dann soll es Lockerungen geben. Im März 2021 hat das Land offiziell die Schwelle von 100.000 Toten überschritten. Anfang 2022 beschließt man eine sofortige Impfpflicht für über 50-jährige. Österreich verstärkt die Grenzüberwachungen und macht Gesundheitstestes an der Grenze (Durchreisende dürfen nicht Rast machen; die Grenze zu Italien wird ganz geschlossen, Tirol ist Risikogebiet). Alle Schulen werden geschlossen. Am 30.3. führt Österreich die Mundschutzpflicht ein. Die Arbeitslosenzahl im März steigt um 52% an. Dem Land Tirol droht einen Sammelklage. Nach Ostern will Österreich lockern, allerdings noch mit vielen Beschränkungen. In Tirol bleibt die Ausgangssperre. Ab Mitte Mai werden die Restaurants wieder geöffnet, ab Ende Mai die Hotels. Ende Juli 2020 gibt es eine hohe Infektionszahl in Wolfgangsee (Saisonarbeiter aus Osteuropa). Am 18.12.20 verkündet  das Land den dritten Lockdown. Im November 2021 kommt wieder ein Lockdown in Österreich und die Impfpflicht. Gemessen an der Zahl der Einwohner hat die Schweiz die höchste Zuwachsrate bei der Zahl der Infizierten (Stand 24.3.). Später im Juli 2020 kommt eine zweite Welle in der Schweiz (Quarantäne für Einreisende aus Risiko-Ländern). Die Wintersaison im Ski soll 2020/2021 stattfinden; die Kantone sollen entscheiden. Frankreich und das RKI stufen die Region Grand Est (auch Elsass) zum Risiko-Gebiet ein. In ganz Frankreich werden Schulen, Universitäten und Kitas geschlossen. Menschen sollen von dort nicht mehr nach Deutschland zur Arbeit kommen (Patienten werden in deutschen Krankenhäusern aufgenommen). Am 24.3. wird die Ausgangssperre noch mal verstärkt. Die Ausgangssperre trifft die Vorstädte von Paris (Banlieues) besonders hart. In Altenheimen werden flächendeckende Tests gemacht. Die Ausgangssperre wird bis 11. Mai verlängert. Ab 12.05. kommen leichte Lockerungen (Haus verlassen ohne Grund, ohne Passierschein) nach 55 Tagen. Am 02.06. wird die Ausgangssperre aufgehoben. Menschen dürfen sich im ganzen Land bewegen, Restaurants und Bars öffnen ebenso wir Museen und Parks. Mitte August 2020 scheint eine zweite Welle zu kommen. Die Regierung verordnet Maskenpflicht auf der Arbeit.  Im September steigen die Zahlen an Infizierten fast auf das Niveau vom Frühjahr. Das Land hat über 9000 Infizierte im Durchschnitt der letzten sieben Tage. Für Paris kommt wieder der Lockdown. Ganz Frankreich wird am 15.10.20 zum Risikogebiet erklärt. Am 03.10.20 kommt wieder der Lockdown für ganz Frankreich. Staatspräsident Macron ist selbst schwer von Corona getroffen. In Spanien steigen die Zahlen rapide an (12.3.: 84 Tote, 3000 Infizierte; Madrid ist Risikogebiet, 13.3. 4000 Infizierte, 120 Tote; 22.3. +30% Tote: 28.603 Infizierte; 23.3. 33.000 Infizierte, 2200 Tote; am 24.3. allein 600 Tote; am 27.3. insgesamt 5700 Tote und mehr als in China, am 2.4 schon 1000 Tote an einem Tag). Das Land ruft den Notstand aus, es gilt eine zweiwöchige Ausgangssperre. Das Gesundheitssystem ist vor dem Kollaps.  Viele Infizierte sind Ärzte und Schwestern. alle nicht lebensnotwendigen Unternehmen müssen schließen. Ab 31.3. gilt die "Operation Winterschlaf" (Stilllegung der Wirtschaft). Die Bestattungspreise werden von der Regierung eingefroren. Am 13.04 hat Spanien 170.000 Infizierte und 18.000 Tote (vorübergehend die meisten in der EU, später 25.000). Es kommen aber erste Lockerungen ab 12.05. (nicht überall). Am 25.04. gibt es erstmals mehr Genesene als Erkrankte. Der Notstand wird bis 23.5. verlängert. Ende Juli gibt es wieder mehr Fälle in Spanien (Navarra, Katalonien). Die Tourismusbranche hat Angst. Immer mehr Regionen sind betroffen. Die Bundesregierung gibt im August 20 eine Reisewarnung heraus. Im September 20 werden Höchstwerte aus dem Frühjahr übertroffen (über 10.000).  Das trifft den Tourismus hart. Madrid verhängt wieder einen Lockdown, der von der Zentralregierung durchgesetzt wird.  Spanien braucht die Einnahmen aus dem Tourismus. Einzelne Regionen werden aber immer mal zum Risikogebiet erklärt. Nach Italien und Spanien ist Belgien in der EU am stärksten betroffen (am 16.04. knapp 5000 Tote). Schwachpunkt sind die Altenheime. Später flammt Corona stark in Antwerpen auf. Am 30.10.20 ist man voll in der 2. Welle. Alle Geschäfte schließen. Portugal verzeichnet am 26.3. einen starken Anstieg der Todesopfer (40% in 24 Stunden). Im Januar 2021 wird Portugal besonders stark von einer 2. Welle betroffen. Man hat die Mutante aus GB. Portugal hat in Europa die höchste Inzidenzrate. Man wünscht von Deutschland Hilfe (Bundeswehr, Ausfliegen von Patienten), Portugal hat die Ratspräsidentschaft von Deutschland übernommen.  Die Hilfe aus Deutschland kommt dann auch von der Bundeswehr. Portugal wird in der Folge immer mal zum Risikogebiet erklärt. 2021 hat Portugal eine höhere Impfquote als Deutschalnd und geringere Inzidenzen.  Tschechien schließt die Grenzen (ebenso die Slowakei, Polen, Dänemark, Malta, Zypern, Lettland, Türkei, Ungarn). Tschechien wird immer wieder von starken Wellen erfasst, auch 2021 noch. Belgien verhängt eine Ausgangssperre. Die Niederlande haben besonders viele und harte Demos gegen die Corona-Maßnahmen.  Griechenland verhängt am 22.3. eine Ausgangssperre. 2021 führt Griechenland eine Impfpflicht für über 60jährige ein.  GB hat am 12.3. schon 10.000 Fälle. Das Gesundheitssystem ist heillos überlastet (Boris Johnson in der Kritik; Mortalitätsrate 4,5%). Seit 2020 gab es ein Sparprogramm. Man setzt anders als die anderen europäischen Länder auf "Herdenimmunität"; schwenkt dann aber zu spät um  Man hat wertvolle Zeit vertan. Viele Pflegekräfte haben wegen des Brexit das Land verlassen. Die Ausgangsbeschränkungen werden am 24.3. verschärft. Boris Johnson und der Gesundheitsminister haben Corona (auch andere Mitglieder des Krisenstabes, Johnson liegt auf der Intensivstation, Raab übernimmt die Geschäfte). Ein Viertel der Unternehmen entlassen Mitarbeiter schon im März. Man hat am 2.4. 34.123 Infizierte und 2926 Tote; 05.4. 50.000 Infizierte, 5000 Tote (07.04. 800 Tote an einem Tag). Am 12.04. sind die Zahlen: 85.200, 10.630. Am 27.04. sind es schon über 20.000 Tote (fehlende Schutzkleidung, zu wenig Tests). Am 30.4. ist man schon bei 26.000 Toten (hinter Italien in Europa 2. Platz, am 09.05. sind es in Europa die meisten Toten mit 32.000, am 15.5. 35.000, Platz 1 in Europa). Es gibt viel zu wenig Tests und Schutzausrüstung fehlt. Deutschland liefert mit einer Bundeswehrmaschine Beatmungsgeräte. Es kommt eine zweiwöchige Quarantäne für Reisende aus dem Ausland. Die britischen Senioren in Altenheimen trifft es am schlimmsten (ein Viertel aller Toten). Im September 2020 explodieren die Zahlen in GB erneut (über 4000 Infizierte an einem Tag, Verdopplung binnen 7 Tagen). Im November hat man schon über 50.000 Tote (Spitze in Europa). Johnson muss zum zweiten Mal in Quarantäne. Ende 2020 taucht eine Mutation des Virus auf: Sie ist ansteckender und trifft vor allem junge Menschen. Der Lockdown könnte bis März 2021 verlängert werden. Die EU riegelt sich von GB ab (Grenzschließungen). GB versucht durch Impfungen in großen Ausmaß dem Chaos entgegen zuwirken. Jetzt kommt die zweite Welle auch nach Irland. Im Mai 2021 hat die Impfung die Zahl der Infizierten in GB drastisch reduziert. Aber die hoch ansteckende indischen Variante verbreitet sich stark (schon über 3000 Infizierte). Deutschland stuft GB als Virusmutantengebiet ein. Die Delta-Variante löst eine dritte Welle in GB aus. Noch Ende 21 hat man jede Woche rund 1000 Todesfälle. Premier Johnson redet die Pandemie weg. Die neue Variante Omikron hat GB voll erfasst. London ruft den Notstand aus. Polen erlässt früh eine Ausgangssperre. Es schließt am 25.3. die Grenze. Das Gesundheitssystem gilt als sehr schwach. Orban nutzt in Ungarn die Corona-Krise, um die Alleinherrschaft zu übernehmen ("Virus-Diktatur"). Es kommt ein Notstandsgesetz am 30.3.. Das Gesundheitssystem ist desolat. Eine zweite Welle im September 2020 trifft sehr stark Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Tschechien und auch Ungarn. Am stärksten ist im Oktober 2020 Tschechien betroffen, auch die Slowakei. Schweden geht einen Sonderweg in der Krise.  Es gibt nur Empfehlungen, keine Verbote. Alle Restaurants und Geschäfte bleiben offen. Doch es gibt bis zum 25.04. 2200 Tote und 18.000 Infizierte (hoch in Relation zur Bevölkerung und im Vergleich; mit 28,9 Todesfällen pro 100.000 Einwohner die höchste Quote in Europa,; 3,8 mal so viele Tote im Verhältnis wie Deutschland, 3700 am 19.5.). Aber die Kapazität der Notfallbetten reicht immer aus. Die Hälfte aller Toten sind in Pflege- und Altenheimen. Mitte Januar 2021 gibt es schon mehr als 100.000 Tote in GB. Obwohl GB Mitte Juli 21 hohe Inzidenz - Zahlen hat durch die Delta-Variante, sollen alle Corona-Einschränkungen fallen. Die WHO lobt Schweden als zukünftiges Modell. Das ist sonderbar, weil das Land überhaupt nicht gut dasteht. Es hat bei alten Menschen völlig versagt (die Stundenkräfte im Altenheim konnten sich eine Krankmeldung nicht leisten). Norwegen kann ganz früh in der Krise reagiert  und strikte Maßnahmen erlassen. So bekommt man die Lage auch unter Kontrolle. Im November 2020 muss Schweden den Sonderweg verlassen.  Der König erklärt den Sonderweg für gescheitert. Relativ spät erreicht die Corona-Welle Serbien sehr heftig. Die Aussetzung des Lockdowns im Wahlkampf beschleunigt die Verbreitung sehr stark. Es gibt große Proteste gegen den neuen Lockdown später. Die zweite Welle im Oktober 2020 erfasst Osteuropa sehr stark (vor allem Tschechien).

Am 17.3. wird die Reisewarnung in Deutschland auf das gesamte Ausland ausgedehnt. Am 29.04. wird die Reisewarnung bis Mitte Juni 2020 verlängert ("für alle nicht notwendigen touristischen Reisen"). Deutsche Touristen werden aus aller Welt zurückgeholt, soweit das geht (bis 31.3. 183.000; 20.000 hängen fest). Am 17.3. erlässt die EU einen Einreise-Stopp an allen Außengrenzen. Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland zurückkommen müssen ab 06.04. zwei Wochen in Quarantäne. Zuerst wird die Grenze zu Luxemburg am 16.05.20 wieder geöffnet, für die Außengrenzen zu Frankreich, Schweiz, Dänemark, Österreich gibt es Lockerungen. Geplant ist eine normale Grenzöffnung Mitte Juni, auch nach Norden zu Dänemark. Ab 16.06. wird die Reisewarnung für Europa aufgehoben. Norwegen und Spanien haben noch eine Einreisesperre (bis 21.06.?). Griechenland und Portugal öffnen zwar wieder die Grenzen ab Juli, wobei der Eintritt nur mit Barcode möglich ist. Urlaubsrückkehrer aus Risiko-Gebieten sollen ab Juli 2020 Tests machen. diese sind kostenlos und freiwillig.  Betroffen sind als Risikogebiete Luxemburg, Türkei, Serbien/ Westbalkan, Ägypten. Das soll in einigen Bundesländern (Bayern?) verpflichtend auf Krankenkassenkosten sein. Es wird in allen Bundesländern verpflichtend. Bayern will auch an Bahnhöfen und der Grenze testen. Alternativ kann man 14-Tage in Quarantäne gehen, was schwierig zu überwachen ist.  Es gibt immer mehr Risikogebiete: Im August 2020 kommen Bulgarien und Rumänien dazu. Dann gehört auch Spanien zu den Risikogebieten, ebenso die Region um Antwerpen in Belgien. Für den spanischen Tourismus ist das eine Katastrophe. Am 25.8.20 wird auch für Frankreich eine Reisewarnung erlassen (Paris, Cote A´ Sur). Ende September gibt es eine Reisewarnung für halb Europa (Wien, Tirol, Tschechien und viele andere). Ende Oktober 2020 hat Europa insgesamt wieder hohe Zahlen. Es gibt starke Beschränkungen. Da sind Reisewarnungen (z. B. für die ganze Türkei). Es gibt auch Teil - Lockdown in Frankreich, Spanien, Tschechien, Slowakei, Großbritannien und anderen Ländern. Fast ganz Europa ist Risiko-Gebiet (jetzt auch Italien, Österreich). In Spanien und Italien gibt es schwere Ausschreitungen gegen die Corona-Politik. Die deutschen Grenzen sollen offen bleiben. Österreich geht ab Mitte November wieder in einen dreiwöchigen Total - Lockdown (nur Geschäfte des täglichen Bedarfs offen). Im Januar 2021 muss Deutschland wieder zu Einreisesperren kommen. Wer aus Corona-Hochrisikogebieten kommt, kann ab 30.01.21 nicht mehr so einfach nach Deutschland einreisen. Hochrisikogebiete sind Portugal,  Großbritannien, Irland, Tschechien, Süd-Afrika, Brasilien. Im Juli 2021 wird wieder eine Testpflicht für Urlaubsrückkehrer eingeführt. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland steigt wieder beständig an. Österreich führt die Impfpflicht ab März 2022 ein.

Für Afrika könnte eine Ausbreitung des Virus verheerend sein. Es tritt verstärkt in Kenia auf. Besonders hart trifft es auch Südafrika, wo das Virus die Townships erreicht. Südafrika macht sich große Sorgen wegen des rapiden Anstiegs, vor allem in den Townships, die schon durch HIV überlastet sind. Soldaten und Polizei setzen brutal die Ausgangssperre durch. In den Magreb -Staaten gibt es viele Infizierte. Es herrscht Ausgangssperre. Lebensmittel werden knapp. Besonders hart trifft es Simbawne. Die Lage ist katastrophal. In Nigeria werden zuerst Spitzenpolitiker krank, die im Ausland waren. Es gibt auch Staaten wie Burundi, die auf Voodoo, Tee und Kirchgang setzen. Afrika steht am Abgrund. 52 Länder in Afrika sind betroffen. Besonders hart trifft Afrika die Einstellung der USA Zahlungen an die WHO. Afrikas Safari-Tourismus steht vor dem aus (wichtige Einnahmequelle). Ende Juli steigt die Anzahl der bestätigten Fälle auf übe reine Million. Süd-Afrika ist am schlimmsten betroffen. Ende 2020 tritt in Südafrika eine Mutation des Virus auf, die um 70% ansteckender ist. Afrika steht in der Impfschlange auch ganz hinten. Im Iran, dem Land mit der dritthöchsten Todeszahl, will das Militär rigoros durchgreifen. Geschäfte und Straßen werden "geleert". Die gesamte Nation soll überwacht werden (am 13.3 11.300 Infizierte und 514 Tote). Der Iran ist am Rande eines Totalkollaps (USA sollen die Sanktionen beenden). Ab 18.04. werden die Beschränkungen etwas gelockert. Die Gastarbeiter aus Afghanistan müssen zurück (150.000). sie bringen die Seuche in ihr Land. Das Gesundheitssystem ist schon am Boden, die Geschäfte schließen (Hunger). In Israel verbreitet sich die Seuche rapide trotz früher Grenzschließung. Dazu tragen vor allem religiöse Sitten bei. Auch in Indien gibt es immer mehr Fälle. Das Taj Mahal wird am 17.3. geschlossen. Das Land verhängt am 22.3. eine Ausgangssperre für 1,3 Mrd. Menschen (wird drastisch überwacht). Die Millionen von Tagelöhner verdienen in den Städten kein Geld mehr, können dort nicht mehr leben, sind aber eingesperrt. Das Virus erreicht die Slums. Indien hat bis Ende Juni 2020 über 500.000 Infizierte (Platz drei in der Welt hinter USA und Brasilien). Nach einer Beruhigung kommt die 2. Welle mit großer Wucht. Kein Land der Welt hat 2021 mehr Infizierte und mehr Tote (über 400.000 Tote). Das Gesundheitssystem bricht zusammen. Hilfslieferungen kommen aus aller Welt. Auch in Russland steigen die Infektionen rapide an. Putin verkündet 9 Tage Pause, verschiebt die Volksbefragung, setzt die Armee ein, gibt auch Wirtschaftshilfen. Der Zwangsurlaub wird bis Ende April verlängert. Die Ausgangssperre wird noch mal verlängert. Moskau ist besonders betroffen. Russland schließt seine Grenzen. Am 30.3. werden die Regeln verschärft. In Moskau gibt es Ausgangssperre. Das Gesundheitssystem ist unter hohem Druck. Wenige Branchen arbeiten noch. Es gibt viele falsche Tests. 1300 Fälle werden täglich in Kliniken eingeliefert. Die Anzahl der Todesopfer hält sich zuerst in Grenzen. Am 12.05. gibt es 230.000 Infizierte. Trotzdem wird die arbeitsfreie Zeit beendet. Die Gouverneure entscheiden über Beschränkungen. Australien schließt am 21.3. seine Strände.  In Venezuela verschärft sich die ohnehin katastrophale Versorgungslage noch. Früh kommt eine Ausgangssperre (70 Infektionen am 22.3.). USA setzen Kopfgeld auf Maduro aus und verschärfen die Situation; China schickt Hilfsgüter. Ebenso verschärft sich die Mängelwirtschaft auf Kuba. In Panama gibt es getrennte Ausgangszeiten für Frauen und Männer. In Brasilien verharmlost Bolsonaro die Lage: Hysterie, kleine Grippe. Die Gouverneure der Bundesländer müssen handeln. Die Bevölkerung ist empört. Ein Gericht verbietet Verharmlosungskampagnen von Bolsonaro. In Brasilien zeigt sich, dass Hitze das Virus nur bedingt hemmt. Das Land steht vor einer wirtschaftlichen Katastrophe. Das Virus erreicht die Favelas. Am 17.5. beträgt die Zahl der Infizierten 240.000 und die der Toten 16.000. Im Februar 2021 ist die Zahl der Toten schon über 200.000 gestiegen. Die bekannt gegebenen Zahlen sind aber falsch, sie sind stark untertrieben. Es gibt zu wenig Tests.  Es gibt viele Massengräber Der Gesundheitsminister wird entlassen. Der Nachfolger muss auch gehen. Dann übernimmt ein General. Die Kliniken sind überlastet. Illegale Gold - Schürfer und Holzfäller nutzen die Krise zu ihren Gunsten aus. Mittlerweile sind auch 38 indigene Völker betroffen. Am 31.05.20 hat Brasilien 29.000 Tote und 33.000 Neuinfektionen an einem Tag. Am 19.06. sind schon über 1 Mio. Menschen infiziert und über 49.000 gestorben (jetzt mehr auf dem Lande, bei unzureichend Tests; 07.07.20: 1,7 Mio. infizierte, 66.000 Tote). Täglich sterben mindestens 1000 Infizierte (im Juli hat sich auch Bolsonaro infiziert, später steigt die Zahl auf 3000). Es hat sich eine Mutante gebildet. Besonders betroffen ist die Amazonas-Metropole Manzanas. Brasilien droht zusammenzubrechen. Mutanten könnten die ganze Welt bedrohen. Die Opposition setzt im Mai 21 einen Untersuchungsausschuss ein (2022 ist Wahl). Sao Paulo wird zur "Impfhauptstadt" der Welt (Ende November 21 alle Erwachsenen geimpft, Vertrag mit Sinovac). Katastrophal ist die Lage auch  in Ecuador. Es gibt eine landesweite Ausgangssperre. Der Anstieg der Toten-Zahlen ist extrem. In Chile führt die Ausgangssperre zu großen Problemen. Es gibt keine soziale Absicherung. Viele Menschen hungern. Steuererleichterungen für Unternehmen kommen, ebenso Hilfe für Arme. Kleine Selbständige bleiben außen vor. Auch in Mexiko ist die Seuche angekommen. Hier werden besonders viele junge Menschen hinweggerafft. Diabetes und Übergewicht begünstigen das. Sehr stark ist auch Peru betroffen. Lateinamerika wird zum Epizentrum der Corona-Pandemie. Hier ist die Schere zwischen Arm und Reich besonders groß. Rund die Hälfte der Menschen lebt von der Hand in den Mund. Die Türkei hat seit 2016 schon einen führenden Coronavirus-Experten kaltgestellt (als Gülen - Anhänger bezeichnet). Die Türkei erlässt kurzfristige Ausgangssperren von 48 Stunden über Ostern. Es gibt Schlangen vor den Geschäften. Risikogruppen dürfen schon länger nicht aus dem Haus (z. B. Menschen über 65 Jahre). 90.000 Häftlinge werden aus den überfüllten Gefängnissen entlassen (keine politischen Gefangenen). Saudi-Arabien hat am 26.3. 10.000 Infizierte. Die Zahlen sind extrem widersprüchlich (schnellste Verdopplung aller Länder). Die Strände sind gesperrt, die Hotels schließen. Praktisch kaum ein Land der Welt ist noch ausgenommen. In den Ländern ist die ärmste Bevölkerung am stärksten betroffen (oft sind es auch Minderheiten, Beispiel USA). Mittlerweile ist im Sommer 2020 auch Australien sehr stark betroffen. Die Metropole Melbourne mit über 5 Mio. Einwohner muss in den Lockdown.

In den Ländern reagieren die Aktien-Indizes mit Rückgängen. Die Menschen reagieren mit Hamsterkäufen. Viele Länder schließen die Grenzen für Menschen, die aus stark betroffenen Ländern kommen (China, Japan, Südkorea, Iran, Italien). Israel lässt ab 07.03. auch keine Menschen aus deutschsprachigen Ländern herein. Der Corona-Virus könnte in den USA für Trump zum Problem werden: Es gefährdet seine Chancen auf Wiederwahl durch einen möglichen Konjunktureinbruch und durch ein fehlendes Krankenversicherungssystem (Menschen lassen sich nicht testen). Andere Staaten, wie Frankreich und Italien, geben viel Geld für Renten aus. Wenn die Auszahlung bedroht ist, kann es schnell zu einer politischen Krise kommen. Mit Flybe in GB geht die erste Fluggesellschaft insolvent, Lot in Polen kann nicht Condor übernehmen.  Am 2.3.20 legt die OECD eine Studie vor: Während die Weltwirtschaft 2019 um 2,9% wuchs, prognostiziert sie für 2020 1,5%. Die Corona-Krise kostet den Welthandel 320 Mrd. US-Dollar pro Quartal (Schätzungen). Der Dow Jones und viele andere Aktienindizes steigen vorübergehend. Am 09.03. kommt es dann zu einer weltweiten Börsenpanik, die sich am 12.3. noch fortsetzt. Weitere Einbrüche kommen am 16.3.20, zuerst etwas gebremst von der Zinssenkung der Fed (0 bis 0,25%; dann weiterer Abstieg wegen Verunsicherung). Die Angst vor Infektion ist das größte Problem. Es dürfte aber mit Sicherheit nicht der letzte Erreger sein. BIP-Prognosen: Die EZB erwartet einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um mindestens 3%. Die WTO prognostiziert am 08.04.20 für 2020 die tiefste Rezession der Geschichte: -32% Welthandel (im günstigsten Falle -13%). Der IWF prognostiziert am 14.04. für 2020 eine globale Rezession (-3% Wachstum, Euroraum -7,5%). Beim Rückgang des BIP 2020 traut man Südkorea am meisten zu, nur -3,4%. Am schlechtesten schneidet Griechenland ab: -12,2% (extrem hoher Tourismusanteil am BIP; Quelle: IWF).

Der Virus trifft weltweit geschwächte Gesellschaften besonders. Vor allem in Gesellschaften, wo Arm und Reich durch eine Kluft getrennt sind, verschärft die Pandemie die Unterschiede dramatisch. Besonders betroffen sind hier Südamerika, vor allem Brasilien, und Südafrika. In Südamerika dürfte die Wirtschaft um 7% einbrechen. 29 Mio. Menschen würden in Armut verfallen (Quelle: Weltbank 2020). Vielleicht ist das ein Anstoß für die Länder, einen Sozialstaat aufzubauen mit einem fairen Steuersystem, ohne Schlupflöcher für Konzerne und Superreiche. Die Pest, eine der großen Pandemien der Vergangenheit, hatte durch die hohe Zahl der Toten den Preis der Arbeit verteuert. Erstmals stiegen die Löhne merklich.  Vgl. Pitzke, Marc u. a.: Das Armutszeugnis, in: Der Spiegel 23/30.5.2020, S. 86ff. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen warnt vor einem nie da gewesenen Rückschlag: Die Folgen der Corona-Krise drohten die Erfolge der vergangenen Jahrzehnte bei der Bekämpfung der Armut und bei der Erhöhung des Bildungsstandards weltweit zunichte zu machen. Portugal steckt 2021 in einer dritten Welle. Bis 22.02.21 gibt es schon 17.000 Corona-Tote Das Land wird sehr stark von der englischen Mutante betroffen (Rückkehr von Urlaubern aus GB an Weihnachten). Ein Bundeswehrteam rettet seit Wochen Leben. Portugiesische Ärzte ärgern sich über den Einsatzort: Ein Krankenhaus in privater Hand. Das sorgt für Unmut.

Ökonomische Analysen: "In den OECD-Ländern ist die Produktion in der Corona-Krise nahezu überall stark gefallen, im 2. Quartal um etwa 10 %, nachdem sie bereits im 1. Quartal um 2 % zurückgegangen war. Das Ausmaß des Einbruchs unterscheidet sich zwischen den Ländern aber deutlich (vgl. Abbildung 1). Besonders stark ging die gesamtwirtschaftliche Aktivität in Großbritannien und Spanien zurück, wo das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um fast 23 % einbrach, sowie Italien und Frankreich. Vergleichsweise moderat war der Rückgang vor allem in einigen OECD-Ländern in Asien wie Südkorea und Taiwan, wo die Ausbreitung des Coronavirus vergleichsweise früh und zielgenau bekämpft wurde." Siehe Gern, Klaus-Jürgen/ Hauber, Philipp: Corona-Effekte im internationalen Vergleich, in: Wirtschaftsdienst, H. 11/ 2020, S. 899 - 900.

Lizenzen: Sie werden in der Regel auf Patente vergeben. Für sie wird eine Gebühr erhoben. 2021 entsteht eine Diskussion darüber, wie ärmeren Ländern am besten beim Aufbau einer Impfstoffproduktion geholfen werden kann. Zwei Strategien stehen sich dabei gegenüber: 1. Aufhebung des Patentschutzes. 2. Kooperation mit den Entwicklern und Aufbau einer Impfstoffproduktion, wo auch immer. Indien und die USA vertreten massiv die erste Strategie, weil sie kaum über Patente verfügen, aber über große Produktionskapazitäten. Die EU hält an der Lizenzlösung fest, weil die Lizenzen sehr begehrt sind. Vgl. Schnellenbach, Jan: Eine patente Lösung der Impfstofffrage, in: WiWo 21/ 21.5.21, S. 42f.

2020 und 2021 hat die Corona-Pandemie weltweit etwa 15 Menschen das Leben gekostet. Das betrifft Menschen , die an Corona-Infektionen gestorben sind (6,2 Mio.) oder Menschen, die wegen der Überlastung der Gesundheitssysteme nicht rechtzeitig behandelt werden konnten. Quelle: WHO 2022.

13. Ökonomische Lehren aus der Corona-Krise: Man wird sicher die Lagerhaltung wieder überdenken, insbesondere für Krisenzeiten. In besonders wichtigen Bereichen (Medizin, KI) wird die EU eigene Sicherheits-Großprojekte anstoßen müssen (vergleichbar Airbus, Satellit Galilei). Europa muss seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit gegenüber den USA und China bewahren.   Die EU muss mit einer Stimme sprechen. Sowohl die USA als auch China versuchen, die EU systematisch auseinander zu dividieren und zu spalten. Bei Lieferketten muss auf Eigenständigkeit geachtet werden bzw. übergroße Abhängigkeit sollte vermieden werden. Unternehmen müssen ihre Lieferketten neu organisieren und diversifizieren (Struktur der Zulieferer streuen, Wertschöpfung zuhause; Multi-Sourcing). Ökonomische und technologische Geschäftsbereiche müssen nach Europa zurückgeholt werden. Kapazitäten müssen in einem Notfall hochgefahren werden können. Besonders in der Pharmaindustrie bei Medikamenten. muss auf Produktion in Europa geachtet werden, wobei die Grundstoffe einzubeziehen sind (80% der Antibiotika - Vorprodukte werden in China hergestellt). Das gilt auch für Schutzausrüstung (Atemschutz, Beatmungsgeräte). Schon nach der Finanzkrise haben Unternehmen in Europa ihre Lieferketten verkürzt und Produktion nach Europa zurückgeholt (unterstützt durch de Digitalisierung). Kosten dürfen hier nicht mehr allein entscheidend sein. In der Wettbewerbspolitik sollte der Preis nicht das alleinige Kriterium sein, sondern Eigenständigkeit und Souveränität. eine Differenzierung der Lieferketten und Rückverlagerung von Produktion nach Deutschland würde die Preise steigen lassen (Inflation durch Lohn- und höhere Produktionskosten). Auch finanzielle Ressourcen müssen europäisch gebündelt werden. Innovationen und Arbeitsplätze müssen manchmal Vorrang vor Wohlstand haben. Nachhaltigkeit wird, sowohl durch den Klimawandel als auch durch die Gesundheitskrise bedingt, an Bedeutung gewinnen. Das könnte sich am Ende positiv auf das Konsumverhalten und die Lebensweise insgesamt auswirken. So sollte in keinem Falle wieder eine Abwrackprämie kommen, sondern eher eine Investition in eine neue Infrastruktur der Mobilität. In der Außen- und Sicherheitspolitik muss die EU die realen Interessen Chinas und der USA im Auge haben und eine eigene Strategie entwickeln (etwa Schutz von Handelswegen).  Die wirtschaftliche Verflechtung muss strategisch geplant werden und eigene Interessen berücksichtigen, nur so hat die Globalisierung in Zukunft eine Chance. Es sollte mehr Vor-Ort-Produktion und mehr Heimatnähe geben (Made in Germany). Insofern kommt es auf die richtige Balance zwischen Globalisierung, europäischer Integration  und eigenem nationalen Interesse an. Es hat sich auch drastisch gezeigt, vor allem im europäischen Vergleich, dass der Verschlankung von Verwaltung und Gesundheitssystem Grenzen gesetzt sind. Vgl. Stelter, Daniel: Coronomics - Nach dem Corona-Schock, Frankfurt/ New York (Campus) 2020. Vgl. zur Theorie: Wertschöpfungsketten. "Wo aber Gefahr ist, wächst/ Das "Rettende auch." Friedrich Hölderlin, Patmos-Hymne (am 20. März 2020 war der 250. Geburtstag von Hölderlin). Der Bundesgerichtshof entscheidet in einem Grundsatzurteil, dass der Staat nicht für Gewinneinbußen wegen des Corona - Lockdowns haften muss.

Exkurs: Konkrete ökonomische Folgen der Pandemie in Deutschland: 2020 ist das BIP um -5,1% gefallen. 29 Mrd. € betragen die öffentlichen Ausgaben des Bundes für die Corona-Krise. Die Schuldenquote erhöhte sich 2020 von 59,7% auf 70%. Vgl. Joeres, Annika: Die Kosten des Lockdowns, in: Die Zeit 22. Juli 2021, S. 22.

14. Pandemie und Digitalisierung (Langzeitfolgen für die Arbeit): Arbeit Asiatische Staaten verstärken die digitale Kontrolle ihrer Bürger massiv. Man arbeitet an Smartphone - Apps, die jede Person registriert und den Behörden meldet, der man auf zwei Meter nahe kommt. In Hongkong sind Quarantänepflichtige seit Anfang Februar verpflichtet, elektronischen Armbänder zu tragen. Verlässt ein Patient die Wohnung, wird die Gesundheitsbehörde alarmiert. In Südkorea werden viele Apps herunter geladen, die Alter, Geschlecht, Nationalität und das Bewegungsprofil Infizierter zeigen. Dazu gehören die Apps Corona1000m, Corona Doctor, Corona Map. In China startet im Februar eine Plattform, die "Close Contact Detector" heißt. Über sie lässt sich ermitteln, wie nahe man Infizierten gekommen ist. Auch die großen Mobilfunkanbieter ermitteln Bewegungsprofile für die jeweils letzten vierzehn Tage. In Hangzhou, dem Sitz von Alibaba, werden bei Alipay ein "Gesundheits-Code" installiert, der registrierte Kunden mit Datenbanken der Gesundheitsbehörden abgleicht. Eine ähnliche App verwendet ach schon Tencent ("Anti-Virus-Code"). An Hauptbahnhöfen in China messen Kameras die Körpertemperatur (so am Pekinger Hbf). Quarantänemaßnahmen im Einzelfall werden aufgrund von Handydaten getroffen. Die chinesische Regierung will in Zukunft die DNA der männlichen Bevölkerung systematisch in einer Datenbank erfassen (genetische Kontrolle soll Straftäter hinter Gitter bringen). Taiwan ist auch sehr erfolgreich durch den Einsatz digitaler Medien (auch Rückkopplung per SMS). Man erfährt über Handy-App, welche Apotheken Gesichtsmasken haben. Auch in Deutschland erhält das RKI Handydaten von der Telekom. Die große Frage ist, wenn alle Staaten dieser Welt aus Gesundheitsgründen ähnliche Mechanismen einrichten. Quelle: Der Spiegel Nr. 12, 14.3.2020, S. 68ff. Deutschland will Handy-Auswertungen zulassen (Datenanalyse, anonymisiert, Bewegungsströme, Daten der Telekom). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist die Grenze.  Deshalb will man noch nicht mit Tracking und personalisierten Daten arbeiten. Entsprechende Pläne wurden vorerst auf Eis gelegt. aber auf freiwilliger Basis könnte man eine App einsetzen und Erfahrungen sammeln (Menschen, die die App haben werden gewarnt, wenn einer infiziert ist, Tracking). Man arbeitet an einer App, die datenschutzverträglich ist. Mit Bluetooth werden Handys verbunden und eine anonyme Kontaktliste erstellt. Bei einer Infizierung werden Push-Nachrichten verschickt. Die Nutzung ist freiwillig. Sehr erfolgreich sind auch Israel und Singapur mit der Auswertung von Handydaten, auch Taiwan. Bei Singapur muss man allerdings bedenken, dass das Land ein hervorragendes Gesundheitssystem hat und außerdem Notfallpläne in der Schublade hatte (große Erfahrung mit Sars und Mers). Apple und Google kooperieren beim Entwickeln einer App, die über Bluetooth-Technik für Infizierten warnt. Damit sind die weltweit führenden Handy-Plattformen dabei, Nachverfolgung von Corona-Infektionen zu ermöglichen. eine Verzögerung tritt ein, weil Google (Androit) und Apple (Ios) die Daten auch für sich beanspruchen bei zentraler Lagerung. Man entscheidet sich dann für eine dezentrale Software-Architektur (außerdem freiwillig, mindestens 60% müssen mitmachen). Eine führende Rolle bei der Entwicklung sollen SAP und die Telekom haben. Am 16.06.20 kommt die neue App. Sie ist über Google Play und Apple Store kostenlos zu haben und freiwillig. Sie wird innerhalb einer Woche von 12 Mio. Nutzern runter geladen (bis Ende Juni 20 14 Mio.). Im November 2020 haben schon 21 Mio. Menschen die App runter geladen. Sie leidet darunter, dass Datenschutz vor Wirksamkeit geht. Mehrere europäische Staaten wollen Kompatibilität herstellen.

In Zeiten der Corona-Krise ist auch die Zahl der Cyberangriffe auf Firmen gewachsen. entsprechende Infos sind sehr begehrt. Also müssen auch hier die Abwehrmaßnahmen verstärkt werden.  Die Krise hat auch gezeigt, dass schnelles Internet wichtiger ist als schnelle Straßen.

Die Digitalisierung und das Internet dürften aber von der Seuche profitieren, ebenso wie neue Arbeitsformen (Homeoffice, E-Learning). Die Digitalisierung erweit sich in der Krise als Segen für die Wirtschaft. In der Krise rettet sie auch Jobs, statt sie zu bedrohen. Wenn die Krise einen Digitalisierungsschub in den Unternehmen auslöst, könnte sie die Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen. "Digitale Konzepte können Logistikstrategien der Unternehmen anpassen und Risikoszenarien für die Produktionsketten durchspielen". Siehe Schnitzer, M./ Steimer, H.: Das Virus macht uns wettbewerbsfähiger, in: Wiwo 27 26.6.20, S. 39.

Man sieht in der Corona-Krise genau, dass Asien besser mit der Krise fertig wird. Japan, Südkorea und Taiwan haben relativ wesentlich geringere Infiziertenzahlen. Bei China fehlen leider die genauen Zahlen, aber auch hier kann das gleiche vermutet werden. Das liegt auch daran, dass der Virenschutz Priorität vor dem Datenschutz hat.

2022 gerät die Luca-App in die Diskussion. Man fragt sich, was die App noch bringt. Der Nutzen ist zunehmend umstritten. Schleswig-Holstein verabschiedet sich. In einigen Bundesländer, wie in RLP, hat die Polizei versucht, die Daten für andere Zwecke zu missbrauchen.

15. Prognose (Gesellschaft, Konsum, Urlaub, Wirtschaft): Eine seriöse Prognose ist nicht möglich. Man hat zwei zuverlässige Anhaltspunkte: Die Mathematik und die Erfahrungen in China,  Südkorea und Italien, die uns um einige Wochen voraus sind. (Analogierechnungen sind aber immer ungenau) Die Krankheit breitet sich exponentiell aus mit bisher nicht gekannter Geschwindigkeit. Verbot von Großveranstaltungen, Schließung von  Schulen und Hochschulen gab und gibt es überall. Ganze Städte und Regionen sowie einzelne Länder werden abgeriegelt. Viele Länder arbeiten mit Ausgangssperren, also quasi Quarantäne. Die systematische Früherkennung von Infektionen war und ist der Grundpfeiler der Südkoreaner, außerdem radikale Transparenz (was bei uns so nicht möglich ist).  Hinzu kommen Hygiene, Desinfektion mit großem Personaleinsatz und Atemschutzmasken. Es könnte soweit kommen, dass die ganze Welt stillsteht (Lock Down). Das ist einzigartig in der Geschichte. Wir werden in Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt die tiefste Rezession seit dem 2. Weltkrieg bekommen. Für Deutschland gibt es die ersten Prognosen für 2020: Ifo-Institut, München zwischen -7,5% und -20%; Institut für Weltwirtschaft, Kiel -9%. Der SRW rechnet in einer Prognose im Juni 2020 mit - 6,5% Schrumpfung für das ganze Jahr 2020; ab Juli 2020 könnte die Wirtschaft schon wieder um wachsen (V-Verlauf). Für 2021 prognostiziert der SRW + 4,9%.  Die große Unbekannte ist die Forschung nach Impfstoffen und Medikamenten, die auf der ganzen Welt läuft. Darauf beruht die ganze Hoffnung. Auf der anderen Seite müsste man warten, bis ein Großteil der Bevölkerung ausreichende Immunität gegen das Virus entwickelt hat. Das könnte ein Jahr und länger (eineinhalb Jahre) dauern, mit unvorhersehbarem Schaden für die Wirtschaft. Auf jeden Fall dürfte die Welt danach eine andere sein (so auch Bundespräsident Steinmeier). Die Welt wird einsehen müssen, wie wichtig weltweite Vorsorgen (positive externe Effekte) und Kooperationen sind. Je länger eine Shutdown - Situation dauert, desto größer ist der ökonomische Schaden. Alle Länder wägen ab zwischen Gesundheit und Wirtschaft. Einen schweren ökonomischen Schock wird es auf jeden Fall geben, so dass die Wirtschaft einbricht. Deutschland hat ein gutes Sozialsystem (Kurzarbeitergeld, Lohnfortzahlung), ein gutes Gesundheitssystem und ein hervorragendes Finanzsystem (regionale Banken, Hausbanken für Notfallkredite, bewegliche Finanzämter). Damit müsste die Resilienz vorhanden sein, um ein solche Krise zu überstehen. Es wird immer schwieriger, je länger die extreme Phase der Krise dauert (Arbeitslosigkeit, Insolvenzwelle). Schlechter sieht es in einigen EU-Ländern (Italien, Spanien) und den USA sowie in China aus. Eine Gefährdung der Existenz der EU und der Weltwirtschaft würde Deutschland hart treffen (rund 50% Exportanteil, ca. 50% der Exporte in die EU, wichtigste Handelspartner USA, China). Diese Multiplikatoreffekte werden uns noch hart zusetzen. Es ist in jedem Falle die größte Rezession bzw. Depression der Weltwirtschaft seit dem 2. Weltkrieg. Im Oktober 2020 kommt eine 2. Welle. sie trifft Deutschland und ganz Europa. Deutschland und viele andere Länder verfügen für November 2020 wieder einen Lockdown. Experten gehen davon aus, dass wir noch 2 Jahre mit der Pandemie leben müssen. Wir müssen neue Wege finden, damit umzugehen. Kontaktbeschränkungen sind das einige Mittel, das hilft (neben den AHA-Maßnahmen). Langzeitfolgen sind noch völlig unerforscht. Sie dürfen seelischer, sozialer und ökonomischer Art sein. Unser Wohlstand dürfte sinken (eng damit korreliert die Lebenserwartung). Viel Risiken müssen gegeneinander abgewogen werden. Ohne Solidarität in der Gesellschaft dürfte es nicht gehen.  "Hoffen wir, dass alles nicht so schlimm wird, wie es ist", Karl Valentin.

Die Rolle des Staates wird nach der Krise eine andere sein. Er rückt in den Mittelpunkt und übernimmt gegenüber dem Markt/ Privat wesentlich mehr Verantwortung. Man wird mehr Vergleiche zwischen den Staaten anstellen: Warum hat Deutschland eine so geringe Sterberate? Warum ist der Arbeitsmarkt hier so flexibel? Warum kann Deutschland so schnell so viel Finanzmittel bewegen? Man redet von Slack (Reserven). Das sind in diesem Falle finanzielle Reserven (geringe Staatsverschuldung). Als Gegenmodell zu Deutschland kann die USA gelten. Das kommerzialisierte Gesundheitswesen, der rigide Arbeitsmarkt (hire and fire) und die hohe Staatsverschuldung  zeigen dem System die Grenzen auf. Corona wird eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Vgl. zur Theorie: Ökonomischer Schock.

Corona-Krise und Wettbewerb: Es wird befürchtet, dass die Pandemie die Konzentration der Konzerne begünstigt und den Staatseinfluss auf die Wirtschaft spürbar erhöht. Die Gründung von Start-ups könnte verhindert werden. Die Monopolkommission will sich in ihrem Hauptgutachten im Juli 2020 mit den Corona-Folgen für die Wettbewerbspolitik beschäftigen. Es könnte künftig weniger KMU in Deutschland geben (höhere Insolvenzrate). Eine Machtverlagerung zu größeren Unternehmen könnte eintreten. Es wird auch nachhaltige Struktur - Veränderungen geben: Das wird vor allem den Dienstleistungsbereich und den Handel betreffen. Vgl. Losse, Bert: Tötet das Virus den Wettbewerb? in: WiWo 21 15.5.2020, S. 36f.

Niemand kann zurzeit eine klare Prognose abgeben. Besser ist es Fragen zu stellen, die die mögliche Richtung anzeigen: 1. Ist für Kriege kein Geld mehr da? (besser als Krieg). 2. Übernimmt Asien die Führung in der Wirtschaft? (China kommt viel besser aus der Krise als die USA). 3. Gibt es eine Abkehr von der Globalisierung? 4. Wie aktiv darf der Staat sein und kehrt der Nationalstaat zurück? 5. Investition statt Konsum? 6. Wer soll das bezahlen? (Steuererhöhungen, Ausgabeneinsparungen). 7. Werden die Wachstumsraten der Staaten aufgrund der Schuldenlast wesentlich niedriger sein? 8. Wird sich die Lage der Entwicklungsländer verschlechtern (weniger Investitionen, weniger Exporte, weniger Geld aus dem Ausland)? Vgl. aktuell auch dazu: Clemens Fuest: Wie wir unsere Wirtschaft retten. Der Weg aus der Corona-Krise, Berlin (Aufbau) 2020.

Totalitäre Regime scheinen einen Vorteil bei der Pandemie zu haben. Trotzdem trauen viele Experten der USA zu, dass sie ihre Vormachtstellung noch eine zeitlang halten kann. Vgl. Martin Eichenbaum: Pandemievorteile für totalitäre Regime, in: WiWo 32, 31.7.20, S. 38f (auch Ders.: The Macroeconomics of Epidemics, 2020).

Natürlich hängt viel davon ab, ob eine zweite Welle kommt. Am schlimmste wäre ein zweiter Lockdown. Die Wirkung wäre verheerend. Noch mal kann man die Geldsummen nicht aufbringen bzw. die Schulden merklich erhöhen. Vgl. auch: Hans-Werner Sinn: Der Corona-Schock. Wie die Wirtschaft überlebt, Freiburg, Basel, Wien (Herder) 2020, S. 43f. Der Lockdown in der zweiten Welle kommt dann im November 2020. Er muss zweimal verlängert werden bis weit in den den Januar 2021. Die aktuelle Wirtschaftskrise im Lockdown fällt zusammen strukturellen Problemen der Wirtschaft. Das ist der größte Umbau seit dem zweiten Weltkrieg. Er trifft viele Branchen. Die Politik sollte helfen, die Unternehmen aus der Krise hinaus zu führen und bei Innovationen zu unterstützen. Die USA und China liefern große Teile des digitalen Betriebssystems. Deutschland und die EU müssen aufholen.

Manche Experten sehen die Pandemie als Katalysator einer neuen Zeit. Sie vergleichen die Situation mit der Renaissance der Goldenen Zwanzigerjahre. So sieht Tyler Cowen, ein US-Ökonom aus Virginia, bei der Totalen Faktorpoduktivität (TFP) bald den höchsten Wert aller Zeiten. Der US-Ökonom Robert Barro hat eine umfangreiche Studie über die Spanische Grippe gemacht. Diese führte im Schnitt zu einem Rückgang des BIP. Er dämpft also die Erwartungen. Andere sehen auch eine falsche Interpretation: Die defizitären Staatshaushalte führten letztendlich auch zum großen Crash, der Weltwirtschaftskrise 1929. Andere sehen durch das Zusammenspiel von Geld- und Finanzpolitik euphorische Erwartungen an den Märkten. Vgl. Losse, Bert: Euphorische Übertreibungen, in: WiWo 6/ 5.2.21, S. 36f. Die Staatsschulden müssen natürlich zurückgezahlt werden. Wenn keine weiteren Katastrophen eintreten und das Szenario weiter so positiv bleibt wie bisher, ist das in ca. 9 Jahren möglich (auf den Stand von 2019 zu kommen). Doch was ist, wenn nicht?

Die Corona-Krise dauert lange an. Es kommt eine 2. Welle im Winter 2020/21 und eine 3. Welle im März/ April 2021. Der dritte Lockdown, der politische Vertrauensverlust und das andauernde Impfdebakel verzögern den erwarteten Konjunkturaufschwung. Die Schäden in der Wirtschaft wachsen. Man setzt eine gewissen Hoffung auf China und die USA als Lokomotive. Die neuesten Wachstumsprognosen im März 21 für Deutschland liegen bei nur noch 3,0% BIP-Wachstum 2021. Die Prognose für China liegt bei 9,0%, für die USA bei 6,0%. Bei der Welt insgesamt wird ein Wachstum von 5,0% erwartet. Quellen: IWF, Eurostat. Pro Woche verliert die deutsche Wirtschaft im Lockdown 2,5 Mrd. €. Im 1.Quartal 2021 schrumpft das BIP in Deutschland noch (Lockdown, 3. Welle). Wichtige Handelspartner werden massiv getroffen (Brasilien, Indien). Lockdown und mangelnde Frachtkapazitäten behindern den globalen Güterverkehr. Im Herbst 2021 muss die Fed in den UDA ihre Prognose des BIP für 21 revidieren: von 7% auf 5,9% (Delta-Variante).

Corona wird sicher nicht die letzte Pandemie sein. Forscher arbeiten weltweit an Instrumenten für ein Frühwarnsystem: Viren entdecken, Infektionen erkennen, Krankheiten diagnostizieren. Es gibt Experten, die argumentieren, dass die Pandemie Deutschlands Schwächen offen gelegt hätten. Es gebe Frustration über das Krisenmanagement, Vertrauensverlust und Entfremdung in weiten Teilen der Bevölkerung. Wir müssten endlich lernen, Risiken einzugehen. Vgl. Schularick, Moritz: Was Deutschland aus der Pandemie lernen muss, München/ Beck 2021.

Die Impfquote in Deutschland kann nicht genau ermittelt werden. Sie liegt im Oktober 2021 zwischen 70 und 80% (Zweitimpfung). Die Stiko empfiehlt eine Drittimpfung für Senioren ab 70 Jahre. Wegen der zu geringen Impfquote kommt eine vierte Welle. Die Intensivstationen in Bayern, Thüringen und Sachsen müssen Patienten in andere Bundesländer verlagern. Die Leopoldina, in der auch führende Virologen sind, empfiehlt dringend alle Kontakte zu beschränken. Ein allgemeiner Lockdown steht an, auch eine Impfpflicht (Scholz will eine in das neue Infektionsschutzgesetz integrieren). Die Weltgesundheitsorganisation sieht das Risiko durch die neue Omikron-Variante aus Südafrika als "sehr hoch" an. Strengere Coronaregeln rücken näher. Die wichtigsten Impfstoffe (Moderna, Biontech) müssen angepasst werden. Am 2.12.21 wird auf einer Bund-Länder-Konferenz ein weitgehender Lockdown für Ungeimpfte beschlossen. Er ist verbunden mit einer flächendeckenden 2G-Regel (2G im Einzelhandel, 3G am Arbeitsplatz). Viele Länder setzen noch zusätzlich auf 2G-Plus für bestimmte Institutionen (Gastronomie, Fitness-Studios). Omikron ist wesentlich ansteckender und verbreitet sich rasend in GB und den Niederlanden. Die Niederlande gehen eine Woche vor Weihnachten in den Lockdown. GB wird zum Virus-Variantengebiet erklärt. Die Omikron-Welle scheint erst im März 2022 dem Ende entgegen zu gehen. Die meisten Corona-Beschränkungen enden am 20 März 2022.

Ein neues Infektionsschutzgesetz des Bundes 2022 gibt den Ländern mehr Verantwortung. Es scheint die Handschrift der FDP zu tragen. Die Länder kritisieren aber auch, weil zu wenig flexible Maßnahmen da seien. Dann kommt eine neue Infektionswelle. Es sind die Affenpocken. Die Stiko empfiehlt im Juni 2022 eine Impfung von Risikopersonen (Männer mit engem körperlichen Kontakt zu Männern). Im Sommer 2022 gibt es auch wieder eine Corona-Welle. Die Variante BA.5 ist extrem ansteckend (keine Masken mehr, Impfungen liegen weit zurück). Der Erreger passt sich immer besser an. An Long - Covid rätseln die Forscher immer noch herum: Gehirndefekte sind unter anderem im Gespräch.

Anfang Juli 22 zieht eine Expertenkommission eine gemischte Bilanz des bisherigen Kampfes gegen den Virus. Die Wirkung von Einzelmaßnahmen sei kaum für sich genommen zu beurteilen (Lockdown, Kontaktnachverfolgung, Schulschließungen, Maskenpflicht). Künftiges Vorgehen wird nicht erleichtert. Seit dem ersten Corona-Fall im Januar 2020 bis Mitte 2022 hat der Bund 300 Mrd. € zur Bekämpfung der Pandemiefolgen ausgegeben. Aus der Wirtschaft kamen 4,9 Mio. Anträge. Im internationalen Vergleich haben Länder wie USA, Kanada, Japan, GB, Italien eine deutlich expansivere Finanzpolitik betrieben. Das neue Infektionsschutzgesetz wurde von Buschmann (FDP) und Lauterbach (SPD) gemeinsam gemacht. Viele Länder und Verbände kritisieren. In einer Videokonferenz machen die Landes-Gesundheitsminister Verbesserungsvorschläge. Sie sehen Nachbesserungsbedarf. Ende August 22 stehen die neuen Corona-Regeln: Es soll nur noch einige bundesweite Regelungen geben (FFP2-Maskenpflicht im Flug- und Bahnverkehr). Länder sollen weitere Vorgaben anordnen können.   Am 1. September 2022 erteilt die EMA die Zulassung für Omikron-Vakzime. Im Dezember 2022 sehen Drosten (Virologe) und der Vorsitzende der Impfkommission Merten ab Sommer 2023 Corona als Endemie statt Pandemie an. Die Ampel diskutiert das Ende aller Corona-Regeln (nach dem Infektionsschutzgesetz bis April 23). Es bilden sich aber immer neue Varianten. Besonders ansteckend ist XBB.1.5 (wie gefährlich?). 

"Leben ist, was passiert, während du andere Pläne machst", John Lennon (1940-1980, einer der vier Beatles, ermordet in New York).

 

Der Umgang mit der Inflation ist oft wie ein Kampf gegen Windmühlen. Diese Windmühle auf dem Bild steht auf der Insel Werder im Havelland. In früheren Jahrhunderten kamen Inflationen in der Regel nach Kriegen, die finanziert werden mussten, oder nach verschwenderischen Ausgabeverhalten der Fürsten (Schlösser, andere Prunkbauwerke, massenweiser Einsatz von Gold). Die globale Abhängigkeit oder der Einfluss des Konsums fehlten oft. Heute ist Inflation ein sehr komplexes Phänomen und ökonomisch eine Herausforderung. Viele Experten glaubten auch, das es sie gar nicht mehr geben könne und sie ein Relikt der Vergangenheit sei. Im Jahre 2022 wurden diese eines Besseren belehrt.

Die Rückkehr der Inflation in der Welt und wirtschaftspolitische Reaktionen darauf (ab 2021, Vgl. zu einer ausführlicheren Darstellung Economics/ Basic Geldpolitik)

Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen, Chinesisches Sprichwort (vgl. Bild oben).

"Wenn meine Informationen sich ändern, ändere ich meine Meinung", berühmter Satz, der von J. M. Keynes stammen soll (es gibt aber keinen Beweis dafür). Auch von ihm: "In truth, the gold standard is already a barbarous relic", 1924.

Erste Inflation und erste Inflationstheorie (Jean Bodin, 1530-1596) sowie Laws Geldexperiment und Geschichte insgesamt: 1324 n Chr. kommt es zu einer der ersten und berühmtesten Inflationen der Geschichte: Mansa Musa, König von Mali und damals reichster Mann der Welt, macht seine Reise nach Mekka und gibt dabei soviel Gold aus, dass der Goldpreis weltweit verfällt und 20 Jahre braucht, um sich wieder zu erholen. Bodin machte eine der ersten Untersuchungen zum Thema Inflation. Im 16. Jh., als die Bevölkerung wuchs, brachte er die Menge der Waren mit der zirkulierenden Geldmenge in Verbindung und machte für den Preisanstieg in Europa den Zustrom an Silber und Gold aus den spanischen Kolonien in Südamerika verantwortlich.

Inflation hängt mit dem Ursprung von Geld zusammen. Geld ist und war Mittel zum Tausch, Maß für die Schuld, Pfand für Ansprüche auf Eigentum und Medium der menschlichen Gesellschaft. Vgl. Mayer, Thomas: Das Inflationsgespenst. eine Weltgeschichte von Geld und Wert, Salzburg/ München (ecowin) 2022, S. 25ff.  "Eisen war das gewöhnliche Handelsmittel unter den Spartaner, Kupfer unter den alten Römern, Gold und Silber unter den reichen handeltreibenden Nationen", Adam Smith.

Berühmt wurde auch John Laws Geldexperiment. Man spricht von der Mississippi-Blase im frühen 18. Jahrhundert. Er hatte das Geldgeschäft in der Bank von Amsterdam kennen gelernt. Er gründete die Gesellschaft des Westens in Amerika. Um 1720 kam Law in Schwierigkeiten. Die Güterpreisinflation erreichte 77%. Aktienpreise und Papiergeld liefen aus dem Ruder. Richard Cantillon analysierte als erster die Krise (Nature of Commerce in General, 1755).

Inflation gab es auch schon bei den Römern. Menschen horteten Münzen aus Angst vor der Inflation (260 bis 293 n. Chr., Münzfund in der Schweiz). In der antiken Art der Inflation wurden Kurantmünzen (Metallwert entspricht dem aufgedruckten  Wert) durch Scheidemünzen (Nominalwert höher als Metallwert) ersetzt. Vgl. Gaulke, Jürgen: Inflation, München 2022, S. 28f.

Vor 100 Jahren 1923 mündete in Deutschland die Große Inflation, die bereits 1914 mit dem Ersten Weltkrieg ihren Anfang nahm, in der Hyperinflation von 1923. Bis heute herrscht in der deutschen Bevölkerung und Politik eine Inflationsaversion. Anlässlich dieses Jubiläums und der zuletzt stark gestiegenen Inflation in Deutschland werden die möglichen Ursachen und die damit verbundenen unterschiedlichen theoretischen Erklärungsansätze zur Großen Inflation diskutiert. Eine Rolle spielten der Krieg, die Reparationszahlungen, die Zentralbankabhängigkeit, die Abweichung vom Edelmetallstandard u. a. Vgl. dazu: Zeitgespräch, in: Wirtschaftsdienst 2/ 2023, S. 79ff. Es kommt zu einer Existenzkrise der Weimarer Republik. Armut, Hunger, Verzweiflung. Kriminelle, Industrielle und andere Hasardeure sehen die Inflationszeit als Chance ihres Lebens. Vgl. Die Zeit 16.3.23, S. 13ff. Auch: Ullrich, Volker: Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund, München (Beck) 2022.

Höhere globale Inflation ab 2021: Die Kosten der Lebenshaltung steigen weltweit. Corona trägt dazu bei (dadurch wurde auch viel mehr gespart). Die Geldschwemme ist eine weitere Ursache. Die demographische Entwicklung trägt auch dazu bei (Alte konsumieren mehr, sie haben mehr Krankheiten, sie leben länger). Vgl. Fischer, Malte: Grund zur Panik, in: WiWo 5, 29.1.21, S. 38f. Auch renommierte Wissenschaftler gehen zumindest ab 2022 von einem Anstieg der Inflationsrate aus. Von den generellen Ursachen fällt der Anstieg der Löhne weg, weil die Arbeitslosigkeit nach Corona hoch sein dürfte (das kommt aber wegen der demografischen Entwicklung anders). Aber das Geldphänomen schlägt zu. Hinzu kommt der Rückgang der Globalisierung. Neue Wertschöpfungsketten erhöhen die Preise. Charles Goodhart rechnet mit einer Steigerung von über 2%. Er befürchtet eine starke negative Wirkung auf die Staatsfinanzen. Vgl. Inflation, Interview mit Charles Goodhart, in: Die Zeit Nr. 6, 4.2.21, S. 22. Auch Experten in der EU rechnen bald mit einer Teuerung. Die EU wird sie erstmal tolerieren, weil die Erholung der Eurozone Vorrang haben dürfte. Schon ab Januar 2021 beschleunigt sich der Preisauftrieb (1% im Vergleich zum Vorjahresmonat). Auslöser sind die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Einführung eines CO2-Preises für Mobilität und Gebäude. Hinzu kommen die Preise für Stahl und Computerchips, auch Fahrräder. Inflation könnte auch importiert werden, wenn in den USA die Inflation schneller steigt (wegen der kleineren Produktionslücke). Vgl. auch FAZ 25 Februar 2021, S. 17, verschiedene Artikel zur Inflation. ebenso: Thomas Mayer, Peter Bofinger: Kommt die Inflation, in: Handelsblatt (HB) Nr. 41, 1.3.2021, S. 10f. Prominenteste Wissenschaftler für die Inflationsthese sind 2021 Charles Googhart und Maoj Pradhan aus London (Talking Heads Macro): Sie warnen eindringlich vor einer Rückkehr der Inflation. Die Weltwirtschaft stehe vor einer Zeitenwende.  Die Zentralbanken seien ahnungslos und nicht in der Lage, den Preisauftrieb zu stoppen. Sie analysieren zwei gewichtige Faktoren: Die Geldmenge M2 und die alternde Bevölkerung. Vgl. Goodhart/ Pradhan: "Dann verliert das System seinen Anker", in: WiWo 13/ 26.3.21, S. 38ff. Im Mai 2021 setzen Inflationsängste in den USA weltweit die Aktienmärkte unter Druck. 4,2% steigen die Verbraucherpreise im April 2021. die USA stecken in einer ähnlichen Situation wie nach dem 2. Weltkrieg. Damals sprang die Inflationsrate von 2 auf 20%, weil die Politik tatenlos zuschaute. Vgl. auch: Zeitgespräch: Inflation nach Corona: Sind die Sorgen berechtigt? (Johannes Mar, Peter Bofinger, Silke Tober, Günther Schnabl), in: Wirtschaftsdienst 9/2021, S. 673ff.  "Die Inflationsrate bleibt nicht auf Dauer so niedrig wie im vergangenen Jahr", Jens Weidmann, Bundesbank-Präsident, im Februar 2021. Die Gegenposition nimmt Joseph Stiglitz ein: "Inflations - Warner liegen völlig daneben", HB Nr. 45, 5./6./7.3.21, S. 10f. (Interview).  2021 steigen die Preise. Das Leben wird teurer. Die Notenbanken drucken aber weiterhin Geld, weil dei hoch verschuldeten Staaten darauf angewiesen sind. Der Welt droht eine längere Phase mit höherer Inflation. Es steigen Güterpreise und Vermögenspreise. In der Eurozone ist 2020 M3 weit über dem realen BIP (Geldüberhang). In den USA geht die Inflationsrate 2021 über 5%. Die Fed setzt auf abwarten.

Grundlagen der Inflation (aus dem Lateinischen: aufblasen, anschwellen) ist eine dauerhafte Preissteigerung, die über ein bestimmtes Maß hinausgeht und zur Geldentwertung führt, so dass sich die Kaufkraft vermindert. Wer Geldvermögen besitzt wird auf kaltem Weg enteignet, es beginnt eine Flucht in die Sachwerte. Als Vordenker gilt der französische Staatsanwalt Jean Bodin (1530-1596; Sechs Bücher über den Staat 1576). Als Kolumbus Amerika entdeckt, fließt viel Gold und Silber nach Spanien und löst Inflation aus. Verantwortlich für eine Inflation können eine zu hohe Geldmenge, eine überhöhte Nachfrage, zu hohe Kostensteigerungen beim Angebot und der Import aus dem Ausland sein. Die Preissteigerung, die von ca. 600 Preisbeobachtern in ca. 40.000 Läden ermittelt wird,  wird durch den Preisindex für die Lebenshaltung gemessen (Index von Laspeyres mit Betonung auf Basisjahr, zur Zeit 2010), dem ein repräsentativer Warenkorb (rund 750 Produkte, aufgrund der EVS mit 62.000 HH alle 5 Jahre gebildet; wie viel Geld für welche Produkte ausgegeben wird, fließt in ein Wägungsschema ein) zugrunde liegt. Die Kerninflationsrate schließt Lebensmittel- und Energiepreise aus. Mittlerweile gibt es auch einen Index der wahrgenommenen Inflation (IWI: gefühlte Preise, H. - W. Brachinger). Die Preisstabilität aufrecht zu erhalten, ist Aufgabe der Europäischen Zentralbank bzw. der Zentralbanken. Geringverdiener und Rentner sind stärker betroffen. Mit der hohen Staatsverschulung nach der Weltwirtschaftskrise steigt für die Regierungen die Verlockung, den Schuldenberg mit hoher Inflation abzutragen. Nach Ausmaß und Geschwindigkeit unterscheidet man schleichende und Hyperinflation. Vgl. als klassischen Aufsatz: Robert Lucas, Some International Evidence On Output-Inflation Tradeoffs, in: AER, 1973. Im vierten Jahrhundert vor Christus druckte als zweiter in der Geschichte der Herrscher von Syrakus Dyonysos Geld (die ersten wurden in Lydien geprägt; alle Münzen wurden in doppelter Zahl und halber Größe verbreitet). Inflation gab es auch schon im Römischen Reich. Nero und seine Nachfolger streckten Goldmünzen. Ähnlich gingen die Fürsten im 30jährigen Krieg vor. 1623 hatte ein Inflation in Deutschland viele Vermögen aufgefressen. Weil die Fürsten Geld brauchten, ließen sie immer schlechtere Münzen herstellen ("Kipper und Wipper"). 1923 gab es eine Hyperinflation in Deutschland mit 533 Mio. % Inflationsrate. Nach dem 2. Weltkrieg und der Währungsreform gab es in Deutschland eine Inflation von 14,8%. 1975 in vielen Industriestaaten (7,2% in Deutschland mit der Ölpreiskrise). Eine der ersten und berühmtesten Inflationen der Geschichte wurde 1324 n. Chr. von Mansa Musa, König von Mali, ausgelöst. Auf seiner Reise nach Mekka gab er soviel Gold aus, dass der Goldpreis verfiel.  Treffen Inflation und Stagnation (Wirtschaftsflaute) zusammen, spricht man von Stagflation. Unternehmen können wegen der schwachen Nachfrage die steigenden Kosten nicht in Form höherer Preise weitergeben und streichen Jobs. Ein Rückgang der Preise über eine bestimmte Zeit wird als Deflation (vgl. auch speziellen Artikel unten) bezeichnet. 2009 sind die USA und Japan betroffen. Japan kennt das Phänomen schon aus den 90ern. Prominente Ökonomen (Mankiw, Rogoff) in den USA fordern, eine hohe Inflation (6%), um die "Schuldenbombe" zu entschärfen. Sicher hat sich in den letzten Jahren (nach der Finanzkrise) der Charakter der Inflation verändert. Die Gefahr steigender Güterpreise tritt in den Hintergrund gegenüber den spekulativen Übertreibungen an den Finanzmärkten. Insofern muss Geld dorthin gelenkt werden, wo es produktiv gebraucht wird. Die Geldströme müssen stärker gesteuert werden (vgl. Mark Schieritz: Die Inflationslüge, München 2013). Schwierig ist beim Preisindex und bei der Inflation die Qualität einzubeziehen: Steigt die Qualität der Produkte stärker als der Preis, verbessert dies den Lebensstandard. In den letzten Jahren wurde der Index stark vom Ölpreis dominiert. 2016 sind Venezuela (482 %) und Südsudan (212 %) die weltweiten Spitzenreiter bei der Inflation. 2018 kehrt die Inflation zurück. Dies geschieht etwas verzögert, da die Löhne dem Konjunkturaufschwung folgen. Die Risiken scheinen aber überschaubar zu sein.

Neue globale Erklärung der Inflation heute:  Sie stammt von den beiden britischen Ökonomen Charles Goodhart und Monjoj Pradhan (The Great Demographic Reversal, 2020): Zunehmende Handelskonflikte in der Welt und steigender Protektionismus würden dazu führen, dass die Unternehmen die Produktion wieder näher an ihren Heimatstandort holen. Das könnte zu höheren Kosten und damit zu höheren Preisen führen. Außerdem werden die Menschen der führenden Industriestaaten immer älter. Sie arbeiten weniger und konsumieren einen größeren Teil des Einkommens  als Junge. Wenn mehr gekauft wird und weniger produziert (Halbleitermangel, Corona), steigen die Preise (Beispiel: E-Bikes). Außerdem wird über die höhere Inflation auch ein Preis für die Corona-Lockdowns gezahlt. Die Mehrwertsteuer war vorübergehend geringer, die Energiepreise waren rückläufig. Die Deglobalisierung scheint die Inflation tatsächlich anzuheizen: Der Covid-19-Schock führte in Deutschland 2021 zu einem Rückgang der grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten um 35%. Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts planen 19% der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland. Roboter könnten die Überalterung wahrscheinlich auffangen. Vgl. Dalia Marin: Deglobalisierung: Wird die Inflation angeheizt? in: Wirtschaftsdienst Heft 12/ 2021, S. 924.

Exkurs: Price Level Targeting (PLT): Die niedrigen Zinsen sind vor allem eine Folge der Demographie in den Industrieländern. Wegen der zunehmenden Lebenserwartung sparten die Menschen verstärkt fürs Alter; das hohe Kapitalangebot drücke den natürlichen Zins  (bei der die Wirtschaft mit normaler Auslastung ihrer Kapazitäten wächst und das Preisniveau stabil ist) gegen null. Die Zentralbanken werden daher gezwungen, ihre Leitzinsen den Marktzinsen anzupassen. Drohe eine Rezession, müssten sie den Leitzins unter den natürlichen Zins und damit unter null Prozent drücken, um die Konjunktur zu stützen. Dann gibt es ein Problem: Bei negativen Zinsen fliehen die Menschen ins Bargeld, und die Banken in eine Krise. Eine höhere Inflation könnte dieses Problem lösen. Genau hier setzt das PLT - Konzept an. Die Idee geht auf den ehemaligen Fed - Chef Ben Bernake zurück. Die Inflation dürfe auch mal den Zielwert von 2,0% überschreiten. Jahre mit zu niedriger Inflation dürften durch Jahre mit hoher Inflation ausgeglichen werden. die Mensche antizipieren das und ziehen in der Flaute geplante Käufe vor und kurbeln so die Konjunktur an.

Importierte Inflation: Eine zusätzliche globale Erklärung betrifft das Auseinanderdriften der Geldpolitik und der Zinsen in den USA und der EU. Das hat Einfluss auf den Wechselkurs des Euro zum Dollar. Inflation stärkt den Dollar und schwächt den Euro. Der Euro schwächelt (zuletzt 1,15 Ende Oktober 21; Mitte November schon 1,13 und 1,12). Somit erhöht sich das Preisrisiko über die Einfuhrpreise. Vgl. Losse, Bert: Importschlager Inflation, in: WiWo 44, 29.10.21, S. 36f. Diese Hypothese würde auch dem kurzfristigen Überschießen der Inflationsrate in Krisenzeiten (vorübergehendes Phänomen)  widersprechen.  Die importierte Inflation ist auch eine Folge der stark steigenden Kosten bei Containern. Die Frachtkosten haben sich auf den wichtigsten Routen (China - USA; China - Europa) vervielfacht (über 20.000 US-$). Die Frachtkosten könnten sich 2022 wieder normalisieren. Die Erzeugerpreise steigen im Oktober 2021 um 18,4 %, was der stärkste Anstieg seit 70 Jahren ist. Vgl. zu dieser Hypothese relativ ausführlich: Hans-Werner Sinn: Die wundersame Geldvermehrung. Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation, Freiburg/ Basel/ Wien (Herder) 2021, S. 371ff. Wenn dieser Prozess sich 2022 fortsetzt in der Weise, dass die Fed bremst und die EZB nicht mitzieht, wird sich ein wachsendes Zinsdifferenzial zwischen dem Dollar - Raum und der Eurozone ergeben. Die asymmetrische Geld- und Zinspolitik dürfte viele Anleger veranlassen, ihr Geld in US-Treasury Bills umzulenken. Das führt zu einer höheren Dollarnachfrage auf den Devisenmärkten. Das wiederum führt zu einer Aufwertung des Dollar und zu einer Abwertung des Euro. Die Abwertung verstärkt den Preisauftrieb, die importierte Inflation wird beschleunigt. Vgl. auch: Sinn, H. - W.: Warum wir eine geldpolitische Kehrtwende brauchen, in: WiWo 51/ 17.12.21, S. 43. Hinzu kommt das zögerliche Vorgehen der EZB (der Zinsabstand zur USA wächst) im Kampf gegen die Inflation. So könnte der Wechselkurs des Euro bald 1:1 zum Dollar stehen. Ausländische Waren werden teurer für Konsumenten, die Inflation beschleunigt sich, der Wohlstand sinkt. Stark leiden auch die Unternehmen: Die deutschen Exporte bestehen zu 41% aus importierten Gütern und Vorleistungen, die Importquote bei Bruttoanlageinvestitionen liegt bei 30%. Die Unternehmen könnten ihre Anstrengungen zur Kostenkontrolle und Produktivitätssteigerungen vernachlässigen und so an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Vgl. Fischer, Malte: Absturz einer Währung, in: WiWo 19/ 6.5.2022, S. 38f. Vgl. auch: Bernoth, Kerstin u. a.: Zeitgespräch. Importierte Inflation und Zinswende: Herausforderungen für die EZB, in: Wirtschaftsdienst 6/ 2022, S. 422ff. Am 12.7.22 erreicht der Euro die Parität zum Dollar. Energieimporte, die in Dollar berechnet werden, verteuern sich enorm.

Protektionismus als Inflationstreiber: Mit Zollsenkungen und Liberalisierung des Außenhandels kann man die Inflation bekämpfen. Am intensivsten vertritt Larry Summers diese These (ehemaliger Finanzminister der USA). Der Freihandel könnte also Preis dämpfend wirken. 1994 lag der weltweite noch bei 8,6%, im Zuge der weltweiten Liberalisierung schrumpfte er bis 2017 auf nur 2,6%. Im selben Zeitraum verringerte sich die globale Durchschnittsinflation von rund 31% auf 3,2%. Mit dem Einzug Trumps ins Weiße Haus wurde der Protektionismus stark erhöht und China sowie die EU folgten. Vgl. Fischer, Malte: Inflationstreiber Protektionismus, in: WiWo 15/ 8.4.2022, S. 36f.

Kosten einer Inflation: Schon durch Preisänderungen selbst werden Kosten verursacht ("Speisekarten-Kosten"). Dann besteht die Gefahr, dass Ressourcen verschwendet werden, wenn die Menschen aufgrund der Inflation ihre Kassenhaltung verringern ("Schuhsohlen-Kosten"). Ein Rückgang der Kaufkraft muss nicht unbedingt auftreten, weil die Unternehmen ihre Mehreinnahmen an die Arbeiter weiter geben können. Weitere Kosten können Steuerverzerrungen und Vermögensumverteilungen sein. Vgl. Mankiw/ Taylor/ Ashwin: Volkswirtschaftslehre für Schule, Studium und Beruf, Stuttgart 2015, S. 406ff. Ebenso Acemoglu, Daron u. a.: Volkswirtschaftslehre, München 2020, S. 807. Wenn man berücksichtigt, dass 2014 und 2015 die Vermögenspreise in Deutschland explodieren, könnt man hier von einer versteckten Inflation sprechen.

Nullzinspolitik und soziale Gerechtigkeit: Die Nullzinspolitik der EZB (Draghi) ist extrem unsozial. Geringverdiener haben kaum noch eine Möglichkeit, ihren Lebensstandard zu sichern. Damit können sie auch keine Rücklagen fürs Alter bilden, um die Rente aufzubessern. Die Politik mag den Regierungen in Griechenland, Italien oder Spanien helfen, aber sicher nicht den Menschen. Sie werden kalt enteignet wie alle Sparer in der EU. Weniger betroffen sind Gutverdiener und die Reichen. Sie investieren in Immobilien, Aktien oder legen ihr Geld im Ausland an. Nach einer Untersuchung an der Uni Mannheim 2016 (Prof. Klaus Adam) habe ein Fünftel der Haushalte in der Euro-Zone weder etwas vom Boom an den Finanzmärkten noch den steigenden Immobilienpreise. Die Vermögensungleichheit werde durch die Niedrigzinsen verschärft. Die Bundesbank argumentiert dagegen, dass sich der Anstieg der Vermögenspreise auch in mehr Wachstum und Arbeitsplätzen auswirke. Das nütze auch den Ärmeren. Anfang 2017 sind die Zinsen immer noch niedrig, aber die Inflation steigt an (Dezember 2016: Deutschland 1,7%; Euroland 1,5%; Ölpreis). Das Geld ist oft falsch angelegt. Darauf sollte die Notenbank reagieren und den Leitzins erhöhen. In den ersten drei Monaten 2018 sinkt erstmals seit sechs Jahren das Geldvermögen der Deutschen im Wert (-1%). Der deutsche Staat ist der große Nutznießer der niedrigen Zinsen. Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 hat er bis 2018 gegenüber dem von 2007 geltenden Zinsniveau 368 Mrd. € eingespart. Allein 2018 konnten Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen 55 Mrd. € einsparen. Profiteure sind auch die Staaten in Frankreich und Italien. Bei einer Abkühlung der Wirtschaft könnten die Notenbanken nicht mehr eingreifen. Insofern sitzen sie in der Falle. Sparer und Anleger müssen sich 2019 in der EU auf Dauer-Nullzinsen einstellen (die Erhöhung im Herbst 2019 soll nicht kommen). Das Billiggeld kann auch den Wettbewerb der unternehmen beeinträchtigen. Die Aktienpreise werden getrieben, die Kreditzinsen gedrückt. Das begünstigt Kredit finanzierte Übernahmen. Der Konzentrationsprozess von Banken und Unternehmen wird vorangetrieben. Das schwächt auch langfristig die Position der Verbraucher und sozial Schwachen. "Die Geldpolitik führt zu einer Umverteilung von unten nach oben. Schwächere Bevölkerungsgruppen verlieren schrittweise ihre Altersversorgung", Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen sparkassen- und Giroverbands, 2019 (Quelle: Focus 41/2019, S. 65).

Aber auch Inflation ist sozial ungerecht. Sie wirkt wie eine regressive Steuer. Sie trifft die Armen mehr als die Reichen. Bei Menschen mit hohem Einkommen ist der Anteil für Nahrungsmittel, Benzin und Energie in ihrem Budget viel geringer. Hinzu kommt, dass die Reichen ihr Vermögen mehr in Gold, Aktien und Immobilien anlegen. Für Menschen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 1600 Euro oder weniger sowie Familien mit höchstens 3300 Euro Nettoeinkommen beträgt die Inflationsrate 8% (mehr als die offizielle). Für Gutverdiener mit 3200 Euro Netto und mehr wird das Leben dagegen nur zwischen 5 und 6% teurer. Quelle: IW, Köln.

Verbraucherpreisinflation und Vermögenspreisinflation: Erste wird mit dem Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes gemessen (siehe oben). Er misst die durchschnittliche Preisentwicklung von Waren und Dienstleistungen (650 Güter). Die Basis bildet ein Warenkorb. Wegen der hohen Schwankungen der Nahrungs- und Energiepreise werden diese bei der Berechnung der so genannten Kerninflationsrate nicht berücksichtigt. Der Vermögenspreisindex wird vom Finanzdienstleister Flossbach und Storch ermittelt. Er ermittelt die Preisentwicklung von Vermögensgütern deutscher Privathaushalte. Die Gewichtung der Vermögensteile stammt von der Bundesbank. Das größte Gewicht haben Immobilien. Es folgt das Betriebsvermögen. Höhere Güterpreise machen die Konsumenten ärmer, ein Anstieg der Aktien- und Immobilienpreise macht die Besitzer reicher. Zuletzt, 2020, sind die Vermögenspreise sehr stark gestiegen, was mit der Geldpolitik der Notenbanken zusammenhängt.  In der Corona-Krise hat sich das Konsumentenverhalten geändert: Es wird weniger für Reisen, dafür mehr für Nahrungsmittel ausgegeben. Deshalb kann der Warenkorb die wahren Kosten der Lebenshaltung nicht richtig abbilden. In den USA steigen 2021 die Häuserpreise rasant. Es droht wieder eine Blase. Die Vermögensinflation gilt weltweit als Wohlstandsfalle. Wenn Vermögen größtenteils in unproduktiven Immobilien liegt, vergeuden wir unseren Reichtum.

Inflationsmessung des Statistischen Bundesamtes in Deutschland: "Die Vorstellung von der Wahrheit bzw. Realität, die einfach nur darauf wartet, ,,richtig“ quantitativ erfasst zu werden, wird der Komplexität der wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Fragestellungen nicht gerecht. Eine einzige Inflationsrate, die für jedes Individuum „wahr“ ist und auch von diesem als wahr empfunden wird, gibt es nicht. Zwar bietet das Statistische Bundesamt mit dem persönlichen Inflationsrechner ein Instrument, die persönliche Inflationsrate zu ermitteln, Aufgabe der amtlichen Statistik bleibt es aber, „laufend Daten über Massenerscheinungen zu erheben, zu sammeln, aufzubereiten, darzustellen und zu analysieren“ (§ 1 Bundesstatistikgesetz). Ziel ist dabei immer, den jeweils besonders relevanten Realitätsausschnitt der Massen - Erscheinung möglichst gut quantitativ zu erfassen. Wenn es um die Frage geht, ob der Euro seine allgemeine Kaufkraft mittelfristig behält oder ob langfristige Zahlungsvereinbarungen ihren allgemeinen Wert behalten, dann liefern die amtlichen Zahlen dafür eine qualitativ hochwertige Datengrundlage. Die Zahlen lassen den gewünschten Aspekt der gesuchten Wahrheit sehr gut erkennen – erfordern aber das Bewusstsein, dass gleichzeitig andere Wahrheitsaspekte ausgeblendet werden". Siehe Hagenkorn-Rieger, Susanne: Wird die "wahre" Inflationsrate gemessen? Praxis der Inflationsmessung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, in: Wirtschaftsdienst, H. 11, S. 842-847, hier S. 847. Es gibt auch einen Inflationsrechner des Statistischen Bundesamtes, mit dem man seine persönliche Inflationsrate berechnen kann: https://service.desatis.de/inflationsrechner/

Exkurs: Warenkorb: Alle fünf Jahre werden 60.000 Haushalte beragt (EVS), was sie mit ihrem Geld machen. Drei Monate notieren sie alles genau (vor der Aufnahme erfolgt eine Prüfung). Dann erfolgt eine Gewichtung. Es gibt auch einen europäischen Index HVPI, der jedes Jahr angepasst wird. 35 Personen beschäftigen sich im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden mit Preisen. Vgl. auch Nienhaus, Lisa: Wer misst die Inflation? in: Die Zeit Nr. 52, 16.12.21, S. 23. Eine ausführlichere Darstellung des Warenkorbes findet sich bei uebung/ Makro/ Geldpolitik.

Kritik an der Messung der Inflation: 1. Auswahl der Güter im Warenkorb. 2. Preisanstieg öffentlicher Güter nicht berücksichtigt. 3. Nichtberücksichtigung schlechterer Qualitäten (Selbstbedienung, Online-Handel ohne Service). 4. Vernachlässigung der Infrastruktur. Vgl. Gunther Schnabl: Die Inflation wird falsch gemessen, in: Focus 24/ 2018, S. 84. 5. Immobilien. 6. Im Frühjahr 2020 kommt ein neues Problem hinzu: Wie misst man Preise, wenn die Geschäfte geschlossen sind? 7. Andere Finanz-Teilmärkte haben stark steigende Preise, wie etwa Aktien und Immobilien (s. o.). Vgl. auch: Schieritz, Mark: Das kann teuer werden, in: Die Zeit Nr. 38, 10.09.20, S. 21. Auch: Schnabl, G./ Sepp, T.: Ist die Inflation in Wahrheit höher? in: WiWo 42, 15.10.21, S. 38. Es werden auch Alternativen entwickelt. So der Inflationsindikator I-Index. Er stellt ein Frühwarnsystem dar, entwickelt von Handelsblatt und TU Dortmund.  Er zielt eher auf Inflationserwartungen im Euro-Raum. Vgl. Olk, J./ Sigmund, T: Positives Echo auf Inflationsindex, in: HB 11./12./13. März 2022, S. 21. In diesem Frühwarnsystem ist die Inflation im Mai 2022 auf einem Rekordhoch. Vgl. HB Nr. 100, 24.5.22, S. 8f. Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt ist, dass in die Inflationsmessung nur Wohnungsmieten einfließen, aber nicht Haus- und Wohnungspreise. Experten sprechen auch von einer versteckten Inflation. Gründe dafür: 1. Inflationsmessung ist zu stark auf Konsum ausgerichtet. 2. Dämpfung der Inflation durch eine riskante Energiepolitik. 3. Integration Chinas in die Weltwirtschaft (dadurch niedrigere Finanzierungs- und Produktionskosten). eine besondere Bedeutung hat die Kerninflation. Sie nähert sich in der Eurozone 2023 der Marke von 6% (Zielwert der EZB ist 2%). Es ist die Teuerung ohne Lebensmittel- und Energiepreise.

Es wird sogar vorgeschlagen, die Wirkung der Zinserhöhung der EZB aus die Inflation speziell statistisch zu erfassen: "Das Ziel sollte darin bestehen, sämtliche durch die aktuelle Zinspolitik der EZB verursachten Preiserhöhungen auszuweisen und im Sinne eines Verursacherprinzips transparent zu machen, damit Konsequenzen sowie Kollateralschäden in Öffentlichkeit und Politik datengestützt diskutiert werden können." Siehe Schwanitz, Joannes: Zinspolitik der EZB wird als Inflationstreiber statistisch nicht erfasst, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2024, S. 211-214.

Exkurs: 20 Jahre Euro: 2001 bis 2021. Am 1. Januar 2022 ist der 20. Jahrestag der Einführung des Euro-Bargeldes. Preisvergleich bei konkreten Produkten. Wichtig ist der Anstieg beim Big Mac von McDonald`s. Er beträgt +63%. Das Wirtschaftsmagazin "Economist" nutzt ihn zum Kaufkraftvergleich. Die allgemeine Inflationsrate von 2001 bis 2020 betrug 29,8%.  Bei wenigen Gütern sind die Preise gefallen (Toilettenpapier, Sekt, Telefon)  Quelle: Focus-Preisvergleich, Focus 51/ 2021, S. 73. Zuletzt trat zum 1. Januar 2015 Litauen zur Eurozone bei. Bulgarien und Kroatien bemühen sich seit Jahren aufgenommen zu werden. Sie erfüllen noch nicht die Kriterien. Rettungspolitik und Reformträgheit haben die Staatsverschuldung in bedrohliche Höhen getrieben (13 Billionen Euro als Summe in den Mitgliedsstaaten) und bedrohen den Euro. 2022 ist der Euro im Sinkflug.  Nach Monaten im Abwärtstrend nähert er sich der Parität zum Dollar. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens dei Rezessionsangst durch den Ukraine-Krieg in Europa. Zweitens die expansive Geldpolitik der EZB, mit der zu späten Umkehr. Am 12.7.22 erreicht der Euro die Parität mit dem Dollar (höhere Zinsen in USA, mehr Inflationsbekämpfung dort). Wegen der Lieferkettenprobleme und der Energiekrise löst das aber keinen Exportboom mehr aus.

Alternativen der Messung: Es wird immer mehr KI eingesetzt (auch im Statistischen Bundesamt). Man arbeitet mit dem Web Scraping: automatisierte Preisabfragen im Internet in Echtzeit. Es wird bei Reiseveranstaltern, Fluglinien, Onlinehändlern eingesetzt. Das sind Anbieter, die mit volatilen Preisen arbeiten. 2023 solen im stationären Einzelhandel Scannerdaten der Kassensysteme die Inflationsmessung präzisieren. Eventuell will die EZB die Immobilienpreise in den HVPI einbeziehen. Es gibt bei privaten Institutionen Versuche, mit Hilfe von KI tagesaktuelle Inflationsraten zu kreieren.  So bei dem Vermögensverwalter Quant Capital Management. Vgl. Zeinlinger, Tina: Das Mysterium der Preise, in: WiWo 31, 30.7.21, S. 38f. Eine besondere Erscheinung der Inflation ist die "Mogelpackung". Man spricht auch auf Denglisch von "Shrinklation". Bei steigenden Kosten und steigender Nachfrage 2022 könnte das Phänomen zunehmen. Mengen und Packungen werden kleiner bei gleichem oder höheren Preis. Das funktioniert, weil viele Kunden die Waren nur oberflächlich prüfen. Vgl. Levy, Danie/ Snir, Avichai: "Shrinking Googs", Working Paper, Emory University, Januar 2013.

Aktuelle Geldpolitik 2015 und später: Das Thema Deflation scheint Mitte 2015 erledigt zu sein. Auf mittlere Sicht kann man wieder 2% Inflation anstreben (harmonisierter Verbrauchsgüterindex). Die Messung der Inflation bleibt umstritten. Es gibt so etwas wie eine "Zukunftsgüterinflation" jetzt schon (Vermögensblasen, asset-prices). Die Transmission der geldpolitischen Instrumente bleibt relativ intransparent: Das hängt erstens mit den kurzfristigen Aktionen zusammen (Fixed Income Trading,  Intraday-Volatility). Zweitens ist das Anlegerverhalten in der Praxis weiterhin hoch komplex (Home Bias, Selbstüberschätzung, Herdenverhalten).  Die strukturellen Probleme im Euroraum sind nicht geklärt: Flexibilität der Arbeitsmärkte, signifikante Anpassung der Lohnstückkosten, Verlust an Produktionskapazität. Die Banken haben sich weitgehend von den Griechenlandrisiken befreit. Weiterhin problematisch ist, dass die Banken für Staatsanleihen keine Eigenkapitalunterlegung brauchen. So Joachim Nagel, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, auf einer Volkswirte - Tagung im Juni 2015 in Nürnberg. Am 16.12.2015 läutet die amerikanische Zentralbank Fed die Zinswende nach fast 10 Jahren ein: Erhöhung des Leitzinses auf das Niveau zwischen 0,25 und 0,50 %. Die EZB senkt aber die Zinsen weiter, am 10.03.2016 auf ca. 0,0%. Auch die Fed muss 2016 wegen verhaltener Wirtschaftsdaten Zinserhöhungen aufschieben. Diese kommen aber dann und setzen sich 2017 fort (auf zuletzt 0,75 bis 1,0%). Geldpolitische Entscheidungen kündigt die EZB erst für das zweite Halbjahr 2017 an. Der IWF erwartet im April 2017, dass in der EU erst in vier Jahren eine Kerninflation von 2% erreicht wird. Im Oktober 2018 werden dann aber schon 2,2% Inflation in der Euro-Zone erreicht, der höchste Stand seit 6 Jahren. Die Impulse der lockeren Geldpolitik laufen auch aus. Das stellt mittlerweile 2018 eine Belastung der Euro-Wirtschaft dar. Der Chefvolkswirt Peter Praet warnt im Januar 2021 vor einem schwierigen Ausstieg aus der Geldpolitik. Er mahnt, Regierungen und Märkte müssten sich rechtzeitig aus steigende Zinsen einstellen. "Eines Tages werden wir eine neue schwere Finanzkrise bekommen, und dann könnten wir negative Zinsen von minus sechs oder minus fünf Prozent brauchen, um schnell aus der Krise zu kommen", Kenneth Rogoff, Ökonom, früherer Chefökonom des IWF.

Orientierung an der Geldmenge: Diese Anlehnung ist in Verruf geraten. Geld wird nicht nur für den Kauf von Gütern und Dienstleistungen verwendet, sondern auch auf Konten gehortet. In Krisenzeiten zirkuliert das Geld auch langsamer. Die Zentralbank kann sie nur unzureichend steuern, weil die Banken darüber entscheiden, wie viel Kredite sie vergeben. Aber die EZB hat mit dem Leitzins großen Einfluss. Viele Experten wollen die Geldpolitik lieber direkt an der Inflation ausrichten, die Geldmenge soll nur Zwischenziel sein. Eine massiv gestiegene Geldmenge signalisiert in der Regel aber immer Inflation. Vgl. Krämer, Jörg: Homo oeconomicus: Über den richtigen Kurs der Geldpolitik, in: HB Nr. 233, 1. 12.21, S. 8. Die Geldschwemme der EZB hat das Fundament gelegt für die Preissteigerungen 2022 und Überwälzungsspielräume erst möglich gemacht.

Exkurs: Quantitätsgleichung (M x U = P x Y, Fisher) und Geldmenge: Beziehung zwischen Geldmenge, Umlaufgeschwindigkeit und nominellem Wert des Outputs einer Volkswirtschaft. Kann auch geldmengeninduzierte Inflation erklären. Fisher-Effekt=Ein-zu-Eins-Anpassung des Nominalzinssatzes an die Inflationsrate (Es handelt sich um die langfristige Beziehung zwischen laufender Inflation und Zinssätzen, Irving Fisher, 1867 - 1947). Fisher war der erste große US-Ökonom.  "Unsere Währung ist den Kreditbanken ausgeliefert, die nicht Geld verleihen, sondern Versprechungen auf Geld, das sie nicht haben", I. Fisher (100% Money, 1936). In der EU wird mit der Geldmenge M3 gearbeitet (der Zusammenhang zwischen M3 und Verbraucherpreisinflation wird allerdings immer instabiler). Die Geldmenge M3 sinkt Ende 2009 erstmals seit dem Euro-Start (Kreditvergabe an Unternehmen stark rückläufig). Ende Januar 2022 haben wir einen extremen Geldüberhang erzeugt (Geldmenge M3 und nominales Bruttoinlandsprodukt in Euro-Land, indexiert). Nach dem Greshamschen Gesetz drängt in der Geldzirkulation schlechtes Geld gutes Geld aus dem Markt. Erstmals wiesen M. Friedman und Anna Schwartz nach, dass die Geldmenge keine passive Größe ist, sondern ein Steuerungselement, das die Wirtschaftsdynamik entscheidend beeinflusst.   Die EZB räumt 2007 Probleme mit ihrer geldpolitischen Strategie ein: es gebe keine stabile Beziehung zwischen Geldmengenwachstum und Inflation. Der Gleichlauf von Geldmenge und Immobilienpreisen bedarf dringend einer Klärung.

Modern Monetary Theory (MMT): Eine Regierung, die in der eigenen Währung Kredite aufnimmt, kann nicht zahlungsunfähig werden. Sie kann so viele Banknoten drucken lassen, wie sie für die Bezahlung ihrer Verbindlichkeiten benötigt. Einige Befürworter der Theorie rechtfertigen auf Basis des Konzeptes exzessive Staatsausgaben. Sie ignorieren die Probleme hoher Staatsverschuldung. Substanziell neu sind die Erkenntnisse nicht. Sie werden auch eher von Politikern zur Rechtfertigung genutzt. Vgl. Beck, Hanno/ Prinz, Aloys: Wie revolutionär ist die Modern Monetary Theory? in: Wirtschaftsdienst 2019/6, S. 415ff. In den USA wollen die Vertreter dem Weißen Haus Zugang zur Notenpresse verschaffen. Das könnte nach der nächsten Wahl zügig eingeleitet werden. In den USA ist Stephanie Kelton eine der Protagonistinnen der Theorie (The Deficit Myth). Sie spricht von einer "kopernikanischen Wende". Der Staat könne so viel Geld drucken wie er wolle. Der Staat sei der "monetäre Souverän". Mit Steuern könne er nur ein Teil seines Geldes wieder einziehen. In den USA hat diese Richtung viele Anhänger unter den Demokraten. Ein Wahlsieg könnte einen Schulden - Tsunami zur Folge haben. Es gibt viele Kritiker dieser Theorie. Man spricht von "modernem monetären Unsinn" oder "Voodoo-Ökonomik unserer Zeit" (Rogoff, Summers, USA). In Deutschland gehört H. W. Sinn zu den Kritikern: Der Geldüberhang lande in der "Liquiditätsfalle"  und überschuldete Staaten müssen vor steigenden Zinsen geschützt werden. Eine etwaige Inflation könnte durch eine Rückführung der Geldmenge nicht mehr gezügelt werden. Vgl. Sinn, H. W.: Zerstörung der Inflationsbremse, in: HB 4.1.2021, S. 10. 2022 hat die Theorie auf die Stagflation keine Antwort. Sie würde die Inflation noch befeuern. Vgl. Heissler, J./ Losse, B.: "Diese Illusion ist zerplatzt", in: WiWo 33/12.8.22, S. 36f. Sehr kritisch zu dem Ansatz: Fendel, Ralf/ Schmidt, Andre: Verglüht der Stern der Modern Monetary Theory, in: Wirtschaftsdienst 1/ 2023.  "Wenn sie Politikern die Notenpresse aushändigen, ist es eine Frage der Zeit, bis die Inflation steigt - mögen die Politiker am Anfang noch so große Schwüre leisten, sie nur im besten Sinne zu bedienen", Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der EZB und Professor in Würzburg. Quelle: WiWo 31/26.7.2019, S. 24. "Die Hysterie um Haushaltsdefizite ist vorbei", Stephanie Kelton, Stony-Brook-Uni New York, eine der führenden Vertreterinnen der MMT. Sie kämpft gegen Schuldenbremsen. Quelle: WiWo 44, 23.1020, S. 38.

Zusammenhang Zinsen und Investitionen im Wandel (neue Investitionstheorie?):  Die Digitalisierung und die zunehmende Bedeutung der Dienstleistungen haben den Zusammenhang von Zinsen und Investitionen geschwächt. Seit Mitte der 1990er-Jahre hat sich der Anteil der Unternehmensinvestitionen in nicht-physisches Kapital in der Euro-Zone auf 23% fast verdoppelt. Digitale Geschäftsmodelle kommen meist ohne großen Maschinen- und Anlagenpark aus. Weil den Banken dadurch die Sicherheiten für Kredite fehlen, müssen sich die Unternehmen über einbehaltene Gewinne und Wagniskapital finanzieren. Höhere Zinsen schlagen dadurch weniger stark auf Investitionen durch als noch vor Jahrzehnten. Die Zentralbank muss die Leitzinsen also stärker anheben, will sie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit die Preise bremsen. Vgl. Fischer, Malte: Der lange Schatten der Geldpolitik, in: WiWo 5/ 27.1.23, S. 36f.

Negativer Zins: Als Folge der expansiven Geldpolitik der Zentralbanken ist der Zins vereinzelt negativ (z. B. Altenburg). Daraufhin entsteht eine Debatte über die Natur des Zinses und die angemessene Höhe. Prinzipiell entstehen negative Zinsen aufgrund einer Sparschwemme ("savings glut"). Das entspricht auch der Zinstheorie von Böhm-Bawerk (1850-1914). Ein negativer Marktzins würde langfristig aber das kapitalistische System zerstören. Der Einlagenzins der EZB ist ja schon seit Juni negativ. Deshalb hat eine Kapitalflucht aus der EU eingesetzt.  Große Geldhäuser parken enorme Summen außerhalb der Euro-Zone. Sparkassen in Deutschland beginnen im Mai 2016 damit, Gebühren für die Anlage hoher Geldbeträge zu nehmen ("Verwahrgeld"). Bei den ökonomischen Ursachen für das permanente Sinken der Zinsen gehen die Ansichten auseinander. Eine Gruppe der Ökonomen führt die Niedrigzinsen auf die Alterung der Gesellschaft zurück (z. B. Carl Christian von Weizsäcker). Der Sparwunsch übersteige die Möglichkeit, Geld zu positiven Realzinsen anzulegen. Eine andere Gruppe sieht die Niedrigzinsen als folge der schwachen Kreditnachfrage und der expansiven Geldpolitik der Notenbanken (z. B. Stefan Homburg; siehe "Sind die Sparer selbst schuld? in: Wirtschaftswoche 25, 17.06.16, S. 24ff.). Wenn Negativ-Zinsen für alle Bankkunden eingeführt würfen, würde die Hälfte der Kunden ihr Geld abheben. 2016 sind ca. 1,64 Billionen Euro in Deutschland auf Konten angelegt, die fast Nichts an Zinsen bringen. Anfang 2020 führen auch viele Sparkassen und Volksbanken Strafzinsen ein (16 Institute). Insgesamt verlangen 38 Institute (Stand Januar 2020)  Negativzinsen (Quelle: Finanz-Vergleichsportal Verivox).

Digitales Geld und Druckerpresse: Auf den Zusammenhang zwischen der Bargelddiskussion, digitalem Geld und Negativzinsen geht der Ökonom Sinn in seinem neuen Buch von Ende 2021 ein. Er spricht von Bargeld als Störfaktor für die Notenbanken. Digitales Zentralbankgeld könnte die Inflation kaschieren helfen und sogar Helikoptergeld beinhalten (Beispiele Frankreich und USA; Seiten 289ff.). Mit der Abschaffung von Bargeld und den aktuellen Entwicklungen bei digitalem Geld beschäftigt sich folgender Abschnitt bei mir: Geldpolitik. Vgl. als umfassende aktuelle Analyse auch: Hans-Werner Sinn: Die wundersame Geldvermehrung. Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation, Freiburg/ Basel/ Wien (Herder) 2021. Der Titel sagt schon viel bezüglich der Inflationsgefahr. Der Autor fängt mit den drei großen Krisen (Subprime, Mittelmeer, Corona) als Ausgangspunkt an. Dann behandelt er die EZB als Rettungsinstanz. Es folgen die Konsequenzen (Druckerpresse, Geldmengenvergrößerung, Schulden). Sinn analysiert auch die Geldpolitik der EZB (Liquiditätsfalle, Negativzinsen, Zerstörung der Inflationsbremse). Er zeigt schließlich Wege auf, den Gefahren zu entkommen.

Wahrscheinlichkeit für steigende Zinsen ab 2021 (Corona-Krise): Für langfristig steigende Zinsen sprechen drei Faktoren. 1. Demographie (Alterskonsum steigt, Sparquote sinkt). 2. Technologie. 3. Institutionen (Eigentumsrechte im globalen Süden). In dieser Vorhersage sind unvorhersehbare Katastrophen nicht drin: Krieg, resistente Keime, Meteoriteneinschlag. Vgl.  Prof. Schwager, Uni Göttingen, in einem Vortrag beim bdvb am 2.3.2021. Im Laufe des Jahres 2021 gefährden die globale Ausweitung der Deltavariante des Corona-Virus und die anhaltenden Lieferengpässe (insbesondere Halbleiter, Chips) die Erholung der Konjunktur. Damit sinken die Aussichten für höhere Leitzinsen und die Chancen schwinden, eine neue Finanzkrise zu vermeiden. Vgl. Fischer, Malte: Der infizierte Aufschwung, in: WiWo 32/ 6.8.2021, S. 36f. Die Bank of England prescht im Dezember 21 mit einer Leit-Zinserhöhung vor (von 0,1 auf 0,25%). Die Fed kündigt mehrere Erhöhungen für 2022 an. Der Leitzins der EZB bleibt bei 0 (Einlagenzins für Banken -0,5%), wahrscheinlich auch 2022, weil sie mit Eindämmung der Inflation 22 rechnet. Aber PEPP (Corona-Notkaufprogramm) läuft Ende März 22 aus, APP soll ab dem 2. Quartal 22 erhöht werden.

Inflationserwartungen: Sie werden als Ursache der Inflation mit gesehen. Diese spielen bei Verbrauchern und Firmen eine Rolle. Sie führen zu einer Anschaffungsneigung: Man kauft, weil man mit steigenden Preisen in der Zukunft rechnet. Also werden Anschaffungen vorgezogen. Die Zentralbanken hegen 2021 Zweifel an der Relevanz der Inflationserwartungen. Obwohl diese These mittlerweile zum Standardwissen der Ökonomie gehört (Arbeiten von Milton Friedman und Edmund Phelps in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts). Der Ökonom und Nobelpreisträger Robert Lucas ging noch eine Schritt weiter: Menschen bildeten rationale Erwartungen aus und nähmen die Folgen einer expansiven Geldpolitik in den Lohn- und Preisverhandlungen vorweg. Selbst kurzfristig treten dann keine positiven Beschäftigungseffekte mehr auf. Die Notenbanken scheinen sich von diesem Paradigma zu lösen. Ausgangspunkt ist eine aktuelle Studie der Fed 2021 mit dem Titel "Why Do We Think Inflation Expectations Matter for Inflation? And Should We?". Der Autor ist Jeremy Rudd. Nach seiner Meinung sollten die Zentralbanker die Aufmerksamkeit auf die Kosten der Wirtschaft lenken. Auch die EZB verfolgt ähnliche Gedanken. Unstrittig ist, dass die Erwartungen der Menschen über die zukünftige Preisentwicklung schwer zu messen sind. Es gibt auch den Verdacht, dass es Zentralbanken nicht mehr um die Preisstabilität geht, sondern darum, Staatsschulden durch Inflation abzuschmelzen. Vgl. Fischer, Malte: Ich denke, also kauf ich, in: WiWo 46, 12.11.21, S. 38f. Der monetäre Makroökonom Ricardo Reis, London School of Economics, weist besonders darauf hin, dass die eZB zur Bekämpfung der Inflation, die Inflationserwartungen der Menschen unter Kontrolle bringen müsse. Vgl. Interview mit ihm in WiWo 8/ 17.2.23, S. 38f.

Risiko für die Staatshaushalte in der Zukunft (erneute Schuldenkrisen? Schuldenbremse. Finanzpolitik gegen Geldpolitik ): Die Anleihekäufe der Notenbanken werden bei steigenden Zinsen zu finanziellen Hochrisiken für die Staatshaushalte. Das kann schneller als gedacht kommen. Die Laufzeiten der Schulden sind in den USA relativ kurz. Vgl. Rajan, Raghuram: Der Fluch der quantitativen Lockerung, in: WiWo 35, 27.8.21, S. 41. Vgl. auch: Wullweber, Joscha: Zentralbankkapitalismus, Transformation des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten, Suhrkamp Verlag 2021. Paris fordert eine Euro-Reform. Der französische Finanzminister Le Maire dringt Ende 2021 auf neue Schuldenregeln. Die 60-Prozent-Grenze sei obsolet. Auch die Defizitkriterien will er anpassen. Vgl. Interview im Handelsblatt (Nr. 222, 18.11.21, S. 4f.).

Die Schuldenquoten der Länder im Süden Europas sind nicht gut: 2021 betrugen sie in Italien 150% (des BIP), in Portugal 127%, in Griechenland 193%. Es könnte also eine erneute Schuldenkrise drohen (damit auch eine Euro-Krise), wenn die EZB ab Juli 2022 die Leitzinsen erhöht. Der italienische Notenbankgouverneur Ignazio Visco beschwert sich im Juni 2022 schon über einen Aufschlag von 2 Prozentpunkten gegenüber dem Zinsniveau in Deutschland. Trotzdem wird auch Deutschland Probleme bekommen. 154 Mrd. € hat der Bund in den vergangenen zwei Jahren durch einjährige Schatzanweisungen aufgenommen. Diese müssen demnächst durch höhere Zinsen abgelöst werden. Vgl. Fischer, M. u. a.: Weich, weicher, Euro, in: Wiwo 26/ 24.6.22, S. 16ff.

Die EZB will steigende Risikoprämien für die Staatsanleihen von Schuldenstaaten verhindern (Krisenmechanismus). Bisher ist der Mechanismus so, dass die Zinsen der Staatspapiere nach der Bonität der Emittenten differenziert werden. Damit ergibt sich eine Fragmentierung, die heilsam sein kann. Eine Aufhebung - wie auch immer - würde die Stabilität des Euro-Systems gefährden. Vgl. Sinn, Werner: Die gefährliche Semantik der Notenbanker, in: WiWo 29/ 15.7.2022, S. 41. Die EZB steckt in einem Dilemma. Erhöht sie die Zinsen nur wenig, kriegt sie die Inflation nicht in den Griff. Erhöht sie die Zinsen stark, könnten einige länder in Europa (Südländer) kollabieren. Es gibt interessante andere Vorschläge. So etwa die Löhne in Deutschland stärker anzuheben als in den Ländern Italien, Portugal und Frankreich. Dann würden diese Länder wettbewerbsfähiger (Brunnermeier/ Princeton). Vgl. Nienhaus, Lisa: Er jetzt auch noch, in: Die Zeit Nr. 30/ 21. Juli 2022, S. 19. Kritisch Vgl. Krämer, Jörg: Die große Transformation der Staatsschulden, in: WiWo 37/ 9.9.22, S. 39.

Die Regierung steckt immer mehr Schulden in Sondervermögen und Fonds. Zu Beginn 2023 beträgt der Umfang rund 900 Mrd. €. Das kann auch die Inflation treiben. Es sind Kreditermächtigungen für Schulden, also Fremdmittel der staatlichen Instanzen. Dazu gehören der Finanzmarktstabilisierungsfonds (480 Mrd. €), der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (250 Mrd. €), Sondervermögen Bundeswehr (100 Mrd. €), Energiepreisbremse (200 Mrd. €), deutscher Klima- und Transformationsfonds (177 Mrd. €). Auch das NextGeneration EU-Projekt ist ein Sondervermögen. Vgl. Sinn, Hans-Werner: Die faulen Tricks der staatlichen Schuldenmacher, in: WiWo 4/ 20.1.2023, S. 39. Insofern konterkariert die Finanzpolitik die Geldpolitik.

Allerdings reduziert die Wiederkehr der Inflation die Möglichkeit der Geldpolitik, den Regierungen mit Käufen von Staatsanleihen die Schuldenfinanzierung von Ausgaben zu erleichtern. Hinzu kommen geringere Spielräume im Staatshaushalt durch zunehmende Zinslasten. Damit werden auch Schulden finanzierte Großprojekte in der EU immer schwerer. Es gibt Streit über die EU-Schuldenregeln. Die 27 EU-Finanzminister nähern sich aber an. Am 14.3.23 werden Eckpunkte für mehr Zeit und Flexibilität beschlossen (betroffen ist besonders Italien).

Die Haushaltsprobleme der USA werden 2023 größer. Unter Biden wuchsen die US-Verbindlichkeiten um weitere 3,7 Billionen Dollar. Das jährliche Defizit soll sich bis 2033 fast verdoppeln auf 2,7 Billionen. Steigende Zinsen, hohe Militär- und Sozialausgaben führen zu einer neuen Diskussion über gesetzliche Schuldenobergrenze. Die Bonität der USA, der größten Wirtschaftsmacht der Erde, steht auf dem Spiel. Die CDS (Kosten für Versicherungsschutz) sind schon deutlich gestiegen. Vgl. Heissler, Julian: Das Spiel des Sparens, in:  WiWo 13/ 24.3.23, S. 42f.

Im Mai 2023 verschärft sich die Situation. Der US-Regierung rennt die Zeit davon, um eine Katastrophe abzuwenden: In wenigen Wochen droht ein Zahlungsausfall. Der könnte die Konjunktur und die weltweiten Finanzmärkte erschüttern. Ende April 2023 erreichen die Schulden 31,5 Billionen $. Die Schuldenobergrenze liegt bei 31,4 Billionen $. Ein Ausweg ist noch nicht klar (moderate Republikaner stimmen einer Anhebung des Limits zu; weiterhin Kreditaufnahme; Prägen einer Platin-Münze). Vgl. HB 9.5.23, S. 6f.

Im Mai 2023 verschärft sich die Situation. Der US-Regierung rennt die Zeit davon, um eine Katastrophe abzuwenden: In wenigen Wochen droht ein Zahlungsausfall. Der könnte die Konjunktur und die weltweiten Finanzmärkte erschüttern. Ende April 2023 erreichen die Schulden 31,5 Billionen $. Die Schuldenobergrenze liegt bei 31,4 Billionen $. Ein Ausweg ist noch nicht klar (moderate Republikaner stimmen einer Anhebung des Limits zu; weiterhin Kreditaufnahme; Prägen einer Platin-Münze). Vgl. HB 9.5.23, S. 6f. Präsident Biden glaubte, dass im Schuldenstreit ein Kompromiss gefunden wird. Dieser Optimismus wurde vom Markt lange geteilt. Jetzt schwindet die Zuversicht. Vgl. HB 16.5.23, S. 32f. Die letzte Einigung zerschlägt fast die Republikaner. Ein neuer Sprecher muss gewählt werden.

Im November 2023 stoppt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Ampel: Es entsteht ein 60-Milliarden-Loch. Karlsruhe verwirft den Kniff der Regierung, nicht benötigte Kredite aus Corona-Zeiten in einen Fonds für Klimaschutzmaßnahmen zu überführen. Geklagt hatte die Union. Es ist ein Haushaltsurteil zur Schuldenbremse. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Transformationsfonds bestehen grundsätzlich folgende Möglichkeiten: 1. Wenger Geld ausgeben (Sparen). Mehr Geld einnehmen (Steuererhöhung). 3. Neues Sondervermögen (zwei Drittel Mehrheit in Bundestag und Bundesrat). 4. Reform der Schuldenbremse (zwei Drittel Mehrheit). 5. Haushaltsnotlage. 6. Wahrscheinlich sind noch andere Gelder in Gefahr (z. B. WSF, 200 Mrd. €). Es wird eine Haushaltssperre erlassen (Finanzministerium prüft jede Ausgabe). Es herrscht keine Planungssicherheit. Die Haushaltsplanung ist unklar. Die Verabschiedung des Etats für 2023 ist fraglich. Der Haushalt liegt auf Eis und kann vielleicht 2023 nicht mehr verabschiedet werden. Vorschläge: Krisensoli für Superreiche. Dienstwagenprivileg abschaffen. Energiepreisbremse fallen lassen.

Die höheren Zinsen und das schwache Wachstum lassen die Schuldenquoten vieler Staaten anschwellen. Das wird sicher weitgehende Folgen haben - auch für die Notenbaken. Insgesamt gehen die weltweiten Schulden von Haushalten, Unternehmen und Staaten nach oben. Das schmälert auch den fiskalischen Spielraum der Regierungen.  Vgl. Fischer, Malte: Feuer unter dem Schuldendach, in: WiWo 48/ 2023, S. 36ff.

Exkurs: Schuldenmentalität und Folgen. Die Zentralbanken haben in der Regel 2% Inflation pro Jahr als Ziel. Die stete Inflationierung stellt einen unwiderstehlichen Anreiz zur Aufnahme von Schulden dar. Hohe Schulden machen die Wirtschaft anfällig für Krisen. Die faktische Vollkaskozusage der Zentralbanken hat dazu geführt, dass die Menschen immer größere Teile ihrer Ersparnisse durch Fremdkapital hebeln und in den Finanzsektor stecken. Dadurch bleibt weniger Geld für Spenden übrig. Die Finanzialisierung der Gesellschaft lässt die private Wohltätigkeit verkümmern. Vgl. Hülsmann, Guido: Die Wirtschaft und das Unentgeltliche, 2023.

Exkurs. Kommunalfinanzen: "Seit 2022 sind Inflation und Zinsniveau in Deutschland merklich erhöht. Wir arbeiten mittels einer Szenarienrechnung die Auswirkung der höheren Preise und Zinsen auf die Finanzierungssalden der Kommunen in Nordrhein-Westfalen heraus und berücksichtigen dabei systematische Unterschiede zwischen höher und niedriger verschuldeten Kommunen. Zwar stehen gestiegenen Kosten auf der Ausgabenseite einige positive Effekte auf der Einnahmenseite entgegen, etwa weil einige Steuern an nominalen Größen anknüpfen. Der Gesamteffekt auf den Finanzierungssaldo ist in unseren Szenarien aber negativ." Siehe Christofzik, D./ Isaak, N./ Jessen, R./ Kirsch, F.: Inflation und Zinsen: Wirkungen auf die kommunale Finanzlage in NRW, in: Wirtschaftsdienst 1/ 2024, S. 58-63.

Bekämpfung der Inflation durch den Staat durch Preisstopp (Höchstpreise, staatliche Preispolitik): Normalerweise führt ein Preisstopp in Marktwirtschaften zu Wohlfahrtsverlusten. Wenn der staatliche Höchstpreis im Modell (Preis-Mengen-Diagramm, Marshall-Diagramm) unter dem Marktpreis liegt, werden Güter künstlich billiger und daher stärker nachgefragt als im Gleichgewicht.  Anbieter produzieren zum niedrigeren Preis aber nur eine bestimmte Menge. Es kommt so zu einem Nachfrageüberschuss bzw. einer Angebotsknappheit. Konsumenten und Produzenten stehen schlechter da als bei freier Preisbildung. 2021 gibt es eine Diskussion in Deutschland darüber, weil viele Preise direkt oder indirekt politische Preise sind: Benzin, Gas (die Frage ist auch, ob Politikversagen vorliegt).  Es gibt auch Forderungen nach einem Inflationsausgleich. Berühmt ist der Preisstopp von Richard Nixon in den USA 1971 für 90 Tage. Hintergrund war der Einsturz des Bretton-Woods-Systems (infolge der Finanzierung des Vietnam-Krieges). Zunächst gab es Erfolge: 3 Monate blieben die Preise konstant. Doch dann gingen sie wieder stark nach oben. Die Lehre von damals war, dass nur eine Verknappung der Geldmenge hilft. Vgl. auch Streitgespräch zwischen Sinn und Sigl-Glöckner "Heizt der Staat die Inflation an? in: Die Zeit Nr. 3/ 13.1.22, S. 10.

Auch die staatliche Abfederung der starken Steigerung der Energiepreise 2022 durch soziale Maßnahmen (Tankrabatt, 9-Euro-Ticket) könnte bei Auslaufen Preissprünge auslösen. Eine weitere 2022 diskutierte Maßnahmen des Staates sind Indexierungen. Man könnte Lohindexierungen einführen, um die Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. Damit könnte auch der EZB der Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik erleichtert werden. Vgl. Fischer, Malte/ Losse, Bert: Eine Zwangsjacke für Notenbanker? Echt jetzt? in: WiWo 35/ 26.8.2022, S. 36f. Anfang 2023 untersucht die EZB die Effekte staatlicher Inflationshilfen. 2022 und 2023 wirken sie positiv auf das BIP, 2024 und 2025 negativ. Sie dämpfen 2022, 2023 die Inflationsrate im Euroraum, 2024 und 2025 erhöhen sie sie. Quelle: EZB-Modellrechnung 2023.

Politisierung der Notenbanken: Diese schreitet sicher global fort. Ein Grund ist, dass zunehmend Ex-Politiker in den Notenbanken den Ton angeben. Der zweite Grund ist, dass sie finanziell unabhängig sind und mit keinem über ein Budget verhandeln müssen. Der dritte Grund ist, dass die Staaten nach den zwei großen Krisen (Finanzkrise, Coronakrise) Geld brauchen. Die ursprüngliche Regelbildung wie sie Friedman oder Eucken befürworteten gilt kaum noch. Die Fed will die Konjunktur anregen oder für mehr Inklusion und Gleichheit arbeiten. Hinzu kommen Klimawandel (Klagewelle), Genderfragen und Kampf gegen Rassismus (auch EZB-Präsidentin Lagarde persönlich). Die Unabhängigkeit ist in Gefahr (man spricht sogar von einer Achse Rom-Paris-Frankfurt). Die Richtung geht auf einen Status hin wie in Asien (Abhängigkeit der Notenbank von der Regierung, so in Japan, Südkorea). Vgl. Fischer, Malte: Mal eben die Welt retten, in: WiWo 24/11.6.21, S. 38f. Vgl. auch: Fischer, Malte: Inflation ist wie ein Erdbeben, in: WiWo 28, 25.6.21, S. 38f. (Interview mit John Cochrane). Auch: Das Dilemma der Geldwächter, in: Der Spiegel Nr. 50, 11.12.21, S. 8. Insgesamt gilt für die Notenbanken der Welt folgende Hypothese: Je länger und expansiver die Geldpolitik, desto schwieriger das Ende. Es stellt sich auch die Frage, ob die Macht der Notenbanken nicht überschätzt wird. Die EZB scheint aber gefangen zwischen den Gefahren der Inflation und einer neuen Euro-Krise (höhere Zinsen führen zu höherer Verschuldung der Staaten). Der Einfluss der Regierungen ist höher als früher.  "Meine Fachleute erwarten etwa für Deutschland zum Jahresende 2021 Raten, die in Richtung fünf Prozent gehen könnten", Jens Weidmann, Bundesbankpräsident, im Juli 2021. Tatsächlich steigt die Inflationsrate schon im August auf 3,9%. Das Ziel der meisten Notenbanken der Welt liegt bei 2%. Vgl. auch: Nienhaus, Lisa: 5 Prozent auf alles, in: Die Zeit Nr. 36, 2. September 2021, S. 19. Das Ifo-Institut erwartet im September 2021 für 2021 mit 3% den höchsten Anstieg der Verbraucherpreise in Deutschland seit 30 Jahren. EZB-Chefin Lagarde bezeichnet sich als geldpolitische Eule (Symbol der Weisheit im alten Griechenland, im Mittelalter für Tod). Ihre Amtszeit endet 2027, dann stehen in Frankreich wieder Präsidentschaftswahlen an. Wahrscheinlich wird sie sich in Trippelschritten in Richtung Exit bewegen (zum Beispiel Anleihekäufe bis 2022 sukzessive einstellen). Vgl. Bartz, Tim: Eule unter Falken, in: Der Spiegel Nr. 44/ 30.10.21, S. 72ff. Die Bilanzsummer der EZB hat sich seit der Finanzkrise 2008 fast verfünffacht auf 8,4 Billionen Euro (+454%). Die Staatsverschuldung im Euroraum ist auf 12,2 Billionen € 2021 gestiegen. Vgl. Münchrath, Jens: Mächtig ohnmächtig, in: HB , Nr. 240, 10./11./ 12. 12. 21, S. 16f. "Der Kredithunger der Regierungen dürfte ebenso hoch bleiben wie die Bereitschaft der Zentralbanken, ihn durch Kauf von Anleihen zu stillen". Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, in: WiWo 32/ 6.8.21, S. 40. Vgl. auch: Stelter, Daniel: Homo oeconomicus/ Zwischen Inflation und Rezession, in: HB Nr. 89/ Montag 2022, S.10. Auch: Fischer, Malte: Die Anatomie der Krise, in: Wiwo 17/ 21.4.23, S. 34f.

Exkurs: Liquiditätsfalle: Als Liquiditätsfalle bezeichnet man die Situation einer Volkswirtschaft, in der die offiziellen Zinssätze so weit gegen null gefallen oder gesetzt sind, dass die herkömmliche Geldpolitik versagt. Das Phänomen, dass Geld bei sinkenden Zinssätzen nicht mehr für Investitionen angeboten wird und somit dem Wirtschaftskreislauf tendenziell entzogen wird, wurde von dem  John Maynard Keynes beschrieben. In der Realität ist Japan seit Beginn der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts das beste Beispiel. Es half nur noch eine Keynesianische Finanzpolitik (im wesentlichen Abenoimics). Die Geldpolitik war am Ende angekommen. Die Finanzpolitik hilft nach Keynes auch nur in der Situation klassischer Arbeitslosigkeit. Die Löhne sind nach unten inflexibel bzw. können nicht weiter sinken wegen der Kaufkraft.  Vgl. J. M. Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Money, Kapitel 15, III (2).

Exkurs. Die Entstehung der Zentralbanken: 1656 kam der schwedische Bankier Hans Witmacker auf die Idee, Geld aus Papier herzustellen (das machten die Chinesen schon im 13. und 14. Jahrhundert). Dies gab den Anstoß zur Entstehung der Zentralbanken, die erste in Stockholm.. Obwohl die Lizenz die Bank als private Institution etablierte, behielt die Krone die Kontrolle darüber. Die zweitälteste Notenbank ist die Bank von England. Sie wurde 1694 ins Leben gerufen. Vgl. Thomas Mayer: Das Inflationsgespenst. Eine Weltgeschichte von Geld und Wert, Salzburg/ München (ecowin) 2022, S. 51ff. Deutschland richtet die Reichsbank ein 1871 (in der Berliner Jägerstraße, später Sitz des ZK der KP). Präsident wird Rudolf Havenstein. Unter ihm explodiert die Inflation. Damit bescherte er den Deutschen ein Trauma, das ihr Verhältnis zu Gelds bis heute prägt. Die Misere beginnt mit dem 1. Weltkrieg. Neun Anleihen gab man heraus, um den Krieg zu finanzieren. Es ist ein Krieg auf Pump, den Deutschland verliert. Nach dem Krieg braucht man Geld für Reparationen. Als die nicht gezahlt werden, marschieren französische und belgische Truppen ein. Ab 2023 druckt man massiv Geld. Die ursprüngliche Golddeckung hatte man aufgegeben. Havenstein stirbt an einem Herzinfarkt. Sein Nachfolger wird Hjalmar Schacht (aus dem Finanzministerium) , der von 1934 bis 1937 Wirtschaftsminister wird. Er fixiert den Umtauschkurs zwischen Renten- und Papiermark. Vgl. Hoffritz, Jutta: Totentanz - 1923 und seine Folgen, Harper Collins 2023.

Wandel im Wirken der Zinspolitik: Die Zentralbanken habe 2023 die Zinsen so kräftig erhöht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Bisher ist ein signifikante Abschwächung der Wirtschaftsleistung in den USA und Europa kaum zu beobachten (Ausnahme Deutschland). Ist die Zinspolitik der Notenbanken neuen Mechanismen ausgesetzt? Folgendes zeichnet ab: 1. Die Verzögerung wird immer länger, also Rezession evtl. später. 2. Änderung der Wirtschaftsstrukturen. Der Dienstleistungssektor ist stark gewachsen. 3. Anteil an Investitionen in IT ist stark gewachsen. 4. Finanzpolster der Unternehmen waren hoch. 5. Vorher wurden lange Kreditlaufzeiten vereinbart. 6. Beim Personal bleiben Unternehmen angesichts der Arbeitskräfteknappheit treu. 6. Die Subventionsprogramme stützen. Vgl. Fischer, Malte: Mit stumpfem Schwert, in: WiWo 35/ 25.8.23, S. 36ff.

Schädliche Nebenwirkungen der riesigen Konjunktur- und Schuldenprogramme: Wie eben schon erwähnt stecken alle Staaten dieser Welt viel Geld in Konjunkturprogramme, um aus der Corona-Krise raus zu kommen und finanzieren dies über Schulden. Das könnte die Inflation antreiben und die nächste Rezession vorbereiten. Vehementer Verfechter dieses Pessimismus ist Larry Summers in den USA. Er spricht von zu viel Nachfrage und zu wenig Angebot: Zu viel Geld auf zu wenig Produktion. Die Inflation in den USA steigt Mitte 2021 schon auf bis 6%.  Den Multiplikator staatlicher Transfers hält er für gering. Geld müsse produktiv eingesetzt werden. Andere Experten rechnen sogar mit einer Stagflation (Angebotsengpässe;  Inflation trotz hoher Arbeitslosigkeit). Dieser Ansicht ist John Cochrane von der Uni Stanford. Die Fed will die Leitzinsen erst 2023 erhöhen. Die Inflation soll jährlich um 2% steigen. Manche Ökonomen in Deutschland rechnen schon Ende 2021 mit einer Inflation bis zu 5%, weil die Industrie die Preise erhöhen will und die Rohstoffe immer teurer werden. Auch die notwendige Energiewende treibt die Preise an. Die Inflation soll die alten Schulden neutralisieren. Nach dem 2. Weltkrieg dauerte dies 40 Jahre (finanzielle Repression). Das Problem heute ist auch, dass viele Schulden im Ausland aufgenommen wurden, vor allem von Entwicklungsländern. Normalerweise müssten die Länder die Steuern erhöhen. "Inflation ist wie ein Drogen-High", Larry Summers, siehe: Die Zeit, Nr. 26, 24. Juni 2021, S. 23. Die globale Verschuldung liegt im November 2021 bei fast 300 Billionen $. Im Jahr 2020 hatten 70 % aller Länder ein Haushaltsdefizit von mehr als 5% (normalerweise nur in Kriegszeiten). "Die Welt kann auf keinen Fall so weitermachen und in gleichem Umfang Schulden aufnehmen wie bisher", Carmen Reinhart, Chefökonomin und Vizepräsidentin der Weltbank. Quelle: WiWo 47, 19.11.21, S. 28. Der EU - Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni will den Schuldenabbau für jeden Mitgliedsstaat einzeln regeln. Die Unterschiede in den Schuldenquoten seien zu hoch. Mitte 2022 will er einen Vorschlag für die Reform des Stabilitätspaktes machen.

Es gibt sogar Ökonomen, die noch weiter gehen. Sie fordern die Regierungen auf, die Staatshaushalte zu konsolidieren. Sie betrachten den Staat als Hauptverursacher der hohen Inflation, der den "Bogen überspannt habe". Einer der prominentesten Vertreter ist US-Ökonom John Cochran. Er veröffentlicht 2023 ein Buch dazu, in dem er seine Argumentation ausführlich darstellt. Er ist Professor an der Denkfabrik Hoover Institution und an der Uni Stanford. : John Cochran: The Fiscal Theory of the Price Level, 2023.

Stagflation? 2021 schnellen die Preise in die Höhe. Rohstoffe und Vorleistungen sind knapp, die Industrie leidet unter Lieferengpässen. Erstmals nach langer Zeit ist das Szenario der Stagflation nicht auszuschließen - die Kombination von Nullwachstum bzw. sehr geringen Wachstum und Inflation. Das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale ist nicht auszuschließen: 1. Die Arbeitskräfte werden knapp (Fachkräftemangel). 2. Der Bevölkerung droht die Überalterung (weniger Sparen, weniger Innovation). 3. Standortpolitik nicht ausreichend (Steuern, Abgaben, Strompreise, Arbeitskosten). 4. Klimaschutzvorschriften. Vgl. Fischer, Malte: Der Preis ist heiß, in: WiWo 21/ 21.5.2021, S. 38f. Durch die vielen Corona-Wellen flacht das Wachstum der Wirtschaft ab. Die Inflation ist so hoch wie lange nicht. Damit könnte Deutschland in eine wirtschaftliche Situation kommen, die es seit den 70er Jahren nicht mehr gab. Der Ukraine-Krieg und die eingesetzten Wirtschaftssanktionen, die Deutschland im Westen am stärksten treffen, könnten eine Stagflation in Europa hervorrufen, die von den Regierungen und der EZB nur schwer zu bekämpfen ist. Die EZB steht vor einem kaum lösbaren Dilemma: Sie muss die Zinsen erhöhen. Die deutsche Wirtschaft und die der EU könnte in eine Stagnation schlingern. Teures Benzin und Gas würgen den Aufschwung sowieso ab, während der zusätzliche Kostenschub die Preise noch stärker steigen lässt. Vgl. auch: Demling, A.: Toxische Mischung, in: Der Spiegel Nr. 16/ 16.4.22, S. 60ff. Weitere Gründe für eine Stagflation können sein: Der Ukraine-Krieg droht die Globalisierung insgesamt zu stoppen. Der Klimaschutz kostet überall Wachstum. Später kommen noch andere Faktoren hinzu: Warnsignale in China, Abschwung in Europa, Inflationsdruck in den USA. Jetzt droht sogar eine globale Stagflation. 2023 scheint in Deutschland ein Jahr der Stagflation zu werden: Man erwartet ein Mini-Wachstum von 0,2% und eine Inflationsrate über 5% (Jahreswirtschaftsbericht, Januar 2023).  Historisch hatten wir in Deutschland eine Stagflation 1975. Vgl. Münchrath/ Olk: Die Angst kehrt zurück, in: HB Nr. 235, 3./4./5. Dezember 2021, S. 46f. 72% der Teilnehmer einer Umfrage des bdvb Ende 2021 glauben, dass die Inflation das ganze Jahr 2022 über der EZB-Zielmarke von 2% liegt. Mindestlohn und Druck der Tariflöhne durch die Gewerkschaften könnten eine Lohn-Preis-Spirale auslösen. Vgl. Losse, Bert: Notfalls müssen wir den Hammer holen, in: WiWo 1/2 2022 (7.1.), S. 40f. "Der Ukraine-Krieg verstärkt stagflatorische Tendenzen, die schon vorher vorhanden waren", Clemens Fuest, Ifo-Chef/ Quelle: HB Nr. 71, 11.4.22, S. 1. Vgl. auch: Nouriel Roubini: Auf dem Weg in eine stagflationäre Schuldenkrise, in: WiWo 42/ 14.10.22, S. 40. Ders.: Mega Threats, München 2022, S. 115ff.

Doch 2023 bleibt die Stagflation ein Horrorszenario. Die Kerninflation bleibt über 5% (5,3). die zinsen liegen im September 2023 schon bei 4,25. In den USA ist zumindest eine deutliche Trendwende sichtbar. Die Kerninflation ist deutlich unter die zindsen gerutscht (4,7 gegenüber 5,5). Das BIP in den USA soll um 2,5% steigen, in der Eurozone nur um 0,6% (Deutschland 0,3%). Das Inflationsziel der EBZ dürfte frühestens 2026 erreicht werden (2,0%). Vielleicht wird man die Mindestreserve erhöhen. Vielleicht verkleinert man bei der EZB auch die aufgeblähte Bilanz, durch den Verkauf von Staatsanleihen. Vgl. Bartz, Tim u. a.: Horrorszenario Stagflation, in: Der Spiegel 37/ 9.9.23, S. 66f.

Inflation in Deutschland: Im September 2021 geht die Inflationsrate knapp über 4 mit 4,1%. Im November werden 5% erwartet (es werden 5,2%). Im Dezember steigt die Inflationsrate auf 5,3% Hauptpreistreiber sind Energie und Lebensmittel. Aber auch die Lieferengpässe und Vorleistungsverteuerungen leisten ihren Beitrag. Das Ifo-Institut rechnet mit einer vorübergehenden Preissteigerung, die wieder abflaut. Es gibt Experten, die das anders sehen. Die Frage ist, wenn die EZB reagieren muss. Sie beruft sich auf die vorübergehende Inflation. Die Situation in Deutschland hat Ähnlichkeiten mit der in den 70er Jahren. Es gibt grundsätzlich zwei Gruppen bei der Beurteilung: Die einen sagen, dass die Preise jetzt nur so hoch erscheinen, weil sie vor einem Jahr außergewöhnlich niedrig waren. Es gebe kaum Anzeichen dafür, dass die Inflation außer Kontrolle gerät. Die anderen weisen darauf hin, dass die Teuerung nicht nur für die Armen ein Problem sei, sondern auch für die Mittelschicht. Sie befürchten auch, dass die höheren CO2-Preise eine "grüne" Inflation erzeugen. Vgl. Muss die Inflation uns Sorgen machen? in: Die Zeit Nr. 41, 7. 10. 21, S. 23. Haupt-Profiteur der Inflation in Deutschland ist der Staat mit seinen Schulden. Über die progressive Einkommensteuer steigen auch noch die Staatseinnahmen. Die Bundesregierung ruft 2022 eine Konzertierte Aktion auf. Sie soll eine Preis-Lohn-Spirale verhindern. Scholz will Sonderzahlungen geringer besteuern.  In ihrer Frühjahrsprognose rechnet die Bundesregierung 2023 mit einer Inflationsrate von 5,9% für 2023, 2024 mit 2,7%. Die Prognose trifft tatsächlich zu: Übers Jahr 2023 5,9% Inflation (zweitteuerste Jahr seit der Wiedervereinigung, 2022: 6,9%). Im Dezember 2023 zieht die Inflation noch mal nach fünf Monaten rückläufigen Werten auf 3,7% an. Die hohe Inflation ist offenbar zäher als gedacht. Allerdings geht sie im Januar 2024 auf 2,9% zurück (geringste Wert seit über zwei Jahren). Im Februar 24 sinkt sie sogar auf 2,5% (Energiepreise, Lebensmittelpreise, niedrigster Anstieg seit juni 21 mit 2,4%). Die hohe Inflation kommt vor allem von hohen Rohstoff- und Energiepreisen. Im November 2021 steigt die Inflationsrate sogar auf 5,2% (stärkster Anstieg seit 29 Jahren; Treiber: Energie +22,1%, Rücknahme der MW-Steuersenkung, CO2-Abgabe, Materialmangel). Hier könnte 2022 eine Normalisierung eintreten (Öl wieder zwischen 60 und 70 $). Der Aktienmarkt könnte sich 2022 weiter positiv entwickeln (niedrige Zinsen, steigende Unternehmensgewinne). In einer möglichen Lohn  - Preis -Spirale liegt ein gewisses Risiko (auch vereinbarter Anstieg des Mindestlohns). Die niedrigeren Organisationsgrade der Gewerkschaften und die Schwerpunktverlagerung auf sonstige Faktoren (flexible Arbeitszeit) machen dies aber nicht sehr wahrscheinlich. Die Inflationsrate in Deutschland war über das Jahr 2021 im Durchschnitt bei 3,1% (Quelle: Statistisches Bundesamt). Im Januar 2022 liegt sie bei 4,9%. "Die Inflationsrate könnte länger erhöht bleiben als gegenwärtig erwartet", Joachim Nagel 2022, neuer Bundesbankpräsident. Er rechnet 2022 mit 4% Inflation in Deutschland. Vgl. Interview "Die Inflation treibt mich um", in: Die Zeit Nr. 7/ 10. Februar 2022, S. 22. Im Februar 2022 liegt die Inflationsrate bei 5,1% (Energie +22,5%). Angesichts des Ukraine-Krieges wird eine Preisexplosion befürchtet. So erreicht man im März 2022 schon 7,3%. Die Erzeugerpreise steigen im März so stark wie noch nie in der Geschichte (viele über 100%:, Durchschnitt Deutschland 25,9%, Eurozone 31,4%)). Das deutet auf eine Langfristigkeit der Inflation hin. Im April 22 steigt die Inflation folglich auf die Höchstmarke seit 40 Jahren 7,4% (Energie, Lebensmittel). Die Marke wird im Mai 2022 noch übertroffen: 7,9%. Im Juni sinkt die Inflationsrate leicht auf 7,6% (Tankrabatt und 9-Euro-Ticket; Energie- und Nahrungsmittelpreissteigerungen liegen drüber). Im Mai 2022 sind die Einfuhrpreise wie in den Vormonaten sehr stark gestiegen, nämlich um 30%.  Erdgas kostet dreimal so viel wie vor einem Jahr. Rohkaffee ist um 63% teurer. Die Erzeugerpreise steigen im August 2022 so stark wie nie zuvor (45%). Das alles induziert, dass uns die Inflation erhalten bleibt und weiter steigt. Im Juni 2022 sinkt sie auf 7,5%  (Gegenmaßnahmen der Bundesregierung, das könnte ab September 2022 anders werden). Im August geht die Rate schon wieder auf 7,9% hoch. Im September 2022 erreicht sie sogar 10,0% (höchster Stand seit 1950er Jahre, Wegfall von Tankrabatt und 9-Euro-Ticket; Energie und Nahrungsmittel als Treiber; Quelle: Destatis/ Wiesbaden). Im Oktober 2022 klettert die Inflationsrate sogar auf 10,4%. In der Herbstprojektion rechnet das Bundeswirtschaftsministerium für 2023 mit 7% Inflation und -0,4% Wirtschaftswachstum. Im Monatsvergleich sinken die Erzeugerpreise im Oktober 2022 um -4,2% (erstmals seit zweieinhalb Jahren, verantwortlich dafür vor allem die Energiepreise). Das lässt auf eine Abschwächung der Inflation hoffen (Ökonomen hoffen, dass der Hochpunkt der Teuerung überschritten ist). Tatsächlich geht die Inflation im November 2022 zurück auf 10,0% (Hauptfaktor: Rückgang der Energiepreise). Über das ganze Jahr 2022 betrug die Teuerungsrate 7,9 % (ähnlich hoher Wert zuletzt 1951: 7,6%). Die Inflation scheint aber 2023 in Deutschland zu sinken. Die Kerninflationsrate (Teuerung ohne stark schwankende Preise wie Lebensmittel und Energie) steigt aber noch mal schwach an (Januar 23 von 5 auf 5,2%). Noch ist unklar war dahinter steckt: Zufall, Abschwung, Staat, Geldpolitik. Vgl. Siedenbiedel, Christian: Warum die Inflation in Deutschland sinkt, in: FAZ 18.1.23, S. 16. Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung rechnet im Januar 2023 mit einem Anstieg der Inflation im ganzen Jahr 2023 von 6,0%. Im Januar 2023 geht die Inflationsrate noch mal leicht nach oben (8,7% gegenüber dem Vorjahresmonat, Auslaufen staatlicher Energiemaßnahmen). Im Jahresdurchschnitt 2022 legten die Erzeugerpreise für pflanzliche Produkte um +27,7% zu (Ukraine-Krieg). Deshalb kann man von weiter steigenden Lebensmittelpreisen 2023 ausgehen. Diese sorgen dann auch dafür, dass die Inflationsrate im Februar gleich bleibt (8,7%). Der SRW  rechnet erst 2024 mit einer Entspannung bei den Verbraucherpreisen. Es kommt eine Absenkung der Preise in Deutschland im März 23 auf 7,4% (Ursache war der Rückgang der Energiepreise). Preistreiber sind vor allem noch die Lebensmittel (+22,3%). Im April 2023 gehen die Preise weiter runter auf 7,2%.  Im Mai 2023 sinken sie sogar auf 6,1% (Lebensmittel allerdings +14,9%). Im Juni 2023 steigt sie wieder auf 6,4% an.  Im Juli 2023 liegt die Inflationsrate wieder bei 6,2%. Lebensmittel bleiben Preistreiber. Im Juli 2023 sinken die Erzeugerpreise erstmals seit drei Jahren um-6%. Die Energiepreise schlagen mit -19% zu Buche, die Lebensmittelpreise steigen weiter um 9%. Im August sinkt die Inflationsrate nur um -0,1%-Punkte auf 6,1%. Das ist eine vorläufige Schätzung des StBA. Preistreiber sind weiter Lebensmittel und Energie. Im September geht die Inflationsrate weiter auf 4,3% zurück (Lebensmittel). Im Oktober 23 sinkt die IR sogar auf 3,8% (sinkende Energiepreise). Es ist der niedrigste Stand seit August 2021. Das könnte vielleicht die Kauflaune der Verbraucher ankurbeln. Derzeit bremst der schwache Privatkonsum die Wirtschaft noch aus. Im November fällt die IR sogar auf 3,2% (Energiepreise gefallen, Lebensmittelpreise gestiegen, über 5%). Experten rechnen wieder mit einem Anstieg Anfang 2024 um +0,7% wegen der Preissteigerungen durch das Haushaltssparprogramm der Bundesregierung infolge des Verfassungsgerichtsurteils (Energie, Lebensmittel). Tatsächlich steigt die IR wieder auf 3,7% im Dezember 23 (Basiseffekt; 2024 drohen weitere Inflationsimpulse). Im Februar 2024 geht die IR spürbar zurück (2,5%, niedrigste Anstieg seit Juni 2021 mit 2,4%). Preistreiber waren etwa Software, Fernwärme und Olivenöl. Experten erwarten einen weiteren Rückgang.

Inflation in der Eurozone: Bei der Inflation in Deutschland ist immer zu berücksichtigen, dass wir Teil der Eurozone sind. In der Eurozone ist ein Wandel der Indikatoren zu beobachten, d. h. man passt sich der veränderten Realität langsam an. So misst man die gefühlte Inflation. Im ersten Quartal 2021 lag die bei 4,5%, gemessen mit dem HVPI. Offiziell lag die Inflationsrate in dieser Zeit bei 1%. Mittelfristig wird als Obergrenze der Preissteigerung 2% angesehen. Referenzwert für Geldmengengewichtungen ist M3. Vgl. die Analyse bei:  Schnabl, Gunther/ Sepp, Tim: Inflationsziel und Inflationsmessung der Eurozone im Wandel, in: Wirtschaftsdienst H.8, August 2021, S. 615-620. EZB-Direktorin Isabel Schnabel wirft Medien vor, unberechtigte Inflationsängste zu schüren. Man spricht vom bösen I-Wort. Vgl. Fischer, Malte/ Goffart, Daniel: Das böse I-Wort, in: WiWo 39, 24.921, S. 28ff. Im Wahlkampf spricht man mehr indirekt darüber: Scholz ist bereit, die Schulden zu erhöhen, Merz ist dagegen. Die FDP, die zu einer Ampelkoalition bereit wäre, spricht sich für die Beibehaltung der Schuldenbremse aus. Sie schließt auch Steuererhöhungen bei einer Regierungsbeteiligung aus. Die EZB zögert noch, ihre Zinspolitik zu ändern. Im September 2021 steigt die Inflation auf 3,4% (schnellste Preissteigerung seit 13 Jahren). Die EZB steckt in einem schweren Konflikt: Auf der einen Seite hat sie den Auftrag, für Preisstabilität zu sorgen. Auf der anderen Seite droht eine Finanzkrise, wenn Italien aufgrund seiner hohen Schulden die steigenden Zinsen nicht finanzieren kann. Trotzdem werden die Staatsanleihen der EZB zurückgefahren (im Bestand allein 30% Italien, 50% Portugal). Staaten werden wieder mehr an Private verkaufen müssen. Wahrscheinlich kommt ein Anschlussprogramm für PEPP (APP läuft weiter). Man braucht auch eine Nachfolgeregelung für die Maastricht-Kriterien. Diese sind zur Zeit wegen der Corona-Krise außer Kraft gesetzt. Die EZB wird sich wahrscheinlich 2022 mit Zinserhöhungen noch zurückhalten. In der Geldpolitik der EZB  stehen sich drei Lager gegenüber: Falken, neutral, Tauben. Noch sind die Tauben in der Überzahl. Ein Grundproblem ist dabei, dass die Währungsunion gespalten ist. Es gibt große nationale Unterschiede. Einige Länder haben extrem hohe Inflationsraten (Litauen, Estland, Belgien, Niederlande, Slowakei). Niedrige Inflationsraten verzeichnen Frankreich, Portugal. Es gibt noch unterschiedliche Warenkörbe (vor allem bei Energie). Eigentlich brauchte man eine asymmetrische Geldpolitik. Vgl. Losse, Bert: Die gespaltene Währungsunion, in: WiWo 9/ 25.2.22, S. 38f. Im Juni 2022 erreicht die Inflation in der Euro-Zone den Rekordwert von 8,6% (Energie und Lebensmittel). Die EZB hebt den Leitzins erstmals seit 11 Jahren wieder an und das gleich auf 0,5%. Am 8.9.22 folgt eine radikale Anhebung um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25%. Am 27.10.22 erfolgt eine weitere Anhebung um 0,75 Prozentpunkte auf 2,0% (Einlagenzinssatz auf 1,5%). Am 15.12.22 erfolgt die nächste Anhebung um 0,5 Prozentpunkte auf 2,5% (Einlagenzins 2,00%). Am 2.2.23 kommt die nächste Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte auf 3,0%. Am 16.3.23 wird der Leitzins auf 3,5% angehoben. Die EZB will die Inflation wieder auf 2% drücken. Doch die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht aus. Für März 2023 ist eine weitere Leitzinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte angekündigt, die auch kommt um0,5 Prozentpunkte auf 3,5% (siehe oben). Die Inflation ist hartnäckig und könnte sich in den nächsten Jahren verfestigen. Am 2.5.23 wird der Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 3,75% angehoben. Im Juni hebt die EZB den Leitzins auf 4% an. Für Juli 23 wird eine weitere Erhöhung angekündigt.  Am 27.7.23 erhöht die EZB den Leitzins um0,25 Prozentpunkte auf 4,25%. wie es im September weitergeht, wird noch offen gelassen. Am 14.9.23 kommt eine weitere Erhöhung um 0,25 Prozentpunkte auf 4,5%.  "Es wäre voreilig, zu behaupten, dass die derzeitige Preisdynamik nächstes Jahr völlig abklingen wird", Isabel Schnabel, EZB-Direktorin 2021. Der belgische Notenbankchef Pierre Wunsch plädiert Ende Oktober 21 für einen Ausstieg der EZB aus dem Anleihekaufprogramm (PEPP). Vgl. Interview in WiWo 43/ 22.1021, S. 36f. Trotzdem lässt die EZB die Zügel weiterhin locker. Dei Forderungen nach einer Kurskorrektur werden aber lauter. Die Front verläuft vor allem zwischen Bankern und Notenbankern. Beide gehen inzwischen von länger anhaltenden Preissteigerungen aus (Banken: 2021 2,5%; 2022 1,9%; 2023 1,5%; hoher Anteil an Energie). Die Notenbanker machen eine Absage gegen eine striktere Geldpolitik, die Banker fordern dies (z. B. Deutsche -Bank-Chef Sewering). Im Oktober 2021 beträgt die Inflationsrate in der Eurozone über 4% (höchster Anstieg seit 2003). Lagarde beharrt weiter auf der jetzigen Geldpolitik der EZB. Sie rechnet fest mit einem Rückgang der Inflation 2022. Im Dezember wird in der EZB entschieden, wie es mit ihren massiven Anleihekäufen weitergehen soll. Im November 2021 steigt die Inflation in der Eurozone auf 4,9%. Das ist die höchste Rate seit Bestehen der gemeinsamen Währungsunion. Im Dezember 21 werden es sogar 5,0%. Noch zeichnet sich eine Straffung der Geldpolitik nicht ab (noch Anleihekäufe APP; PEPP soll Ende März 22 auslaufen, erst nach Beendigung Erhöhung der Leitzinsen).  Die EZB redet auch 2022 noch die Inflationsrisiken klein. Sie verunsichert Bürger und Börsen. Vgl. Fischer, Malte: "Kommunikationspolitisches Desaster", in: WiWo 5/ 28.1.22, S. 38f. Die höchste Inflationsrate in der EU hat Estland (12,0% Dezember 21). Im Euro-Raum lagen die Verbraucherpreise im Januar 2022 um 5,1% höher als im Vorjahresmonat. Die Hoffnung auf einen schnellen Rückgang der Inflation schwindet. Die EZB scheint nun auch eine Zinswende zu planen. Die Frage ist, wie das grundlegende Problem Nord-Süd-Gefälle lösen will (kommt doch ein Schuldenschnitt?). Vgl. auch: Fischer, M. u. a.: Wie lange noch, in: WiWo 7/11.2.22, S. 14ff. und Mayer, T.: Schuldenschnitt statt Euro-Krise, in: WiWo 12/ 18.3.22, S. 44f. Wegen des Ukraine-Krieges muss die EZB den geplanten Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik wohl weiter verschieben. Vgl. Fischer, Malte: Kollateralschaden Marktwirtschaft, in: WiWo 10/ 4.3.22, S. 38f. Auch HB Nr. 46/ 7. März 2022, S. 30. Bis Sommer 2022 sollen die Anleihenkäufe aber reduziert werden. Damit wird ein weiterer Schritt zum Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik gemacht. Ab Herbst 2022 wird eine Zinserhöhung in Aussicht gestellt (dann wird sie auf Juli 22 vorgezogen). Sonst droht der EZB auch der Kontrollverlust. auf der Sitzung im Juni 22 werden die Anleihenkäufe gestoppt (und damit eine weitere Ausweitung der Geldmenge). Auf der Sitzung im Juli 2022 sollen Leitzins und Einlagenzins auf +0,25% angehoben werden (vielleicht noch starker). Im Juni 2022 steigt die Inflation der Euro-Zone auf 8,6% gegenüber dem Vorjahresmonat. Im August 22 erreicht sie sogar 9,1% (Energiepreise +38,6%, Lebensmittel +10,6%). Quelle: Eurostat/ Luxemburg. Vgl. auch: Losse, Bert: Interview mit Otmar Issing, in: WiWo 31/ 29.7.22, S. 38ff. Im Oktober 2022 erreicht die Inflationsrate den Rekordwert von 10,7% (Spitzenreiter ist Estland mit 22%). Im November 2022 geht die Inflation in der Eurozone auf 10,0% zurück. Im Januar 2023 liegt die Inflationsrate noch bei 8,5% (gegenüber Vorjahresmonat; 9,2% im Dezember 22; also dritter Rückgang in Folge). Die Kommission rechnet nicht mehr mit einer Rezession 2023. Es gibt auch Ökonomen, die vor einer zu restriktiven Geldpolitik der EZB warnen: "Eine stark restriktiv ausgerichtete Geldpolitik wirkt zum jetzigen Zeitpunkt übertrieben und kann eine Geldpolitik, die zuvor bisweilen zu expansiv gewesen sein mag, ex post nicht ausgleichen." Siehe Hüther, Michael: Einspruch gegen Übertreibungen, in: Wirtschaftsdienst 2/ 2023, s. 102-104. Im März 2023 schwächt sich die Inflation in der Eurozone ab (6,9% zum Vorjahresmonat). Die Kerninflationsrate (ohne Energie und Lebensmittel) stieg auf 5,7% (5,6% Februar). Im Mai 23 liegt die IR nur noch bei 6,1%.  Im Juni 2023 sinkt die IR auf 5,5% (Energiepreise -5,6%). Im Juli geht sie weiter runter auf 5,3%. Im August ist die IR unverändert (5,3%). Im Mai 2023 ist die EU-Kommission zuversichtlich. Sie gibt folgende Frühjahrsprognose für die EU ab: Wirtschaftswachstum 2023 1,0%; 2024 1,7%. Inflation 2023 6,7%; 2024 3,1%. Arbeitslosigkeit 6,2%; 2024 6,1. Staatsverschuldung 2023 -3,1%; 2024 -2,4%. Die Prognose gibt es auch für die Eurozone. Eine Ausnahme in der EU und der Eurozone ist Spanien: Im Juni 2023 sinkt die IR sogar unter 2%. Spanien ist auch der positive Ausreißer bei der Konjunkturprognose 2023: +2,2% Wachstum. EU insgesamt +0,8%. Deutschland Schlusslicht mit -0,4%. Quelle: EU-Kommission, September 2023. Vgl. auch: Sonnenberg, Nils: Zinsausgaben des Privatsektors im Euroraum, in: Wirtschaftsdienst 11/ 2023, S. 791-792. Im November 2023 ebbt die Inflation in der Eurozone deutlich ab: Teuerungsrate von 2,4% (Vormonat 2,9; vor einem Jahr 10,1). Die EZB hat die Inflation über das ganze Jahr 2023 gut vorhergesagt: 2,8% Sie scheint die Teuerungsrate im Griff zu haben. Allerdings ist die Inflation im Dezember 23 wieder leicht nach oben gegangen auf 2,9% (2,4 im November 23). Im Februar 2024 liegt die IR in der Euro-Zone bei 2,6%. Am höchsten ist sie über das Jahr 2023 in der Slowakei (11%), vor Estland (9,1) und Lettland (9,1). Die drei niedrigsten sind: Spanien (3,4%), Luxemburg 2,9%, Belgien 2,3%.

Exkurs: Organisation der EZB und ihre Politik: Der EZB-Rat ist das wichtigste Beschlussorgan. Er legt die Leitlinien für die Geldpolitik des Euroraums fest. Das Direktorium (Präsident, Vizepräsident, vier weitere Mitglieder, Präsidenten der nationalen ZB der Euroländer, jeweils nur 15 stimmberechtigt, Rotation) bereitet EZB-Sitzungen vor, setzt Beschlüsse durch und führt laufende Geschäfte. Dem erweiterten Rat gehören die 28 Präsidenten aller EU-Staaten an. Im Mittelpunkt steht die Abstimmung zwischen Euro- und Nicht-Euro-Staaten. Seit Ende 2019 ist Christine Lagarde die EZB-Chefin. In der Corona-Krise stellt die Bank ein Notprogramm (PEPP) von 1,35 Billionen Euro zur Verfügung. EZB-Chefvolkswirt ist Philip Lane (Ökonom). Aus Deutschland ist EZB-Direktorin Isabel Schnabel dabei. 3500 Mitarbeiter arbeiten in der Bank. Im Herbst 2020 steht die Bank unter Druck: niedrige Inflation, schwächere Wachstumsaussichten, Furcht vor zweiter Welle. Im Juli 2022 will sie konkret dagegenhalten (Leitzins und Einlagenzins-Erhöhung). Das macht sie dann auch und gleich auf 0,5% (Leitzins, weitere Erhöhungen folgen, auf 2,0% am 27.10.22, zuletzt am 16.3.23 auf 3,5%). Es wurde ein neues Anti-Krisenpaket für die Südländer ausgetüftelt:  Transmission Protection Instrument (TPI). Die EZB kann mit Anleihekäufen einschritten, wenn die Zinsen für Wertpapiere eines Landes unverhältnismäßig stark in die Höhe schnellen. In der Praxis lässt sich allerdings kaum sachgerecht bestimmen, welche Zinsaufschläge bei Staatsanleihen fundamental gerechtfertigt sind. Vgl. Feld, Lars/ Fuest/ Wieland: Warum die neuen Pläne der EZB so problematisch sind, in: WiWo 32/ 5.8.22, S. 41. Die Entscheidungen über eine Zinserhöhung können schnell in der EZB getroffen werden, ebenso wie der Einsatz der weiteren Maßnahmen. Die Zeitverzögerung liegt in der Geldpolitik im Unterschied zur Finanzpolitik in der Wirkung. Als normal gelten eineinhalb bis zwei Jahre ("lang und variabel", M. Friedman). Jede Leitzinserhöhung kostet Wachstum ("sacrifice ratio" - Opferrate). Vgl. Rudzio, Kolja: Völlig losgelöst, in: Die Zeit Nr. 43/ 28.10.22, S. 19. Die EZB hält 2023 rund ein Drittel der italienischen Staatsanleihen und verknappt sie damit künstlich. Deshalb zahlt Italien vergleichsweise niedrige Zinsen. Das Schneckentempo beim Bilanzabbau ist riskant und hält die Inflation hoch. Vgl. Krämer, Jörg: Die EZB konterkariert ihre eigene Politik - und fördert die Sorglosigkeit, in: WiWo 7/ 10.2.23, S. 41. Die EZB ist gleichzeitig Brandstifterin für die Inflation (in den Krisen Geld in die Märkte gepumpt sowie durch den jahrelangen Ankauf von Staatsanleihen und die viel zu späte Änderung des Kurses) und Feuerwehr (durch die Erhöhung des Leitzinses in vielen Schritten). Der Widerstand gegen Zinserhöhungen nimmt 2023 in der EZB zu. Dadurch wächst der Druck auf die Notenbanker, den Abbau ihrer Bilanz zu beschleunigen, um der Wirtschaft Liquidität zu entziehen. Vgl. Fischer, Malte: Achtung, die Fahrt endet hier!, in: WiWo 29/ 14.7.23, S. 36f. Am 27.7.23 erhöht die EZB den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25%. Schon entsteht eine Diskussion, ob die Zinserhöhungen nicht mehr schaden als nutzen. Trotzdem bleibt die EZB eisern im Kampf gegen die Inflation: Am 14.9.23 wird der Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,5% erhöht. Dann folgt eine Zinspause (Konjunkturschwäche in der EU). Das Ziel besteht aber weiterhin darin, die Inflation auf 2% zu drücken (Preisstabilität nach den EU-Verträgen, aber nicht 0% ist das Ziel). Allerdings sind die Inflationserwartungen wichtiger Akteure höher (zwischen 3 und 4%). Vgl. Fischer, Malte: Nimm Zwei, in: WiWo 43/ S. 38f. . Die Leitzinsen bleiben vorerst Ende 2023 hoch. Reagiert die EZB zu spät? Den höchsten Schaden der hohen Zinsen trägt die Immobilienwirtschaft. 2023 verändert die EZB den Leitzins nicht mehr. Sie könne also frühestens 2024 kommen. Parallel müssten auch die Staatsanleihen schneller als geplant abgebaut werden. Das könnte die expansionistische Wirkung sinkender Zinsen abschwächen (Notenbankbilanz). Vgl. Heinemann, Friedrich, in: WiWo 4/ 19.01.24, S. 19.  Die jüngsten Inflationszahlen schüren die Hoffnung auf eine Zinswende. Noch zögert die EZB  im März 24, die  Zinsen zu senken. Der Kampf sei noch nicht gewonnen. 

Inflation in der Welt: Es gibt Länder in der Welt mit extrem hohen Inflationsraten. Dazu gehört in jüngster Zeit auch wieder die Türkei (20% im August 21, 27% im November 21, Dezember 21 36,08%;  Experten gehen aber von über 50% aus, die werden im Januar 2022 dann auch fast offiziell erreicht, im Juni 2022 70%, August 22 über 80%; 2023 noch 65% trotz Zinserhöhung auf 25%. Im Januar 2024 dann Leitzinserhöhung auf 45%). Da fast 50% aller Arbeitnehmer von Mindestlohn leben, steigt die Armut stark an.  Traditionell ist Israel zu den Inflationsländern  zu zählen. Auch Russland kämpft immer mit einer hohen Inflationsrate (diese steigt auch angesichts des Angriffs auf die Ukraine und der westlichen Wirtschaftssanktionen). Auch der Iran lag in den letzten Jahren immer über 10%. In Südamerika ist die Inflationsrate traditionell hoch:  So zur Zeit in Chile, Venezuela (8000% 2019), El Salvador und Argentinien (2021 50%, kaum Wachstum, Staatsbankrott?, August 22 71.0%, Januar 2023 95%).  Die Rekordinflation von über100% geht in Argentinien 2023 weiter in die Höhe. Der Peso verliert rapide an Wert. Das könnte die Wahl im Oktober23 beeinflussen. Milei gewinnt die Wahl (durch Abwertung des Peso nach Milei - Wahlsieg noch schlechter). Das Bargeld wird knapp. Wegen der hohen Inflation kommt die Zentralbank mit der Herstellung von Geldscheinen nicht nach. Bei extrem hohen Inflationsraten gibt es Parallelwährungen (Dollar, Bitcoin). In El Salvador wird der Bitcoin im September 2021 gesetzliches Zahlungsmittel. Im Libanon liegt die Inflation im März 22 bei über 100% (hohe Lebensmittelpreise, kein Getreide aus der Ukraine). Als wichtiger Maßstab gilt die Inflationsrate der größten Volkswirtschaft USA. Sie liegt 2021 schon wieder über 5% (übers Jahr 21 wahrscheinlich +5,3%; Dezember 2021 7%, höchster Stand seit 1982). Im Januar 2022 klettert die Inflationsrate sogar auf 7,5% (höchste Rate seit 1982). China, die zweitgrößte Volkswirtschaft, hat auch schon wieder eine höhere Inflationsrate, reglementiert aber bestimmte Preise, die für die Bevölkerung besonders wichtig sind (Schweinefleisch, Reis, Taxi). Lieferprobleme im Welthandel, teurere Rohstoffe und eine Normalisierung nach starken Preisrückgängen in der Corona-Krise haben die Großhandelspreise gegen Ende 2021 stark ansteigen lassen. Hinzu kommen politische Krisen (Konflikt China - USA, Ukraine-Konflikt) und teurere Energie aufgrund des Pariser Klima-Protokolls, was in Glasgow fortgeschrieben wird. Die Notenbanken der Welt bereiten im Grunde genommen den Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes vor. Die norwegische Notenbank erhöht die Leitzinsen (0 auf 0,25%, neuer Chef wird ab Herbst 22 der ehemalige Generalsekretär der Nato J. Stoltenberg). Anfang Oktober 21. Die britische Notenbank im Dezember 21 auf 0,25, im Februar 22 auf 0,5%.  Auch andere Zentralbanken in der Welt erhöhen im 1. Quartal 2022 den Leitzins (Neuseeland 0,75; Südkorea 1,25; Russland 8,5, Brasilien 9,25). Der US-Ökonom Nouriel Roubini befürchtet eine Stagflation in den westlichen Industriestaaten. Er hält die Hoffnung auf einen Aufschwung für trügerisch. Vgl. Roubini, Nouriel: Vier Szenarien für die Weltwirtschaft, in: WiWo 40, 1.10.21, S. 39.

Die US-Wirtschaft befindet sich 2022 in einer rasanten Inflation. 7,9% beträgt die Rate schon im  Februar 2022 (höchste Rate seit 1982). Durch den Ukrainekrieg geht der Benzinpreis über 1 $. Das wird die Inflation weiter antreiben. Der Leitzins soll von der Fed auf 0,5% erhöht werden. Am 16. März 2022 erhöht die Fed die Leitzinsen um 0,25% auf eine Spanne von 0,25 - 0,50 %. Weitere Anhebungen sollen folgen (die Fed sieht 2022 noch bis zu 2,75%). Am 4.5.22 wird der US-Leitzins noch mal deutlich erhöht: Spanne von 0,75 bis 1%. Die Prognose der Wachstumsrate des BIP wird von 3,6 auf 3,3% gesenkt. 6,5 Mio. neue Arbeitsplätze sind seit Bidens Amtsantritt geschaffen worden (ALQ 3,8%); das könnte durch die Krise wieder gefährdet werden. Die Notenbank kann die Wirtschaft nur schwer einschätzen. Vgl. Dernling, A./ Zöttl, I.: Wenn dem Boom der Sprit ausgeht, in: Der Spiegel Nr. 11/ 12.3.22, S. 68ff. Im Mai 22 steigt die Inflationsrate in den USA auf 8,6%. Im Juni 22 hält die Fed dagegen: Am 15.6.22 wird der Leitzins um 0,75 Prozentpunkte auf die Spanne zwischen 1,50 und 1,75% erhöht (erste so starke Anhebung seit 1994, Bekämpfung der Inflation bekommt Vorrang). Demokratische Politiker sehen in einer "gewissenlosen Preistreiberei" großer Konzerne den Hauptgrund für die steigende Inflation. Man spricht von "Greedflation"- Theorie. Vgl. HB Nr. 120, 24.-26. Juni 22, S. 14.  2022 kommen andere Analysen zu dem Schluss, dass der Protektionismus von Trump ein Beitrag war: Er hat einmal die Inflation erhöht (um bis zu 2 Prozentpunkte) und zum anderen die Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe eher verringert. Vgl. Strain, Michael: Wie sich durch Freihandel die Inflation bändigen lässt, in: WiWo 27/ 1.7.22 Im Juni erreicht die Inflationsrate eine neue Höchstmarke: 9,1% (Energiepreise als Treiber, trotz der Gegenmaßnahmen, über der Prognose). Am 27.7.22 hebt die Fed den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte an auf die Spanne von 2,25 bis 2,5%. Im Juni 22 betrug die Zahl der Arbeitslosen in den USA schon 5,9 Mio. Die Zahl dürfte jetzt weiter ansteigen. Im August 22 errecht die Inflation 8,3%. Die Fed hebt den Leitzins abermals um 0,75 Prozentpunkte an auf 3,0 bis 3,25 %. Am 02.11.22 kommt die nächste große Zinserhöhung in Folge: um 0,75 Prozentpunkte auf die Spanne von 3,75 - 4,00 %. Beobachter erwarten eine weitere Erhöhung auf etwa 5% (das könnte im Jahr 2023 zu einem Verlust von 100 Mrd. $ führen, etwa 2,5% der Einnahmen der US-Regierung). Die nächste Leitzinserhöhung ist am 14.12.22 um 0,50 Prozentpunkte auf die Spanne zwischen 4,25 - 4,5%. Die nächste Erhöhung erfolgt am 1.2.23 um 0,25 Prozentpunkte. Doch die Inflation erweist sich in den USA als hartnäckig. Im Januar 2023 beträgt sie 6,4% (gegenüber Vorjahresmonat, 6,5% im Vormonat). Treiber sind Dienstleistungen und Mieten. Die Zinserhöhungen bleiben nicht ohne Folgen in den USA. Die Silicon Valley Bank gerät in Schieflage und braucht frisches Kapital. Sie bietet Kredite für Start-ups. Kommt in den USA eine neue Bankenkrise? Die Bank geht Pleite, weil ihre Anlagen in Staatsanleihen zu hoch waren (deren Kurs sinkt durch die Zinserhöhungen). Im Februar 2023 sinkt die Inflationsrate in den USA auf 6,0%. Die Bankenkrise in den USA könnte zu einem Kurswechsel in der Geldpolitik der USA führen. Der Kurs wird moderater und eine Gradwanderung zwischen Bankenpleite und Teuerung: Am 22.3.23 erhöht die Fed die Leitzinsen nur um 0,25 Prozentpunkte auf die Spanne zwischen 4,75 -5,0%. Im März 2023 sinkt die Inflationsrate auf 5,0%. Am 3.5.23 wird der Leitzins in den USA um weitere 0,25 Prozentpunkte auf die Spanne zwischen 5,0 und 5,25% erhöht. Das ist das höchste Niveau seit 2007 vor der Finanzkrise. Die Fed hatte abzuwägen zwischen der Stabilität des Bankensektors und den Verbraucherpreiserhöhungen. Im April 23 fällt die Inflationsrate auf 4,9%. Im Sommer 2023 macht die Fed eine Pause bei der Zinserhöhung. Man sieht jetzt sogar die Gefahr einer Deflation. Am 26.7.23 erhöht die Fed den Leitzins auf die Spanne von 5,25 - 5,50%. Der Zinsgipfel könnte damit erreicht sein. Im Juli 2023 erhöht sich die Inflationsrate wieder leicht auf 3,2% (Juni 23 3,0%, Preistreiber Mieten). Dann kommt es zu einem hohen Ölpreis und zu Streiks in den USA. Die Rezessionsangst steigt. Die Fed stellt für 2024 eine Zinssenkung in Aussicht. Experten rechnen mit einem ersten Zinscut im Mai 24. Im Februar 2024 steigen steigen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vormonat auf 0,4%. Dei Jahresrate stieg auf 3,2% und entfernte sich wieder vom Zielwert der Fed von 2%. Ist die Zinswende in Gefahr?   Es gibt auch Länder, die ihre Weichwährungen durch den Dollar ersetzten. Das plant auch Milei nach seinem Wahlsieg in Argentinien (Dollar statt Peso). Damit kann man zwar hohe Teuerungsraten unter Kontrolle bringen. Das ist aber mit hohen sozialen Kosten verbunden.

Zwei Länder in der Welt freuen sich dagegen über stabile Preise: Schweiz und Japan. Japan ist international eine Ausnahme: die Inflationsrate dürfte 2021 bei -0,4% liegen. Sie steigt im ersten Quartal 2022 auf 0,9%. In der Schweiz gingen die Preise 2021 sogar um 0,04% zurück. Sie stiegen im ersten Quartal 22 auf 2,2%. Im Juni 22 erreicht die Rate 3,2%. Die Preise für Lebensmittel sind allerdings sehr hoch. Die verhältnismäßig niedrigen IR haben zum Teil auch gemeinsame Gründe dafür (beide Währungen sind Fluchtwährungen/ Wechselkurs, Aufwertung der Währung, beide pumpen Liquidität ins Ausland, Energiepreise geringeres Gewicht im Warenkorb, hohe Subventionen/  Staat übernimmt Kostensteigerungen, niedrige Zinsen locken kein Kapital aus dem Ausland, es gibt Lohn-Preis-Spirale nach unten). Vgl. Schnabl, G./ Murai, T.: Das Geheimnis der Mini-Inflation in Japan und der Schweiz, in: WiWo 13/ 25.3.22, S. 39. Auch einige andere Länder in Asien haben moderate Inflationsraten: so etwa Taiwan 1,82% 2021; 2,3% 2022 (geschätzt). Singapur 2,3% 2021, 3,5% 2022 (geschätzt). In den USA liefern sich 2021 zwei Starökonomen einen Schlagabtausch über Gründe und Dauer des anhaltenden Preisschubs. Es sind Paul Krugman (Wirtschaftsnobelpreis 2008) und Larry Summers (früherer Finanzminister) . Beide haben den Ruf als Rechthaber. Summers hat eher die Statistik auf seiner Seite:  6,2% im November 2021. Die beiden Stars bekriegen sich gerne. Das ist keine theoretische Diskussion. Es geht darum, wann die Fed auf die geldpolitische Bremse treten soll. Vgl. HB Nr. 223, 17.11.21, S. 47. Sie ist in jedem Falle der EZB voraus. Wahrscheinlich kommt in der zweiten Hälfte 2022 eine Zinserhöhung und im Frühjahr 2023 ein zweiter Schritt. Zwei prominente IWF-Ökonomen legen ihm Dezember 2021 eine Analyse vor (Chevolkswirtin Gita Gopinath und Tobias Adrian): "Die Inflation wird höher bleiben als gedacht". Vgl. FAZ Nr. 284, 2.12.21, S. 15. Im November 2021 steigt die Inflationsrate in den USA auf 6,8% (höchste Rate seit 40 Jahren, zuletzt 1982; Hälfte des Anstiegs auf Autos und Energiekosten). Auch die Löhne steigen stark an. Das Inflationsziel der Fed liegt eigentlich bei 2%. Vorerst werden die Anleihekäufe gestrafft. Zinserhöhungen werden für 2022 erwartet. Die Fed plant bis zu drei Zinserhöhungen in 2022. Damit läuft die Fed der EZB davon. Im Januar 2022 kündigt die Fed quasi an, dass sie bei der nächsten Sitzung am 16. März 2022 die Leitzinsen erhöhen wird um 0,25 Prozentpunkte (hohe Inflation, gute Lage am Arbeitsmarkt). Fed-Chef Powell strafft schon den Kurs (verschafft sich Spielraum). Der Präsident der Weltbank David Malpass fordert Ende 2021 eine andere Geldpolitik. Als erste wichtige Notenbank erhöht die britische Zentralbank am 16.12.21 den Leitzins auf 0,25% (zuvor 0,1%, wie vorher schon Norwegen). Die Inflation auf der Insel ist auf zuletzt 5,1% gestiegen (Materialmangel, Energie). Im Oktober 2022 mahnt der IWF zur Disziplin (Zurückhaltung bei den Staatsausgaben). Gita Gopinath rechnet in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften für 2023 mit +4,4% Inflation

Entwicklungs- und Schwellenländer: Diese Länder sind massiv betroffen. Höhere Zinsen bedeuten geringere Kapitalzuflüsse, Währungsabwertungen, höhere Kosten für Schuldendienst und größere Krisenanfälligkeit. Wichtig sind daneben die Rohstoffpreise und die Inflation. Besonders wichtig sind die Lebensmittelpreise. Sie können leicht bei übermäßigem Anstieg zu Unruhen in den Ländern führen (Beispiele: Nordafrika, Südamerika). Die Armutsquoten steigen an (erstmals seit 1998). Schon einmal Anfang der Achtzigerjahre des letzen Jahrhunderts erhöhten die USA rabiat die Dollarzinsen. Das stürzte vor allem die lateinamerikanischen Staaten in ein Jahrzehnt von Pleiten, Kapitalflucht und Überschuldung (Klassiker der Wirtschaftsgeschichte). Das Zusammentreffen von Covid - Krise und Kapitalflucht hat schon 2022 in einigen Ländern dazu geführt, dass sie ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen können (Argentinien, Libanon, Sambia). Indien profitiert davon, dass China 2021/22 die Marktmacht seiner Tech-Konzerne beschränkt. Viele Investoren nehmen als Alternative Indien. Einige Schwellenländer wie Brasilien, Südafrika und Indien haben beachtliche Devisenreserven angehäuft und sich so abgesichert. Stark negativ betroffen sind die Türkei und auch die Philippinen. Vgl. Fischermann, Thomas: Der arme Rest der Welt, in: Die Zeit Nr. 8/ 17. Februar 2022, S. 24. Trotz der hohen Devisenreserven steigt die Inflation in Russland stark an (Wirtschaftssanktionen). Die Schwellenländer sind stark von Stagflation betroffen (bei sinkenden Einkommen). Die Knappheit an Getreide durch den Ukraine-Krieg (Russland und Ukraine Hauptexporteure), aber auch der Düngemittel-Engpass (Russland und Belarus ca. 40%) sowie die teureren Rohstoffimporte, treiben die Inflation nach oben. Sie ist für viele ärmere Länder in der Welt eine soziale Katastrophe. Der Weltbank-Präsident David Malpass fordert 2022 großzügigen Schuldenerlass und den Abbau von Handelshürden. Vgl. Interview in WiWo 16/ 14.4.22, S. 38f. Es droht eine globale Schuldenkrise. Das stellt man auch auf dem Treffen von IWF, Weltbank und G7 in New York fest (19./20.4.22). Erste Kandidaten für einen Staatsbankrott sind Sri Lanka, Argentinien, Tunesien, Pakistan und Sambia. Sie waren in der Regel schon schwer angeschlagen durch die Corona-Pandemie. Kurz vor einem Staatsbankrott steht auch Russland aufgrund der westlichen Sanktionen. Durch die massive Aufwertung des Dollar 2022 verschärft sich das Problem, vor allem in den Ländern, die hoch in Dollar verschuldet sind: Indonesien, Brasilien, Mexiko, Türkei. Bloomberg Economics macht 2022 eine Auswertung über das höchste Pleiterisiko. Dabei wird die Verschuldung ins Verhältnis gesetzt zur jährlichen Wirtschaftskraft. Besonders gefährdet sind folgende Länder: Bahrain 117%, Ägypten 94%, Tunesien 87%, Ghana 85%, El Salvador 83%. Es gibt auch Länder, die ihre Weichwährungen durch den Dollar ersetzten. Das plant auch Milei nach seinem Wahlsieg in Argentinien (Dollar statt Peso). Damit kann man zwar hohe Teuerungsraten unter Kontrolle bringen. Das ist aber mit hohen sozialen Kosten verbunden.

 Diese Situation verschärft sich 2022. Stark betroffen sind Brasilien, die Türkei und Nigeria. Die betroffenen Länder haben zwei gemeinsame Merkmale: hohe Bevölkerungszahl, geringes verfügbares Kapital für Investitionen. Hinzu kommen hoher Schuldenstand des Staates und der privaten Haushalte. Die Wirtschaft lief in Zeiten niedriger globaler Zinsen und stabiler Wechselkurse (Eldorado-Situation"). Das ändert sich durch Corona, den Ukraine-Krieg und die steigenden Leitzinsen. Die Zentralbanken versuchen weiterhin, den Devisenkurs gegen den steigenden US-$ zu halten. Vgl. Yalcin, Erdal: Schwellen- und Entwicklungsländer: Steigende Leitzinsen als Gefahr, in: Wirtschaftsdienst, h. 9/ 2022, S. 663. Hinzu kommt, dass viele Schwellenländer bei China verschuldet sind, das keinen Schuldenschnitt macht. Dazu gehören etwa Laos, Sri Lanka, Kenia und Argentinien. Vgl. Isabella Weber: Das Gespenst der Inflation. Wie China der Schocktherapie entkam, 2023.

Aktienmarkt und Geldpolitik: Die US-Notenbank beendet die lockere Geldpolitik 2022. Die EZB dürfte spätestens 2023 folgen, wie andere Notenbanken auch. Norwegen und GB sind schon vorgeprescht. Die Börse spielt die Zinswende schon mal durch und antizipiert. Tech - Aktien sind unter Druck. Die Banken könnten die Gewinner sein. Mithilfe von Short - Zertifikaten kann man an der Zinswende verdienen. Vgl. Buschmann, G. u. a.,: Nach dem Warnschuss, in: WiWo 3/ 14.1.22, S. 75ff. Die Aktienkurse sinken schon im Januar 2022 deutlich. Viele Marktbeobachter schauen auf China (Omikron, schlechte Impfstoffe). Wenn die Zinsen steigen, werden auch die Kredite für die Unternehmen teurer (digitale Transformation, Energiewende und Klimawandel). In den USA halten Experten ein weiteres Absacken der Kurse für möglich (Robert Shiller, Kenneth Rogoff, Jens Ehrhardt). Heute hängt sehr viel von den Aktienmärkten ab. Das unterscheidet die Situation von der in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Vgl. Carmen Reinhart, Weltbank-Vizepräsidentin 2022 in einem Interview (in: Der Spiegel 6/5.2.22, S. 76). Es könnten turbulente Monate an den Börsen kommen. Nach vielen Jahren dürften europäische Aktien erst mal wieder besser laufen als die an der Wallstreet. Vgl. HB Nr. 26, Montag, 7.Februar 2022, S. 1 und 34. Auch die Märkte für Bitcoins könnten erschüttert werden. Vgl. Kommt jetzt der Crash? in: Die Zeit Nr. 8/ 17.2.22, S.24.

So kommt es dann auch: Der Kurs der Kryptowährung ist im freien Fall (November 2021 fast 60.000 US-$; Juni 2022 unter 20.000 US-$). Der Absturz geht weiter (erstmals seit Dezember 2020 unter 18.000). Auch die Börsen brechen ein. Der Dax fällt von 16.000 Anfang Januar 2022 auf gut 13.000 im Juni. Bis dahin verliert auch der Dow Jones ein Fünftel seines Wertes.

Wenn das Wirtschaftsmodell Deutschlands gefährdet ist (Deglobalisierung, hohe Energiepreise), sollte man mehr in ausländische Aktien gehen. Doch die Aktien im Dow Jone ssind sehr hoch bewertet. Quelle: HB 18.10.22. 

Die Teuerung schmilzt auch den Wert von Finanzanlagen ab. Man braucht dagegen eine langfristige Strategie. Zunächst sollte man aber die eigenen Schulden überprüfen (Zinsbindung). Dann sollte man die richtigen Wertpapiere kaufen. Hohe Zinsen sind gut für den Kauf von Anleihen (Staat und Unternehmen). Inflationsindexierte Anleihen sind nicht einfach. Vgl. Berent, Leon: Gut abgeschirmt, in: Die Zeit 49/1.11.22, S. 32.

Immobilienmarkt und Immobilienpreise: Es ist noch unklar, was steigende Zinsen für die Immobilienpreise bedeuten. Wenn sich die Darlehen verteuern, könnten sich weniger Menschen für einen Hauskauf interessieren. Dann würden die Preise wieder langsamer steigen. Es könnte aber auch anders kommen: Die Trendwende bei den Krediten mit einem Anstieg der Bauzinsen könnten die Preise auf diesem Markt weiter nach oben treiben. Vgl. Nienhaus, Lisa/ Tönnesmann, Jens: Die Letzte in der Reihe, in: Die Zeit Nr. 6, 3.2.22, S. 28.

Bei Immobilien steigen 2022 gleichzeitig die Preise,  die Preise der Baumaterialien, die Preise beim Energiewechsel und die Kreditzinsen. 2023 sinken die Immobilienpreise wieder, die Mieten steigen.

Experten gehen von einer "bereinigenden Wirkung" steigender Zinsen aus. Es wird sogar die Wiedereinführung der Eigenheimzulage gefordert. Die Preise für Neubauten dürften hoch bleiben. Vgl. HB Nr. 245/ 19.12.22, S. 30f.

Die steigenden Zinsen haben aber auch wieder Einfluss auf den Bereich.  Es kommt zu einer Vollbremsung bei Immobilien. Der Wohnungsbau leidet. Die Bausparkassen sind ausgezehrt. Vgl. FAZ 29.3.23, S. 27. Der Bau- und Immobiliensektor würde überdurchschnittlich von einer Zinssenkung profitieren.

Betriebe: Marken und Preispolitik/ Inflation und Menge sowie Zombies: Eine Inflation wird zum Stresstest für Unternehmen. Nur wer starke Marken aufgebaut hat, kann höhere Preise durchsetzen. Der Rest endet in einer Margenfalle. Man braucht also ein funktionierendes Geschäftsmodell, das eine Inflation überstehen kann. Corona, Ukraine-Krieg und Geldpolitik der EZB haben wohl eine vorerst bleibende Inflation geschaffen. Vorprodukte, Lieferketten und Produktion selbst werden teuerer (Energiepreise, Rohstoffe). Also kann nur, wer die Einzigartigkeit der Marke aufgeladen hat, am Markt bestehen. Natürlich wird es auch Unternehmen geben, die versuchen, ihre Marktmacht zu missbrauchen. Andere werden eher Verlierer sein. Wie die Preispolitik der Unternehmen in einer Inflation reagiert und agiert, ist ein faszinierendes Gebiet. Vor allem starke Unternehmen profitieren. Vgl. Fischer, Malte u. a.: Die Welle reiten, in: WiWo 16/ 14.4.22, S. 14ff.

Nicht alle Preissteigerungen liegen auch an den höheren Rohstoffkosten. Es gibt Hersteller, die die Inflation ausnutzen - um schlichtweg mehr zu verdienen. Dazu gehören etwa Coca-Cola, Unilever, Beiersdorf, Nestle. Vorneweg profitieren die Autobauer. Vgl. Kapalschinski, C./ Zwick, D.: Die leisen Nutznießer, in: Welt am Sonntag Nr. 21/ 22. Mai 2022, S. 17. Bei Nestle schrumpft kein Händler trotz Inflation seine Preismacht. Die Preisentwicklung in einem Jahr von Mitte 22 im Vergleich zu Mitte 21 ist nach Sortiment sehr unterschiedlich: Tierfutter +13,5%, Feinkost +7,8%, Heißgetränke +6,7%, Tiefkühlpizza +6,6%, Alkoholfreie Getränke +1,0%, Süßwaren +0,6%. Quelle GKL. Die Preise werden je nach Region unterschiedlich angehoben: Nordamerika +8,5%,; Lateinamerika +7,7%; Europa +4,1%; Asien, Ozeanien, Afrika +4,3%; China -0,5%. Quelle: Nestle.

Eine weitere Strategie der Firmen geht über die Menge. Am deutlichsten wird das in den USA. US-Supermärkte sind bekannt für ihre Riesenpackungen. Doch plötzlich bieten die Hersteller Mini-Portionen zum selben Preis an. Während die Produkte schrumpfen, legen die Profite zu. Man spricht von Schrumpf-Inflation ("Shrinkflation"). Der Trend springt auch auf Deutschland über. Vgl. Buchter, Heike: Womit keiner rechnet, in: Die Zeit Nr. 31/ 28. Juli 2022, S. 21. Im Sommer 2023 melden Verbraucherschützer einen Rekord an Beschwerden über versteckte Preiserhöhungen. Immer häufiger verteuerten Anbieter Produkte, indem sie in weitgehend gewohnter Verpackung weniger Inhalt verkaufen. Standardformulieren sind z. B. "New Size" oder "Neue Form für feineren Genuss". Bekannte Problemfälle sind 2023: Tuc-Bake Rolls, Mika-Eis, Moser-Roth-Schokolade, Lorenz-Jumbos-Erdnusslocken. Vgl. FAZ 30.8.23, S. 25.

Unternehmen, die lange von den niedrigen Zinsen profitiert und überlebt haben, sind nun von der Pleite bedroht. Das ist auf der ganzen Welt so. Vgl. Buchter, Heike: Die Angst der Zombies, in: die Zeit Nr. 31/ 28.7.22, S. 22.

Unternehmen müssen sich den veränderten Bedingungen anpassen. Gewinn wird wichtiger denn je. Anbieter müssen zum Teil ihren Kuchen verkleinern. Dazu müssen Marketinginstrumente verändert eingesetzt werden. Zunächst muss richtig kommuniziert werden. Handelsunternehmen lassen die Preise von Artikeln gleich, reduzieren aber gleichzeitig die Menge (Shrinkflation). Im Dienstleistungsbereich werden mehr Dienstleistungen externalisiert, sprich Kunden müssen Teile der Leistung selbst erledigen (Scannen der Waren beim Einkaufen, Selbst - Check - In beim Flug, Vereinbaren von Ärzteterminen über Website). Weiter reduzieren von Leistungen. Wenn Kunden die speziell wollen, müssen sie dafür bezahlen. Vgl. Fassnacht, Martin: Gewinn wird wichtiger denn je, in: FAZ 6.2.23, S. 16.

Die Finanzierungskosten sind seit der Zinswende stark gestiegen. Seither kürzen immer mehr Konzerne ihre Nettoinvestitionen und fürchten eine Kreditklemme. Die Finanzierungskosten durch Kredite haben sich 2023 in der Spitze gegenüber 2022 verdreifacht. Vgl. HB 70/ 11.4.23, S.1. Hinzu kommt, dass jedes zweite Unternehmen seine Aufwendungen fürs Personal deutlich erhöht hat. Vor allem kleinere Betriebe bekommen deshalb Probleme. Die Inflation wird die Gehaltsforderungen merklich erhöhen. Vgl. HB 70/ 11.4.23, S. 22f.

Besonderes Problem: Die Verteuerung von Lebensmitteln und Dienstleistungen: Im März 2022 haben sich die meisten Lebensmittelpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat extrem erhöht: Tomaten 43,9%, Gurken 39,6%, Sonnenblumenöl und Rapsöl 30,0%, Tiefkühlkost 22,4%, Kopfsalat oder Eisbergsalat 18,3%, Kartoffeln 18,2%, Butter 17,6%, Nudeln 17,5%, Eier 17%, Rinderhackfleisch 17%, Bohnenkaffee 10%, Weizenmehl 9,2%, Vollmilch 8,2%, Nahrungsmittel insgesamt 6,2%. Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden. Ursachen sind der Krieg in der Ukraine direkt, indirekt hohe Energiekosten, teuere Rohstoffe, Nachfrage und Angebot sowie Logistikprobleme. Hinzu kommen noch allgemeine Gründe wie Klimawandel, globale Marktverschiebungen, Corona und politische Vorgaben. Das trifft besonders ärmere Verbraucher und Verbraucherinnen. Ihr Anteil bei Lebensmitteln an den Lebenshaltungskosten ist höher. Der Andrang an den Tafeln wird immer größer. Vgl. FAZ Nr. 91, 20.4.22, S. 17. Jahrzehntelang sorgten knallharte Verhandlungen zwischen Herstellern und Händlern für niedrige Lebensmittelpreise in Deutschland gesorgt. Jetzt ist das System aus der Balance. Der Verbraucher muss ordentlich zahlen. Im Mai 2022 steigen die Preise für Pflanzenöle am stärksten vor Butter, Eier und Mehl. Vgl. Book, S. u. a.: Bis auf den letzten Cent, in: Der Spiegel Nr. 20/ 14.5.22, S. 62ff. Es folgen immer wieder weitere Analysen von Erhöhungen bei Lebensmitteln: Von Jahresbeginn  2022 bis Ende April:  Rinderhackfleisch +22,5%, Weizenmehl +14,2%, Paprika +34,2%, Butter +14%, Sonnenblumenöl +19,2%. Vgl. Dams, Jan u. a. Bundesregierung unter Preisschock, in: Welt am Sonntag Nr. 21/ 22. Mai 22, S. 2f. Im März 2023 sind die Lebensmittelpreise um 22,3% gestiegen. Damit dominieren sie die Inflation.   Sozial- und Verbraucherverbände fordern im April 2022 eine Senkung oder Aussetzung (0%) der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel für eine bestimmte Zeit. Die Grünen befürworten das eher, die FDP ist kritisch. Öko-Bauern leiden unter der Inflation. Konsumenten mit niedrigerem Einkommen müssen auf billigere Importe aus dem Ausland zugreifen (z. B. Spargel, Erdbeeren). Der Deutsche Bauernverband befürchtet eine Verschärfung bei der Nachfolgeproblematik.

Allerdings muss auch bedacht werden, dass der Anteil von Nahrungsmittel und Getränken nur bei einem Prozent  liegt (nach Einkommensgruppen unterschiedlich). Den größten Anteil hatten im April 2022 Haushaltsenergie (2,2%), Verkehr , inkl. Kraft und Schmierstoffe (2,1%). Die staatlichen Entlastungen haben zu einem Ausgleich für steigende Preise geführt. Vgl. Schieritz, Mark: Wen trifft die Inflation, in: Die Zeit Nr. 24/ 9.6.22, S. 19.

Immer wieder taucht der Vorschlag auf, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel auf null zu setzen. Dafür spricht, dass die EU das 2022 möglich gemacht hat (sie bekommt auch einen Anteil von der Steuer). Dagegen spricht der Erfüllungsaufwand und die geringe Zielgenauigkeit der Personen. Vgl. Scholle, Lukas: Mehrwertsteuer auf Lebensmittel auf null senken, in: Wirtschaftsdienst 6/ 2022, s. 492-494. Deutschland liegt bei dem Preisniveau von Nahrungsmitteln im europäischen Mittelfeld: Wesentlich teuerer sind die Schweiz und Norwegen, am billigsten sind Polen und die Türkei. 

Auf jeden Fall dürfte der private Konsum der Haushalte in Deutschland stark zurückgehen. Die deutsche Wirtschaft dürfte schrumpfen. Die Krise wird einen anhaltenden Wohlstandsverlust verursachen. Vgl. Burgartz, Thomas/ Heuermann, Daniel/ Krämer, Andreas: Gefühlte Inflation als Bestimmungsgrund der Spar- und Konsumstruktur von Verbrauchern, in: Wirtschaftsdienst H. 10/ 2022, S. 782-788. Im Juni 2023 steigt die subjektive Wahrnehmung der Inflation sogar auf 18% bei Lebensmitteln. Quelle: Allianz Trade Versicherung, Studie zur Preissteigerung 2023.

Bei den Markenherstellern fallen die gestiegenen Kosten angesichts der höheren Marge weniger ins Gewicht. Die Discounter können den Preisanstieg nicht so einfach weitergeben. Die Preise der Nahrungsmittel steigen auch  wesentlich stärker als die Preise anderer Güter. Es gibt schon Forderungen, die Mehrwertsteuer bei Obst und Gemüse fallen zu lassen. Diesen Weg geht Spanien. Eine Studie vom Allianz-Forschungsinstitut (Kreditversicherer Allianz Trade) kommt 2023 zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Preissteigerungen bei Lebensmitteln auf Gewinnstreben der beteiligten Firmen zurückzuführen ist. Der "Profit-Hunger" treibt also die Lebensmittelpreise. Auch andere Bereich liegen über dem Durchschnitt der Preissteigerungen 2022 gegenüber 2021: Baugewerbe 16,2%; Industrie 13,9%; Handel, Verkehr Gastronomie 11,5% (Gesamtwirtschaft 9,6%). Im Juli 2023 geht zwar die Inflationsrate auf 6,2% zurück (Juni 23 6,4%). Ab er die Preise für Lebensmittel steigen weiter: Zwiebeln und Knoblauch +19,4%; Zucker +18,1%; Quark +17,2%; Ananas +16,1%. Quelle: Statistisches Bundesamt 2023.

Mitte 2023 ebbt die Inflation bei Lebensmittel etwas ab. Weniger stark sind auch insgesamt Bio-Lebensmittel von der Inflation betroffen. Jetzt kommt eine heftige Inflation bei Dienstleistungen: Tourismus, Handwerk, Pflegeleistungen, Gastronomie.  Der Bundesbankpräsident Joachim Nagel sagt dazu, dass die letzte Meile gegen die Inflation die schwierigste werden könnte. Vgl. Der Spiegel 48/  25.11.23, S. 68f.

Die Lebensmittelpreise sind trotzdem 2023 massiv gestiegen. Der Anstieg lag in den letzten Jahren (21, 22, 23) über der Inflationsrate. Wer am meisten davon profitiert, ist zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Handel strittig. Die Ernährungsindustrie jedenfalls beklagt Stagnation und verschlechterte Bedingungen am Standort Deutschland. Die hiesige Ernährungsindustrie verarbeitet nach eigenen Angaben rund 80% der von Landwirten erzeugten Rohprodukte. Im Einzelnen verteuerten sich die Produkte 2023 wie folgt (Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden): Brot und Getreide 16,4%; Molkereiprodukte, Eier, Honig 15,7%;  Fisch, Fischwaren, Meeresfrüchte 14,7%; Gemüse 13,3%.

2024 schwächen sich die Lebensmittelpreise ab. Das ist ein Grund zusammen mit den Energiepreisen, dass sich die Inflationsrate immer moderater entwickelt. Stark steigen noch 2024 die Preise für Olivenöl und Säfte sowie Schokolade. Auch die Restaurantpreise   steigen stärker als die Verbraucherpreise (12,1% Anfang 2024). Seit Januar 2024 müssen Restaurants und Bars wieder 19% Mehrwertsteuer auf jedes verkaufte Gericht abführen.

Exkurs. Greedflation bzw. Gierflation: In den USA wird schon länger über Greedflation diskutiert. In Deutsch spricht man von Gierflation. Gemeint ist, dass die Preissteigerungen zum großen Teil auf den "Profit-Hunger" der Hersteller zurückgehen. Viele Ökonomen in Deutschland halten die These für gerechtfertigt. Andere sprechen von einem Mythos. So hätten von den 32 in der Produktion tätigen Dax-Konzerne nur sechs ihre Rohertragsmarge verbessert (Eon, Infineon, Porsche AG, Daimler Truck, Qiagen). Bei den MDax-Konzernen sind es 14. Rohertrag=Umsatz abzüglich Materialaufwendungen. Quelle: Geschäftsberichte, HB 2.5.23, S. 4f.. Die Gewinnmargen sind insgesamt deutlich gestiegen. Die Entwicklung war in den Branchen aber sehr unterschiedlich. Der Preiskampf der Discounter wirkt bei Lebensmitteln sicher dagegen.

Exkurs. Shrinkflation: Fachbegriff für verdeckte Preiserhöhungen (von Englisch "shrink" für schrumpfen sowie "Inflation" zusammen; "inflare" im Lateinischen = aufblähen).  Produkte werden bei weniger Inhalt zum gleichen oder höheren Preis verkauft. Seit 10 Jahren gibt es den Negativpreis "Mogelpackung des Jahres". Erster Gewinner war 2014 der US-Konsumgüter-Konzern Procter & Gamble. Unglücklicher Sieger 2023 wurde Mondelez. Der Lebensmittelkonzern verkauft in Deutschland Milka, Toblerone und Philadelphia. Beim konzerninternen Markenwechsel seiner Brotchips schrumpfte der Inhalt von 7days zu Tuc bei gleicher Verpackungsgröße von 250 auf 150 Gramm. Das entsprach einer Preiserhöhung von 127 %.

Sozialer Frieden, Armut und Sozialpolitik: Seit der Wiedervereinigung gab es nicht mehr so viele arme Menschen in Deutschland wie 2021. Es waren 13,8 Millionen. Nie waren mehr Kinder und Alte in Armut wie 2021. Unter den Berufstätigen sind immer mehr Menschen, die nicht genug Geld für ein Leben ín gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe haben. Das sind Zahlen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes im Armutsbericht 2022 mit dem passenden Titel "Zwischen Pandemie und Inflation".  Energiekrise und Inflation spielten 2021 noch nicht die dominante Rolle. Fast ein Viertel der Menschen in Deutschland  sind trotz staatlicher Entlastungsprogramme in einer äußerst stark angespannten finanziellen Lage (Hans - Böckler - Stiftung). Niemand weiß, was passiert, wenn der Wohlstand drastisch schwindet (ist das Wohlstandsmodell in Gefahr?). Vgl. Dettmer, Markus u. a.: Die Not frisst sich nach oben., in: Der Spiegel Nr. 27/ 2.7.22, S. 13ff. Wenn Putin tatsächlich im Juli 22 den Gashahn abdreht, ist die Rezession relativ sicher mit weiteren Dominoeffekten (Pleite von Energieunternehmen, Verarmung der Mittelschicht). Für eine massiv gegensteuernde Sozialpolitik fehlt das Geld und die Einigkeit in der Koalition. "Die Inflation ist eine Steuer, die nicht vom Parlament verabschiedet werden braucht", Milton Friedman (1912 - 2006).

Für ein Abfedern der Folgen der Inflation sind fast alle Experten. Uneins ist man sich über das Ausmaß und die die Wege: Die Finanzpolitik kann nicht alle entlasten. Man muss Anreize zum Energiesparen setzen. Es sollte eine Umverteilung bei den Lasten des Grundbedarfs geben. Untere Einkommensgruppen sollten gezielt entlastet werden. ein Gaspreisdeckel sollte kommen. Vgl. Boysen-Hogrefe, Jens u. a.: Folgen der Inflation abfedern, aber wie? in: Wirtschaftsdienst 8/2022, S. 580ff. Umstritten ist auch die Finanzierung: Mehr Schulden oder Umverteilung. Gute Argumente findet man für beides.

Alle statistischen Indikatoren weisen auf eine gespaltene Gesellschaft hin, die in den nächsten Jahren noch mehr auseinander driften wird. 1. Seit 1991 bis 2020 ist das verfügbare Einkommen des reichsten Zehntel um +47% gestiegen, beim fünften Zehntel sind es +24%, das ärmste Zehntel hatte -2%. 2. Der Gini - Koeffizient (Maß der Ungleichverteilung) ist im gleichen Zeitraum um +19% gestiegen. 3. Auch die Vermögensverteilung ist extrem ungleich: Die reichsten 10% besitzen 67,3% Anteil am Gesamtnettvermögen privater HH. Die ärmsten 50% der Bevölkerung verfügen über 1,3% des Gesamtvermögens. Vgl. Böcking, David u. a.: Im Abstiegssog, in: Der Spiegel Nr. 38/ 17.9.22, S. 8ff. "Erst prämieren niedrige Zinsen Vermögende, dann enteignet die Inflation Besitzlose - bevor "Vater Staat" in der Krise das System stützen muss", Thomas Mayer, Flossbach von Storch Research Institute, in: WiWo 13/ 24.3.23, S. 24 (Tante Milla und das Geldsystem). Vgl. Acemoglu, Daron: Volkswirtschaftslehre, München 2020, S. 808.

Sogar der SRW (Gutachten November 2022, einstimmig) plädiert für eine Erhöhung der Steuern bei denjenigen, die von der Inflation eher profitiert haben. Er nennt zwei Gründe: Gießkannenprinzip bei allen Entlastungsmaßnahmen, weil man nicht differenzieren kann. Die Wohlhabenden haben ihr Vermögen so angelegt, dass sie durch die Inflation weniger Schaden haben (Immobilien, Aktien). Das DIW/ Berlin fordert im März 2023 Entlastung bei allen Menschen, die am meisten unter der Inflation leiden. Der Präsident Fratscher fordert etwa die Mehrwertsteuer auf gesunde und  nachhaltige Lebensmittel und andere Dinge der Grundversorgung zu senken und im Gegenzug Steuern auf fossile Energieträger und anderen nicht nachhaltigen Konsum zu erhöhen. Weiterhin fordert er eine Erhöhung des Mindestlohns.

Die Inflation verschärft sicher die soziale Spannung. Insbesondere ärmere Menschen leiden, weil sie im Vergleich einen größeren Teil ihres Einkommens für Konsum ausgeben. Außerdem haben sie meist keine Ersparnisse und profitieren nicht von den steigenden Vermögenspreisen. Hilfe vom Staat würde hier zu noch mehr Inflation führen. Vgl. zu den Verteilungsfolgen auch: Höfgen, Maurice: Teuer. Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik, dtv/ München 2023 (vgl. auch bei YouTube von ihm: "Geld für die Welt").

Exkurs. Sachverständigenrat für Verbraucherfragen: "Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine kam es zu einem starken Anstieg der Energiepreise. Um die Folgen dieser Energiekrise für die Haushalte in Deutschland in der ganzen Breite zu erfassen, führt der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) mit dem „Haushaltsmonitoring Energiekrise“ im Zeitraum von April 2023 bis voraussichtlich Juli 2024 eine haushaltsrepräsentative Panelbefragung mit insgesamt sechs Befragungswellen durch. In bisher zwei Wellen wurden im April/Mai und Juni/Juli 2023 jeweils über 4.444 Haushalte befragt. Dieser Beitrag stellt die Methodik der Befragung, die Ergebnisse und einige Schlussfolgerungen dar." Siehe Grimm, Veronika u. a.: Energiekrise belastet Haushalte, in Wirtschaftsdienst 11/ 2023, S. 754-761.

Realwirtschaftliche Inflationsbremse Arbeitsproduktivität: Deutschland leidet 2022 unter einer eklatanten Produktivitätsschwäche. Das hat auch Folgen für die Preisstabilität. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren glänzte die deutsche Wirtschaft mit Arbeitsproduktivitätssteigerungen von bis zu zehn Prozent. In den Jahren nach 2010 lag die jährliche Produktivitätsverbesserung bei nur noch 0,9% pro Jahr. Vor und in der Pandemie kam es zu einem Stillstand.

Wenn Steigerungen nicht mehr da sind, müssen Unternehmen versuchen, die steigenden Kosten durch höhere Preise an ihre Kunden weiter zu geben. Nur so können sie die Profitablilität erhalten. Vgl. Horn, Alexander: Die realwirtschaftliche Inflationsbremse funktioniert nicht mehr, in: WiWo 47/ 18.11.22, S. 47. "Die realwirtschaftliche Inflationsbremse, Kostenschübe durch steigende Produktivität abzufedern, funktioniert nicht mehr", Alexander Horn, so schnell werden wir die Inflation nicht wieder los, in: WiWo 14/ 31.3.23, S. 37.

Arbeitsknappheit, höhere Löhne und höhere Preise: Lohn-Preis-Spirale?: Im Winter 2022/ 2023 kommt eine Streikwelle. Die Lohnforderung der Beschäftigten liegt teilweise bei 15% (Post) oder mindestens bei 10% (Flughafenpersonal). Der Arbeitnehmer hat mehr Verhandlungsmacht. Die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt haben sich verschoben und verschieben sich weiter zugunsten der Arbeitnehmer. Die Bevölkerung altert und verknappt das Arbeitsangebot noch weiter. Auf der anderen Seite muss man mehr Produktion nach Deutschland holen, um die Lieferketten abzusichern (Beispiel Computerchips). Dafür braucht man Arbeitskräfte, die relativ gut qualifiziert sind. Damit wird auch die Zahl der Billigjobs zurückgehen, zumal der Mindestlohn nach oben wandert. . Haushalte werden auf jeden Fall mehr für Kinderbetreuung, Müllbeseitigung und für Restaurants ausgeben müssen. So ist in der Schweiz der Niedriglohnsektor nur halb so groß wie in Deutschland. Vgl. Schieritz, Mark: Pizza für 20 Euro? in: Die Zeit Nr. 9/ 23.2.23, S. 1. Die Tarifpolitik müsste die Geldpolitik eigentlich im Kampf gegen die Entwertung unterstützen. Auf der anderen Seite ist auch verständlich, dass die Beschäftigten auf den ersten Blick ein geringes Vertrauen in eine rasche Rückkehr zu stabilem Geld haben. Vgl. Braunberger, Gerald: Hartnäckige Inflation, in: FAZ 1.3.23, S. 1.

Besondere Auswirkungen könnten die Streiks im öffentlichen Dienst haben. Die Gehaltsforderungen deuten auf einen beispiellos hohen Tarifabschluss hin. Das könnte zu ökonomischen Kollateralschäden führen: höhere Steuern und Gebühren, sinkende Investitionen. Damit  würde sich das Risiko für eine Lohn-Preis-Spirale in Deutschland erhöhen. Vgl. Losse, Bert: Alle Räder stehen still, wenn ...", in: Wiwo 11/ 10.3.23, S. 38f. Ver.di hat eine hohe Verhandlungs- und Streikmacht. Betroffen sind auch Flughäfen, Kitas, Krankenhäuser. Am 27.3.23, an einem Montag, kommt eine Art Generalstreik. Es wird nicht mehr viel in Deutschland gehen. Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst scheitern. Es kommt eine Schlichtung (Lühr, Milbradt als Schlichter).

Die Gewerkschaften bestreiken Deutschland wie seit 30 Jahren nicht mehr. Es gibt auch wieder viele Eintritte. Durch das Bündnis mit Fridays for Future gewinnen die Gewerkschaften junge Leute. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund  und Kommunen bekommen deutlich höhere Löhne (Schlichtung).

Fachkräftemangel und selbstbewusste Gewerkschaften erzeugen einen Lohndruck., der die Inflation antreibt. 2023 sind die Verbraucherpreis eu m +5,7% angestiegen. Die Nominallöhne um +6,3%, die Reallöhne um 0,6%. Vgl. HB 6/ 9.1.24, S. 15.

Vermögen: Von Sparkonten zu Aktien und Finanzerträgen sowie Luxus. Durch die hohe Inflation sinken die Realzinssätze für private Bankkunden rapide (August 22 -6,98%, Differenz Zinssatz, Inflationsrate). Die Haushalte bauen ihre Ersparnisse ab. Sie gehen dafür in Aktien und andere Anlageformen (Fonds, Anleihen, betriebliche Altersvorsorge). Dabei haben sie große Minusbeträge verloren durch Kursverluste. Vgl. Bartz, Tim: Zeitenwende im Geldbeutel, in: Der Spiegel Nr. 38/ 17.9.22, S. 66ff.

Inflation gehört zu den Elementarrisiken für Vermögen. Die Geldentwertung frisst direkt die  Kaufkraft des Geldes auf dem Bankkonto. Wer Inflationsschutz sucht, schaut nach Sachwerten. Neben Gold sind das Immobilien, Aktien und nunmehr auch Kryptowährungen. Der Kauf von Anlagegold ist von der Umsatzsteuer befreit. Wer Anlagegold nach mehr als einem Jahr Haltedauer verkauft, muss Gewinne daraus nicht versteuern. Möglich sind auch Gold-Zertifikate oder Gold-ETFs. Vgl. auch: Osada, Lisa: Aktien Life Balance. entspannt investieren in Wertpapiere und ETFs, echtEMF 2023 (auch von ihr: www.aktiengram.de).

Eine weitere Konsequenz ist, dass mehr Geld in teure Handtaschen, Juwelen und Autos fließt. Man spricht auch vom "Bling-Bling-Boom".  Folglich überholt der reichste Mann der Welt Bernard Arnauld, der Inhaber der Luxusmarken ist/LVMH in Paris , die Tech - Milliardäre der USA und Chinas. Bei den Verkäufern ergibt sich ein Dilemma: Je mehr Luxus sie anbieten, umso weniger exklusiv wird er (Zerstörung des Snob-Effektes). Vgl. Buchter, Heike/ Rohwetter, Marcus: Der Bling-bling-Boom, in: Die Zeit 21/ 17.5.23, S. 19.

Im Jahre 2022 sind die Privaten Geldvermögen weltweit so stark gesunken wie seit Weltfinanzkrise nicht mehr. Das ist dem Kampf gegen Inflation geschuldet. Am stärksten gelitten haben Wertpapiere. Deutschland ist auf den 19 Platz in der Welt gefallen (Durchschnitt 63.540€). Am höchsten sind weltweit die Netto-Geldvermögen in den USA, Schweiz, Dänemark. . Quelle: Allianz: Global Wealth Report 2023.

Die realen Vermögenserträge der Deutschen sind gesunken. Anleger haben es schwer, real Geld zu verdienen. Der Immobilienmarkt entwickelt sich verhalten. Die aussichten am Kapitalmarkt sind ungewiss. Bei Bankeinlagen sind negative reale Renditen wahrscheinlich. Langfristig dürften Wertpapiere am meisten bringen. Vgl. Radke, Marc Peter/ Rupprecht, Manuel: Die Last des Sparens, in: WiWo 44/ S. 42.

Zinsschock und Bankenkrise/-beben (Finanzkrise?): Die Silicon Valley Bank (SVB) in den USA (16. größte Bank der USA, 200 Mrd. $ Bilanzsumme)) ist im März 2023 pleite und erschüttert die Finanzwelt (sie hatte viel Geld in Staatsanleihen angelegt, die durch die Zinserhöhung an Wert verloren haben; sie muss mit Verlust verkaufen). Venture-Capital Investoren raten, Geld von der SVB abzuziehen.  An einem Tag heben die Kunden 42 Mrd. $ ab. Es könnte ein Fanal sein. Der überfällige Zinsanstieg könnte weitere Banken erschüttern. Wenn die Notenbanken deshalb in ihrer Zinspolitik nachgeben, droht eine lange Zeit der Geldentwertung. In GB hat der UK Pension Fund gekriselt, dem aber unter die Arme gegriffen wird. In der Schweiz hat die Credit Suisse große Probleme. Die Schweizer Notenbank stellt Kredite zur Verfügung. Die Bank steht aber weiter unter Druck. Wahrscheinlich kommt eine Übernahme durch die UBS. Die wird am 20.3.23 von Politik und Aussicht erzwungen. Damit entsteht eine der größten Banken der Welt (die aber die Rechtsrisiken der Credit Suisse übernimmt).

Sparer in der EU dürfen auf die Sicherheit ihrer Bankguthaben vertrauen. Es gibt Regelungen zur Einlagensicherheit. Bis zu 100.000 € pro Bank und Sparer sind geschützt. Bei Gemeinschaftskonten und Ehepartnern werden 200.000 € abgesichert. Zusätzlich gibt es einen Fonds der Privatbanken und öffentlichen Banken. Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben "institutsbezogene Sicherungssysteme".

Speziell kleinere Banken stehen unter Druck. Zuerst trifft es die First Republic Bank in den USA, die um -67% in den Keller rauscht. Sie wird von einigen Großbanken aufgefangen (Wells Fargo, JP Morgan Chase, Citigroup, Bank of America). Auch andere US-Regionalbanken geraten in Turbulenzen, wie die Signature Bank Es soll eine bessere Regulierung kommen. Vgl. Bergermann, m. u. a.: Zinsbeben, in: WiWo 12/ 17.3.23, S. 14ff.und Der Spiegel 12/ 18.3.23, S. 58ff. Es kommt weltweit zu einem Kursverfall bei Banken.

Es rächt sich jetzt. dass die Finanzlobby in den USA und GB Regeln ausgebremst hat. So kam es zu unzureichenden Reformen nach der Finanzkrise 2008. Es gibt einfach zu viele Schulden und zu viele Geld wird hin und her geschoben. Die Mischung zwischen Inflation, Zinswende und hausgemachten Skandalen ist toxisch. Hinzu kommt, dass die Funktionsweise der Banken immanent krisenanfällig ist: Die Eigenkapitaldecke ist zu gering, der Verschuldungsgrad zu hoch. Bei Gewinnen wird zuviel als Dividende ausgeschüttet. Die Anreize im Management der Banken sind falsch gesetzt. Auch das "too big to fail" -Problem ist noch nicht gelöst. Wenn das Vertrauen erschüttert ist (geht schneller über die Sozialen Medien), ist ein Bank-Run kaum noch zu stoppen. Sicher wird das Bankenbeben auch realwirtschaftliche Folgen haben (diese Ansteckung vollzieht sich langsamer), ebenso für die Geldpolitik der Länder. Die Zentralbanken können schwieriger die Kontrolle halten. "Die Gefahr eines Unfalls ist ziemlich hoch", Ökonom El-Erian, in: Der Spiegel 14/ 1.4.23, S. 63.

Konkret muss die Privilegierung bei den Eigenkapitalregeln der Banken weg. Die Banken müssen an die kurze Leine genommen werden. Die Staatspapiere, die nicht risikofrei sind, müssen besser reguliert werden. Vgl. Sinn, H. - W.: Wie die Politik das wacklige Finanzsystem stabilisieren kann, in: WiWo 16/ 14.4.23, S. 43.  

Klimawandel, Klimaschutz, Energiewende und Nachhaltigkeit. Die Extremwetterlage aufgrund von Klimawandel wirken in zwei Richtungen. Unmittelbar zerstören Unwetter die Ernte, was den Preis für Hartweizen (Nudeln), Kaffee oder andere Güter in die Höhe treibt. Fluten und Stürme zerstören Transportwege von Lastern und Zügen., so dass die Frachtkosten steigen. gleichzeitig zerstören Naturkatastrophen Häuser, Straßen oder Bahnstrecken (Vermögen). Eines der größten Probleme ist die zunehmende Trockenheit. Ernten fallen schlechter aus, die Kosten für Wässerung steigen.

Hinzu kommen Energiewende und Nachhaltigkeit. Man spricht von "Grüner Inflation" neudeutsch "Greenflation". Der strukturelle Wandel zu einer nachhaltigen CO2-freien Wirtschaft wird viel Geld kosten.  Die Grüne Inflation wird die Kosten für Energie und Rohstoffe anheizen. Besonders betroffen sein werden die Preise für Metalle wie Zinn, Aluminium, Kupfer, Nickel, Kobalt, die für die Energiewende unverzichtbar sind. Eine Studie des "Network for the Greening of the Financial System (NGFS)", eines Arbeitskreises von Wissenschaft und Notenbankern, prognostizierte dass die anvisierte Klimaneutralität die Inflationsrate in den 2020er-Jahren um mehr als einen Prozentpunkt nach oben erhöhen wird. Vgl. Jürgen Gaulke: Inflation. 33 Fragen, Antworten, München (Piper) 2022, S. 62-67.

Vorhersage: Inflation nur als Teil einer komplexen Problemlage: Wahrscheinlich wird die Inflation 2022 etwas zurückgehen (keine Hyper-Inflation). Sie bleibt aber bestehen und ist mit Überalterung (Demographie, Fachkräftemangel), Dekarbonisierung, hohen Staatsschulden, Corona (Stau im größten Container-Hafen der Welt in Shanghai), Lieferengpässen und internationalen Konflikten (Ukraine, Gebietsansprüche Chinas im indischen Ozean) vermischt. Diese Mischung ist explosiv. Robert Shiller erinnert die Lage an 1929, das Jahr der Weltwirtschaftskrise: nervöse Börsen, steigende Preise, geopolitische Konflikte.  Vgl. Heissler, Julian: "Die Lage erinnert an 1929", in: Interview mit Shiller, WiWo 8/ 18.2.2022, S. 36f. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine macht folgende Wirkungen wahrscheinlich: Geringeres Wirtschaftswachstum in Deutschland und der EU (eventuell Rezession/ Stagflation). Weiterer Anstieg der Energiepreise (auch aufgrund des Klimaschutzes). Diversifizierung der Energieversorgung. Weiterer Anstieg der Inflation. Dafür spricht noch ein anderer Grund: Lieferketten werden durch den Krieg extrem behindert (Zugverbindungen, Lufttransport, LKW-Fahrermangel, Landwirtschaft, Düngemittel/ Kali). Steigende Zinsen dürften erzwungen werden (wenn die EZB sicher auch wegen der Kriegsfolgen hinauszögern wird). Deutschland würde noch mehr getroffen, wenn China Taiwan übernehmen würde. Die deutsche Großindustrie ist abhängig vom chinesischen Markt. Mit offenen Märkten und einer weiteren Globalisierung dürfte es vorerst vorbei sein. Die EU muss sich energie- und handelspolitisch unabhängig machen. Deutschland muss in hohem Maße aufrüsten (100 Mrd. € als Sondervermögen). Millionen von Flüchtlinge aus der Ukraine in die EU müssen unterstützt und versorgt werden. Das alles kostet viel Geld und wird den Wohlstand einschränken. Eine Stagflation wird immer wahrscheinlicher. Sie könnte durch eine Lohn-Preis-Spirale befördert werden (vgl. oben). In den USA hat sie bereits begonnen: Hohe Inflation (7,5%) und Fachkräftemangel treiben die Arbeitseinkommen nach oben. Vgl. Heissler, Julian: Das Gespenst der Siebziger, in: WiWo 11/ 11.3.22, S. 38f. Alle Wirtschaftsforschungsinstitute gehen von einem weiteren Anstieg der Inflation aus: 2022 +5,1% - 6,1%, 2023 +3,7%. Sie kappen auch ihre Wachstumsprognosen für 2022 (von 3,7% auf 2,2 - 3,1% bzw. 1,8% SRW und zuletzt 1,5%) und 2023. Quelle: Ifo-Institut, München März 2022. Die großen Krisen unserer Zeit greifen ineinander und lassen eine exakte Prognose nicht mehr zu: Klimawandel, Corona, Ukraine-Krieg, Massenflucht, Angebotsschock mit Hunger, Schuldenexzesse. Vgl. auch: Interview mit der Weltbank-Vizepräsidentin Carmen Reinhart, "Wir haben vergessen, was es heißt, mit hoher Inflation zu leben", in: Die Zeit Nr. 14/ 31.3.22, S. 26. Ebenso das Interview mit Kenneth Rogoff im Stern vom 9.6.22, S. 32ff. Er weist vor allem darauf hin, dass und ein Absturz droht, wenn China nicht mit Covid fertig wird. Er räumt auch ein, dass unser Wohlstand mittlerweile von Autokraten abhängt.

Im Sommer 2022 kommen zwei Risiken dazu, die die Krise verstärken können: Einmal könnte Russland den Gashahn ganz abdrehen. Dann drohen Produktionsausfälle und eine Rezession. Zum anderen könnte die EZB gezwungen sein, relativ stark gegen die Inflation ab September 2022 vorzugehen. Dann droht eine Rückkehr der Euro-Krise, die insbesondere das südliche Europa treffen würde. Vgl. Nienhaus, Lisa/ Rudzio, Kolja: Kann das noch gut gehen, in: Die Zeit Nr. 27/ 30. Juni 2022, S. 22. Es könnte also zu einer Kombination von Stagflation der Siebzigerjahre  und Schuldenkrisen von 2008 kommen. Vgl. Roubini, Nouriel: Diese Sechs Fragen entscheiden über das Schicksal der Weltwirtschaft, in: WiWo 28/ 8.7.22, S. 43. Die Bundesbank rechnet Ende 2022 damit, dass die Inflation 2023 deutlich zurückgeht. Die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute und Banken für 2023 liegen in der Spanne zwischen 5 und 7,5%. Beim Wirtschaftswachstum liegt nur ein Institut im positiven Bereich (IfW 0,3%). Am pessimistischsten ist das IW mit -0,75% beim BIP in Deutschland für 2023. China wird kaum die Rolle der Lokomotive übernehmen können. Man erwartet maximal 5% Wachstum. Unternehmen und Kommunen sind hoch verschuldet, so dass es kaum Kredit finanzierte Programme zur Konjunkturbelebung geben dürfte. Die Inflation in der EU ist hartnäckig und könnte sich in den nächsten Jahren strukturell verfestigen, so dass das 2%-Ziel eine Illusion ist. Vgl. Fischer, Malte: Die Zweiprozentillusion der EZB, in: WiWo 12/ 17.3.23, S. 40f. Der Gaza-Krieg ab Herbst 2023 spricht sicher auch nicht für eine Beruhigung der Preise. Das Risiko auf den Energiemärkten steigt.

Viele Experten erwarten sowieso eine dauerhafte Inflation, die bei drei bis vier Prozent bleiben könnte. Vgl. HB 5. September 2023, S. 4f. Andere rechnen mit einer Inflation knapp über 2% schon ab 2024. Vgl. Interview mit Friedrich Heinemann in; Die Rheinpfalz, 13.9.23. Vielleicht liegen dann die wirklichen Daten dazwischen. Abzuwarten bliebt, wie die Mehrwertsteuererhöhung ab 1.1.24 auf den normalen Satz von 19% bei Energie und Gaststätten sich auswirken wird. Nach EZB-Prognose dürfte erst im Laufe des Jahres 2025 die Inflation wieder nahe 2% liegen. Einige Ökonomen warnen Ende 2023 vor zu großem Zinsoptimismus und vor einer Euphorie an den Märkten (so Axel Weber, Ex -Bundesbankpräsident, bis 2022 Verwaltungsrat bei UBS, jetzt Berater). Vgl. HB 11.12.23, S. 1. Die Risiken wachsen. Es gibt zwei Treiber: Die Geopolitik (Krisen, Transportkapazitäten, Suezkanal) und knappe Arbeitskräfte. Vgl. Fischer, Malte: Achtung! Das Biest lebt noch, in: WiWo 5/ 26.01.24, S. 34f.

"Ein Vermögen zu erwerben, ist leicht, es zu beschützen, ist schwer", aus China.   

Exkurs. Aktuelle Sammelwerke: 1. Thomas Mayer: Das Inflationsgespenst. Eine Weltgeschichte von Geld und Wert. Salzburg/ München (Ecowin) 2022. Das Buch stellt eine Reise dar durch die Geldgeschichte. Es zeigt auf, wie ein Übermaß neuen Geldes immer wieder Krisen, Umbrüche und Neuordnungen auslöst. Wie können wir langfristig einen stabilen Euro erhalten? Und warum ist das Modell von Keynes auf die heutige Situation nicht mehr anwendbar. Mayer zeigt auf, wie die Niedrigzinspolitik uns in ein Dilemma gebracht hat und warum digitale Währungen eine Alternative zum heutigen Geldssystem sein können. Das Buch bietet einen hervorragenden, möglichst aktuellen  Überblick über das Thema "Inflation". Insofern kann es aktuell auch ein Lehrbuch ersetzen (die sind größtenteils veraltet). 2. Jürgen Gaulke: Inflation. 33 Fragen, Antworten, München (Piper) 2022. Anhand von 33 Fragen analysiert der Autor die wichtigsten Aspekte der Inflation. Was bedeutet sie für Verbraucher, Anleger, Angestellte und Rentner? Wie kann man sich vor den Folgen der Geldentwertung schützen? Was kann der Staat tun, um die Inflation zu bekämpfen?  3. Hans-Werner Sinn: Die wundersame Geldvermehrung. Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation, Freiburg (Herder) 2021. Der Titel sagt schon viel bezüglich der Inflationsgefahr. Der Autor fängt mit den drei großen Krisen (Subprime, Mittelmeer, Corona) als Ausgangspunkt an. Dann behandelt er die EZB als Rettungsinstanz. Es folgen die Konsequenzen (Druckerpresse, Geldmengenvergrößerung, Schulden). Sinn analysiert auch die Geldpolitik der EZB (Liquiditätsfalle, Negativzinsen, Zerstörung der Inflationsbremse). Er zeigt schließlich Wege auf, den Gefahren zu entkommen. Zur Inflation 1923 in Deutschland sind in jüngster Zeit viele Bücher erschienen, unter anderem von Hoffritz 2022, Stocker 2022, Ullrich 2023. Es werden auch Vergleiche mit der jetzigen Inflation gezogen.

"Wenn es (das viele neue Geld, W. K.) überhandgenommen hat und zu spät entdeckt worden ist, kann es der Herr nicht ohne Mühe und nicht ohne erneute Belastung seiner Untertanen beseitigen und erst recht nicht ohne Unglimpf, da er ja selbst die Ursache dafür gesetzt hat", Nicolaus Copernicus, Gesamtausgabe, hier zitiert nach Hans-Werner Sinn: Die wundersame Geldvermehrung. Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation, Freiburg/ Basel/ Wien (Herder) 2021, S. 403.

 

Wahrscheinlich zeigt dieses Bild die Zukunft der Energie an: Dezentral wird mit den erneuerbaren Energieträgern Energie produziert. Wind, Sonne, Wasser und Erdenergie werden auf kleinste Einheiten herunter gebrochen. Es gibt schon viele Kleinwindräder (kann man auch selbst zusammenbauen). Dieses Haus steht auf der Vulkaninsel Thirasia, einer benachbarten Vulkaninsel von Santorin. Die Inseln gehören zur Inselgruppe der Kykladen in Griechenland. Thirasia entstand durch den Vulkanausbruch 1630 v. Chr. als Abspaltung von Santorin. Der Philosoph Platon meint mit diesem Ereignis den Untergang von Atlantis. Die Insel muss extrem reich gewesen sein und lag im Zentrum vieler Hochkulturen und war auch Handelszentrum. Vor einer weiteren Nachbarinsel, Paleia Kameni, gibt es heiße Quellen, so dass man in heißem Wasser schwimmen kann. Man hat also in dieser Region alle alternativen Energiequellen, und das seit alters her. In der Nähe tickt 2024 allerdings auch eine Zeitbombe. Ein Wrack eines vor 17 Jahren in der Ägäis gesunkenen Kreuzfahrtschiffes (Sea Diamond) bedroht die Umwelt.

Die Weltenergiekrise einschließlich Rohstoffkrise und die Folgen der Epoche der Hochpreisenergie sowie der -rohstoffe (Vgl. zu einer sehr ausführlicheren Darstellung "special/Umweltökonomik"; vor allem Ressourcen)

"Während die Menschheit lange sehr viel Planet für wenig Mensch gegenüberstand, gibt es heute für immer mehr Menschen immer weniger Planet. Will  die Menschheit nicht ihren eigenen Zusammenbruch herbeiführen, muss sie lernen, in einer vollen Welt zu wirtschaften, auf einem einzigen Planeten, mit begrenzten Ressourcen. Das ist eine neue Realität", Maja Göpel, in: Dieselbe, Unsere Welt neu denken, Berlin 2020, S. 36.

"Es ist jetzt eure Welt, nutzt die Zeit. Seid Teil von Gutem und lasst Gutes zurück", The Eagles (aus: "Long Road out of Eden", aus dem Jahr 2007. Am bekanntesten von ihren Songs ist die Langversion von "Hotel California")

Explosion der Energiekosten 2021 und 2022, 2023: 2021 erreichen die Preise für Öl, Gas und Kohle Rekorde und damit auch die Energiepreise. Innerhalb eines Jahres (1.10.2020 bis 7.10.2021) ist der Gaspreis um +122%, der Ölpreis um +99% und der Preis für Kohle um +310% gestiegen. Noch nie waren Strom und Gas so teuer wie Anfang 2022. Europas Gasspeicher sind relativ leer. Es gibt viele Ursachen: Knappheit (z. B. Kohle in Indien), großer Rohstoffhunger (z. B. in China nach Corona), hoher Eigenbedarf der USA, Strategie Russlands, Umstellung der Stromproduktion von fossilen zu alternativen Energien. Die hohen Preise treffen Verbraucher und Industrie. Vgl. Jacob Blume u. a.: Die Welt-Energiekrise, in: HB Nr. 195, Wochenende 8./9./10. Oktober 2021, S. 46ff. Die Ampelkoalition muss zügig für bezahlbaren Strom und auch kostengünstiges Wohnen sorgen.  Wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, werden die Bürger in Deutschland die Energiewende nicht akzeptieren. Auch energieintensive Unternehmen stehen unter Druck.  Fast überall ist Strom billiger als hierzulande. Eine weitere Preisexplosion bei der Energie kommt dann durch den Ukraine-Krieg ab 24.2.22. Embargos erhöhen den Preisdruck weiter (bei Öl und Kohle von der EU). Die Parität des Euro zum Dollar, in dem die Energieimporte abgerechnet werden, verteuert die Energie weiter. Für die privaten Haushalte gibt es zur Jahreswende 21/22 eine Art Energiepreisschock. Viel Strom- und Gasanbieter haben die Preise für Sondervertragskunden saftig erhöht. Dadurch sind die eigentlich teureren Tarife der örtlichen Grundversorgung oft billiger. Wechselmöglichkeiten sind aber rar. Das Bundeswirtschaftsministerium will die Missbrauchsaufsicht im Energie-Bereich verschärfen. Eine Ausweitung auf die Fernwärme soll stattfinden.

Exkurs: Deckelung der Preise für Energie und staatliche Hilfen: 2021 sind die Energiepreise drastisch gestiegen: Strom +64%, Gas +63%, Benzin +28%. Das führt zu einer Diskussion: Sollte der Staat den Bürgern helfen, damit er den Rückhalt für den Klimaschutz behält? Er könnte etwa die Preise deckeln. Das führte aber zu einer künstlichen Verbilligung fossiler Energie, was ein gefährliches Signal sein könnte. Vgl. Tatje/ Kerbusk: Sollte der Staat die Preise deckeln? in: Die Zeit Nr. 3/ 13.1.22, S. 21. Die Wende zu grünen Energiequellen beinhaltet also auch das Risiko einer mittelfristig höheren Inflation. Der Haupttreiber für die im europäischen Vergleich, aber auch im weltweiten Bezug, hohen Strompreise in Deutschland sind Steuern und Abgaben. Vielleicht sollte es Hilfe geben für diejenigen, die sich Strom bald nicht mehr leisten können. Die Hilfe soll als Einmalzahlung für bedürftige Haushalte (Rentner, Transferleistungsempfänger) im Juni 2022 kommen (zwischen 125 und 175€, 35€ für zusätzliche Person). Der Heizkostenzuschuss wird am 16.3.22 verdoppelt. Es kommen auch höhere Freibeträge. Der Ukraine -Krieg treibt die Preise weiter. Lindner fordert einen Tankrabatt, die Grünen wieder ein Tempolimit. Sie sind auch eher für eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Treibstoff. Andere sprechen sich für ein Energiegeld aus (Details unklar, Auszahlung unklar). Experten sprechen sich auf eine Beschränkung der Förderung auf einkommenschwache Haushalte und industrielle Notlagen aus. Vgl. Fuest, Clemens: Ein Schirm darf nicht zur Gießkanne werden, in: WiWo 12/ 18.3.22, S. 43. Als weitere Entlastungsmaßnahme wird ein Mobilitätsgeld diskutiert (für Einkommensschwache). Es soll vom Arbeitgeber gezahlt werden und mit der Lohnsteuer verrechnet werden. Schließlich werden am 23.322 folgende konkrete Maßnahmen beschlossen: Einmalig 300 Euro für ArbeitnehmerInnen und Selbständige. Einmaliger Familienzuschuss von 100 Euro pro Kind. Erhöhung der Einmalzahlung an Empfängerinnen von Transferleistungen auf 200 Euro pro Person. Vorübergehende Senkung der Energiesteuer für drei Monate. Drei Monate für nur 9 Euro pro Monat den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Ökonomen kritisieren am meisten die Spritpreissenkung (drei Monate Senkung der Energiesteuern) und deren Finanzierung über zusätzliche Schulden. Man spricht von "finanzpolitischem Unsinn". Diese Maßnahme nützt besonders den Besserverdienenden und trägt die Handschrift der FDP. Hinzu kommen die Erhöhung der Pendlerpauschale und die Abschaffung der EEG-Umlage sowie das Kesselaustauschprogramm ab 1.1.24. Bundestag uns Bundesrat billigen die Maßnahmen. Weitere Entlastungen hält der Bundesfinanzminister für 2022 nicht für finanzierbar. Ein neues Paket könne erst 2023 kommen. Die Umweltministerin von den Grünen schlägt eine Moratorium für Haushalte vor, die nicht in der Lage sind die hohen Energiepreise zu zahlen und denen eine Abschaltung droht. Am 11. August 2022 kündigt Scholz auf einer Bundespressekonferenz ein neues Hilfspaket an. Er verspricht Deutschland sozialen Frieden. Es wäre das dritte Paket. Dringend notwendig wäre ein Gas-Grundkontingent für alle Gaskunden. Dafür könnte der Preis gedeckelt werden. Niedrige und mittlere Einkommen müssten Ziel gerichtet unterstützt werden. Vgl. Interview mit Veronika Grimm in Die Zeit Nr. 36/ 1.9.22, S. 20. Die EU-Kommission schlägt Anfang September 2022 Preisdeckel für Stromlieferungen vor und damit Eingriffe in Europas Energiemärkten. Oberhalb einer bestimmten Preisgrenze sollen Gewinne der Stromproduzenten abgeschöpft werden. Auch russisches Gas soll einen Preisdeckel erhalten. Das dritte Paket hat folgenden Inhalt: Strompreisbremse für Basisbedarf. Zufallsgewinne der Energieunternehmen sollen abgeschöpft werden. 300 Euro Energiepreispauschale für Rentner, 200 für Studierende und Fachschüler. Einkommensteuerentlastungen für KMU, auch Hilfe für energieintensive KMU. Wohngeldreform. Verhinderung von Strom- und Gassperren. Nachfolge des 9-Euro-Ticket (insgesamt 65 M rd. €).  Im September 2022 scheitert die Gasumlage. Es soll ein Gaspreisdeckel kommen. Über die Finanzierung gibt es Streit. Vgl. Artikel weiter unten. Der Deckel soll ab Januar 23 gelten (im März 23 rückwirkend ausgezahlt). Die Energiepreisbremsen fallen ab 1.1.24 wieder weg (Urteil vom Bundesverfassungsgericht zum Haushalt).

Exkurs. Energiekostendämpfungsprogramm (EKDP): Maßnahme der Bundesregierung, um energie- und handelsintensive Unternehmen vor der Pleite zu bewahren. Das Programm ist am 15. Juli 2022 gestartet. Die EU gab grünes Licht. Das Programm umfasst insgesamt 5 Mrd. € Das Programm wird später noch für KMU geöffnet. Bis Anfang September 2022 wurden schon 3208 Anträge gestellt. Das Programm ist eigentlich auf die Industrie ausgerichtet. Es soll systematisch auf Handwerk und Dienstleistungen ausgeweitet werden. Viele Unternehmen können die stark gestiegenen Energiekosten wegen des internationalen Wettbewerbs nicht an ihre Kunden weitergeben. Zusätzlich soll die Förderbank KfW noch besser ausgerüstet werden. Die Wirtschaft fordert einen Industriestrompreis.

Exkurs. Gaspreisbremse (später Einbeziehung von Öl und Pelets/ Holz): Die Gasumlage wird gekippt. Große Gasimporteure werden unter staatliche Treuhand gestellt oder verstaatlicht, um die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten. Die genaue Funktionsweise der Gaspreisbremse ist noch unklar (Expertenkommission, Kommission "Gas und Wärme", Veronika Grimm, Empfehlungen 10.10.22; in der Kommission ist auch eine Deutsche dabei, die in den USA lehrt: Isabelle M. Weber, Uni of Massachusetts/ Amherst). Bis Mitte Oktober soll ein Gesetz fertig sein. Die Bremse wird über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds finanziert (200 Mrd. €, ursprünglich Schutzschild gegen Corona; "Doppel-Wumms" genannt). Das Geld soll auch für eine Strompreisbremse verwendet werden. Da ein Schattenhaushalt bereit steht, soll die Schuldenbremse eingehalten werden. Hinzu kommt eine Mehrwertsteuersenkung auf Gas (vom 1.10.22 bis 31.3.24  7%). Für 2022 kommt im Dezember eine Abschlagszahlung als Hilfe staatliche Einmalzahlung). Ab März 2023 bis Ende April 2024 werden 80% des Gasverbrauchs staatlich gestützt, so dass bis zu dieser Obergrenze subventioniert wird (Kosten 90 bis 95 Mrd. €). Die restlichen 20% werden nach dem aktuellen Marktpreis bewertet. Kritiker befürchten Fehlanreize und eine Anheizung der Inflation. Vgl. Sinn, H.-W.: Die ökonomischen Kollateral - Schäden der Gaspreisbremse, in: WiWo 41/ 7.10.22, S. 41. Konstruktionsfehler sind auch: Mitnahmeeffekte, zu wenig Sparanreiz. Über die Umsetzung der Kommissionsvorschläge muss die Bundesregierung entscheiden. Dazu gehört auch eine europarechtliche Prüfung. Die Bundesländer fordern, dass die Maßnahmen schon im Januar 2023 wirken sollen (insbesondere für die Unternehmen). Der Bundeskanzler lässt das prüfen. Wahrscheinlich wird die Entlastung von den Strompreisen ab Januar 23 kommen, von den Gaspreisen erst ab Februar oder März 23 (dann doch ab Januar 23, im März rückwirkend ausgezahlt). Für Unternehmen soll die Preisbremse nur unter Auflagen kommen: nur bei Standorterhalt und keinen Kündigungen (25.000 Antragsteller? Anwendung auf 70%). Der Bundestag beschließt am 21.10.22 grundsätzlich das Paket (konkrete Aspekte bleiben offen). Der Bundestag gibt damit  für die Finanzierung grünes Licht und lässt die genaue Ausgestaltung offen. Die Verteilung zwischen Bund und Ländern muss verhandelt werden. Am 27.10.22 bringt die Regierung die Soforthilfe auf den Weg (private und gewerbliche Kunden werden von Abschlagszahlungen für Dezember 2022 freigestellt). Die Gas- und Wärmekommission spricht sich in ihren 2. Gutachten noch zusätzlich später für einen Härtefonds aus. Im Dezember beschließt die Bundesregierung auch Heizkosten Entlastungen für Öl und Holz/ Pelets. Noch vor Weihnachten soll ein Gesetz kommen.

Auf einem Gipfel versucht auch die EU eine europäische Lösung zu finden (20./21. 10.22). Der deutsche Alleingang  mit dem 200-Milliarden-Schirm stößt auf Kritik. Deutschland verweist darauf, dass andere EU-Länder das gleiche machen (Frankreich, Italien, Spanien). Einem europaweiten Höchstpreis stimmt Deutschland nicht zu (Blockade, weil dann das Gas woanders hin gehen könnte; Angebotsverknappung). Deutschland will eine Art Notfallplan oder einen Höchstpreis für einen Teil des Gases. Der Höchstpreis soll von einem Gremium geprüft werden. Ein gemeinsamer Gaseinkauf wird beschlossen (insbesondere Unternehmen können sich zusammentun, Änderung des Wettbewerbsrechts notwendig). Das Thema wird auf EU-Sitzungen immer wieder aufgegriffen. Im Grund genommen will man auch an den deutschen Geldtopf. Im Dezember 2022 soll noch eine Entscheidung zum Gaspreisdeckel kommen. Es soll ein "atmender" Deckel sein, variabel in Bezug auf den Weltmarktpreis. Als Bezugspunkt einigt man sich am 19.12.22 auf 180 €.

2024 normalisieren sich Preise für Strom und Gas wieder. Das kommt nach Jahren der Rekordsprünge an den Energiebörsen.  Die Energiepreise sinken auf Vorkrisenniveau. Es sinken so auch die Energiekosten für Unternehmen. Auch die Preise für Chemieprodukte sinken. Das kommt allerdings nicht bei allen Unternehmen an. Vgl. Fröndhoff, Bert u. a,: Energiepreise sinken auf Vorkrisenniveau, in: HB 5.3.24, S. 18f.

Ressourcenknappheit (Rohstoffe): Es ist der Ausgangspunkt der Ökonomie, mit knappen Ressourcen zu wirtschaften. Die Ressourcen können nicht unbegrenzt genutzt werden. Wir verlagern die Ausbeutung vom Raum in die Zeit zu Lasten nachfolgender Generationen. Der Wachstumsbegriff, der in der Politik und Wissenschaft als unangreifbar gilt, muss in Frage gestellt und diskutiert werden. Anzustreben ist eine strenge Trennung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. Der Einsatz von grünen Produkten rechnet sich auch wirtschaftlich. Die Umwelttechnologie ist die Leitindustrie des 21. Jahrhunderts. Rapide steigende Rohstoffpreise infolge der Knappheit zwingen die Industrie zum wirtschaftlichsten Einsatz von Ressourcen (Effizienz). Die Rohstoffproduktivität ist im Vergleich zur Arbeitsproduktivität aber kaum gestiegen. Da Material den Löwenanteil der Produktionskosten ausmacht, ist hier anzusetzen. Hundert Jahre gab 1972 der Club of Rome der Weltwirtschaft - dann seien die wichtigsten Ressourcen erschöpft. Sicher finden schon lange Stellvertreterkriege um Ressourcen statt, vor allem in Afrika. Immer wichtiger wird die Arktis als zukünftiger Rohstoffstandort. Es gibt einen arktischen Rat (Anrainerstaaten, unter anderem Norwegen, Kanada, USA). Andere Staaten wie China und Indien sind Beobachter (EU wegen Robbenstreit in Kiruna ausgeschlossen). Ende 2014 erhebt Dänemark Gebietsansprüche auf die Arktis (mit Grönland; durch Rückgang des Meer-Eises Rohstoffe). Durch den Ukraine-Krieg verteuern sich 2022 massiv die Rohstoffe Kobalt, Lithium, Kupfer und Nickel. Von letzterem sind 40% der Importe aus Russland. Das bedroht auch die Batterieherstellung und den E-Auto-Boom. Im April 2022 kommt ein Gesetz zur Sicherstellung der Gasversorgung in Deutschland: Die Gasspeicher müssen zum 1 Oktober 22 zu 80% und zum 1. November zu 90% gefüllt werden (+ Mindestfüllmenge 1. Februar 23 40%).  El Mirador, die Wiege der Maya-Zivilisation in Guatemala, bestand aus trocken gelegten Sümpfen, gefälltem Wald und riesigen Terrassenfeldern. Irgendwann zerstörten sie durch immer aufwendigere Bauten ihre eigene Lebensgrundlage. Konsequenz waren Hungersnöte und Kriege, bis sie die Stadt aufgeben mussten. Sie gilt als einer der frühesten Beispiele der Auswirkungen von Ressourcenknappheit.

Den Handel mit Rohstoffen betreiben die Rohstoff-Konzerne. Die größten sind 2021 Vitol (Rotterdam, Niederlande, seit 1966), Trafigura (seit 1993, Singapur, niederländisches Unternehmen), Glencore (Baar, Schweiz), Mercuria (seit 2004, Genf/ Schweiz), Jiangxi Copper (seit 1979, Guixi/ China), Rio Tinto (seit 1873, London, GB/ Melbourne, Australien), BHP (seit 1885, Melbourne, Australien) und Vale (seit 1942, Rio de Janeiro, Brasilien). Es ist die Rangfolge nach dem Umsatz. Sie besorgen den Nachschub für die Fabriken der Welt. Vgl. auch: Kiani-Kress, R. u. a.: Naivität wird bestraft, in: WiWo Nr. 14/ 1.4.22, S. 14ff. Man sollte auch die Abhängigkeit von Rohstoffen und Energie nicht nur der Politik anlasten, sondern die Konzerne haben auch eine Mitschuld. Dazu sollten sie marktwirtschaftlich auch stehen.

Exkurs. Gasmangellage und Marktdesign, Gasmarkt: Es gibt Plädoyers für einen Zertifikatsmarkt für die Allokation und Bepreisung in einer Gasmangellage. Vgl. Ockenfels, Axel: Marktdesign für die Gasmangellage, in: Wirtschaftsdienst 11/2022, S. 855-857.  Vgl. auch : Ockenfels, Axel/ Wambach, Achim: Was tun, wenn der (Gas-) Markt kollabiert? in: Wirtschaftsdienst 1/ 2023. Ebenso: Gretschko, Vitali/ Ockenfels, Axel: Empfehlungen für das Marktdesign zur Befüllung der Gasspeicher, in Wirtschaftsdienst 2/ 2023, S, 105-111.  "Für die Fortführung der Ausschreibungen wird empfohlen, einen Reservationspreis festzulegen und Handel mit Speicherverpflichtungen in einem Sekundärmarkt zu erlauben. Zudem wären eine gesonderte Ausschreibung der Abrufoptionen, eine Abschaffung des Arbeitspreiszuschlags sowie weitere Anpassungen des Ausschreibungsdesigns sinnvoll." Ebenda. Betreiber der Europäischen Gasbörse TFT in Amsterdam ist Intercontinental Exchange (ICE) aus den USA. Um den Preisdeckel zu umgehen, gründet der gleiche Betreiber eine Gasbörse in London. Das ist aber nur für eine Ausnahmesituation. bisher ist der Preis unter dem Deckel geblieben.

Wasser als knappes Gut: Wegen des Klimawandels und er damit verbundenen Dürre ist Wasser mittlerweile auch in Mitteleuropa und Deutschland ein knappes Gut (heiße und trockene Bedingungen). Das Umweltbundesamt warnt im Juli 2019 vor einem Verteilungsstreit in Deutschland: "Häufigere trockene Sommer bedeuten auch, dass sich voraussichtlich mehr nutzer um die Ressource Wasser streiten werden". Als neuer Nutzer von Wasservorräten wird die Landwirtschaft dazu kommen. Die Beregnungsbedürftigkeit wird bundesweit zunehmen. Die kommunalen Wasserversorger warnen bereits vor einer Konkurrenz zwischen Landwirtschaft und Industrie. Die Trinkwasserversorgung dürfte Vorrang haben. Das Augsburger Wassermanagement-System ist Weltkulturerbe. Das Wasserwerk ist auch architektonisch eine Besonderheit. Durch die globale Bevölkerungsentwicklung steigt der Frischwasserverbrauch drastisch an: 2019 wurden 4300 Milliarden km³ Wasser weltweit verbraucht. Im Jahre 1900 waren es noch 580 Milliarden km³ (+640%). Die Weltbevölkerung ist in dieser Zeitspanne nur um +374% gewachsen. Am meisten Wasser wird verbraucht in der Landwirtschaft. Hier führt Indien. Dann folgt die Industrie, wo auch Indien führt. Auch bei den Haushalten liegt Indien an der Spitze. Die wichtigsten Flüsse in Indien entspringen in Tibet im Himalaja, was heute zur VR China gehört. Da zeichnet sich ein Konfliktherd der Zukunft ab. Wasserkriege: Schon lange gibt es Prognosen, dass irgendwann ein Krieg um Wasserrechte und -nutzung entstehen wird. In Asien, vor allem in Tibet mit fast allen wichtigen Quellen, verhindert dies nur die Macht Chinas. Anders sieht es in Afrika aus. Äthiopien will noch 2018 ein großes Dammprojekt am Oberlauf des Nils fertig stellen. Zwölf Staaten liegen im Einzugsbereich des längsten Flusses Afrikas. Sechs Prozent der Weltbevölkerung leben darin. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas Ägypten (100 Mio. Einwohner) besteht zum größten Teil aus Wüste und fühlt sich daher existenziell  bedroht. Hoffentlich können Diplomaten und Wassertechnokraten das Problem lösen. 2010 hat die Generalversammlung der UN in Resolution 64/292 Wasser als Menschenrecht anerkannt: "Die Generalversammlung erkennt das Recht auf einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung als Menschenrecht an". Im Juli 2021 prangert die UN den globalen Wassernotstand an. Bis zum Jahre 2030 werden Milliarden Menschen keinen Zugang zu Wasser haben. Der schnellste Gletscher der Nordhalbkugel ist der Sermeq Kujallec in Grönland. Er kalbt rund 100 Mio. Tonnen Eis in den Kangia-Fjord - Tag für Tag. Er ist insoweit extrem wichtig als Wasserlieferant. 2022 gibt es einen Streit am Nil: GERD Grand Ethiopian Renaissance Dam entzweit Ägypten und Äthiopien. Beide brauchen das Wasser des Flusses. Es drohen sogar Kriege um Wasser: Indien und Pakistan streiten sich am Indus um Wasserrechte. Das Wasser von Euphrat und Tigris ist ein Zankapfel zwischen der Türkei, Syrien und Irak. Israel und die palästinensischen Gebiete konkurrieren um den Jordan. Auch in Deutschland fehlen die Niederschläge. Grundwasser, Oberflächenwasser, Uferfiltrat werden knapp. Man braucht Wasser für die Energieversorgung (52,9%), für Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe (24,2%), für die öffentliche Wasserversorgung (21,7%) und für die landwirtschaftliche Beregnung (1,2%).

Bedeutung Chinas und Russlands sowie Preisausgleich: 2021 nach der Corona-Krise zeigt sich, welch große Bedeutung China mittlerweile für die Rohstoffversorgung der Welt hat. Es herrscht zum einen Magnesiummangel. China muss seine Produktion runter fahren, weil die Energieversorgung der Bevölkerung vorgeht. Kohlekraftwerke haben Probleme, weil der Kohlepreis staatlich festgelegt ist (Deckelung). Also muss Strom abgeschaltet werden. 87% des Rohstoffes kommen 2021 aus China. Das kann auch die deutsche Industrie behindern. Magnesium braucht man zum anderen auch für die Herstellung von Aluminium. Auch hier ist China 2021 der Hauptlieferant. Bis Oktober 2021 ist der Preis schon um 60% gestiegen. Es gibt erhebliche Produktionsausfälle in aller Welt (Autos, Fahrräder u. a.). Viele Länder in Europa müssen auf die hohen Energie- und Rohstoffpreise reagieren. Frankreich überweist 2021 den Bürgern mit einem Einkommen unter 2000 Euro netto monatlich 100 Euro Energiegeld. Spanien will die Stromsteuer bis Jahresende von 5,1% auf 0,5% senken. Italien plant, den Haushalten einen Teil ihrer Strom- und Gasrechnungen zu erlassen. Großbritannien will Benzingutscheine für Pflegepersonal einführen. Deutschland will eher dem Markt vertrauen (in der Diskussion stehen aber die EEG-Umlage, Pendlerpauschale anheben, Standards für Bauherren senken).  Der hohe Gaspreis in Europa hat 2022 schon weltweite Auswirkungen: Gastanker auf dem Weg nach Asien drehen um und steuern Häfen in Europa an, weil das Angebot hier mehr einbringt. Die Lage in China kann sich 2022 jederzeit verschärfen. Die hoch ansteckende Omikron-Variante trifft unzureichenden Impfschutz. Dann könnte der Energiepreis zu einem geopolitischen Preis werden und nach oben schießen.

Der zweite Hauptakteur ist Russland. Das Land hat die Übernahme der Ukraine von langer Hand geplant. Deutschland und auch die EU sind zu abhängig von russischem Öl und Gas. Gleichzeitig wird klar, wie richtig der deutsche Kurs weg von fossilen Energieträgern hin Richtung erneuerbare Energien ist. 2021 hat Russland einen Anteil von 55% bei der Gasversorgung in Deutschland. Habeck kann den Anteil 2022 auf bis zu 40% herunterfahren über Flüssiggas. Die größten Verbraucher in Deutschland sind die Industrie (37%), Privathaushalte (31%), Gewerbe/ Handel/ Dienstleister (13%), Stromversorger (12%). Am 11. April 2022 sind die Füllstände der Erdgasspeicher bei 28%. Vgl. Die Zeit 13. April 2022, S. 21. Russland verknappt die Gaslieferungen in die EU beständig. Das führt zu weiteren Preiserhöhungen. Der Bundeswirtschaftsminister aktiviert die zweite von drei Stufen des Notfallplans. Im Vordergrund steht strktes Gassparen.

Energiewende: nach dem Atomausstieg relevant. Im Kern geht es um Erneuerbare Energien ausbauen (bis 2020 um 18%, Anteil 35%) und Energieverbrauch (Senkung um 20% bis 2020, Stromverbrauch um 10%) senken. Dieses Ziel könnte etwas zu ehrgeizig sein (könnte sich bis 2050 hinziehen). Die Stromversorgung muss gesichert werden. Das Stromnetz muss ausgebaut werden. Gaskraftwerke dürften Vorrang bekommen. Die Frage ist, ob Abstriche beim Klimaschutz gemacht werden müssen. Neue Gas-Pipelines und  neue Kraftwerke müssen gebaut werden. Windstrom sollte besser kontrolliert und geregelt werden. Die Energiewende wird voraussichtlich zu einem Job-Motor. 500.000 Arbeitsplätze dürften in der "Erneuerbare-Energien-Branche" bis 2020 entstehen. Mitte 2012 stellt die Bundesregierung die Energiewende in Frage (planmäßige Umsetzbarkeit, Prognosen zur Strompreishöhe, Koordinierungsbedarf). Es wird ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt: Die Ökostrom-Förderung wird komplett überarbeitet. Wind-, Sonne- und Biomasse-Anlagen müssen früher als geplant ohne Subventionen auskommen (die Solarenergie wurde überfördert, weil sie eigentlich relativ ineffizient ist). Kostenlose Energieberater sollen den Bürgern helfen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Energiesparen. Der Strompreis dürfte steigen (entscheidend ist das Ausmaß). Verbunden mit der Energiewende sind Atomendlager und der Klimaschutz. Effiziente Kohle- und Gaskraftwerke sollen nicht mehr finanziell unterstützt werden. Bei einem Gipfel zur Energiewende zwischen Bundesregierung und Ländern im November 2012 einigt man sich auf die drei Ziele Versorgungssicherheit, zügigen Ausbau erneuerbarer Energien und verträgliche Preise. Prognosen der Bundesregierung 2013 gehen bis 2040 von Kosten von bis zu einer Billion Euro für die Energiewende aus (Förderverpflichtungen 680 Mrd. €). Die Opposition äußert scharfe Kritik. Dies ist sicher auch ein politisches Pokerspiel. Am 21.03.13 findet ein weiterer Energiegipfel in Berlin statt.  Der planlose Ausbau von Solarstromanlagen und Windrädern gefährdet mittlerweile die Energiewende.  In der großen Koalition Ende 2013 nach der Bundestagswahl sitzt die Kohlelobby über Hannelore Kraft mit am Tisch. Kraft ist die Verhandlungsführerin der SPD für den Energiebereich. Sie will den Arbeitsplätzen in den Industrie- und Stromkonzernen Vorrang einräumen. In den Koalitionsvereinbarungen im November 2013 wird die Förderung der alternativen Energie gesenkt. Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner scheitert mit ihrem Vorschlag, die Kosten der Energiewende teilweise über einen Fonds per Kredit zu finanzieren an Ministerpräsident Seehofer. Zunehmend rückt 2014 die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit der Energiewende in den Mittelpunkt. 17% der privaten Haushalte werden sehr stark durch Energiekosten belastet. Energiearmut wird zu einem sozialpolitischen Phänomen. Dies ist besonders heikel bei der Entlastung vieler Unternehmen im EEG. Die technologischen Grundlagen für die Energiewende sind 2015 alle vorhanden. Es ist ein dynamischer Prozess. Monitoring und Management sind zentrale Aufgaben. Die Energiewende wirkt über den Energiesektor und Deutschland hinaus. Vgl. J. - F- Hake, Energiewende, in: bdvb aktuell, Nr. 128, S. 8f. Die größte Ressource ist aber die Energieeffizienz. 2021 liegen die größten Probleme noch in folgenden Punkten: 1. Die Energiewende ist nur eine Stromwende. 2. Wir bauen zu wenige Windräder. 3. Der Preis ist zu hoch. 4. Der Kohleausstieg ist zu langsam und zu teuer. Es wird zu viel Strom verschenkt. Vgl. Borsutzki, D./ Widmann, M.: Vorsicht, Hochspannung, in: Die Zeit Nr. 10, 4.3.21, S. 24.  "Wir haben immer gewusst, dass die Energiewende nicht zum Nulltarif zu haben ist", Peter Altmeier, Bundesumweltminister. "Wir brauchen einen Masterplan für die Energiewende in Deutschland. Da kann ich nicht einfach hier und dort Windmühlen aufstellen und woanders Solaranlagen", Hubert Lienard, Maschinenbauer Voith. Durch Steigerung der Energieeffizienz könnten bis 2050 zwei Drittel des Energieverbrauchs in der EU eingespart werden (Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums im November 2012). Die Industrie will sich ab 2013 mit 700 Mio. € mehr an der Energiewende beteiligen. "Die Energiewende wird nicht den Untergang des Abendlandes einläuten, aber auch keine gesellschaftliche Loveparade in Gang setzen", Wilfried Kretschmann, Ministerpräsident von B. - W. Vgl. Quaschning, Volker: Erneuerbare Energien und Klimaschutz, Hanser Verlag 2020 (5. Auflage).

Exkurs: Bundesnetzagentur, Bonn: Sie hat die Aufgabe, durch Deregulierung und Liberalisierung den Markt für Telekommunikation, Energie (Gas, Elektrizität), Post und Eisenbahninfrastruktur zu entwickeln. Im Energiebereich werden die Netzbetreiber überwacht und Netzentgelte genehmigt.  Die Organisation besteht seit 2005 in Bonn. 2013 gerät sie wegen Passivität und Ämterpatronage in die Kritik. Präsident ist Jochen Homann. 2016 will die Bundesnetzagentur den Strombetreibern die Durchleitungsgebühren drastisch kürzen. Regionalversorger fürchten um ihre Investitionsfähigkeit. 2022 ist Klaus Müller der Chef. Vorher war er Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband und Umwelt-Minister in Schleswig-Holstein. Er ist Mitglied der Grünen. Von der Ausbildung her ist er Volkswirt. Die Tochter der Gazprom Gazprom Germania wird 2022 unter seine Treuhandverwaltung gestellt. Ab Juni 2022 muss die Bundesregierung das Tochterunternehmen Gazprom Germania GmbH mit 9 bis 10 Mrd. € unterstützen, weil es ein Schlüsselunternehmen für die Gasversorgung in Deutschland ist. Auch weitere Unternehmen, wie Uniper z. B., werden unterstützt. Die Gasumlage soll auch diesen Unternehmen zu gute kommen (nur Existenznot, Boni -Verzicht). Dann kommt es zu einer Verstaatlichung von Uniper. Am 20. September 2022 sind die Gasspeicher zu 90% gefüllt (15 Mrd. €, die hohe Nachfrage hat die Preise in die Höhe getrieben). Ob das reicht, hängt von den Temperaturen im Winter ab. Müller kümmert sich auch um die LNG-Terminals (drei weitere im Winter 2023). Die Anlagen könnte man später auch für die Wasserstoff-Infrastruktur verwenden (mit Umrüstung).

Exkurs. Deutsche Energie-Agentur (Dena): Unabhängiger Treiber und wegbereiter der Energiewende -national und international. Sie gehört mehrheitlich dem Bund. Vorsitzender der Geschäftsführung ist 2023 Michel Schäfer. Seine Besetzung löst eine große Diskussion aus (Anschein der Befangenheit, Clan-Strukturen bei den Grünen).

Erneuerbare (regenerative) Energien (der Begriff Energie kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Arbeit verrichten): Windkraft, Wasserkraft, Solarenergie, Biomasse (siehe oben), Holz, Geothermie (erneuern sich rasch und natürlich). In Deutschland beträgt ihr Anteil 2011 17% (Ziel: bis 2020 30%). 2010 lag der Anteil bei 16,8%. (davon: Windkraft 35,9; Biomasse 33; Wasserkraft 19,4; Fotovoltaik 11,8). Die Erweiterung dieser Energien ist nicht unproblematisch im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung: Die Verdauung der Rinder heizt das Weltklima an und die zurückgehende Anbaufläche für Nahrungsmittel fehlt für die Ernährung der stark wachsenden Erdbevölkerung. Das Wasser ist weltweit sowieso schon knapp (1 Mrd. Menschen ohne sauberes Trinkwasser). Durch die höhere Durchschnittstemperatur der Erde verdunstet auch mehr Wasser und es besteht die Gefahr in Küstenregionen, dass Salzwasser einströmt. In Europa hat Österreich den höchsten Anteil an erneuerbaren Energien mit 62%, gefolgt von Schweden mit 55,5%. Erneuerbare bzw. alternative Energien werden auch oft als Backstop-Technologien bezeichnet. Weil fossile Energieträger (Öl, Gas, Kohle) zu viel CO2 produzieren und endlich sind, sollen sie durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Die dabei anfallenden Kosten übersteigen im Allgemeinen die Kosten fossiler Energieträger, so dass staatliche Förderprogramme her müssen. Die Kosten für die erneuerbaren Energien regelt in Deutschland das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Danach werden die Kosten in den nächsten Jahren steigen, was die Akzeptanz verringern kann. Die Förderung des Solarstroms wird nach und nach zurückgefahren. Eine Reihe deutscher Großkonzerne (Eon, RWE, Siemens, Münchener Rück) plant 2009, Solarstrom in der Sahara zu erzeugen (Solarthermisches Kraftwerk, Volumen des Projektes 400 Mrd. €, Desertec). Im Bereich der erneuerbaren Energie hat Deutschland einen globalen Vorsprung. Die deutschen  Weltmarktanteile liegen bei etwa: 90% Biogas, 35% Wasserkraft, 25% Windkraft, 23% Solarthermie, 21% Photovoltaik, 15% Pelletheizungen. Deutschland hat eine Vorreiterrolle, die immer mehr deutsche Unternehmen weltweit nutzen wollen. So steigert etwa die BASF ihre Innovationskraft (Beschichtungssysteme, Schäume, Spezialmörtel, Schmiermittel, Betonzusatzstoffe). Auf europäischer Ebene der EU wären mehr Investitionen notwendig (70 Mrd. € jährlich statt 35 Mrd. €). Dazu müssten auch die nationalen Fördersysteme der EU-27 reformiert und koordiniert werden. Die EU-Kommission plant 2013 stärkere Beihilfen für Atomkraftwerke und stellt sich gegen die deutsche Politik der Energiewende. In den Koalitionsverhandlungen im November 2013 (große Koalition) wird beschlossen, "grüne Energie" billiger werden zu lassen (Ausbau gedrosselt, Förderung gekappt). Die Vergütung für alternative Energien soll sich künftig nach dem Preis des Angebotes richten, bei dem das Ausschreibungsziel (in Megawatt) erreicht ist. Am 08.07.16 billigen Bundestag und Bundesrat die Ökostrom-Reform. Am 18.05.2020 beschließt der Bundestag Änderungen beim Öko-Strom-Ausbau:  Mehr Kompetenzen für die Länder (z. B. Abstand Windrad - Wohngebiet). Solarenergie soll weiter gefördert werden.    Die EU will bis 2020 den Anteil von 2007 von 6,5% auf 20% steigern. Weitere Beschlüsse im März 2007 sind: Klimaschutz (Reduzierung der Treibhausgase bis 2020 um mindestens 20%), Energieeffizienz (Energieverbrauch bis 2020 um ein Fünftel senken), Kernenergie (Landesautonomie), Wettbewerb auf dem Energiesektor, Versorgungssicherheit. 2013 ist der Anteil der Stromerzeugung von Erneuerbaren Energien gestiegen um 7,3 Prozent gestiegen. In den ersten neun Monaten 2014 haben die erneuerbaren Energien (Wind, Sonne, Wasser, Bioenergie) einen Anteil von 27,7% erreicht und die Braunkohle überholt. In Europa hat Norwegen den höchsten Anteil an erneuerbaren Energien (64,5%, 2012). Dann folgt Schweden mit 51,0%. Aufgrund der niedrigen Preise für CO2-Zertifikate 2014 erlebt aber auch die Braunkohle eine Renaissance in Deutschland. 2015 liegt der Anteil an erneuerbaren Energietechnologien nahezu bei 30% (2000: 7%). Bis 2020 soll der Grünstromanteil auf 35% steigen. Bis 2030 wäre ein Anteil von 50% in Deutschland möglich. Bei der installierten Leistung (in Gigawatt) führt Deutschland bei den alternativen Energien 2014 immer noch mit 38 Gigawatt vor China (28), Japan (23) und den USA ( 18). Am stärksten war der Zuwachs 2014 in China (11 Gigawatt), so dass das Land 2015 wahrscheinlich Deutschland überholt. 2014 ist in der EU der Anteil der Öko-Energie auf 16% gestiegen. Äthiopien hat das ziel, Industriestaat nur mit erneuerbaren Energien zu werden. Es könnte ein Vorbild für die Weltsein. Vorzeigprojekt ist Afrikas größter Staudamm GERD. 2018 steigt der Anteil an Strom, der aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, auf 36 Prozent (überholt die Kohle).

Energiesysteme der Zukunft: "Das Jahr 2021 hat in Deutschland neuen Schwung in die Bemühungen zum Klimaschutz gebracht. Die Novelle des Klimaschutzgesetzes schreibt eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 65 % bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 fest. Maßgeblich dazu beitragen soll ein massiver Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Nach Verschärfung der Klimaschutzmaßnahmen stellt sich die Frage, ob das bisherige Strommarktdesign und die damit einhergehenden Vergütungsregeln für die Stromerzeugung auch bei einem von erneuerbaren Energien dominierten Strommarkt weiterhin geeignet sind, um die im Energiewirtschaftsgesetz festgeschriebenen Ziele der Versorgungssicherheit und Preisgünstigkeit bestmöglich zu erreichen." "Es ist davon auszugehen, dass die Erreichung weiterer Ziele am besten mit Hilfe weiterer Instrumente sichergestellt werden kann. Für die Förderung einer kosteneffizienten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist gleichwohl ein CO2-Preis langfristig das am besten geeignete Instrument. Siehe Haucamp, Justus u. a.: Erneuerbare Energien effizient und wirksam fördern. Arbeitsgruppe "Energiesysteme der Zukunft", in: Wirtschaftsdienst 9/2022, S. 694-702.

Emissionshandel in der EU ab 2013: Die EU setzt eine Obergrenze fest, die jährlich um 1,74% reduziert wird. Große Emittenten (Zement-, Stahl-, oder Glashersteller) von CO2 erhalten einige kostenlose Emissionszertifikate (Erlaubnisscheine). Zugrunde gelegt werden frühere Produktionszahlen und ein Effizienz - Faktor. Die kostenlosen Zertifikate werden bis 2020 schrittweise reduziert. Alternativ kann in umweltfreundliche Technik investiert werden. Die Emissionszertifikate werden von der Deutschen Emissionshandelsstelle (Unterabteilung des Umweltbundesamtes) ausgegeben. Für Anlagen, deren Ausstoß über dem Effizienzfaktor liegt, müssen zusätzliche Zertifikate an einer speziellen Börse ersteigert werden. An der Börse (z. B. Leipziger EEX) bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis für die Zertifikate. 2011 muss der so genannte Spotmarkt ausgesetzt werden, weil Emissionszertifikate im Wert von 28 Mio. € im Computer gestohlen wurden. Auf andere CO2-Emissionswerte käme man, wenn man den Handel mit einrechnet. So würden sich die CO2-Emissionen Deutschlands um 222 Mio. t erhöhen, wenn die umweltschädlich produzierten Importe dazugezählt würden (z. B. aus China). Mittlerweile stellt der Emissionshandel für einige Firmen weniger ein Kostenfaktor dar, sondern eine Einnahmequelle. Dies betrifft vor allem die Unternehmen, die eine bestimmte Anzahl von Zertifikaten kostenfrei erhalten haben (Schutz bestimmter Branchen). Der Emissionshandel funktioniert wie folgt: Der Staat verteilt Emissionsrechte an die Unternehmen. Ein Unternehmen mit modernen Anlagen benötigt diese Rechte nicht und verkauft sie direkt oder über den Handel an der Energiebörse. Auch die Banken handeln mit CO2-Zertifikaten, die die Preisentwicklung abbilden oder Handel im Auftrag eines Kunden. Der Emissionshandel in Europa gerät immer wieder in der Diskussion, vor allem bei den steigenden Strompreisen. Die Staaten sollen stärker eingreifen. Der Umweltausschuss kämpft für die Beibehaltung. 2013 scheitert Polen mit einer Klage gegen den Emissionsrechte -Handel vor dem erstinstanzlichen Gericht der EU. Privatanlegern ist der Zugang zum Emissionshandel (EEX, Leipzig; ICE, Londen) verwehrt. Banken bieten aber Zertifikate an, die die Preise für Kohlendioxid widerspiegeln. Dies sind Spekulationspapiere (wenn der Klimaschutz verschärft wird, steigen die Preise für Emissionsrechte). Die Reduzierung der Zertifikate - Anzahl, um den Preis zu stabilisieren, scheitert 2013 im Europaparlament. Im Juli 2013 wird dann doch eine Reform beschlossen, um den Preisverfall aufzuhalten. Die CO2-Zertifikate werden dem Markt entzogen (nur noch einmaliger Verkauf). Die wird im November 2013 noch verschärft. 900 Mio. Verschmutzungszertifikate werden bis 2020 aus dem Handel genommen. So soll ein Preisanstieg erreicht werden (der Preis lag bei 5 € pro Tonne CO2, statt bei 30 €, wie geplant; Überangebot an Papieren, zurückgehend auf die Finanzkrise). Im Februar 2014 beschließen die EU-Staaten eine Reform des Emissionshandels: die zeitweise Rechteverknappung des Ausstoßes von CO2 ist zulässig. Sicher könnte das System noch besser und effizienter gestaltet werden: jährliche Mengen sinnvoller festlegen; mehr als 50% versteigern; kostenlose Rechte - Zuteilung muss nicht sein; Erlöse sinnvoller verwenden; nur rund 45% der EU-Treibhausgasemissionen werden vom EU-ETS erfasst. 2014 taucht sogar die Idee auf, dass die EZB CO2-Zertifikate kaufen soll, um danach Geld in den Klimaschutz zu stecken. Der Klimaschutz entzweit immer mehr die EU. 2015 setzen die Osteuropäer einen späteren Beginn der Emissionshandelsreform durch (erst 2021; Deutschland hatte sich für 2017 stark gemacht). Unter anderem sollen 2 Mio. Zertifikate aus dem Emissionshandel herausgenommen werden. Die EU will den CO2-Handel nach 2020 ankurbeln: Ab 2019 sollen Rechte für 1,5 Mrd. t CO2 in eine Art Ablage verschoben werden. Die Verknappung soll zu steigenden Preisen führen. Die Grenzen für kostenlose Zertifikate sollen Jahr für Jahr sinken. Ziel der ETS-Reform ist es, energieintensive Unternehmen zu mehr Investitionen in klimafreundliche Technologien zu bewegen. Die Gefahr könnte sein, dass energieintensive Branchen aus Europa abwandern. Das EU-Parlament beschließt die Reform am 08.07.15. Auf einer EU-Sitzung 2017 in Malta einigen sich die EU-Umweltminister auf folgende Änderung des EU-Emissionsrechtehandels: Die Zertifikate werden Unternehmen kostenlos zugeteilt 8bis zu 2% mehr als vorher). Erst bei größeren Mengen Kohlendioxid müssen sie kaufen. Die europäische Stahlindustrie und ihre Lobbyisten werden dahinter vermutet. Im November 2017 reformiert die EU ihren Emissionshandel: Die Regelung gilt ab 2020. Es sollen mehr Anreize zum Klimaschutz geschaffen werden. Es sollen mehr Rechte aus dem Handel genommen werden, um den Preis zu erhöhen (bis 2030 jedes Jahr 2,2 Prozent weniger Rechte). Weil Deutschland seine Klimaziele reißt, wird die Regierung Milliarden an andere EU-Länder zahlen müssen. Man will in Bulgarien, Ungarn, Kroatien und der Slowakei überzählige CO2-Zertifikate kaufen (hat Malta auch vor). 2022 beschließt das EU Parlament, den Zertifikatenhandel auf dei bereiche Verkehr und Gebäude auszuweiten. Damit entsagt sie einer subventionierten Verordnungspolitik.  Vgl. Wambach, Achim: Klima muss sich lohnen, in: WiWo 29/ 15.7.22, S. 42f.

Stromnetz: Das alte Konzept der Stromversorgung ist nicht mehr tauglich. Netzmodernisierungen sind überall in der Welt notwendig, vor allem in den USA und Kanada. Die notwendigen Technologien zum Aufbau eines Supernetzes sind verfügbar. Wer die Netze hat, hat auch die Macht. In Deutschland gibt es vier große Stromkonzerne: E.On, RWE, Vattenfall und EnBW. Letzterer ist 2010 wieder mehrheitlich in Staatshand von B.-W (laut gutachten bezahlte das Land 780 Mio. € zuviel, Untreuevorwurf gegen Mappus). Die vier großen Energieversorger liefern laut Greenpeace nur 0,5% ihrer Energie aus alternativen Energiequellen. Daneben gibt es eine Reihe großer Stadtwerke (Thüga u. a.). Den Netzausbau beherrschen Siemens und ABB. Das Bundeskartellamt konnte in einer breit angelegten Untersuchung den Stromproduzenten 2011 kein Fehlverhalten nachweisen. Es bringt aber auch zum Ausdruck, dass es dem Markt nicht traut. Eine Markttransparenzstelle soll im Stromgroßhandel eingerichtet werden, die beim Bundeskartellamt angesiedelt ist. Wie notwendig dies ist, zeigt sich im Januar 2012 als das Stromnetz mehrfach vor dem Kollaps steht, weil Fehlkalkulationen professioneller Stromhändler dies  herbeigeführt haben. 2013 fürchten die großen Stromkonzerne um ihre Zukunft. Ihnen drohen vorzeitige Stilllegung von Tagebauen und Kraftwerken. Ohne neue Stromleitungen in Deutschland bekommen auch die erneuerbaren Energien Probleme. Tausende von Kilometer fehlen (ca. 4500 km neue Hochleitungsleitungen werden benötigt). Freileitungen sind nicht schön für das Landschaftsbild, Erdkabel sind doppelt so teuer. Es gibt 2014 Pläne für zwei Stromtrassen durch Deutschland von Nord nach Süd (Gleichspannungsleitungen). Bayern stellt sich erst mal quer (Moratorium; Forderung nach einem Gaskraftwerk). Das Bundeskanzleramt versucht, alle Länder zu gewinnen. Da die Windenergie überwiegend in Norddeutschland erzeugt wird (Offshore- und Onshore-Windparks), eher im Süden aber gebraucht wird, regt sich Widerstand gegen Hochspannungstrassen und breite Gräben für Erdleitungen. Die EU will 2011 den Energiemarkt bis 2014 einen und beschließt Milliarden-Investitionen für den Bau neuer Strom- und Gasleitungen. Die Bundesnetzagentur will mit neuen Stromleitungen gleich auch Rohre für Glasfaser verlegen (vom Verbraucher vorfinanziert). Wichtig sind auch Intelligente Stromnetze. Sie gleichen Angebot und Nachfrage über variable Tarife aus. 2012 beklagt der Präsident der Bundesnetzagentur den schleppenden Ausbau der Stromtrassen. 214 von geplanten 1800 Kilometern Hochspannungsleitung seien erst gebaut. Der Netzausbau gilt als entscheidendes Element der Energiewende. In den nächsten 10 Jahren müssen noch 3800 km gebaut werden mit Kosten von 20 Mrd. €. 4000 km bestehende Trassen müssen erneuert werden. 4 Trassen sollen durch Deutschland von Nord nach Süd führen (davon eine ganz im Westen, eine in der Mitte). Die "Monster-Stromtrassen" sollen vorrangig unterirdisch verlaufen. Die Zusatzkosten gegenüber Strommasten werden durch höhere Strompreise finanziert.  Politisch umstritten ist die Frage, ob das Netz verstaatlicht werden soll oder ob man die Stromnetzbetreiber so in die Pflicht nehmen kann. Spannungsschwankungen im Stromnetz, die durch nicht gleichmäßige Stromproduktion der regenerativen Energiequellen entstehen, können mittlerweile durch Mittelspannungsregler ausgeglichen werden (in PLP Pilotprojekt in der Eifel). Weil die Nord-Süd-Trassen unterirdisch laufen sollen, werden sie später fertig (2025) und wesentlich teurer.  Nach Einschätzung der Energiewirtschaft ist das Stromnetz in Bayern und Baden-Württemberg nicht auf eine Flut von Elektroautos und Wärmepumpen vorbereitet. Dafür reicht zur Zeit die Strommenge in Süddeutschland nicht aus. 2017 gibt es eine Diskussion, ob der Staat Anwohnern von Stromtrassen Entschädigung zahlen soll. Die Zustimmung der Anwohner hängt von der Höhe der Entschädigung ab (RWI Leibnitz Institut für Wirtschaftsforschung, 7000 HH) Ökostromanbieter in Deutschland sind EWS Schönau, Greenpeace Energy, Lichtblick und Naturstrom. 2013 wird bekannt, dass die EU Stromtrassen fördern will. 22 förderfähige Stromtrassen soll es in Deutschland geben. Es gibt in Deutschland immer wieder juristische Auseinandersetzungen darüber, wer ein Energienetz betreiben darf. Letztlich geht es auch um die Macht bei der Gestaltung der Energiewende in Deutschland. Gegenüber stehen sich Kommunen und die vier großen Stromkonzerne. Am bekanntesten ist der Fall "Titisee-Neustadt" im Schwarzwald. Gemeinsam mit der Bundesnetzagentur hatte das Bundeskartellamt 2010 einen Leitfaden zur Vergabe von Strom- und Gasnetz-Konzessionen herausgegeben. 2018 stellt das Bundeswirtschaftsministerium fest, dass der Stromnetzausbau in Deutschland hoffnungslos in Verzug ist. "Ohne Netzausbau keine Erneuerbaren , ohne Erneuerbare kein verantwortbarer Kohlelausstieg. Der Ausbau der Netze ist der Schlüssel für mehr Klimaschutz", Rolf Martin Schmitz, RWE-Chef, 2018. Im Sommer 2021 legt die Bundesregierung eine stark erhöhte Prognose zum Stromverbrauch bis 2030 vor (E-Autos, Wärmepumpen). 2022 haben erneuerbare Energien in Deutschland schon den höchsten Anteil an der Stromerzeugung. Es folgen Kohle, Gas, Atom, Öl, Sonstige. Quelle: AG Energiebilanzen.

Strompreis: Seit 2007 (bis 2012) ist der Strompreis um 39% gestiegen. Er hat zahlreiche Determinanten. Zunächst geben die "alten" Energieerzeuger (mit CO2-Abgabe, Steinkohle, Gas) und die "neuen" Energieerzeuger (Windkraft, Solar) ihre Angebote ab. An der Strombörse wird dann ein Preis gebildet (Stromzusammensetzung Spitzenlaststrom/ 30% und Grundlaststrom/ 70%. Die Endverbraucher müssen unterschiedlich hohe Strompreise zahlen (am wenigsten zahlt die energieintensive Industrie, vor der Industrie und Gewerbe und Dienstleistungen; am meisten zahlen private Haushalte). Zuletzt kommt noch die EEG-Umlage (bis 2011 54 Mrd. €) dazu, die die Differenz zwischen dem Börsenpreis und den Vergütungen, die den Stromerzeugern garantiert sind, ausgleicht. Andere Einflussgrößen auf den Preis sind die Umsatzsteuer, das Netznutzungsentgelt, die Konzessionsabgabe Strom, die Stromsteuer, die NEV-Umlage, die KWK-Umlage, die Offshore-Haftungsumlage, die Abrechnung der Netznutzung, der Messstellenbetrieb und die Messungsdienstleistung. Die Ökostrom-Umlage (EEG-Umlage) soll 2013 auf ca. 5,3 Cent pro Kilowattstunde steigen (es werden genau 5,277 Cent; dies polarisiert). Einige Energiekonzerne sehen den Preis bis 2020 um ein Drittel ansteigen. Dies ist im Moment "Kaffeesatz-Leserei". Aber die Preise steigen natürlich in der Energiewende (Atomausstieg) an. Der Bundesumweltminister will die Förderung für Ökostrom deckeln (andere Vorschläge wollen die Ausnahmen für die energieintensive Industrie beschränken oder die Mehrwertsteuer einschränken). 2013 wird vom Bundesumweltminister die Abschaffung der EEG-Umlage erwogen. Dies dürfte politisch zurzeit nicht durchsetzbar sein (große Auswirkungen auf Investitionen bei alternativen Energien). Rund 50% des Strompreises machen inzwischen Steuern, Abgaben und Umlagen aus. Der Bund macht 2013 Pläne, die Ökostromumlage um 1,86 Mrd. € zu kürzen. Eine Einigung mit den Ländern steht aus. Eine starken Einfluss auf den Preis hat die Berechnung der EEG-Umlage: Sie wird als Differenz zwischen den garantierten Ökostromabnahmetarifen und dem Börsenstrompreis errechnet. Fallende Börsenstrompreise führen zu einer höheren Belastung der Verbraucher. Die Umlage wird jeweils am 15. Oktober fürs Folgejahr bekannt gegeben (von den Netzbetreibern auf Basis der Septemberdaten berechnet). Dabei fließen Schätzungen ein (Lage im Folgejahr, wie viel erneuerbare Energie zusätzlich, Marktpreis, Industriebtriebe, Liquiditätsreserve). Die Zahl der energieintensiven Betriebe, die von der Umlage befreit sind, erhöht sich 2013 auf ca. 2800. Die EU leitet deshalb Ende 2013 ein Verfahren gegen Deutschland ein. Es geht um versteckte Subventionierung und Verletzung europäischen Wettbewerbsrechts. 2014 einigen sich Berlin und Brüssel. Der Preisverfall an den Börsen macht aber den Energiekonzernen zu schaffen. Insbesondere die konventionellen Kraftwerke leiden darunter, dass durch den starken Ausbau der erneuerbaren Energien die Preise an den Strombörsen massiv ins Rutschen gekommen sind. Bayern weigert sich, Trassen für Windstrom aus dem Norden zu bauen. Dann könnte der deutsche Energiemarkt zweigeteilt werden und den Süddeutschen drohen höhere Strompreise (+10%; Bayern, B.-W., Süden von RLP; Studie der EU-Kommission). Durch die Erneuerbaren Energien (Aufschlag für Ökostrom) drohen die Strompreise ab 2016 noch um Jahre zu steigen. 2020 dürfte die Ökostrom-Umlage die Strompreise auf einen Wert zwischen 6,5 und 6,7 Cent pro Kilowattstunde steigen lassen. 2019 liegt die EEG-Umlage bei 6,41 Cent. Die Einführung eines CO2-Preises wird den Preis für Strom 2021 weiter steigen lassen (Wärme, Elektroheizung). Durch den Ukraine-Krieg (Diversifizierung der Lieferanten, Engpässe) wird die Stromlücke größer und der Preis steigt weiter. Er explodiert 2022 (40,1 Cent). Der Druck für eine Verlängerung der Atomkraftwerke - Laufzeit wächst. Berlin und Brüssel wollen noch 2022 den Strompreis deckeln (Regulierung des Marktes).  Die Preise für Strom, Gas und andere Brennstoffe sind seit 2006 bis 2013 um 23,6% in Deutschland gestiegen. Seit 2000 haben sich die Strompreise verdoppelt. Vor allem Haushaltskunden und der Mittelstand zahlen die Kosten der Energiewende (Statistisches Bundesamt). Die Regulierungsbehörde wird wohl ab 2016 den Garantiezins senken (aktuellen Bedingungen des Kapitalmarktes anpassen). Wenn der Eigenkapitalzinssatz sinkt, gehen auch die damit fälligen Gebühren für die Stromkunden zurück. Im Juli 2021 erreicht der Strompreis ein Zwölfjahreshoch: Strompreis an der EEX fast 80 €. 13 % des eingespeisten Stroms im 1. Quartal 2022 sind aus Gaskraftwerken. Sie springen meist flexibel ein nur bei sehr hoher Nachfrage - und setzen dann den Preis.,

Exkurs: EEG-Umlage: Sie ist eine Umlage zur Finanzierung des Ökostroms. Sie sinkt zum Jahreswechsel 21/22 auf 3,723 Cent je Kilowattstunde. Das sind mehr als 40%. Billiger dürfte der Strom aber nicht werden, weil die Umlage nur ein Bestandteil des Preises ist und Versorger beim Einkauf mehr als vor einem Jahr zahlen. Die EEG-Umlage soll ab 2023 ganz entfallen. Verbände und Kommunen fordern eine frühere Abschaffung, weil der Strompreis stark steigt.

Exkurs: Merit-Order-Prinzip: Verfahren für die Bildung des Strompreises an der Europäischen Energiebörse in Leipzig. Dabei werden nacheinander diejenigen Kraftwerke als Lieferanten berücksichtigt, die den Strom zu den niedrigsten Grenzkosten erzeugen. Das am kostengünstigsten produzierende Kraftwerk hat Vorrang. Steigt die Nachfrage, geht der Preis nach oben. Die Grenzkosten ergeben sich aus den Kosten der Brennstoffe. Das Kraftwerk, das als letztes gebraucht wird, um den Energiebedarf zu decken, bestimmt den Börsenpreis des Stroms. Für erneuerbare Energien wie Sonne und Wind gelten andere Regeln: Der Strom wird immer genommen, egal wie teuer er ist und ob er benötigt wird. Vgl. Bernd Müller: Lichtblick für Gasriesen, in: bild der wissenschaft 3-2015, S. 82.

Exkurs Strompreisbörse European Energy Exchange (EEX), Leizig: Es ist ein weltweiter Marktplatz. Hier wird noch mehr gehandelt: CO2-Zertifikate, Gas, Milchprodukte. Strom wird für 20 Länder gehandelt (Europa, Asien, USA). Grundsätzliche Börsenregeln: Transparenz, Anonymität, Gleichheit. Es regiert der Markt, also Angebot und Nachfrage. Das wird mit effizienten IT - Systemen umgesetzt, z. B. ONTRAS.

Exkurs. Strom-Reform und Neuausrichtung des Marktsystems: Habeck skizziert 2023 eine Stromreform. Es geht vor allem um den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien (weg von fossilen und atomaren Großkraftwerken). Ziel ist eine klimaneutrale, stabile Stromversorgung zu erschwinglichen Preisen. Bis Ende 2023 soll ein neues Strommarktdesign erarbeitet werden.

Exkurs. Industriestrompreis: 2023 will der Wirtschaftsminister energieintensive Unternehmen kurzfristig mit einem Industriestrompreis entlasten. Die Ausgestaltung ist noch unklar. Der Durchschnitt in der EU liegt (2. Halbjahr 2022) bei 21,04 Cent pro Kilowattstunde. Deutschland hat 19,86. Günstiger ist Osteuropa ohne Rumänien, Niederland, Polen, Schweden, Frankreich, Portugal. Teurer sind Italien, Litauen, Zypern, Griechenland, Spanien. Vgl. HB 25.4.23, S. 6f. Habeck will dafür Milliarden vom Finanzministerium. Lindner winkt ab, auch der Bundeskanzler. Vgl. HB 2.5.23, S. 6f. Habeck pocht auf die Subventionen. Schließlich kommt die Bundesregierung am 09.11.23 zu einer Einigung: Es kommt ein Strompreispaket zur Entlastung der Industrie in den kommenden fünf Jahren. Die Stromsteuer für dei produzierende Industrie wird auf das EU-Minimum von 0,05 Cent gesenkt. Weiterhin wird die Strompreiskompensation verlängert, die zusätzlich für die energieintensive Industrie im internationalen Wettbewerb gilt. Übertragungsnetzentgelte werden stabilisiert.

Energieschwankungen und Ausgleich: Hier liegt viel Entwicklungspotential. Stromspeicher (Seen), neue Batterietechnologien, Umwandlungen (in Wasserstoff) und Pumpspeicherkraftwerke können eine Lösung sein. Pumpspeicherkraftwerke speichern elektrische Energie durch Hochpumpen von Wasser. Wird Strom benötigt, lässt man das Wasser bergab fließen und erzeugt durch Turbinen und Generatoren Strom. Das größte Pumpspeicherkraftwerk in Deutschland soll im Hotzenwald im Südschwarzwald entstehen. Noch in der Testphase sind magnetische Energiespeicher (Energiefeld, permanente extreme Kühlung). Ohne eine ausreichende Netzinfrastruktur, um Strom aus Windkraftanlagen vom Norden in den Süden zu transportieren, wird es aber nicht gehen.  Smart Grid:  englische Begriff für ein intelligentes Stromnetz. Es erfasst Verbrauchsspitzen und steuert die Einspeisung und Verteilung der Energie. Hier wird die Steuerung immer wichtiger (Siemens, SAP u. a.). Einflüsse auf die Auslastung haben Jahreszeiten (Winter problematischer als Sommer) und Tageszeiten. Wichtig sind auch gute Kühlverfahren. Die Steuerung des Stromflusses wird umso wichtiger, je mehr kleine, dezentrale Erzeugungsanlagen Strom ins Netz einspeisen. Die Forschungen in Kleinenergiespeicher (Batterien pro Haushalt) sollten intensiviert werden. Immer wichtiger wird ein effektives Demand-Site-Management (Erforschung der Preissignale). Wenn die Erzeugung sich nicht mehr nur am Verbrauch orientiert, werden Smart Grids auch für Haushalte interessant. Gaskraftwerke können Flauten von Solar- und Windstrom überbrücken. Doch die Reservisten müssen bezahlbar sein. Immer wichtiger wird die Einrichtung von Energieschwärmen (Kooperation einzelner Erzeugungsformen).  Als zukunftsträchtig gilt auch die Power-to-Gas-Technologie: Ökostrom wird unter Zuhilfenahme von Wasser chemisch in Wasserstoff und Sauerstoff umgewandelt. Dadurch wird Strom speicherbar. Mögliche Nutzungsoptionen ergeben sich im Verkehr, bei Haushalten oder in der Kraft-Wärmekopplung. 2015 entstehen immer wieder Energieüberschüsse bei Erneuerbaren Energien wie Solar und Windrädern in Deutschland. Diese Überschüsse werden in die Nachbarländer wie Polen, Tschechien, Niederlande, Belgien und Frankreich geleitet und führen dort teilweise zu Zusammenbrüchen. Die Länder wollen sich abschotten und fordern Deutschland auf, sein Stromnetz endlich auszubauen. Eine Pilotanlage wird ab 2014 in Frankfurt betrieben. 2015 startet das Pirmasenser Prüf- und Forschungsinstitut  eine Anlage zur Umwandlung von Ökostrom in Erdgas. 2,6 Mio. Euro kostet die Pilotanlage, die mit Mikroben arbeitet. 2014 betrug die Stromrechnung von Google 1300 Millionen Dollar. Lernende Algorithmen senken massiv die Energiekosten. Die schlaue Software soll bald auch in Deutschland eingesetzt werden.

Paradox von Energiewende und Rohstoffausplünderung: Windräder, Elektroautos und Solarmodule, die den Planeten retten und den Klimawandel stoppen sollen, brauchen für ihre Produktion kostbare und knappe Rohstoffe, die oft in ärmeren Ländern sind. Diese zerstören dann bei der Förderung ihre Natur. So stecken zum Beispiel 67 Tonnen Kupfer in einer Windkraftanlage auf See. Dafür müssen 50.000 Tonnen Erde bewegt werden. Bei Kobalt stammen 64% aus dem Kongo, wo bei der Förderung, egal ob industriell oder im Kleinbergbau, große Teile der Natur zerstört werden. Mit dem Lithium für eine Tesla-Batterie ließen sich 10.000 Handys produzieren. Ein E-Auto benötigt sechsmal so viele Rohstoffe wie ein Verbrenner. Damit ist man noch nicht bei der Entsorgung (Recycling hat Grenzen!). 75% der Produktionskapazitäten für Lithium-Ionen-Batterien kontrolliert China. Damit wird bei der E-Mobilität China zum in der Welt dominierenden Staat. Es steht halt allein der CO2-Ausstoß beim Fahren im Mittelpunkt. Vgl. Glüsing, Jens u. a.: Raubbau im Namen der Umwelt, in: Der Spiegel Nr. 44/ 30.10. 2021; S. 8ff.

Energie- und Klimapolitik in China und Asien (sowie weltweite Bedeutung):  Von den weltweit 2020 414 aktiv betriebenen Kernreaktoren sind 50 in China. Damit liegt das Land schon an dritter Stelle in der Welt hinter der EU (123, Frankreich 56), den USA (94) und vor Russland (38). Quelle: World Nuclear Industry Status Report. China will sich in Zukunft als eines der führenden Länder für den Bau von Atomkraftwerken anbieten. Das Land strebt hier die Technologieführerschaft an. Hauptträger ist die staatliche China General Nuclear Power Group (CGN) aus Shenzhen. Als Prestigeprojekt gilt 2021 das Kernkraftwerk Hinkley Point C am Bristolkanal in Großbritannien (soll 2026 in Betrieb gehen). Es ist eines der größten Atomkraftwerke der Welt. Es wird zusammen mit Staatskonzernen aus Frankreich gebaut. Der britische Premier Boris Johnson will weitere Atomkraftwerke bauen. China kommt zum Zuge, weil auch die Finanzierung mit angeboten wird. Man arbeitet mit dem größten Kran der Welt "Big Carl". Im Oktober 2021 ordnet die Nationale Energiekommission eine Liberalisierung des Kohlemarktes an. Kohle wird im Land knapp. Es soll wieder mehr Strom in Kohlekraftwerken hergestellt werden (Innere Mongolei, Shanxi). Der Strom muss schon in vielen Regionen für einige Tage abgestellt werden. Damit wird aber das Erreichen der Klimaziele schwieriger. 2021 nach der Corona-Krise zeigt sich, welch große Bedeutung China mittlerweile für die Rohstoffversorgung der Welt hat. Es herrscht zum einen Magnesiummangel. China muss seine Produktion runter fahren, weil die Energieversorgung der Bevölkerung vorgeht. Kohlekraftwerke haben Probleme, weil der Kohlepreis staatlich festgelegt ist. Also muss Strom abgeschaltet werden. 87% des Rohstoffes Magnesium kommen 2021 aus China. Das kann auch die deutsche Industrie behindern. Magnesium braucht man zum anderen auch für die Herstellung von Aluminium. Auch hier ist China 2021 der Hauptlieferant. Bis Oktober 2021 ist der Preis schon um 60% gestiegen. Es gibt erhebliche Produktionsausfälle in aller Welt (Autos, Fahrräder u. a.). Erst einmal dürfte auch nach der Weltklimakonferenz 21 der CO2-Ausstoß in China noch steigen. Das Land unternimmt aber gewaltige Gegenmaßnahmen, die mittelfristig wirken dürften: 1. Riesige Investitionssummen in Energiewende. 2. Wend evon Verbrennungsmotoren zu E-Autos. 3. Schadstoffneutralität bis 2030. 4. Höhepunkt von CO2-Ausstoß 2030. 5. 2021 Einführung von nationalem Emissionsmarkt. 6. Keine Kohlekraftwerke mehr im Ausland. 7. Klimaneutralität bis 2060  (nationales Papier dazu Ende Oktober 21). Vgl. Rheinpfalz 3.11.21, S. 2.

Der Emissionsrechthandel wurde 2005 durch das Japanese Voluntary Emission Trading System (JVETS) eingeführt. Zuletzt machten 390 Unternehmen mit. Die Unternehmen konnten freiwillig zwischen Ausstoßmenge und Zertifikaten wählen. Der Beitritt wurde durch Subventionen unterstützt. 2012 lief das Testsystem aus. Vier Jahre nach der Atomkatastrophe, also 2015, gerät die Energiewende immer mehr zum Chaos. Erst vier von 43 Meilern erfüllen die verschärften Sicherheitsauflagen (also kann Ziel der Regierung von 15 - 25% für Atomstrom nicht erreicht werden). Bei 25 der noch verbliebenen 43 Meiler läuft 2015 die Sicherheitsprüfung noch. Die Versorger setzen auf Kohlekraftwerke mit reduziertem CO2-Ausstoß (aber immer noch zu viel; 52 neue Kohlekraftwerke werden 2015 geplant?). Sendai 1 geht als erster Reaktor im August 2015 wieder ans Netz. Beim G7-Gipfel in Elmau hatte sich Japan verpflichtet, den Kohlendioxidausstoß bis 2050 zu verringern. Die reale Entwicklung geht in die entgegen gesetzte Richtung: Japan ist der größte Exporteur für Kohlekraftwerke. Im Land selbst sind 2016 sechs Anlagen im Bau und weitere 49 in der Planung. Das könnten riesige Fehlinvestitionen sein. Der Ausbau fossiler Energieträger ist völlig unzeitgemäß. Längerfristig hat Fukushima im japanischen Energiemix doch zu einer Veränderung der Struktur geführt. die Rangfolge sieht 2019 wie folgt aus: 1. Edgas. 2. Kohle. 3. Erneuerbare Energien. 4. Nuklear. 5. Öl. 6. Andere. Quelle: IEA. Zwei Atomkraftwerke sind 2021 noch in Bau. Trotzdem findet de facto ein Ausstieg statt: ursprünglich sollten alle 33 Anlagen wieder in Betrieb genommen werden. Man macht es aber nur bei den wirtschaftlichsten. Bis Ende des Jahrzehnts (2030) dürften die alten alle abgeschaltet sein. Japan hat ein immenses Potential an Geothermie, Offshore - Wind und Solarenergie. 2030 soll erneuerbare Energien einen Anteil von 22% haben. Vgl. Koppenborg, Florentine: Japans nuklearer weißer Elefant, in: SZ Nr. 56, 9.3.21, S. 16. Es gibt auch einen Entwurf des Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie für 2050: Erneuerbare Energien 50 bis 60%; Atomstrom und Thermalkraftwerke 30 bis 40%; Wasserstoff/ Amoniak 10%. Vgl. HB Nr. 48, 10.3.21, S. 14f.

Russland ist der größte Lieferant von Gas an Deutschland. 2022 kommen 55% des Erdgases  aus Russland. Es folgen Norwegen (30%), die Niederlande (13%). Durch die Energiewende ist Deutschland in eine Abhängigkeit von Russland gekommen. Aber es ist ein Co-Abhängigkeit: Russland braucht die Einnahmen aus Deutschland. Man versucht sich davon teilweise zu befreien, indem Russland bei den Olympischen Winter-Spielen in Peking riesige Handelsverträge mit China beschließt, die Öl- und Gaslieferungen beinhalten. Deutschland beginnt nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zu diversifizieren. Die Gasimporte aus Russland gehen rapide zurück (Ersatz durch Norwegen, Niederland, Naher Osten, USA, Kanada).

UN-Klimakonferenz 2020 bzw. 2021 in Glasgow (COP26): Spätestens 2036 müsste der Ausstoß an Treibhausgasen auf Null gesenkt werden, um die Erhitzung der Erde auf 1,5 Grad zu beschränken. Das ist die Ausgangsposition der Konferenz. Die Konferenz wird wegen der Corona-Krise auf 2021 verschoben. Sie soll im November stattfinden (Beginn 31.10.21). Eventuell sollen die Teilnehmer vorher geimpft werden. Am 18.4.21 treffen sich eine chinesische (Leiter Xie Zhenhua) und eine US-amerikanische Delegation in Shanghai. Man beschließt und trifft eine Vereinbarung, dass beide Länder bei der Klima- und Umweltpolitik kooperieren wollen (beide Länder haben einen weltweiten Anteil am CO2-Ausstoß von 40%). Sie sind die beiden größten CO2-Emitenten dieser Welt. In fast allen anderen Politikbereichen hat sich seit dem Amtsantritt von Biden das Verhältnis beider Länder eher abgekühlt bzw. ist eher konfliktträchtig. Die US-Delegation wird vom Klimabeauftragten der USA John Kerry geleitet. Beide Länder bereiten sich damit auf die virtuelle Klimakonferenz vor, die Ende April 2021 von den USA ausgerichtet wird (Vorbereitung). Im November 2021 soll in Glasgow/ Schottland dann die nächste reale Weltklima-Konferenz stattfinden.  Es besteht sicher das Risiko, dass Corona den Klimagipfel überlagert. Die 192 Mitgliedsstaaten sollen überarbeitete Klimaschutzpläne einreichen (seit Paris). Zentral dürfte das Verhältnis zwischen den USA und China sein, die für 40% des weltweiten CO2-Ausstoßes stehen. Vier große Hürden tauchen auf der Konferenz auf: 1. Transfers der Industrieländer an die ärmeren Länder (100 Mrd. $, kommen nicht zusammen). 2. Haftung der reichen Länder für Schäden von Dürre, Wirbelstürme in ärmeren Ländern. 3. Artikel 6 des Pariser Abkommens: zwischenstaatliche Kompensation. CO2-Gutschriften gegenseitig abkaufen. Wer kriegt die Gutschrift: Standort oder Zahler? 4. Regeln und Standards für Fortschritte im Klimawandel. Vgl. Der Spiegel 44/ 30.10.21, S. 18ff. Eine Reihe von Initiativen werden ins Leben gerufen: 100 Staaten wollen die Entwaldung stoppen. Sogar Russland, China und Brasilien sind dabei. hoffentlich bleibt das nicht nur Symbolpolitik. Eine zweite Gruppe gründet einen "Methan-Pledge". Ausgerechnet die größten Emittenten sind nicht dabei: China, Indien, Russland, Australien. Ein globaler Emissionshandel mit sozialem Ausgleich steht noch in den Sternen.  In Glasgow bildet sich eine Initiative zur Abschaffung von Verbrennungsmotoren ab 2040. Deutschland schließt sich nicht an, weil man sich die Verwendung von synthetischem Treibstoff offen halten will. Nur Daimler macht mit. Die Klimakonferenz geht in die Verlängerung. Die Abschlusserklärung enthält erstmals einen Passus zur Abkehr von der Kohle ("phase-down", stark abgeschwächt durch Indien, auch China will nicht ganz auf Kohle verzichten, zusammen fast 40% der Weltbevölkerung ). Bis Ende 2022 sollen die Klimaschutzpläne nachgeschärft werden, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen (noch in diesem Jahrzehnt Senkung von CO2 um 45%, 192 Länder). Die Unterstützung ärmerer Länder war bis zuletzt umstritten (Deutschland unterstützt das Santiago-Netzwerk). Die USA und China verkünden eine verstärkte Zusammenarbeit (die beiden größten CO2-Produzenten). Es wurden Regeln für einen Länder übergreifenden Kohlenstoffmarkt vereinbart. Reiche Länder können für die Förderung ärmerer Länder Emissionszertifikate erhalten. "Die Welt der Wirtschaft ist das Produkt der menschliche Natur; sie kann sich nicht schneller ändern als die Menschen selbst", Alfred Marshall (1842-1924): Principles of Economics, 1890; den Studenten vom Marshall-Diagramm her bekannt (auch daraus folgendes Zitat stammt von ihm: "Economics is a study of mankind in the ordinary business of life"). Hoffentlich ändern sich die Menschen rechtzeitig, noch bevor sie samt Erde  untergehen.

Kettenreaktion von Energiekosten, Rohstoffknappheit und Missernten (Hungersnöte): Die Energiekosten steigen 2021 weltweit rapide. Gleichzeitig steigen die Preise für die Rohstoffe, die man zur Produktion von Düngemitteln braucht: Kalium, Phosphor, Stickstoff, Ammoniak. Die globalen Folgen sind, dass Gemüse und Fleisch sowie Nahrungsmittel insgesamt teurer werden, aber auch Missernten wegen des zu geringen Düngeeinsatzes. Hinzu kommen Dürren und Überflutungen. In der Summe gibt es schon Hungersnöte in vielen Regionen der Welt (Uganda, Kenia, Äthiopien, Afghanistan, Brasilien, Belarus). Vgl. Glüsimg, Jens/ Hecking/ Hoffmann/ Marquart/ Wasswa: Die Rückkehr der Missernten, in: Der Spiegel Nr. 52, 24.12.21, S. 66ff. Der Ukraine-Krieg wird die Hungersnöte vergrößern, da das Land die Kornkammer Europas ist. Ein Getreide-Abkommen zwischen Russland und der Ukraine auf Vermittlung der Türkei bringt etwas Linderung. Es wird auch mehr Getreide mit der Bahn durch Europa transportiert. Die Energiepreise werden weiter in die Höhe getrieben werden.

Taxonomie-Pläne der EU für "grün": Die EU will ab 2022 die Energie neu klassifizieren. Atom- und Gaskraftwerke sollen als "grün" eingestuft werden. Das hat große Bedeutung für die Finanzierung und Fördergelder. Der Kompromiss kommt Frankreich sehr entgegen, das dringend Geld für die Sanierung seiner veralteten Atomkraftwerke braucht. Umweltschützer und die Grünen üben heftige Kritik. Im Europaparlament wächst der Widerstand gegen ein "grünes " Label für Atomenergie und Gas. Die Erneuerbaren Energien machten 2020 43,3% in Deutschland aus. Die anderen Anteile waren: Braunkohle 18,0%; Erdgas 16,0%; Kernenergie 11,2%; Steinkohle 7,4%; Mineralöl 0,7%; Sonstige 5,3%. Quelle: AG Energiebilanzen.

Prognose der Energie- und Rohstoffpreise für 2022/23/24: Die hohe Inflation stützt vorerst den Goldpreis. Der Ölpreise dürfte im nächsten Jahr 2022 zurückgehen (zwischen 60 und 70 $ pro Barrel). Auch die Frachtkosten für Container, die 2021 extrem gestiegen sind, dürften sich wieder normalisieren. Die Industrie kommt 2021 dem Auftragsboom mit der Produktion nicht nach. Auch das dürfte 2022 besser werden. Rohstoffe dürften aber knapp bleiben, weil die Transformation in der Automobilindustrie mehr Rohstoffe benötigt. Wenn der Prozess der Abwertung des Euro sich 2022 fortsetzt in der Weise, dass die Fed bremst und die EZB nicht mitzieht, wird sich ein wachsendes Zinsdifferenzial zwischen dem Dollar - Raum und der Eurozone ergeben. Die asymmetrische Geld- und Zinspolitik dürfte viele Anleger veranlassen, ihr Geld in US-Treasury Bills umzulenken. Das führt zu einer höheren Dollarnachfrage auf den Devisenmärkten. Das wiederum führt zu einer Aufwertung des Dollar und zu einer Abwertung des Euro. Die Abwertung verstärkt den Preisauftrieb, die importierte Inflation wird beschleunigt. Vgl. auch: Sinn, H. - W.: Warum wir eine geldpolitische Kehrtwende brauchen, in: WiWo 51/ 17.12.21, S. 43. Die Folge wird sein, das die Rohstoffe und die Energie weiter teurer werden.  Erste Firmen halten nach dem Preisanstieg für Strom und Gas (Strompreis 2. Halbjahr 2021 +85%; Gaspreis 2. Halbjahr 21 +173%) Anfang 2022 die Fertigung an. Der Produktionsstopp wegen der Energiekosten alarmiert die Politik. NRW will mit Landesbürgschaften und KfW-Programmen helfen. Die weltpolitischen Konflikte könnten die Energiepreise weiter nach oben treiben: Das gilt, wenn die russische Armee in der Ukraine einmarschieren sollte. Das tut sie dann auch. Prompt explodieren die Energie- und Rohstoffpreise. Bei Benzin entkoppeln sich die Barrel-Preise für Öl und die Preise an der Tankstelle. Die Mineralölkonzerne scheinen die Situation auszunutzen.  NRW legt 2022 einen Plan für niedrigere Energiepreise vor (Industriestrompreis, LNG-Terminals).

Exkurs: Beeinflussung der Energiepreise durch den Staat (indirekte Preispolitik): 2022 werden mehrere Instrumente diskutiert, um die Macht von Energiekonzernen zu schwächen. Auslöser ist der Tankrabatt (Senkung der Mineralölsteuer), der die Preise moderat halten soll. Die Sprit-Preise fallen tatsächlich zunächst, steigen aber dann wieder an. Indizien sprechen für eine Einbehaltung der Tankrabatte durch die Konzerne. 1. Es soll eine Sondersteuer geben. Sie wird Übergewinnsteuer genannt. Durch Periodenvergleich der Gewinne sollen diese speziell abgeschöpft werden. 2. Verschärfung des Kartellrechts: "Missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit" und Erleichterung der Gewinnabschöpfung.  Beides setzt eine Analyse von Absprachen bei Oligopolisten voraus. Es handelt sich aber um "Parallelverhalten", weil die Preise offen präsentiert werden. Das ist eine implizite Preisabsprache. Vgl. Schieritz, Mark: Wenn der Markt zu stark wird, in: Die Zeit Nr. 25/ 15. Juni 2022, S. 23 und zahlreiche Artikel von mir bei "Economics( Basis" (Mikro/ Wettbewerbspolitik; Makro/ Steuern). zunächst bleibt offen, ob es wirklich um Machtkontrolle geht oder es nur Drohgebärde ist. Beweise einer Abzocke können schwer erbracht werden. Der Engpass sind die Raffinerien. Es müsste auch sichergestellt werden, dass der Staat seine Instrumente nicht missbrauchen kann. Vgl. Haerder, M. u. a.: Der Ampelmonopolist, in: WiWo 25/ 17.6.22, S. 28ff. Ein weiterer vorschlag zielt darauf ab, die Monopollrenten der Strom- und Gasnetzbetreiber abzuschöpfen. Vgl. Nauschnig, Franz: Inflation bekämpfen durch Senkung der Monopolrenten, in: Wirtschaftsdienst 6/ 2022, S. 446-448. Im Juli 2022 wird das Energiesicherungsgesetz geändert:  1. Der Staat kann sich an Energieunternehmen beteiligen bzw. sie unterstützen. 2. Die hohen Energiepreise können auf alle Kunden umgelegt werden. Das Energiesicherungsgesetz regelt zusammen mit dem Energiewirtschaftsgesetz die Energiewirtschaft in Deutschland. Die EU deckelt den Preis für russisches Öl Ende November/ Anfang Dezember 22 auf 60 Dollar. Mitgetragen wird der Preisdeckel auch von den USA, Kanada, GB, Japan und Australien. Die Durchsetzung erfolgt über europäische Reedereien (insbesondere griechische) und über Versicherungen. Die Wirkung wird nicht sehr groß sein, weil der Deckelpreis nahe des Weltmarktpreises liegt (Polen wollte einen tieferen Deckel, 30 $?, auch die Ukraine). Die Opec lässt die Fördermenge unverändert.

Exkurs. Freie Preise: Wirtschaftliche Schocks können Katalysatoren für technische und ökonomische Innovationen sein. Das gilt aber nur, wenn man die Marktkräfte wirken lässt. In vielen Krisen greift aber der Staat ein (Beispiel Energiekrise 2022). Vgl. Fischer, Malte: "Freie Preise sind extrem wichtig", Interview mit Harold James, in: WiWo 48/  25.11.22, S. 38ff. Die Preisbildung an freien Märkten ist prinzipiell ein effizientes Allokationskriterium. Doch es kann irrationale Verwerfungen und Preisspitzen geben, die eher spekulativ getrieben werden. Märkte stoßen in Zeiten von Angst, Instabilität und Krieg an ihre Grenzen. Vgl. Klaus Müller, Im Gespräch mit Willi Rugen, bdvb aktuell Nr. 160, S. 6.

Exkurs. Träger der Lasten der Energiekrise: Es geht um Energiepauschale, Dezemberhilfe, Gaspreisbremse. Sollen Besserverdienende höher belastet werden? Kooths setzt ganz auf den Markt (auch Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft). Schnitzler schlägt höhere Belastungen für Besserverdienende vor. Jedenfalls muss irgendjemand zahlen. Anreize zum sparen werden gesetzt, also wird der Preis nicht ganz außer Kraft gesetzt. Vgl. Diskussion zwischen Stefan Kooths/ IfW und Monika Schnitzler/ Vorsitzende SRW, Der Spiegel Nr. 52/ 23.12.22, S. 66ff.

Deutsche Energiepolitik in Krisenzeiten (auch Ukraine-Krieg): Die Krisen zeigen, dass die deutsche Energiepolitik grundsätzlich richtig ist. Es muss das Ziel sein, in der Energie in Zukunft autark zu werden. Das geht nur über alternative Energien (deshalb beschließt man im April 2022 ein so genanntes Osterpaket: Beschleunigung alternativer Energien) . Über die Übergangsphase (Brückentechnologien) gibt es unterschiedliche Meinungen: Die einen wollen das mit Gas machen, notfalls mit LPG (hohe Kosten und umweltpolitisch kritisch: Fracking, aber Versorgungssicherheit). Es ist sinnvoll, LPG-Terminals zu bauen (Brunsbüttel, Wilhelmshaven), um die Abhängigkeit von Russland zu verringern (LPG-Gas aus den USA, Katar). Bundeswirtschaftsminister Habeck verhandelt in Norwegen, den USA und Katar. Mit Katar kann eine langfristige Energie-Partnerschaft vereinbart werden. Mit den VAE schließt man ein Abkommen über die Kooperation bei Wasserstoff. Auch mit den USA kommt eine Energiepartnerschaft der EU bei Gas zustande. Habeck muss also die Energiewende staatlich organisieren. In Krisen wächst so auch immer die Staatsquote., Er ruft Ende März 2022 die Frühwarnstufe bei Gas aus (Krisenstab beobachtet den Gasmarkt). Die anderen wollen die Laufzeit der Atomenergie verlängern (Frankreich). Hier ist eine seriöse Kostenberechnung extrem kompliziert. Übrig sind in Deutschland noch drei Atommeiler: Isar 2 nahe Landshut von Eon/ Preussen-Elektra, Emsland bei Lingen von RWE, Neckarwestheim 2 im Landkreis Heilbronn von EnBW.  Der Ausstieg aus der Kohleenergie ist umweltpolitisch (CO2) richtig, könnte aber auch aus sozialen und sicherheitspolitischen Gründen gestreckt werden (über 2030 hinaus, gilt auch für die Atomkraftwerke in Deutschland). Die Versorger RWE, Vattenfall und Steag bereiten das schon vor.  Vgl. dazu: Sinn, H. - W.: Warum die Energiewende ohne Atomkraft nicht gelingen wird, in: WiWo 7/ 11.2.2022, S. 39. Es wird also wahrscheinlich ein Kohle-Comeback auf Zeit geben. Südafrika soll für Russland einspringen. Die Energieminister der G7 bereiten auf einer Konferenz in Berlin im Mai 2022 für 2030 den Ausstieg vor (offen ist die Teilnahme Japans und der USA). Durch den Einmarsch der Russen in der Ukraine sind sicher die Märkte unbeständiger geworden. Schwankungen im Gaspreis werden noch stärker auf Strom durchschlagen. Energiepolitik wird zur Sicherheitspolitik. Der Kollaps der Energieversorgung muss abgewendet werden. Deutschland muss den Weg zu alternativen Energien beschleunigen und dringend mehr diversifizieren. Die Energiepolitik könnte dadurch zu subventionslastig werden. Die EU muss sich energie- und handelspolitisch unabhängig machen. Die anderen großen Zwei (Nordamerika, China) machen das vor. Eine entscheidende Größe wird sein, ob sich die russische Führung im Amt halten kann. Jedenfalls werden auch die deutschen Güterexporte sinken, weil die Wirtschaftsentwicklung in ganz Osteuropa beeinträchtigt wird und die Weltwirtschaft insgesamt schwächelt. Das Sanktionspaket 6 der EU und der USA beinhaltet ein Importstopp für russsiches Öl bis ende 2022 (für Ungarn und Tschechien wird die Frist auf 2024 verlängert). Saudi-Arabien erhöht auf Bitten des Westens die Fördermenge.  Im Juni 2022 reduziert Gazprom die Gaslieferungen nach Deutschland durch Nordstream 1 um 40% (technische Probleme, Turbine von Siemens nicht lieferbar). Es erfolgt ein Ausweitung auf 60%. Man vermutet als Hintergrund den Besuch von Macron, Scholz und Draghi in der Ukraine.  Ende 2021 gab es in Deutschland folgende Abhängigkeiten von Russland: Gas 55%, Öl 35%, Stein-Kohle 50%. Bis Ende April 22 konnte die Abhängigkeit wie folgt heruntergefahren werden: Gas 35%, Öl 12%, Kohle 8%.

"Wir müssen dringend das Energieangebot erweitern, durch den ausbau von Stromleitungen, eine stärkere Integration des europäischen Energiemarktes, den ausbau erneuerbarer Energien, die Förderung von Schiefergas und dei Nutzung der Kernkraft", Clemens Fuest, Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München, 2023.

Exkurs: Gas-Embargo von Deutschland bzw. Russland für russisches Gas und die Folgen: Eine Projektgruppe in den USA geht davon aus, dass ein solches Embargo einen Verlust von Wirtschaftswachstum von 3 - 5% (je nach Szenario) in Deutschland mit sich brächte und mit einer gegen wirkenden Wirtschaftspolitik über Schulden zu schultern wäre. Vgl. Rüdiger Bachmann u. a.: "What if" (auch Bachmann-Paper genannt, Uni Notre Dame Indiana; auch Pittel vom Ifo Institut München dabei).  Gearbeitet wird mit einem makroökonomischen Modell. Meiner Ansicht nach hat dieses Modell mit der Prognose gravierende mikroökonomische Fehler, weil es physikalische und verkehrstechnische Aspekte nicht berücksichtigt (LPG ohne Leitungen, keine LKW und Schiffe). Es schätzt auch Gas als Grundstoff nicht richtig ein. Vom Gas und Öl zum Endprodukt gibt es einen langen Weg: Die chemische Industrie arbeitet mit Wertschöpfungsketten, die später zu Endprodukten führen. 1. Methanol: Düngemittel, Harze, Leime, Polymere, Sprengstoffe. Baustoffe, Kunststoffe, Landwirtschaft. 2. Ethylen: Polymere, Polyole, Copolymere. Baustoffe, Beschichtungen, Kunststoffe, Textilien, Verpackungen.  3. Propylen/ Propan: Fasern, Polymere, Schäume, Superabsorber. Automobilindustrie, Baustoffe, Beschichtungen, Kunststoffe, Textilien. 4. Butan: BDO, NMP, Gummi. Dichtungen, Hochleistungskunststoffe, Reifen, Textilien. 5. Benzol: Fasern, Garne, Harze, Polymere. Baustoffe, Kunststoffe, Teppiche, Textilien. 6. p-Xylol: PET, PBT.  Kunststoffe (z. B. Mineralwasserflaschen und Zahnbürsten). Quelle: VCI; Freytag, Bernd: Ohne Gas nichts los, in: FAZ Nr. 75, 30.3.22, S. 21. Allein die BASF verbraucht ca. 4% des Gases aus Russland. Auf die Industrie insgesamt fallen ca. 15% (Heizung und Rohstoff). 1,2 Mio. Jobs hängen an der Chemie, der Metallverarbeitung und der Nahrungsmittelindustrie, drei der Gas hungrigsten Branchen. Vgl. auch: Bartz, Tim u. a.: Projekt Eiszeit, in: Der Spiegel Nr. 14/ 2.4.22, S. 12ff.  Habeck hat schon in einem Monat die Gaslieferungen aus Russland von 55 auf 40% heruntergefahren. Bis 2025 will man ganz ohne auskommen. Bei Gasmangel drohte eine Rezession mit noch höherer Inflation (Stagflation). Das sieht auch der SRW so. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen wären dramatisch. Die Währung der Zahlung spielt eine Randbedeutung. Mit Rubel würden die Zahlungen direkt an die Notenbank und damit den Staat gehen. Bei Devisen (Euro) zweigen die Oligarchen einen großen Teil ab. Das Problem ist also komplexer als oft dargelegt und kann technisch relativ leicht gelöst werden (spezielle Konten der Gazprom-Bank in Luxemburg, die nicht von den Sanktionen belegt ist, und Dollar sowie Euro in Rubel tauschen kann). Der BASF-Chef Brudermüller warnt vor schwerer Krise und einem möglichen "Dominoeffekt".  Unter deutschen Ökonomen tobt ein Streit über die Folgen eines Energieembargos. Es gibt wohl zwei Fronten: einmal Hüther und Grimm ("Wir müssen sagen, was wir alles nicht wissen"). Zum anderen die Bachmann-Gruppe (siehe oben). Vgl. Der Spiegel Nr. 14/ 2.4.22, S. 68f. Die Ökonomen werden das nicht entscheiden können. Das aber auch, weil sicherheitspolitische und ethische Argumente für ein Embargo sprechen. Es kann also keine rein ökonomische Debatte geben.  Innerhalb der Energie-Rohstoffe verdient Russland am meisten am Öl (1/3 des HH, auch aufgrund der Preissteigerungen). Ein Öl-Embargo würde am besten wirken, ein Kohle-Embargo ist am einfachsten umzusetzen. Ein Gas-Embargo würde Russland mittelfristig in die Knie zwingen, aber Deutschland auch.  Vgl. auch: Hüther, Michael: Problem des subjektiven Werturteils, in: Wirtschaftsdienst, Heft 4/ 2022, S. 273-278. Land ohne Industrie? Diskussion, in: Die Zeit Nr. 17/ 21.4.22, S. 21. Die Chemische Industrie arbeitet fieberhaft an Technologien, mit denen fossile Rohstoffe überflüssig werden. Alternativen sind Biomasse, Kohlendioxid (aus Luft und Abgasen) und Recycling von Chemieprodukten. Vgl. Menn, Andreas: Die Formel für den Gasausstieg, in: WiWo Nr. 17/ 22.4.22, S. 64ff. Energiesicherungsgesetz: Im Mai 2022 im Ukrainekrieg beschlossen. Der Netz-Agentur kann die Macht übertragen werden, die Prioritäten der Energieversorgung zu regeln.  Der Staat entscheidet im Falle eines Engpasses darüber, wer wie viel bekommt. Man diskutiert über ein Auktionsmodell für die Industrie. Das wäre dann eine Gasversteigerung. Gas würde nicht wie bisher per Dekret rationiert. Auktionen haben den Vorteil, dass nicht der Staat zwischen all den ihn bedrängenden Interessen entscheiden muss. stattdessen können Marktkräfte wirken. Damit würde Energiesparen stärker über den Preis organisiert. Vgl. Nienhaus, Lisa: Wie schlimm wird es? in: Die Zeit Nr. 26/ 23. Juni 2022, S. 25. Aber erstmal muss das Angebot an Gas erhöht werden. Dazu wurde die Firma "Trading Hub Europe" (THE) gegründet. Sie soll im Namen der Bundesregierung das Erdgas ersetzen, das Putin nicht mehr liefert. In der Energiekrise wird sie zum Rettungswerkzeug. Sie hat die Verantwortung für das gesamte deutsche Marktgebiet. Sie macht auch Ausschreibungen (Long Term Options/ LTOs). Leiter ist Torsten Frank. Die Industrie sucht nach jedem Strohhalm, um die Mangellage abzuwenden.

Exkurs: Notfallplan Gas: Er besteht aus drei Stufen: 1. Frühwarnstufe. Die Bundesnetzagentur, aber auch Unternehmen müssen Pläne entwerfen, wie in einer Notlage das knappe Gut Gas verteilt werden soll. Eine feste Abschaltreihenfolge gibt es nicht, aber Kriterien wie Vorlaufzeiten für das Herunterfahren und erwartete volks- und betriebswirtschaftliche Schäden, nach denen sich die Bundesnetzagentur richtet. 2. Alarmstufe. Es liegt eine Störung der Gasversorgung vor, die zu "einer  erheblichen Verschlechterung der Gasversorgung führt". Auch eine außergewöhnlich hohe Nachfrage kann ein Grund sein. Vorgesehen ist Sparen und ein Preisanpassungsmechanismus. 3. Notfallstufe. Die Gasversorgungslage verschlechtert sich dramatisch. Der Markt kann nicht mehr regeln. Der Staat muss eingreifen, um die Gasversorgung zu steuern. Für geschützte Kunden wird die Versorgung garantiert: Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr. Industriekunden sollen stark drosseln. Vgl. HB Nr. 120/ 24./25./ 26. 6.22, S. 6ff. Die EU beschließt am 26.7.22 auch einen Gassparplan (Notfallplan): Ab August 2022  bis März 2023  15% Einsparungen in jedem Land (erst freiwillig, kann auch verpflichtend sein). Beschluss mit qualifizierter Mehrheit (einige Länder dagegen: z. B. Polen). Man reagiert auf die Reduktion der Gaslieferungen von Putin auf 20%. Man will die Folgen eines möglichen Lieferstopps von russischem Gas abfedern. Es gibt zahlreiche Ausnahmen (etwa für die Inseln Zypern, Malta, Irland).

Auswirkungen von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die Weltwirtschaft: Wie in den vergangenen Abschnitten dargelegt, waren die Energiepreise schon Ende 2021 und Anfang 2022 sehr hoch. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine treibt die Preise in ungeahnte Höhen. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2022 ist der Strompreis für ein durchschnittliches Reihenhaus um +117%, der Gaspreis für ein durchschnittliches Reihenhaus um +37% gestiegen. Der Preis für Brentöl liegt bei 115,62 US-Dollar je Barrel (10.3.), für Gas bei 136,00 € (10.3.). Das ist kein Wunder: Russland ist der größte Gasexporteur der Welt und der zweitgrößte Ölexporteur nach Saudi-Arabien. Deutschland und die EU sind hoch abhängig von beiden Rohstoffen (vgl. Daten dazu oben, GB versucht Saudi-Arabien und die VAE, zu höheren Fördermengen zu bewegen ). Weiter Preis treibend wirkt die wirtschaftliche Isolation Russlands (Sanktionen). Zuerst geraten die Energiekonzerne unter Druck. Dann die energieintensive Industrie. Zuletzt merken die Haushalte die Preisexplosion (Rechnungen im Sommer). Ersatz kann nicht schnell gefunden werden (der größte Teil des LPG ist durch langfristige Verträge gebunden). Die Suche nach einem Ausweg ist nicht einfach, zumal der Krieg viel länger dauert als erwartet. Eventuell muss noch ein Gas-Embargo eingesetzt werden. Man könnte auch mit einer Importabgabe auf russisches Öl und Gas arbeiten. Die von Russland gezahlten Gelder könnten in einen Treuhandfonds fließen, der nach dem Krieg helfen kann, den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Vgl. Edenhofer, O./ Ockenfels, A.: Eine Alternative zum Embargo, in: HB Nr. 62, 29. März 2022, S. 48. Für die ganze Weltwirtschaft zeichnen sich die Folgen immer klarer ab: Energiepreis-Schock, Wachstumsschwäche, zunehmende Unsicherheit, Stagflation. Genaue Prognosen sind noch nicht möglich. Es droht ein ökonomischer Eiserner Vorhang (zwei Blöcke in einer neuen Weltwirtschafts-Ordnung). Die Friedensdividende ist verschwunden. Länder mit hohem Schuldenstand (z. B. Italien) werden Probleme bekommen. Vgl. Blume, Jacob u. a. : Der Preis der Freiheit, in: HB Nr. 50/ 11.,12.,13. März 2022, S. 6ff. Noch nicht genau absehbar sind die Folgen, die mit größerer zeitlicher Verzögerung eintreten: Hunger, Massenflucht, weitere Explosion der Energiepreise. Im Jahre 2022 wird die Volkswirtschaft mit 60 Mrd. € belastet wegen wegen des Einkauf von Energie aus anderen Quellen als Russland. Im Jahre 2023 könnte die Belastung auf 100 Mrd. € ansteigen. Quelle: Bundeswirtschaftsministerium.  Die OECD geht in einer Studie vom März 2022 davon aus, dass der Ukraine-Krieg die Weltwirtschaft stark belasten wird. Das Weltwirtschaftswachstum werde 2022 um mehr als 1 Prozent niedriger ausfallen. Die Inflation würde sich um mehr als 2,5% zusätzlich erhöhen (drastisch gestiegene Rohstoff- und Energiepreise aufgrund des Krieges). Die OECD fordert Geldleistungen für bedürftige Bevölkerungsgruppen.

Exkurs: Neue Rolle der Golfstaaten: Um die Abhängigkeit von Russland zu verringern, brauchen Deutschland und die EU die Golfstaaten. Dort lagern 30% der Weltölreserven und 21 der Weltgasvorkommen. Zu den Staaten  gehören Saudi-Arabien, Oman, VAE, Katar, Bahrain und Kuwait. Die Golfstaaten spielen eine Schlüsselrolle bei einer neuen Weltordnung. Es handelt sich allerdings um Autokratien, die ganz sicher keine Demokratien sind. Die Staaten haben geringe Bevölkerungszahlen. Sie sind auf Migranten aus Asien angewiesen, in der Regel Moslems aus Indien, Pakistan und anderen Staaten. Umstritten sind deren Arbeitsbedingungen. Die Staatsfonds der Staaten sind prall gefüllt und werden für Investitionen in den IL, auch in Deutschland,  genutzt. Vgl. z. B. Bollinger, Monika u. a.: Die Wüste bebt, in: Der Spiegel Nr. 46/ 12.11.22, .S. 10ff.

Auswirkungen auf deutsche Unternehmen: Immer mehr Unternehmen streichen wegen der hohen Energiepreise ihre Investitionen oder auch ganze Geschäftsfelder zusammen. 25 Prozent der Unternehmen geben an, auf die Belastung mit dem Abbau von Arbeitsplätzen zu reagieren. Quelle: Ifo-Institut in einer repräsentativen Umfrage bei 1060 Unternehmen, Ergebnisse 24.10.23. Die Bundesregierung will alles tun, um den industriellen Kern zu schützen. die finanziellen Hilfen für den Stromverbrauch sollen möglichst schon ab Januar kommen. Die USA subventionieren auch mit 400 Mrd. $. Eine europäische Industriestrategie soll ausgehandelt werden. Dabei sollen auch strukturelle Reformen eine Rolle spielen. Vgl. HB Nr. 205/ 24.1022, S. 4f. Am schlimmsten wären Produktionsverlagerungen in andere Länder.

Die Zukunft wird in grünem Wasserstoff liegen. Deutschland wird immer Energie importieren müssen. Der große Vorteil dabei ist, dass es wesentlich mehr Lieferanten gibt als bei Öl und Gas. Dei fossilen Ressourcen sind extrem ungleich über die Erde verteilt. Beim "Grünen" Wasserstoff sind die Sonnengürtel der Erde bevorzugt.

Auswirkungen auf deutsche Haushalte: Die gestiegenen Abschlagszahlungen für Strom und Heizung belasten viele Haushalte. Es gibt immer wieder eine Diskussion, ob untere Einkommen besser vor hohen Energiepreisen geschützt werden sollen. Sicher hat die Energiewende eine soziale Komponente. Man könnte die Preisbremsen verlängern. auch ein Wechsel laufender Verträge kann Kosten sparen. Vgl. Grimm, v./ Groß, C.: Die wichtige soziale Komponente der Energiewende, in: HB 10.10.23, S. 16.

Exkurs. Sachverständigenrat für Verbraucherfragen: "Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine kam es zu einem starken Anstieg der Energiepreise. Um die Folgen dieser Energiekrise für die Haushalte in Deutschland in der ganzen Breite zu erfassen, führt der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) mit dem „Haushaltsmonitoring Energiekrise“ im Zeitraum von April 2023 bis voraussichtlich Juli 2024 eine haushaltsrepräsentative Panelbefragung mit insgesamt sechs Befragungswellen durch. In bisher zwei Wellen wurden im April/Mai und Juni/Juli 2023 jeweils über 4.444 Haushalte befragt. Dieser Beitrag stellt die Methodik der Befragung, die Ergebnisse und einige Schlussfolgerungen dar." Siehe Grimm, Veronika u. a.: Energiekrise belastet Haushalte, in Wirtschaftsdienst 11/ 2023, S. 754-761.

Grüner Wasserstoff als die Zukunft: Grüner Wasserstoff wird mit Ökostrom erzeugt und verursacht kaum CO2-Emissionen. Für seine Herstellung braucht man große Mengen Strom aus Wind, Sonne und Wasserkraft. Mit dem grünen Strom wird dann in einem Elektrolyseur Wasser aufgespalten: in reinen Wasserstoff, der aufgefangen wird, und in reinen Sauerstoff, der in die Atmosphäre entlassen wird. Der so gewonnene Wasserstoff kann gespeichert und in Tanks oder Pipelines transportiert werden. Er muss bis zu minus 250 Grad gekühlt und auf bis zu 700 Bar zusammengepresst werden. Mit grünem Wasserstoff kann man Brennstoffzellen betreiben. die ihn wieder in Strom umwandeln für Lastwagen und Flugzeuge. Man kann ihn auch in Fabriken einsetzen (Stahl). In grünem Wasserstoff steckt viel Potential. Die Top 10 (natürliche Ressourcen zur Herstellung von Wasserstoff) sind Norwegen, Großbritannien, Spanien, USA, Naher Osten, Nordafrika, Südafrika, Australien, China, Chile. Die Bundesregierung setzt auf Kooperation mit dem Milliardär Andrew Forster aus Australien. Vgl. HB Nr. 223, 17.11.21, S. 6f. Grüner Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Er soll auch massenhaft im arabischen Raum hergestellt werden. Das Problem ist der Transport nach Europa. 33% seiner Energie geht unter dem Strich verloren, wird grüner Wasserstoff  für den Transport in einem Überseeschiff verflüssigt. Vgl. Stölzel, T.: Das Problem, das aus der Kälte kam, in: WiWo 24/ 10.6.22, S. 70. Die Wirtschaft will 2022 grünen Wasserstoff umgehend im Raffineriesektor einsetzen. Umweltministerin Steffi Lemke sperrt sich. 2022 geht Deutschland ein Wasserstoff-Bündnis mit Kanada ein. Man will bei der Produktion von Wasserstoff zusammenarbeiten. Deutschland braucht neue Energielieferanten. Als beste Region wird Neufundland ausgemacht. Von dort ist der Transport nach Europa am einfachsten. Die EU will 2022 der Industrie vorschreiben, wann Wasserstoff als grün gelten darf. Damit könnte der Bereich tot reguliert werden. Vgl. Hülsen, Isabell u. a.: Von Brüssel totreguliert, in: Der Spiegel 36/ 3.9.22, S. 70f. Man muss noch viel in Terminals, Speicher, Pipelines investieren. Wasserstoff benötigen Raffinerien, die Chemie, Stahlindustrie. Es müssen zahlreiche Kavernenspeicher gebaut werden. Bei Wasserstoffleitungen kann man auf bestehende Leitungen zurückgreifen. Das erste Netz soll 2027 fertig sein. Vgl. Menn, Andreas: Zukunft sucht Leerrohr, in: WiWo 3/ 13.1.23, S. 64ff. Herstellung von grünem Wasserstoff: Windräder und Solarmodule liefern günstigen Ökostrom. Damit wird Wasser in einem Elektrolyseur aufgespalten. Der dabei entstehende Wasserstoff wird aufgefangen. Um ihn transportieren zu können, erfolgt eine chemische Reaktion mit Stickstoff. Nun ist grünes Ammoniak entstanden. Es lässt sich gut in Tankern verschiffen. Vgl. Die Zeit Nr. 5/ 26.1.23, S. 19. Neue Wasserstofftechnologien: Man kann theoretisch Wasserstoff herstellen - allein mithilfe von Luft und Sonnenlicht. Ein Schweizer Forschungsteam ist dieser Zukunftstechnologie einen Schritt näher gekommen. Bis zur kommerziellen Nutzung dürfte es noch dauern. Fotosynthese heißt das Prinzip. Man forscht darüber an der Uni Lausanne.

Exkurs. Nationaler Wasserstoffrat: Er soll die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie begleiten und beraten.

Energiewende: Was kommt dabei raus? : Wie wir oben gesehen haben sollte billiges russisches Gas als Übergangstechnologie auf dem Weg zur Klimaneutralität in Deutschland dienen. Aufgrund der veränderten geopolitischen Situation geht dieser Plan nicht mehr auf. Bei den alternativen Energie stockt es eher. So ging in den ersten drei Quartalen 2022 die Zahl der neu genehmigten Windräder um 16,2% zurück im Vorjahresvergleich. 500.000 Wärmepumpen sollten im Jahr installiert werden. Ohne zusätzliche Handwerker kann das nur eine Hoffnung bleiben. Der Atomausstieg wurde leicht gestoppt. Im Ausland kann man aber von einem Atomboom sprechen. die Mehrheit der EU-Staaten folgt Deutschland hier nicht (vor allem Frankreich, Polen, Ungarn). Weltweit planen die meisten Atomkraftwerke China, Russland, Indien und Ägypten (Rangfolge), aber auch viele andere Staaten. Deutschland kann mit seinem CO2-Ausstoß von weltweit 2%-Anteil kaum zum Retter der Welt werden. Vgl. Weik, Matthias: Die Abrechnung, München 2023, S. 129ff. Vgl. zuu einem guten aktuellen Gesamtüberblick: Vaclav Smil: Wie die Welt wirklich funktioniert. Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit, München (C. H. Beck) 2023.Original in den USA unter dem Titel "How the World Really Works", 2022. "Immer mehr Menschen haben zudem nur noch oberflächliche Vorstellungen davon, wie wir die Nahrungsmittel, Rohstoffe und Güter herstellen, auf denen unsere Gesellschaft materiell beruht. Dies führt zu Fehleinschätzungen, etwa der, wir könnten unsere Zivilisation in kurzer Zeit von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umstellen. Denn es geht nicht nur um eine nachhaltige Stromproduktion, sondern etwa auch um alternative Verfahren der Herstellung von Zement, Stahl, Plastik und Dünger. Technische Innovationen allein reichen nicht, sie müssen auch kommerziell weltweit implementiert werden - in hunderttausend Fabriken und Produktionsstätten." aus dem Umschlagtext, ebenda. Smil ist Professor Emeritus für Umweltwissenschaften an der University of Manitoba. Der tschechisch-kanadische Wissenschaftler ist einer der führenden Energieexperten.

Exkurs. Kraftwerkstrategie 2024: Sicherung der Energiewende durch Gaskraftwerke: Der Beschluss wird im Januar 2024 gefasst. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien soll parallel der Bau neuer Gaskraftwerke erfolgen. Diese wiederum sollen in zehn Jahren auf Wasserstoff umgerüstet werden. Kurzfristig werden bis zu viermal 2,5 Gigawatt Gaskraftwerkkapazitäten ausgeschrieben. Diese sollen "H2-ready" sein. Damit ist aber nur die Hälfte der notwendigen Gaskraftwerkkapazitäten gesichert. Die Finanzierung soll aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen. Die EU muss die Beihilfen genehmigen. Da die Kraftwerke nur für Notfälle konzipiert sind, müssen die Betreiber in hohem Maße subventioniert werden.

 

"In unserem Verhältnis zur Natur zeigt sich die ganze Anmaßung menschlichen Wirtschaftens. Indem der Mensch die natürlichen Systeme seinem Bedarf unterwirft, reduziert er ihre Vielfalt, macht sie verletzlicher und braucht einen immer größeren Aufwand, um sie zu stabilisieren. Menschliche Systeme sind nicht nachhaltig und müssen notgedrungen zusammenbrechen, wenn wir nicht lernen, sie umzubauen", Maja Göpel, in: Dieselbe: Unsere Welt neu denken, Berlin 2020, S. 53f.

 

Putins Krieg und die Folgen für die Weltwirtschaft (vgl. zu einer wesentlich umfangreicheren Darstellung Russische Föderation; in diesem Krieg spielen Interessen eine große Rolle, insofern sollten alle Infos mit Vorsicht behandelt werden, es gibt nur ukrainische und russische sowie einen chinesischen Reporter direkt an den Fronten)

"Jeder denkt daran, die Welt zu verändern, aber niemand dankt daran, sich selbst zu verändern", Leo N. Tolstoi (1828 - 1910, russischer Dichter und Schriftsteller: Krieg und Frieden, Anna Karenina).

Angriffskrieg gegen die Ukraine: Nach dem Scheitern des Minsker Abkommens und dem Einmarsch der russischen Truppen wirden die ökonomische Welt eine andere sein: teurere Energie für Deutschland (Diversifizierung), Verluste für deutsche Unternehmen, höhere militärische Aufrüstung in Deutschland. Russland will Kiew umzingeln und eine neue Führung als Marionette einsetzen. Im UN-Sicherheitsrat stimmen 11 Staaten für eine Verurteilung Russland. Russland selbst legt ein Veto ein. Enthaltungen kommen von Indien, China und den VAE. Deutschland entschließt sich, doch Waffen an die Ukraine zu liefern (Panzerfäuste, Stinger - Boden-Luft-Raketen). Man spricht von einer Zeitenwende. Putin setzt die Atom-Raketen in Alarmbereitschaft. Russland hat große eigene Opfer im Krieg. Der Widerstand ist viel größer als erwartet. Es gibt ab 28.2.22 erste Verhandlungen an der Grenze zu Belarus. Die Un-Vollversammlung verurteilt Putins Krieg (193 Mitgliedsländer: 4 Gegenstimmen von Weißrussland, Syrien, Nord-Korea, Russland; 143 Ja-Stimmen, der Rest Enthaltung). Die Nato will nicht den Luftraum über der Ukraine sperren. Eine Flugverbotszone wäre ein direkter Eingriff in den Krieg. Die Furcht ist, dass Putin seine in Syrien (Idlip, Aleppo) erprobte Taktik des Ausbombens und Zerstörung der zivilen Ordnung auch in der Ukraine anwendet. Die EU und die USA liefern Verteidigungswaffen. Das Ziel von Putin für den Krieg bleibt noch im Unklaren: Entmilitarisierung der Ukraine? Politische Kontrolle des Landes? Teilung der Ukraine? Schwächung des Westens durch Destabilisierung (Flüchtlingskrise)? Bei den Friedensgesprächen Russlands und der Ukraine in Istanbul gibt es eine vorsichtige Annäherung. "Der Krieg zerstört nur, er kann nie aufbauen", Ludwig von Mises, Österreich 1927.

Flüchtlinge aus der Ukraine: Hunderttausende Menschen fliehen aus dem Land. Es sind vor allem Frauen und Kinder. Die EU gewährt eine dreijährige Aufenthaltszeit mit Antrag, ohne für ein Jahr. Bis Ende Februar 2022 sind schon über 600.000 im Ausland oder auf dem Weg dazu. Die Zahl übersteigt im März 22 über eine Million, Mitte März 2,5 Mio., Ende März bis zu 4 Mio. Moskau und Kiew vereinbaren "humanitäre/ "grüne" Korridore", durch die die Menschen fliehen können. Alle Länder der EU sind bei der Aufnahme solidarisch. Die Flüchtlinge gehen nach Russland, Belarus, bleiben im Land in anderen Regionen, Moldau, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Polen (nimmt die meisten auf), andere EU-Länder, vor allem Deutschland (keine genaue Zahl, da 3 Monate Zeit bis zur Registrierung). Putin hat die Absicht mit der Zerstörung der Ballungszentren Flüchtlingswellen auszulösen, die die EU destabilisieren sollen. Die Bundesregierung versucht, 2022 viele Fehler von 2015 zu vermeiden: Integration und Sprache werden direkt gefördert. Arbeit und Vermittlung werden sofort unterstützt. Kitas und Schulen werden zügig geöffnet. Senioren und Behinderte werden unterstützt. Kranke und Verletzte, auch Corona-Geschädigte, bekommen Hilfe. Die USA wollen bis zu 100.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen. Die EU macht einen Zehn-Punkte-Plan (gemeinsames Registrierungssystem). die aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland dürfte sehr viel Geld kosten. 2930 Euro pro Kopf und Monat kalkulieren deutsche Stadtverwaltungen. Die Infrastruktur, vor allen die Bildungsinstitutionen, werden zusätzlich stärker belastet. Demgegenüber steht ein Nutzen bei des Bekämpfung des Fachkräftemangels. Am 7.4.22 einigen sich Bund und Länder auf folgende finanzielle und formale Lösung: Die Länder erhalten vom Bund 2 Mrd. € (104.000 Flüchtlinge sind bis Anfang April 22 erst registriert, was die Verteilung der Kosten erschwert). Ab Juni 2022 werden die Ukraine-Flüchtlinge wie anerkannte Asylbewerber eingestuft: Sie erhalten Leistungen nach SGB III (also auch Zugang zur KV und zum Arbeitsmarkt). Eine Geberkonferenz sammelt im April 22 10 Mrd. €.

Geschichte der Ukraine: Um 820 kamen germanische Krieger aus Südschweden und der Insel Gotland und gründeten die Rus. Sie bauten einen Handel auf. Die Stämme Nordrusslands waren davon beeindruckt. Im Jahre 862 schickten kam eine Delegation von Slawen und Finnen zum Warägerhäuptling in dei slawische Stadt Kiänugrad (heute Kiew). Sie baten ihn ein funktionierendes Gemeinwesen aufzubauen. 879 ernannt Fürst Helgi sich dort zum Grußfürsten und gründete die Kiewer Rus. Das Großreich reichte bis zum Baltikum und bis zur Halbinsel Krim. Die Führungsschicht setzte sich aus germanischem Adel, Händlern und Kriegern zusammen. Das Slawische dominierte Sprache und Kultur. Im 13. Jahrhundert zerfiel die Kiewer Rus in weitgehend isolierte Einzelfürstentümer. Asiatische Nomadenstämme herrschten ab dem 13. Jahrhundert über das heute ukrainische Gebiet. Damit trennt sich die ukrainische von der russischen Geschichte, da die Zentren Russlands nun weiter nördlich in Moskau und Nowgorod lagen. Danach teilten Polen und Litauen die Ukraine untereinander auf. Im 17. und 18. Jahrhundert verleibt sich das zaristische Russland den größten Teil des heutigen ukrainischen Staatsgebietes. 1917/18 als das russische Zarenreich und die Habsburger Monarchie zerfielen, durften die Ukrainer keinen Nationalstaat bilden (das Territorium wurde von Polen und der Sowjetunion geschluckt). Zu Beginn des zweiten Weltkriegs holte sich die Sowjetunion den bei Polen verbliebenen Teil. Die Ukraine blieb bis zum Verfall der UdSSR 1990 dort. Die Ukrainische Sprache wurde zurückgedrängt. Die Menschen waren zweisprachig. "Wer Krieg führt, führt Krieg gegen sich selbst", Theodor W. Adorno: Minima Moralia,  Frankfurt 2001.

Wirtschaftssanktionen der EU (Deutschland)  USA und G7 gegen Russland: Handelsverbot für russische Staatsanleihen. Personen und Unternehmen auf einer EU-Sanktionsliste (Einreiseverbot und Vermögenseinfrieren). 350 Abgeordnete Einreiseverbot. Freihandelsregeln nicht für die Volksrepubliken. Zugang zu den Finanzmärkten erschweren. Weitere Sanktionen folgen, wenn Russland einmarschiert. Stopp von Nord Stream 2. Sanktionen nach dem Einmarsch: 1. Finanzsektor. Abschneiden der russischen Banken von den Finanzmärkten. 2. Exportverbot für Hochtechnologie nach Russland. 3. Energiesektor: Umleiten von Öl und Gas nach Europa aus den USA und Katar. Im Kern will man mit den Sanktionen Druck auf die Eliten ausüben. Sie sollen ihre Privilegien verlieren. Sie sollen Putin ihre Loyalität entziehen. Dann folgen weitere Sanktionen: Landeverbot und Überflugsverbot für russische Flugzeuge auf dem Gebiet der EU. Nirgends mehr in der EU dürfen russische Flugzeuge starten und landen. Die Hermesbürgschaften für deutsche Firmen, die nach Russland exportieren, werden ab sofort gestrichen. Allein für Energielieferungen in die EU kassiert Russland jeden Tag ca. 600 Mio. € (andere Berechnungen sprechen von 1 Mrd. €). Damit finanziert Putin seinen  Krieg. Ein Embargo könnte mittelfristig die Kriegskasse entscheidend schwächen. Die USA verhandeln mit Venezuela über Öllieferungen, um die russischen zu ersetzen (man kommt zum Erfolg. Die EU will die Importmenge von russischer Energie drastisch senken

Das Abschneiden von Swift wird noch aufgespart. Es wäre ein Ausschluss vom Zahlungsverkehr (Banken, Kreditkarten, Überweisungen, Rechnungen). Es würde die ganze Bevölkerung treffen. Die Erfahrungen damit im Iran sind nicht so positiv. Man würde Russland auch in das System Chinas hineintreiben. Massiv wären auch die Probleme für die EU (russische Banken und Unternehmen haben Schulden in Höhe von 50 Mrd. €). Die Schweiz ist und wäre die große Lücke. Sie verbietet zumindest neue Geldgeschäfte mit Russland, verweist aber auf ihre Neutralität. Schließlich macht sie am 28.2. bei den Sanktionen mit. Gegner des Swift-Ausschlusses Russlands waren wohl Ungarn, Italien, Niederlande und Deutschland. Dann kommt doch eine abgespeckte Version des Ausschlusses von Swift: Der soll nur ausgewählte Banken betreffen (7). Die russische Zentralbank wird mit Sanktionen belegt: 1. Keine Transaktionen mit dem Ausland mehr. 2. Vermögenswerte im Ausland werden eingefroren (Devisen- und Goldreserven im Westen). Insgesamt gibt es bei den Sanktionen drei Pakete. Mastercard, Paypal und Visa stoppen in Russland. Dann folgen später noch zwei. Zuletzt kommt ein Kohle-Import-Stopp, ein Einfahrverbot für russische Schiffe und Importverbote (Wodka, Kaviar). Swift wird auf noch mehr Banken ausgedehnt.

Einige Experten fordern eine Strafsteuer auf Öl und Gas aus Russland. Ein Embargo würde Putin voll treffen. Damit könnte die Kriegskasse entscheidend geschwächt werden. Vgl. Hausmann, Ricardo: Wir brauchen eine Strafsteuer auf Öl aus Russland, in: WiWo 10/ 4.3.22, S. 41. Andere Experten fordern eine Importabgabe auf russische Energie, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Die Sanktionen führen zu politischer Unsicherheit: Investoren und Konsumenten ziehen sich zurück. Das Russlandgeschäft ist tot. Die USA geben auch massiv Militärhilfe an die Ukraine. Ende April 2022 beantragt Biden 33 Mrd. $ für die Ukraine. 20 Mrd. sind Militär- und Sicherheitshilfen. 8,5 Mrd. $ sind Wirtschaftshilfen.

Im Mai 22 startet die EU das Sanktionspaket 6. Es soll zu einem Stopp von russischen Erdöl-Importen kommen. Der Importstopp dürfte erst zum Jahresende greifen. Ungarn droht bei einem Sondertreffen der EU-Energieminister weiter mit einem Veto (die Slowakei kann mit einer Adria-Pipeline versorgt werden). In Deutschland ist die Versorgung der neuen Bundesländer noch nicht geklärt (über die russische Raffinerie Schwedt). Die EU will ihre Drähte zu China und Indien nutzen, damit diese nicht in die Bresche springen. Weitere Banken werden von Swift ausgeschlossen.

Verhältnis von Russland zu China (lachender Dritter?): Die Sanktionen der EU und der USA führen zu einer Annäherung Russlands  an China. Mittlerweile gilt China als wichtigster Verbündeter. Russland ist einer der großen Profiteure der Neuen Seidenstraße. So erhält etwa der Staatskonzern Gasprom 2 Mrd. $ von der ebenfalls staatlichen Bank of China (Entwicklung der Blockchain - Technologie). Im UN-Sicherheitsrat stimmt man oft gemeinsam und verhindert Reaktionen. Auch bei sonstigen Aktionen in der Welt scheinen sich Russland und China abzustimmen. So lehnen beide vereint den Demokratie-Gipfel von Biden ab (Kalter Krieg!). Immer öfter ist der Iran mit beiden in einem Boot. China und Russland haben auch gemeinsame Interessen. Sie wollen eine neue Weltordnung. Die jetzige Weltordnung ist vor allem von den USA und dem Westen geprägt (G7, WTO, IWF). Sie sehen den Westen im Niedergang und den Osten im Aufwind. Sie haben auch das gemeinsame Ziel, die USA jeweils zu verdrängen: aus Europa und aus Ostasien/ Westpazifik. Dann können sie vielleicht wieder Eingliederungen vornehmen. die sie in ihren Träumen anstreben (Taiwan, Ukraine).  Vgl. Nass, Jörg/ Thumann, Michael: Wem gehört dei Zukunft? in: Die Zeit Nr. 6, 3. 2.22, S. 3.Anläßlich der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking kommt Putin persönlich. Die Beziehungen sind so gut wie nie vorher. Allerdings verbindet die beiden Großmächte vor allem ein Zweckbündnis und die Chinesen sehen Putin eher als Juniorpartner. Hinter den Kulissen schlummern auch viele Konflikte zwischen beiden Länder (Arktis, Grenzregionen, militärische Vormachtstellung, Kultur/ Russland eher europäisch, China macht die ehemaligen Staaten der Sowjetunion in Asien von sich abhängig). China schaut aber sehr genau auf das Vorgehen des Westens gegen Putin und die Wirkung. Schließlich hat man mit Taiwan etwas ähnliches vor. China könnte den Wirtschaftsboykott des Westens gegenüber Russland mit Waren, Kapital und Technologie ausgleichen (insbesondere Energieimport, und Export  von pharmazeutischen Produkten). Dann würden die beiden noch enger zusammenrücken. Die entscheidende Frage ist, ob beide das wollen. In der Ukraine leben etwa 6000 Chinesen. Sie sitzen nach dem russischen Einmarsch fest. Das deutet darauf hin, dass China über den Einmarsch nicht genau informiert war. China wollte wohl Russland von der Invasion abhalten. Es bietet sich auch als Vermittler an. China könnte die Invasion kurzfristig beenden, weil es der einzige und entscheidende Verbündete ist. China bezieht hohe Mengen Getreide (Weizen, Mais) aus der Ukraine. Chinesische Staatsunternehmen haben in dem Land investiert. Es gibt also wirtschaftliche Interessen (obwohl der günstigere Import von Gas, Öl und Kohle aus Russland auch lockt). China kann auch kein Interesse an der neuen Einigkeit in der EU haben. Vor allem will China keinen Einbruch der Weltwirtschaft, der sein Wachstum noch mehr schwächen könnte. Insofern besteht Hoffnung, dass China irgendwann starken Druck auf Russland ausübt. Es gibt auch Gebietsansprüche in Sibirien von China an Russland. Am 7.3.22 bietet sich Außenminister Wang Yi als Vermittler an. Gleichzeit betont er, dass die Freundschaft mit Russland "felsenfest" sei (gemeinsamer Gegner USA). Man nutzt auch den Krieg, um antiwestliche Ressentiments zu schüren. Lücken, die durch westliche Sanktion in Russland entstehen, werden gerne gestopft (nicht militärisch, rote Linie der EU). Vgl. Becker, B. u. a.: Pekings Drang zu Weltmacht, in: Stern 31.3.2022, S. 26ff. (Titel).

Wirtschaft der Ukraine: Die Ukraine leitet Pipelines aus Russland durch und kassiert dafür Gebühren. Sie hat selber ein Defizit in der Förderung von Öl und Gas. Sie ist aber eine wichtige Kornkammer für Europa (Weizen, Mais). Sie exportiert auch den wichtigen Rohstoff Neon. In der Ukraine gibt es 15 Atommeiler an vier Standorten. Das größte Atomkraftwerk steht im umkämpften Südosten in Saporischschja. Die anderen drei sind in der Südukraine. Chmelnykyi, Riwne. Tschernobyl ist stillgelegt.  Das Kraft werk wird sogar von der russischen Armee beschossen und eingenommen. Die Ukraine fordert die Hilfe der IAEA an. Die Ukraine will möglichst schnell in die EU. Die EU will die Ukraine an ihr Stromnetz anbinden. Die EU sagt erst mal humanitäre Hilfe zu. Der Beitritt dürfte ein langer Weg werden, weil es noch viele Beitrittskandidaten gibt. Sie werden von Putin systematisch destabilisiert (Serbien, Moldawien, Nord-Mazedonien). Die Länder lavieren auch geschickt zwischen den Blöcken (Forderung von Hilfszahlungen).

Ukrainische Exporte: Agrarprodukte, insbesondere Getreide (Weizen, Mais), auch Sonnenblumenkerne; Eisen/ Metalle, Mineralprodukte, Neon, Maschinen, Chemie, Holz. Bordnetze für Autos (BMW, VW).

Ukraine und Deutschland/ EU: Die Ukraine möchte gerne in die Nato und die EU. Russland ist strikt dagegen und sieht eine rote Linie und alte Zusagen überschritten. Deutschland ist wegen North Stream 2 und nicht geleisteten Waffenlieferungen in der Kritik. Der Aufmarsch der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine scheint zumindest mehr Einigkeit in der EU und der Nato zu schaffen. Deutschland arbeitet mit der Ukraine zusammen. Mit Sachsens ehemaligem Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich gibt es einen Sonderbeauftragten der Bundesregierung für den Strukturwandel in den ukrainischen Kohleregionen. Rund 2 Milliarden Euro hat Berlin seit der Annexion der Krim durch Russland 2014 an nichtmilitärischer Hilfe für Kiew geleistet (an der Spitze). Weitere 150 Mio., € werden im Februar 2022 zugesagt. Die USA räumen einen Kreditrahmen von 1 Mrd. € ein. Die Ukraine profitiert ganz erheblich von den Durchfluss-Gebühren für russisches Gas, die sie durch North Stream 1 bekommt. Außerdem entnimmt sie ihr eigenes Gas. Deutschland und der Westen stehen vor einem Dilemma oder in der Sackgasse: Kiew in den Westen zu holen,  ohne Russland vor den Kopf zu stoßen, geht nicht. Im Februar 2022 billigt das EU-Parlament Notkredite für die Ukraine in Höhe von 1,2 Mrd. €, die in zwei Tranchen ausgezahlt werden . Seit 2014 hat die Ukraine bereits mehr als 17 Mrd. € an Krediten von der EU erhalten. Außenhandel zwischen den beiden Ländern: 7 Mrd. € aus Exporten und Importen. Platz 43. Quelle: Statistisches Bundesamt. Bis zum Juni 22 genehmigte Berlin Rüstungsgüter im Wert von 350 Mio. €. Zahlenmäßig größter Waffenlieferant sind die USA. Gemessen an der Wirtschaftskraft liefern die baltischen Staaten am meisten.

Deutsche Unternehmen in der Ukraine: Ca, 2000 deutsche Unternehmen oder mit deutscher Beteiligung. Sie bieten rund 50.000 Arbeitsplätze. Beispiele: Leoni aus Nürnberg mit 7000 Mitarbeitern.  Kronberg & Schubert. Prettl aus der Nähe von Stuttgart. Der Gips-Hersteller Knauf  hat ein Werk in der Region Donbass. Auch die Metro ist in der Ukraine (26 Märkte). Vor Ort sind auch die DAX-Konzerne Bayer, Henkel, BASF. Vgl. HB Nr. 35, 18.19.20.2.22, S. 21. Die BASF hat eine Filiale in Kiew. Sie ist dort seit 1992 aktiv. Es gibt noch ein Regionalbüro in Lwiw (Lemberg) im Westen. Produktionsstätten hat die BASF nicht in der Ukraine. Die SAP hat ein Büro in Kiew. Auch die Münchener Röchling-Gruppe ist in der Ukraine. In St. Petersburg, in Russland, hat sie ein Verkaufsbüro. Aktiv in der Ukraine ist auch Freudenberg aus Weinheim. Der Berliner Online-Händler Zalando bezieht Textilien aus der Textil-Fabrik United Textile Group (UTG) aus Lwiw in der Westukraine. Obi stoppt das Russland-Geschäft. Mitte 2022 nehmen viele deutsche Unternehmen in der Ukraine ihre Produktion wieder auf (Leoni, Knauf, Viessmann, Henkel).

Deutsche Unternehmen in Russland: 2011 waren 6.301  deutsche Unternehmen in Russland. 2021 waren es nur noch 3.651. Grund war die Sanktionspolitik gegenüber Russland wegen der Annexion der Krim. Die deutschen Direktinvestitionen entwickelten sich aber positiv: 2011 1.147 Mrd. €. 2021 1.510 Mrd. €. Vgl. HB Nr.12/ 15. Februar 2022, S. 6. Nach dem Einmarsch in der Ukraine zieht es deutsche Firmen eher weg aus Russland. Daimler Truck stoppt seine Kooperation mit Kamaz in Russland und liefert keine Zuliefererteile mehr (produziert auch für die Armee). Die Mercedes - Group hält aber 15% an Kamaz. Nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine ziehen sich viele Unternehmen zurück: BMW, Playmobil, Kühne & Nagel, Siemens, MAN. 2,3% ihres Umsatzes machen deutsche Unternehmen in Russland. Es gibt auch Unternehmen, wie die Thalheimer Transformationswerke im Erzgebirge, für die Russland der wichtigste Markt ist. Im März 2022 stoppen die SAP und die BASF ihre Geschäfte in Russland. Mercedes verkauft keine Autos mehr. Obi (Baumarkt) stoppt seine Geschäfte in Russland. Die SAP will sich komplett aus Russland zurückziehen, ebenso Dr. Oetker. Auch Henkel will sich aus Russland zurückziehen. Die Bundesregierung macht ein Unterstützungspaket für Firmen, die direkt oder indirekt vom Krieg betroffen sind (Kredite über KfW, Bürgschaften, Zuschüsse für Firmen, die besonders energieintensiv produzieren). "Fast 80 % der Unternehmen sehen sich derzeit durch hohe Energiepreise belastet. Über 40 % erwarten, dass sie kurzfristig in ihren Geschäftsabläufen durch ausfallende Lieferungen von Vorleistungen beeinträchtigt werden; ebenso hoch ist die erwartete Belastung durch drohende Engpässe in der Energieversorgung. Seit der ersten Befragung in der ersten Märzhälfte 2022 haben sich die Sorgen tendenziell erhöht. Für die mittlere Frist werden weiter ansteigende Belastungen durch den Krieg für die Unternehmen erwartet." Siehe Grömling, Michael/ Bardt, Hubertus: Betriebliche Belastungen durch den Ukrainekrieg, in: Wirtschaftsdienst, Heft 4/ 2022, S. 283-287. Vgl. auch Beschorner, Thomas: Should I stay or should I go? in: WiWo 19/ 6.5.22: "Es gibt keine guten Geschäfte in einem falschen Krieg". Bitte keine Moralisierung je nach Lage. Der Autor spricht von "Whataboutismus".

Außenhandel zwischen Deutschland, EU  und Russland: Die mit Abstand wichtigsten Ausfuhrprodukte von Russland sind Erdöl und Erdgas. Westliche Länder führen von Russland auch andere wichtige Rohstoffe wie Titan, Aluminium, Palladium, Neon  und Nickel ein. Viele werden im Flugzeugbau verwendet.

Von 2011 auf 2021 fielen die deutschen Exporte von 34,5 Mrd. € um -23% auf 26,6 Mrd. €. Die Importe sanken im gleichen Zeitraum von 40,9 Mrd. € um -19% auf 33,1%. Aber Deutschland importiert 55% seines Gases, 50% seiner Kohle und 35% seines Erdöls aus Russland.  Die EU ist Russlands wichtigster Handelspartner (als Block, als einzelnes Land China): 34% des russischen Handelsvolumens. Die europäischen Unternehmen wollen auf alternative Beschaffungsmärkte umsteigen.  Innerhalb der EU exportieren und importieren am meisten aus Russland: Deutschland, Niederlande, Italien. Wichtige andere Handelspartner Russlands sind Weißrussland, die USA und die Türkei.

Folgen des Krieges für die deutsche Wirtschaft: Die Energiepreise steigen auf Rekordniveau (vom 1. März 2021 bis 16. März 2022 Gas *495%, Kohle +423%). Die Unternehmen werden voll getroffen. 55% der Erdgasimporte  der deutschen Industrie kommen aus Russland.  Folgende Branchen haben den höchsten Gasverbrauch: Chemische Industrie, Ernährung und Tabak, Metall, Papier, Glas und Keramik. Vgl. Book, Simon u. a.: Im Kern getroffen, in: Der Spiegel Nr. 12/ 19.3.22, S. 68ff. Die Energiepreise korrelieren stark mit Rohstoffengpässen, Lieferkettenproblemen, Sanktionsfolgen sowie direkten Kriegsfolgen. In Deutschland ist Ende März 2022 bereits jedes zehnte Unternehmen betroffen (DIHK, ZEW, Mannheim). Vgl. auch: Kriegsfolgen für Unternehmen, in: FAZ Nr. 67, 21.3.22, S. 19. Die Wachstumsrate für 2022 wird gesenkt (von 3,7% auf 2,1 - 3,1%; Quelle: Ifo München). Die westlichen Wirtschaftssanktionen treffen die deutsche Wirtschaft sektoral und regional sehr unterschiedlich. Regional sind die neuen Länder im Osten stärker betroffen. Vgl. genauer: Jung, Mario: Handelsrestriktionen gegen Russland belasten sektoral und regional unterschiedlich, in: Wirtschaftsdienst, Heft 4/ 2022, S. 279-282.  Eine stark verminderte Gasversorgung in Deutschland hätte für das Stammwerk der BASF in Ludwigshafen dramatische Konsequenzen. Dann müsste das Stammwerk mit seinen 34.000 Mitarbeitern komplett heruntergefahren werden.

Exkurs: Gas-Embargo von Deutschland für russisches Gas und die Folgen: Eine Projektgruppe in den USA geht davon aus, dass ein solches Embargo einen Verlust von Wirtschaftswachstum von 3 - 5% (je nach Szenario) in Deutschland mit sich brächte und mit einer gegen wirkenden Wirtschaftspolitik über Schulden zu schultern wäre. Vgl. Rüdiger Bachmann u. a.: "What if" (auch Bachmann-Paper genannt, Uni Notre Dame Indiana; auch Pittel vom Ifo Institut München dabei).  Gearbeitet wird mit einem makroökonomischen Modell. Meiner Ansicht nach hat dieses Modell mit der Prognose gravierende mikroökonomische Fehler, weil es physikalische und verkehrstechnische Aspekte nicht berücksichtigt (LPG ohne Leitungen, keine LKW und Schiffe). Es schätzt auch Gas als Grundstoff nicht richtig ein. Vom Gas und Öl zum Endprodukt gibt es einen langen Weg: Die chemische Industrie arbeitet mit Wertschöpfungsketten, die später zu Endprodukten führen. 1. Methanol: Düngemittel, Harze, Leime, Polymere, Sprengstoffe. Baustoffe, Kunststoffe, Landwirtschaft. 2. Ethylen: Polymere, Polyole, Copolymere. Baustoffe, Beschichtungen, Kunststoffe, Textilien, Verpackungen.  3. Propylen/ Propan: Fasern, Polymere, Schäume, Superabsorber. Automobilindustrie, Baustoffe, Beschichtungen, Kunststoffe, Textilien. 4. Butan: BDO, NMP, Gummi. Dichtungen, Hochleistungskunststoffe, Reifen, Textilien. 5. Benzol: Fasern, Garne, Harze, Polymere. Baustoffe, Kunststoffe, Teppiche, Textilien. 6. p-Xylol: PET, PBT.  Kunststoffe (z. B. Mineralwasserflaschen und Zahnbürsten). Quelle: VCI; Freytag, Bernd: Ohne Gas nichts los, in: FAZ Nr. 75, 30.3.22, S. 21. Allein die BASF verbraucht ca. 4% des Gases aus Russland. Auf die Industrie insgesamt fallen ca. 15% (Heizung und Rohstoff). 1,2 Mio. Jobs hängen an der Chemie, der Metallverarbeitung und der Nahrungsmittelindustrie, drei der Gas hungrigsten Branchen. Vgl. auch: Tim Bartz u. a.: Projekt Eiszeit, in: Der Spiegel Nr. 14/ 2.4.22, S. 12ff. Habeck hat schon in einem Monat die Gaslieferungen aus Russland von 55 auf 40% heruntergefahren. Bis 2025 will man ganz ohne auskommen. Bei Gasmangel drohte eine Rezession mit noch höherer Inflation (Stagflation). Das sieht auch der SRW so. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen wären dramatisch. Die Währung der Zahlung spielt eine Randbedeutung. Mit Rubel würden die Zahlungen direkt an die Notenbank und damit den Staat gehen. Bei Devisen (Euro) zweigen die Oligarchen einen großen Teil ab. Das Problem ist also komplexer als oft dargelegt und kann technisch relativ leicht gelöst werden (spezielle Konten der Gazprom-Bank in Luxemburg, die nicht von den Sanktionen belegt ist, und Dollar sowie Euro in Rubel tauschen kann). Das aber auch, weil sicherheitspolitische und ethische Argumente für ein Embargo sprechen. Es kann also keine rein ökonomische Debatte geben. Innerhalb der Energie-Rohstoffe verdient Russland am meisten am Öl (1/3 des HH, auch aufgrund der Preissteigerungen). Ein Öl-Embargo würde am besten wirken, ein Kohle-Embargo ist am einfachsten umzusetzen. Ein Gas-Embargo würde Russland mittelfristig in die Knie zwingen, aber Deutschland auch. Vgl. auch: Hüther, Michael: Problem des subjektiven Werturteils, in: Wirtschaftsdienst, Heft 4/ 2022, S. 273-278. Land ohne Industrie? Diskussion, in: Die Zeit Nr. 17/ 21.4.22, S. 21.

Der Ukraine-Krieg stellt grundsätzlich das deutsche Wirtschaftsmodell in Frage: Die Politikwissenschaftlerin Constanze Stelzenmüller hat es sinngemäß überspitzt auf folgenden Punkt gebracht: Deutschland hat sein Wirtschaftswachstum nach China ausgelagert. Die Energieversorgung wurde Russland überlassen. Die Sicherheitspolitik vertraute man den USA an. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. 40% beträgt mittlerweile der Exportanteil am BIP. China wird in Zukunft rigoros seine neue Geopolitik umsetzen, die USA werden dagegen halten. Deutschland  und die EU müssen ihren relativen Vorteil, der in ihrer Geschichte liegt, umsetzen. Das heißt, dass sie mehr auf Südamerika, Afrika, Indien, Indonesien, Japan, Südkorea und Australien u. a. zugehen müssen. Vgl. Fuest, Clemens: Der Ukrainekrieg und die Folgen für unser Wirtschaftsmodell, in: Wirtschaftsdienst. Heft 4, 2022, S. 242f. Der IWF rechnet im April 2022 nur noch mit einem Wachstum des BIP 2022 in Deutschland von 2,1%. Damit wird Deutschland neben Italien in der EU am härtesten vom Krieg getroffen.

Wenn Russland seine Gaslieferungen im Juli 2022 ganz einstellt, wird Deutschland als einziges Land in der EU einer Teil seiner Wirtschaftstätigkeit einschränken müssen. Das könnte zu einem Domino-Effekt in der EU führen. Neuere Ergebnisse  bringt eine empirische Studie 2022: "Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen gibt an, dass sie Gas direkt in der Produktion einsetzen oder durch eine Gasrationierung ihre Lieferketten gestört würden. Preiserhöhungen, die sich in der aktuell hohen Inflationsrate widerspiegeln, sind eine direkte Antwort auf den Kostendruck, der insbesondere durch die Entwicklung der Energiepreise und Störungen der Lieferketten entsteht." Vgl. Bischof, Jannis u. a.: Kriegsauswirkungen auf Unternehmen: Energieabhängigkeit und Preiserhöhungen, in: Wirtschaftsdienst, Heft 97 200, s. 724-780.

Auswirkungen des Krieges auf die Weltwirtschaft: 1. Der Krieg treibt die Energiepreise. Öl- und Gaspreis erreichen Spitzen werte. Russland ist der größte Gas- und der zweitgrößte Ölexporteur der Welt. 2. Die Wertschöpfung der Industrie geht weltweit zurück: Bau, Verarbeitendes Gewerbe, Dienstleistungen, Gesamtwirtschaft. Das Wirtschaftswachstum sinkt global. Am stärksten wohl in der EU (-3,2%), Welt (-1-1%, Lateinamerika -0,6%, Asien -0,5%, USA -0,5%, Russland -10%. Quellen: Bloomberg/ Oxford Economics. 3. Ernteausfälle in der Ukraine und Russland. Beide sind die weltgrößten Exporteure für Weizen. Auch Mais wird in großen Maße von beiden ausgeführt. Es könnte zu Hungersnöten in Entwicklungsländern kommen. Diese könnten Flüchtlingswellen auslösen (versteckte Absicht Putins?). Zusätzlich steigen die Preise sehr stark. 4. Wandel der Weltwirtschaftsordnung von einer multipolaren zu einem ökonomischen Eisernen Vorhang mit 2 Blöcken. 5. Die große Angst in Europa und Deutschland ist: Was , wenn es beim nächsten Konflikt um China geht. Dann wären ganz andere Dimensionen betroffen. Es ist eine Renaissance des Politischen da. Vgl. Fischer, Malte u. a.: Der Preis des Krieges, in: WiWo 11/ 11.3.22, S. 14ff. 6. Das globale Währungssystem wird sich wandeln. In der asiatischen Finanzkrise war die Lehre, die Stabilität durch andere Währungen zu sichern. Die Sanktionen gegen die russische Notenbank könnte zu einem anderen Umgang mit Devisenreserven führen. Ganz sicher wird China daraus lernen. Es könnte aber auch dem Renminbi auf dem Weg zur Weltwährung schaden. 7. Die Versorgung mit Gütern und Rohstoffen stockt, weil der Ukraine-Krieg zusammen mit Corona die Fahrpläne der Containerschifffahrt durcheinander wirbelt. Es müssen Umwege gefahren werden und es fehlen Schiffe, die im Schwarzen Meer feststecken. 8. Die Krisen sind alle miteinander vernetzt. Zusätzlich gibt es einen Kaskadeneffekt: Die Krisen schubsen sich gegenseitig an.  Die OECD geht in einer Studie vom März 2022 davon aus, dass der Ukraine-Krieg die Weltwirtschaft stark belasten wird. Das Weltwirtschaftswachstum werde 2022 um mehr als 1 Prozent niedriger ausfallen. Die Inflation würde sich um mehr als 2,5% zusätzlich erhöhen (drastisch gestiegene Rohstoff- und Energiepreise aufgrund des Krieges). Die OECD fordert Geldleistungen für bedürftige Bevölkerungsgruppen. 1 Billion Dollar könnte der wirtschaftliche Schaden durch die Folgen des Ukraine-Kriegs betragen. Quellen: IfW Kiel, HB 18./19./20. März 2022, S. 1 und 6. Den größten Schaden durch den Krieg hat Russland selbst (BIP -9,7% 2022). Dann folgen die Länder Litauen, Lettland, Estland, Tschechien, Polen, Belgien, weil sie enge Wirtschaftskontakte zu Russland haben. Dann erst kommen Deutschland, Italien und Österreich. Quelle:  IfW, Kiel, April 2022.

Indirekt hat der Krieg langfristige Folgen für die Struktur der Weltwirtschaft. Viele Länder der Welt haben sich nicht an der Ächtung des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine beteiligt und sind auch bei den westlichen Sanktionen nicht dabei. Sie wollen unabhängig von den USA bleiben und es sich mit Russland nicht verderben. Darunter sind wichtige Länder wie Pakistan, Bangladesch, Iran, Vietnam. Andere Länder wie Mexiko, Indien, Brasilien, Südafrika warten eher ab und verharren. China stellt sich am stärksten auf die Seite von Russland. Das wird ganz sicher auch die ökonomischen Beziehungen beeinflussen und damit die Weltwirtschaft verändern (nur wie genau,  ist im Moment noch nicht abzusehen).

Der Ukraine-Krieg 2022 kann zu Hunger in der Welt führen. Russland und die Ukraine sind die größten Weizen- und Maisexporteure der Welt (knapp ein Drittel bei Weizen, ein -Sechstel bei Mais; Russland hat ein Zehntel der Weltagrarfläche). China selbst, das der größte Weizen-Produzent der Welt ist, nimmt wenig Rücksicht und füllt seine Silos ("Chinesischer Hamster"). Hinzu kommt, dass die Preise rapide ansteigen und viele Länder das nicht mehr bezahlen können. Besonders betroffen werden folgende EL sein: Eritrea, Somalia, Libanon, Ägypten, Äthiopien, Jemen. auch Pakistan ist auf die Importe angewiesen. Vgl. auch: Blasberg, Marian u. a.: Der stille Tod, in: Der Spiegel Nr. 16/ 16.4.22, S. 86ff.

Der IWF kippt aufgrund des Ukraine-Krieges im April 2022 seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft 2022 und sieht  den neuen Wert 3,6%. Die Inflation soll hoch bleiben. Einfluss haben auch die Omikron - Lockdowns im Süden Chinas (Shanghai, Shenzhen).

Änderung geopolitischer Beziehungen durch den Krieg: Japan erwägt angesichts des Ukraine-Krieges auch, dem atomaren Verteidigungsbündnis Aukus beizutreten (Australien, USA, GB). Eine formelle Einladung soll es geben. Dann würde Aukus zu Jaukus. Auch Südkorea könnte auf das neue Bündnis zugehen. Das Bündnis Quad will über das Thema beraten. Die "grenzenlose Freundschaft" von Russland und China hat den Pazifik in Alarmbereitschaft versetzt.

In Europa spielen Finnland und Schweden mit dem Gedanken, der Nato beizutreten. Die Parlamente entscheiden. Die Türkei muss noch überzeugt  bzw. gekauft werden. Sie zögert bei Schweden extrem lange, weil sie die Einstufung der Kurden als Terroristen will.

Einige Länder versuchen aus dem Krieg individuelle Vorteile zu ziehen: Die Türkei, Israel und Dubai heißen die Freunde Putins, also die Oligarchen, willkommen. Katar und Saudi-Arabien profitieren von zusätzlichen Gas- und Öllieferungen. Das gilt auch für Venezuela. Indien, Brasilien und Südafrika, wichtige Schwellenländer, wollen es sich mit Russland nicht verscherzen. Für Indien ist Russland notwendiger Waffen- und Energielieferant. Am meisten Angst hat man aber vor einer Koalition China-Russland.

Die Welt entwickelt sich nun mehr in Richtung "Handel ohne Wandel". Man spricht von einer Macht orientierten Weltordnung ("Freiheit statt Freihandel"). Es bilden sich in der neuen Weltwirtschaft nach dem Ukraine-Krieg vier Blöcke heraus: 1. Europa-Block. 2. USA-Block (mit Südamerika, Australien, Neuseeland). 3. China-Block mit Russland/ Belarus und zum großen Teil Afrika. 4. Block-freie (Indien, Südost-Asien, Japan). Es sind geopolitische Machtblöcke. Vgl. Busch, A. u. a.: Handel ohne Wandel, in: HB Nr. 88/ 6.- 8.5.22. Die Analyse und die Daten wurden von Prognos/ Schweiz zusammengestellt. Allein von dieser neuen Konstellation her, wird vorerst die Bedeutung Chinas zurückgehen. Es ist aber für Deutschland genauso wichtig wie die USA. Deutschlands Wohlstand hängt zu überwiegenden Teilen am freien Warentausch innerhalb Europas. Russland ist für Deutschland ausschließlich als Rohstofflieferant interessant. China versucht, Russland von sich abhängig zu machen. Deutsche Unternehmen stehen im Zentrum des geopolitischen Sturms. Die Deglobalisierung würde Deutschland am meisten schaden. Vgl. auch: Der perfekte Sturm. Zukunft der Globalisierung, in: HB Nr. 102/ 27./28./29. Mai 2022, S. 42ff. Danach Interview mit Marianna Mazzucato.

"Wo keine Liebe ist, dort gibt es auch keinen Verstand", Fjodor Dostojewski, russischer Schriftsteller (Schuld und Sühne, Der Spieler, Die Brüder Karamasow).

 

Schifffahrt-Museum Amsterdam mit VOC-Dreimaster (vom Wasser aus fotografiert). Es ist das ehemalige Lagerhaus der Admiralität. Es zeugt von der Größe der Niederlande als Handels- und Kolonialmacht im 16. und 17. Jahrhundert. Das war auch einmal ein Höhepunkt einer anderen Phase der Globalisierung. Hoffentlich wird Deutschland nicht einen ähnlichen Weg nach unten gehen nach den großen Krisen der letzten Jahre: Finanzkrise, Umwelt- und Energiekrise, Flüchtlingskrise, Corona-Krise, Ukraine-Krieg. Der Titel "Exportweltmeister" musste schon  an China abgegeben werden. Das abgebildete Schiff ist eine Rekonstruktion  eines VOC-Dreimasters aus dem 18. Jahrhundert. Es versank auf seiner Jungfernfahrt vor Hastings (England). Amsterdam hat das Stadtwappen drei schwarze Kreuze auf rotem Grund. Sie verkörpern die drei Feinde und Prüfungen Amsterdams: Feuer, Pest und Wasser. Infolge des Klimawandels  sind diese drei Feinde auch heute für Deutschland hoch aktuell.

Was wird aus dem deutschen Wirtschaftsmodell (Geschäftsmodell) in Zeiten der Deglobalisierung? (Deglobalisierung im 21. Jahrhundert, Transformation, Grenzen statt Globalisierung, Kampf in der Welt)

"Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige", Seneca, Briefe an Lucius, 71.

1. Wie sieht das Geschäfts-Modell bisher aus?

"Was wir definitiv erleben, ist ein Rückzug von der Globalisierung", Kenneth Rogoff, Harvard.  Quelle: HB 11/ 16.01.24, S. 11.

Deutschland ist und war nach dem 2. Weltkrieg Haupt - Profiteur der Globalisierung (zusammen mit China). Deutschland hat also stark von offenen Weltmärkten profitiert. In einer Zeitenwende, die De - Globalisierung/ Decoupling mit sich bringt, muss Deutschland verlieren. Jetzt zeigt sich die Kehrseite der Medaille.  Es ist auch das Ende der Illusion, dass die Wirtschaft, der Markt und der Handel die alles bestimmenden Faktoren in der Globalisierung sind. Globalisierung ist auch kein Naturgesetz. In der Energie war Deutschland weitgehend von Russland abhängig, hatte aber die günstigsten Energiepreise. Der Ukraine-Krieg löst einen Schock und eine Neuorientierung aus. Die Zeit günstiger Energiepreise ist auf jeden Fall vorbei. Sicherheitspolitisch hat sich Deutschland weitgehend auf die USA verlassen. Jetzt müssen in kurzer Zeit angesichts eines Krieges mitten in Europa (Ukraine)  Militär -Investitionen (laut BIP Investitionen in Frieden) nachgeholt werden. Beim Absatz ist der chinesische Markt der wichtigste geworden. Covid, Binnenmarktstrategie Chinas und Menschenrechtsverletzungen, aber auch das Damoklesschwert Taiwan, machen auch hier einen Wandel notwendig. Der Europäische Binnenmarkt, der über 60% der deutschen Exporte aufnimmt, ist eine gute Basis für Deutschland. Bei einer Aufnahme der Ukraine in die EU müsst aber der Agrarmarkt mit seinen Subventionen drastisch reformiert werden  und eine Befriedung wichtiger Nachbarstaaten wie Polen wäre schwierig. Die Internationalisierung der deutschen Wirtschaft ist sicher unumkehrbar (sonst tiefe ökonomische Krise). Das schließt aber eine vernünftige Reorganisation von globalen Wertschöpfungsketten nach ökologischen und polit-ökonomischen Kriterien nicht aus. Vgl. Hesse, J.-O.: Und ewig locken Exporte, in: WiWo 49/ 2023, S. 42f.   2021 betrug der Außenhandelsüberschuss 173 Mrd. Euro. Deutsche Firmen exportieren also weitaus mehr als sie importieren. Vgl. dazu auch meinen ausführlichen Artikel "Exportorientierung". Am 16. 1. 2023 im Januar findet das Weltwirtschaftsforum in Davos wieder zur gewohnten Zeit statt. Es kommen 2700 Menschen aus 52 Ländern. Das Thema lautet "Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt". Man spricht vom Ende der Hyperglobalisierung.

Exkurs: Umorientierung des deutschen Außenhandels nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges: Russland und China haben an Glanz verloren. Der Blick geht jetzt eher Richtung Westen. 2022 gab es folgende Herkunft bei den Warenimporten: China 191 Mrd. €, Niederlande 123, USA 92, Polen 72, Italien 72. Ziele der Warenexporte: USA 156 Mrd. €, Frankreich 116, Niederlande 111, China 107, Polen 90. Vgl. Schäfers, M.: Amerika lockt als Freihandelspartner, in: FAZ 6.2.23, S. 15. Hüther vom IW/ Köln sieht den deutschen Außenhandel im Bezug auf China besonders kritisch. Vgl. Hüther, Michael: Kapitalismus in der Misstrauensfalle, in; Wirtschaftsdienst 3/ 2023, S. 153-160.

Exkurs. Deglobalisierung: Es gibt viele Indikatoren dafür in den letzten 20 Jahren. 1. Der Außenhandel ist kein Wachstumstreiber mehr. Seit ca. 10 Jahren ist der Wachstumsanteil des Außenhandels für Deutschland rückläufig und die Inlandsnachfrage und der Binnenmarkt werden wichtiger. 2. Der globale Offenheitsgrad (nur Exporte) stagniert. Das ist so bei Deutschland, China, den USA und der Welt. 3. Die Kapitalströme bewegen sich seitwärts. Der Anteil von Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen am Welt - BIP ist rückläufig (seit Finanzkrise und Zinswende). 4. Die Dynamik beim Dienstleistungshandel ist ein Hoffnungsschimmer. Die Anteile des Dienstleistungsexports am BIP steigen weltweit. Ein zurück zur "alten" Globalisierung dürfte es nicht geben. Zwei andere Szenarien sind wahrscheinlicher: 1. So wie heute bleiben uns  Konflikte erhalten. 2. Geopolitische Konfrontation mit Blockbildung zwischen Ost und West. Risikofaktoren sind Lieferkettenschocks, Energieverteuerung, technologische Abgrenzung bzw. Blöcke, Reduzierung von Importabhängigkeiten, geopolitische Konflikte, z. B. Taiwan. Vgl. bdvb - Lounge über Zoom 15.3.23, Referenten J. Michels Chefvolkswirt Bayern LB, M. Böhmer, Chefvolkswirt Prognos AG/ Basel. Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine endet die Weltordnung des 20. Jahrhunderts. Ärmere Länder steigen auf, der Westen ringt mit China. Die G7 verlieren an Einfluss, insbesondere Europa bewegt sich zum Rand hin. Die EU hat 15% Anteil an der Weltwirtschaftsleistung. Die 25 stärksten "blockfreien" Nationen liegen schon bei 18%. Man spricht von Fragmentierung der Weltwirtschaft. Vgl. auch: Glüsing, Jens u. a.: Im globalen Dschungel, in: Der Spiegel 21/ 20.5.23, S. 74ff. "Nicht die industrielle Kontinuität sicherte also die Dominanz der deutschen Wirtschaft im Außenhandel, nicht die "deutsche Wertarbeit" oder gar ein besonderes nationales Arbeitsethos, nicht Erfindungsreichtum oder die über Jahrzehnte kultivierte besondere Organisation der Produktion, sondern die permanente Anpassung von Produktion und Politik an die Erfordernisse des Weltmarktes. Diese Anpassungsfähigkeit ist historisch gesehen vielleicht die große Stärke der deutschen Wirtschaft". Siehe Hesse, Jan-Otmar: Exportweltmeister, Berlin 2023, S. 100. Wenn diese letzte Analyse zutreffend ist, ist das ein Argument dafür, dass Deutschland vielleicht auch jetzt noch einmal die Kurve kriegt.

2. Um welche Alternative geht es im Kern?

"Leben und Freiheit sind wichtiger als das letzte Krümelchen Wohlstandsgewinn", Moritz Schularick, in: Die Zeit Nr. 4/ 19.1.23, S. 22 (neuer Chef des Instituts für Weltwirtschaft/ IfW, Kiel, 2023).

Die erste Strategie nennt man Friend-Shoring: Unternehmen sollen ihre Handelsbeziehungen weitgehend auf freundschaftlich gesinnte Länder (Wertegemeinschaft) fokussieren. Dafür soll hat eine Sicherheitsprämie gezahlt werden, in dem Sinne, dass diese Strategie mehr kostet. Resilienz wäre dann wichtiger als Effizienz, statt Vernetzung stünde die Autarkie im Vordergrund. Befürworter dieser Strategie sind Janet Yellen (US-Finanzministerin) und Margret Vestager (Vizepräsidentin der EU-Kommission). Vgl. Fischer, Malte: "Make business, not war!", in: WiWo 37/ 9.9.22, S. 36f. Die zweite Strategie lautet: Freihandel und Entspannung (These vom kapitalistischen Frieden): "Make business, not war!" Das ist die Devise dieser Strategie. Würde sich der Westen von Russland und China abkoppeln, um seine Sicherheit und Resilienz zu erhöhen, könnte er mit seiner Abkehr das Gegenteil erreichen. Historisch scheint erwiesen, dass Länder die friedlich miteinander Handel treiben, seltener Krieg gegeneinander führen (im 20. und 21. Jahrhundert weniger Kriege als im 18. und 19. Jahrhundert).  "Den Krieg kann nur der liberale Gedanke bekämpfen, der in jedem Krieg nichts sieht als Zerstörung und Vernichtung, der nie einen Krieg herbeiführen will, weil er auch den Sieg für den Sieger als schädlich ansieht. Soweit der Liberalismus herrscht, wird es nie Krieg geben", Ludwig von Mises, österreichischer Ökonom (1881-1973). Neue Definition der Globalisierung durch die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai 2023: "Mehr Handel ist nicht notwendigerweise besser für alle".

Grundsätzlich gehen nicht nur die USA geopolitisch zum Friend-Shoring über. Auch der zweite große Player "China" geht mit der Seidenstraße und der Shanghai Group (auch einer verstärkten Kooperation mit Zentralasien) in eine ähnliche Richtung. Der Handel zerfällt zunehmend in regionale Blöcke, die immer weniger miteinander zu tun haben wollen. Das bringt für Deutschland enorme Herausforderungen mit sich. Denn Deutschland ist das Industrieland, was am meisten auf globalen Handel angewiesen ist (Vgl. Weltbank, Summe der Exporte und Importe).

Höchste Priorität muss daher für Deutschland die EU haben. Sie muss die zentrale Rolle für eine künftige deutsche Wirtschaftspolitik spielen. Europa kann aber nur ein einflussreicher globaler Akteur sein, wenn es selbst krisensicher ist. Deutschland ist auf ein krisensicheres und handlungsfähiges Europa angewiesen. Vgl. dazu: Felke, Reinhard/ Schmitz/ Sebastian/ Tholoniat, Luc: Der Schlüssel für eine zukunftsfeste deutsche Wirtschaft liegt in Europa, in: Wirtschaftsdienst 5/ 2023, S. 336-340. Deutschland muss einen Rückfall in Protektionismus verhindern. Es muss soviel Effizienz und Arbeitsteilung wie möglich und so viel Unabhängigkeit wie nötig geben. Die Interessen des Landes müssen von denen einzelner Branchen und Global Player getrennt werden Vgl. Schularick, Moritz; Verzahnter ist nicht mehr unbedingt besser, in: Der Spiegel Nr. 2/ 7.1.2023, S. 60f.

Exkurs. Der neue kalte Krieg: Die beiden Supermächte China und USA taumeln von einer Krise in die nächste. Beide buhlen um Verbündete. Das bedroht sowohl die wirtschaftliche Verflechtung als auch den Frieden. Wenn man die UNO-Resolution vom 23 . Februar 2023 als Indikator nimmt, die Russland zum Abzug seiner Truppen aus der Ukraine auffordert, zeigt sich aktuell (März 23) folgendes Bild: An der Seite Russlands stehen eindeutig Belarus, Nordkorea, Syrien, Eritrea, Mali  und Nicaragua (7 Gegenstimmen). Enthaltung üben aus China, Bangladesch, Indien, Pakistan, Vietnam, Iran, Äthiopien, Süd-Afrika (und andere, 32 Staaten, das ist wahrscheinlich die Mehrheit der Menschheit). Die restlichen Staaten stimmen zu (Mehrheit der Staaten, 141). 13 Staaten stimmen nicht ab, weil sie nicht anwesend sind. Der Außenhandel (Handelsvolumen) zwischen China und Russland ist von 146 Mrd. $ im Jahre 2021 auf 180 Mrd. $ 2022 um +30% gestiegen. Vgl. Boy, Ann-Dorit u. a.: Der neue kalte Krieg, in: Der Spiegel 10/ 4.3.23, S. 74ff. Trotzdem gibt es nicht nur China und die USA. Es haben sich eine Vielzahl von Bündnisse etabliert, die verschiedene, auch überschneidende,  Netzwerke bilden: Nato, EU, Quad, G20, Mercosur, OVKS, Arabische Liga, RCEP, Brics, EPG (das ist nur eine Auswahl). Vgl. auch: Stephen S. Roach: Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives, Yale University Press 2022. Seine Grundthese: Biden und Xi seinen jeweils Gefangene innenpolitischer Zwänge. Er appelliert für einen neuen Umgang miteinander. Viele Experten sprechen auch von einem "unsichtbaren Krieg". Er wird mit drei Waffen geführt: Technologie, Rohstoffe, Finanzen. Im Zentrum der Technologie stehen heute die Halbleiter, vor allem TSMC aus Taiwan. Sie können die kleinsten und gleichzeitig komplexesten Chips bauen (so erklären sich auch die hohen Subventionen in Magdeburg aus Angst vor einem Embargo Chinas). Bei den Rohstoffen findet eine Verschiebung zu Seltenen Erden (Lithium, Kobalt, Nickel, Graphit) statt, bei denen China Hauptlieferant ist (auch andere autokratische Staaten; nur 2% in Europa). Bei den Finanzen dominieren noch die USA (Leitwährung $, Wallstreet), GB (London) und die EU (Frankfurt). Aber China setzt sich Schritt um Schritt ab und macht sich unabhängig. Der Ukraine-Krieg mit seinen Sanktionen ist für China "Learning by doing". 

3. Wovon hängen Konjunktur und Wachstum ab?

"Die alte Welt stirbt gerade, die neue lässt auf sich warten, und in diesem Hell-Dunkel kommen nun die Monster zum Vorschein", Antonio Gramsci, italienischer Marxist, um 1930.

Deutschland ist extrem abhängig von der Auslandsnachfrage (über 40% des BIP). Diese wird vor allem von der Industrie bedient. 30% des BIP hängen direkt oder indirekt an der Industrie. 1 Prozent weniger BIP bedeutet ca. einen Verlust von 35 Mrd. Euro.

Großen Einfluss auf Konjunktur und Wachstum haben die Rohstoffimporte und -preise. Durch den Ukraine-Krieg sind hier große Änderungen eingetreten. Vor allem die Energiepreise sind explodiert. Das kann zu negativen Kostenmargen führen. Vgl. Grimm, Veronika/ Von Rüden, Christina: Die Krise bekämpfen, das Wirtschaftsmodell neu justieren, in: Wirtschaftsdienst 12/ 2022, S. 922-928.

Die Unsicherheit in der Wirtschaft hat massiv zugenommen, ebenso wie die Dynamik (deshalb kann das Rahmenthema auch nur noch im Internet abgebildet werden).

Der deutsche Staat hat mit seiner Erhöhung der Staatsausgaben dagegen gehalten. Zweifelhaft ist, ob das in Zukunft noch so möglich ist. Vgl. Dunkel, Monika u. a.: Was wird aus unserem Wohlstand? in: Capital 6/ 2022, S. 26ff. Vgl. zu ausführlicheren Analysen die Seite "Economics/ Basis/ Makroökonomik". Die Zinserhöhung der EZB wird dazu führen, dass wieder mehr auf den Schuldenstand geguckt werden muss. Auch die EU kann nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. Die Finanzpolitik wird sich so in den nächsten Jahren wandeln müssen. Sie kann sicher nicht mehr nur im Sinne von Keynes mit Staatsausgaben den Rückgang der Nachfrage in jedem Falle ausgleichen.

4. Wohin bewegen sich die Einflussfaktoren Energieknappheit, Inflation, Krieg, Demografie, Hunger und Autokratie?

"Ich fürchte, das Welthandelssystem wird grundsätzlich beschädigt, denn es hat auf der Rolle der USA als ultimativem Garanten basiert, der für Stabilität sorgt. Aber die USA sind nicht mehr stark genug. Nun, da wir uns einmal als unzuverlässiger Partner erwiesen haben, wird ein neuer, den Freihandel befürwortender Präsident den Schaden nicht mehr beheben können. Die Welt wird immer wissen, dass dieses Land wieder einen Donald Trump wählen kann" Paul Krugman, US-Ökonom, Nobelpreisträger 2008 (Quelle: Der Spiegel 2/2019, 5.1., S. 69).

Deutschland und Europa müssen sich dauerhaft auf höhere Öl- und Gaspreise einstellen. Die Umstellung auf alternative Energien dauert, so dass die Energieknappheit bei fossilen Energieträgern noch längere Zeit anhält (man braucht Gas als Brückentechnologie). Die Europäer müssen ihre Energieversorgung neu organisieren. Die Inflation wird uns auch noch lange erhalten bleiben. Steigende Zinsen sind notwendig bzw. werden sie später wieder relativ langsam sinken. Die  Überalterung der Gesellschaft nimmt weiter zu, was den Fachkräftemangel verstärkt und die Rentenzuschusskosten und Pflege- sowie Gesundheitskosten erhöht..

Hinzu könnten externe Faktoren kommen, die nicht vorhersehbar sind. Wenn China Covid nicht in den Griff bekommt, könnte die Wirtschaft sogar schrumpfen, mit Folgen für die ganze Welt. Wenn Putin oder sein Nachfolger doch noch chemische oder atomare Waffen in der Ukraine einsetzt (oder in Litauen wegen der Sperrung der Bahnzufahrt nach Kaliningrad einmarschiert) und China sich immer noch nicht offen gegen ihn stellt, könnte der Westen noch Sanktionen gegen China verhängen. China könnte auch so als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft ausfallen. Vgl. Interview mit Kenneth Rogoff im Stern/ 9.6.22, S. 32f.

Inwieweit die Globalisierung danieder geht und welche Folgen das hat, kann heute noch niemand absehen. Diversifizierung und Lieferkettenumstellungen sowie eine Umorganisation von Vorleistungen  brauchen Zeit und kosten Geld. Die Störungen der Lieferketten haben aber nachgelassen (bis auf die Risiken im Suez-Kanal)..

In die Köpfe von Putin und Xi kann niemand hineinsehen.  Beide werden aber mit allen Mitteln ihre autokratischen Systeme verteidigen (wobei eine Demokratie in den Ländern auch keine Lösung wäre).

In vielen Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika, ist die Lage katastrophal. Der Ukraine-Krieg hat die Lebensmittelknappheit drastisch verschärft. Die Hauptprobleme "Korruption" und "politische  Instabilität" sind nicht vom Tisch. Vgl. auch Kreienbaum, Jonas: Das Öl und der Kampf um eine Neue Weltordnung, Berlin/ Boston 2022

5. Kommt es zum Wohlstandsverlust in Deutschland und wie notwenig sind Modernisierung und Strukturwandel?

Die energieintensive Industrie hat die Produktion im Vergleich zum Vorjahr zurückgefahren. Jeder vierte Kleinunternehmer und Soloselbständige denkt ans Aufgeben. Die Chemie- und Pharmabranche plant weiteres Wachstum vor allem in den USA. Im Gegenzug investieren US-Konzerne zur Zeit wenig in Deutschland. Unter den 100 wertvollsten Unternehmen der Welt ist derzeit nur ein deutsches: SAP auf Platz 97. Bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit von 137 Ländern ist Deutschland unter den G20-Staaten Dritt- und unter den G7-Ländern Vorletzter. Viele andere Bereiche kriseln: Energie, Rente, Verkehr, Wohnen, Gesundheit, Landwirtschaft. Vgl. Book, Simon u. a.: Gut gelebt, schlecht gewirtschaftet, in: Der Spiegel Nr. 51/ 17.12.22, S. 54ff.

"Vielmehr liegt er darin, die Attraktivität des Standorts für unternehmerisches Handeln zu steigern. So sind rund 90 % aller Bruttoanlageinvestitionen in unserem Land privater Natur. Um die Standortattraktivität zu steigern, müssten eine ganze Batterie von Hebeln in Gang gesetzt werden, die man allgemein unter dem Stichwort „angebotsseitige Reformen“ fasst. Sie dienen der Steigerung der Produktionsmöglichkeiten unserer Volkswirtschaft – und (Infrastruktur, digitale Verwaltung, Unternehmenssteuern, Wettbewerb, Humankapital) ganz ausdrücklich nicht, wie viele aktuelle politische Weichenstellungen, der stärkeren Umverteilung einer gegebenen Wirtschaftsleistung. Vor allem bedeutet diese Wendung, dass wir Zielkonflikte ehrlich als solche benennen und um andere Lösungen ringen, als diese Konflikte lediglich mit Finanzmitteln zu übertünchen. Die aktuelle Krise bietet die Chance genau dazu." Siehe Schmidt, C./ Schmidt, T.: Defossilierung vorantreiben und Deindustrialisierung vermeiden: möglich, aber schwierig, in: Wirtschaftsdienst 12/ 2022, S. 929-932.

Exkurs. Deutschland im Abstieg?: 2023 steckt die deutsche Wirtschaft in einer handfesten Krise. Das ist sicher keine nur "technische Rezession", wie viele beschwichtigend sagen. Führende Wirtschaftsforschungsinstitute und der IWF sehen eine Schrumpfung des BIP 2023 von -0,3%. Damit ist Deutschland das Schlusslicht der G7 und weit unter dem Durchschnitt der Eurozone (+0,9%). Für diese Situation ist ein Bündel  von Faktoren verantwortlich: hohe Energiekosten (z. B. Großhandelspreise für Strom an der Spitze, Industriestrompreis an dritter Stelle hinter Dänemark und Italien), Inflation, gestiegene Zinsen, schwindende Kaufkraft, schwache Weltwirtschaft, zerstrittene Ampel, Fachkräftemangel (+Rekord bei Offenen Stellen, Rückgang des Erwerbspersonenpotentials), lähmende Bürokratie. Kurzfristige Probleme vermischen sich mit strukturellen. Besonders die Industrie steht schlecht da. Vgl. FAZ 26.7.23, S. 1. Die deutsche Konjunktur ist zweifach belastet: Verbraucher halten sich zurück und Unternehmen geraten in die Krise. In immer mehr Branchen läuft es schlecht: Überkapazitäten in der Autoindustrie, sinkende Gewinne in der chemischen Industrie, Konsumzurückhaltung im Handel, im Maschinenbau und Elektroindustrie nehmen Bestellungen ab. Die konjunkturellen Probleme spitzen sich zu. Vgl. HB 1.8.23, S. 1 und 4. Die Unternehmen selbst beurteilen ihre Geschäftslage negativ. Die Frage ist, wie wir da wieder raus kommen. Vgl. auch: Hägler, Max u. a.: Im Schlaraffenland, in: Die Zeit Nr. 33/ 3.8.23, S. 17. Die Krise scheint sich auch psychologisch auszuwirken. Manche sprechen von einem mentalen Lockdown. Die Fortschrittserwartung nimmt ab. Das Versprechen von Wachstum und Aufstieg verfängt nicht mehr. Vgl. WiWo 32/ 4.8.23, S. 14ff. Êigentlich können wir uns in dieser Situation keine Lagekämpfe mehr leisten. Deutschland geht es ökonomisch schlechter, als die Deutschen dachten. Vgl. Interview mit Armin Nassehi, in: Die Zeit 34/ 10.8.23, S. 23. Viele Wirtschaftsexperten sehen Deutschland vor einer langen Phase schwachen Wachstums. Vgl. Böcking, David u. a.: Der Elan verpufft, in: Der Spiegel 32/ 5.8.23, S. 56ff. Dagegen helfen auch weniger Sofortprogramme. Fachleute sehen strukturelle Ursachen für die Probleme. So sieht man das wohl auch im Ausland: Die ausländischen Direktinvestitionen gehen von 2022 zu 2021 um -50,6% zurück. Vgl. Böcking, David u. a.: Absteiger, in: Der Spiegel 36/ 2.9.23, S. 8ff. Um künftigen Wohlstand zu schaffen, müssen Staat und Unternehmen investieren. Bei den Unternehmen wollen 2024 36% ihre Investitionsbudgets kürzen, nur 27% erweitern (Quelle: Ifo-Institut, München). Im Jahreswirtschaftsbericht des BMWi aus dem Februar 24 werden nur noch +0,2% Wachstum für 2024 erwartet (Ifo sogar nur 0,1%). Die jährlichen Wachstumsraten bis 2030 könnte unter 0,5% liegen. Allein -0,5% geht auf knappe Arbeitskräfte. Vgl. Böcking, D. u. a.: Tief in der Krise, in: Der Spiegel 9/ 24.2.2024, S. 65.

Die reine Statistik sollte allerdings auch relativiert werden. Das Ende der russischen Gaslieferungen hat Deutschland am stärksten in Europa getroffen. 55% aller deutschen Gasimporte stammten aus Russland (Frankreich nur 24%). 2022 hat die Bundesregierung sehr viel Geld gegen Corona ausgegeben (auch Stabilisierung der Wirtschaft). 2023 sind die Staatsausgaben wegen dieses Sondereffektes aber stark gesunken, was die Wirtschaftsleistung auch schmälert. Für 2024 wurden 1,3 % Wachstum erwartet (IWF), was aber wieder längst revidiert ist (BMWi 2024 +0,2%) Dann läge Deutschland im internationalen Vergleich wieder auf einem besseren Platz. Vgl. Schieritz, Mark: Da ist doch was faul, in: Die Zeit Nr. 38/ 7.9.23, S. 19. 2023 überholt Deutschland sogar Japan als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Grund dafür ist allerdings ein Währungseffekt. Es ist auch kein Grund zur Freude. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis beide von Indien überholt werden. Indien und China haben jeweils ein Achtel der Menschheit. Einfacher kann man die Verschiebung des Zentrums der Welt nach Asien kaum erklären.

6. Welche neuen geopolitischen Konstellationen werden sich ergeben?

"Die glorreichen Jahre der Globalisierung sind zu Ende. Die Idee eines Weltmarktes und weltumspannender Lieferketten ist für die nächsten Jahrzehnte tot", Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Quelle: WiWo 26/ 24.6.22, S. 24).

Die Welt entwickelt sich nun mehr in Richtung "Handel ohne Wandel". Handel bringt nicht automatisch Demokratie und Freiheit mit sich. Man spricht von einer Macht orientierten Weltordnung ("Freiheit statt Freihandel"). Es bilden sich in der neuen Weltwirtschaft nach dem Ukraine-Krieg vier Blöcke heraus: 1. Europa-Block. 2. USA-Block (mit Südamerika, Australien, Neuseeland). 3. China-Block mit Russland/ Belarus und zum großen Teil Afrika. 4. Block-freie (Indien, Südost-Asien, Japan). Es sind geopolitische Machtblöcke. Vgl. Busch, A. u. a.: Handel ohne Wandel, in: HB Nr. 88/ 6.- 8.5.22. Die Analyse und die Daten wurden von Prognos/ Schweiz zusammengestellt. Allein von dieser neuen Konstellation her wird vorerst die Bedeutung Chinas zurückgehen. Es ist aber für Deutschland genauso wichtig wie die USA. Deutschlands Wohlstand hängt zu überwiegenden Teilen am freien Warentausch innerhalb Europas. Russland ist für Deutschland ausschließlich als Rohstofflieferant interessant. China versucht, Russland von sich abhängig zu machen. Deutsche Unternehmen stehen im Zentrum des geopolitischen Sturms. Die Deglobalisierung würde Deutschland am meisten schaden. Vgl. auch: Der perfekte Sturm. Zukunft der Globalisierung, in: HB Nr. 102/ 27./28./29. Mai 2022, S. 42ff. Danach Interview mit Marianna Mazzucato.

De - Coupling kann für Deutschland und aus deutscher Sicht auch für Unternehmen nicht die Lösung sein. Man kann besser von De - Risking sprechen. Damit ist eine Strategie gemeint, die eine Produktion nach der Maxime betreibt "Region for Region". Damit werden einseitige Abhängigkeiten vermieden, indem man auf der ganzen Welt produziert.

Deutschland -aber auch die EU - müssen Handelsabkommen mit anderen Staaten und Regionen abschließen. Damit kann man sich auch gegen den Protektionismus von Trump schützen, wenn er denn im November 2024 die Wahl gewinnt. Wir müssen unsere Stärken stärken. Vgl. Fuest, Clemens, in: WiWo 10/ 1.3.24, s. 41.

"Was die globale Ordnung wirklich untergrub, war, dass sowohl die Länder, die am meisten profitierten (darunter China, Indien, Brasilien, Polen), als auch die Länder, die sie überhaupt erst aufgebaut hatten (vor allem Großbritannien und  die USA), ihr den Rücken kehrten. Das Brexitvotum und die Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 symbolisieren die Wende"...."Es gibt keinen inneren Widerspruch zwischen Patriotismus und Globalismus, denn beim Patriotismus geht es nicht darum, Fremde zu hassen. Sondern darum, seine Landsleute zu lieben". ... "Wenn wir Frieden als selbstverständlich ansehen, werden wir ihn verlieren". Siehe Yuval Noah Harari: Sind Kriege künftig unausweichlich? in: Der Spiegel Nr. 2/ 7.1.2023, S. 74ff.

7. Wie können Abhängigkeiten verändert werden?

"Die Krisenpolitik der Gegenwart erscheint mir wie ein Steuerungsversuch, der politischen und parteiprogrammatischen Überlegungen folgt - und deren ökonomische Folgen missachtet und sich schönredet", Werner Plumpe, Wirtschaftshistoriker Uni Frankfurt (Quelle: WiWo 38/ 16.9.22, S. 24.

Die deutsche Wirtschaft ist stark von China abhängig. Bei bestimmten Rohstoffen ist das weit über dem Durchschnitt: Bei Magnesium beträgt der Anteil der Importe ais China 50%, bei Seltenen Erden 45%. Quelle: Studie des IW, Köln 2022. Extrem ist Chinas Anteil bei folgenden Rohstoffimporten nach Deutschland: Graphit 90,4%, Wismut 87,1%. Quelle: Deutsche Rohstoffagentur. Bei allen Rohstoffen, die für die Energiewende gebraucht werden, ist man stark von China abhängig. Das zeigt eine Studie von 2022 der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Das hat große Bedeutung bei der Umstellung auf E-Autos in der Automobilindustrie. Auch bei sonstigen strategischen Produkten (Vorleistungen) und Rohstoffen ist die Abhängigkeit hoch. Vgl. meinen China-Artikel (Drache) hier auf der Seite "Fallstudie/ Narrative/ Praxis". Sehr hoch ist zum Beispiel die Abhängigkeit (Anteil der Rohstoffe aus China an der Produktion) bei bestimmten Produkten: Elektromotoren (65%), Windturbinen (54%), Fotovoltaik (53%). Vgl. Lau, Jörn u. a.: An der goldenen Kette, in: Die Zeit Nr. 33/ 11. August 2022, S. 21.

Vor allem bestimmte Sektoren in Deutschland sind auf Exporte in den chinesischen Markt angewiesen. Dazu gehören die chemische Industrie, die Elektronik und der Maschinenbau. Besonders abhängig ist die Automobilindustrie, hier vor allem VW.  Der Warenimport aus China übersteigt allerdings die deutschen Exporte. Das Minus in der Handelsbilanz liegt 2021 bei -38,1 Mrd. Euro.  Quelle: Der Spiegel Nr. 22, 28.5,22, S. 13.  Der europäische Binnenmarkt gibt uns Stabilität. Die Bundesregierung arbeitet im Sommer 2022 an einer neuen China-Strategie. Chinapolitik kann nicht mehr Industrieexportpolitik sein. Die strategische Abhängigkeit einzelner Unternehmen vom chinesischen Markt ist dabei kein rein privatwirtschaftliches Problem. Sie ist ein Risiko für die deutsche Volkswirtschaft. Vgl. Röttgen, Norbert: Nie wieder abhängig? So geht `s! in: WiWo 34/ 19.8.22, S. 40f. Die Bundesregierung will in ihrer neuen Strategie weniger China wagen ("De-Risking"). Doch viele deutsche Unternehmen zieht es stärker denn je dorthin. Noch kommt China sogar noch an vergünstigte Kredite aus Deutschland. Das geschieht im Rahmen von Entwicklungshilfe (Pro-Kopf-Einkommen als Maßstab). Das könnte sich mit der neuen Chinastrategie ändern.

Sogar seit dem Amtsantritt von Xi sind die deutschen Direktinvestitionen in China noch mal sprunghaft angestiegen. Von 28.964 Mrd. € (2010) auf 89.545 Mrd. € (2020). Es gibt 2394 deutsche Unternehmen in China. Der Jahresumsatz beträgt 330.868 Mio. € , die Zahl der Beschäftigten liegt bei 750.000. Im Jahre 2021 wurden 5,7 Mrd. € auf dem chinesischen Markt investiert. Vgl. Becker, Markus u. a.: In die Falle gelaufen, in: Der Spiegel Nr. 22/ 28.5.22, S. 13 und Heide, D. u. a.: Die neue China-Skepsis, in: HB Nr. 116, 20.6.22, S. 4f. China will seine Abhängigkeit vom Westen minimieren, die Abhängigkeit des Westens von China soll maximiert werden. Das sollten alle Unternehmen im Hinterkopf haben. Vgl. WiWo 7/10.2.23, S. 17. Auf Augenhöhe ohne Arroganz kann man aber immer gut mit China verhandeln. Der Aufstieg des Landes hat bei der Führung eine gewisse Priorität und ein Grund-Pragmatismus ist gegeben. Vgl. auch Frank Sieren, Diskussion mit David Precht im ZDF, 12.2.23. "Zwischen China und der EU besteht schon heute eine starke Asymmetrie, was die Verwundbarkeit im Außenhandel betrifft. China ist als Handelspartner für viele Länder in der EU von überragender Bedeutung, während für China selbst der Außenhandel abnehmende Bedeutung hat. Und westliche Handelsmaßnahmen wie z. B. das Mikrochip-Embargo der USA werden China noch stärker in ein binnenorientiertes Wachstum drängen. Für die Zukunft steht zu erwarten, dass sich das chinesische Wirtschaftswachstum fortsetzen wird, wenn auch in geringerem Tempo. Die vorhandenen Asymmetrien und einseitigen Abhängigkeiten werden dadurch weiter zunehmen". Siehe Goux, M./ Klein, M.: China als Sanktionsmacht, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2023, S. 161-164.

Für deutsche Firmen wird die Lage in China zunehmend unkalkulierbar. Sie verlagern ihr Geschäft in andere Teile Asiens. Mittelständler und Großkonzerne suchen nach Alternativen in Asien. Favorisierte Länder sind Vietnam, Thailand, Indien, Singapur, Malaysia und Indonesien. Ein Wirtschaftsshow - down zwischen den USA und China wird befürchtet. Vgl. Knieps, S./ Petring, j.: Nur noch raus, in: WiWo 24/ 10.6.22, S. 32ff. Das Wirtschaftswachstum in China ist auch stark zurückgegangen (2022 +4,4%; 2023 +4,9%, Schätzungen). Der Einzelhandelsumsatz fiel allein im Mai 22 um -6,7%. Hinzu kommt ein US-Importverbot für jegliche Waren aus der chinesischen Provinz Xinjiang. Die deutsche Regierung muss Unternehmen unterstützen, ihre Standorte, Zulieferer und Rohstoffquellen außerhalb Chinas zu diversifizieren. Dazu können finanzielle Anreize oder Freihandelsabkommen helfen.  Außenministerium, Wirtschaftsministerium und Bundeskanzleramt arbeiten 2022 an einer neuen China-Strategie. Sie soll Anfang 2023 vorliegen. Sie plant mit Szenarien. Ein radikales Umsteuern der deutschen Wirtschaft wird aber gar nicht möglich sein. Eher wird es zu einem vorsichtigen Abbremsen bei neuen Investitionen kommen. Vgl. Harder, Max u. a.: Ausgang ungewiss, in: WiWo 35/ 26.8.22, S. 14ff. Das Wirtschaftsministerium plant eine Verschärfung der milliardenschweren Investitionsgarantien. Das hätte erhebliche Folgen. Vgl. Greive, M. u. a. :Kurswechsel in der China-Politik, in: HB Nr. 165/ 26., 27., 28. August 2022, S. 1. Noch liegt China weit an der Spitze (1.952 genehmigte Anträge für Bundesgarantien 2021) vor Argentinien, Malaysia, Südafrika und Indien. Ebenda, S. 7. Noch pumpen folgende Firmen Kapital nach China: BASF, BMW, VW, Aldi. Sie sollten aber immer im Hinterkopf haben, dass China seine Geostrategie wichtiger ist als Wohlstandsgewinne. "Der Dreiklang aus systemischer Rivalität, Wettbewerb und Partnerschaft ist in der Bundesregierung Konsens, aber natürlich diskutieren wir über die Gewichtung. Die Grundausrichtung steht jedoch fest: Wir müssen Handlungsoptionen erweitern und gleichzeitig Risiken minimieren", Franziska Brantner, grüne Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, 2022. Siehe Der Spiegel 51/ 17.12.22, S. 11.

Ende 2022 verschärft die EU ihren Kurs gegenüber China. Im Mittelpunkt steht der Zugang zu kritischen Rohstoffen, die in China abgebaut werden. Die "digitale und wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Europas" soll erhöht werden. China sei in den meisten wichtigen Politikbereichen ein strategischer Rivale. Man arbeitet mit dem Begriff "De-risking" - Risikominderung. Man sucht die Grauzone zwischen Konfrontation und Konzilianz. Vgl. Der Spiegel 12/ 18.3.23, S. 28. Beschlüsse zu China auf dem G7-Gipfel in Hiroshima im Mai 2023: Im Mai 2023 findet in Japan/ Hiroshima ein G7-Gipfel statt. Anwesend sind auf Einladung auch weitere wichtige Länder: Indien, Brasilien, Indonesien. Es werden auch Beschlüsse zu China gefasst. Der wirtschaftliche Aufschwung dort sei gewollt uns solle nicht behindert werden. Aber die Gangart soll härter werden. Es sollen Lieferketten breiter werden und das Risiko minimiert werden. Ein Outbound - Investment - Screening wird eingeführt. Es soll ungewollte Technologietransfers verhindern. China drückt sein "starke Unzufriedenheit" über die Beschlüsse aus. Deutschland mahnt zur Zurückhaltung. Vgl. auch historisch dazu: Ostasien als Teil der Globalisierung.

Der zweite Hauptakteur der Abhängigkeit ist Russland. Das Land hat die Übernahme der Ukraine von langer Hand geplant. Deutschland und auch die EU sind zu abhängig von russischem Öl und Gas, zum Teil auch von Kohle. Gleichzeitig wird klar, wie richtig der deutsche Kurs weg von fossilen Energieträgern hin Richtung erneuerbare Energien ist. 2021 hat Russland einen Anteil von 55% bei der Gasversorgung in Deutschland. Habeck kann den Anteil 2022 auf bis zu 40% herunterfahren über Flüssiggas. Die größten Verbraucher in Deutschland sind die Industrie (37%), Privathaushalte (31%), Gewerbe/ Handel/ Dienstleister (13%), Stromversorger (12%). Am 11. April 2022 sind die Füllstände der Erdgasspeicher bei 28%, ende des Jahres sind alle Speicher voll. Vgl. Die Zeit 13. April 2022, S. 21. Russland reduziert 2022 systematisch die Erdgaslieferungen an Deutschland, Frankreich und Italien. Auch Russland ist letztlich seine Geostrategie wichtiger als Wohlstandsgewinne. Im Juni 2023 zeigen sich dann Risse im russischen Machtgefüge, das auf Putin zugeschnitten ist. Prigoschin, der Chef der Wagner-Gruppe,  kann ungestraft einen Putsch wagen.

Die Abhängigkeiten müssen mit Augenmaß reduziert werden. Das geschieht durch Diversifizierung und Umstellung (Energiewende). Vgl. O. A.: Wie unabhängiger von China werden? In: Die Rheinpfalz 28. Mai 2022. Die Umstellung kostet aber viel Geld. Vgl. auch: Fahrion, Georg: Ende einer Ära, in: Der Spiegel Nr. 32/ 6.8.22, S. 5. Auch: Book, Simon u. a.: Wenn andere eine Grube graben, in: Der Spiegel 22/ 27.5.23, S. 62ff.

Man muss aber auch die Abhängigkeit von den USA im Auge haben. Mit einem demokratischen System und mit unabhängigen Unternehmen lässt sich hier sicher agieren. Wenn man Technologie offen denkt, kann man auf einer gemeinsamen pragmatischen Ebene viel erreichen. Vgl. Richter, Stephan-Götz: Die wahre Herausforderung, in: HB 13.2.23, S. 18. .   Bundeswirtschaftsminister Habeck versucht bei einer USA-Reise (mit dem französischen Kollegen Le Maire) im Februar 2023 noch faire Regeln nachträglich in den IRA einzubauen. Trotzdem wird die EU sicherheitspolitisch immer abhängiger von den USA. Diese nutzen das, um ihre geopolitischen Interessen zu forcieren. Gegen China, aber vor allem zum Wohle der US-Wirtschaft.  Sogar in Russland sind die USA nicht zimperlich und ersetzen Siemens Energy. Vgl. WiWo 12/ 17.3.23.  Diese "Unabhängigkeit"  schwebt aber auch immer unter einem Damoklesschwert. Vgl. dazu den folgenden Exkurs.

Exkurs. Die drei unberechenbaren Faktoren der USA: Wenn man die Geschichte der USA und ihre Weltpolitik seit dem 2. Weltkrieg analysiert, zeigen sich immer drei große Einflüsse, die in ihrer Wirkung nicht exakt eingeschätzt werden können: 1. Die Macht des industriell-militärischen Sektors, der seine eigenen Profitinteressen in den Vordergrund stellt (seit Ende des Kalten Krieges haben die USA völkerrechtswidrig fünf Länder überfallen). 2. Der Einfluss der Geheimdienste, von denen der CIA der dominierenste zu sein scheit (Fake News über Atomwaffen im Irak!). 3. Der Akteur Wallstreet, der neben Gewinn auch die Interessen des Staates Israel hervorhebt (Netzwerk jüdischer Organisationen und Finanzinvestoren). Es fehlt hier an Transparenz und Aufklärungswille der Medien. Wenn zwei oder drei dieser Machtzonen sich verbünden, wie vor dem Irakkrieg die Geheimdienste, die Wallstreet und der industrielle Komplex, haben die demokratischen Institutionen keine Chance mehr. Solche externen Effekte der Machtzentren begleiten den Koreakrieg, den Vietnamkrieg und viele andere Konflikte. Sie protegieren auch jeweils die Präsidenten, die sie haben wollen und vernichten die, die sie nicht brauchen können (Beispiel J. F. Kennedy). Im Folgenden sind einige Literaturstellen aufgeführt, die sich näher mit diesem Thema beschäftigen. Sie sollten Pflichtlektüre werden. L. Fletscher Prouty: JFK. Der CIA, der Vietnamkrieg und der Mord an John f. Kennedy, Wien 1993. Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien, Zürich 2016. Jim Garrison: Wer erschoss John f. Kennedy? Auf der Spur der Mörder von Dallas, Bergisch-Gladbach 1992. Robert Harris: Dictator, München 2015. Letzteres Buch ist eigentlich über Cicero und Rom. Es ist aber zeitlos vom Thema her: Wie lässt sich politische Freiheit gegen die Dreifachbedrohung aus skrupellosem Ehrgeiz, einem von Geld beherrschten Wahlsystem und den verderblichen Auswirkungen endloser Kriege im Ausland schützen (trifft auf die USA zu)? Als vierten Faktor könnte man heute noch den Gesundheitszustand von Biden ergänzen (er ist doch ziemlich wackelig auf den Beinen).

Exkurs. Alternative zur USA. Mexiko als großer Profiteur des neuen kalten Krieges: Mexiko zählt heute zu den wichtigsten Hotspots für Auslandsinvestitionen weltweit. Allein im ersten Halbjahr 2023 kletterten die ausländischen Direktinvestitionen um 41% auf rund 26 Mrd. $. Das war der höchste Halbjahreswert in Wirtschaftsgeschichte Mexikos. Experten sagen bis 2027 knapp 60 Mrd. $ pro Jahr voraus. Vor allem die Automobilindustrie forciert das Tempo. Der Run der Investoren hat geostrategische Gründe. Mexiko profitiert vom neuen kalten Krieg zwischen dem autoritären Block (China, Russland, Iran) und der Allianz der Demokratien und vom globalen Trend zur Deglobalisierung und "Nearshoring". Mexiko lockt mit niedrigen Kosten, gutem Arbeitskräftepotential und einer passablen Verkehrsinfrastruktur. Vor allem aber ist das Land teil der Freihandelszone USMCA. Ausländer können sich über Mexiko gegen das Risiko Trump mit seinem Protektionismus wappnen. Mexiko ist schon zum größten Handelspartner der USA aufgestiegen vor China. Bei der nächsten Wahl im Juni 2024 wird in jedem Falle eine Frau an die Spitze kommen: Dei ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt Claudia Sheinbaum oder die Senatorin Xochitl Galvez. Vgl. Losse, Bert/ Heißler, Julian: Run der Investoren, in: WiWo 10/ 1.März 2024, S. 38f.

8. Wie wandeln sich die Märkte und wie wirkt sich das in den Unternehmen aus?

"Foreign Trade takes place between Firms, not between Countries", Charles P. Kindleberger, schwedisch-amerikanischer Ökonom, gestorben 2003. Dieser Satz gilt grundsätzlich auch heute noch. Der Staat kann allerdings sanktionieren/ reglementieren oder absichern über Bürgschaften.

Es droht ein ökonomischer "Eiserner Vorhang" (zwei Blöcke in einer neuen Weltwirtschafts-Ordnung). Die Friedensdividende ist verschwunden. Länder mit hohem Schuldenstand (z. B. Italien) werden Probleme bekommen. Vgl. Blume, Jacob u. a. : Der Preis der Freiheit, in: HB Nr. 50/ 11.,12.,13. März 2022, S. 6ff. Noch nicht genau absehbar sind die Folgen, die mit größerer zeitlicher Verzögerung eintreten: Hunger, Massenflucht, weitere Explosion der Energiepreise. 

Deutschland  und die EU müssen ihren relativen Vorteil, der in ihrer Geschichte liegt, umsetzen. Das heißt, dass sie mehr auf Südamerika, Afrika, Indien, Indonesien, Japan, Südkorea, Kanada und Australien u. a. zugehen müssen. Im Januar 2023 reist Bundeskanzler Scholz nach Südamerika. Er besucht Argentinien, Chile und Brasilien (stabile Demokratien). Es zeichnen sich neue Perspektiven ab. Man schließt Rohstoffpartnerschaften ab (Lithium, Schiefer-Gas) und bietet Technologien. Man will auch mehr Lebensmittel importieren. In Afrika haben Ägypten, Süd-Afrika, Senegal, Kongo und Kenia eine große Bedeutung. In Asien werden Vietnam und Indonesien zunehmend wichtiger. Das ist auch das Ergebnis einer Prognos - Studie, 2023. Damit wird das Auslandsgeschäft kleinteiliger. Ein neues China ist nicht in Sicht.

Mitentscheidend wird sein, wie sich Indien verhält. Das Land könnte der russischen Wirtschaft zur Seite stehen, wenn der Westen Russland boykottiert. Die Zeiten einer globalisierten Welt mit minimalen Handelsschranken und freiem Kapitalfluss sind vorbei. Vgl. Interview mit Ray Dalio, Starinvestor und Multimilliardär/ USA, in: Der Spiegel Nr. 24/ 11.6.22, S. 62f. Die USA versuchen mit aller Macht, Indien von Russland zu lösen. Beim Besuch von Premierminister Modi im Juni 2023 in den USA werden eine Reihe von Militär- und Wirtschaftsabkommen geschlossen.

Deutschland versucht, einen Mittelweg zu gehen zwischen Wertepolitik und ökonomischem Pragmatismus. Den will man auf dem G7-Gipfel in Deutschland transparent machen. Die Wertepolitik kommt im Ausland nicht gut an (sie wird häufig mit Kolonialisierung gleichgesetzt). Besser wäre, sich auf faire ökonomische Interessessen zu beschränken (vgl. intensive Abhandlung darüber später). Auch das G7-Treffen in Japan/ Hiroshima im Mai 2023  geht Richtung Werteorientierung. Aber die G7 verlieren an Einfluss (sie sind auch nicht mehr die wichtigsten 7.

Eine Inflation - wie sie ab 2022 kommt und länger dauern wird -  wird zum Stresstest für Unternehmen. Nur wer starke Marken aufgebaut hat, kann höhere Preise durchsetzen. Der Rest endet in einer Margenfalle. Man braucht also auch als Unternehmen ein funktionierendes Geschäftsmodell, das eine Inflation überstehen kann. Corona, Ukraine-Krieg und Geldpolitik der EZB haben wohl eine vorerst bleibende Inflation geschaffen. Vorprodukte, Lieferketten und Produktion selbst werden teuerer (Energiepreise, Rohstoffe). Also kann nur, wer die Einzigartigkeit der Marke aufgeladen hat, am Markt bestehen. Natürlich wird es auch Unternehmen geben, die versuchen, ihre Marktmacht zu missbrauchen. Andere werden eher Verlierer sein. Wie die Preispolitik der Unternehmen in einer Inflation reagiert und agiert, ist ein faszinierendes Gebiet. Vor allem starke Unternehmen profitieren. Vgl. Fischer, Malte u. a.: Die Welle reiten, in: WiWo 16/ 14.4.22, S. 14ff.

Nicht alle Preissteigerungen liegen auch an den höheren Rohstoffkosten. Es gibt Hersteller, die die Inflation ausnutzen - um schlichtweg mehr zu verdienen. Dazu gehören etwa Coca-Cola, Unilever, Beiersdorf, Nestle. Vorneweg profitieren die Autobauer. Vgl. Kapalschinski, C./ Zwick, D.: Die leisen Nutznießer, in: Welt am Sonntag Nr. 21/ 22. Mai 2022, S. 17. Bei Nestle schrumpft kein Händler trotz Inflation seine Preismacht. Die Preisentwicklung in einem Jahr von Mitte 22 im Vergleich zu Mitte 21 ist nach Sortiment sehr unterschiedlich: Tierfutter +13,5%, Feinkost +7,8%, Heißgetränke +6,7%, Tiefkühlpizza +6,6%, Alkoholfreie Getränke +1,0%, Süßwaren +0,6%. Quelle GKL. Die Preise werden je nach Region unterschiedlich angehoben: Nordamerika +8,5%,; Lateinamerika +7,7%; Europa +4,1%; Asien, Ozeanien, Afrika +4,3%; China -0,5%. Quelle: Nestle.

Eine weitere Strategie der Firmen geht über die Menge. Am deutlichsten wird das in den USA. US-Supermärkte sind bekannt für ihre Riesenpackungen. Doch plötzlich bieten die Hersteller Mini-Portionen zum selben Preis an. Während die Produkte schrumpfen, legen die Profite zu. Man spricht von Schrumpf-Inflation. Der Trend springt auch auf Deutschland über. Vgl. Buchter, Heike: Womit keiner rechnet, in: Die Zeit Nr. 31/ 28. Juli 2022, S. 21.

Unternehmen, die lange von den niedrigen Zinsen profitiert und überlebt haben, sind nun von der Pleite bedroht. Das ist auf der ganzen Welt so. Vgl. Buchter, Heike: Die Angst der Zombies, in: die Zeit Nr. 31/ 28.7.22, S. 22.

Unternehmen müssen sich den veränderten Bedingungen anpassen. Gewinn wird wichtiger denn je. Anbieter müssen zum Teil ihren Kuchen verkleinern. Dazu müssen Marketinginstrumente verändert eingesetzt werden. Zunächst muss richtig kommuniziert werden. Handelsunternehmen lassen die Preise von Artikeln gleich, reduzieren aber gleichzeitig die Menge (Shrinkflation). Im Dienstleistungsbereich werden mehr Dienstleistungen externalisiert, sprich Kunden müssen Teile der Leistung selbst erledigen (Scannen der Waren beim Einkaufen, Selbst - Check - In beim Flug, Vereinbaren von Ärzteterminen über Website). Weiter reduzieren von Leistungen. Wenn Kunden die speziell wollen, müssen sie dafür bezahlen. Vgl. Fassnacht, Martin: Gewinn wird wichtiger denn je, in: FAZ 6.2.23, S. 16.

Krise der Marken: Verbraucher verschmähen immer öfter die großen Namen und greifen lieber zu den Eigenmarken der Einzelhändler. Das liegt nicht nur am Preisunterschied, der durch die Inflation stärker wird. Einmal liegt es am Siegeszug der Handelsmarken, die sich deutlich verbessert haben. Der Handel hat ein neues Selbstbewusstsein und stärkt systematisch seine Eigenmarken. Es gibt auch Marken, die sich selbst demontieren. Man kann sich nicht mehr allein auf den Namen verlassen. Auch die Mittelmarken sind in einem Abstieg. Hinzu kommt der Erfolg junger Marken. Eine Bedrohung kommt durch das Werbeverbot. Vgl. HB 1.8.23, S. 18f.

Die Finanzierungskosten sind seit der Zinswende stark gestiegen. Seither kürzen immer mehr Konzerne ihre Nettoinvestitionen und fürchten eine Kreditklemme. Die Finanzierungskosten durch Kredite haben sich 2023 in der Spitze gegenüber 2022 verdreifacht. Vgl. HB 70/ 11.4.23, S.1. Hinzu kommt, dass jedes zweite Unternehmen seine Aufwendungen fürs Personal deutlich erhöht hat. Vor allem kleinere Betriebe bekommen deshalb Probleme. Die Inflation wird die Gehaltsforderungen merklich erhöhen (vgl. den Abschnitt dazu später). Vgl. HB 70/ 11.4.23, S. 22f. (zum Gebiet Finanzierung von Unternehmen  habe ich über einige Jahre eine Lehrveranstaltung gehabt, Vgl. die Seite "uebung/ Finanzierung" und Werner Krämer: Aktuelle Herausforderungen für mittelständische Unternehmen - Trends in der Finanzierung in Zeiten von Finanz- und Eurokrise, in: Honal, Andrea  (Hrsg.): Aktuelle Marketing- und Management-Trends, Hamburg 2014, S. 217ff.

Exkurs. Chinas Autoindustrie auf dem Weg an die Spitze: China braucht nur 20 Jahre, um die Autoindustrie zur weltweiten Bedeutung aufzumotzen. Schon 2022 beherrscht die chinesische Autoindustrie den globalen Markt bei E-Autos: Der Anteil liegt bei 59%. Dann kommen Europa mit 26% und Nordamerika mit 11%. Das ist eine Vorschau auf die zukunft. 2022 hat China einen weltweiten Anteil bei der Herstellung in der Autoproduktion von 32,6%. Es folgen Japan (9,1), Indien (6,0), Deutschland (4,8), Südkorea (4,8), Mexiko (4,8). China hat auch den mit Abstand größten Automarkt der Welt mit 23,2 Mio. Neu-Zulassungen 2022 (vor USA 13,7 und Europa 11,3). Noch liegen die Autokonzerne aus China hinten bei Umsatz (SAIC 9. Stelle mit 121 Mrd. US-$) und Börsenwert (Polestar Platz 8, Geely Platz 12, Nio Platz 20, BYD Platz 91, alle Juli 2023 in US-$). BYD hat 2022 1,9 Mio. E-Autos produziert, ein Plus von 211% gegenüber 2021. Damit wurde auch Tesla überholt (1,3 Mio.). Die E-Mobilität ordnet die Welt neu bei Autos. Kann Deutschland dem noch was entgegensetzen. wie gefährdet ist unser Wohlstand? Vgl. Steinkircher, Peter/ Teryoshin, Nikita: Chinas lange Fahrt, in: Focus 36/ 2023, S. 90ff. Aus Sicht der deutschen Automobilindustrie ist VW ein Paradebeispiel. 40% des Umsatzes macht man heute in China. Ralf Brandstetter ist 2024 der Chef dort. Ohne den chinesischen Markt wäre VW am Ende. Man hat zunehmend Probleme mit dem Werk in Xinjiang (Audit positiv, aber Zwangsarbeit bei Teststrecke, Importverbote in die USA). Chinesische Unternehmen investieren auch in Verbrenner. Man will sich Exportmöglichkeiten in alle Länder offen halten, die nicht auf Strom setzen. Auf dem Lande in China wird es noch lange keine Ladeinfrastruktur geben. Außerdem hat China das gleiche Problem wie Deutschland. Für die Produktion von E - Fuels braucht es viel Strom, und der kommt noch oft aus Kohlekraftwerken, kein Gewinn für das Klima also.

9. Welche Trends gibt es bei Bevölkerungsentwicklung und Arbeitsmarkt?

Es zeichnet sich eine Trendwende in der Bevölkerungsentwicklung ab. Die Bevölkerung wird schrumpfen. In Deutschland, in Europa und bald auf der ganzen Welt. Sinkt mit ihr auch der Wohlstand? Droht uns eine jahrzehntelange Rezession, gar ein Jahrhundert des Rückschritts? Deutschland braucht qualifizierte Einwanderer, Investitionen in Innovation, automatisierte unproduktive Arbeit übernimmt der Roboter, der Mindestlohn als Booster für mehr Produktivität, mehr Flexibilität, das Ende der Unterschiede (Diversität). Arbeiterlosigkeit muss verhindert werden.  Weltweiter Handel, Export von Know-how, durch Bildung den Wohlstand in den letzten Winkel der Welt tragen.  Je schneller sich der Wohlstand auf der Welt ausbreitet, desto eher endet das Bevölkerungswachstum. Die Menschheit sollte aus der Armutsfalle befreit werden. Nicht durch Verzicht, sondern durch Fortschritt, durch Kooperation, durch Handel, durch Teilhabe. Vgl. Dettmers, Sebastian: Die große Arbeiterlosigkeit. Warum eine schrumpfende Bevölkerung unseren Wohlstand bedroht und was wir dagegen tun können, München (FBV) 2022.

Es wird sich aber auch die Beschäftigtenstruktur ändern. Dabei sollte man sich bewusst sein, dass allein schon der in der Industrie systematisch größere Produktivitätsfortschritt langfristig die Zahl der Industriebeschäftigten weiter verringern wird. Gleichzeitig werden Dienstleistungen außerhalb und innerhalb des industriellen Sektors immer wichtiger. An der Schnittstelle zwischen Verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungen sind viele gut bezahlte und relativ stabile Arbeitsplätze entstanden. Da der industrielle Sektor im Verbund mit seinen industrie­nahen Dienstleistungen eine Schlüsselstellung für die wirtschaftliche Entwicklung besitzt, ist ein industriepolitisches Konzept erforderlich, das seinen Fokus nicht allein auf das Verarbeitende Gewerbe legt. Vgl. Brandt, Arno/ Krämer, Hagen: Deindustrialisierung, Transformation und eine moderne Industriepolitik, in: Wirtschaftsdienst 12/ 2022, S. 918-921.

Die Arbeitswelten verändern sich aber auch zusehends. Digitalisierung und Nachhaltigkeit verändern Führungsstrukturen (vor allem weniger Hierarchie, also flacher) und Mediennutzung. Das ist unter dem Stichwort "New Work" bekannt.

Deutschland muss insgesamt die Angebotsstruktur auf dem Arbeitsmarkt im Auge behalten. Der Fachkräftemangel kann nicht allein durch Zuwanderung gelöst werden. Der Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden (auch die 4-Tage-Woche) müsste als Trend gebrochen werden. Die 4-Tage-Woche birgt eine Reihe ökonomischer Risiken (Umlagesystem der Renten, Arbeitsknappheit). Vgl. Fuest, C: Die ökonomischen Fallstricke der Viertagewoche, in: WiWo 23/ 2.6.23, S. 39. Der Schwerpunkt bei der Migration müsste auf Arbeitsmigration und Fachkräfte liegen. Flüchtlinge, die humanitär behandelt werden müssen, sollten, wenn sie da sind. schneller in den Arbeitsmarkt dürfen. Vgl. zu den allgemeinen Hintergründen "Arbeitsökonomik". Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2023 kann nur einen kleinen Teil des Problems lösen. Vgl. zur Einbeziehung von ökonomischen Rahmendaten in die Personalwirtschaft: Werner Krämer: Personalführung und Organisation im Wandel. Die Berücksichtigung von Entwicklungen im Umfeld der kleinen und mittleren Unternehmen im Management, Überarbeitung und Aktualisierung, in: Schauf, M. (Hrsg.): Unternehmensführung im Mittelstand, Rainer Hampp-Verlag, München und Mering 2009, 2. Auflage, S. 195-238.

Für 2023 wird erstmal wieder ein Anstieg der Arbeitslosen erwartet. Das könnte im Vergleich zum Vorjahr 2022 ein Plus von 190.000 sein. Ursachen des Anstiegs sind die hohe Inflation, steigende Zinsen sowie eine schwache Auslandsnachfrage. Die Faktoren schwächen die wirtschaftliche Entwicklung. Im Jahr 2024 wird die Anzahl der Arbeitslosen noch einmal um +60.000 steigen. Quelle: IAB, Nürnberg, September 2023.

Die fehlenden Arbeitskräfte sind der wesentliche Grund für die Wirtschaftskrise in Deutschland. Es wird wohl auch auf allen Ebenen der Gesellschaft zu wenig gearbeitet. Wir brauchen gute Leute, die all die Arbeit künftig machen können. Vgl. Malmendier, Ulrike, Interview in: Der Spiegel 9/ 24.2.24, S. 63.

"Die Abmilderung der negativen Effekte der Demografie erfordert eine Vielzahl von Maßnahmen. Die Erhöhung des Arbeitsvolumens kann durch eine Stärkung der Arbeitsanreize und -möglichkeiten gelingen (SVR, 2023, Ziffern 318 ff.). Die Arbeitsstunden insbesondere von Frauen könnten durch eine Reform des Ehegattensplittings und durch bessere Kinderbetreuungsangebote erhöht werden (SVR, 2021, Kasten 22). Geringere Transferentzugsraten sowie die Erhöhung der Arbeitsanreize und -möglichkeiten bei Langzeitarbeitslosen könnten mehr Menschen aus dem Transfersystem in den Arbeitsmarkt zurückbringen. Um die Arbeitsmarktpartizipation älterer Arbeitnehmer:innen zu erhöhen, könnte die Verbesserung der Zuverdienstmöglichkeiten im Rentenalter und die Anpassung der Rentensysteme an die veränderte Altersstruktur beitragen (SVR, 2023, Ziffern 391). Darüber hinaus müssen Bildungs- und Weiterbildungsprogramme verstärkt und angepasst werden, um Kompetenzen an neue Anforderungsprofile anzupassen (SVR, 2022, Ziffern 391 ff.) und Menschen zu unterstützen, die im Zuge verstärkter Automatisierung den Arbeitsplatz möglicherweise verstärkt branchenübergreifend wechseln müssen (SVR, 2023, Ziffern 136 ff.)." Siehe Grimm, Veronika/ Kroeger, T./ Ochsner, C.: Wege aus der Wachstumsschwäche, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2024, S. 180-186.

10. Wie können Unternehmen resilient werden?

Russlands Angriff auf die Ukraine, die Rohstoffknappheit, Sanktionen, Technologieembargos und die fragmentierten Lieferketten (oft politisch bedingt) stellen die deutschen Unternehmen vor große Probleme. Unternehmen müssen darauf reagieren. Sie müssen flexibler agieren. Dazu muss die richtige Haltung gelebt werden.  Investitionen müssen vorausschauender werden. Die Investitionen müssen zukunftsgerichtet ins Digitale und in Menschen gehen (Humankapital). Ebenso in offene Ökosysteme und Partnerschaften. Vgl. Nemat, Claudia: Kriege, Krisen, Klima: wie Unternehmen resilient werden, in: WiWo 23/ 3.6.22, S. 10. Sogar der Präsident des BDI Russwurm widmet in seiner Rede beim Jahrestreffen der Resilienz ein Abschnitt.

Man muss aber auch klar die Grenzen der Autarkie im Blick haben. Die Produktion kann sicher nicht ganz nach Deutschland zurückgeholt werden. Nur für die wichtigsten Teile kann man sich dies als Ziel setzen. Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Die rohstoffreichen Länder verknüpfen ihre Schätze zunehmend mit Produktionsforderungen im eigenen Land. China gilt hier als Vorreiter, etwa in der Automobilindustrie. Vgl. Hage, Simon/ Hesse, Martin: Alle Wege führen nach China, in: Der Spiegel Nr. 32/ 6.8.22, S. 58ff. Die günstigsten Produkte sind nicht immer die besten. Die Wertschöpfung in Deutschland und der EU kann zu höheren Preisen führen, aber genauso zu mehr Stabilität.

Unternehmen können leicht zwischen die Fronten geraten Die globale Machtkonkurrenz zwischen den USA auf der einen Seite, Russland/ China auf der anderen Seite ist der zentrale geopolitische Konflikt. Dazwischen liegen die "Sandwich-Staaten" in Europa und in der Pazifikregion. Unternehmen müssen ihre Investitionen und Desinvestitionen intelligent neu steuern und Beschaffungen diversifizieren.  Vgl. Hermes, Oliver: Memo an Management: Das bedeutet Zeitenwende, in: WiWo 34/ 19.8.22, S. 10. Der DIHT erwartet für Unternehmen ein schwieriges 2023. Energiepreiskrise und Inflation trübe die Weltkonjunktur.

Man muss die Strategie der Resilienz ("anderer Fortschritt") auf alle Institutionen eines Landes ausdehnen. Die Krise muss als Chance gesehen werden (auch energiepolitisch). Verlustangst und Verbitterung dürfen nicht Oberhand gewinnen. Die EU will aus der Corona-Krise lernen und die Versorgung mit lebensnotwendigen Produkten absichern ("Single Market Emergency Instrument"). Das geht ein bisschen in Richtung "Planwirtschaft". Auch: Schmidt, Christoph M.: Die Wirtschaft muss resilienter werden - und der Staat kann ihr dabei helfen, in: WiWo Nr. 40/ 30.9.22, S. 10. Vgl. auch: Jeremy Rifkin: Das Zeitalter der Resilienz. Leben neu denken auf einer wilden Erde, Frankfurt/ New York (Campus) 2022.

Aber auch Deutschlands Weltmarktführer im Unternehmenssektor müssen mit neuen Strategien auf die neue Situation reagieren: Rohstoffe, Vorleistungen, technisches Know-how müssen neu optimal kombiniert werden (Lieferketten). Deutschland ist ein Hochsteuerland und hat hohe Energiepreise und Fachkräftemangel. So ist absehbar, dass Produktion in Deutschland und Exporte abnehmen werden. Man wird sich an osteuropäischen, türkischen, Nord- und Südamerikanischen, aber auch asiatischen,  Unternehmen beteiligen müssen (Töchter). Langfristig werden in Deutschland eher Verwaltungszentralen und Forschung bleiben. Ein Umschwenken auf die Strategie des Friend-Shoring würde aber zu Wohlfahrtsverlusten in Deutschland führen (langfristig -1,7% beim BIP; Clemens Fuest, Leiter des Ifo-Instituts, Interview, WiWo Sonderheft 1, 2022, S. 12).

Natürlich müssen auch die Chefs der Unternehmen besser führen. Es gibt dabei die unterschiedlichsten Strategien: Totale Konzentration, Positiv denken, Kopf und Körper optimieren, resiliente Organisation bauen, Klarheit durch Daten, nicht nur Business im Kopf haben, Kewes. Tanja: Besser führen, besser fühlen, in: HB Nr. 20, 27.1.23, S. 50ff.

"Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Problem der beeinträchtigten Lieferketten recht umfassend ist, d. h. sehr viele Betriebe in der ganzen Breite der Wirtschaft, also in allen Branchen, betroffen sind. Daher dürfte es politischen Entscheidungstragenden schwer fallen, betroffene Betriebe mit allgemeinen Maßnahmen zu unterstützen. Zudem ist zu bedenken, dass Studien (z. B. Flach et al., 2021) auch auf die wohlfahrtsmindernden Effekte von Reshoring hinweisen. Auf der anderen Seite wird eine solche Rückverlagerung auf der Ebene von einzelnen Unternehmen – das zeigen unsere Ergebnisse – aber durchaus als zielführende Strategie im Umgang mit solchen Schwierigkeiten eingesetzt. Vor diesem Hintergrund könnte der Staat die Unternehmen bei der Diversifikation ihrer Lieferketten z. B. durch verbesserte Finanzierungsbedingungen unterstützen." Siehe Kagerl, Christian u. a. (IAB, Nürnberg): Gestörte Lieferketten - wie reagieren die Betriebe in Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 12/2022, S. 956-960.

Unternehmen müssen sich den veränderten Bedingungen anpassen. Gewinn wird wichtiger denn je. Anbieter müssen zum Teil ihren Kuchen verkleinern. Dazu müssen Marketinginstrumente verändert eingesetzt werden. Zunächst muss richtig kommuniziert werden. Handelsunternehmen lassen die Preise von Artikeln gleich, reduzieren aber gleichzeitig die Menge (Shrinkflation, schon erwähnt). Im Dienstleistungsbereich werden mehr Dienstleistungen externalisiert, sprich Kunden müssen Teile der Leistung selbst erledigen (Scannen der Waren beim Einkaufen, Selbst - Check - In beim Flug, Vereinbaren von Ärzteterminen über Website). Weiter reduzieren von Leistungen. Wenn Kunden die speziell wollen, müssen sie dafür bezahlen. Vgl. Fassnacht, Martin: Gewinn wird wichtiger denn je, in: FAZ 6.2.23, S. 16.

Natürlich muss grundsätzlich auch die Transformation auf ihren beiden Ebenen bewältigt werden: Digitalisierung (vgl. dazu die Seite "Mercator/ Digital") und Dekarbonisierung. Mit anderen Worten: Unternehmen müssen sich zukunftsfähig machen und strategisch handeln.

Damit muss aber auch die ganze Volkswirtschaft krisenfester werden. Deutschland zeigt sich durchaus resilienter als andere Wirtschaftsnationen. Bei der Gesamt - Resilienz (Index; 10 bester Wert, 0 schlechtester Wer; bestehend aus Wirtschaft, Umwelt/Ökologie, Inklusion) führt Norwegen, vor Finnland, Schweden, Schweiz Dänemark. Deutschland liegt mit 7,9 vor den USA, Bulgarien, China und Russland. Quelle: Roman Herzog Institut, Fund of Peace, HB 28.3.23, S. 9. "Ob und wie schnell ein Land Krisen überwindet, hängt davon ab, ob es über eine Stehaufmännchen-Qualität verfügt. Neben der institutionellen Flexibilität kommt es insbesondere auf das Mindset der Bevölkerung an. Sind die Menschen offen für neue Ideen und Technologien?  Geben sie Andersdenkenden eine Chance? Zollt die Gesellschaft Innovatoren , die Altes in frage stellen und Neues schaffen, Anerkennung? Die Antworten darauf entscheiden, ob eine Gesellschaft resilient ist und nach Krisen wieder in die Spur zurückfindet." Markus Brunnenmeier, Professor in Princeton, Deutscher, schreibt über Resilienz, Interview in WiWo 4/ 19.01.24, S. 34f.

Die DAX-Konzerne belasten ihre Bilanzen 2022 schwer. Das geschieht mit rekordhohen Geschäfts- und Firmenwerten. Das kann sich in einer Wirtschaftskrise rächen. Mit 352 Mrd. € aus überteuerten Zukäufen strapazieren die 40 Dax-Konzerne aktuell ihre Bilanzen sehr hoch. Das sind 10% mehr als ein Jahr zuvor. Bei der Summe geht es um Geschäfts- und Firmenwerte, den sogenannten Goodwill, aus Übernahmen, für die es keinen materiellen Gegenwert gibt. Vgl. HB Nr. 16/ 23.1.23, S. 1.

Exkurs. Resilienz - Strategie von Untermnehmen: Die Kunst der Anpassung. 1. Planen unter Vorbehalt. 2. Blickwinkel-Training. 3. robustes Risikomanagement. 4. Agile Taskforces. 5. Lernfähigkeit speichern. 6. Resilienz ist Flexibilität. 7. Geschäftsmodell anpassen. Vgl. Deters, J. u. a.: Es bleibt alles anders, in: WiWo 51/ 15.12.23, S. 14ff.

11. Wie kann die Attraktivität als Investitionsstandort erhöht werden?

"Zusätzlich belasten die hohen Energiepreise die Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit in Europa", Martin Brudermüller, BASF-Chef, 2023.

Im Jahre 2021 fällt Deutschland bei der Anzahl ausländischer Investitionen in den Top -5-Investitionsstandorten zurück (Zahl der Projekte, Veränderung zum Vorjahr in Prozent): Frankreich (1222, +24%); Türkei (264, +27%); Großbritannien (993, +2%); Deutschland (841, +10%); Spanien (361, +2%). Viele machen die neue Industriepolitik dafür verantwortlich. Vgl. Alvarez, Sonja/ Haerder, Max: Lässt sich die Zukunft herbeifördern? in: WiWo 23/ 3.6.22, S. 27ff.

Deutschland und die EU müssen sich von Eurozentrismus lösen und mehr Verständnis für China, Indien, Lateinamerika, Vorder-Asien und Afrika aufbringen. Für diese Länder ist der Ukraine-Krieg nicht der Schlüsselkonflikt. Der außenpolitische Spielraum wird aber kleiner. Der muss aber intensiver genutzt werden, um die Attraktivität zu erhöhen. Die bipoläre Ausrichtung auf die USA und China dürfte vorbei sein.

"In Zukunft wird es wichtiger, zwischen den deutschen Industrieunternehmen auf der einen Seite und dem Industriestandort Deutschland auf der anderen Seite zu unterscheiden. Dabei sind wir pessimistischer für den Industriestandort Deutschland als für große deutsche Industrieunternehmen, die ihre Aktivitäten besser internationalisieren und Produktionsstandorte nach ihren individuellen Kosten- und Kundenstrukturen wählen können. Für den deutschen Mittelstand, insbesondere in den energieintensiven Branchen, wird die Anpassung an eine neue Energiewelt und andere Strukturprobleme eine größere Herausforderung, an der manche Unternehmen scheitern werden." Siehe Heymann, Eric (Deutsche Bank Research, Frankfurt): Industriestandort Deutschland droht struktureller Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, in: Wirtschaftsdienst 12/ 2022, S. 941-944. Deutschland muss seine große Abhängigkeit von den drei großen Branchen Chemie, Maschinenbau und Automobil abbauen.. Man muss auf neue Sektoren setzen (Biotechnologie, Medizin, Halbleiter).

Sicher ist, dass die Produktion in Deutschland teurer werden wird. Deutschland hat drei Schlüsselindustrien. Die chemische Industrie braucht viel Energie, die erheblich teurer wird (vgl. den Abschnitt über Energie vorher). Die Automobilindustrie Deutschlands ist auf dem absteigenden Ast, weil sie den Anschluss bei der E-Mobilität verpasst hat und auf dem wichtigsten Markt der Welt in China ins Hintertreffen geraten ist. Beim Maschinenbau besteht noch eine wettbewerbsfähige Situation. Was passiert aber, wenn China die technologische Lücke schließt und die USA durch den IRA entscheidend aufholen? Hoffentlich droht nicht das Schicksal der deutschen Solarindustrie. Vgl. Weik, Matthias: Die Abrechnung, München (Ariston) 2023, S. 17ff.

Bundeskanzler Olaf Scholz wirbt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2023 für den Standort Deutschland. Er hält darauf eine Lobrede. Die anwesenden CEOs schließen sich dem nicht bedingungslos an. Sie fordern eine europäische Reformagenda. Eine Studie von Deloitte und dem BDI aus dem November 2023 sieht das Vertrauen in den Standort Deutschland erschüttert. Rund ein Drittel der befragten Unternehmen erwägt, Investitionen künftig in den USA oder in Asien zu tätigen. Eine Umfrage der Unternehmensberatung PwC Anfang 2024 unter 4700 Firmenlenkern kommt zu folgendem Ergebnis: Nur 15% der Befragtengaben an, dass der deutsche Markt für das Wachstum ihres Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten wichtig sei. Vor einem Jahr waren es noch 18%.

Exkurs. Verbesserung der Standortbedingungen:  2024 drückt Finanzminister Lindner aufs Tempo. Die Standortbedingungen müssen verbessert werden. Es soll ein Plan gegen die strukturelle Wachstumsschwäche kommen.  Verschiedene Ideen sind im Raum: Steuererleichterungen/ Habeck, Soli abschaffen/ Lindner. Es gibt drei Finanzierungsoptionen: 1. Sondervermögen. 2. Schuldenbremse-Reform. 3. Staatsfonds. Vgl. HB 6.2.24, S. 4f..

Es gibt immer auch positive Signale für den Standort Deutschland. 2024 setzt Microsoft darauf. Das US-Technologieunternehmen investiert mehr als drei Milliarden Euro in den Ausbau seiner Rechenzentren in NRW und im Raum Frankfurt/ Hessen. Ziel sind höhere Kapazitäten für künstliche Intelligenz.

Auf der anderen Seite häufen sich Entlassungsrunden in deutschen Konzernen. Hinzu kommt, dass an den Standorten in Polen oder Rumänien 2024 munter eingestellt wird. Man kann von einer Jobwanderung nach Osten sprechen. Diese findet in großem Umfang statt. Vgl. Thier, C. u. a.: Go East, in: WiWo 8/ 16.2.24, S. 44ff. Die Länder im Osten Europas haben auch wesentlich geringere Unternehmenssteuern.

Unternehmen fliehen vor den hohen Kosten in Deutschland. Die Industrie investiert laut einer Umfrage des DIHT 2024 vermehrt im Ausland. Es gibt drei Motive für Investitionen im Ausland: 1. Vertrieb/ Kundendienst; 2. Kostenersparnis; 3. Produktion zur Markterschließung. Vgl. FAZ 13.3.24, S. 15.

12. Wie kann Deindustrialisierung verhindert werden?

"Ich mache mir große Sorgen, dass wir, wenn wir jetzt nicht handeln, ganze Industriestränge verlieren - gerade in der Grundstoffindustrie ... Das würde eine noch viel höhere Abhängigkeit von Asien und China bedeuten", Gerald Haug, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Oktober 2022. Im Mai 2023 warnt der DIHK: Produktion wandert schleichend ins Ausland ab. Kritik an den hohen Energiekosten in Deutschland.

2022 verlagern Firmen ihre Produktion ins Ausland. Die Produktion in der energieintensiven Industrie ging bis Mitte des Jahres um -7% zurück. Die fünf energieintensivsten Branchen in Deutschland sind: Chemieindustrie, Metallerzeugung, Mineralölverarbeitung und Kokerei, Glas/ Keramik/ Steine und Erden, Herstellung von Papier und Pappe. Diese Branchen verbrauchen 76% der Energie, es sind 15% aller Betriebe und sie haben 15% aller Beschäftigten der Industrie. Der Gaspreis (für langfristige Lieferverträge pro Megawattstunde)  ist bei 180€. Damit zahlen deutsche Unternehmen fast zehnmal mehr für Gas als amerikanische. Vgl. Rudzio, Kolja/ Widmann, Marc: Wenn der Ofen ausgeht, in: Die Zeit Nr. 38/ 15.9.2022, S. 19. Es bedarf dringender Gegenmaßnahmen der Politik. Ende 2022 ist Energie in Deutschland immer noch 5 mal so teuer als in den USA. Deshalb werden Standortverlagerungen in die USA befürchtet. Es gibt sogar die These, dass der Krieg in der Ukraine von den USA provoziert wurde, um im globalen Konflikt mit China die eigene Wettbewerbsposition entscheidend zu verbessern (auch gegenüber der EU). Schon der Brexit wurde von den USA (auch China) unterstützt, um die EU zu schwächen. Natürlich lassen sich solche strategische Interessen nicht belegen, sondern nur vermuten. Auf einer BDI-Konferenz Ende November 2022 in Berlin wird eine umfrage zu möglichen Produktionsverlagerungen gemacht:  Ein Fünftel aller Unternehmen spielen mit dem Gedanken wegen der hohen Energiekosten in Deutschland. Der Fachkräftemangel ist ein weiteres gravierendes Problem.

Exkurs. Energiekostendämpfungsprogramm (EKDP): Maßnahme der Bundesregierung, um energie- und handelsintensive Unternehmen vor der Pleite zu bewahren. Das Programm ist am 15. Juli 2022 gestartet. Die EU gab grünes Licht. Das Programm umfasst insgesamt 5 Mrd. € Das Programm wird später noch für KMU geöffnet. Bis Anfang September 2022 wurden schon 3208 Anträge gestellt. Das Programm ist eigentlich auf die Industrie ausgerichtet. Es soll systematisch auf Handwerk und Dienstleistungen ausgeweitet werden. Viele unternehmen können die stark gestiegenen Energiekosten wegen des internationalen Wettbewerbs nicht an ihre Kunden weitergeben. Zusätzlich soll die Förderbank KfW noch besser ausgerüstet werden.

Exkurs. Industriestrompreis und Subventionen: 2023 will der Wirtschaftsminister energieintensive Unternehmen kurzfristig mit einem Industriestrompreis entlasten. Die Ausgestaltung ist noch unklar. Der Durchschnitt in der EU liegt (2. Halbjahr 2022) bei 21,04 Cent pro Kilowattstunde. Deutschland hat 19,86. Günstiger ist Osteuropa ohne Rumänien, Niederland, Polen, Schweden, Frankreich, Portugal. Teurer sind Italien, Litauen, Zypern, Griechenland, Spanien. Vgl. HB 25.4.23, S. 6f. Habeck will dafür Milliarden vom Finanzministerium. Lindner winkt ab, auch der Bundeskanzler. Vgl. HB 2.5.23, S. 6f. Habeck pocht auf Subventionen. Doch ist das klug? Welche Industrien sollen gefördert werden? Ökonomen stehen unterschiedlich dazu. Außerdem muss die EU zustimmen. Das geht wohl nur über einen Finanztransfer an ärmere Mitgliedsstaaten. Vgl. Der Spiegel 20/ 13.5.23, S. 60ff. Die große Gefahr bei Subventionen ist, dass die großen Unternehmen bevorzugt werden. Der Mittelstand könnte auf der Strecke bleiben. Subvention sind auch nie die effizienteste Lösung. Vgl. Rausch, Sebastian/ Yonezawa, Hidemich: Green Technology Policies versus Carbon Pricing. An Intergenerational Perspective, February 2023.

Exkurs: Schrumpfung der Industrie in Deutschland und Wege, das zu ändern: Das Ifo Instiut beobachtet schon 2023 einen Abbau von Industrie. Andere Länder in der Welt wachsen westlich stärker und Deutschland bleibt allenfalls bei Null-Wachstum- Am stärksten wachsen Indien (6,0%), China (5,4%), Australien (1,8%), Brasilien (1,7), USA (1,6), Südkorea (1,5), Kanada 1,4). Der Maschinenbau ist die international stärkste Branche in Deutschland. Als attraktiver Standort werden die USA (74%), Indien (49%), Niederland (43), Schweiz (43), Österreich (40), China (31), Deutschland (20) eingestuft. Fuest plädiert für weniger Subventionen und mehr Anreize: Stromangebot erhöhen, Stromnetze ausbauen, bessere digitale Infrastruktur, bessere Bildung. Er warnt vor Erhöhung der Verschuldung, weil sie nur die Inflation anheizen würde. Vgl. Interview von Kolja Rutzio mit Clemens Fuest/ Leiter Ifo-Institut, in: Die Zeit Nr. 30/ 13. Juli 2023, S. 20. Andere Quellen: OECD, VDMA, Destatis. Die Industrie schrumpft laut Index der Industrieproduktion. Dieser ist aber statistisch umstritten (Mercedes-Effekt, Vorleistungen). Die Wertschöpfung als Indikator wirkt nicht so negativ.

Exkurs. Klimaschutzverträge: Sie sind für die Unternehmen der energieintensiven Branchen Glas, Zement, Stahl, Gips, Papier. Der Bund gleicht Mehrkosten für die klimafreundliche Produktion aus.  Die Firmen können 15 Jahre kalkulieren. Für 24 stehen 23 Mrd. e zur Verfügung. Anträge können ab März 24 gestellt werden. Die Finanzierung geht über die KfW.

Deutschland hat im Vergleich zu den USA, GB und Frankreich noch den höchsten Industrieanteil (26,6%; USA 18,4%; Industrieanteil am BIP 2021). Die Industrie war immer der Motor des deutschen Wohlstands. Der rasante Anstieg der Gas- und Strompreise als Löwenanteil bei der Inflation macht so mache Produktion unrentabel. Vgl. Book, Simon u. a.: Die Panik der Bosse, in: Der Spiegel Nr. 38/ 17.9.22, S. 20ff. Die Krise verteuert Autos dauerhaft. Steigende Kosten für Strom und energieintensive Vorprodukte werden deshalb besonders die deutsche Autoindustrie belasten. Dei Produktion könnte zunehmend ins Ausland abwandern. Vgl. Der Spiegel Nr. 52/ 23.12.22, S. 56 (die Studien ist von der BCG). Ende des Jahres 2022 warnen die Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften vor der Gefahr eines schleichenden Schwunds der Industrie. Deutschland sei zu langsam, trotz Jahr der Industriepolitik. Zu den Warner gehören der BDI, der DIHK und DGB-Chefin Yasmin Fahimi. Vgl. auch: Daniel Stelter: Der wirkliche Popanz, in: HB Nr. 16/ 23.1.23, S. 14.

Eine Gruppe von Ökonomen sieht die Gefahren für die internationale Arbeitsteilung in digitalen Knotenpunkten. Intelligente Dienstleistungen müssen weltweit angeboten werden. Ihr Anteil liegt 2020 schon bei 63,6% am gesamten Handel. Vgl. dazu: Richard Baldwin: The Clobotics Upheaval, 2019. Es geht nicht mehr um die Verteilung von Produktionsstätten über die ganze Welt. Man muss also besonders auf die internationalen Datenströme achten. Weitere existenzielle Standortfaktoren, die eine wettbewerbsfähige Infrastruktur ausmachen sind: Bildungsmöglichkeiten, schnelle und effektive Bürokratie, tragbare Steuern und Abgaben, Fachkräfte bzw. (bzw. Nicht-Fachkräftemangel), Leistungsgesellschaft, funktionierendes Gesundheits- und Pflegewesen. Der Faktor Energie wurde schon ausführlich behandelt. Die Energiewende hat viele Ungereimtheiten (Atomausstieg vor Kohle, Deutschland mit seinen 2% CO2 als Weltenretter, mehr Ideologie als Praxis). Vgl. Weltenergiekrise oben.

Deindustrialisierung setzt ja voraus, dass die Unternehmen Standorte im Ausland für attraktiver halten als im Inland. Eine Umfrage 2023 fördert zutage, dass deutsche Industrieunternehmen 2023 lieber an folgenden Standorten investieren als am heimischen Standort: Nordamerika (56%), Osteuropa (46%), Südostasien (29%), Indien (21%), Mittel- und Südamerika (20%), China (20%), Übriges Asien (16%), Mittlerer Osten (14%), Afrika (11%), kein anderes Land (13%). Quelle: Deloitte 2023.

13. Zerfällt die deutsche Industrie in zwei Lager? (Umorientierung im Mittelstand?)

Trotz Pandemie, Energiekrise und Deglobalisierung erwirtschaften Deutschlands Konzerne Rekordgewinne. Manchem Mittelständler droht derweil das Aus. Insofern könnte die deutsche Industrie in zwei Lager zerfallen. Die höchsten Gewinne haben 2022 folgende Firmen eingefahren: Volkswagen, Mercedes-Benz, Hapag-Lloyd, Deutsche Telekom, BMW, Biontech, Deutsche Post, BASF, Bayer, Porsche. Vgl. Hesse, Martin: Groß und reich, klein und arm, in: Der Spiegel Nr. 3/ 14.1.2023, S. 68ff.

Der Mittelstand könnte ausbluten, während die großen deutschen Global Player ihren Aktionären die Taschen füllen. Der Mittelstand ist in Deutschland aber das Rückgrat der Wirtschaft. Vgl. dazu meinen ausführlichen Artikel "Die mittelständische Struktur der Wirtschaft als deutsches Erfolgsmodell". Die Kredithürden und Finanzierungskosten steigen rapide für den Mittelstand. Die Investitionen könnten um 60 Mrd. € verringert werden (KfW). Viele KMU haben auch Angst vor dem neuen Lieferkettengesetz, Sie können die gesetzlichen Anforderungen an Risikomanagement, Dokumentation und Berichtspflicht nur schwer erfüllen.

Zunehmend suchen die Mittelständler neue Investitionsziele im Ausland. Wachsende Bedeutung haben die Länder Vietnam, Indonesien, Mexiko. Mexiko bietet zwei große Vorteile: stabile Energiepreise, freier Zugang zu nordamerikanischen Markt. Es geht auch gar nicht darum, aus China raus zu gehen (Corona, schwaches Wirtschaftswachstum, rigide Politik), sondern um Risikostreuung. Vgl. Knieps, S./ Höfler, N.: Fern der Heimat, in: WiWo 5/ 27.1.23, S. 58ff.

Besonders gefährdet sind Unternehmen aus energieintensiven Branchen: Chemie, Metallverarbeitung, Glas, Keramik, Papier. Hinzu kommen der Fachkräftemangel und die Probleme in den Lieferketten. Die großen Firmen versuchen wegen der geopolitischen Risiken ihre Zulieferer in den großen Handelsgebieten (China, USA) zu diversifizieren, was für die mittelständischen Zulieferer eine große Herausforderung ist.

Sowohl große Unternehmen als auch der Mittelstand müssen eine Perspektive haben. Dafür müssen sich alle Netzwerke einsetzen. Dazu brauchen wir eine öffentliche Diskussion über die Akzeptanz von Veränderung. Der Staat kann Ziel gerichtet die vom Strukturwandel betroffenen Regionen unterstützen, es müssen aber auch private Investitionen mobilisiert werden. 

Die Finanzierungskosten sind seit der Zinswende stark gestiegen. Seither kürzen immer mehr Konzerne ihre Nettoinvestitionen und fürchten eine Kreditklemme. Die Finanzierungskosten durch Kredite haben sich 2023 in der Spitze gegenüber 2022 verdreifacht. Vgl. HB 70/ 11.4.23, S.1.

Die Frage dürfte auch sein, welche traditionelle Industrie in Deutschland auf lange Sicht noch überleben kann. Vgl. Axel Weber, Interview HB, 11.12.23, S. 5.

Für KMU könnte das Thema Deindustrialisierung überwertet sein. Experten sehen den Standort Deutschland nicht in Gefahr und sehen keine Probleme mit Abwanderung. Echte Produktionsverlagerungen im großen Stil gebe es im Mittelstand nicht. Vgl. Interview mit Friederike Welter, Präsidentin des Instituts für Mittelstand in Bonn, HB 02.01.24, S. 22f.

14. Wie kann das deutsche Steuerrecht gerecht gestaltet werden?

"Wir stehen in einem weltweiten Wettbewerb um die klügsten Köpfe, unsere Steuern und Abgaben sind zu hoch. Dieses Problem müssen wir angehen. Es wäre ein großer Fehler, die Schuldenbremse auszuhebeln", Stefan Kooths, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel, 2023

Alle sind sich eigentlich darin einig, dass es so nicht bleiben kann. Der Staat braucht in den nächsten Jahren viel Geld für Infrastruktur, Bildung, Militär, Energiewende und Klimaschutz. Irgendwer muss zahlen: die nächsten Generationen (Schulden), die Mitte der Gesellschaft - oder die, denen es leicht fällt (Reiche). Arbeit wird zu hoch besteuert im Gegensatz zu Kapital. Arbeit läuft nicht weg, Kapital schon. Man muss auch an Erben und  Immobiliengewinne ran. Vgl. Becker, B. u. a.: Jeder gibt das, was er kann? in Stern/ 9.6.22, S. 20ff. Sogar der SRW empfiehlt in seinem Gutachten vom Herbst 2022, dass die Steuereinnahmen gerechter verteilt werden sollten (mehr Geld von den Reichen).

Die Verteilung in Deutschland stimmt überhaupt nicht (vgl. ausführlicher dazu Verteilung auf der Seite "Special/ Arbeitsökonomik). Rund 800.000 Bürgern, dem reichsten einen Prozent, gehört ein Drittel des gesamten Wohlstands. Vgl. Wüllenweber, Walther: Der große Irrtum, in: Stern 9.6.22, S. 28f. In der Corona-Krise hat sich die Verteilungsungerechtigkeit verschärft.

Mit der Inflation steigen auch die Steuern und belasten die Menschen zusätzlich (kalte Progression). Die Koalition in Deutschland streitet darüber, ob sie etwas tun soll. Vgl. Die Zeit Nr. 32/ 4.8.22, S. 21. Vgl. auch Lobenstein, Caterina: Ausgequetscht, in: Die Zeit Nr. 45/ 3.11.22, S. 17. Problematisch ist, das in der EU Finanz- und Steuerpolitik stark von nationalen Kulturen und Traditionen bestimmt wird. Die neue rechte Regierung in Italien will ab 2023 Steuerhinterziehung wieder erleichtern.

Ende 2022 legt die OECD/ Paris Deutschland eine Steuerreform nahe. Die Einkommenssteuer solle reformiert werden, um das Arbeitsangebot von Frauen zu erhöhen. Berufstätige Frauen müssten steuerlich entlastet werden (als Anreiz). Der Chef des Umweltbundesamtes fordert im Februar 2023 auch ein neues Steuersystem. Insbesondere die Mehrwertsteuer solle bei Produkten nach ihrer Umweltwirkung gestaffelt werden. Die Steuerpolitik in Deutschland (als Teil der Finanzpolitik) bleibt in der Diskussion.

2024 rückt die Ertragssteuer, insbesondere die Körperschaftsteuer, in den Mittelpunkt. Zu den Ertragssteuern gehört noch der Solidaritätszuschlag. Die FDP möchte ihn abschaffen. Bei der körperschaftsteuer ist Deutschland ein Hochsteuerland. Mit einem nominalen Steuersatz von 29,9% liegt Deutschland vor Frankreich (25,8), USA (25,8) und Österreich (24,0). Man liegt über dem OECD- und EU-Durchschnitt. Vgl. WiWo 7/ 10.2.24, S. 10.

15. Inwieweit kann eine Rezession bereinigend sein und produktive bzw. positive Folgen haben?

Jede ökonomische Entwicklung hat positive und negative Folgen. Man sollte immer beide Aspekte im Auge haben. Das gilt auch für eine Rezession. Vgl. zur Rezession die kurze Erklärung in diesem System.  Schon seit der Wende 1991 liegt das deutsche Wirtschaftswachstum (Veränderung des BIP) unter 2%. Von 1951-60 betrug es 8%. Von 1961.70 lag es noch knapp über 4%. 1971-90 errechte es noch knapp über 2%. Quelle: Statista 2023.

In den nächsten Monaten könnte uns eine Rezession drohen (die haben wir im ersten Quartal 2023, -0,3%)), vielleicht sogar eine Stagflation (2. Quartal 22 Nullwachstum!). Es ist ein fester Bestandteil eines Konjunkturzyklus. Sie können wie ein reinigendes Gewitter wirken. Fehlentwicklungen werden offen gelegt und bereinigt. Die Zombifizierung der Wirtschaft durch Subventionen war stark vorangeschritten. Man spricht ökonomisch von einem "Cleaning Effect".  Die Idee geht auf Ludwig von Mises zurück (1881-1973). Auch Schumpeter sah die produktive  Kraft des Wandels. Die Rezession dürfte nicht auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Der Arbeitsmarkt ist mittlerweile entkoppelt. Vgl. Losse, B./ Fischer, M.: Die Frischzellenkur, in: WiWo 24/ 10.6.22, S. 38ff.

Die Rezession scheint sich auf das letzte Quartal 22 und das erste Quartal 23 zu beschränken (leichtes Schrumpfen bei zwei Aufeinanderfolgenden Quartalen: -0,2%). Für das ganze Jahr 2023 werden +0,2% erwartet (Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, Januar 2023). Andere Institutionen erwarten aber für das ganze Jahr 2023 eher eine Rezession (Deutsche Bank -0,3% übers ganze Jahr 23, inzwischen auch Ifo-Institut/ München: -0,4%).  Das ist keine besonders optimistische Nachricht. Zumal, wenn man bedenkt, dass der Kapitalstock kaum noch wächst (die Nettoanlageinvestitionen sind beständig gesunken bei zuletzt ca. 2% (Nettoinvestitionen=Bruttoinvestitionen -Abschreibungen auf den Kapitalstock). Nach dem Krieg gebaute Infrastruktur muss saniert werden.  Zum Kapitalstock eines Landes zählen Fabrikgebäude, Maschinen, Straßen, Brücken, Schulen, geistiges Eigentum, Software, Datenbanken. Der Kapitalstock bildet mit den Arbeitskräften die Grundlage dafür, wie sich eine Volkswirtschaft entwickeln kann. Um die Modernität des Kapitalstocks zu erfassen, werden Bruttokapitalstock (alle Güter mit ihrem Neuwert) zum Nettokapitalwert (Abschreibungen abgezogen) in  Beziehung gesetzt. Deutschlands Kapitalstock hat in den vergangenen Jahren erheblich an Qualität eingebüßt. Deutschland liegt hinter Kanada, Frankreich, Südkorea und anderen. Studie der Volkswirte des vfa, 2023.

Dann hält die Rezession in Deutschland doch länger an als erwartet. Firmenflucht, Insolvenzen und Konjunkturschwäche stabilisieren sich 2023. Die Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa nivellieren sich. Das könnte man für die Eurozone auch positiv sehen. Seit 2027 schon liegt das Wachstum in Deutschland unter dem europäischen Schnitt. Vielleicht hat man zu lange schon Fehler bei der Wirtschaftspolitik in Deutschland gemacht (z. B. Geld mit der Gießkanne ausgeschüttet). Vgl. Felbermayr, Gabriel, in: Der Spiegel 35/ 26.8.23, S. 60.

16. Wie wirkt die realwirtschaftliche Inflationsbremse "Arbeitsproduktivität" und was ist mit einer Lohn-Preis-Spirale?

 "Die realwirtschaftliche Inflationsbremse, Kostenschübe durch steigende Produktivität abzufedern, funktioniert nicht mehr", Alexander Horn, So schnell werden wir die Inflation nicht wieder los, in: WiWo 14/ 31.3.23, S. 37.

Deutschland leidet 2022 unter einer eklatanten Produktivitätsschwäche (vgl. zur Arbeitsproduktivität die Seite "Uebung/ Arbeitsproduktivität". Das hat auch Folgen für die Preisstabilität. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren glänzte die deutsche Wirtschaft mit Arbeitsproduktivitätssteigerungen von bis zu zehn Prozent. In den Jahren nach 2010 lag die jährliche Produktivitätsverbesserung bei nur noch 0,9% pro Jahr. Vor und in der Pandemie kam es zu einem Stillstand. Auch bei anderen Indikatoren für Arbeitsproduktivität (Veränderung des realen BIP je Erwerbstätigenstunde) ist die Produktivität im Niedergang (sogar schon seit 1995, Quelle: IW). Die Wachstumsrate des Produktionspotentials sowie die totale Faktorproduktivität (Kapital, Arbeit) machen auch keinen guten Eindruck. Quelle: Institut für Weltwirtschaft/ IfW, Kiel, 2023.

Wenn Steigerungen nicht mehr da sind, müssen Unternehmen versuchen, die steigenden Kosten durch höhere Preise an ihre Kunden weiter zu geben. Nur so können sie die Profitablilität erhalten. Vgl. Horn, Alexander: Die realwirtschaftliche Inflationsbremse funktioniert nicht mehr, in: WiWo 47/ 18.11.22, S. 47.

Im Winter 2022/ 2023 und im Frühjahr 23 kommt eine Streikwelle. Die Lohnforderung der Beschäftigten liegt teilweise bei 15% (Post) oder mindestens bei 10% (Flughafenpersonal, Bahn). Der Arbeitnehmer hat mehr Verhandlungsmacht. Die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt haben sich verschoben und verschieben sich weiter zugunsten der Arbeitnehmer. Die Bevölkerung altert und verknappt das Arbeitsangebot noch weiter. Auf der anderen Seite muss man mehr Produktion nach Deutschland holen, um die Lieferketten abzusichern (Beispiel Computerchips, Batterien). Dafür braucht man Arbeitskräfte, die relativ gut qualifiziert sind. Damit wird auch die Zahl der Billigjobs zurückgehen, zumal der Mindestlohn nach oben wandert. Haushalte werden auf jeden Fall mehr für Kinderbetreuung, Müllbeseitigung und für Restaurants ausgeben müssen. So ist in der Schweiz der Niedriglohnsektor nur halb so groß wie in Deutschland. Vgl. Schieritz, Mark: Pizza für 20 Euro? in: Die Zeit Nr. 9/ 23.2.23, S. 1. Die Tarifpolitik müsste die Geldpolitik eigentlich im Kampf gegen die Entwertung unterstützen. Auf der anderen Seite ist auch verständlich, dass die Beschäftigten auf den ersten Blick ein geringes Vertrauen in eine rasche Rückkehr zu stabilem Geld haben. Vgl. Braunberger, Gerald: Hartnäckige Inflation, in: FAZ 1.3.23, S. 1. Deutschland hat 2022 schon mit die höchsten Arbeitskosten in Europa. Die Kosten einer Arbeitstunde (im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungen) betrugen 39,5 €. Nur Frankreich und die Niederlande lagen darüber (EU-Durchschnitt bei 30,5€). Quelle: Destatis (StBA), Wiesbaden.

17. Wie wirkt der Klimawandel und wie können Klimainnovationen für Auftrieb sorgen?

 "Wer die drastische Einschränkung von Produktion und Konsum als Antwort auf die Ökokrise fordert, gerät zwangsläufig auf eine autoritäre Rutschbahn. An ihrem Ende lauert der ökologische Tugendstaat". Siehe Ralf Fücks: Mit grünem Wachstum aus der Klimakrise! in: WiWo 3/ 13.1.23, S. 42f.

Die Extremwetterlage aufgrund von Klimawandel wirken in zwei Richtungen. Unmittelbar zerstören Unwetter die Ernte, was den Preis für Hartweizen (Nudeln), Kaffee oder andere Güter in die Höhe treibt. Fluten und Stürme zerstören Transportwege von Lastern und Zügen, so dass die Frachtkosten steigen. Gleichzeitig zerstören Naturkatastrophen Häuser, Straßen oder Bahnstrecken (Vermögen). Eines der größten Probleme ist die zunehmende Trockenheit. Ernten fallen schlechter aus, die Kosten für Wässerung steigen.

Hinzu kommen Energiewende und Nachhaltigkeit. Man spricht von "Grüner Inflation" neudeutsch bzw. denglisch "Greenflation". Der strukturelle Wandel zu einer nachhaltigen CO2-freien Wirtschaft wird viel Geld kosten.  Die Grüne Inflation wird die Kosten für Energie und Rohstoffe anheizen. Besonders betroffen sein werden die Preise für Metalle wie Zinn, Aluminium, Kupfer, Nickel, Kobalt, die für die Energiewende unverzichtbar sind. Eine Studie des Network for the Greening of the Financial System (NGFS), eines Arbeitskreises von Wissenschaft und Notenbankern, prognostizierte, dass die anvisierte Klimaneutralität die Inflationsrate in den 2020er-Jahren um mehr als einen Prozentpunkt nach oben erhöhen wird. Vgl. Jürgen Gaulke: Inflation. 33 Fragen, Antworten, München (Piper) 2022, S. 62-67.

Sozial-ökologische Marktwirtschaft:  Eine gute Klimapolitik sollte die Märkte unterstützen. Die konsequente Bepreisung von CO2-Emissionen ist dabei wesentlich. Schmutziges Verhalten muss teurer werden, und das entlang der ganzen Wertschöpfungskette. Gutes Gewissen und günstige Preise müssen zusammen fallen. Man muss klare Kriterien haben, um klimapolitische Einzelmaßnahmen zu bewerten. Die Gemeinde sollte Vorreiter der Klimapolitik sein (Solaranlagen auf den Gebäuden, Umstellung der Fahrzeugflotte, Radwegenetz, Infrastruktur). Markt und Staat werden gebraucht. Bund und die EU müssen schneller werden (Solar- und Windenergie, Kohleausstieg, Kooperationen). Innovationen müssen diesen schnellen Wandel schaffen. Vgl. Wambach, Achim: Klima muss sich lohnen. Ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen,  Freiburg, Basel, Wien 2022

"Nur wenn es gelingt, dass die Industrie so schnell wie möglich die Produktionsprozesse dekarbonisiert und in Energieeffizienztechnologien und Energiesparprogramme sowie in den forcierten Ausbau erneuerbarer Energien investiert, kann eine dauerhaft nachhaltige und resiliente Wirtschaft entstehen und bestehen. Mit der Energiewende weg von fossiler Energie hin zu Energieeffizienz und erneuerbarer heimischer Energie kann die deutsche Industrie dauerhaft gestärkt aus der Krise hervorgehen." Siehe Gornig, Martin/ Kempfert, Claudia: Energiewende steht für die Chance auf Re - Industrialisierung, nicht für De - Industrialisierung, in: Wirtschaftsdienst 12/2022, S. 933-935.

Es gibt sicher kein Zurück hinter die industrielle Moderne. Für ein Schrumpf - Europa würden sich China und die USA und andere nicht mehr interessieren. Natur und Technik müssen in einer neuen Synthese auf eine höhere  Stufe gestellt werden. Klima- und Umwelttechnologien bieten große Zukunftschancen für die deutsche Wirtschaft. Also werden andere Technologien in den Fokus rücken, die nur über Innovationen möglich sind.  Das können sein Energieeffizienz, Kreislauf- und Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung, Wasserwirtschaft, Energieerzeugung. 

2023 kommt eine Studie der BCG zu dem Ergebnis, dass die teure Energie Europas Industrie lähmt. Um in dem Wettbewerb mit den USA nicht abgehängt zu werden, müsste Europa stärker auf klimaneutrale Technologien setzen. Nur noch die "Flucht nach vorne" könne helfen.

Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck versprechen 2023, dass der Klimaschutz ein neues Wirtschaftswunder bringe. Viele Ökonomen und Unternehmer sehen das anders. Sie vermuten, dass es kein Wachstum gibt, weil Kraftwerke, Heizungen  und Autos nur ersetzt werden. Ein Teil der dreckigen Produktion, wie Stahl, könnte nach Afrika oder in andere Länder abwandern. Als Gewinner werden vielleicht noch Maschinenbau und Fahrzeugbau eingeschätzt. Verlierer sind Ölraffinerien, Schifffahrt, Straßenverkehr (Güterbeförderung), Konsumgüterindustrie und energieintensive Industrien (Glas, Stahl). Vgl. Hägler, Max/ Rudzio, Kolja/ Widmann, Marc: Schön wär`s, in: Die Zeit 20/ 11.5.23, S. 19. Vgl. ausführlich zum ganzen Umwelt- und Energiebereich "Umweltökonomik".

Es kann nichts schaden, bedächtiger und ehrlicher an die Problematik heranzugehen.  "Immer mehr Menschen haben zudem nur noch oberflächliche Vorstellungen davon, wie wir die Nahrungsmittel, Rohstoffe und Güter herstellen, auf denen unsere Gesellschaft materiell beruht. Dies führt zu Fehleinschätzungen, etwa der, wir könnten unsere Zivilisation in kurzer Zeit von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umstellen. Denn es geht nicht nur um eine nachhaltige Stromproduktion, sondern etwa auch um alternative Verfahren der Herstellung von Zement, Stahl, Plastik und Dünger. Technische Innovationen allein reichen nicht, sie müssen auch kommerziell weltweit implementiert werden - in hunderttausend Fabriken und Produktionsstätten." aus dem Umschlagtext. Siehe Vaclav Smil: Wie die Welt wirklich funktioniert. Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit, München (C. H. Beck) 2023. Original in den USA unter dem Titel "How the World Really Works", 2022.  Smil ist Professor Emeritus für Umweltwissenschaften an der University of Manitoba/ Kanada. Der tschechisch-kanadische Wissenschaftler ist einer der führenden Energie- und Umweltexperten. Beim Verstehen der Zukunft plädiert er auch für Vorsicht. Er legt sich weder auf Apokalypse noch Singularität fest (Ebenda, S. 283ff.). Den Sauerstoff sieht er nicht in Gefahr. Wasser und Nahrung könnten noch reichen. Die globale Erwärmung ist die eigentliche Existenzbedrohung (S. 233ff).

Man sollte mehr System in das Klimachaos bringen: 1. Klimaschutz globaler denken (Deutschlands Anteil am CO2-Ausstoß liegt bei ca. 2%). 2. Mehr Ehrlichkeit über die Wohlstandsfolgen (Folgen für den persönlichen Lebensstil sind nicht vermeidbar, das neue Wirtschaftswunder dürfte wahrscheinlich ausbleiben). 3. Keine technologischen Denkverbote (China arbeitet z. B. intensiv an effizienten Verbrenner - Motoren). 4. Bessere Kommunikation (Katastrophe beim Gebäudeenergiegesetz). Vgl. HB 23.-25.6.23, S. 4f.

"Deutschland steht vor einem Strukturwandel, weg von einer energieintensiven Produktion, hin zu Hochtechnologieprodukten, die international mit hohen Gewinnspannen verkauft werden können. Die Politik muss diesen Prozess begleiten,... Monika Schnitzer, LMU München, 2023.

18. Kann ein neuer Kosmopolitismus erfolgreich sein?

Sehr skeptisch ist dagegen General Helmuth von Moltke, Generalfeldmarschall der preußischen Armee, 1858: "Der ewige Friede ist ein Traum., der Krieg hingegen ein Teil von Gottes Weltordnung. ...Ohne Krieg werden die Völker dem Materialismus verfallen".

Der römische Staatsmann, Redner und Schriftsteller Cicero (106 -43 v. Chr.) hat die Prinzipien einer solchen Ordnung bereits umrissen und die rechtlichen Konsequenzen, die die gleichzeitige Anerkennung des Menschseins aller durch alle mit sich bringen muss, skizziert. Kosmopolitismus ist ein ethisch verbindliches Weltbürgertum, das die Menschen überall miteinander verbindet.   Cicero spricht von einem gemeinsamen menschlichen Band. Weil wir als Menschen Natur, Vernunft und Geist teilen, sind wir, bei aller Verschiedenheit, dennoch gleich. Letztendlich ist die Wahrnehmung der Zeit, die wir gemeinsam diese Welt bevölkern, und das Wissen um unsere Sterblichkeit die Triebfeder für konstruktives Handeln. Buddhismus und Konfuzianismus mit ihrem Harmoniegedanken wären durchaus damit zu vereinbaren. Die zweite Stufe (nach dem gemeinsamen Band) ist für Cicero die Verantwortung füreinander. Dazu gehört auch Empathie. Konfuzius hat auch gesagt: "Erlaube einem Führer nicht, dich auf einem falschen Weg zu führen". Hoffentlich haben die KPCh und Xi diese Mahnung verstanden. Vgl. Görlach Alexander: Alarmstufe Rot. Wie Chinas aggressive Außenpolitik im Pazifik in einen globalen Krieg führt, Hamburg 2022. Piketty spricht am Ende seines neuesten Buches von universalistischem Souveränismus und bringt eine ähnliche Hoffnung wie Cicero. Vgl. Piketty, Thomas: Eine kurze Geschichte der Gleichheit, München 2022, S. 262ff.

19. Welche Leitlinien sorgen für ein neues deutsches Geschäftsmodell?

"Wir benötigen eine neue Philosophie der Globalisierung....Wir sollten nicht alles machen, was möglich ist und nicht verboten. Sondern uns stärker daran orientieren, was richtig ist. ... Eine breitere Zusammenarbeit , die mehr Staaten und Regionen gleichberechtigt einbindet, ist in dieser neuen Globalisierung wichtiger denn je. Aber auch anspruchsvoller denn je, weil das 21 Jahrhundert von der Multipolarität vieler selbstbewusster Nationen geprägt sein wird. Das bedeutet für unser Land:  Je stärker wir uns vernetzen, desto erfolgreicher werden wir sein....Die deutsche Wirtschaft ist erstens enorm flexibel. Und sie zieht zweitens die richtigen  Lehren. Zunehmend gilt die Strategie China plus 1: Das heißt: Die Unternehmen arbeiten weiter  mit China zusammen, suchen aber zugleich Alternativen für robustere Lieferketten". Siehe Bundespräsident Walter Steinmeier, in: Interview Wiwo 4/ 20.1.23. "Abschottung schafft keinen Wohlstand", S. 26ff.

Deglobalisierung muss Deutschland Schaden zufügen. Wir brauchen eine neue strategische Außenwirtschaftpolitik. Diese muss sich an klaren Leitlinien orientieren. Einige davon könnten sein: 1. Ordnung schafft Sicherheit. Wir brauchen eine Regel basierte internationale Ordnung, einschließlich einer Reform der WTO. Alle globalen Spitzenorganisationen sind auf die USA fixiert. 2. Partner schaffen Sicherheit. Wir brauchen neue Handelsabkommen mit Ländern, die bisher vernachlässigt wurden: Neuseelland, Australien, Mexiko, Indien, Chile, Indonesien, Brasilien, Argentinien, Senegal, Südafrika, um nur einige zu nennen.3. Klarheit schafft Sicherheit.  Dazu gehört auch eine klare China-Strategie. Wandel durch Handel geht nicht mehr oder nicht überall. Vgl. auch Spahn, Jens: Drei Leitlinien für einen besseren Freihandel, in: Wiwo 25/ 17.6.22, S. 12.. Biden will Taiwan bei Angriff verteidigen.

Ob eine Werte geleitete Außenwirtschaftspolitik (bzw. wertebasiert, Außenministerin Baerbock) umzusetzen ist, wird von Experten der Wirtschaft sehr kritisch gesehen. Vgl. wertegeleitete Außenwirtschaftspolitik. Vgl. auch besonders kritisch dazu: Michael Lüders: Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen, München (Goldmann) 2023. Eine auf Werten basierte Außenwirtschaftspolitik geht davon aus, dass wir die Guten sind. Im Namen von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten werden verheerende wirtschaftliche Folgen in Kauf genommen. Die schwere Rezession führt zu gesellschaftlichen Verwerfungen, weil gerade die Ärmsten des Landes vor existenzielle Herausforderungen gestellt werden. Lüders plädiert für Augenmaß, Sachlichkeit und vor allem für eine Rückbesinnung auf nationale Interessen.

Die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen, die vorher Professorin für Ökonomie war, spricht von einer neuen Strategie des "Friendshoring" (siehe oben):  Konzentration der Lieferketten und des Handels auf befreundete Staaten. Diese Strategie dürfte nicht zu operationalisieren sein und dient mehr dem Vorteil der USA. Klar ist, dass dadurch die Kosten noch mal steigen. Das gilt auch allein schon für die Strategie, die Lieferketten näher an die Heimat zurückzuholen.

Alternative für große Unternehmen ist die Produktion auf lokalen Märkten im Ausland mit einem geschlossenen Kreislauf verbunden. Das ist schon jetzt so für viele deutsche Unternehmen in China. Damit macht man sich unabhängig von möglichen Sanktionen, etwa der USA.

20. Inwieweit kann die ökonomische Theorie helfen?

"Nach einem Globalisierungsschub im Zuge des Falls des Eisernen Vorhangs und von Chinas Beitritt zur WTO wurde die internationale Arbeitsteilung in den vergangenen Jahren stärker von protektionistischen Tendenzen geprägt. Die Unterbrechungen der grenzüberschreitenden Lieferkettenbeziehungen während der Coronapandemie und des Ukrainekriegs stärken zudem den Wunsch nach einer Reduzierung der Export- und insbesondere der Importabhängigkeit. Es ist zu diskutieren, wie man theoretisch zum optimalen Offenheitsgrad einer Volkswirtschaft gelangt und damit auch ein ideales Ausmaß der ökonomischen Autarkie bestimmt." Vgl. Petersen, Thieß/ Wortmann, Marcus: Autarkie und Offenheit - Überlegungen zur optimalen Balance einer offenen Volkswirtschaft, in: Wirtschaftsdienst, H. 9/ 2022, S. 709-715. "Dafür gibt es zahlreiche wirtschaftspolitische Stellhebel, die Autarkie und Resilienz erhöhen können, ohne dabei Außenhandelspotenziale per se zu beschränken. Besonders aus Sicht ressourcenarmer Länder wie Deutschland kann etwa die Importabhängigkeit bei Rohstoffen und Energieträgern erheblich reduziert werden, wenn es gelingt, eine stärkere Kreislaufführung zu etablieren, die erneuerbaren Energien auszubauen sowie Effizienz- und Suffizienzpotenziale zu heben." Ebenda.

Es gibt noch keine Theorie geopolitischer Risiken, die alles geopolitische Know-how beinhalten könnte. Sie müsste alle Risken in ihrer Verschachtelung analysieren und praktische Empfehlungen geben (Energiekosten, Lohnkosten, Fachkräftemangel, Inlandsnachfrage, Rohstoffkosten, politische Entwicklung u. a.). Die Welt wird immer undurchsichtiger und entsprechendes Know-how für Unternehmen immer wichtiger. Die Geopolitische Einschätzung müsste durch die Informationsflut navigieren. Hierin könnte eine zentrale Aufgabe der Volkswirtschaftslehre für die nächsten Jahre liegen.

Die Ökonomische Wissenschaft müsste ihre theoretischen Wurzeln grundsätzlich überdenken und neu aufbauen. Die Idee menschlicher Lebensform ist durch Kommunikation geprägt. Wirtschaft und Staat können unter bestimmten Umständen die Gesellschaft und die Menschen deformieren. Nur die Vernunft kann uns retten. Unser heutiges säkulares Denken hat seine Ursprünge in Religionen und Philosophien. Die ökonomische Theorie sollte sich mit anderen Worten zumindest wieder mit den größten Denkern auseinandersetzen (z. B. Marx, Habermas: von ihm stammen die obigen Grundideen). Denn diese Sätze gelten universell, also auch für China, die USA und Europa.

Exkurs. Ökonomen in der Beratung: Die Lage der deutschen Wirtschaft sei 2024 ernst. Erst Corona, dann der Ukrainekrieg mit einem Anstieg der Inflation. Die Wirtschaftskraft Deutschlands müsse langfristig gestärkt werden. Das deutsche Wirtschaftsmodell steckt in einer Sinnkrise. Um da raus zukommen seien drei Dinge nötig: mehr Anstrengungen für das Bildungssystem, besonders im Bereich der frühkindlichen Bildung, mehr Förderung für Forschung und Innovationen sowie ein funktionierender Rechtsstaat, eine unabhängige Wissenschaft und Presse. Wir wissen Demokratie ist gut für das Wachstum. Siehe und Vgl. Simon Jäger (Ökonom, MIT und IZA, Bonn, neue Berater von Wirtschaftsminister Habeck 2024, in Streitgespräch mit Lars Feld, Die Zeit 10/ 29.2.24, S. 9 und Die Rheinpfalz 29.2.24, S.1). Lars Feld, der Berater von Bundesfinanzminister Lindner ist (Professor für Wirtschaftspolitik an der Uni Freiburg), will nicht auf bestimmte Technologien setzen. Er warnt auch vor zu vielen und hohen Subventionen. Die Schuldenbremse hält er auch für reformbedürftig. A. a. O., S. 9

21. Welche Faktoren entscheiden über den Wohlstand in der Zukunft und wie berechenbar sind sie?

"One Love, one Heart. Let`s get together and feel alright" (People get ready), Lied von Bob Marley and the Wailers, 1977. Es ist zum Symbol für Brüderlichkeit, Frieden und Liebe geworden. Bei der WM in Katar auch auf der Armbinde der Spieler als Symbol für Diversität und LGBTQ+. 2024 kommt ein Film über Bob Marley in die Kinos. Marley hatte in den Siebzigerjahren die Reggae-Musik aus Jamaika weltberühmt gemacht. Er starb 1981 an schwarzem Hautkrebs.

Wir leben in einer Zeitenwende. Die wichtigsten Treiber des Wachstums der letzten 250 Jahre gehen zur Neige. Die fossilen Energien liegen in den letzten Zügen. Arbeiterlosigkeit droht aufgrund der schrumpfenden Bevölkerung, zumindest in den Industrieländern. Stagnierende Pro-Kopf-Produktivität kommt dazu. Wann endet der "American Dream" endgültig? Können die gewaltigen Investitionspakete von Biden den Niedergang stoppen? Die USA befinden auch kulturell in einer Spaltungssituation, die die Demokratie bedroht. China könnte auf dem Weg zum totalitären Regime von der Überholspur runterfallen. Auf der einen Seite ist China eine perfekte digitale Diktatur, auf der anderen Seite gibt es Schwachstellen (starke Unternehmenskontrolle mit 30% Staatseigentum, Rückgang ausländischer Investoren, Entscheidungsfindung in der KPCh, wachsende Ungleichheit). Vgl. Piketty, Thomas: Eine kurze Geschichte der Gleichheit, München 2022, S. 249ff. Die EU könnte an unterschiedlichen Interessen (Nord-Süd, Ost-West) zerbrechen. Die Kernländer Frankreich und Italien stehen vor der Machtübernahme von EU-Gegnern und Deutschland-Feinden. Die großen Schwellenländer wie Indien, Brasilien, Indonesien, Süd-Afrika und Mexiko könnten an ihren inneren Gegensätzen zerfallen (Religion, Kriminalität, Rassen). Afrika muss seine Armutsfalle überwinden, um der jungen Bevölkerung eine Chance zu bieten. Ansonsten bedroht sie durch die unqualifizierten, männlichen  Flüchtlingsströme  die Stabilität Europas. Kanada als zweitgrößtes Land der Erde, das dazu noch sehr rohstoffreich ist, muss mehr berücksichtigt werden. Die Kröte "Fracking" muss dabei geschluckt werden. Auf die industrielle Revolution könnte ein Jahrhundert des Rückschritts folgen. Es kann aber auch alles ganz anders kommen. Vgl. Dettmers, Sebastian: Die große Arbeiterlosigkeit. Warum eine schrumpfende Bevölkerung unseren Wohlstand bedroht und was wir dagegen tun können, München (FBV) 2022.  Zachert, Matthias: Die Neuverteilung der Welt, in: HB Nr. 165/ 26.,27.,28. August 2022, S. 64. Konkret deuten im Herbst 2022 alle Zeichen auf Rezession für 2022, aber auch für 2023.. Hinzu kommt als weiterer Faktor die Schuldensituation in der EU. Die Anleihekäufe der EZB verändern den Charakter von Staatsschulden. Auch das könnte zulasten der Bürger und auf Kosten des Wohlstands gehen. Die Südländer geraten wieder in Schwierigkeiten, die Ostländer pendeln zwischen Russland und der EU. Vgl. Krämer, Jörg: Die große Transformation der Staatsschulden, in: WiWo 37/ 9.9.22, S. 39. Freiheit, Wohlstand und Globalisierung stehen auf der Kippe. Vgl. Reckwitz, Andreas: Eine Zukunft ohne Fortschritt, in: Der Spiegel 38/ 27.9.22, S. 78ff. Viele Krisen verstärken sich gegenseitig. Wohlstand sollte schleunigst anders definiert werden als nur über das BIP (Resilienz, Nachhaltigkeit, Glück).

Die Verteilungspolitik und damit die Sozialpolitik müssen darauf reagieren. Eine  Sozialpolitik aus einem Guss ist erforderlich: Bei der Sozialpolitik in Deutschland wurde in den letzten Jahren immer an einzelnen Aspekten reformiert. Es fehlte der Gesamtzusammenhang. Oft wurde Klientelpolitik betrieben. Einig ist man sich in dem Ziel ein "gutes Leben". Auch die soziale Marktwirtschaft soll als Grundordnung erhalten bleiben. Böhmer macht folgende Vorschläge für einen Maßnahmenkatalog: 1. Mehr Mut zur Pauschalierung. 2. Keine Einkommens- und Vermögensprüfung für alle, aber gezielte Kontrollen mit scharfen Sanktionen. 3. Personal- und Sachausstattung der öffentlichen Schulen so steigern, dass das öffentliche Bildungswesen wieder attraktiv wird und für alle hervorragende Bildungsmöglichkeiten bietet. 4.Bildungsinhalte und Leistungsanforderungen bundesweit weiter angleichen und vereinheitlichen. 5. Personelle Verstärkung von Polizei und Justiz. 6. Priorität für Infrastrukturinvestitionen. 7. Mehr Pragmatismus bei Infrastrukturvorhaben wagen. 8. Nur noch dort zusätzlich bauen, wo die Nachfrage gestiegen ist; keinen zusätzlichen Wohnraum in schrumpfenden Regionen schaffen. 9. Die neue Grundsteuer muss eine Bodenwertsteuer sein. 10. Veräußerungsgewinne von Grundstücken und Immobilien muss der Einkommensteuer unterliegen. 11. Wohnungsmarktpolitik in den Städten muss mit Regionalpolitik auf dem Land beginnen. 12. Reform des Wohngeldes mit echter regionaler Differenzierung und Ausweitung in mittlere Einkommensgruppen. 13. Absenkung der Steuerquote auf das Niveau von 2009, 50 Mrd. Euro zurück an Unternehmen und Haushalte. 14. Festschreibung der Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz bei mindestens dem Zweieinhalbfachen des Durchschnittseinkommens. 15. Auch bei der Besteuerung des Arbeitseinkommen müssen wir uns dem internationalen Wettbewerb stellen. 16. Steuer auf alle Erbschaften ohne Freibeträge mit einem moderaten Steuersatz von 5 bis maximal 10 Prozent. 17. Koppelung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die Entwicklung der Lebenserwartung. 18. Kommunikationsoffensive für die Rente mit 67+. 19. Jede Rentenanwartschaft muss sich auszahlen. Vgl. Böhmer, Michael: Die Wirtschaft wächst, der Wohlstand nicht. wie Deutschland wieder glücklich wird, München (FBV) 2020, S. 155ff.

22. Wie kann die intervenierende Variable "politisches System" wirken (Legitimitätsglaube)?

"Dieser Krieg und seine Folgen stellen das deutsche Wirtschaftsmodell infrage. Das ist eine große Herausforderung für ihr Land", Boone, Staatssekretärin im Außenministerium Frankreichs.

Weltweit gibt es eine wachsende Tendenz zu autoritären und populistischen Parteien. Das sind linke und rechte Extreme. Bei Inflation und Rezession können Regierungen abgewählt werden. Also könnte bei negativen ökonomischen Entwicklungen oder Chaos in der Regierung auch die AfD in Deutschland wieder stärker werden (schon 2023 überholt sie in Umfragen Grüne und SPD, nur die CDU liegt davor). Vgl. Nele Husmann, "So zerstört man sich selbst", Interview mit Nouriel Roubini, in: WiWo 49/ 2.12.22, S. 39ff.

Rund um den Globus scheint vor allem die politische Rechte trotz einiger Rückschritte (Brasilien, Peru) auf dem Vormarsch (Israel, Italien, Frankreich, Ungarn, Türkei). Demokratische Willensbildung muss dringend wieder belebt werden. Die EU, Japan  und die USA sollten vermitteln, dass westliche Werte kein Angriff auf die kulturellen Traditionen in Russland, China oder im Iran sind.

Das entscheidende Land sind aber die USA. Die schleppende Wahl (15 Wahlgänge) von Mc Carthy zum Sprecher des Repräsentantenhauses (Nr. 3 in der Führung der USA) lässt nichts Gutes über die Stabilität des politischen Systems ahnen. Am 6. Januar 2021 versuchte ein bewaffneter Mob mit dem Sturm auf den Kongress die Bestätigung von US-Präsident Biden zu verhindern. Zwei Jahre später sitzen die Aufrührer im Parlament und legen dieses im Kampf um den Sprecher-Posten systematisch lahm.

Die deutsch - französischen Beziehungen befinden sich schon in einer Phase der Entfremdung. Auch mit Italien hakt es. Frankreich hat weniger Industrie und ist weniger abhängig von Energie und den Exportmärkten. Das ist heute ein Vorteil für Frankreich, was in Zeiten von billigem russischem Gas und starken Ausfuhren nach China ein Nachteil war. Vgl. Gebauer, Matthias u. a.: Dei Entfremdung, in: Der Spiegel 3/ 14.1.2023, S. 74ff.

Globalisierung geht immer mit Kontrollverlust einher. Man wird abhängig von globalen Kapitalflüssen, Handelsströmen und Krisen. Das hat in GB zum Slogan "take back control" und in den USA zu "America first" geführt. Das zerstört notwendigerweise Demokratien von innen, weil die Zahl der Verlierer immer da sein wird. Das beste Mittel dagegen ist der Ausbau der Bildung in der Breite. Nur so kann Populismus entgegengewirkt werden.

Bei Deutschland kommt noch speziell hinzu, das weder Deutschland noch die EU in grundlegenden Fragen autonom entscheiden können. Dazu sind sie sicherheitspolitisch zu sehr von den USA abhängig. Auch China setzt seine eigenen Prioritäten und lässt Deutschland eher dann reagieren. Deutschland ist gezwungen, immer mehr zu diversifizieren. Vgl. Kuhn, Britta: China-Risiken stärker beachten, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2023, S. 165-169.

Die Politik muss, wenn es um den Rahmen für die Unternehmen geht,  sich in erster Linie um Freihandelsabkommen, Infrastruktur und CO2-arme Energieversorgung kümmern.

In Deutschland gibt es 2023/24 Bauernaufruhr, Streiks, Wutbürger und immer mehr Querdenker. Das ist Ausdruck einer gewissen Orientierungslosigkeit, die in den Mehrheiten sich ausgebreitet hat. Die politische Unzufriedenheit wandert zu Protestparteien und Neugründungen. Die politische und gesellschaftliche Ächtung von extremistischen Parteien oder radikalem Gedankengut wirkt nicht mehr. Unsere Gesellschaft begünstigt den Egoismus und andere negativen Neigungen (Gier, Feigheit). Vgl. Sind die Deutschen überlaunig? in: Die Rheinpfalz 17.01.24.

Exkurs. Demokratie und Wahlen: 4,17 Mrd. Menschen leben in Ländern, in denen 2024 gewählt wird - das entspricht 51% der Weltbevölkerung. Wirkliche Demokratien von ihrer Qualität her sind dabei z. B. : Indien, USA, Südafrika, Großbritannien, Südkorea. Unvollständige Demokratien sind etwa: Indonesien, Ghana. Kritische Demokratien sind: Mexiko, Pakistan, Bangladesch, Ukraine. Als problematisch gelten Algerien, Russland, Tschad.

23. Wird der finanzielle Rahmen (Schulden, Schuldenbremse, Pleiten, große Stagflation, Finanzkrise, Währungsschmelze) stabil bleiben? Vgl. auch meinen Artikel weiter oben über Inflation. Hier ist diese Problematik ausführlich dargestellt,

Nouriel Roubini (Mega Threats. 10 Bedrohungen unserer Zukunft und wie wir sie überleben, München 2022) zieht das Fazit dazu: "Wenn wir überleben wollen, dürfen wir uns nicht von Mega Threats überrumpeln lassen. Mega Threats entstehen dadurch, dass die Krisen gebündelt auftreten. Die Regierungen dieser Welt müssen sie kontrollieren".

Die lange Phase des Wohlstands neigt sich heute dem Ende zu. Wir leben in einer Zeit akuter Instabilität, des Konflikts und des Chaos. Wir müssen lernen, in Alarmbereitschaft zu leben.

Schuldenberge, Anhäufen billigen Geldes, Finanzkrise, Inflation, Währungskrisen hängen heute zusammen. Notwendig ist  eine effiziente Risikopolitik. Die Frage ist, ob die noch machbar ist angesichts der instabilen politischen Systeme. (Vgl. Punkt 20. vorher). Deutschland ist der Zahlmeister der EU, so dass der Druck auf Deutschland weiter steigen wird (auch im Hinblick auf Schäden in der Ukraine).

Die neue De - Risking - Strategie dürfte die Inflation auch erhöhen. Allein 10 Mrd. € bekommt Intel in Magdeburg von der Bundesregierung an Subventionen (mögliche Überkapazitäten könnten in dem Bereich allerdings die Preise sinken lassen). Die meisten Firmen werden ihre Lagerhaltung erhöhen und den Kreis der Zulieferer vergrößern müssen. Weniger internationale Arbeitsteilung bedeutet höhere Kosten. De - Globalisierung erhöht die Inflation.

Die steigenden Zinsen haben dem jahrelangen Boom auf den Immobilienmärkten ein jähes Ende bereitet. Rund um den Globus befinden sich die Preise für Immobilien auf Talfahrt. Teilweise sind die Preisrückgänge zweistellig. Die Banken geraten wieder unter Druck. Ein Totalabsturz von Immobilienmärkten wird aber wahrscheinlich nicht kommen. Dazu müsste sich die Lage auf den Arbeitsmärkten drastisch verschlechtern (Zwangsversteigerungen). Vgl. Fischer, Malte: Chrash am Häusermarkt, in: WiWo 3/ 13.1.23, S. 36f.

Der Zusammenbruch der Bank "SVB" in den USA (Platz 16 der US-Banken) ist ein Alarmsignal, dürfte aber keine neue Finanzkrise auslösen. Entweder sichert die Fed die Einlagen oder Großbanken springen ein. Es folgt noch die Signature Bank in die Insolvenz. Trotzdem wird die Bankenwelt von einem Beben erschüttert. In der Schweiz trifft es die Credit Suisse Bank. Aufsicht und Politik erzwingen eine Übernahme durch die UBS. In Italien gehen die Kurse der Banken in den Keller, auch in Deutschland reagieren die Bankenaktien vorübergehend nach unten.

Es gibt sogar Ökonomen, die noch weiter gehen. Sie fordern die Regierungen auf, die Staatshaushalte zu konsolidieren. Sie betrachten den Staat als Hauptverursacher der hohen Inflation, der den "Bogen überspannt habe". Einer der prominentesten Vertreter ist US-Ökonom John Cochran. Er veröffentlicht 2023 ein Buch dazu, in dem er seine Argumentation ausführlich darstellt. Er ist Professor an der Denkfabrik Hoover Institution und an der Uni Stanford. : John Cochran: The Fiscal Theory of the Price Level, 2023. Vgl. auch: Winkler, Adalbert: Inflationsbekämpfung und Finanzkrisen, in: Wirtschaftsdienst 4/ 2023, S. 225-227.

Im Mai 2023 verschärft sich die Situation in den USA. Der US-Regierung rennt die Zeit davon, um eine Katastrophe abzuwenden: In wenigen Wochen droht ein Zahlungsausfall. Der könnte die Konjunktur und die weltweiten Finanzmärkte erschüttern. Ende April 2023 erreichen die Schulden 31,5 Billionen $. Die Schuldenobergrenze liegt bei 31,4 Billionen $. Ein Ausweg ist noch nicht klar (moderate Republikaner stimmen einer Anhebung des Limits zu; weiterhin Kreditaufnahme; Prägen einer Platin-Münze). Vgl. HB 9.5.23, S. 6f.  Präsident Biden glaubte, dass im Schuldenstreit ein Kompromiss gefunden wird. Dieser Optimismus wurde vom Markt lange geteilt. Jetzt schwindet die Zuversicht. Vgl. HB 16.5.23, S. 32f. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy müsste mit Biden einen Deal machen. Doch die Partei lässt ihm kaum Spielraum und Biden will keine Bedingungen akzeptieren. Vgl. WiWo 21/ 19.5.23, S. 34f. Ende Mai 23 kommt es doch zu einer Einigung im Haushaltsstreit Aussetzen der Schuldenbremse bis 2025, Geringe Haushaltskürzungen). Der Zahlungsausfall kann wahrscheinlich verhindert werden (Demokraten im Senat und Republikaner im Repräsentantenhaus müssen noch zustimmen). Die Zustimmung erfolgt am 1.6.23.  Vgl. auch USA.

Im November 2023 stoppt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Ampel: Es entsteht ein 60-Milliarden-Loch. Karlsruhe verwirft den Kniff der Regierung, nicht benötigte Kredite aus Corona-Zeiten in einen Fonds für Klimaschutzmaßnahmen zu überführen. Geklagt hatte die Union. Es ist ein Haushaltsurteil zur Schuldenbremse (Prüfung, ob verfassungsgemäß). Das Gericht hat nicht darüber entschieden, ob die Schulden zu hoch sind. Im Grunde genommen geht es darum, wer die Kosten der Krisen trägt.

Die höheren Zinsen und das schwache Wachstum lassen die Schuldenquoten vieler Staaten anschwellen. Das wird sicher weitgehende Folgen haben - auch für die Notenbanken. Insgesamt gehen die weltweiten Schulden von Haushalten, Unternehmen und Staaten nach oben. Das schmälert auch den fiskalischen Spielraum der Regierungen.  Vgl. Fischer, Malte: Feuer unter dem Schuldendach, in: WiWo 48/ 2023, S. 36ff.

Fünf Risiken werden an den Finanzmärkten 2023 unterschätzt: 1. Die Inflation ist zu niedrig. 2. Die Ukraine könnte den Krieg verlieren. 3. Es könnte eine Krise im Finanzsystem drohen. 4. Regulierungen der großen Plattformen könnten verschärft werden. 5. Die Analystenurteile sind systematisch verzerrt. Vgl. HB 19.12.23, S. 44f.

24. Inwieweit braucht es eine neue Industriepolitik? (früher in der Strukturpolitik/  Wettbewerbspolitik untergebracht). Vgl. generell: Wambach, Achim: Renaissance der Industriepolitik, in: Wirtschaftsdienst 11/2023, S. 722-723.

Contra: "Doch braucht es auch eine aktive Industriepolitik? Eher nicht, denn die bisherigen Erfahrungen damit fallen nicht positiv aus. Für Länder an der internationalen Technologiegrenze, wozu auch Deutschland zählt, kommt es vielmehr darauf an, Technologieoffenheit hochzuhalten und auf mehr Wettbewerb zu setzen, statt weniger (Aghion und Howitt, 1997; Falck, 2019). Die wettbewerbliche öffentliche Beschaffung von Innovationen oder die wettbewerbliche öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung, wie sie in den US-amerikanischen ARPAModellen (Advanced Research Projects Agency) vorgesehen sind, sollten hier vielmehr als Vorbild dienen als das chinesische Modell. Letzteres war sehr erfolgreich, um China in vielen Bereichen an die Welttechnologiegrenze zu bringen. Ob es jedoch auch taugt, um die Grenze nach außen zu verschieben, ist mehr als fraglich". Siehe Falck, Oliver/ Pfaff, Christian: Die Deindustrialisierung Deutschlands: berechtigte Sorge oder German Angst, in: Wirtschaftsdienst 12/ 2022, S. 936-940.

Pro: "Angesichts der Dringlichkeit der Transformation der Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität darf Deutschland nicht im Aktivismus um kurzfristige Unternehmenshilfen stecken bleiben. Entscheidend ist vielmehr, dass jetzt schnell und effizient eine industriepolitische Strategie für den Umbau der Industrie umgesetzt wird. Ein Weg dazu sind staatlich finanzierte Technologiefonds mit einem Taskforce-Management und klarer Zuordnung der Verantwortung, die die Investitionszusagen der Unternehmen koordinieren (Belitz und Gornig, 2021). Beispiele für solche Managementstrukturen finden sich in den USA. So konnten im Programm „Warp Speed“ durch die Koordinierung der Regierungsbehörde für biomedizinische Forschung und Entwicklung und staatliche Finanzmittel eine rasche Skalierung der Produktion von Coronaimpfstoffen erzielt werden. Solche staatlich koordinierten und finanzierten Technologiefonds müssen so transparent wie möglich initiiert werden – auch um den Einfluss von Lobbyisten und Korruption zu begrenzen. Sie sollten unabhängig sein, um großen administrativen Aufwand mit langwierigen Entscheidungsprozessen zu vermeiden. Ihre Projekte sollten kooperativ angelegt sein, sodass nicht nur einzelne Unternehmen davon profitieren. Die Fonds müssen öffentlich Rechenschaft ablegen und regelmäßig evaluiert werden. Zudem sollten Rückzahlungsmechanismen installiert werden, die sichern, dass im Erfolgsfall nicht nur die geförderten Unternehmen, sondern auch der Staat direkt eine Risikoprämie erhält." Siehe  Siehe Gornig, Martin/ Kempfert, Claudia: Energiewende steht für die Chance auf Re - Industrialisierung, nicht für De - Industrialisierung, in: Wirtschaftsdienst 12/2022, S. 933-935.

Kompromiss: Eine pragmatische und eher neutrale Position hat der neue Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel Moritz Schularick inne. Er sympathisiert mit der Idee des IRA in den USA. Subventionen seien zwar ineffizient, aber die zweitbeste Lösung der Ökonomie. Vgl. Interview mit ihm in WiWo 21/ 19.5.23, S. 36f.

25. Was sind Deutschlands und Europas Rolle bzw. Risiko  zwischen den Blöcken (im neuen Kalten Krieg)?

 "China lässt sich nicht eindämmen, China lässt sich nicht wegwünschen, China ist ein Partner, ein Konkurrent oder ein Rivale. Und wir müssen gucken, in welchen Bereichen wir nun eine dieser Strategien fahren können. Ein perfekte Lösung gibt es für China nicht", Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer und Generalbevollmächtigter der BASF in China, 2022 (ich habe ihn mehrmals in Peking getroffen; er tritt 2023 aus Altersgründen ab). Quelle: WiWo 16.12.22, S. 36.

China braucht Deutschland und Europa für Vorprodukte und Maschinen, um die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten und zu entwickeln. Über die Grenze wird die Staatsführung nicht hinausgehen. Wir müssen also sicherstellen, dass China uns weiterhin braucht. Vgl. Wan-Hsin Liu: Abhängig? Von wegen, in: Die Zeit 52/ 15.12.22, S. 28. auch: Klein, Martin: China Strategie: Entkopplung wäre nicht durchdacht, in: Wirtschaftsdienst 12/ 2022, S. 916.

Der US-Kongress hat 2022 ein gewaltiges Klimaschutzpaket (367 Mrd. $, IRA) beschlossen. Das fördert nur Produkte, die weitgehend in den USA produziert werden (US-Lieferkette). Die EU sieht das als handelspolitisch unfreundlich und überlegt Reaktionen. Die EU ist gespalten: Die Meinungen gehen von einem "Buy European Act" bis zu europäischen Subventionen.   (Frankreich). Deutschland ist nicht an einer direkten Konfrontation interessiert. Sanktionen sind eher unwahrscheinlich. Ein Handelskrieg (wechselseitiges Verklagen vor der WTO) bringt erfahrungsmäßig nicht viel. Strafzölle sind auch kompliziert. Das amerikanische Gesetz betrifft aber gerade innovative Produkte , die überall dringend gebraucht werden. Die EU möchte auf jeden Fall eine Abwanderung von Unternehmen in die USA verhindern. Helfen wird er neue Klimazoll der EU (CO2-Abgabe auf energieintensive Importe) und der neue Green Deal (Klimaprogramm der EU, Elemente noch unklar). Vgl. Pinzler, Petra: Auch das noch: Amerika gegen Europa, in: Die Zeit 52/ 15.12.22, S. 29. Die EU will Mexikostatus (Freihandelspartner). Andernfalls dürften US-Unternehmen von öffentlichen Aufträgen in der EU ausgeschlossen werden.

Die deutsche und europäische Konjunktur scheint widerstandsfähiger als erwartet zu sein. Die Inflation könnte auf dem Rückzug sein. Vgl. Fischer, Malte: Im Kriechgang Richtung 2023, in: WiWo 52/ 23.12.22, S. 30ff.

Was noch zu ergänzen ist: Die USA und China entkoppeln sich nicht nur ökonomisch, sondern auch technologisch. Insofern werden die Menschen Dienste mit unterschiedlichen Algorithmen nutzen,  Dadurch bekommen die Menschen auch einen völlig unterschiedlichen Blick auf die Welt. Die entscheidende Frage ist, wo wird Europa stehen in dieser kulturellen Spaltung der Welt.

Die Sanktionen im Ukraine-Krieg haben nicht den gewünschten Effekt. Sie schaden aber der europäischen Wirtschaft, vor allem Deutschland. Griechische Tanker bringen russisches Öl in alle Welt. Zu einem höheren Preis bringen sie es teilweise  wieder nach Europa zurück. Russisches Gas kommt aus Indien wieder zu uns zurück. Der Nato-Partner Türkei wird zur Drehscheibe eines Europa - Russland - Handels.

Die Hamas greift im Oktober 2023 aus dem Gaza-Streifen heraus Israel an. dies ist der schlimmste Überfall seit der Staatsgründung.  Sie richtet ein Massaker an (150 Geiseln, über 800 tote Zivilisten). Israel reagiert mit Luft- und Artillerieangriffen auf hunderte Ziele im Gazastreifen. Ein Eskalation mit der Beteiligung von Iran (Sperrung der Straße von Hormus) hätte enorme ökonomische Folgen für die Weltwirtschaft, natürlich auch die EU und Deutschland.

Exkurs. Der Gaza-Krieg und neue Allianzen: 1. Israels Nachbarstaaten geraten besonders unter Druck. Das sind Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien. Diese Länder haben Friedensverträge mit Israel oder verhandeln über eine Annäherung. Das zu torpedieren, war sicher auch ein Ziel der Hamas. Die Türkei, die in der Vergangenheit mehr bei Israel stand, stellt sich klar auf die Seite der Hamas. 2. Profiteure sind klar drei Länder: Russland kann vom Ukraine-Krieg ablenken und freut sich über den Glaubwürdigkeitsverlust des Westens. China heizt die Kritik an Israel an und sucht weitere Verbündete. Der Iran will die USA aus dem Nahen Osten drängen und Israel schwächen (und eine Angriff auf sich wegen der Atomwaffen verhindern). 3. Bei den wichtigen Ländern des Globalen Südens wie Brasilien, Südafrika, Indonesien überwiegt die Identifikation mit den Palästinensern. Sie erkennen Muster der eigenen Kolonialgeschichte. Eine Schwächung des Westens liegt in ihrem Interesse. Vgl. Die Zeit 51/ 30.11.23, S. 6.

26. Wie wandelt sich der Kapitalismus sanft zu einer nachhaltigeren, gerechteren Wirtschaftsordnung?

 "Willkommen in der Welt der Polykrise", Adam Tooze, GB (Wirtschaftshistoriker, Professor in New York. Bestseller-Autor: Zuletzt "Welt im Lockdown"). Grundthese: Die USA verändern die Spielregeln der Weltwirtschaft. Sicherheit werde wichtiger als Wohlstand

In den letzten 15 Jahren jagte eine Krise die nächste: Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Corona-Krise, Ukraine-Krieg, große Inflation, Energiekrise. Die Globalisierung scheint aus dem Ruder zu laufen. Kein ökonomisches Modell ist auf die sich überlagernden Notlagen unserer Zeit vorbereitet. Wahrscheinlich haben auch ganze geschlossene Systeme im Wirtschaftsdenken ausgedient. Fast alle Wohlstandsgewinne landen bei den obersten zehn Prozent der Bevölkerung. Es ist klar, dass der Markt alleine es nicht mehr richten kann. Zu einem entsprechenden Ergebnis kommt Oxfam 2023, veröffentlicht kurz vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos: Die reichsten 10 Männer verdoppeln ihr Vermögen auf 1,6 Billionen Dollar. 160 Mio. Menschen leben auf der Welt in Armut.

Die Menschen haben Wut auf die hohen Preise und darauf, dass Eigentum nicht mehr erschwinglich ist. Sie suchen nach einem klimafreundlichen, stressfreien Leben. Sie wollen mehr auf den Staat übertragen, wie es durch die Krisen auch automatisch kommt. Der Neoliberalismus ist ziemlich am Ende. Viele Unternehmen verabschieden sich vom Shareholder - Value und probieren ohne Wachstum und hohe Gewinne auszukommen. Der Mensch soll in einer gerechteren Gesellschaft und Welt im Mittelpunkt stehen.

Alle wollen eigentlich einen gerechteren und nachhaltigeren Kapitalismus schaffen, der weniger Ressourcen frisst und weniger Wachstum braucht. Dabei geht es um die zentrale Frage, ob eher der Markt oder eher der Staat vorgeben soll, wo es langgeht.

Aber auch der zentrale Konflikt zwischen Werten und Wohlstand bleibt bestehen (Dilemma Deutschlands). Der Systemwettbewerb oder das Abkoppeln von autokratischen Systemen wird Opfer mit sich bringen.

Vgl. meine ausführlichen Artikel "Karl Marx - Jahr 2018" und Markt oder Staat. Außerdem: Beyer, Susanne/ Book, S./ Schulz, T.: Auf die sanfte Tour. Hatte Marx doch recht? Warum der Kapitalismus so nicht mehr funktioniert -und  wie er sich erneuern lässt, in: Der Spiegel Nr. 1/ 30.12.22, S. 10ff. Auch: Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus, Köln 2022 und schon früher Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum, 2017 (Update). "Unser Wirtschaftsmodell ist von Grund auf fehlerhaft", Tim Jackson, schon 2017.

27. Was sind die neuen währungspolitischen und außenwirtschaftspolitischen Richtungen?

"Der US-Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem", US-Staatssekretär John Connally schon 1971. Der Satz gilt immer noch. Vgl. auch: Vgl. Mattheis, Philipp: Die dreckige Seidenstraße, München 2023, S. 221ff.

China und die anderen Schwellenländer wollen ein multipolares Währungssystem schaffen. Die Implementierung der chinesischen Währung kommt auch voran, aber sie ist bei weitem noch keine globale Devise. 2023 sieht die Rangfolge der Währungen der Welt wie folgt aus (Anteil der Währungen im internationalen Zahlungsverkehr, in Prozent): US-Dollar (40,1), Euro (37,9), Britisches Pfund (6,6), Yen (3,1), Yuan (1,9), Kanadische Dollar (1,3), Schweizer Franken (0,9). Vgl. Wiwo 20/ 12.5.23, S. 25. China gewinnt nur ganz langsam mehr Boden. Einmal versucht es den Tauschhandel wieder zu beleben. Es kauft etwa Rohstoffe, wie Erdöl, in Russland ein und bezahlt in Yuan. Das geschieht mit so genannten Swap-Abkommen. China hat mit 40 Staaten solche Abkommen geschlossen. Die jeweiligen Zentralbanken versorgen sich gegenseitig mit Landeswährungen. Vgl,. WiWo 20/ 12.5.23, S. 36ff. Gerade im Handel mit Russland wird verstärkt der Yuan gebraucht. Die Yuanisierung Russlands ist aber nur auf den ersten Blick ein Erfolg für China. Bei genauerem Hinsehen muss aber die Stabilität des Yuan erste Priorität für Peking haben. Peking muss immer US-Dollar als Reserve halten, um die Kontrolle über den Wechselkurs Yuan zum Dollar zu behalten. Vgl. Langhammer, Rolf: Chinas versteckte Fußfesseln in der Währungspolitik, in: Wiwo 21/ 19.5.23, S. 38. Es gibt aber Länder, bei denen China sehr erfolgreich seine Währung einsetzen kann. Das gilt für Saudi-Arabien, das 25% seiner Exporte in China unterbringt. Ein Teil des Öls kann in Yuan bezahlt werden. Im März 2023 konnten immerhin 48% der Transaktionen mit dem Ausland in Yuan abgewickelt werden. Bei China selbst ist damit der Dollar nicht mehr das wichtigste Zahlungsmittel. Der Dollar-Anteil fiel seit 2010 von 83% auf 47 %. Vgl. WiWo 22/ 26.5.23, S. 7.  Beim Kampf gegen den US-Dollar sitzen China und die EU auch in einem Boot.

Auf der anderen Seite versucht man weltweit bei vielen Staaten außenwirtschaftlich Freihandelsabkommen mit anderen Staaten zu machen. Die EU hat zahlreiche dieser Abkommen geschlossen. Teilweise sind es nur eine Zollunion (Beispiele: Norwegen, Schweiz). Teilweise gehen sie darüber hinaus (Kanada, Mercosur, GB, Japan). Manche ausgehandelten Abkommen sind noch nicht ratifiziert (Brasilien, Argentinien, China). Andere müssen noch ausgehandelt werden (Indien, Australien). Vgl. WiWo 12.5.23, S. 30ff. Vgl. auch ausführlich dazu den Abschnitt "Außenwirtschaftspolitik" auf der Seite  "Special/ Globalökonomik" (zur Währungspolitik "Monetäre Außenwirtschaftstheorie").

28. Wie kommt man aus der großen Erschöpfung raus?  (sozialpsychologische Perspektive und kulturelle Faktoren)

Wir haben einen starken Bindungswunsch in die Wiege gelegt bekommen. wir wollen dazugehören und uns gut dabei fühlen. Wer nirgendwo dazugehört, fühlt sich furchtbar einsam", Stefanie Stahl, Wer wir sind. Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben. München (Kailash) 2022, S. 132

Müdigkeit, Erschöpfung, Antriebslosigkeit macht sich breit. Das könnte mit den fortwährenden Konflikten zusammenhängen. Man spricht von Polykrise: Krisen, Klima, Kriege.  Fortwährende Konflikte reiben uns mit einer fordernder Umwelt auf. Der Soziologe sieht die Ursache für die Depression eher darin, dass das autoritäre Disziplinarsystem verschwindet und das Subjekt in Eigenverantwortung entlassen wird (Das erschöpfte Selbst, Alain Ehrenberg, 1998/ deutsch 2004). Der Philosoph meint, dass die Erschöpfung daher kommt, dass wir zwanghaft diesen Konflikten davonlaufen. Man rede über die falschen Probleme. Wir erkennen nicht die dahinter liegenden Grundkonflikte (etwa zwischen Ökonomie und Ökologie). Für solche Scheinkonflikte eignen sich besonders gut die sozialen Medien.  Dei Zeitspanne wird immer kürzer, mit der ein bestimmter Content geschaut wird (vgl. Armen Avanessian, Konflikt, 2022). Das gilt für Facebook über Twitter bis zu Instagram und bis zu TikTok. Die Politologie verweist auf eine ungewisse Zukunft. Wir sind im Dauerkrisenmodus und es wartet keine Zukunft auf uns (Vgl. F. Gaub: Zukunft. Eine Bedienungsanleitung, 2023).

Diese Erkenntnisse sind alle nicht neu. Schon 1985 schrieb der größte Philosoph und Soziologe unserer Zeit Jürgen Habermas ein Essay über "Die neue Unübersichtlichkeit". Er sprach darin von der "Erschöpfung utopischer Energien". Das Vertrauen in die Regierung, dass sie Deutschland mit Sinn und Verstand aus den Krisen führt, ist tief erschüttert. Vgl. Agarwala, Anant/ Probst, Maximilian: Aufwachen! in: Die Zeit 8/ 15.2.24, S. 27.

Die Politik muss den Menschen wieder den Eindruck vermitteln, die Transformation mitgestalten und kontrollieren zu können. 

Auch in der Ökonomie beschäftigt man sich wieder mehr mit den sozialpsychologischen Voraussetzungen für Wirtschaftserfolg. Max Weber hatte hier bahnbrechende Arbeit geleistet. So etwa folgender aktueller Artikel: "Bei der Analyse der rückläufigen Innovations- und Wachstumsdynamik moderner Volkswirtschaften lassen sich neben ökonomischen Ursachen auch kulturelle bzw. ethische Einflussfaktoren feststellen. Edmund Phelps hat in seiner Theorie zur Innovationsfähigkeit der Marktwirtschaft die Bedeutung nicht-monetärer Motive unternehmerischer Tätigkeit hervorgehoben, die sich auch durch einen Rückblick in die Geschichte der Industriellen Revolution(en) finden lassen. Aus aktueller Perspektive zeigt sich, dass die Einführung am Shareholder Value orientierter Ansätze der Unternehmenssteuerung und der Übergang zu finanzmarktbasierten Benchmarks im ausgehenden 20. Jahrhundert zu einer radikalen Veränderung der Motivationskultur in der Finanz- und Realwirtschaft geführt haben." Siehe Hecker, Christian: Der Beitrag ethischer Faktoren zur Erklärung der rückläufigen Innovationsdynamik, in: Wirtschaftsdienst 3/ 2024, S. 187-192.

29. Wie sieht das nächste Zeitalter aus?

"There must be some way out of here", Musiker und Literaturnobelpreisträger Bob Dylan (aus "All along the Watchtower", mittlerweile ist er in allen Ruhmeshallen der Musikrichtungen vertreten. In Nashville, USA, konnte ich die Country - Hall of Fame besuchen).

Jeremy Rifkin: Das Zeitalter der Resilienz. Leben neu denken auf einer wilden Erde, Frankfurt/ New York (Campus) 2022. Rifkin will die Geschichte der Menschheit und die Zukunft unserer Spezies neu denken. Nur ein radikaler Wandel unseres Selbstbildes kann uns noch retten. Die Inbesitznahme der Erde und das industrielle Effizienzdenken aller Lebensbereiche habe uns an den Rand des ökologischen Untergangs geführt. Es ist eine Abkehr vom traditionellen Verständnis der Wissenschaft nötig. Es braucht ein Denken in komplexen adaptiven Systemen. Dieser neue Ansatz begreift die Natur nicht als Rohstoff- sondern als Lebensquelle, und die Erde als komplexes, sich selbst organisierendes System. Wir benötigen eine Wissenschaft, die sich auf Prognosen und aufmerksame Anpassung verlegt und keine, die einen konkreten Kurs erzwingen will.

Rifkin definiert die Dialektik der Moderne (Effizienz vs. Entropie). Er schildert die Privatisierung der Erde und die Verarmung der Arbeiter. Er fordert ein neues Verständnis der Evolution. Das Ende des Industriezeitalters sieht er gekommen: Das Zeitalter der Resilienz steht vor der Tür. Wir brauchen eine entsprechende Infrastruktur, eine bioregionale Ordnung, eine Peerocracy und ein biophiles Bewusstsein.

Was bedeutet das für Deutschland? Eine vorausschauende Diskussion über Abhängigkeiten darf nicht einseitig sein. Zum Beispiel richten die Chinesen ohne Terminalbeteiligung in Hamburg mehr Schaden an, weil sie ihre Schiffe in Rotterdam oder anderswo abfertigen. Deutschland muss immer ganzheitlich in der EU denken und auch den Westen einbeziehen. Man sollte also die Handelsbeziehungen zu China und anderen Staaten nicht pauschal abbauen. Was ist, wenn Trump oder ein ähnlich denkender Kandidat in Weiße Haus einziehen? Die EU sollte ihre heimische Energieförderung maximieren und auch das Risiko der Scheichs sehen. Der Welthandel muss aus Sicht Deutschlands und der EU maximal diversifiziert werden (Geoökonomik). Wir dürfen auf keinen Fall zum Satelliten der USA werden. Zum Glück hat die EU einen großen Binnenmarkt, der weiter ausgebaut werden sollte. Das kann nur im Osten passieren, wo man sich irgendwann mit Russland arrangieren muss. Vgl. Ackerman, Elliot/ Stavridis, James: 2034: A Novel of the Next World War, New York/ Penguin 2021. Vielleicht kehrt auch GB wieder in die EU zurück (nach einer Umfrage 23 sind 59% der Briten schon dafür, es dürften immer mehr werden). Globalisierung ist nicht in Extremen zu diskutieren (weder Heilsbringer noch Teufelszeug), sondern sie muss gestalterisch angegangen werden.

30. Was ist die Ökonomie der Zukunft?

"Ich bin für den Pessimismus der Intelligenz und für den Optimismus der Tat", Antonio Gramsci, marxistischer Philosoph aus Italien, 1937 gestorben.

Viele nennen sie Circular Economy. Sie gilt als Schlüssel zur Lösung der Krisen unserer Zeit. Sie wird verstanden als regeneratives Wirtschaftssystem, in dem Ressourcen in Kreisläufen gehalten werden und dessen Ziel es ist, die Wertschöpfung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.

Unternehmen haben "Circular Republic" in München gegründet (Unternehmer TUM, 2022 von Susanne Klatten gegründet). Es soll ein Zentrum für Innovation und Gründung sein. Es ist eine zentrale Plattform für die Bündelung und aktive Gestaltung der Ideen. Es ist mittlerweile Europas größtes Gründerforum. Vgl. https://www.unternehmertum.de

Europa muss auch die  Künstliche Intelligenz (Vgl. KI auf der Seite "Mercator/ Digital") im Auge haben. Auf keinen Fall darf der Anschluss an die USA und China verpasst werden. Der Vorsprung der organischen gegenüber der künstlichen Intelligenz schrumpft immer mehr. Extremszenarien erwarten eine Fusion von hochintelligenten Menschen mit übermenschlich intelligenten Computern und übermenschlich geschickten Robotern. Vgl. Nouriel Roubini: Mega Threats, München 2022, S. 213ff. 2023 schlägt die Software "ChatGPT" hohe Wellen (von OpenAI in den USA entwickelt, Mitgründer ist Musk). Mit dieser KI lassen sich binnen Sekunden Mathematikaufgaben lösen und ganze Bücher analysieren. Noch kann die KI aber nicht denken. Sie kann noch nicht selbständig Informationen zu eigenen Gedanken konstruieren. Insgesamt werden geopolitische Verschiebungen in der Digitalwirtschaft kommen: Der Staat wird eine stärkere Rolle gegenüber der Industrie einnehmen (vor allem in den USA und China), auch in der globalen Regulierung des Internets und bei der Integration der Schwellenländer in die digitale Ökonomie. Vgl. Lechowski, G./ Dabrowska, E.: Die Zukunft wird multipolar, in: WZB Mitteilungen , Heft 1807 Juni 2023, S. 6ff.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir weniger Wachstum des BIP haben werden mit allen Konsequenzen (auch das ist Zeitenwende, vgl. ausführlicher oben). Wir werden mehr Konfrontation in der Welt haben, so dass die Wirtschaft instabiler wird und sie volatiler bzw. flexibler  sein muss.

Idealisten fordern eine Weltregierung, weil die Grenzen nationalstaatlicher Ordnung immer offensichtlicher werden. Vgl. Mögle-Stadel, Stephan: Die Grenze. Wachstum wohin? Kollektive Selbst(zer)störung. Eine Antwort auf den Club of Rome. Angelika Lenz Verlag 2023. Der Autor unterstellt auch mehr oder weniger, dass die USA Russland in den Ukraine-Krieg getrieben haben, von dem sie profitieren (Verkauf von Fracking - Gas, Rüstung, geschäftliche Interessen von Biden samt Sohn in der Ukraine). 

Man spricht von einer neuen fragmentierten Weltordnung. Die Globalisierung ist kein Auslaufmodell. Aber sie wird künftig anders aussehen. Die Globalisierung hat die Märkte effizienter gemacht, aber die Politik verlor die negativen Verteilungsfolgen aus dem Blick. Die Kluft hat sich zu stark vertieft. Die Blöcke der Zukunft werden beweglicher sein. Vgl. El-Erian, Mohamed: Die neue fragmentierte Weltordnung, in: WiWo 19/ 5.5.23, S. 35. Darauf kann man sich nur mit De-Risking einrichten (vgl. weiter oben).

31. Was sind die Wirtschaftstrends für die nahe Zukunft (ab 2024, relevant für die Märkte) ?

"Wir stehen am Wendepunkt und erleben die fragilste Lage seit 40 Jahren", Kenneth Rogoff, Harvard. Vgl. Interview in WiWo Nr. 52, S. 17ff.

1. Die Zentralbanken senken die Zinssätze, die Preise steigen langsamer. 2. Im Kampf gegen den Klimawandel steigt der Anteil erneuerbarer Energien. 3. Die IT - Ausgaben steigen an, KI löst einen Hype aus. 4. Die Lücke zwischen weltweit benötigter und vorhandener Infrastruktur wird größer (3 Billionen $?). 5. Die Einnahmen der Werbeindustrie steigen um 5% (US-Wahlen, Olympia in Paris). 6. Der internationale Tourismus hat Rekordeinnahmen (Postpandemie, hohe Preise). 7. Eine alternde Welt investiert viel in Gesundheit. 8. Die USA geben 886 Mrd. $ für Militär aus (Ukraine, gegen China; die Nachbarn Chinas rüsten ebenfalls stark auf). 9. Elektrofahrzeuge sind im Aufwind (ist China noch zu bremsen?). 10. Da 60% der US-Firmen Homeoffice erlauben, steht ein Fünftel der US-Büros leer (schlägt diese Entwicklung über?). 11. Es kommt zu einer neuen Energiegeografie: Lithium, Kupfer und Nickel gewinnen an Bedeutung, Öl und Gas sowie ihre Herkunftsländer verlieren an Bedeutung. 12. Nachdem China langsamer wächst (zwischen 4,5 und 6%?) und die USA den Zugang zu Spitzentechnologien beschränken, ist sicher ein "neuer kalter Krieg" da (und die USA werden protektionistischer). 13. In den USA wartet die Welt auf ein globale Entscheidung, die Präsidentenwahl (Trump wäre die größte Bedrohung für die globale Ordnung, wenn man ein Angriff Chinas auf Taiwan ausschließt).  Vgl. O. V.: Die Welt in 2024. The Economist/ Focus 2023. Eine ganze Armee von Beratern arbeitet bereits daran, Trumps Präsidentschaft personell und programmatisch vorzubereiten: Rückzug aus Weltbank und IWF, Ende der Ukrainehilfen, Wandel der Nato.   Vgl. Der Spiegel 1/ 30.12.23, S. 67. 14. Andere Länder sind attraktiver. Die Schwäche des Standorts Deutschland hat viele Gründe (s. o.), unter anderem fehlen qualifizierte Arbeitskräfte, aber auch Kapital. Vgl. HB 1/ 02.01.24, S. 4f. 15. 2023 schrumpft die Wirtschaft um -0,3%. 2024 dürfte es kaum besser werden (Handelsrouten gefährdet, Industrie hat Probleme, Unsicherheit bei Löhnen und Inflation könnte Konsumbelebung ausbremsen, BMWi: +0,2%) Vgl. HB 11/ 16.01.24, S. 5. 16. Deutschland wird ärmer, das Geld knapper: Große Verteilungskonfikte stehen bevor. 17. Man kann von der Regierung nicht eine große Vision erwarten (wir sind nicht in China).

"Der Weise ist sich selbst genug. Dennoch aber wünscht er einen Freund, einen Nachbarn, einen Gefährten zu haben, einerlei wie sehr er sich auch selbst genügt", Seneca, Briefe an Lucius, 9.3.

 

 

Weinreben auf Santorin, Kykladen/ Griechenland. Auch diese Insel beansprucht, die ältesten Reben der Welt und die älteste Weinsorte zu beherbergen. Es ist die Sorte Syra. Die Reben wachsen direkt am Boden und gedeihen ideal auf dem Vulkangestein. Die Erde verhindert viele Schädlinge der Reben. 70% des gesamten Weins macht 2021 diese Traube aus, heute auch Assyra genannt. Sie kam aus dem Zweistromland nach Europa. Ende August ist hier schon die Weinernte. Es gibt eine große Genossenschaft, in der Nebenerwerbswinzer kooperieren (größter Weinbaubetrieb der Insel; 600.000 bis 800.000 Flaschen jährlich; gegründet 1947; 1200 Mitglieder). Zusätzlich gibt es 80 private Winzer auf der Insel. 5 Weinsorten werden angebaut: 3 weiße, 3 rote (Assyrtiko, Athiri, Aidani, Mandilaria, Maurotranos). Nur auf der Insel hergestellt werden darf Vinsanto (Wein von Santorini). Der Wein hat eine bräunliche Bernsteinfarbe und wird von  zwei weißen Traubenweinsorten hergestellt (Assyrtiko, Aidani). Die Trauben bleiben 7 bis 15 Tage in der Sonne, bis sie austrocknen. Nach dem Fermentierungsprozess reift der Wein in französischen Eichenweinfässern 2 Jahre lang. Der Geschmack ist wie Honig, Zitrone, Rosinen und süßen Gewürzen. Es ist ein Dessertwein.

Wein in der Welt (Links zu Weingütern, Weinhandel, Weinorganisationen in aller Welt, klicke auf Weinbau; ich bin in einem Weinbau-Master in der Kooperation der Hochschulen Kaiserslautern, Bingen, Ludwigshafen in Neustadt/ Mußbach mit einem Lehrauftrag tätig)

"Wein ist in Wasser aufgelöstes Sonnenlicht", Galileo Galilei.

Wein allgemein im Überblick: Die weltgrößte Anbaufläche hat Spanien. Auf dem zweiten Platz folgt schon China vor Frankreich. In China gibt es überwiegend Weinfabriken, die dazu hauptsächlich in Gebieten produzieren, wo Öl-Raffinerien sind. In Deutschland hat RLP die größte Anbaufläche (ca. 70% des deutschen Weinanbaus). In RLP ist Rheinhessen flächenmäßig die größte Weinbauzone. Weingüter und Weinberge werden zunehmend als Investition von Reichen gesehen. Zur Zeit ist Südafrika angesagt. Aber auch Güter in Frankreich sind begehrt. Die Chinesen trinken mehr deutschen Wein (2017 4 Millionen Liter, ein Viertel mehr als 2016). Hinzu kommt noch Hongkong, wo es auch einen deutlichen Anstieg gab. Deutschland ist das Land mit dem größten Wein-Import in der Welt. Die Menge beträgt 15,2 Mio. Hektoliter. 2020 soll in Deutschland ein neues Weingesetz kommen. Es soll Herkunftsprofile schärfen. Es kommt eine stärkere Herkunftsprofilierung.

Geschichte: In China dürfte eine der Wiegen des Weinanbaus liegen. Vor 4600 Jahren gab es schon ein weinähnliches Getränk. 7000 v. Chr. gab es ein Reis-Honig-Gemisch dem Wein vergleichbar in der Provinz Henan. Bekannt wurde der Weinbau in der Tang-Dynastie 700 n. Chr., weil dort die Seidenstraße als Verbindung nach Europa zu ihrer Blüte kam. Vielleicht etwas älter ist die Weinkultur der Sumerer und Ägypter. 3500 v. Chr. taucht Wein in der ägyptischen Schrift explizit auf. Die Armenier beanspruchen auch für sich, die ersten Weinbauern gewesen zu sein (Noah). Den gleichen Anspruch erhebt Georgien (8000 Jahre, Keltern in Quadri). Der Weinbau der Phönizier, der Assyrer, der Semiten und Babylonier ist etwas jünger. In Europa waren die Griechen (siehe oben, aus Asien kam der Wein zuerst nach Santorin und Kreta) und Römer die ersten Weinbauern. 1700 bis 1500 v. Chr. gab es Wein in Griechenland. Die Römer brachten den Wein zusammen mit Kastanienbäumen mit nach Deutschland an die linke Rheinseite (Zeit von Kaiser Probus). Wein war im  römischen Reich ein wichtiges Handelsgut. Auch die Germanen, die mehr auf Bier standen, bauten schon Wein an (Gesetzestext Lex Salica, ca. 500 n. Chr., Raub von Rebstöcken).  In der Provinz Henan wurden 9000 Jahre alte Keramikscherben gefunden, die Spuren von wilden Weintrauben aufwiesen. Ältere Hinweise gibt es nicht auf der Welt. Wein wurde insofern nicht erfunden, sondern Trauben gären von alleine. Vgl. Kupfer, Peter: Bernsteinglanz uns Perlen des Schwarzen Drachens: die Geschichte der chinesischen Weinkultur, 2020. Man hat in China auch Gefäße für das Weinritual gefunden. Sie sind aus Bronze und stammen aus der Zeit zwischen 1600 und 1300 v. Chr. An der Verbreitung der mit stilisierten Tierklauen, Hörnern, Schwänzen und Rachen reich verzierten rituellen Weingefäßen lässt sich die Dominanz dieser Leitkultur ablesen. Vgl. Schmidt-Glintzer, Helwig: Kleine Geschichte Chinas, München (Beck) 2008, S. 25.

Venetien ist auch eine der ältesten Weinbauregionen der Welt. Ursprünge gehen bis in die vorrömische Zeit. Hier wird Wein selbst produziert, aber natürlich auch Grappa. Asolo liegt in der Provinz Treviso. Es ist der Sitz vieler Keltereien. Qualitätsweine dieser Region sind meist Prosecco und Merlot. Der Wein ist nach Deutschland nicht zuerst durch die Römer gekommen. Es gab Weinanbau im heutigen Georgien und auch am Schwarzen Meer, der nach Germanien exportiert wurde. Die Römer brachten dann natürlich auch ihre Technologien mit (z. B. Kastanienbäume) an den Rhein, die Pfalz und an Mosel und Ahr. Wein war im Mittelalter ein wichtiges Produkt für die Klöster. Sowohl mit Bier als auch Wein sicherten sie ihre ökonomische Existenz. Sie entwickelten die Weinkultur auch weiter. So sind die ältesten Weingüter in Europa oft Klostergründungen. Man setzte in den Klöstern Wein auch als Medizin ein, weil er als gesundheitsfördernd angesehen wurde. Oft hing das auch mit dem verunreinigten Wasser zusammen.

Weinbau: Vor 150 Jahren waren Herstellung und Konsum von Wein auf wenige Länder der Erde beschränkt. In erster Linie waren das die europäischen Länder Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland und Deutschland. Fünf Länder produzierten 80% aller Weine. Außenhandel gab es kaum. Bis in die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts kaum bekannte Weinländer wie Australien, Chile, USA, Südafrika, China spielen heute eine wichtige Rolle. Damit hat auch eine Globalisierung der Produktion und des Konsums eingesetzt. Wein wurde vom lokalen zum globalen Gut. Deutschland ist mittlerweile Weinimportweltmeister (nur ein Drittel des getrunkenen Weines stammt aus Deutschland).  Mittlerweile haben sich auch Riesenkonzerne in der Produktion und im Weinhandel gebildet (Global Treasure Wine Estates, Accolade, Pernod-Ricard, LVMH). Auch der Geschmack hat sich weltweit angeglichen. Dazu gibt es aber auch eine Gegenbewegung, die lokale, authentische Weine will. Vgl. Mathäß, Jürgen: Globalisierung im Glas, in: Rheinpfalz am Sonntag, 30.09.2018, S. 6. Nach einem Urteil der WTO wegen unzulässiger EU-Subventionen dürfen die USA 2020 Strafzölle auf Importe aus der EU im Wert von 7,5 Mrd. € erheben. Die USA führen US-Zölle in Höhe von 25% auf EU-Weinimporte ein. Das trifft Winzer aus Deutschland, insbesondere RLP, hart. Riesling - Winzer von der Mosel exportieren 80% in die USA. Die USA sind weltweit der größte Exportmarkt für deutsche Weine. Die USA erwägen sogar eine Erhöhung auf 100%. Deutsche Winzer fordern Kompensationszahlungen vom Bund.  Deutsche Winzer werden 2018 eine der besten Ernten der vergangenen Jahre einfahren. Das hohe Angebot macht insbesondere den Fasswein zum Billigprodukt. Die Prognose für die Weinproduktion in Deutschland liegt 2018 bei 9,8 Mio. Hektolitern (2015: 8,8). Der Fassweinpreis liegt 2018 bei 70 € pro Hektoliter. 2017 ist der Weinkonsum global angestiegen (0,8%; 244 Mio. Hektoliter; Quelle: Deutsches Weininstitut, Bodenheim). Beim Pro-Kopf-Verbrauch liegt Portugal an der Spitze (vor Frankreich und Italien).

Weinproduktion: Die größten Weinproduzenten weltweit sind in Millionen Hektoliter 2019 (nach dem Rekordjahr 2018 gab es einen Rückgang, meist durch die extreme Trockenheit): Italien 47,5 (-13%); Frankreich 42,1 (-15%); Spanien 33,5 (-25%); USA 24,3% (-2%); Argentinien 13,0 (-10%); Australien 12,0 (-6%);

Chile 11,9 (-7%); Südafrika 9,7 (+3%); Deutschland 9,0 (-12%); China 8,3 (-10%). Quelle: OIV 2020 (Internationale Organisation für Rebe und Wein).

Anbaufläche an Wein weltweit (in Hektar): 1. Rotwein: Cabernet Sauvignon 341.000; Merlot 266.000; Tempranillo 231.000; Syrah 190.000; Grenache 165.000; Pinot/ Bauburgunder/ Spätburgunder 112.000. 2. Weißwein: Airen 218.000; Chardonnay 210.000; Sauvignon blanc 123.000; Trebbiano Toscano 111.000. Was ist Riesling? Ein Riese. der Früchte trägt.

Weinanbaugebiete in Deutschland: Die Menschen in Deutschland trinken am liebsten heimischen Wein (2021, 45%). Dan folgen Italien (17%), Spanien (12), Frankreich (11). Anbaugebiete sind Pfalz, Rheinjessen, Nahe, Mosel, Ahr, Mittelrhein, Baden, Hessische Bergstraße, Franken, Württemberg, Sachsen, Saale-Unstrut. Die Hauptweinsorte ist Riesling. Vgl. Welt am Sonntag 21/ 22. Mai 2022, S. 36.

Erzeugermodell bei Wein (Geschäftsmodell): 1. Weinfabriken. sie sind besonders verbreitet in der VR China, in Südafrika, Australien und den USA. 2. Unabhänge Winzer als landwirtschaftliche Betriebe (Winzer, beherrschen die ganze Wertschöpfung). 3. Genossenschaften (Mitglieder liefern ab), 4. Kellerein (sie kaufen Trauben oder Fasswein, sie produzieren und vermarkten).

Weintechnik: 1. Hefe: Sie sind Mikroorganismen, welche zu den Pilzen zählen. Es gibt ca. 5000 verschiedene Hefearten. Sie sind entweder in der Natur vorhanden (Naturhefen, Wildhefen, Umwelthefen) oder sie werden im Labor gezüchtet. Manche Hefen werden für ganz spezielle Weinlagen gezüchtet. 2. Hochgewächs: seit 1987 im Weingesetz. Typenwein besonderer Herkunft. Riesling Qualitätsstufe Q.b.A., Mostgewicht 7 bis 10 Grad Oechsle über dem Richtwert, mindestens 1,5% höherer Alkoholgehalt. 3. Holzchips: Eichenholz-Fragmente, welche den typischen Barriquegeschmack imitieren. Auch Wood-Chips genannt.

Weinbehältnisse:   Sie können aus Edelstahl, Kunststoff, Glas/ Keramik, Holz und Beton/ Ton sein. Das Material und die Form haben einen Einfluss auf die Weinqualität. Das Eichenholzfass (französische Eiche) ist fast immer ein Muss. Viele Winzer arbeiten mit mehreren Technologien.

Alkoholfreier Wein: Bier und Sekt sind schon lange am Markt vertreten. Wein hinkt noch deutlich hinterher. Es könnte aber die Zukunft des Weins bedeuten. Technisch ist es besonders schwierig, weil es besonders vielschichtig ist (bei Sekt Kohlensäure als Geschmacksträger). Das älteste Verfahren ist das Vakuum-Extraktions-Verfahren (Jung, es entzieht Wein den Alkohol bei schonenden Temperaturen unter 30 Grad)). Es wird auch heute noch angewandt. Andere Methoden arbeiten mit Alkohol raus, Geschmacksverstärker rein. Vorreiter 2022 sind Bähr Pfalztraube/ Mussbach, FlavoLogic und die Carl Jung GmbH. Vgl. Schmalenberg, Brigitte: Wein light, in: Rheinpfalz am Sonntag 10. April 2022, s. 5.

Weinkonsum: Konsum pro Kopf und Jahr in Liter. Rangliste: 1. Portugal 56; Frankreich 50; Italien 43; Schweiz 37; Ungarn 30; Österreich 29; Australien 29; Deutschland 28. Vgl. Die Zeit Nr. 44, 22.10.20, S. 52. Das deutsche Weininstitut hat andere Zahlen: Es kommt für 2020 auf 20,7 Liter pro Kopf und Jahr. Es spricht von einer Steigerung durch Corona (Vorräte aufgefüllt und zu Hause getrunken).

Wein in China: Anbaugebiete und Struktur: China hat einen staatlichen und einen privaten Weinanbau. Die großen staatlichen Weingüter bzw. Weinfabriken liegen in der Provinz Gansu. Hier kommt es immer wieder zu Konflikten mit der Mineralölindustrie, die Umweltverschmutzungen hat (der Verfasser ist selbst mal versehentlich in eine Demo gekommen). Ansonsten ist das Zentrum des Weinbaus die Bohai-Region in der Provinz Shangdong an der Ostküste Chinas. Weitere Anbaugebiete sind die Gaochang Region im uigurischen autonomen Gebiet  Xinjiang (allerdings fast "rechtlose Zone", weil man den Separatismus der muslimischen Bevölkerung fürchtet), das Yunnan-Guizhou-Plateau und die Region um Zhangjiakou (150 km nordwestlich von Peking; ehemals reine Garnisonsstadt; hier hatten wir eine Partnerhochschule; die Region konnte ich auch schon besuchen). Hinzu kommt die Region Ningyia (vgl. nächsten Abschnitt). China versucht immer mehr Boden für den Weinanbau zu kultivieren. In den Himalaja-Tälern des subtropischen Südwestens Tibets gibt es ein Anbaugebiet. Dort wird die Sorte Rose Honey produziert, eine außergewöhnliche Geschmacksvariante. Die Landschaft des sagenumwobenen Shangri-La wird überragt vom heiligen Schneeberg Melli, der bis auf 6800 Meter ansteigt. Hier ist eine Hochgebirgsweinregion (z. B. Weingut Ao Yun).  "Trinke nicht mehr Wein, als du messen kannst", aus China.

Privater Weinbau: Der private Weinanbau ist überwiegend in der Region Ningxia im Nordwesten des Landes an der Grenze zur Inneren Mongolei (Fuße des Helan Gebirges, dahinter die Wüste Gobi). Früher wurde hier Kohlebergbau betrieben. Die ersten Schritte zum Weinbau gab es ab 1990. Richtig los ging es ab 2008. Der Weinbau und die Landwirtschaft insgesamt sollen die Wüste in Schach halten. Hauptstadt der Provinz ist Yinchuan (heute wohnen dort zwei Millionen Menschen). Ningxia hat das beste Weinklima in China: 3000 Sonnenstunden, 1100 Meter Höhe (kühle Nächte), nur 150 Millimeter  Niederschlag pro Jahr. Der Gelbe Fluss kann notfalls Wasser spenden. Am besten gedeiht Cabernet Sauvignon. 2020 haben gleich vier Weine aus Chinas Nordwestprovinz Ningxia 93 oder 94 Parker-Punkte bekommen. Das ist Spitzenklasse und Parker sagt; "Ningxia hat die besten Weine Chinas". Es gibt etwa 200 Weinberge und rund 100 Hersteller.

Ziele und Bedeutung des Weins:  Es ist ein sehr ehrgeiziges Projekt der chinesischen Regierung, den Wirtschaftszweig Wein in den nächsten Jahren so zu entwickeln, dass China 2020 der größte Weinproduzent der Welt ist. 2008 lag China von der Anbaufläche her noch auf Rang 5 in der Welt. Auch die Qualität soll massiv verbessert werden. Heute (2018) ist China schon der weltweit zweitgrößte Weinproduzent.  Die Chinesen trinken 2018 1,3 Liter pro Kopf. 2005 waren es noch 0,3 Liter. 3 Liter können in absehbarer Zeit erreicht werden. Die 1,3 Liter trinken ungefähr 50 Mio. Chinesen. Die Weintrinker leben in den Großstädten der Küstenregion (natürlich auch in den Anbaugebieten, aber zahlenmäßig gering). China hat aber 1,4 Mrd. Menschen. Derzeit ergibt sich der Weinkonsum aus 50% Importwein und 50% heimischer Wein. Das hat sich rapide zugunsten des importierten Weins verändert (von 90% eigener Wein, 10% importierter Wein 2013). Die importierten Weine waren halt besser als die lokale Produktion.

Protektionismus: Die Regierung tut alles, um die lokale Produktion zu stützen. Mittlerweile (2019) liegt die Importsteuer, die einem Zoll gleichkommt, bei 65%. Hinzu kommen ja noch Fracht und anderen Kosten der Logistik. Die Importsteuer war auch in der Vergangenheit schon mal wesentlich höher (150%?). Die Chinesen trinken immer mehr eigenen Wein. Der Import aus Deutschland ist 2022 merklich zurückgegangen. China verbraucht 1,24 Mrd. Liter Wein (2020 6. Stelle in der Welt, aber nur 1,2 Liter pro Kopf).

Weinkultur: China hat eine völlig andere Trinkkultur. Der Wein wird oft mit der Aufforderung "Ex" herunter gegossen, wenn auch aus eher kleinen Gläsern. Bei jungen Chinesen und in der Stadt gibt es aber auch eine Annäherung an europäische Trinksitten. Ich konnte selbst mal in Lanzhou/ Gansu ein solches Gelage mitmachen. Es waren zahlreiche Ehrengäste um einen runden Tisch versammelt. Jeder musste mit einem Spruch auf den Lippen zur Ex-Aufforderung enden. Da wurde einige Menge geleert. Man musste trinkfest sein.

Wein als Naturprodukt versus industrielles Massenprodukt: Das ist die Spannweite der Weinproduktion in der Welt. Im Durchschnitt zahlen die Verbraucher in Deutschland 2021 2,34 € pro 0,75 l Flasche. Da muss Wein vom Discounter oder vom Einzelhandel sein. Nach Abzug von Mehrwertsteuer, Handelsgewinn Transport/ Verpackung verdient der Winzer ganz wenig (unter 60 Cent). Bei importiertem Wein ist sogar Ausbeutung mit im Spiel: Den höchsten Importanteil bei Wein aus Übersee aus dem Ausland hat Südafrika. Hier werden die Farmarbeiter ausgebeutet, die keinen Mindestlohn bekommen. Nur 21% des Weine sin Deutschland wird im Fachhandel verkauft oder direkt vom Winzer.

Auch bei Bio- und Öko-Wein darf gegen Schädlinge vorgegangen werden. Es werden Kupfer und Schwefel eingesetzt. Im konventionellen Weinbau setzen 81% der Winzer noch Glyphosat ein (andere Stoffe sind Natriumarsenid und 14 andere Substanzen). Eine Standardisierung des Weines ist erlaubt. Sie kann durchgeführt werden mit Eichenholzchips, Bendonit (Eiweißentzug), Kalk (Säure entfernen), Kohle (Weinbaupilz), Hefe (für jeden Wein). Quelle für den letzten Abschnitt: Wiso/ ZDF, 1. November 2021.

Weinprüfung und Weinprämierung: Qualitätswein wird amtlich auf Fehlerfreiheit geprüft. Es gibt eine analytische und eine sensorische Prüfung. Weine werden nach Güteklassen kategorisiert. Es gibt Qualitätsstufen in Abhängigkeit vom Terroir (geschützt nach Lage, Ort, Region, Anbaugebiet) und Qualitätsstufen in Abhängigkeit vom Mostgewicht (Tafelwein, Landwein früher, Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese, Eiswein). Weinprämierungen werden werden auch bei der Qualitätsbeurteilung herangezogen. Sie werden von offiziellen Organisationen durchgeführt. Manchmal sind die Kriterien auch mit einer Mitgliedschaft verbunden (VDP).

Nachhaltiges Geschäftsmodell: Heute beansprucht nahezu jeder Winzer, nachhaltig zu produzieren. Das "nachhaltige Geschäftsmodell" hat sich durchgesetzt. Es ist allerdings wie eine Blackbox, die unterschiedlich mit Inhalt gefüllt werden kann. Sie hat verschiedene Aspekte, die man analytisch trennen kann: eine ökologische (technische), eine ökonomische (Finanzierung, Nachfolge) und eine soziale (Ethik, Anstand, Verantwortung). Strategisch kann man folgende Gesichtspunkte auflisten: "Wer" - Kunden und Bedürfnisse, "Was" - Wert- und Nutzenversprechen, "Wie" - Versprochenes liefern, "Wert" - generieren. Vgl. Dreßler, Marc: Nachhaltiges Unternehmertum, München (UVK-Verlag) 2021, S. 173ff.

Bioweinbau: Gegensatz zum konventionellen Weinbau. Keine Zusatz- und Behandlungsstoffe. Auch keine Schönungsmittel wie Gelatine, Kasein oder Pflanzenproteine. Keine Pestizide. Kein Kunstdünger. Ausschließliche Vergärung mit Naturhefen. Wein als natürliches Produkt. Vgl. Bethge, Philip: Die Weinrebellen, in: Der Spiegel Nr. 10/ 5.3.22, S. 104ff.

Weinkrise in Frankreich: Einst standen Bordeauxweine für Luxus und erzielten Rekordpreise. Doch der Geschmack hat sich gewandelt. Selbst Franzosen verschmähen heute die schweren Tropfen. Dei Winzer sind verzweifelt. Sogar in China bricht der Verkauf ein. Wein war für die Chinesen eher eine Mode. Das Feld der bekannten Weingüter lichtet sich. Vgl. Klimm, Leo: Rot ist tot, in: Der Spiegel 37/ 9.9.23, S. 68f.

Konsumrückgang in Deutschland: 2023 kaufen die Deutschen weniger Wein. Bei Weißwein beträgt der Rückgang -4,7; bei Rotwein -6,5; beì Rose´-0,7. Der Trend geht zu leichteren Weinen mit geringerem Alkoholgehalt. Preissensible Verbraucher verzichten auf Wein. Die Deutschen greifen auch öfter zu günstigen Importweinen. Die EU zahlt eine  Milliarde an Subventionen. Winzer fordern die Stilllegung von Weinbergen. Vgl. HB 11.3.24, S. 26f.

Wein von morgen: Weine sind immer ein Abbild gesellschaftlicher Entwicklungen. Heute wird anderer Wein als früher getrunken. Wie sehen die Weine der Zukunft aus? 1. Weine werden fruchtiger. 2. Weine werden nachhaltiger. 3. Weine werden natürlicher. 4. Weine werden alkoholfrei. Vgl. Artikel in: Die Rheinpfalz 1.2.24 (geht auf Forschungen von Ulrich Fischer zurück, Professor Weincampus NW)

"Abschied in der Weinschenke

Die Schenke ist voll Duft von Blütenstaub und Weiden.

Zum Weine muntert uns die Schöne aus Wu.

Kommt, Jugend von Djin-ling, nun heißt es scheiden,

Schenkt ein, die bleiben und die gehen, trinkt euch zu!

Den Fluß, der ostwärts fließt, o Freund, befrage du,

Wer lieber, scheiden möchte von uns beiden."

aus: Lyrik des Ostens: China, München 1958, S. 75 (Hermann Hesse war ein Fan dieses Buches, das vom Sinologen Wilhelm Gundert zusammengestellt wurde; Goethe hatte zuerst die Schönheit der Verse entdeckt).

 

Weitere Teile des VWL - Lehrbuchs:

Übungsmodell für Deutschland:

mit logischer Struktur, Spieltheorie, Wirtschaftspolitik, Grundbegriffen  u. a. , auf der Seite Meth/Econometrics einzusehen. Auf der Seite Economics/Basic gibt es eine umfangreiche Darstellung von

Übungstheoreme der Volkswirtschaftslehre: Übungstheoreme

Satirisches Portrait der VWL auf der Seite Öffentlichkeit.

"Einen Zyniker erkennt man daran, dass er von jedem Ding seinen Preis, aber von keinem den Wert kennt", Oskar Wilde, 1854 - 1900, englisch - irischer Autor;    "A cynic...is a man who knows the price of everything and the value of nothing".

Blogonomics:

Rasant steigt die Zahl ökonomischer Blogs im weltweiten Netz. Mittlerweile kann man diese auch zum Informieren und Lernen nutzen. Teilweise kümmern sich diese um bestimmte Themen. Andere stehen für bestimmte Denkrichtungen. Eine dritte Sorte geht von berühmten Ökonomen aus. Auch Zahlenbilder kann man sich in guter Qualität im Internet beschaffen (Probeabo bzw. Abo). Hier können Meinungen implizit enthalten sein. Im Folgenden finden sich einige Beispiele 8eine wesentlich umfassendere Sammlung findet sich bei Links):

1. Berühmte Ökonomen

www.krugman.blogs.nytimes.com (Paul Krugman, Nobelpreis, Lehrbuch)

www.gregmankiw.blogspot.com (Gregory Mankiw, Lehrbuch)

www.economonitor.com/nouriel/ (Nouriel Roubini)

2. Ökonomengruppen

www.oekonomenstimme.org (Link auch auf der Startseite)

www.marginalrevolution.com

Netzwerk "Plurale Ökonomie e. V."

Was ist Ökonomie? (Berliner Studenteninitiative)

3. Denkrichtungen

www.wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress (klassische Ordnungspolitik, Wettbewerb)

4. Zahlenbilder

www.zahlenbilder.de

 

Ostasien  

"Liebe und Freundlichkeit sind die besten Gewürze zu allen Speisen", aus China.

Fallstudie "Asienkrise", Literatur: Krugman Paul R.: Die große Rezession, Frankfurt/New York 1999(2001 als Taschenbuch). Stiglitz, Joseph: Die Schatten der Globalisierung, Berlin 2002. Diese Fallstudie habe ich einige Jahre im Hauptstudium bei Marketing Ostasien eingesetzt (6. Semester). Als Gerüst diente das Buch von Krugman, das ich wirtschaftstheoretisch erläutert habe. Zusätzlich gab es Präsentationen der Studenten mit ihren vertieften Asien - Erfahrungen. Boom-and-Bust Cycles in Ostasien werden auf Grund der sehr guten wirtschaftlichen Entwicklung dort auch weiter durch ihre Blasen die Weltökonomie beeinflussen. Das Verhalten der Bank of Japan wird weiterhin für die ostasiatischen Tigerstaaten prägend sein. Die Abhängigkeit zwischen den Schuldner- (Japan) und Gläubigerstaaten (Tiger), sowie die Abhängigkeit Japans und Chinas vom amerikanischen Gütermarkt besteht auch heute noch. Die amerikanische Wachstumsschwäche im Zusammenhang mit der Unterbewertung vieler asiatischer Währungen führt dazu, das sich die asiatische Produktion immer stärker auf andere  Exportmärkte konzentriert. Die Devisenmarktinterventionen in China pumpen zusätzliches Geld in die inländische Wirtschaft. Dadurch nimmt die Geldmenge zu und die Preisblasen bei Vermögenswerten (die "Sterilisation" durch den Verkauf von Anleihen gelingt nur unvollständig). Die Folge könnte eine neue Finanzkrise sein. Insofern kann diese Fallstudien immer noch in geraffter Form eingesetzt werden.

2009 erscheint das Buch in einer Neuauflage mit neuen Kapiteln zur aktuellen Weltwirtschaftskrise (Die Neue Weltwirtschaftskrise, Frankfurt/ New York 2009). Ich verwende es im Master-Modul "Internationale Ökonomie", wo im SS 2009 die Krise im Mittelpunkt steht.

"Die Ostasienkrise war zuallererst eine Krise des Finanzsystems....Das Finanzsystem lässt sich mit dem Gehirn einer Volkswirtschaft vergleichen", Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung, Berlin 2002, S.135.

Aktien-Crash in Shanghai (CSI 300 - Index, Yuan, mit Shenzhen) und seine Folgen für Finanz- und Gütermärkte. Ursachen waren ein Rückgang der US-Auftragseingänge, Infos vom Nationalen Volkskongress (Kapitalertragsteuer) und Äußerungen von Alan Greenspan. Es zeigen sich unmittelbare Folgen an den japanischen und US-amerikanischen Finanzmärkten. Gewöhnungs- und Lerneffekte können einbezogen werden ebenso wie kulturelle Aspekte. Besonders interessant ist der noch isolierte Status der Börse in Shanghai (kaum Fremdkapital). Aber immer mehr Unternehmen, die schon in Hongkong an der Börse sind, wollen auch in Shanghai Fuß fassen (z. B. China Mobile). Einflüsse des Handelsbilanzdefizits der USA auf die Stabilität müssen analysiert werden. China argumentiert, dass die amerikanischen Multis, die in China produzieren, durch ihren Export in die USA in erster Linie dafür verantwortlich sind. Mit dieser Fallstudie habe ich erstmals im SS 2007 im Hauptstudium gearbeitet.

Es kann auch eine Verbindung zu den Problemen auf dem amerikanischen Hypothekenkreditmarkt hergestellt werden:  Im Zentrum steht hier die Bankenkrise, die sich in Verlusten bemerkbar macht. Die Zinsen steigen und die US-Hausbesitzer können Kreditraten nicht mehr bezahlen. Dadurch werden die Banken vorsichtiger bei der Vergabe neuer Kredite.  Dies spüren Finanzinvestoren, Hedgefonds und private Konsumenten. Dadurch sinkt das US-Wirtschaftswachstum (die Aktienkurse fallen global) und die Wirtschaft könnte global langsamer wachsen. Ganz klar zeigen sich die Interdependenzen zu den weltweiten Aktienmärkten, die Kursrutsche erleben. Die Volatilität wird immer größer, weil sich die Risikoeinschätzung dynamisiert. Auf den realen Bereich greift die Krise außer durch die geringere Nachfrage aus den USA mit einer weitaus restriktiveren Kreditvergabe über (Baunachfrage rückläufig, weniger Kredit finanzierte Konsumausgaben und Investitionen). Es wird wahrscheinlich zu einem massiven Wertverlust amerikanischer Immobilien kommen (wegen der Wertberichtigung bei Hypotheken könnte eine Bankenkrise folgen). Entscheidend ist auch für die Auswirkungen auf die Konjunktur die Zinspolitik der Notenbanken (am besten wäre eine Zinssenkung; unveränderte Zinsen bzw. Zinserhöhungen können bremsen). Mit mehrfachen Zinssenkungen  versucht die Fed  die Finanzmärkte zu besänftigen. Ebenso wird Geld, auch von anderen Notenbanken (EZB, England, Schweiz, Kanada), in den Geldmarkt gepumpt. Trotzdem geraten die Aktienmärkte weltweit ab 21.01.08 in Turbulenzen (die erst durch eine Leitzinssenkung in den USA vorerst abgebremst werden und später durch das Rettungspaket der USA). Die Übergänge zwischen Vertrauenskrise, Liquiditätskrise und Finanzkrise sind fließend. Bei der Vertrauenskrise gilt eine Informationsasymmetrie ("Market for Lemmons"!). Die Liquiditätskrise wird durch die so genannten Commercial Papers (kurzfristige Kredite) verstärkt. Der internationale Finanzmarkt wird durch Geldspritzen der Notenbanken (über 1000 Mrd. $), durch Sozialisierung der Risiken (AIG, Freddy und Fannie) und durch Rettungsfonds mühsam stabil gehalten. Insgesamt betragen die Anlagenverluste durch die Finanz- und Wirtschaftskrise schon 50 Bill. $ (Asiatische Entwicklungsbank). 2009 sind in den USA schon 28 Banken Pleite gegangen. Vgl. auch Robert Shiller, Yale: Recent Trends in House Prices and Home Ownership ("Hot Paper", September 2007)  "Es wird noch eine Zeit lang dauern, bis das überwunden ist", Henry Paulson, damaliger US-Finanzminister über die Finanzkrise im Sommer 2007.

"Die USA unter Paulson sind kommunistischer als China", Jim Rogers, amerikanischer Hedgefonds-Manager.

Fehler der japanischen Wirtschaftspolitik in den 1990er Jahren: In dieser Zeit steckte Japan in einer langen Rezession. Geld- und Fiskalpolitik blieben relativ wirkungslos. Das Bankenwesen befand sich in einer Krise. Was kann man aus diesen Fehlern lernen? Inwieweit waren veraltete makroökonomische Paradigmen schuld. Literatur: Werner, Richard A.: Neue Wirtschaftspolitik. Was Europa aus Japans Fehlern lernen kann, München 2007. Besonders interessant ist das Kapitel über den deutschen Ökonomen Friedrich List, der als einer der ersten Ökonomen die These des Freihandels von David Ricardo in Zweifel zog und die Vorzüge von Protektionismus herausarbeitete. List belegte seine These mit Entwicklungsstudien über England und die USA. Von diesem Denken wurde die japanische ökonomische Lehre sehr stark beeinflusst (vgl. S. 442 ff.).

"Die Fed, die Europäische Zentralbank und die Bank von Japan bestimmen die Geldpolitik für eine Zone, die 80% der weltweiten industrialisierten Wirtschaftsaktivität auf sich vereint... Kaum zuvor, wenn denn je, ist eine derart geballte Macht von einer so kleinen Anzahl von Institutionen unbehelligt vom direkten demokratischen Prozess ausgeübt worden", Goldman Sachs.

Eine Mittelstandsfallstudie bezogen auf ein deutsches KMU, das auch in China tätig ist, habe ich geschrieben. Sie wurde in einem Sammelband veröffentlicht. Es geht darum, welchen Spielraum ein mittelständisches Unternehmen in der Globalisierung hat.

"Der Sozialismus macht kapitale Fehler, der Kapitalismus soziale", N. N. (zitiert nach Vogt, G.: Faszinierende Mikroökonomie, München 2007, S. 347).

 

Betriebswirtschaftslehre 

"Betriebswirtschaftslehre ist zu fünfzig Prozent selbstverständlich und zu fünfzig Prozent unverständlich", N. N..

Einfluss der demographischen Entwicklung auf die Personalwirtschaft von Unternehmen.

"Ich prophezeihe Ihnen, dass Unternehmen in 20 Jahren völlig anders ausgerichtet sein werden als heute. Es wird in Zukunft nicht mehr um Survival of the Fittest gehen, sondern um Survivel of the Wisest", Deepak Chopra, Autor von Management-Bestzellern.

Klimawandel und betriebswirtschaftliche Entscheidungen. Diese Fallstudien setze ich in Allgemeiner Betriebswirtschaftslehre zur Vorbereitung auf die Klausur ein. Im Mittelpunkt stehen Gesichtspunkte der Produktion, des Umweltmanagements und des Marketings.

"A great many people think they are thinking when they are merely rearranging their prejudices" (sehr viele Leute denken, dass sie denken, wenn sie lediglich ihre Vorurteile neu sortieren), William James, amerikanischer Philosoph und Psychologe, 1842 - 1910.

Rollenspiel "Interkulturelle Kommunikation": Dr. Walter Müller und Heinrich Lüdenscheid, Eigentümer einer mittelständischen Unternehmung in Süddeutschland möchten in China ein Joint - Venture gründen. Dazu treffen sie sich in Shanghai mit einem chinesischen Geschäftsmann und seinem Assistenten, um bei einem Bankett Verhandlungen zu führen. Den Kontakt haben sie über die Außenhandelskammer hergestellt. Der Chauffeur der chinesischen Gastgeber hat sie gerade aus dem Hotel abgeholt und zu dem Treffen gebracht. Dieses Rollenspiel zeigt, wie sich zwei vollkommen verschiedene Nationalitäten gegenüberstehen und über die jeweils andere kaum Wissen haben. Beide Parteien sind gewillt, zusammen zu kommen und das gemeinsame Ziel (Geschäftsabschluss) zu erreichen. Die Chinesen wie die Deutschen geben sich Mühe; es wird jedoch im Laufe des Gesprächs deutlich, dass alle Anwesenden stark in persönlichen Vorurteilen, sozialen und kulturellen Mustern, Ego-Bedürfnissen, Konditionierungen etc. festgesetzt sind. Dies macht eine ehrliche, persönliche Begegnung problematisch. Selbstverständlich ist die folgende Arbeit und das dazugehörige Theaterstück im umfang der Missverständnisse übertrieben, alle Beispiele sind jedoch real passiert und stammen meist aus den landeskundlichen Vorlesungen.

Dies ist ein Ausschnitt aus dem Drehbuch eines der vielen Rollenspiele aus der Veranstaltung "Psychologie und Kommunikation". Die Rollenspiele können von den Studenten als Prüfungsleistung erbracht werden. Andere Rollenspiele, die auf DVD gespeichert vorliegen, beschäftigen sich z. B. mit der Bedeutung des Essens-Rituals in China, mit dem Ablauf eines Kulturschock oder mit einem interkulturellen Bewerbungsgespräch. Vgl. zur Forschung z. B. Rituale

"Die ältesten und kürzesten Wörter - "Ja" und "Nein" - erfordern auch das stärkste Nachdenken", Pythagoras, griechischer Mathematiker (Lehrsatz), ca. 570 -480 v. Chr. Dieser Satz gilt umso mehr für die Kommunikation mit chinesischen oder japanischen Gesprächspartnern. Das japanische "Hai=Ja" hat z. B. sehr viele Bedeutungen, die sich erst aus dem Zusammenhang ergeben.

 

        "Das Denken kann man auch den  Pferden überlassen". Kunst in  der Hochschule Ludwigshafen (zum Glück ist das Pferd nicht weiß und somit kein Hochschulschimmel). Inwiefern ist das Pferd ein Modell und für eine Fallstudie geeignet?

"The goal of HBS is to prepare students for the challenges of leadership. We believe that the case method is by far the most powerfull way to learn the skills requiered to manage and to lead", Hompepage der Harvard Business School.

Das European Case Clearing House (www.ecch.cranfield.ac.uk ) verfügt über die weltweit größte Datenbank mit Zugriff auf über 20.000 Fallstudien überwiegend aus dem angel-sächsischen Raum.

Wert der Fallmethode und Quellen dazu

Fallmethode als Lehr- und Lerntechnik (case learning). Sie eignet sich besonders, um die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überbrücken. Sie wurde 1880 an der Harvard Law School entwickelt. Sie hat auch Vorteile, wenn Zeit und Geld sehr begrenzt sind oder der Zugang eingeschränkt ist. Sie kann komplexe Situationen besser darstellen und ganzheitlich besser lösen. Sie fördert das gehirngerechte Lehren, indem sie Erfahrungen, wiederholen und andocken ermöglicht. Ihr großer Nachteil ist die eingeschränkte Generalisierung. Probleme können auch bei zu großen Gruppen entstehen.

Im Rahmen des Bologna-Prozesses, in dem neue Bachelor- und Masterstudiengänge an den Hochschulen  entstehen, müssen dazu passende Lernmethoden entwickelt werden. Die Fallstudie kann der Illustration, der Entwicklung von Hypothesen und Konzepten, dem Test von Hypothesen, der Voraussage und methodischen Tests dienen. Sie muss auf die Praxis und Handlung bezogen sein, aktuell und anschaulich.

Durch die Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009 gerät die Fallmethode unter Beschuss. Da die Studenten anhand von Beispielen lernen, wie Manager vermeintlich erfolgreiche Unternehmen führen, sei die Ausbildung zu sehr auf unkritische, zu kurzfristige Renditesteigerung ausgerichtet. Zu viele MBA-Absolventen seien in den vergangenen Jahren zu den Investmentbanken gegangen und hätten wie die Lemminge die Krise verursacht. Der MBA wird als Master of Apocalypse verspottet, der Ethik zwar im Lehrplan hat, aber nicht vermittelt. Der Blick müsse von der Fallmethode weg wieder auf das große Ganze gelenkt werden. Es müsse auch weniger auf Zahlen als auf Persönlichkeit geschaut werden.

Fallbearbeitung als Methode (Phasen)

1. Problemstellung und -erkennung, 2. Ausgangslage, 3. Problemfelder und -diagnose (Zusammenhänge und Spannungsfelder), 4. Entwickeln von Lösungsalternativen, 5. Bewertung und Beurteilung der Alternativen, 6. Entscheidung: Auswahl und Begründung der Alternativen (Synthese), 7. Umsetzung planen (Maßnahmen, Ressourcen), 8. Kontrolle und Evaluation. Vgl. Zaugg, J./ Wenger, A. P.: Anleitung zur Bearbeitung von Case Studies, in: WiSt Heft 3, März 2003, S. 178 - 182.

Meister Konfuzius sprach: "Lernen und nicht denken ist nichtig. Denken und nicht lernen ermüdend".

 

Mitarbeiterbefragung in der  Personalökonomik 

"Don´t be irreplaceable - if you can´t be replaced, you won´t get promoted",       N. N..

Eine spezifische Form der Fallstudie stellt die Mitarbeiterbefragung dar. Im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung werden alle Mitarbeiter zu unterschiedlichen Merkmalen und Bedingungen ihrer Arbeit befragt. Von einer Mitarbeiterbefragung profitieren Geschäftsleitung und Mitarbeiter gleichermaßen. Vorteile liegen in der Status - Quo - Ermittlung, in der Steigerung der Motivation der Mitarbeiter und in der Verbesserung der Einstellung zum Unternehmen. Als Argument gegen eine Mitarbeiter-befragung werden schlechte Kosten-Nutzenrelation, Widerstände von Seiten der Mitarbeiter und kein zusätzlicher Informationsgewinn aufgeführt.

In vielen Unternehmen wird mittlerweile die Arbeitszufriedenheit ermittelt. Dies geschieht jährlich und wird häufig in einer Mitarbeiterzeitung veröffentlicht. Bekannt ist der Employee-Engagement-Index. Über einen schlechten Wert bei diesem Index stolperte der frühere SAP-Chef Leo Apotheker.

"Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische", Karl Valentin. 2007 ist eine neue Biografie erschienen von Dimpfl, M. Berühmt ist auch folgendes Zitat: "Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut". 2007 ist der 125. Geburtstag.

 

Fallstudie im Studium  

"Wissenschaft ändert sich ständig... Das alles sind nur Theorien, die immer wieder von anderen abgelöst werden. Die Mythologie allein verschafft uns einen Aufschluss über das Wesen der Welt", Anselm Kiefer, (einer der größten lebenden Künstler, 1945 in Donaueschingen geboren, lebt in Paris, Zitat aus Focus 33/2008, S.58).

Die Fallstudie ist eine Methode, um die studentische Motivation und Eigenaktivität zu fördern und damit das Kompetenzniveau optimal zu erhöhen, indem sie neben Wissen und Verständnis auch Anwendung, Analyse und Beurteilung mit sich bringt. Damit verbunden ist intrinsisches Lernen (Deci & Ryan), das durch emotionales Erleben Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit kombiniert. Die Fallstudien müssen  in die Planung der Lehre integriert werden. Am besten wird sie mit Gruppenarbeit zusammengebracht. Sie sollte mit anderen Lehrmethoden kombiniert werden. Im Plenum sollte ein Feedback und eine Diskussion erfolgen. Eine Bewertung muss eingebunden sein. Vgl. Paul, H.: Fallstudien, in: WiSt, Heft 6, Juni 2005, S. 349-353. Die Fallstudie bietet auch die Möglichkeit, mehrere Fächer im Hinblick auf einen Fall zu vernetzen und ist damit eine Kooperations-möglichkeit zwischen Kollegen. Der Fragmentierung der Fächer entgegen zuwirken und Transferelemente sowie Interdependenzen aufzuzeigen ist gerade am Ostasien-Studiengang ein wesentliches Lernziel.

"Eine Fähigkeit, die nicht täglich zunimmt, geht täglich zurück", Chinesische Weisheit.

 

Stellenwert des Internet  

"Dem sind keine Grenzen gesetzt, der sie nicht hinnimmt", ZEN - Weisheit.

Internet, Blogs, Podcasts, Wikis und E-Mails revolutionieren die Präsentation der Fallstudien und die Ökonomie insgesamt. Sie verkürzen drastisch die Veröffentlichungszeit und erhöhen die Veröffentlichungsmöglichkeiten durch immer mehr Online-Zeitschriften, Online-Paper sowie Foren und durch Werbemöglichkeiten auf Homepages. Außerdem leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung und Freiheit der Wirtschaftswissenschaften weg auch von Zitier-Kartellen. Durch die Virtualisierung von Datenzentren und Software-Werkzeugen (z. B. PHP) kommt es zu einer Privatisierung der Informationstechnologie, die die Unabhängigkeit erst möglich macht. Natürlich ist das Internet selbst im Rahmen der Internetökonomie auch ein interessanter Forschungsgegenstand, z. B. inwieweit die Informationstechnologie die Ungleichheit erhöht. Für die Studenten bedeuten sie einen erheblichen Zuwachs an Service durch die asynchrone Abrufbarkeit "on demand", durch die internationale Vergleichsmöglichkeit (Qualitätsmaßstäbe) und durch bessere Kontaktmöglichkeiten bei Auslandsaufenthalten. Auch im Selbststudium (Workload) kann das Internet einschließlich Lernplattformen zunehmend unterstützend wirken. Das Netz verändert alle Parameter der wissenschaftlichen Rahmenbedingungen. Immer verbreiteter sind Vorlesungen über You Tube. Hier können die Stars der Zunft bei der Arbeit beobachtet werden (teilweise auch über die Open University)

Wer allerdings den Computer zu stark nutzt, so belegen es Studien, lernt schlechter und zeigt schlechtere Leistungen (Ausdrucksvermögen, Kreativität). Noch unklar ist, wie sich die Abschaffung der handschriftlichen Schreibschrift auswirken würde (ab 2016 in Finnland Abschaffung der zusammenhängenden Handschrift, nur noch Druckbuchstaben für den Notfall). "Das Netz ist auch ein Medium, das in steigendem Maße Nicht- oder Fastnichtmehrleser ermöglicht", Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ,  über das Internet. Das Gehirn wird überlastet (Königliches Institut für Technologie in Stockholm). Die Dauerberieselung nimmt dem Gehirn wichtige Pausen, in denen es im Leerlauf dreht. Die Auszeiten sind wichtig, um das zuvor Aufgenommene zu verarbeiten. Immer mehr Menschen lagern ihr Gehirn ins Internet aus. So wissen sie viel, verstehen aber wenig. Die Auseinandersetzung mit der virtuellen Welt kann nicht das Leben in der realen Welt ersetzen. Insbesondere das "Internetdeutsch" bzw. "Denglisch" kann zu Kommunikationsdefiziten führen. Für die Studenten ist auch  die Versuchung groß, sich unseriös zu bedienen (Seminararbeiten mit den Funktionen "Kopieren" und "Einfügen"). Sie müssen auch lernen, die Seriosität von Web-Seiten zu bewerten. Für Professoren wird die Bindung an eine Hochschule gelockert (kann durch virtuelle Netze und Lehrstuhl-Allianzen - z. B. Nice- Network - ergänzt werden) und  der Arbeitsaufwand steigt erheblich, wenn das Medium "Internet" stark  interaktiv ausgebaut wird. Allerdings muss das Netz-Image bzw. der Internet-Leumund auch gepflegt werden. Vgl. auch zu näheren Informationen das Impressum einschließlich des Kommentars. Offen ist derzeit, welche Rolle "Social Networks" im Hochschulbereich in Zukunft spielen werden. Ist ein solches Netzwerk als Dreh- und Angelpunkt für Surfen zu wissenschaftlichen Zwecken im Internet vorstellbar? Erste Ansätze finden sich bei wiwi-online. Die sozialen Medien, vor allem die beruflichen Netzwerke wie Xing oder Linkedln, unterstützen aber den Alumni - Gedanken pro Professor.  Das Internet ist deshalb zu effektiv, weil es Verbindungen schafft zwischen Kommunikationspartnern, die sich nicht gut kennen müssen. Eine wichtige Rolle spielten Foren im Internet im Wahlkampf von B. Obama. Viele Experten sind der Meinung, dass dies entscheidend war. 732 Millionen Menschen weltweit nutzen Social Networks (Nielsen). Das Netz räumt mit eingeübten Weisheiten auf, erlaubt theoretisch Weltbürgerträume und steht für eine neue Öffentlichkeit. Das Internet ermöglicht auch Bürgerbeteiligung in der Wissenschaft. Laien sammeln Daten (tausende Bürger fotografieren mit dem Smartphone der Sternenhimmel und Wissenschaftler werten die Bilder aus) und Forscher werten aus. "Das Internet als Freiheitsmedium ist eine zentrale Voraussetzung für Veränderungen in unserer Welt", Konstantin von Notz, Netzpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.

Die kulturellen Auswirkung des "cloud computing" werden noch einschneidender sein. Alle großen Hindernisse bei der Versorgung mit kreativen Produkten verschwinden. Wissenschaftliche Artikel werden im Nu digitalisiert werden. Das Internet wird das wichtigste Austauschmedium werden. Entscheidend ist die Frage, ob sich dadurch die Qualität verbessert oder verschlechtert. Die Anonymität der Massen (Klickzahlen!) scheint zuerst einmal Qualität durch Quantität zu ersetzen. Was am Ende steht, weiß aber noch niemand. Außerdem ist damit eine gewisse "Janusköpfigkeit" verbunden: Viele, die im Netz ihre Meinung - auch wissenschaftlich - äußern, wollen anonym bleiben. Andererseits erhöht das Internet die Offenheit und Öffentlichkeit. Alle, und damit auch alle Wissenschaftler, werden selbst zum Medium. Sie veröffentlichen im Internet, konsumieren und verlinken sich. In den sozialen Netzwerken findet man nicht nur Wissen, sondern kann auch verfolgen, wie es entsteht. Die Informationsanarchie durch das Internet ist einerseits eine große Bedrohung (und keiner weiß die genauen Folgen), andererseits hebt es die Lebensqualität ungemein (man braucht als Wissenschaftler kaum noch in Bibliotheken). Das Internet speichert auch politische Aussagen ewig (ein gutes Beispiel sind Professoren bei der AfD, die sich für ein gewichtetes Wahlrecht eingesetzt hatten). Der Umgang mit Informationsnetzwerken wird in der Wissenschaft fundamental wichtig werden. Die Instrumente zum Filtern und Ordnen werden sich verbessern. Es gibt eine Reihe von Rechenzentren für Aktivisten (Riseup.net), abhörfeste Telefonie-Dienste (Cryptostorm) und Cyber-Abwehr. Gut im Markt ist hierbei die Deutsche Telekom.

Die Techniken  stellen aber natürlich auch eine Gefahr dar. Die Verknüpfung von kommerzieller und staatlicher Datengier (vor allem durch die amerikanischen IT-Firmen) kann auch die wissenschaftliche Freiheit gefährden. Wissenschaftler sollten außerordentlich vorsichtig sein mit Informationen und im Umgang bei Apple, Google, Amazon u. a. (Abhörskandal der NSA und die Folgen). Andererseits lehrt uns der NSA-Skandal, dass die Bürger ihre Privatsphäre sowieso schon aufgegeben haben (die Öffentlichkeit bleibt ungerührt). Es gibt immer mehr Medien mit immer mehr Journalisten und Wissenschaftlern oder solchen, die sich dafür halten. Der Wettbewerb um Aktualität und der Konkurrenzdruck verführen zu oberflächlichen oder einseitigen Recherchen und fehlerhaften Darstellungen. Quellennachweis und Kritik werden oft vernachlässigt. Öffentliche und Privates wird immer mehr vermischt. 

Mittlerweile gibt es 2013 und 2014 eine Art Popkultur des Internets. Texte, Bilder und Videos werden rasend schnell verbreitet. Man spricht von Internet-Meme als neuer Weltsprache (sie werden als Texte und Bilder über soziale Netzwerke, Blogs, Web-Foren, E-Mails verbreitet). Insofern spiel Quatsch im Internet auch politisch und wirtschaftlich eine Rolle. 2013 war der Satz "Yes, we scan" Schlagzeile im Internet. Katzenbilder gelten oft als Insiderwitz (z. B. LOLcats). Berühmt geworden ist die Meme "Merkel entdeckt#Neuland" (es geht um die Abhöraffäre, die von Snowden aufgedeckt wurde). Das Internet könnte bald jede noch so kleine Nische des persönlichen und wirtschaftlichen Lebens erobern. Wenn die antreibenden Faktoren so weitergehen (preiswerte Chips, starke Mobilfunknetze, günstige Sensoren, ständige Ortung) wird die gesamte Kommunikation und Werbung revolutioniert.  Mit dem Internet der Dinge bekommen die Datensammler von Google auch Zugang zu Privatwohnungen, Autos und Geldbörsen. Der Staat wird daher nicht darum herum kommen, die Internetgiganten stärker zu regulieren. Die Daten müssen besser geschützt werden.  "Das Internet ist das erste von Menschen erschaffene Ding, das der Mensch nicht versteht. Es ist das größte Experiment in Anarchie, das es jemals gab", Eric Schmidt, Chef von Google.

Das Internet wird auch das Management in Organisationen verändern. Die Entwicklungen werden immer schneller und agiler, so dass man sich auf Unvorhergesehenes einstellen muss. Informationen können schell und einfach geteilt werden, was die Offenheit fördert. Die Vernetzung wird weiter zunehmen, ohne dass der Nutzen und die Risiken einschätzbar sind. Die Partizipation wird zunehmen (vgl. Management by Internet, Willms Buhse, 2014). Das Internet greift zusätzlich stark in die Abläufe von Informationsflüssen ein und bedroht ganze Branchen. Zum Beispiel gibt es Taxi-Apps wie ÜberPop und WunderCar, die Kunden und Privatautos zusammenbringen (ohne Steuern, ohne Zulassung, Fahrten zu Dumping-Preisen). 2014 entscheidet das BGH, dass kein Auskunftsanspruch bei Falschbehauptungen im Internet besteht. Die Portale müssen die Anonymität ihrer Nutzer schützen. Es besteht nur ein Recht auf Löschung. Formulare zur Löschung haben sowohl einige Suchmaschinen als auch soziale Netzwerke. Suchmaschinen löschen nur Links. Bei den Netzwerken ist wichtig, zuerst das Konto (account) zu löschen.  Illegales kann man einer zentralen Beschwerdestelle melden ( www.beschwerdestelle.de ). Sie wird von der  Internetwirtschaft getragen und ist mit Juristen besetzt.  "Wir werden durch das Internet noch sehr viel mehr über uns und andere Menschen lernen und wissen", Eric Schmidt, Google-Chef über das Internet in 10 Jahren. Mittlerweile sind schon 13% aller Web-Seiten auf Chinesisch. Es gibt weltweit 2008 ca. 1,4 Milliarden Nutzer, in Deutschland 43 Mio. Im Jahre 2013 waren fast zwei Drittel der Internetsurfer gar keine Menschen, sonders so genannte Bots (Computerprogramme mit Auftrag; Incapsula, US-Datendiensleister).

Das Internet verändert die Gesellschaft. Die These von einer Spaltung der Gesellschaft (in die, die das Internet beherrschen und die, die es nicht überblicken) ist mittlerweile ganz gut belegt. Wikipedia und Google entwerten sicher auch das Bildungsbürgertum. Facebook und Twitter führen zu einer starken Radikalisierung (Beispiel Trump und USA). die Anonymität (Darknet) bringt die Kriminalität zum Blühen. Vgl. Bender, Justus: So schadet uns das Internet, in: FAZ 1.2.21, S. 18.

"Die entscheidende Frage ist: Woher kommen die Daten? Und wem gehören Sie? Davon hängt am Ende ab, wer diesen digitalen Krieg gewinnt." Joe Kaeser, Siemens-Chef, im Jahre 2014.

"In a world without walls or fences, who needs Windows or Gates"?

 

 

"Wende dein Gesicht der Sonne zu, und du lässt die Schatten hinter dir", Afrikanisches Sprichwort; oder: "So wie man die Strahlen der Sonne nicht zudecken kann, so kann man auch das Licht der Wahrheit nicht auslöschen", aus Arabien.